Na, kommt die Blogoezese so allmählich wieder aus der Sommerpause raus? Subjektiv kommt's mir so vor, auch wenn da sicherlich noch Luft nach oben ist; festhalten kann man auf jeden Fall, dass in dieser Ausgabe der Blogoezese-Rundschau mehr Artikel von mehr verschiedenen Blogs besprochen werden als in der vorigen. Einen verbindenden Roten Faden gibt es dabei eher nicht, aber muss ja auch nicht unbedingt sein.
Zunächst muss ich noch etwas zum vorigen Donnerstag nachtragen, denn da war der Gedenktag des Hl. Augustinus, und es ist wohl kaum überraschend, dass die katholische Bloggerszene dieses Datum ausgiebig würdigte. Von den diversen Artikeln zu diesem Anlass finde ich einmal mehr den von Pro Spe Salutis besonders empfehlenswert: Hier soll der Beitrag "Lieblingszitate – ein Wort von Augustinus" den Auftakt zu "eine[r] neue[n] Rubrik" bilden; im Mittelpunkt der Betrachtung steht indes "kein unmittelbares Zitat, sondern eine daraus abgeleitete Faustformel", nämlich die Aussage "Das Neue Testament liegt im Alten verborgen, das Alte wird im Neuen offenbar".
Nun aber zur neuen Woche!
Freitag, 29. August (Enthauptung Johannes des Täufers)
Unter der Überschrift "Der geflügelte Prophet" erscheint bei sacerdos viennensis eine Betrachtung über den bemerkenswerten Umstand, dass "[i]n bestimmten byzantinischen Ikonen, insbesondere ab dem 14. Jahrhundert, [...] Johannes der Täufer mit Flügeln dargestellt" wird; diese Darstellung sei "symbolisch gemeint" und basiere auf seinem Titel "Engel der Wüste" oder "Engel in Menschengestalt". So interessant das alles ist, gibt es doch zu denken, dass dieser Blogartikel – wie ich erst auf den zweiten Blick registrierte – mit Hilfe von ChatGPT erstellt wurde.
Die Christenheit bringt einen Artikel mit der Überschrift "Einfaches Leben befreit"; man mag den Eindruck haben, das sei ein Dauerthema dieses Blogs, aber es ist nun mal auch ein Thema, das mir sympathisch ist und mit dem ich etwas anfangen kann. Und speziell dieser Artikel überzeugt mich auch dank seiner Kürze und Prägnanz.
Erheblich schwerer fällt es mir, mit dem Blog zeitschnur – linea temporis "etwas anzufangen". Als ich vor sechs Wochen erstmals einen Artikel dieses Blogs zu Gesicht bekam, glaubte ich diesen "irgendwo im Graubereich zwischen den 'Elbenblogs' und den 'Stream of Unconsciousness'-Blogs" verorten zu müssen: "ein bisschen naturreligiös-pantheistisch-esoterisch, ein bisschen kulturpessimistisch, ein bisschen deutschnational, ein bisschen öko". Im neuen Beitrag "Satanismus, Christianismus und Gewalt – das Rad des Todes" ist von den "elbenmäßigen" Aspekten nicht viel zu bemerken, dafür fließt der "Stream of Unconsciousness" umso breiter. Einleitend verweist die Verfasserin auf einen Artikel auf dem Blog geopolitika.ru, der sie "tief bestürzt" habe; nun gut, der Artikel mit der in Großbuchstaben gehaltenen und reichlich mit Ausrufezeichen geschmückten Überschrift "IM WESTEN NICHTS NEUES! SATANISMUS UND DÄMONOKRATIE AUF DEM VORMARSCH!" (verlinken möchte ich ihn hier nicht) sieht tatsächlich schon auf den ersten Blick recht gruselig aus, sodass man sich fragen möchte: Warum liest sie auch sowas?
– Nun, sie meint, dieser Text mache "deutlich [...], wie tief Satanismus und (traditionalistisch-katholischer) Christianismus sich in einem furchtbaren Abgrund treffen". Und um diese These zu untermauern, holt sie seeehr weit aus, nimmt Bezug auf Voltaire, Heidegger, Lord Acton, Ernst Jünger, Oswald Spengler Sie greift auf Altgriechisch-Lexika zurück, um das "semantische Feld des Begriffs 'daimon'" zu klären, und kritisiert, "dass Christen dem abergläubischen Satans- und Dämonenglauben nachtrauern und davon den wahren Glauben abhängig machen". Die "Lehre von den gefallenen Engeln" erklärt sie für "außerbiblisch und auch letztendlich außerkanonisch. Sie wurde erst im Mittelalter massiv in die christliche Welt eingeführt, insbesondere - leider - von Thomas von Aquin."
Alles in allem ist dieser Artikel von etwas geprägt, was ich als "abstruse Gelehrsamkeit" bezeichnen möchte; das ist keine Wortprägung von mir, sondern ich habe sie irgendwo mal mit Bezug auf Casper von Lohensteins Arminius-Roman gelesen und mir gedacht: Das gefällt mir, das merke ich mir. Bei der zeitschnur-Autorin weiß man bei gut der Hälfte des Texts nicht, wovon sie gerade redet, oder man fragt sich, wie sie jetzt gerade darauf kommt. Schade ist das insofern, als sich hinter diesem wirren Wortschwall allem Anschein nach ein enormes Wissen verbirgt; immer wieder hat man den Eindruck, wenn die Autorin mal vernünftig erklären könnte, was sie eigentlich meint, dann wäre das womöglich ziemlich interessant. Nehmen wir nur mal so Sätze wie "Bei Dugin wissen wir, dass er einst Anhänger Aleister Crowleys war. Crowley wiederum stammt aus einem darbyistischen Hintergrund." Was da in zwei Sätzen so nebenbei hingeworfen wird, wäre eigentlich mehr als genug Stoff für einen eigenständigen Artikel. Den sollte dann aber möglichst jemand anderes schreiben.
Denn, sagen wir's mal ganz offen: Ich habe ernsthafte Zweifel an der geistigen Gesundheit der Verfasserin. Nicht nur, weil in ihrem Text so vieles durcheinandergeht. Auch nicht nur, weil sie immer mal wieder aus heiterem Himmel in Beschimpfungen ausbricht (so schreibt sie vom "irrsinnigen Vaticanum I", vom "Geschwätz Franziskus'" – damit meint sie den verstorbenen Papst, nicht etwa den Heiligen vom Assisi –, von "dummen Herdenmenschen" und dergleichen mehr). Nein, die eigentliche Schlüsselstelle des Artikels ist für mich die, an der sie ein Gespräch mit einer Nachbarin – "eine einfache Frau übrigens, keine Studierte" – schildert:
"[M]an redete so dies und das, über die giftverspritzten Himmel, eine Zikadenplage, die in manchen Dörfern plötzlich und unerwartet vom Himmel gefallen, nicht zu bekämpfen und angeblich natürlicherweise gekommen sei ... die Bauern aber sagten hinter vorgehaltener Hand: Diese Zikade ist hier nicht heimisch, man verseucht uns die Äcker, weil sie unsere Ernten vernichten wollen. [...] Dann fuhr die Nachbarin fort: Sie frage sich, warum die Herrschenden überhaupt noch Menschen übriggelassen hätten all die Jahrhunderte, wahrscheinlich nur, um ihre Felder bestellen zu lassen und sich den Hintern wischen zu lassen von Sklaven."
Die Bloggerin lobt daraufhin den "Realismus der Nachbarin" und bekräftigt:
"Schon immer haben sie den Untertanen nach dem Leben getrachtet, sobald man sie sie nicht mehr nutzen konnte. Und Herrschaft hat nur einen Zweck: Herrschaft zu sichern und die restlichen Menschen klein zu machen bzw zu vernichten, wenn sie einem zuviel werden oder ihre Nutzhaltung sich nicht mehr lohnt."
That's when I knew she's losing it, wie der Angloamerikaner sagt. – Bei Feinschwarz schreibt derweil Dr. des. Doris Günther-Kriegel unter der Überschrift "Eine Frau – viele Geschichten" über die Heilung der Schwiegermutter des Petrus. Hand aufs Herz, Leser: Ist eine feministische Lesart dieser biblischen Erzählung nicht etwas, worauf wir alle schon allzu lange gewartet haben? Nein? Na dann nicht. Schauen wir aber ruhig trotzdem mal rein. – Zunächst mal verdanke ich diesem Artikel eine Erweiterung meines Wortschatzes, nämlich um den Begriff "Mental Load". Damit wird die Belastung beschrieben, die man empfindet, wenn man tagein, tagaus mit "ganz alltäglichen Aufgaben" befasst ist, die "bedacht und organisiert werden" müssen jedoch "von denen, die sie nicht erledigen, übersehen" werden (weshalb derjenige, der sie erledigt, für diese Leistung keine Wertschätzung erfährt). Ich bin durchaus dankbar für diese Vokabel, denn bei uns zu Hause habe durchaus ich einen beträchtlichen Teil dieser "Mental Load" zu tragen. Man könnte behaupten, damit sei das feministische Narrativ, das die Mental Load unter dem Aspekt der Geschlechterungerechtigkeit, der "ungleiche[n] Verteilung von Aufgaben zwischen Frauen und Männern" betrachten möchte ("Frauen stehen im Dienst des Zusammenlebens und der Familienarbeit – jeden Tag aufs Neue"), bereits widerlegt, aber vielleicht ist meine Familie ja wirklich eine so seltene Ausnahme. – Was hat das Ganze nun mit der Schwiegermutter des Petrus zu tun? Man ahnt es schon fast: Auch da wittert die Verfasserin "eine Geschichte über die Ungerechtigkeit zwischen Frauen und Männern":
"Gerade noch lag sie lebensbedrohlich erkrankt am Boden. Kaum geheilt, steht sie auf und stellt sich in den Dienst einer Gruppe von Männern [...]. Ich stelle mir das so vor: Noch benommen von der Krankheit, hebt die Frau ihre schweren Augenlieder. Mit Mühe richtet sie ihren Oberkörper von ihrem Krankenbett auf. Langsam stellt sie sich auf ihre schwachen Beine. Da hört sie fremde Männerstimmen, die munter miteinander sprechen. Sie weiß, was von ihr als Frau erwartet wird – einer Frau, die Gäste im Haus hat."
Danke, reicht. – Den Jugendleiter-Blog hatte ich seit meiner Ankündigung in der ersten Folge der Blogoezese-Rundschau, ich könnte mir "vorstellen, den in Zukunft aufmerksamer zu verfolgen", bisher überhaupt nicht mehr erwähnt, aus dem einfachen Grund, dass er mir einfach zu doof ist. Der Beitrag vom vergangenen Freitag ist hingegen so doof, dass ich ihn nicht unkommentiert lassen möchte: "Bastelbogen für Kinder: Mahatma Gandhi" ist er überschrieben; den Bastelbogen gibt's als Download, und im Begleittext heißt es u.a.:
"Erschaffe deine ganz eigene Version des friedlichen Revolutionärs und lass seinen Geist der Gewaltlosigkeit und Gerechtigkeit in deinem Zuhause aufleben. Mit nur wenigen Handgriffen bringst du die charakteristische Erscheinung und die unerschütterliche Stärke Gandhis zum Ausdruck."
Äh. Na toll. Nun, nichts gegen Gandhi, wirklich nicht; aber die Frage "Was soll der Scheiß?" drängt sich trotzdem auf. Zumal die Figur, die man aus der angehängten Bastelvorlage kreieren soll, mit minimalen Änderungen der Gestaltung (insbesondere des Gesichts; ich sag nur: runde Brille und weißer Schnurrbart) auch jemand ganz anderen darstellen könnte, womöglich sogar Jesus. So drängt sich der Eindruck auf, Gandhi biete sich gerade deshalb als positive Identifikationsfigur an, weil er eben nicht christlich konnotiert (und daher "unverfänglich") ist.
Samstag, 30. August
Beim Emmauspilger begegnet mir unter der Überschrift "Vom 'finsteren' Mittelalter lernen" ein Artikel, der an Umfang und Tiefe deutlich über das hinausgeht, was ich auf diesem Blog bisher gelesen hatte. Ausgangspunkt dieses Artikels ist die Feststellung, "dass die Aufklärungsbewegung im 17. und 18. Jahrhundert eine der großen abendländischen Geschichtsfälschungen in die Wege leitete", indem sie "das Mittelalter zu einer Epoche der Finsternis [...], zu einem Negativzeitalter der Unaufgeklärtheit" stilisierte. Diesem in der öffentlichen Meinung bis heute fortwirkenden Geschichts(zerr)bild setzt der Verfasser eine Reihe von Einblicken in die Gedankenwelt der christlichen Philosophie und Mystik des Mittelalters entgegen. Sehr lesenswert!
Sonntag, 31. August (22. Sonntag im Jahreskreis)
Bei katholon geht's erneut – oder, wenn man sich die vorangegangenen Beiträge ansieht, wohl eher immer noch – um Politik: "Deutscher Patriotismus? Darf man das?" lautet die Überschrift, und ich will von vornherein gestehen, dass ich einen so oder ähnlich betitelten Artikel vermutlich gar nicht erst gelesen hätte, wenn er nicht von dem von mir sehr geschätzten Peter Winnemöller verfasst wäre. Somit erscheint es mir irgendwie folgerichtig, dass ich mit den Aussagen dieses Artikels, ganz ähnlich wie beim vorigen Beitrag auf diesem Blog, bis zu einem gewissen Punkt mitgehen kann und dann nicht mehr. Ich glaube, wer mich beim Lesen des Artikels beobachtet hätte, hätte mir geradezu am Gesicht ablesen können, wie ich denke: "Ja... ja... jaaa... äh – nee."
Aber mal der Reihe nach: Der unmittelbare Anlass für den Artikel ist die Anregung des Linken-Politikers und ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, man solle doch mal über eine neue Flagge und Hymne für Deutschland nachdenken. Das hätte ich persönlich ja in die Kategorie "abgehalfterter Ex-Politiker haut einen Aufreger raus, weil er mal wieder seinen Namen in den Nachrichten lesen will" eingeordnet und für nicht weiter kommrntarwürdig gehalten, und das sieht Peter Winnemöller wohl auch nicht grundsätzlich anders; aber er nutzt dennoch die Vorlage, um der Geschichte des schwarz-rot-goldenen Flaggentuchs, des "Liedes der Deutschen" und letztlich der deutschen Nationalbewegung überhaupt nachzuspüren. Am Ende dieser (in manchen Details fehlerhaften, als Überblicksdarstellung aber brauchbaren) historischen Rückschau steht die Diagnose "eines in der Wurzel kranken deutschen Nationalismus".
Umso mehr reibt man sich die Augen, wenn direkt im nächsten Absatz ein "gesundes deutsches Nationalbewusstsein" geradezu eingefordert wird. Man sollte meinen, das sei ein dickes, fettes "non sequitur"; aber ich gebe zu, ich habe im Zusammenhang mit dem "in der Wurzel kranken deutschen Nationalismus" einen Relativsatz unterschlagen, der behauptet, dieser sei "ein leibliches Kind des fehlenden gesunden deutschen Nationalbewusstseins".
Dieses schiefe Bild – wie könnte etwas Fehlendes, also etwas Nicht-Existentes, ein "leibliches Kind" haben? – erscheint mir recht verräterisch. Es ist ein sonderbar unhinterfragter Glaubenssatz der Bürgerlich-Konservativen, dass ein Nationalbewusstsein etwas sei, das man nun mal haben müsse, und wenn man kein gesundes habe, dann bekomme man eben ein krankes. Wo man das gesunde Nationalbewusstsein denn herbekommen soll, wenn man bisher nur ein krankes hatte, ist nochmal eine andere Frage. Vielleicht vom Fußball? Haben wir ein paarmal versucht, hat nur so mittelgut funktioniert.
Ich habe mich – nicht zuletzt im Zusammenhang mit meiner Dissertation – nun wirklich ausgiebig mit der Ideologiegeschichte des Nationalismus befasst und gehöre wahrlich nicht zu denen, die auf jede Verwendung der Vokabeln "Nation" oder "national" allergisch reagieren; ich würde sagen, es ist kaum zu leugnen, dass die Idee der Nation historisch gesehen ihre Verdienste und Errungenschaften hat. Aber entscheidend ist eben, dass man sie in einer historischen Perspektive sehen muss. Die Idee der Nation ist zu einer bestimmten Zeit unter bestimmten Voraussetzungen entstanden und hat unter diesen Voraussetzungen ihren Sinn und Wert gehabt; aber wenn diese Voraussetzungen nicht (mehr) gegeben sind, hat es keinen Sinn und Wert, auf Biegen und Brechen daran festzuhalten. Das sollte gerade in Deutschland, wo diese Voraussetzungen, wie Peter Winnemöller ja selbst zutreffend beschreibt, nie so richtig gegeben waren, nicht so schwer einzusehen sein. Wenn es mir ausnahmsweise mal gestattet ist, Schiller zu zitieren:
"Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens;Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus."
Montag, 1. September
Auf Feinschwarz versucht der Jesuit und Judaistik-Professor Christian M. Rutishauser SJ unter der Überschrift "Heiligsprechung mit antijudaistischem Fussabdruck?" ein Haar in der Suppe der causa Carlo Acutis zu finden. Im Prinzip ist das ein eher mittelalter Hut: Schon vor annähernd einem Vierteljahr hatte der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein (nicht mit dem Verfasser verwandt), kritisiert, unter den von Carlo Acutis dokumentierten eucharistischen Wundern seien einige, die "[i]m historischen Kontext" mit "Ritualmordvorwürfe[n] gegen Juden" verbunden seien und so auch "zur Ermordung von Juden geführt" hätten; dass dieser Umstand im Zusammenhang mit Carlo Acutis' Heiligsprechungsprozess offenbar nicht problematisiert worden sei, erwecke den Eindruck, dass es innerhalb der Kirche "wieder vermehrt blinde Flecken im Verhältnis zur eigenen antijüdischen Geschichte" gebe. Darauf folgten einige Stellungnahmen von Theologen, die diese Kritik als "überzogen" einordneten und klarstellten, es handle sich "nicht um die Heiligsprechung von mittelalterlichen Wundern, sondern um "die Heiligsprechung eines fünfzehnjährigen Jungen, der das gesammelt hat". Dann sind anscheinend erst mal alle in den Urlaub gefahren, aber jetzt ist das Thema wieder da. Unter anderem auch in der taz. – Und wie positioniert sich in dieser Debatte nun Pater Rutishauser auf Feinschwarz? Einerseits räumt er ein: "Wenn Kritiker schreiben, der Antijudaismus würde in der Frömmigkeit von Carlo Acutis Urständ feiern, ist dies übertrieben." Gleichwohl warnt er, dass "latenter Antijudaismus wieder aktiviert" werden könnte. Im Ganzen erweckt der Text jedoch den Eindruck, dass Pater Rutishauser, auch wenn Judaistik sein akademisches Fachgebiet ist, eigentlich ein ganz anderes Problem mit der eucharistischen Frömmigkeit des Carlo Acutis hat: Darin zeige sich ein "wortwörtliches und naturalistisches Verständnis" der Realpräsenz Christi in der Eucharistie, mit dem die Kirche nicht "[u]nkritisch und unreflektiert" umgehen dürfe, wenn sie nicht riskieren wolle, dass "die Messe [...] wieder auf einen Hokuspokus verkürzt" wird:
"Die Eucharistie ist eine vielschichtige Dankesfeier für die Selbsthingabe Jesu, die christlich-kollektive Identität stiftet, indem alle Feiernden zu einem Leib Christi zusammenwachsen sollen. Sie ist heiliges Mahl und unblutiges Opfer zugleich, eingebettet in Wortliturgie mit Predigt und Gebet, damit eine Lerngemeinschaft entsteht."
Nun ja, gewiss. Aber spüre ich da eine gewisse intellektuelle Überheblichkeit gegenüber denjenigen Gläubigen heraus, die bei diesen Sätzen nur Bahnhof verstehen, aber durch Berichte über eucharistische Wunder in dem Glauben bestärkt werden, dass die eucharistischen Gaben wahrhaft Leib und Blut Christi sind?
Sodann noch einmal zum Jugendleiter-Blog: "Projekt Samen-Bibliothek: Gemeinsam für eine grüne Zukunft" heißt ein Beitrag, der zeigen will, wie "Kinder und Jugendliche andere dafür begeistern" können, "selbst Gemüse, Kräuter und Blumen anzubauen". Was ja grundsätzlich gewiss keine schlechte Idee ist: "Gärtnern macht nicht nur Spaß, sondern ist auch gut für Mensch und Umwelt." Da stimme ich zu. Der wichtigtuerische und pathetisch-moralisierende Tonfall des Jugendleiter-Blogs nervt trotzdem. Davon abgesehen kann man nur froh sein, dass das Projekt "Samen-Bibliothek" heißt und nicht etwa "Samenbank": "Denn wer Samen spendet, gibt etwas Wertvolles weiter und inspiriert andere zum Mitmachen." Steht da wirklich.
Dienstag, 2. September
"Die Ideologie frisst unsere Kinder" heißt ein Beitrag auf TheoBlog, der einmal mehr praktisch zur Gänze aus einem Zitat aus einem Artikel der "Welt" besteht, aber allemal zu denken gibt. Der zitierte Artikel, oder jedenfalls der Auszug, den man hier zu sehen bekommt, betrachtet die ideologische Instrumentalisierung von Kindern insbesondere unter dem Aspekt des virtue signallings seitens der Eltern: Kinder würden zu "Plattformen für die moralische Identitätsarbeit der Eltern" gemacht, heißt es da. "Der Aufkleber auf der Brotdose verrät alles und ersetzt gleichzeitig das Gespräch. Die Botschaft ist eindeutig: Sag das Richtige, sei das Richtige, fühl das Richtige. Denn alle sollen wissen, wo wir stehen."
Der Beitrag hat mir allerlei zu denken gegeben, und zwar durchaus auch auf andere Art, als ich zunächst selbst gedacht hätte; wie heißt es so schön: Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. Denn so verlockend es ist, Eltern dafür zu schelten, dass sie ihr Kind "mit veganem Schulbrot und T-Shirt mit der Aufschrift 'There is no planet B'" in die Schule zu schicken, und ihnen zu attestieren, sie setzten ihre Kinder unter "ethischen Leistungsdruck", so muss man doch auch anerkennen, dass Wertevermittlung ein wesentlicher Bestandteil von Erziehung ist: Dass Eltern bemüht sind, ihre eigenen Wertvorstellungen und Überzeugungen, ja ihre Weltanschauung an ihre Kinder weiterzugeben, ist nicht nur normal und zu einem gewissen Grad wohl auch unvermeidlich, sondern es gehört geradezu zu ihrer Aufgabe als Eltern. Auf welche Weise, mit welchen Mitteln das geschieht, ist natürlich ein Thema für sich, aber wenn schon der Aufkleber auf der Brotdose unzulässige Manipulation sein soll, wird's schwierig.
Schon als ich selbst noch keine Kinder hatte, habe ich so einige Diskussionen darüber erlebt, ob religiöse Eltern ihre Kinder nicht in unzulässiger Weise "religiös indoktrinieren", indem sie sie in den Gottesdienst mitnehmen, mit ihnen beten und ihnen Bibelgeschichten erzählen. Heute könnte man meiner Frau und mir vorwerfen, wir würden diese religiöse Indoktrination sogar auf die Freunde unserer Kinder ausweiten, indem wir sie etwa mittwochs nach der Schule zum JAM mitnehmen (oder meinetwegen auch, weil wir zu Hause auch dann vor dem Essen beten, wenn Besuch da ist). Wenn die "Welt"-Autorin Mirna Funk schreibt "[D]as Muster bleibt. Nur die Inhalte wechseln", dann müsste dieses Diktum auch dafür gelten.
Nun kann man gern und ausgiebig darüber diskutieren, dass und warum in bestimmten Milieus offen religiöse Äußerungen verpönt sind, während in eben denselben Milieus ideologische Standpunkte zu Klima, Gender, LGBTQ etc. selbst eine quasi-religiöse Funktion erfüllen. Man muss sich dabei allerdings bewusst sein, dass Kritik an diesem Sachverhalt genauso auch in entgegengesetzter Richtung funktioniert. Und: Ich bin in der Tat auch der Meinung, dass einem Kind, das sich mit vier Jahren für "non-binär" erklärt und "'they/them' genannt werden will", von seinen Eltern und/oder anderen Bezugspersonen etwas Schlimmes angetan wurde. Aber gerade dieses Beispiel zeigt, dass es Unsinn wäre, so zu tun, als ginge es bei der Kritik an der ideologischen Indoktrination von Kindern nicht auch um die Inhalte dieser Indoktrination. Da muss man dann schon den Mut haben, zu sagen, dass und warum man diese oder jene weltanschauliche Position falsch findet, anstatt sich hinter einer vermeintlichen weltanschaulichen Neutralität zu verschanzen und das Richtige mit dem Falschen in einen Topf zu werfen.
Als der vielleicht interessanteste der mir schon "von früher her" bekannten, nach längerer Inaktivität unlängst "wiederbelebten" katholischen Blogs erweist sich einmal mehr Pro Spe Salutis mit dem Beitrag "Relectures | Hans Urs von Balthasar: 'Schleifung der Bastionen' (01)". Das in der Überschrift angesprochene Buch war vor ein paar Wochen schon einmal auf diesem Blog erwähnt worden; an diesem früheren Blogartikel hatte ich gelobt, "dass der Blogger, bekanntermaßen ein Freund der Tradition und des Alten Ritus, weit davon entfernt ist, in die "Früher war alles besser'-Falle zu tappen", und das bestätigt sich auch jetzt wieder. Balthasars "Schleifung der Bastionen" erschien 1952, und der Blogger macht deutlich, wie aufschlussreich die Lektüre gerade aus der historischen Distanz heraus wirkt: Man begreift, wie sehr das von Balthasar kritisch beurteilte "Zeitalter der Restauration" – das der Blogger beschreibt als "eine Zeit, als die Kirche gefühlt auf alles eine letztgültige Antwort parat und für jeden Fall eine passende Erklärung in der Schublade hatte, stets aus einer merklichen Distanz zur Welt gesprochen und untermauert von einer standardisierten Theologie" – im Grunde schon damals auf tönernen Füßen stand, und man wird angeregt, sich zu fragen, "warum der unter Pius doch so festgegründete Kirchenbau innerhalb weniger Jahre auf diversen Feldern (Theologie, Liturgie, Frömmigkeit, Disziplin etc.) im Chaos versinken konnte" – und zwar "nicht gedeckt durch das Konzil zuvor, aber in einem revolutionären Pochen auf dessen 'Geist'."
Abschließend verspricht der Autor noch weitere "Relectures" zu diesem Buch. Man darf gespannt sein!
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