"Warum diskutieren wir nicht die sieben Thesen, die [Philipp] Kurowski am Ende seines Plädoyers aufstellt?", frug Daniel Fetzer vor knapp zwei Wochen im Eule-Magazin; und wie ich bereits angekündigt habe, bin ich gern bereit, mein Scherflein zu dieser Diskussion beizutragen. In einem Kommentar zu ebenjenem Blogartikel, in dem ich dies angekündigt habe, hat mein Leser Gerd Franken zwar bereits ein einigermaßen vernichtendes Gesamturteil zu Kurowskis Thesen gefällt, aber diesem Urteil möchte ich mich in dieser Schärfe und Pauschalität dann doch nicht anschließen. Ich halte die Debatte, die Philipp Kurowski - ein Mann der Praxis, Gemeindepastor der Nordkirche im ländlichen Schleswig-Holstein - mit seinen Thesen anstoßen möchte, nämlich tatsächlich für notwendig, und ebenso, dass sie über die Grenzen von Konfessionen und innerkonfessionellen "Lagern" hinweg geführt wird. Letzteres aus Gründen, die Kurowski selbst benennt:
"Aber wenn Volkskirche einerseits doch erhaltenswert scheint, andererseits zum Untergang verdammt ist, wenn nicht entschieden gegengesteuert wird, was ist dann zu tun? Zunächst sollte in dieser Situation alles gedacht und versucht werden dürfen, wofür es Menschen gibt, die es mit Liebe zu ihrer Kirche tun. Keine Bewegung innerhalb der Kirche sollte von vorneherein verurteilt oder verdächtigt werden. Die wichtigste Erneuerung der Kirche kann nur durch Gottes Geist passieren, und der weht bekanntlich wo er will."
Was die "Liebe zur Kirche" betrifft, möchte ich freilich darauf bestehen, dass diese Liebe, wenn sie diese Bezeichnung verdienen soll, auch beinhalten muss, Christus als den Herrn der Kirche anzuerkennen. Das sollte unter Christen zwar eigentlich selbstverständlich sein, aber ich sage es trotzdem lieber mal dazu. Denn wenn das nicht klar ist, kann sich auch eine bloße Anhänglichkeit an solche Aspekte und Erscheinungsformen "von Kirche", die mit ihrem göttlichen Auftrag bestenfalls sekundär etwas zu tun haben, als eine solche "Liebe zur Kirche" ausgeben. -- Nun aber genug der Vorrede und ran an die sieben Thesen! Ich erkläre gleich vorweg, dass meine Anmerkungen dazu ganz Brainstorming- und "work in progress"-mäßig daherkommen und keinerlei Anspruch auf Systematik,Vollständigkeit oder Schlüssigkeit erheben. Macht draus, was immer Ihr wollt, compañeros!
Frans Francken d.J. (1581-1642): Die sieben Werke der Barmherzigkeit (gemeinfrei) |
- 1.) Bei aller nötigen Selbstkritik, und bei aller düsteren Zukunft: Wir dürfen ein kleines bisschen mehr Selbstbewusstsein risikieren. Wir haben nicht nur die beste Botschaft der Welt, wir haben auch eine sehr wichtige und derzeit unersetzbare Funktion in Staat und Gesellschaft. Machen wir uns deshalb nicht selber schlecht – so vermeiden wir übrigens auch Überforderung und Burnout.
Also, über psychologische Maximen zum Thema Mitarbeitermotivation brauchen wir uns hier wirklich nicht zu unterhalten, Herr P'stoor. Klar, sich nicht unnötig selber schlechtzumachen, ist gewiss ein guter Rat. Dass die Kirche allerdings ihr Selbstbewusstsein gerade daraus beziehen soll, dass sie nützlich für "Staat und Gesellschaft" ist, finde ich eher schräg. Aber das hatten wir ja schon.
(Bildquelle mitsamt erläutendem Kontext hier.) |
- 2.) Krisenmodus heißt auch: Konzentration auf das Wesentliche. So sehr ich den Wert von einer sehr breit aufgestellten Volkskirche betont habe, ist ein Schrumpfungsprozess wie man so schön sagt: alternativlos. Aber hier muss genau gesehen werden wo und wie. Einfach in Rasenmähermanier alles linear kürzen ist die phantasieloseste und wohl auch dümmste Variante. Man muss wissen, wovon Kirche letztlich lebt. Worin sie lebt. Wofür sie lebt. Das bedeutet differenziertes Vorgehen.
Ja klar. Totale Zustimmung. Ich sehe ehrlich gesagt nicht, was an dieser These strittig sein sollte. Bis auf das Wichtigste natürlich: Was ist es denn nun, "wovon Kirche letztlich lebt. Worin sie lebt. Wofür sie lebt"? Da dürften die Meinungen dann doch ganz erheblich auseinander gehen, jedenfalls wenn es konkret wird -- d.h. wenn es darum geht, wo gekürzt wird und wo nicht. Mit anderen Worten, in dieser so allgemein gehaltenen Formulierung ist der praktische Wert dieser These begrenzt. -- Aber mal ganz anders gefragt: Wenn es hier darum geht, einen unvermeidlichen Schrumpfungsprozess zu "steuern" - denn wenn er sich sozusagen "organisch"-naturhaft vollzöge, dann stellte sich die Frage ja wohl gar nicht - reden wir hier dann nur über Geld? Oder, etwas allgemeiner formuliert, nur über materielle und personelle Ressourcen? Ich wollte gerade schreiben "Das ist mir vom Ansatz her zu technokratisch", aber vielleicht habe ich einfach nur einen Moment lang vergessen (obwohl's drüber steht), dass diese Thesen immer noch im Rahmen des Systems "Volkskirche" operieren. Wobei: Schon Luhmann wusste um die Paradoxie eines "organisationsförmigen" Selbstverständnisses "von Kirche", die darin besteht, letztlich "das Unorganisierbare organisieren" zu wollen bzw. zu müssen. Viel mehr als die Frage, wie bzw. wofür der kirchliche Verwaltungsapparat seine knapper werdenden Ressourcen einsetzt, würde mich interessieren, wie er im Zuge seines Schrumpfens Freiräume schaffen bzw. hinterlassen kann, in denen Gottes Geist ohne quasi-behördliche Genehmigung (und womöglich sogar ohne Geld) wehen kann. Aber dazu kommen wir wohl noch.
- 3.) Auf dem platten Land: Die Flamme brennen lassen: Die dezentrale Präsenz nicht aufgeben, sondern so gut es geht vor Ort bleiben. Deshalb sollten wir Wege finden, wie wir kleine Andachten organisieren, die regelmäßig ein Licht in diesen Räumen anzündet. Auch ohne Pastor, auch ohne Liturgie. Vielleicht eine Art Hauskreis, in Decken gewickelt, aber am Ort, wo Glaube eine Geschichte hat. Und ab und zu kommt einer zu Besuch von der Kirche.
Dieses war die erste These, die mich so richtig angesprochen hat. Vielleicht weil ich vom "platten Land" komme und das, obwohl ich mehr als mein halbes Leben in der Großstadt verbracht habe, immer noch ganz tief in mir steckt. "Die dezentrale Präsenz nicht aufgeben, sondern so gut es geht vor Ort bleiben": Da stimme ich ganz entschieden zu. Der Dissens steckt jedoch mal wieder im Detail. Also beispielsweise: "kleine Andachten [...] ohne Pastor, auch ohne Liturgie". Ohne Pastor: Na klar. Es ist ja jetzt schon so, dass Pfarrer bzw. Pastoren in ihren Gemeinden nicht überall gleichzeitig sein können, und wenn wir von einer von schrumpfenden Ressourcen, gerade auch personellen, geprägten Zukunft sprechen wollen, dann gilt das da natürlich erst recht. Wenn also nichts ohne den Pfarrer ginge, dann ginge insgesamt nur sehr wenig. So weit, so klar. Gerade im protestantischen Bereich sollte es eigentlich völlig unproblematisch sein, gottesdienstliche Feiern im weitesten Sinne auch ohne Pastor abzuhalten: Wo es neben dem allgemeinen Priestertum aller Gläubigen kein besonderes Weiheamt gibt, da ist die Funktion eines Pastors ohnehin relativ. Aber auch im katholischen Bereich ist gegen "kleine Andachten", die ohne die Anwesenheit eines Geistlichen gefeiert werden, überhaupt nichts einzuwenden. Jedoch: "ohne Liturgie"? Wieso? Dass eine Andacht nicht dieselbe liturgische Form haben muss und haben kann wie eine katholische Messe oder ein evangelischer Sonntagsgottesdienst, versteht sich von selbst; aber deshalb gleich ganz auf eine liturgische Form verzichten? Na, wahrscheinlich ist das so'n Protestanten-Ding: Dazu, dass es vermutlich eher schwer ist, den Wert liturgischer Formen zu ermessen, wenn man sie ausschließlich oder überwiegend in einer bereits sehr reduzierten, um nicht zu sagen rudimentären Form erlebt, und dass man dann leicht auf den Gedanken kommt, auf diese Rudimente könne man dann auch recht gut ganz verzichten, habe ich mich vor Jahren schon mal in Ansätzen geäußert; das ist ein bisschen so wie im Märchen von "Hans im Glück". Dazu, warum Liturgie dennoch wichtig ist und es wünschenswert wäre, wenn auch Christen aus eher liturgiefern bzw. -kritisch geprägten Konfessionen ein Verständnis dafür entwickeln würden, verweise ich auf das Unterkapitel "Den Sinn für Liturgie zurückgewinnen" von Rod Drehers "Benedikt-Option" (S. 171-184). Zitieren werde ich daraus hier und jetzt aber nicht. Kauft Euch das Buch, Leute! -- Was man übrigens ganz prima, und zwar auch konfessionsübergreifend, ohne Pfarrer in der Kirche veranstalten kann, ist Stundengebet. Es spricht auch nichts dagegen, diese sehr traditionelle Gebetsform mit "modernen" Elementen zu kombinieren; etwa was die musikalische Gestaltung angeht. Aber das ist natürlich Geschmackssache. Im Gebetshaus Augsburg habe ich unlängst eine Gebetszeit miterlebt, in der Invitatorium und Laudes mit Elektro-Beats unterlegt wurden; fand ich klasse. -- Zum Stichwort "Hauskreis": Finde ich gut. Aber wieso "in Decken gewickelt"? Sprechen wir jetzt von einer Kirche, deren Ressourcen derart geschrumpft sind, dass nicht mal mehr für Heizkosten Geld da ist? Oder geht es nur um das Indianer-Flair? Und überhaupt: Ist es für einen Hauskreis nicht eigentlich charakteristisch, dass er sich bei einem seiner Mitglieder zu Hause trifft? -- Aber ich sehe schon: deshalb das "aber" und der Hinweis auf den "Ort, wo Glaube eine Geschichte hat". Okay: Die frühen Christen versammelten sich an den Gräbern der Märtyrer, das ist eine ehrwürdige Tradition. Allerdings habe ich aus meinem katholischen Blickwinkel heraus den Verdacht, der Hinweis auf den "Ort, wo Glaube eine Geschichte hat" diene hier lediglich hilfsweise zur Beantwortung der tatsächlich gar nicht so leicht zu beantwortenden Frage, wofür die evangelische Kirche eigentlich Kirchengebäude braucht. Oder anders ausgedrückt: was einen evangelischen Kirchenraum eigentlich substantiell von irgend einem anderen, profanen Raum unterscheidet. Na ja, geschenkt. -- Der letzte Satz ist allerdings verräterisch: "Und ab und zu kommt einer zu Besuch von der Kirche"? Gehören die Leute, die da regelmäßig ihren Hauskreis, ihre Andacht oder was auch immer veranstalten. etwa nicht zur "Kirche"? Im katholischen Bereich würde man angesichts eines solchen Lapsus von "Klerikalismus" sprechen; der Begriff passt auf die evangelische Kirche nicht, weil es da keine Kleriker im eigentlichen Sinne gibt. Ich habe den bösen Verdacht, die Rolle des Klerus übernimmt da der Verwaltungsapparat. Der betrachtet sich selbst als die eigentliche "Kirche"; die einfachen Gläubigen sind nur Kunden.
- 4.) In der Stadt: Mehr Profilierung riskieren. Im städtischen Kontext macht es keinen Sinn, wenn in gefühlter Nachbarschaft an drei Orten Dienst nach Vorschrift angeboten wird. Stadtgemeinden sollen und müssen sich fragen: Was ist unser Beitrag den wir für unsere Stadt leisten? Warum sollen Leute ausgerechnet zu uns kommen?
Das klingt vernünftig und gleichzeitig innovativ? Tja, das täuscht: In Wirklichkeit ist es keins von beidem, sondern kommt geradewegs vom Grünen Tisch der Pastoraltechnokraten, wo es allerdings schon eine ganze Weile herumgelegen hat. Und das aus gutem Grund, denn die Idee einer funktionalen Ausdifferenzierung von Kirchengemeinden steht im eklatanten Widerspruch zur Parochialstruktur, die gerade kennzeichnend für das Modell "Volkskirche" ist. Isolde Karle [*] merkt an: "Jede
Kirchengemeinde ist so ähnlich wie eine andere, weil Kirche
segmentär differenziert ist: ein Segment, eine Pfarrgemeinde
existiert neben der anderen. Diese Struktur begrenzt die Möglichkeit
von Arbeitsteilung und Spezialisierung" (S. 244f.). Gleichwohl hat etwa das EKD-Impulspapier "Kirche der Freiheit" (2006) das Ziel "einer
deutlich erkennbaren Zentralisierung auf allen Ebenen und mit einer
zunehmenden funktionalen Differenzierung" vorgegeben: "Durch
die Zentralisierung werden sowohl Themen als auch Personen aus den
Ortsgemeinden abgezogen. Dies bedeutet eine Aushöhlung und
Relativierung der 'ganz normalen' Gemeinden und Gemeindepfarrstellen
vor Ort [...]. Reformvorstellungen dieser Art wurden in
ähnlicher Weise schon einmal in den 1970er Jahren propagiert" (S. 243f.). Ähnlich kritisch äußerte sich Hartmann Tyrell [**]: "Solche
Differenzierung oder Diversifizierung der Angebotsstruktur, die
unterschiedlichen Bedarfen und Nachfragen, eher
niedrigschwellig entgegenkommen will, würde aber das Gesicht der
Kirche – absehbar und absichtsvoll – zulasten der segmentären
Struktur verändern: zulasten der Gemeindereligiosität" (S. 198).
Der diametrale Widerspruch zwischen den Thesen 3.) und 4.) lässt sich übrigens augenscheinlich nur dadurch erklären, dass Philipp Kurowski annimmt, für den städtischen Bereich hätten völlig andere Regeln zu gelten als für den ländlichen. Was in mancherlei Hinsicht stimmen mag, aber in genau dieser Hinsicht zweifle ich daran. (Disclaimer: Es ist möglich, dass ich hier zu sehr "von Berlin her" denke. Berlin ist strukturell gesehen ja eher eine Ansammlung von Dörfern als eine typische "Stadt".)
Der diametrale Widerspruch zwischen den Thesen 3.) und 4.) lässt sich übrigens augenscheinlich nur dadurch erklären, dass Philipp Kurowski annimmt, für den städtischen Bereich hätten völlig andere Regeln zu gelten als für den ländlichen. Was in mancherlei Hinsicht stimmen mag, aber in genau dieser Hinsicht zweifle ich daran. (Disclaimer: Es ist möglich, dass ich hier zu sehr "von Berlin her" denke. Berlin ist strukturell gesehen ja eher eine Ansammlung von Dörfern als eine typische "Stadt".)
- 5.) Den Staat, die Kommunen einbinden: Der Staat muss seinerseits wissen, wie viel Volkskirche ihm bedeutet. Er muss dabei auf seine Neutralität achten. Wenn er zum Beispiel Gemeindehäuser erhält, weil Kirche das nicht mehr kann, muss er vielleicht auch Eigentümer werden. Oder darf er vorschreiben, dass sich dort auch nichtkirchliche oder sogar muslimische Gruppen treffen. Das ist eben Volkskirche, wir sind kein exklusiver Club, sondern haben einen Auftrag für die Gesellschaft.
Kurz: Nö. Aber da sind wir wieder an dem Punkt, an dem ich schon früher ausgiebig überkreuz mit Pastor Kurowski war. Dass die Kirche "einen Auftrag für die Gesellschaft" hat, dieser Aussage würde ich ja an sich gar nicht widersprechen wollen; wohl aber dem, was Kurowski allem Anschein nach unter diesem Auftrag versteht. Ich würde sagen, der Auftrag der Kirche gegenüber der Gesellschaft ist zuallererst ein missionarischer; damit unterscheidet er sich erheblich vom Auftrag des (seinem Selbstverständnis bzw. Anspruch nach) weltanschaulich neutralen Staates, und genau deshalb tut (oder täte) die Kirche gut daran, dem Staat gegenüber ein nicht zu geringes Maß an Distanz zu wahren.
- 6.) Dienste und Werke ausgliedern, wo es irgend möglich ist. Große Dienste und Werke haben längst eine Größe und ein Volumen, das sie besser alleine dastehen würden als einer Landeskirche, einem Kirchenkreis oder gar einer Gemeinde zugeordnet. Sie in eigene Körperschaften zu überführen (z.B. als gGmbH). Eine Kita oder eine Sozialstation machen heute ein x-faches an Umsatz im Vergleich zu einer Ortsgemeinde. Diakonische Werke können eine ganze Landeskirche ruinieren, wenn etwas schiefläuft. Wie kirchliches Profil auch ohne unmittelbare Trägerschaft funktioniert muss im Einzelnen geregelt werden.
Hier bin ich mir unsicher. Genauer gesagt, ich habe hierzu zwei oder mehr verschiedene Meinungen, die einander tendenziell widersprechen. Aber meinen eigenen, weiter oben aufgestellten Regeln für diesen Beitrag zufolge macht das ja eigentlich gar nichts. Also, wohlan. Einerseits erschiene es mir durchaus sinnvoll, wenn die Kirche die Trägerschaft bestimmter Einrichtungen auf- bzw. abgäbe, die aufgrund von "Größe und [...] Volumen [...] besser alleine dastehen würden"; insbesondere dann, wenn ein spezifisch kirchliches Profil dieser Einrichtungen ohnehin nicht gewährleistet werden kann. Das kann für Schulen, Kindergärten oder Erwachsenenbildungs-Einrichtungen gelten, aber sicherlich auch noch für manches Andere. (Vermutlich hat Pastor Kurowski seine These zwar etwas anders gemeint, aber davon lasse ich mich jetzt einfach mal nicht stören.) Andererseits, und da hier ja (unter anderem) ausdrücklich von diakonischen Werken die Rede ist, muss ich anmerken, dass mir das Outsourcing von διακονία und caritas an professionelle Unternehmen, auch wenn diese Diakonie und Caritas heißen und sich in kirchlicher Trägerschaft befinden, ganz generell ein Dorn im Auge ist. Und dies nicht nur, weil dieses Outsourcing - wie auch Isolde Karle beklagt - zu einer Verarmung des Gemeindelebens beiträgt: "So
besucht nicht mehr die Gemeindeschwester die diakonisch Bedürftigen
und knüpft und pflegt dabei Kontakte. Es haben sich vielmehr eigene
Diakonieorganisationen ausgebildet, die weitgehend unabhängig vom
lokalen Netzwerk operieren. Die
Themenvielfalt und Personenvielfalt des Gemeindelebens schränkt sich
damit aber unweigerlich ein" (S. 248; freilich räumt sie ebd. ein, dass die "Ausdifferenzierung
der Diakonie [...] sicherlich nicht mehr rückgängig gemacht werden
kann"). Ein tendenziell noch größeres Problem sehe ich darin, dass auf diese Weise das Bewusstsein dafür getrübt wird, dass die Werke der Barmherzigkeit (die Hungrigen speisen, den Durstigen zu trinken geben, die Nackten bekleiden... vollständige Liste hier) jedem einzelnen Christen aufgetragen sind. Ich denke da an Peter Maurin, den Begründer des Catholic Worker Movement, der meinte, das Delegieren von Wohltätigkeit an Organisationen (ver)führe zu einer Haltung, in der sich "die Frage des ersten Mörders" wiederhole: "Bin ich meines Bruders Hüter?"
Das ist jetzt natürlich nicht sonderlich pragmatisch gedacht, aber das habe ich ja auch nie behauptet. Ich möchte hinzufügen, dass der letztgenannte Punkt aus meiner Sicht sehr eng mit einem grundsätzlichen Problem volkskirchlicher Strukturen korrespondiert: der Unterscheidung zwischen Mitarbeitern und ("einfachen") Mitgliedern. Weiter oben ist es schon einmal angeklungen: Es gibt eine Tendenz dazu, "Dienste" in und an der Kirche in erster Linie von den Hauptamtlichen her zu denken. Daneben gibt es natürlich noch Ehrenamtliche, die aber nicht selten als Lückenbüßer für diejenigen Aufgaben behandelt werden, für die keine hauptamtlichen Mitarbeiter bezahlt werden können. Derweil zahlt der Großteil der Mitglieder einfach Kirchensteuer und nimmt die "Angebote" der Kirche entweder als "Dienstleistungen" in Anspruch oder eben (zunehmend) nicht. In dem Maße, wie die Großkirchen mit schwindenden Ressourcen auskommen müssen, ist dieses Modell immer weniger tragfähig -- und wird auch dadurch nicht zu retten sein, dass man immer mehr Aufgaben von haupt- auf ehrenamtliche Mitarbeiter umverteilt. Vielmehr wird es notwendig werden, das kirchliche Verständnis von "Mitarbeit" bzw. "Dienst", "Beteiligung", ja letztendlich, wenn mir ein bisschen Pathos gestattet ist, von "tätigem Christsein" grundsätzlich neu zu denken. Und zumindest ich halte das für etwas Gutes.
Das ist jetzt natürlich nicht sonderlich pragmatisch gedacht, aber das habe ich ja auch nie behauptet. Ich möchte hinzufügen, dass der letztgenannte Punkt aus meiner Sicht sehr eng mit einem grundsätzlichen Problem volkskirchlicher Strukturen korrespondiert: der Unterscheidung zwischen Mitarbeitern und ("einfachen") Mitgliedern. Weiter oben ist es schon einmal angeklungen: Es gibt eine Tendenz dazu, "Dienste" in und an der Kirche in erster Linie von den Hauptamtlichen her zu denken. Daneben gibt es natürlich noch Ehrenamtliche, die aber nicht selten als Lückenbüßer für diejenigen Aufgaben behandelt werden, für die keine hauptamtlichen Mitarbeiter bezahlt werden können. Derweil zahlt der Großteil der Mitglieder einfach Kirchensteuer und nimmt die "Angebote" der Kirche entweder als "Dienstleistungen" in Anspruch oder eben (zunehmend) nicht. In dem Maße, wie die Großkirchen mit schwindenden Ressourcen auskommen müssen, ist dieses Modell immer weniger tragfähig -- und wird auch dadurch nicht zu retten sein, dass man immer mehr Aufgaben von haupt- auf ehrenamtliche Mitarbeiter umverteilt. Vielmehr wird es notwendig werden, das kirchliche Verständnis von "Mitarbeit" bzw. "Dienst", "Beteiligung", ja letztendlich, wenn mir ein bisschen Pathos gestattet ist, von "tätigem Christsein" grundsätzlich neu zu denken. Und zumindest ich halte das für etwas Gutes.
- 7.) Entbürokratisierung. An viel zu vielen Stellen funktioniert Kirche immer noch wie eine Behörde, und zwar eine sehr rückständige Behörde. Es geht so vieles smarter, menschlicher, papierloser, wenn man Kirche von morgen denkt. Die Behördenstruktur ist ein preußisches Elend, dass Mitglieder und Mitarbeiter zu Untertanen degradiert, es ist so viel systemisches Misstrauen darin, dass es wirklich geeignet ist, Kirchliche Kernkompetenzen wie Liebe, Solidarität, Spontaneität und Spiritualität zu verdunkeln und zu ersticken. Und dabei mehr Kosten verursacht als spart.
D'accord. Bin voll dabei. Nur eins frage ich mich dabei: Was genau bleibt denn von der Volkskirche als Volkskirche noch übrig, wenn man ihr die "Behördenstruktur" nimmt? Ist es nicht genau das, was sie ausmacht? Mir scheint, dieser letzte Punkt wirft sehr, sehr vieles von dem, was Philipp Kurowski zuvor über das Wesen und die Vorzüge des Modells Volkskirche gesagt hat - ich verweise nochmals auf meinen Artikel vom Mittwoch - mit Karacho und Anlauf aus dem Fenster. Was mir im Grunde nur recht sein kann. Aber es wirft halt Fragen auf...
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[* Isolde Karle: Religion – Interaktion – Organisation. In: Jan Hermelink / Gerhard Wegner (Hg.): Paradoxien kirchlicher Organisation. Niklas Luhmanns frühe Kirchensoziologie und die aktuelle Reform der evangelischen Kirche. Würzburg 2008, S. 237-257.
** Hartmann Tyrell: Religion und Organisation: Sechs kirchensoziologische Anmerkungen. In: Hermelink/Wegner, a.a.O., S. 179-204.]
"Aber wieso "in Decken gewickelt"? Sprechen wir jetzt von einer Kirche, deren Ressourcen derart geschrumpft sind, dass nicht mal mehr für Heizkosten Geld da ist?"
AntwortenLöschenGenau den Gedanken hatte ich auch.....das erschien mir allerdings zu pauschal.....;-)
>>Disclaimer: Es ist möglich, dass ich hier zu sehr "von Berlin her" denke. Berlin ist strukturell gesehen ja eher eine Ansammlung von Dörfern als eine typische "Stadt".)
AntwortenLöschenUnd nicht zu vergessen, in Berlin gibt es nicht allzuviele Katholiken, was dann ganz naturgegeben dazu führt, daß die Pfarreien flächenmäßig *groß* werden.
Da fährt man dann nicht so schnell durch die Gegend herum.
Diese funktionale Differenzierung gibt es, wo genügend Katholiken auf engem Raum zusammenleben, durchaus ganz natürlich und ergibt sich recht unbürokratisch (z. B. in München, und auch in kleineren Städten Bayerns).
Da versammelt sich dann ganz natürlich in St. Peter eine Klientel, die außer bei akuter Sonntagspflichtgefahr (die es nicht gibt) oder für Chorkonzerte keine zehn Pferde nach St. Maximilian treiben würden, und, darf angenommen werden, umgekehrt. Wer ausführliche Predigten haben will, weiß auch, daß er für die dominikanische Prägung in die Theatinerkirche, für jesuitische Prägung nach St. Sylvester und im übrigen nach St. Ludwig in die Abendmesse muß. Wer vor Christi Himmelfahrt an einem Bittgang teilnehmen will, muß nach Feldmoching hinausfahren. Von der typischen Profilierung im Damenstift oder, wenn man damit kein Problem hat, kurz vor dem Luise-Kiesselbach-Platz einmal ganz zu schweigen, *das* wird man ja wohl auch in Berlin haben. Die Langschläfer findet man im Zweifelsfall in St. Michael.
Ich scheiße mal einen evangelischen Knochen zu 3.) hier hin:
AntwortenLöschenhttps://sprengelhildesheimgoettingen.wordpress.com/einfach-gottesdienst-feiern/
https://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/wir-ueber-uns/sprengel-kirchenkreise/sprengel-hildesheim-goettingen/projekte-subhome/einfach-gottesdienst-feiern
Vielleicht hilft es jemandem.