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Sonntag, 19. März 2023

Flagge zeigen, Farbe bekennen

Es ist zwar durchaus nicht so, als gäbe es keine anderen interessanten Themen, aber ich denke doch, ich bin meinen Lesern noch ein Update zur Butjenter Regenbogenflaggen-Affäre schuldig. Zunächst mal möchte ich Euch für Eure Unterstützung danken: Die Aktion, zu der ich am vorigen Sonntag auf meinem Blog aufgerufen habe, hat offensichtlich Wirkung gezeigt. Am Mittwoch veröffentlichte die Pfarrei auf ihrer Website und auf ihrer Facebook-Seite eine "Stellungnahme der Seelsorger der katholischen Kirchengemeinde St. Willehad Nordenham zur Regenbogenfahne am Gästehaus und Pfarrheim Rat-Schinke-Haus in 26969 Butjadingen-Burhave"; und tags darauf brachte die Kreiszeitung Wesermarsch einen Artikel, in dem die wichtigsten Passagen dieser Stellungnahme teilweise paraphrasiert, teilweise im Wortlaut wiedergegeben wurden. 

Bei aller Befriedigung über diese doch vergleichsweise prompte Reaktion kann ich den Inhalt dieser Stellungnahme indes nicht als befriedigend bezeichnen. Ein großer Teil des Texts dreht sich darum, dass der Regenbogen "[s]eit Menschengedenken" ein "Symbol des Bundes zwischen den Menschen und Gott" sei: 

"Schon im Buch Genesis (1 Mose) finden wir dazu klare Worte in den Versen 9 bis 17. Das Buch Jesus Sirach (43,11 und 50,7) im Alten Bund der Bibel spricht vom Regenbogen als Symbol des Ruhms über den Schöpfergott und als Symbol des Bundes Gottes mit der Erde. Im Neuen Bund schreibt Johannes in der Offenbarung über den Regenbogen als Begleiter der Engel und als Symbol, welches über dem Thron strahlt (Offb 4,3 und 10,1)." 

Gut und schön, aber was hat diese Bedeutung des Regenbogens mit der Flagge der LGBTTIQ-usw.-Bewegung zu tun? Richtig: überhaupt nichts. Ausführlich hat sich hierzu Bloggerkollegin Claudia in einem Artikel geäußert, den ich hier gern verlinke und darüber hinaus ein paar besonders relevante Passagen zitieren möchte: 

"Allenthalben – auch vor einigen katholischen Kirchen – findet man nun die sechsfarbige Regenbogenflagge (quergestreift, also eher Block als Bogen). Aussagen Geistlicher zu dieser deplazierten Beflaggung haben oft mit Toleranz und Nächstenliebe zu tun, sehr selten aber mit genauen Bibelzitaten und tiefgehender religiöser Kenntnis." 

und:

"Der quergestreifte sechsfarbige Block entstammt der postchristlichen LGTB-Bewegung. Daß nun Christen, die sich von ihnen unbequemen Punkten der christlichen Lehre entfernt haben, auch diesen bunten Block benutzen, macht ihn nicht zu einem Teil der christlichen Ikonographie."
Dass die Verantwortlichen der Pfarrei St. Willehad tatsächlich sehr genau wissen, wofür die Flagge, die sie da am Rat-Schinke-Haus gehisst haben, wirklich steht, macht schon ihre Beteiligung an der federführend vom CSD Wesermarsch Verein lancierten "Gemeinsamen Erklärung" vom 07.03. deutlich, die ein explizites Bekenntnis dazu enthält, "dass alle Menschen  [...] lieben können, wen sie wollen"; aussagekräftig ist auch, dass auf der Facebook-Seite der Pfarrei, die sich zuvor (soweit ich es beobachtet habe) nie besonders mit Stellungnahmen zu kirchenpolitischen Streitfragen hervorgetan hatte, am 11. und 12. März zwei Artikel über die Beschlüsse der 5. Synodalversammlung geteilt wurden, darunter einer mit der bezeichnenden Überschrift "Weg für Segensfeiern für homosexuelle Paare ist frei". Dagegen wird in der nun veröffentlichten Stellungnahme der Geistlichen nur in Form von vagen Andeutungen ein assoziativer Zusammenhang zwischen dem Regenbogensymbol und Schlagworten wie Vielfalt und Toleranz hergestellt – wenn etwa vom "strahlenden Regenbogen mit all seinen Farben des Lebens" die Rede ist: "Wir stehen hinter diesem Regenbogen mit all seinen Farben"; der Regenbogen werde "bis heute selbstverständlich als Symbol des Segens angesehen"; man wolle "ein sichtbares und klares Zeichen pro Mensch" setzen (ausgerechnet diese schon rein sprachlich ausgesprochen grausige Formulierung greift die Kreiszeitung in ihrer Überschrift auf); und: "Als Gemeinde in der nördlichen Wesermarsch schließen wir niemanden aus, der an unsere Türen klopft. Das wird auch deutlich in unserem Lokalen Pastoralplan, der durch den Pfarreirat St. Willehad am Fest des heiligen Willehad am 8. November 2020 verabschiedet wurde." Ja ja, bla bla. Die Leute will ich mal sehen, die da an die Tür klopfen. 

Zu allem Überfluss wird zudem behauptet, die "Regenbogenfahne am Fahnenmast am Rat-Schinke-Haus" bringe "sichtbar nach außen, was am Osterfest 1990 im Innern der Kirche vollendet wurde": Damals wurde nämlich "auf die Stirnseite direkt hinter dem Altar ein Regenbogen an die Wand gemalt. Mitte dieses Symbols ist Jesus Christus selbst, dessen Kreuz vor dem Licht der Auferstehung (goldene Mitte des Regenbogens) die Gläubigen zum Gebet einlädt". Ja danke, das weiß ich sehr gut: Der Entwurf zu diesem Wandgemälde stammt von meiner Schwester, die seinerzeit im Bauausschuss des Pfarrgemeinderats war. 

Eine andere Art von Regenbogen: Das in der Stellungnahne der Geistlichen von St. Willehad erwähnte Wandbild in Herz Mariae Burhave. 

In diesem Zusammenhang wird aus der "Gemeindechronik [...] von Pfarrer em. Alfons Kordecki († 2022)" zitiert: 

"Nun fällt der Schatten dieses Kreuzes je nach Lichteinfall und eigenem Standpunkt auf den goldenen Kreis in der Mitte der Altarfront und weist so auf die Kreuzigungsszene Jesu hin, in der das Heil für die ganze Menschheit geschehen ist. Dieser goldene Kreis, umgeben von Regenbogenfarben, deutet auf die verborgene Gegenwart Gottes in unserer Welt. Sein Licht strahlt aus in die Dunkelheit dieser Welt und fällt wie ein Lichtfall in Richtung des Altares, um uns auf die Gegenwart Christi in der Eucharistie hinzuweisen." 

Das ist schön dargelegt, hat aber – abermals – absolut nichts mit der hier in Frage stehenden Flagge zu tun. Und ich möchte hinzufügen: Den verstorbenen Pfarrer Kordecki in diese Sache hineinzuziehen, offenbart eine Schamlosigkeit, die ich nur als atemberaubend bezeichnen kann. 

Mein Gesamturteil über diese Stellungnahme lässt sich füglich in dem Satz "Das glauben die doch wohl selber nicht" zusammenfassen. Und genau das ist das hoch Problematische an solchen Aussagen: Jeder weiß, dass es gelogen ist, und jeder weiß, dass die anderen es auch wissen, aber man schließt eine stillschweigende Übereinkunft, so zu tun, als glaube man es. Das ist viel schlimmer als eine einfache Unwahrheit, denn es korrumpiert das Verhältnis zur Wahrheit insgesamt.

Übrigens hat diese ganze Affäre in meinen Augen frappierende Ähnlichkeit mit einem Vorgang in meiner hiesigen "Ex-Gemeinde", relativ kurz bevor meine Liebste und ich dort unsere Mitarbeit aufkündigten. Damals lief gerade die Namensfindung für die zu gründende Großpfarrei, und einer der drei Pfarrvikare, den ich – auch aus physiognomischen Gründen – privat gern Pater Mephisto nannte, brachte in einem Telefonimpuls (eine Errungenschaft der Corona-Lockdown-Zeit) allen Ernstes den Namensvorschlag "Regenbogen-Gemeinde" ins Gespräch. Auch er begründete dies ausführlich mit der Rolle des Regenbogens als Bundessymbol in der Sintfluterzählung und ließ so nebenbei den Hinweis einfließen, "junge Leute" verstünden den Regenbogen als Symbol für Vielfalt, Toleranz, Selbstbestimmung usw. und gegen Diskriminierung. Vermutlich fand Pater Mephisto sich und seine Ansprache enorm clever, aber tatsächlich war sie ein prächtiges Fallbeispiel für ein ebenso verbreitetes wie faszinierendes Paradox: Allzu clever macht dumm

Ein ähnlich interessantes Phänomen ist es, dass derjenige, der es allen recht zu machen versucht, es am Ende meist niemandem recht macht. So kommentierte ein Facebook-Nutzer das Regenbogenflaggen-Statement der Willehad-Geistlichen wie folgt: 

"In der Stellungnahne nicht auch ausdrücklich Bezug auf die Bedeutung dieser Flagge für die LGBTQ+ Community zu nehmen und sich klar dafür zu positionieren, ist wirklich ein Armutszeugnis. Da wären für eine Glaubensgemeinschaft, die den Schritt in unser Jahrtausend wagen will, mehr und klarere Worte angebracht gewesen." 

Tja. Ich würd mal sagen, das geschieht ihnen recht. 


6 Kommentare:

  1. Mich erinnert das ein wenig an die von Lohmeyer so fein karikierten stereotypen Bauernbürgermeister:

    „Ja, da hat ma‘s net leicht als Burgermoasta [im Schlichtungsverfahren]. Weil, die Fräulein Ursula is Hochwürden dem Herrn Pfarrer sei Köchin, aber die Gschwendtnerbäuerin is meiner Basl ihr‘ Schwägerin. Zu wem soll ma jetz da hoitn?“

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  2. Man könnte verdeutlichend auch noch sagen: nur weil zwei Weltanschauungen dasselbe Symbol verwenden, bedeutet das nicht, dass das Symbol beide Male dasselbe bedeutet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die LGBTQ-Bewegung ihren Regenbogen nicht als "Symbol des Ruhms über den Schöpfergott und als Symbol des Bundes Gottes mit der Erde" sieht. Viele aus dieser Bewegung würden sich (zu Recht) ziemlich aufregen, wenn man ihnen das unterstellt würde. Also so zu tun, als sei diese christliche Bedeutung des Symbols irgendwie dasselbe wie die Bedeutung, die die LGBTQ-Bewegung dem Regenbogen gibt, ist denen gegenüber eine ziemliche Frechheit, und wir Christen verdummen uns da nur selber.

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    1. Es ist ja - streng genommen - noch nicht einmal dasselbe Symbol. Das eine hat sechs Farben, das andere sieben.

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  3. Selbstverständlich hat der Regenbogen für die Homosexuellen etc. nichts mit der Sintflut zu tun.

    Womit er tatsächlich zu tun hat, ist aber genaugenommen fast ein ebensolches Eigentor. Das ist nämlich ein Film (um hier kein Ratespielchen aufzuziehen: dei Rede ist natürlich vom "Zauberer von Oz", mit dem wirklich fantastischen und an einer Stelle mit einer kraß fordernden Septime ausgestatteten, aber ich schweife ab, Themenlied "Somewhere Over the Rainbow") mit seinen grellen Technicolorfarben und, im ursprünglichen Sinne des Wortes, queeren (also: absonderlichen) Charakteren wie einem Löwen ohne Mut ("I am just a dandy lion"), einem Blechmann ohne Herz usw., die von der Protagonistin alle freundlich akzeptiert werden.

    Jo. Und dann stellt sich diese Protagonistin hin und verkündet, angetan mit Zauberstiefeln, als eigentliche Message des Films (und es ist nicht so, als ob das zur Entschuldigung, "wir schreiben erst 1939", an eine gegenläufige Handlung aufgesetzt wäre, sondern es war *wirklich* die ganze Zeit ihre Absicht): "There is no place like home".

    Wobei "home" ein (dogwhistle, anyone? "es gibt nicht nur schwarz und weiß"?) schwarz-weißes (das heißt filmisch so, genauer sind es aber Sepiatöne, also sogar eher *noch* "bürgerlicher") Bauerndorf in Kansas mit schwer heteronormativen Familien und Hofhunden ist.

    So weit, so gut. There is no place like home.

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  4. Diasporakatholik21. März 2023 um 17:52

    Ich jedenfalls würde mich als wertkonservativer, glaubenstreuer Katholik total "verscheißert" fühlen, wenn mir die hauptamtlichen Pfarreiverantwortlichen weiszumachen versuchten, bei dem besagten Buntstreifenbanner handele es sich um ein reines Zeichen für Toleranz und (menschliche) "Vielfalt" und nicht und gerade eben auch in allererster Linie um das Banner der LBGTQ+-Bewegung.
    Das auszublenden ist verlogen und wird zu Recht auch von besagtem Facebook-Nutzer gerügt! Für wie doof hält man uns einfache Christen eigentlich?

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  5. Diasporakatholik22. März 2023 um 23:10

    Den Pater Mephisto von Berlin-Reinickendorf konnte ich übers Internet im Pastoralteam der Pfarrei unschwer identifizieren.
    Nach dem von Ihnen über ihn Geschilderten bis hin zur Physiognomie scheint mir der Nickname durchaus nicht ganz unzutreffend gewählt zu sein.

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