Im Allgemeinen neige ich ja zu der Auffassung, das beste, was man über kirchliche Laiengremien sagen könne, sei, dass sie zu ineffizient sind, um ernsthaften Schaden anrichten zu können. Ich muss allerdings gestehen, dass diese Einschätzung sich fast zur Gänze auf meine persönlichen Einblicke in die Arbeit von Pfarrgemeinderäten und Lokalausschüssen stützt (in ganz unterschiedlichen Pfarreien übrigens -- nicht dass sich hier jemand speziell angesprochen fühlt); und da lautet mein Eindruck vom typischen Verlauf einer Sitzung: Die Hälfte der Zeit geht mit "Berichten aus den Ausschüssen" drauf, die andere Hälfte damit, Tagesordnungspunkte an die Ausschüsse zurückzudelegieren; beschlossen wird kaum je mal was, und wenn doch, ist noch lange nicht gesagt, dass das auch umgesetzt wird.
Aber das ist ja nur die unterste Ebene der Gremienpyramide. Und die hat zumeist das Problem, eine Mitgliederbasis repräsentieren zu sollen, die in der Breite überhaupt kein Interesse daran hat, sich von ihr repräsentieren zu lassen. Das zeigt sich sowohl in der notorisch mageren Wahlbeteiligung bei Pfarrgemeinderatswahlen als auch in dem Umstand, dass viele Pfarreien Mühe haben, überhaupt genügend Kandidaten für die Wahl aufzustellen. Die Folge ist, dass neben denen, die sich wirklich für die inhaltliche Arbeit in den Gremien interessieren und womöglich sogar eine Vision haben, was sie dort "bewegen" wollen, und denen, die sich einfach gern wichtig machen (zwei Gruppen, zwischen denen es zweifellos Schnittmengen gibt), in den Räten auch die sitzen, die sich zur Kandidatur haben überreden lassen, weil irgend jemand es ja machen MUSS.
Was die höheren Ebenen der Gremienpyramide betrifft, kann man wohl davon ausgehen, dass dorthin tendenziell die engagierteren und (zumindest nach Auffassung der anderen Mitglieder) kompetenteren Leute delegiert werden. Das mag sich positiv auf die Effizienz auswirken, führt aber gleichzeitig auch dazu, dass die Zusammensetzung der Gremien auf höherer Ebene immer weniger repräsentativ für die Basis in den Pfarreien ist. Ich bin gar nicht unbedingt der Meinung, dass das immer und unter allen Umständen schlecht ist, aber für das Selbstverständnis der Gremien, eine quasi-demokratische Laienvertretung darzustellen, ist das ein Problem.
(Ich gehe übrigens durchaus davon aus, dass das in "weltlichen" Verbänden und politischen Parteien prinzipiell genauso ist. Aber gab es nicht mal Einen, der sagte "Bei euch aber soll es nicht so sein"?)
Dieses Problem lässt sich übrigens auch nicht dadurch lösen, dass man - wie es derzeit sehr en vogue zu sein scheint - auf Bistumsebene "Dialogprozesse" an den etablierten Gremienstrukturen vorbei initiiert. Vielmehr haben diese Prozesse die Tendenz, dieselben Probleme zu reproduzieren; und das ist auch kein Wunder, denn die Leute sind nun mal, wie sie sind. Ich wage zu behaupten, die meisten "normalen Gläubigen" würden, wenn man sie nach ihrer Vision für die Zukunft der Kirche befragte, gar nicht wissen, was sie sagen sollen; und ich fühle mich versucht, hinzuzufügen: Und das ist auch gut so.
Aber diese Leute fragt ja in Wirklichkeit auch keiner. Man tut nur so. Kürzlich war hier vom "Erkundungsprozess" im Bistum Trier die Rede, ein Thema, auf das in absehbarer Zeit noch ausführlicher zurückzukommen sein wird; im Bistum Aachen gibt es derweil den "Heute bei dir"-Prozess. "'Heute bei dir' will neue Wege entwickeln, um Menschen besser anzusprechen, will neugierig machen auf die Botschaft des Evangeliums und will jeden dazu einladen, die Kirche im Bistum Aachen aktiv mitzugestalten, um gemeinsam die Zukunft zu prägen", heißt es auf der dazugehörigen Website. "Zur Mitarbeit im synodalen Gesprächs- und Veränderungsprozess sind grundsätzlich alle Menschen im Bistum Aachen eingeladen" - aber es werden nicht alle mitarbeiten, zum Teil aus den bereits genannten Gründen, zum Teil aber auch, weil diejenigen, die - um eine Formulierung von Max Goldt aufzugreifen - die Eleganz besitzen, mir ein wenig zu ähneln, auf den von Soziologenjargon und Neuer Innerlichkeit verpesteten Pastoralneusprech, mit dem das Projekt sich präsentiert, mit heftig juckendem Ausschlag reagieren dürften. Aber Moment mal: Ich sehe gerade, dass "alle Menschen" hier gar nicht im Sinne von "ALLE Menschen" gemeint ist; es folgt noch ein Relativsatz, der dieses "alle" genauer eingrenzt. Gemeint sind "alle [...], die ein Interesse daran haben, die Kirche im Bistum Aachen zukunftsfähig zu machen". -- Entscheidend ist hier das Wort "Interesse": Angesprochen sind Interessengruppen, "interessierte Kreise", wie man so schön sagt. Interessiert woran? Daran, "die Kirche im Bistum Aachen zukunftsfähig zu machen". In aller wünschenswerten Deutlichkeit wird hier klargestellt, dass es ausdrücklich und ausschließlich um die organisatorische Funktionalität "von Kirche" geht. Nicht etwa darum, in Wort und Sakrament das Evangelium Jesu Christi zu den Menschen zu bringen, oder wie man den Auftrag und Daseinszweck der Kirche sonst noch beschreiben könnte.
Übrigens beschleicht mich beim Betrachten der "Heute bei dir"-Website der Eindruck, gemessen an der beanspruchten Offenheit für (fast) alles und jeden kranke das Projekt, wie so Vieles in Deutschland, an einem Übermaß an bürokratischer Strukturierungswut. Da gibt es "Themenforen", "Teilprozessgruppen", eine "Lenkungsgruppe" und zu guter Letzt ein "Koordinationsbüro" -- in dem unter anderem eine Dame sitzt, die ich weitläufig von Twitter her kenne. Und diese - nennen wir sie kurz S. - twitterte unlängst gut gelaunt:
Aber diese Leute fragt ja in Wirklichkeit auch keiner. Man tut nur so. Kürzlich war hier vom "Erkundungsprozess" im Bistum Trier die Rede, ein Thema, auf das in absehbarer Zeit noch ausführlicher zurückzukommen sein wird; im Bistum Aachen gibt es derweil den "Heute bei dir"-Prozess. "'Heute bei dir' will neue Wege entwickeln, um Menschen besser anzusprechen, will neugierig machen auf die Botschaft des Evangeliums und will jeden dazu einladen, die Kirche im Bistum Aachen aktiv mitzugestalten, um gemeinsam die Zukunft zu prägen", heißt es auf der dazugehörigen Website. "Zur Mitarbeit im synodalen Gesprächs- und Veränderungsprozess sind grundsätzlich alle Menschen im Bistum Aachen eingeladen" - aber es werden nicht alle mitarbeiten, zum Teil aus den bereits genannten Gründen, zum Teil aber auch, weil diejenigen, die - um eine Formulierung von Max Goldt aufzugreifen - die Eleganz besitzen, mir ein wenig zu ähneln, auf den von Soziologenjargon und Neuer Innerlichkeit verpesteten Pastoralneusprech, mit dem das Projekt sich präsentiert, mit heftig juckendem Ausschlag reagieren dürften. Aber Moment mal: Ich sehe gerade, dass "alle Menschen" hier gar nicht im Sinne von "ALLE Menschen" gemeint ist; es folgt noch ein Relativsatz, der dieses "alle" genauer eingrenzt. Gemeint sind "alle [...], die ein Interesse daran haben, die Kirche im Bistum Aachen zukunftsfähig zu machen". -- Entscheidend ist hier das Wort "Interesse": Angesprochen sind Interessengruppen, "interessierte Kreise", wie man so schön sagt. Interessiert woran? Daran, "die Kirche im Bistum Aachen zukunftsfähig zu machen". In aller wünschenswerten Deutlichkeit wird hier klargestellt, dass es ausdrücklich und ausschließlich um die organisatorische Funktionalität "von Kirche" geht. Nicht etwa darum, in Wort und Sakrament das Evangelium Jesu Christi zu den Menschen zu bringen, oder wie man den Auftrag und Daseinszweck der Kirche sonst noch beschreiben könnte.
Übrigens beschleicht mich beim Betrachten der "Heute bei dir"-Website der Eindruck, gemessen an der beanspruchten Offenheit für (fast) alles und jeden kranke das Projekt, wie so Vieles in Deutschland, an einem Übermaß an bürokratischer Strukturierungswut. Da gibt es "Themenforen", "Teilprozessgruppen", eine "Lenkungsgruppe" und zu guter Letzt ein "Koordinationsbüro" -- in dem unter anderem eine Dame sitzt, die ich weitläufig von Twitter her kenne. Und diese - nennen wir sie kurz S. - twitterte unlängst gut gelaunt:
Beim #heutebeidir-Prozess im Bistum Aachen sind jetzt die nächsten Schritte und Beteiligungsmöglichkeiten veröffentlicht worden. Wer macht noch mit?
Zu Wort meldete sich M., eine junge Frau, die mal als studentische Honorarkraft für das Bistum Aachen gearbeitet hat und einen Master-Abschluss in "International Relations" in Oxford (!) gemacht hat.
Ehrlich gesagt bin ich bei manchen Überschriften nicht sicher, was gemeint ist, zB "Dialog" oder "Besondere Seelsorge"[*]. Und es erscheint mir teils überlappend. Davon abgesehen wäre "Begleitung von Menschen"[**] und alle Strukturfragen in "Die Kirche gestalten" meins.
In einem geradezu klassischen Fall von "Mansplaining" grätscht nun C., seines Zeichens Pastoralreferent und Familienvater, dazwischen:
Nur dass "Die Kirche gestalten" keine TPGs[***] sind, weil da erst am Ende drauf geschaut wird. Und das finde ich btw eine sehr kluge Entscheidung...Und nun kommt Feuer in die Unterhaltung.
M.: Wenn ich mit meiner beruflichen Brille drauf gucke, sage ich: die TPG sind nicht MECE[****]. Stört dich das nicht? Das wird doch ewiges Kompetenzgerangel und Ineffizienz geben.
C.: Ich starte bei größeren Projektplanungen mit Teams auch IMMER mit der Vision. Der Strukturkram nimmt die Kreativität und wird zu schnell Klein-Klein.
(Er merkt echt nicht, wie überheblich und bevormundend er rüberkommt. Ein bisschen critical maleness wäre hier durchaus angebracht.)
M.: Ja sicher. Meine Kritik bezog sich keinesfalls auf die Reihenfolge der Prozessschritte. Sondern auf die nicht trennscharf formulierten TPGs. Und als Frau würde ich sagen: meine Vision von Kirche lässt sich nicht getrennt von Strukturen denken :(
-- Was heißt denn "ich als Frau"? Da regt mich ja schon die Frage auf.
C.: Es sagt ja auch keiner, dass man Strukturen nicht mitdenken soll. Aber wenn am Anfang die Strukturen zementiert werden sollen ohne das klar ist welchen Sinn sie haben, wird es nicht produktiv.
M.: Okay okay - ich glaube wir reden aneinander vorbei. Findest du die TPGs trennscharf? That was my main point; ich weiß nicht, warum ich mich jetzt für mein Interesse an Strukturthemen rechtfertigen muss?
Immerhin: Der Opferrollen-Reflex funktioniert. Muss man sich merken: Mit "Ich sehe überhaupt nicht ein, wieso ich mich jetzt dafür rechtfertigen muss, dass ich..." kann man stets und überall jeden kritischen Einwand abschmettern, vorausgesetzt, man hat nach den Regeln des Intersektionalismus einen höheren Opferstatus als der Kontrahent.
Das erinnert mich jetzt übrigens daran, wie vor einigen Jahren die Fachschaftsinitiative Gender Studies der Berliner Humboldt-Universität in eine schwere Krise geriet, weil den wackeren Kämpfer*innen für Gendergerechtigkeit plötzlich auffiel, dass sie keine PoC[*****] in ihren Reihen haben. Woraus sie den Schluss zogen, sie müssten erst mal ihren eigenen strukturellen Rassismus kritisch reflektieren -- ein Prozess, der sie in der Folgezeit derart in Anspruch nahm, dass die sonstigen Tätigkeiten dieses Gremiums weitgehend lahmgelegt wurden.
So gesehen besteht ja vielleicht die Hoffnung, dass auch der #heutebeidir-Prozess im Bistum Aachen sich so beharrlich an Verfahrensfragen und politisch korrekten Sprachregelungen festbeißt, dass er keinen größeren Schaden anrichten kann...
[* Spontan habe ich "besorgte Seelsorge" gelesen. Auch ein schöner Begriff.
** Wen oder was, außer Menschen, könnte man denn noch so begleiten?
*** TPG = Teilprozessgruppe.
**** MECE = "mutually exclusive, collectively exhaustive". Laut Tante Wiki ein "technischer Begriff für die Eigenschaft von Unterelementen bezogen auf ein Oberelement, dieses vollständig und überschneidungsfrei abzubilden bzw. auszumachen". Noch Fragen?
***** PoC = "people of color", d.h. alle, die nicht weiß sind. Zuweilen werden auch Hispanics dazu gerechnet, obwohl die zu einem großen Teil sehr wohl weiß sind.]
** Wen oder was, außer Menschen, könnte man denn noch so begleiten?
*** TPG = Teilprozessgruppe.
**** MECE = "mutually exclusive, collectively exhaustive". Laut Tante Wiki ein "technischer Begriff für die Eigenschaft von Unterelementen bezogen auf ein Oberelement, dieses vollständig und überschneidungsfrei abzubilden bzw. auszumachen". Noch Fragen?
***** PoC = "people of color", d.h. alle, die nicht weiß sind. Zuweilen werden auch Hispanics dazu gerechnet, obwohl die zu einem großen Teil sehr wohl weiß sind.]
Die Stelle mit "bei euch aber soll es nicht so sein" geht im Zusammenhang so weiter "sondern der Höchste unter euch soll der Diener aller sein". Von "soll im vollen Sinne einer von euch und keineswegs etwas anderes sein" ist nicht die Rede.
AntwortenLöschen(So versteht jeder Herrscher sein Amt, das ist doch eine Selbstverständlichkeit und eine Floskel aus Sonntagsreden? Tja, es könnte ja sogar sein, daß sich das christliche Prinzip tatsächlich auch mal durchgesetzt hat^^)
>> Von "soll im vollen Sinne einer von euch und keineswegs etwas anderes sein" ist nicht die Rede. <<
AntwortenLöschenDas habe ich auch nicht behauptet, geschweige denn gefordert.
Bei den Dialogen fehlt nur noch:
AntwortenLöschen»Well to be perfectly honest, in my humble opinion, of course without offending anyone who thinks differently from my point of view, but also by looking into this matter in a different perspective and without being condemning of one's view's and by trying to make it objectified, and by considering each and every one's valid opinion, I honestly believe that I completely forgot what I was going to say.«