Für die aktuelle Ausgabe der Tagespost habe ich einen Beitrag verfasst, der sich - angeregt durch die heiß diskutierte Gala des New Yorker Metropolitan Museum of Arts zur Eröffnung der Ausstellung "Heavenly Bodies" - mit postmodern-popkulturellen "Aneignungen" und Re-Interpretationen traditionell christlicher Ikonographie und Symbolik befasst und in dem ich darzulegen versuche, welche Tücken die Vieldeutigkeit solcher Anverwandlungen für das Ansinnen einer "kulturellen Evangelisation" mit sich bringt. Beim Konzipieren dieses Artikels ging es mir so, wie es mir oft auch in diesem Blog ergangen ist: Ich hatte mit der Versuchung zu kämpfen, das Thema aus zu vielen verschiedenen Perspektiven beleuchten zu wollen und den Text daher mit zu vielen unterschiedlichen Aspekten zu überladen. Aber ich musste mich ja an eine Formatvorgabe halten, was mich schließlich dazu veranlasste, den in meinen Konzeptnotizen vorgesehenen Unterpunkt "'Adabei'-Strategie kirchlicher PR" auf einen einzigen Nebensatz bzw. eine Parenthese zu komprimieren und einen weiteren Aspekt des Themas ganz auszuklammern - mit dem Hintergedanken "Das kann ich immer noch auf meinem Blog verbraten". Und dabei handelte es sich um die bayerische Kreuzdebatte.
Zur Einordnung sei gesagt, dass ich persönlich den Beschluss der bayerischen Staatsregierung vom 24. April 2018, dass ab dem 1. Juni in jedem Dienstgebäude des Freistaats ein Kreuz anzubringen sei, von Anfang an mit einer gewissen Skepsis betrachtet habe. Diese Skepsis richtete sich, wie meine Leser sich sicherlich denken können, nicht gegen das Kreuz als solches, wohl aber gegen die Erklärung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, das Kreuz sei "nicht ein Zeichen einer Religion", sondern versinnbildliche vielmehr "unsere bayerische Identität und Lebensart". Was bemerkenswerterweise weder Krawallatheisten noch bayerisch-patriotische Erzchristen davon abhielt, in dem Kreuzerlass ein Anzeichen dafür erkennen zu wollen, dass Bayern auf dem Weg zu einem integralistisch katholischen Gottesstaat sei. (Söder ist übrigens Protestant, aber das nur am Rande).
Nun habe ich inzwischen einige Stellungnahmen gelesen, die argumentieren, eine verstärkte Präsenz von Kreuzen im öffentlichen Raum sei aus christlicher Sicht auf jeden Fall zu begrüßen, auch wenn die politische Motivation für diesen Beschluss kritikwürdig sein mag; exemplarisch sei auf diesen Beitrag von Johannes Hartl verwiesen. Ganz und gar ist es diesen Wortmeldungen indes nicht gelungen, meine Vorbehalte zu zerstreuen; Vorbehalte, die man wohl am kürzesten mit dem Verweis auf die Mahnung des Psalmisten zusammenfassen könnte, nicht "auf Fürsten zu bauen", und am zweitkürzesten mit einem Verweis auf Anna Dioufs differenzierte Stellungnahme in der Kolumne "MeinungsMacher" in der Online-Ausgabe der Tagespost.
Damit, so könnte man meinen, sei zu diesem Thema eigentlich alles gesagt; aber im Zuge meiner Auseinandersetzung mit der skandalumwitterten "Met-Gala" dämmerte mir, dass man die bayerische Kreuzdebatte zu einem gewissem Grad als eine tragikomische Fußnote zum selben Thema betrachten kann -- also dazu, was dabei herauskommt, wenn die Kirche ihre Deutungshoheit über christliche Symbole leichtfertig aufgibt, indem sie es versäumt, diese Deutungshoheit mit selbstbewusster Selbstverständlichkeit für sich zu beanspruchen. Wenn selbst ein
praktizierender Katholik wie der baden-württembergische
Ministerpräsident Winfried Kretschmann sich angesichts eines
Pressefotos, das seinen bayerischen Amtskollegen Söder mit
einem Kreuz in der Hand zeigt, nach eigener Aussage eher an einenVampirfilm erinnert fühlt als an ein christliches
Glaubensbekenntnis, dann gibt das schon zu denken.
Kreuze im öffentlichen Raum: Immer gut, wenn man eins oder zwei dabei hat. (Bildquelle: Wikimedia Commons) |
Dass Söders Kreuzerlass auch und gerade bei den Kirchen auf ein sehr geteiltes Echo gestoßen ist, lässt sich wohl zumindest zum Teil darauf zurückführen, dass unter den Kirchenvertretern unterschiedliche Auffassungen darüber herrschen, ob diese Maßnahme geeignet ist, die christliche Deutung des Kreuzsymbols zu affirmieren, oder ob sie eher eine eigenständige Deutungshoheit über das Kreuz impliziert, die zu derjenigen der Kirche in Konkurrenz steht. Bei genauerem Hinsehen ist es womöglich sogar noch komplizierter: Manche Kirchenvertreter meinen vielleicht, sie müssten den Kreuzerlass - obwohl sie eigentlich nicht recht glücklich darüber sind - öffentlich loben, um gerade dadurch den christlichen Gehalt des Kreuzsymbols in der Öffentlichkeit präsent zu halten und so die kirchliche Deutungshoheit über das Kreuz zu verteidigen oder zurückzugewinnen. Und andere meinen womöglich, sie müssten den Kreuzerlass kritisieren, um zu verhindern, dass infolge der dadurch entstehenden assoziativen Verknüpfung des Kreuzes mit der bayerischen Staatsregierung die Kirche quasi für die Politik der CSU in Mithaftung genommen wird, einschließlich Polizeiaufgabengesetz und Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz. Und es kann sogar sein, dass alle diese widerstreitenden Sichtweisen teilweise richtig sind. Verflixte Postmoderne.
Im Übrigen - und auch das ist ein Gedanke, auf den mich die "Met-Gala" gebracht hat - scheint es mir durchaus reizvoll, sich vorzustellen, wie anders die Reaktionen auf den Kreuzerlass wohl ausgefallen wären, wenn die bayerische Staatsregierung damit die Ausschreibung eines Wettbewerbs für zeitgenössische Künstler verbunden hätte. Mit dem Auftrag, für die anstehende Ausstattung sämtlicher Landesbehörden mit Kreuzen „kreative Neuinterpretationen“ des Kreuzsymbols zu ersinnen.
Womit ich nicht sagen will, dass ich das für eine gute Idee gehalten haben würde.
Im Übrigen - und auch das ist ein Gedanke, auf den mich die "Met-Gala" gebracht hat - scheint es mir durchaus reizvoll, sich vorzustellen, wie anders die Reaktionen auf den Kreuzerlass wohl ausgefallen wären, wenn die bayerische Staatsregierung damit die Ausschreibung eines Wettbewerbs für zeitgenössische Künstler verbunden hätte. Mit dem Auftrag, für die anstehende Ausstattung sämtlicher Landesbehörden mit Kreuzen „kreative Neuinterpretationen“ des Kreuzsymbols zu ersinnen.
Womit ich nicht sagen will, dass ich das für eine gute Idee gehalten haben würde.
Dass das Kreuz "nicht ein Zeichen einer Religion", sondern Sinnbild für "unsere bayerische Identität und Lebensart" vorgeschrieben werden soll, ist allein dem Versuch geschuldet, verfassungsrechtlichen Hindernissen - Stichwort "negative Glaubensfreiheit" - aus dem Weg zu gehen.
AntwortenLöschenFalls mit den
AntwortenLöschen>>bayerisch-patriotische[n] Erzchristen davon abhielt, [die] in dem Kreuzerlass ein Anzeichen dafür erkennen [...] wollen, dass Bayern auf dem Weg zu einem integralistisch katholischen Gottesstaat sei
ich gemeint bin, würde ich mal anmerken wollen, daß ich das etwas anders gemeint habe.
Nö, Du warst nicht gemeint. Schon deshalb nicht, weil ich mich nicht erinnern kann, was Du zu dem Thema gesagt hast ;)
Löschen"Besser, sich zu bergen beim HERRN, als zu vertrauen auf Fürsten."
AntwortenLöschenWenn die Fürsten im eigenen Haus ein Kreuz aufhängen, dann dürfte dieses Argument etwas entkräftet sein. Zumindest was die Vertrauenswürdigkeit des Fürsten angeht. Aber mit dem Aufhängen ist es natürlich nicht getan.