Salvete, liebwerte Freunde der antiklerikalen Schund- und Schauerliteratur der Kulturkampfzeit! Ich fürchte, es droht allmählich redundant zu werden, wenn ich die Fortsetzung dieser Artikelserie schon wieder mit Entschuldigungen dafür beginne, dass seit der letzten Episode so viel Zeit ins Land gegangen ist; daher will ich mich damit lieber nicht länger als nötig aufhalten, sondern lieber direkt in die Materie einsteigen. In der Besprechung des Romans "Barbara Ubryk oder Die Geheimnisse des Karmeliter-Klosters in Krakau" waren wir zuletzt bis zu Kapitel LX gekommen; während die Protagonistin Jovita von den Engeln (alias Barbara Ubryk) mit einer schweren Kopfverletzung darniederlag, ist es dem schurkischen Pater Gratian und der Priorin Zitta mittels fingierter Briefe gelungen, ihrem Orden das üppige Erbe Barbaras zu sichern und überdies dafür zu sorgen, dass ihre Verwandten sich nicht weiter um sie kümmern; als kleinen Lichtblick hat Jovita einen neuen Beichtvater zugewiesen bekommen, der es, sehr im Unterschied zu dem schurkischen Gratian, gut mit ihr meint. Währenddessen haben wir in dem im Interesse der Kontrastwirkung zum Vergleich herangezogenen "anderen Roman", Sir John Retcliffes "Biarritz", den Freischärler-Offizier Chevigné in der Klause eines geheimnisvollen Eremiten zurückgelassen, der im von schaurigen Gerüchten umrankten "Kloster der Verdammten" das Amt des Beichtvaters versieht. Nachdem der Einsiedler plötzlich aus seiner Klause verschwunden zu sein scheint, entdeckt Chevigné einen Geheimgang, der offenbar zum Kloster führt – lässt sich durch diese Entdeckung jedoch nicht davon abhalten, sich erst einmal schlafen zu legen.
Wo machen wir also weiter – in Polen oder in den Abruzzen, mit Jovita von den Engeln oder Kapitän Chevigné? – Ich kann nicht leugnen, dass ich auf Letzteres, auf Retcliffes Kloster der Verdammten, erheblich mehr Lust habe, aber gerade im Interesse der Spannungssteigerung erscheint es ratsam, mit dem erzählerisch schwächeren Text anzufangen. Zumal es der ist, von dem die Fans dieser Artikelserie zweifellos in erster Linie erfahren wollen, wie er weitergeht.
Die Überschriften der beiden nächsten Kapitel scheinen jedenfalls vielversprechend: "Geister, Kobolde, Dämone, Teufel, Belzebuben, Satanas" ist das LXI. Kapitel betitelt, das LXII. "Die Teufelsbeschwörung". Das erstgenannte dieser beiden Kapitel beginnt damit, dass die gerade so einigermaßen genesene Jovita an der Tür ihrer Zelle einen mit Kreide gezeichneten Totenkopf entdeckt; ihr Beichtvater Pater Alfons, dem sie dies berichtet, erklärt ihr, es sei "klösterlicher Gebrauch, daß man Personen, die man aus irgend einem Grunde haßt, durch Zeichnung eines Todtenkopfes immerwährende Feindschaft ankündigt und sogar den Tod androht" (S. 904). Wenig später wird sie beinahe von einem herabfallenden Blumentopf erschlagen, der sie nur verfehlt, weil sie mit dem Ärmel an einem Wandkruzifix hängen geblieben ist. Hinter diesem Anschlag steckt Pater Gratians neue Geliebte Schwester Euphrosina, die eifersüchtig auf Jovita ist; Gratian selbst ersinnt derweil ein anderes Mittel, um Jovita endgültig loszuwerden: Als Jovita durch die emotionale Erschütterung angesichts der Erkenntnis, dass man ihr ernsthaft nach dem Leben trachtet, erneut aufs Krankenlager geworfen wird, rät Gratian der Priorin, Jovita ein Medikament zu verabreichen, dessen Wirkung angeblich erweisen soll, ob sie ernsthaft krank ist oder lediglich simuliert. In Wirklichkeit handelt es sich bei diesem sogenannten "Prokrustespulver" (S. 918) um "geriebene Wurzeln vom Schlafapfel, gemischt mit [...] Thymian" (ebd.); vom Schlafapfelpulver heißt es, es sei zwar "kein Gift", aber doch "schädlich in seinen Wirkungen; es zerrüttet das Gehirn des Menschen" (ebd.).
Nachdem Jovita dieses vermeintliche Medikament verabreicht bekommen hat, fällt sie zunächst in einen tagelangen Schlaf, aus dem sie "[n]ur auf kurze Zeit" erwacht, um "über schreckliche Kopfschmerzen und beängstigende Träume" zu klagen, "in denen sie von schwarzen Männern verfolgt würde, sich bald am Rande eines tiefen Abgrundes schwindelnd stehen, bald auf einem zerbrochenen Boote von den Wellen des Meeres im Kreise herumgewirbelt fühle" (S. 220). Als am vierten Tag jedoch Pater Gratian im Beisein der Priorin die Kranke in ihrer Zelle besucht, erwacht diese, richtet sich im Bett auf und bricht "in ein gellendes Gelächter aus" (S. 221); dann schreit sie Gratian an:
"Ha, Verfluchter! Wenn der Tod nicht bald kommt..... unvermeidlich verrathen!..... Ich werde... verflucht sein... excommunicirt... Geh fort, Verfluchter! Sprich mir nicht vom Himmel, nicht von der Jungfrau... Wenn die Madonna den Unglücklichen beisteht, warum kommt sie nicht zu Hilfe ... mir und dem armen Geschöpfe, das ich unter meinem Herzen fühle?" (ebd.).
Ihre boshafte Krankenpflegerin Schwester Cordula will Jovita daraufhin verprügeln, aber Gratian gebietet ihr Einhalt: "Sehen Sie nicht, daß die Unglückliche wahnsinnig ist?" (S. 222). Als Jovita jedoch in ihrem Monolog fortfährt – "Dieser Ort ist von Dämonen unsicher gemacht... da sind sie... ich sehe sie... einen nach dem andern... Holla ! Du da unten im Winkel... warum machst Du solche Grimmassen?... Und Du, in jenem dort... warum rüttelst Du an den Mauern und stößest an den Plafond mit Deinen Hörnern?... Ha, siehst Du ihn, wie er Dir zur Kutte hineinfährt?... Er hat Dich, flieh, flieh!" (ebd.) –, korrigiert er seine Einschätzung: Sie sei nicht wahnsinnig, sondern besessen.
Johann Heinrich Füssli: Der Nachtmahr (Fassung von 1781; gemeinfrei) |
An diese Diagnose schließt sich ein längerer, als Vortrag Pater Gratians vor den beunruhigten Nonnen präsentierter Exkurs über verschiedene Formen der Besessenheit an, der dem Verfasser einmal mehr Gelegenheit gibt, seitenweise aus anderen Werken zu zitieren. Dabei macht er, wie auch schon früher bei ähnlichen Exkursen, sogar Quellenangaben – so verweist er auf das 1668 erschienene "Alexiacon" des italienischen Exorzisten Candido Brognolo, das 1779 erschienene Werk "De daemonum existentia et operibus" des Dämonologen G.P. Verpoorten sowie das wohl um 1220 entstandene Buch "De confessione" des Zisterziensermönchs Caesarius von Heisterbach; was er dabei nicht verrät, ist, dass er diese Passagen mitsamt den dazugehörigen Quellenangaben nahezu wortwörtlich aus dem IV. Band der "Christlichen Mystik" von Joseph Görres abgeschrieben hat. Tatsächlich stellt dieses 1842, also keine 30 Jahre vor dem "Barbara Ubryk"-Roman, erschienene Buch – wie ich mit Hilfe von Google Books ermitteln konnte – die Hauptquelle für diesen Exkurs dar, der sich von S. 924-949 des Romans erstreckt; nur einige wenige Passagen hat der Romanautor anderen Quellen entnommen oder zum Teil womöglich auch selbst erfunden.
Kaum jedoch hat Pater Gratian seinen Vortrag beendet, da tritt Pater Alfons – Jovitas Beichtvater – auf und erbittet von der Priorin die Erlaubnis, "den lieben Schwestern auch einige freiere Ansichten vorlegen zu dürfen" (S. 951). Obgleich er beteuert, es handle sich "hier nicht um dogmatische Glaubenssätze" (ebd.), erweist Pater Alfons sich mit seiner engagierten Gegenrede als Modernist reinsten Wassers; und es ist recht bezeichnend, dass der Autor ihn gegenüber Gratian (der während seines Vortrags reichlich "Carmelitergeist" genossen hat und entsprechend erhitzt ist) als überlegenen Denker darzustellen versucht, ihm dabei aber allerlei logische Fehlschlüsse ("Gleiche Wirkungen haben gleiche Ursachen", S. 950) und Scheinargumente ("Ist nun der Zustand, in dem sich ein angeblich Besessener befindet, ein derartiger, daß man ihn zu den Geheimnissen rechnen muß, so ist damit gesagt, daß man sich denselben nicht erklären kann, denn Geheimniß bleibt immer Räthsel", S. 951) in den Mund legt – was darauf schließen lässt, dass der Autor selbst nicht zu unterscheiden vermag, was ein valides Argument ist und was nicht.
Mindestens dem heutigen Leser stößt zudem der Antijudaismus übel auf, den Pater Alfons an den Tag legt, indem er "die Ueberreste des Judenthums" in der christlichen Glaubenslehre tadelt: Während die Aussage, es sei "nicht zu läugnen, daß viele heidnische und jüdische Anschauungen ins Christenthum übergegangen sind" (S. 951f.), noch recht sachlich-neutral anmutet, wirft Pater Alfons kurz darauf die rhetorische Frage auf, ob "die heidnische Weltanschauung" etwa "eine gesündere" gewesen sei "als die der Juden, welche selbst ein goldenes Kalb anbeteten und Christus kreuzigten, weil er sich für den Sohn Gottes ausgab" (S. 952). Mehr noch: "Was die Heiden für unvernünftig hielten, glauben die Christen" (ebd.).
Weiterhin meint Pater Alfons: "Der Teufel ist eine Erfindung, so alt, wie die Menschen" (ebd.). Den Glauben an dämonische Besessenheit erklärt er rundheraus für "Unsinn und Hirngespinnst" und vergleicht ihn wiederholt mit dem Glauben an Hexerei, den die Kirche inzwischen selbst als Aberglauben erkannt habe: Auf Pater Gratians Einwurf, er habe in seinem Vortrag lediglich "die christliche Mystik [...] behandelt" (S. 950) – ein kaum verhüllter Hinweis auf den Titel des Buches von Görres, das die Hauptquelle für diesen Vortrag darstellt –, entgegnet Pater Alfons, "der Hexenglaube" gehöre "ebenso gut in die christliche Mystik wie die Besessenheit: (ebd.), und als Pater Gratian betont, die Kirche habe doch wohl nicht ohne Grund "ein eigenes Rituale von Exorcismen" (S. 954), erwidert sein Debattengegner ungerührt: "Die Kirche glaubt eben heute ebensofest an die Besessenheit durch Dämone, wie gestern an das Hexenwesen" (ebd.).
Pater Alfons' zentrales Argument lautet, der Glaube an Besessenheit sei durch den wissenschaftlichen Fortschritt überholt. "Warum gibt es heute keinen Besessenen mehr?", fragt er (S. 953) – eine etwas sonderbare Ausgangsfrage, wenn man bedenkt, dass der Anlass für die ganze Disputation doch ein aktueller Fall angeblicher Besessenheit ist. Aber wie dem auch sei: Pater Alfons verweist darauf, dass "die Aerzte die Krankheiten als einen Ausfluß der natürlichen Gebrechlichkeit behandeln und nicht als Ausfluß einer außernatürlichen Macht, als Ausfluß von Dämonen" (ebd.): "Die Mystik hört also auf, wenn das Räthsel gelöst ist. Und gelöst ist es von der freien Wissenschaft!" (ebd.) Die "Tobsüchtigen", deren Zustand man früher durch Besessenheit erklärt hätte, sperre man heute "in die Irrenhäuser und bannt ihre Dämone durch die Zwangsjacke" (S. 954). Der Ordensmann geht in seinem Lob des Fortschritts so weit, dass er "die große französische Revolution" rühmt, sie habe dafür gesorgt, dass "den Menschen keine Zeit mehr" bliebe, "Besessene zu spielen" (S. 953): "Gleichzeitig schwand das Zauber- und Hexenwesen, nachdem einige Jahre zuvor der Jesuitenorden aufgehoben worden war. Andere Dämone jagen heute durch unsere Länder – der Dampf und der elektrische Funke, und die sündige Welt fährt wahrlich besser dabei" (ebd.).
Letzten Endes, so argumentiert er, laufe vermeintliche Besessenheit "immer auf eine Krankheit hinaus, welche die 'gute alte Zeit' nicht terminiren noch heilen konnte, und darum alle Schuld auf den Teufel schob" (S. 954); als solche Krankheiten nennt er insbesondere "die Epilepsie, die Hysterie, die Hämorrhoiden" (S. 953): "Ja, wir hätten genug Besessene, wenn diese drei Krankheiten nicht anders erklärt werden könnten, denn als Werk innewohnender Dämonen" (ebd.). Bemerkenswert erscheint es, dass Pater Alfons, um "[s]eine Behauptung, die Besessenheit bestehe in einer der drei vorgenannten Krankheiten" (S. 955), zu untermauern, seinerseits ebenso wie sein Vorredner auf Fallbeispiele verweist, die dem IV. Band von Görres' "Christlicher Mystik" entnommen sind, und es dem Autor somit ermöglicht, nochmals fast drei Seiten seines Romans mit nahezu wörtlichen Zitaten aus dieser Quelle zu füllen.
Zum Abschluss seiner Ausführungen tadelt Pater Alfons es als "[u]nbegreifliche Saumseligkeit", Jovitas "Zustand [...] nicht vom Arzte untersuchen [zu] lassen", und hält der Priorin vor: "Sie belasten Ihr Gewissen , wenn sie der Schwerkranken noch länger die ärztliche Hilfe verweigern. Als Beichtvater Jovitas werde ich eine solche Vernachlässigung nicht dulden" (S. 958). Das Kapitel endet mit einer zünftigen Prügelei zwischen Gratian und Alfons.
Das sehr viel kürzere Kapitel LXII, "Die Teufelsbeschwörung", beginnt damit, dass Pater Gratian sich beim Prior seines Klosters St. Josef über Pater Alfons beschwert: "Wissen Sie schon, Pater Prior, daß einer unserer Brüder als ein ausgebildeter Häretiker sich entpuppt hat? [...] Pater Alfons, der Irländer, trägt den Schwestern von St. Theresia die schauderhaftesten Ketzereien vor" (S. 962). – Aha, ein "Irländer" ist er also; und was seine "ketzerischen Ansichten" angeht, bräuchte der Prior eigentlich gar nicht so überrascht zu sein, schließlich sagt er ihm selbst auf den Kopf zu, schon früher wegen solcher Äußerungen "von einem Kloster ins andere versetzt" worden zu sein (S. 964). Da Pater Alfons seine lästerlichen Anschauungen aber "auch hier noch nicht aufgeben" mag, lässt der Prior ihn "[k]raft des klösterlichen Gehorsams" kurzerhand in "'Zelle Nro. 13' – so heißen die Klösterlichen Kerker –" einsperren.
Sodann wird der Leser darüber aufgeklärt, warum Pater Gratian solchen Wert darauf legt, die Priorin des Frauenklosters und die übrigen Nonnen zu überzeugen, dass Jovita nicht "nur wahnsinnig" sei, sondern "daß ihr wahrhaftig ein böser Dämon innewohne": Würde sie nämlich für wahnsinnig gehalten, "konnte sie möglicherweise in eine Irrenanstalt verbracht und damit der Sphäre seiner rachsüchtigen Pläne entrückt werden. Als Besessene jedoch durfte er sie nach Herzenslust quälen und martern, weil er dann sagen konnte, er quäle nur den Teufel, der sie bewohne" (S. 965). – Derweil kehren "[d]ie wilden Ausbrüche Jovitas [...] von Tag zu Tag wieder, und sie wüthete oft in einer Weise , daß ihre beiden Wärterinnen entsetzt die Flucht ergriffen" (ebd.) und selbst die Priorin meint, man solle "den Arzt ihren Zustand untersuchen lassen" (ebd.). Pater Gratian weist dieses Ansinnen scharf zurück: "Nur keinen Arzt zur Beurtheilung solcher Krankheiten herbeiziehen, Zitta! Was versteht Dr. Kochanowski von Besessenheit?" (ebd.). Stattdessen schlägt er vor, höchstpersönlich einen Exorzismus an Jovita vorzunehmen. Vorsorglich macht er die Priorin aber darauf aufmerksam, "daß nicht Alles, was der Dämon spricht, Wahrheit ist, denn er ist ja der Geist der Lüge, und daß er oft lange, sogar Jahre hindurch, beschworen werden muß, bis er weicht. Ich kann mich also nicht verbindlich machen, ihn binnen heute und morgen auszutreiben" (S. 966). Dem Leser ist natürlich klar, dass Gratian sich mit diesen Hinweisen dagegen absichern will, dass Jovita in ihrem unzurechnungsfähigen Zustand etwas über ihr früheres Verhältnis zu ihm verraten könnte – und gegen das unvermeidliche Ausbleiben eines Erfolgs seiner "Behandlung".
Es folgt eine recht ausführliche Schilderung der vorbereitenden Riten für einen Exorzismus, angefangen mit der Weihe des Wassers; dann spricht Pater Gratian die vermeintlich Besessene direkt an:
"Schwester Jovita, erkennst Du mich?" –
worauf diese "lachend" antwortet:
"Ob ich Dich kenne? Wer hat mir so süße Küsse gegeben? Wer hat sich mit mir trauen lassen? Komm, gib mir einen Kuß, lieber Mann!" (S. 969)
Die Peinlichkeit dieses Moments überspielt der Pater ohne große Mühe, indem er den anwesenden Nonnen versichert, es spreche "bereits der Dämon aus ihr" (S. 970), und sich mit seinen weiteren Fragen an diesen richtet:
Was suchst Du hier ?
– Lucifer hat mir befohlen, in diesem Gefässe [sic] zu wohnen, bis ich von einem mir Heiligen daraus vertrieben werde.
So sage mir zuvor: wie heißt Du ?
– Jovita von den Engeln.
Du lügst , o Dämon. So heißt die Schwester, die Du bewohnst. Nenne Deinen Namen, oder ich werde Dich dazu zwingen.
– Ich heiße Zoophyt, das ist Schlangengeburt des Abgrundes.
Bist Du allein oder mit andern Geistern ?
– Ich, Zoophyt, bin Legionsführer und eine Unzahl Dämonen ist mir unterthan. In bin Einheit und Vielheit .
Wie viele Dämonen führst Du an?
– Legion ist ihr Name, der in Zahlen nicht ausgedrückt werden kann." (ebd.)
Läuft die Beschwörung für Pater Gratian bis hierher also durchaus nach Wunsch, wird es erneut peinlich für ihn, als er den vermeintlichen Dämon befragt:
"Durch wen kannst Du vertrieben werden? Was muß geschehen , damit Du weichest?
– Wenn ein heiliger Mann meinen Mund wie zum Kusse berührt, werde ich ausfahren.
Wer ist dieser heilige Mann? fragte der Pater gespannt .
– Ich werde mich hüten, es zu sagen.
Du mußt, o Dämon!
Bin ich es?
– Seit wann bist Du ein heiliger Mann?!" (S. 972)
Ergrimmt über diese höhnische Antwort, lässt sich der Pater dazu hinreißen, Jovita ins Gesicht zu schlagen. Auf weiteres Befragen hin erklärt diese, der Mann, der sie von ihrer Besessenheit erlösen könne, sei "Woicech Zarski, der ehemalige Kirchendiener" (S. 973), von dem man bei dieser Gelegenheit erfährt, "daß er schon längere Zeit Warschau verlassen hat" (ebd.). – Es wäre dem geneigten Leser wohl kaum zu verübeln, wenn er sich momentan nicht daran erinnern könnte, wer denn dieser Woicech war, dessen bislang letzter Auftritt in der Romanhandlung bereits rund 80 Seiten zurückliegt; daher hier eine kleine Gedächtnis-Auffrischung: Woicech Zarski war ein berückend schöner Student, den Jovita zunächst als Kunden in der Klosterapotheke kennenlernte und zu dem sie dann, als er Kirchendiener an der Klosterkirche wurde, eine heimliche Liebesbeziehung unterhielt, bis er infolge einer Intrige von Jovitas Mitschwestern zusammen mit drei anderen Kirchendienern entlassen wurde. Seine Erwähnung an dieser Stelle lässt vermuten, dass er im weiteren Verlauf der Romanhandlung noch einmal eine Rolle zu spielen haben wird.
Die Beschwörung jedenfalls endet damit, dass Jovita von ihrer Krankenpflegerin Schwester Cordula mit einer Rute blutig geschlagen wird, bis ihrer Peinigerin die Arme lahm werden. Der Erzähler kommentiert:
"Die Tochter eines Edelmannes, aus einer der ersten Familien Warschaus, war Jovita hier der zügellosen Rohheit und der empörenden Grausamkeit eines Schwarmes von Nonnen preisgegeben, die sich von einem rachsüchtigen Mönche leiten ließen. War das jenes Glück, eine Braut Christi sein zu dürfen?" (S. 274)
Diese Betonung der "edlen" Herkunft Jovitas alias Barbaras steht offenkundig im Dienste eines Konzepts von tragischer Fallhöhe, das sich seinerzeit nicht nur, aber besonders in der Kolportageliteratur großer Beliebtheit erfreute; es sei jedoch daran erinnert, dass diese Passage nicht nur im Widerspruch zu den bekannten Fakten des realen Falles Barbara Ubryk steht, sondern auch innerhalb der Romanhandlung selbst einen Widerspruch darstellt: Die Barbara bzw. Jovita des Romans stammt zwar mütterlicherseits "aus einer der ersten Familien" des Landes, aber davon, dass ihr Vater ein "Edelmann" gewesen sei, kann keine Rede sein, vielmehr ist Kasimir Ubryk in einem "armselige[n] und schmutzige[n] Stadtviertel von Warschau aufgewachsen (S. 82).
--- Und was gibt es derweil Neues in den Abruzzen, wo sich Kapitän Chevigné in der Klause des geheimnisvollen Einsiedlers Fra Gerardo schlafen gelegt hat? Zunächst nur soviel: Gerade als der Offizier träumt, "er sei in der großen Oper zu Paris und höre den Gesang des Chors" (S. 153), wacht er plötzlich auf und stellt fest, dass die Einsiedelei tatsächlich von Gesang erfüllt ist. Wie sich zeigt, dringen die Klänge aus dem Geheimgang, woraus Chevigné folgert, "daß der unterirdische Felsengang wahrscheinlich sich in das Schiff der Kirche öffnete und die eigenthümliche Beschaffenheit des Gesteins für die Resonnanz günstig, ja verstärkend sie bis auf die Höhe des Felsens trug" (S. 154). – "Eine unbezwingliche Neugier" (ebd.) veranlasst ihn daraufhin, in den Geheimgang hinabzusteigen – der an einem anderen Ende in eine Art Säulengang übergeht, von dem ais man auf der einen Seite "das Campo Santo des Klosters, de[n] Begräbnißplatz der geheimnißvollen Bewohnerinnen" (S. 156) sehen und auf der anderen in das Innere der Klosterkirche hineinblicken kann. Aus seinem Versteck sieht Chevigné "das [!] einfache Hochaltar mit dem Chor, das durch ein schweres Eisengitter von dem Schiff getrennt war" (S. 157):
"Das Gitter war jetzt geöffnet und innerhalb desselben bemerkte der Offizier eine Reihe dunkler tief verhüllter Gestalten knien.
Mitten im Chor, nur von vier Kerzen beleuchtet, stand ein offener Sarg, – in dem Sarg lag auf einem schwarzen Sergetuch ein Gerippe als furchtbare Mahnung an den Tod.
Vor dem Altar kniete der Einsiedler, jetzt mit Stola und Scapulier geschmückt, hinter ihm eine in dunkle Nonnengewänder gehüllte Frau, während vor den Stufen des Altars eine Bahre mit einer geringen Matratze stand. Auf dieser lag, offenbar in den letzten Stadien der Krankheit, in der Agonie des Todes, eine Frau - eine Nonne, deren bleiches, eingefallenes Gesicht noch die Spuren der Jugend und Schönheit trug. In ihren abgemagerten Händen hielt sie ein Crucifix." (S. 157f.)
Was der Offizier im Folgenden beobachtet und was sich daraus, wenn auch vom Autor offenbar bewusst in ein gewisses Zwielicht zwischen Traum und Wachen gehüllt, über den Inhalt der geheimen Botschaft erschließen lässt, die Chevigné dem Einsiedler überbracht hat, ohne sie selbst zu kennen, ist so spektakulär und dabei auch so komplex, dass ich denke, es gibt ausreichend Stoff für einen eigenständigen Artikel ab. Dazu also demnächst!
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