Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Mittwoch, 27. März 2019

Von Küstern und Buchsbaumzünslern

Meine Wohnortpfarrei gehört, wie ich bestimmt schon mal erwähnt habe, zu einem Pastoralverbund aus vier formal (noch) selbständigen Pfarreien mit insgesamt sieben Standorten (oder acht, wenn man die Krankenhauskapelle im Vivantes-Klinikum mitrechnet). Daraus soll zukünftig ein "Pastoraler Raum" werden, wie das im Erzbistum Berlin heißt; aber der ist offiziell noch nicht eröffnet. Jedenfalls gibt es Woche für Woche zwei volle DIN-A-4-Seiten Vermeldungen aus allen Gemeindeteilen (wobei die tabellarische Übersicht über die Gottesdienstzeiten noch nicht mitgezählt ist), und wenn man Pech hat, werden die am Ende der Sonntagsmesse auch komplett und ungekürzt verlesen. Man kann sie sich natürlich auch als PDF von der Homepage der Pfarrei runterladen. Das habe ich mit den Vermeldungen der laufenden Woche getan -- in erster Linie, um mich zu überzeugen, wie dort die Büchertreff-Eröffnung angekündigt wurde. Dann fielen mir allerdings zwischen den zahlreichen mehr oder weniger banalen Ankündigungen zwei Vermeldungen auf, die ich aus unterschiedlichen Gründen einigermaßen beunruhigend fand. Zunächst diese: 
"Für unseren Standort Allerheiligen suchen wir ab Ende April drei zuverlässige Gemeindemitglieder, die abwechselnd ehrenamtlich den Küsterdienst übernehmen. Selbstverständlich gibt es eine Einführung in den Dienst. Sollte sich niemand finden, können wir den Sonntagsgottesdienst nicht mehr gewährleisten." 
Die im letzten hier zitierten Satz enthaltene Information, die einem da so ganz nebenbei in den Vermeldungen untergejubelt wird (bei denen die meisten Gottesdienstbesucher schon aufgrund der Überfülle an Informationen ohnehin die Ohren auf Durchzug zu stellen gewohnt sein dürften), ist im Grunde ein ganz schöner Hammer. Die Kirche Allerheiligen im Ortsteil Borsigwalde ist tatsächlich die einzige des Pastoralverbunds, in der ich noch nie war; aber das hat wahrscheinlich nicht besonders viel zu sagen. Jedenfalls habe ich mich ein bisschen über ihre Geschichte informiert: Eine eigene Kuratie für den Ortsteil Borsigwalde wurde im Jahr 1938 eingerichtet, zunächst wurde dort nur ein Pfarrhaus gebaut, der geplante Bau einer Kirche wurde durch den Zweiten Weltkrieg vorerst verhindert und erst 1954/55 mit Hilfe von Spenden aus den USA verwirklicht. Bis 2004 war Allerheiligen Borsigwalde eine eigenständige Pfarrei, dann wurde sie mit St. Bernhard Tegel-Süd zusammengelegt

Laut aktueller Gottesdienstordnung gibt es in Allerheiligen derzeit noch jeden Sonntag sowie an zwei Werktagen pro Woche eine Heilige Messe; aber jetzt läuten wegen akuten Küstermangels die Alarmglocken. Zu der vielleicht naheliegenden Frage, wieso die Pfarrei sich eigentlich keinen hauptamtlichen Küster leistet, kann ich nicht viel sagen, da ich über die finanzielle Situation dieser Pfarrei nichts Genaues weiß; ich kann nur sagen, dass auch an "meinem" Gottesdienststandort der Küsterdienst ausschließlich von einer Gruppe Ehrenamtlicher versehen wird (und dass diese zuweilen ganz schön auf dem Zahnfleisch gehen, nicht zuletzt auch deshalb, weil es in dieser Kirche relativ viele Hochzeiten und Taufen außerhalb der regulären Gottesdienstzeiten gibt). Da ich, wie gesagt, in der Kirche Allerheiligen noch nie war, kann ich auch nichts darüber sagen, wie stark die Sonntagsmessen dort besucht sind, wie die Altersstruktur der Gemeinde ist, wie viele Leute es dort theoretisch gäbe, die geeignet wären, den Küsterdienst zu übernehmen, und was die womöglich für persönliche Gründe haben, dafür nicht zur Verfügung zu stehen. Kurz gesagt, ich kann mit so gut wie überhaupt keinen Details zu diesem speziellen Fall aufwarten; aber Fakt ist, wir sind hier mit der Aussicht konfrontiert, dass ein Gottesdienstort aufgegeben wird, weil es an Ehrenamtlichen fehlt. Wenn dieser Umstand nicht geeignet ist, der von mir hier schon mehrfach erhobenen Forderung Nachdruck zu verleihen, das gängige Verständnis von Mitgliedschaft und Mitarbeit in einer Pfarrgemeinde grundsätzlich zu überdenken, dann weiß ich es aber auch nicht. 

Freilich kann nicht ausgeschlossen werden, dass die drohende Abwicklung des Standorts Allerheiligen den Verantwortlichen des Pastoralverbunds im Grunde ganz recht ist und der Ehrenamtlichenmangel somit vielleicht sogar nur ein Vorwand ist. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der sogenannte "Pastorale Prozess 'Wo Glauben Raum gewinnt'" mittelfristig auf eine Reduzierung von Standorten hinauslaufen wird; und wie es aussieht, hat im Raum Reinickendorf-Süd die Kirche Allerheiligen soeben die Pole Position auf der Streichliste erobert. Man kann argumentieren, das sei halbwegs sozialverträglich: Die Pfarrkirche St. Bernhard ist nur 1,7 km entfernt und es gibt eine gute Busverbindung -- 5 Minuten Fahrzeit, weitere fünf Minuten Fußweg. Dennoch ist diese Vermeldung natürlich ein Warnschuss: Die Gemeindeteile an den anderen Standorten des Pastoralverbunds können sich schon mal Gedanken darüber machen, welche Kirche wohl als nächste dran ist. Von der Papierform her spricht wohl einiges für St. Joseph Tegel, aber andererseits: Die haben eine KiTa. Ob die aus Sicht der Pastoralplaner ein hinreichender Grund ist, die dortige Kirche auch als Gottesdienststandort zu erhalten, weiß ich zwar nicht, aber es könnte sein. Mit großer Sicherheit nicht geschlossen wird St. Marien Maternitas in Heiligensee, denn der dortige Gemeindeteil hat erstens Kohle und ist zweitens auch in den Gremien überrepräsentiert. Kurz und gut, mir scheint, "mein" Kirchenstandort sollte sich lieber mal warm anziehen. Ein Grund mehr, sich um eine Stärkung des Gemeindelebens zu bemühen

Und die andere Neuigkeit aus den Vermeldungen? 
"Ob am Palmsonntag Buchsbaumzweige und Weidenkätzchen von der Pfarrei bereit gestellt werden, können wir aufgrund der fortgeschrittenen Jahreszeit und vermehrt aufgetretener Pflanzenkrankheiten noch nicht zusagen, Wer sich selbst etwas besorgten kann, möge dies im Blick behalten." 
Ich gestehe, meine erste spontane Reaktion darauf war "Die wollen uns doch wohl verarschen". Oder, eine Spur konzilianter ausgedrückt: Ich hatte den Verdacht, dass hier in Wirklichkeit wieder einmal mangelnde organisatorische Fähigkeiten den eigentlichen Kern des Problems darstellen. Die hauptamtlichen Mitarbeiter haben notorisch weder Zeit noch Lust, sich mit solchen Dingen zu befassen, diejenigen Ehrenamtlichen, an denen diese Art von Aufgaben seit Jahren hängen zu bleiben pflegt, haben langsam aber sicher den Kanal voll, und andere, die vielleicht Abhilfe schaffen könnten, wissen überhaupt nichts von der Existenz des Problems. (Okay, jetzt wissen sie's, vorausgesetzt sie lesen die Vermeldungen.) Und die Krönung des Ganzen ist die unverhohlene Indolenz, mit der den Gemeindemitgliedern mitgeteilt wird: Besorgt euch eure Palmzweige gefälligst selber.  

Eine kurze Recherche später muss ich allerdings einräumen, dass ich das Ausmaß des Problems unterschätzt habe. Genauer gesagt, ich habe den Buchsbaumzünsler unterschätzt. Wie Tante Wiki verrät, ist der Buchsbaumzünsler "ein ostasiatischer Kleinschmetterling", der "zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach Mitteleuropa eingeschleppt wurde und sich heute zur invasiven Spezies entwickelt hat. Die Raupen können Schäden durch Kahlfraß an Buchsbaum verursachen." 

Buchsbaumzünsler-Raupe bei Verzehr eines Buchsbaumsblattes (gemeinfrei, Bildquelle hier
Dass diese gefräßigen Raupen die traditionelle Anfertigung von Buchsbaumsträußen zu Palmsonntag bedrohen, war schon im vorigen Jahr Thema in den Kirchenzeitungen der Bistümer Fulda, Limburg und Mainz sowie im Neuen Ruhr-Wort. Aktuell berichtet die Presse über Buchsbaummangel beispielsweise in Emmerich (Bistum Münster), Hamm (dito) und im Kreis Viersen (Bistum Aachen). Es war also offenkundig voreilig, die Schuld am Buchsbaumdilemma bei der Unfähigkeit oder Gleichgültigkeit der hiesigen Pfarreimitarbeiter zu suchen. 

Indes hat es den Anschein, dass die Probleme mit dem Buchsbaumzünsler lokal sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. In manchen Gegenden Deutschlands gibt es offenbar noch Buchsbaum bis zum Abwinken. So viel, dass die Leute nicht wissen, wohin damit. Bei "eBay Kleinanzeigen" habe ich just heute noch stolze 119 Einträge zum Stichwort "Buchsbaum zu verschenken" (!) gefunden, darunter auffälligerweise mehrere aus meiner Heimatgegend, also Nordenham/Butjadingen/Stadland. Ich erwähne das nicht etwa, weil ich meine, die vom Buchsbaumzünsler geplagten Pfarreien sollten sich Buchsbaumzweige aus anderen Bundesländern zuschicken lassen. Es ist mir nur so aufgefallen. 

Was also bleibt zu tun? Nun, der erste Schritt wäre, zu prüfen, ob sich nicht doch noch Mittel und Wege finden, irgendwo größere Mengen an Buchsbaum aufzutreiben; Mittel und Wege, auf die die "Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht"-Fraktion schlichtweg nicht kommen würde. Ich habe mal meine Liebste auf das Problem angesetzt (als hätten wir nicht schon genug anderes zu tun). Und wenn nicht, dann gibt es natürlich noch Alternativen in Form anderer immergrüner Sträucher.  Die sind in der Regel allerdings etwas teurer. Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles.

Zusammenfassend gesagt könnte man aus beiden Meldungen - derjenigen über den Küstermangel wie auch derjenigen über den Buchsbaummangel - die Botschaft herauslesen, dass die "einfachen Gemeindemitglieder" (die "Kirchenbankdrücker", könnte man sagen) mehr Engagement, Eigeninitiative und Kreativität entwickeln müssen, wenn sie wollen, dass ihre Gemeinden am Leben bleiben. Und das wäre ja eine Botschaft, die mir durchaus aus der Seele spricht. Das Problem ist, dass das so klar nicht kommuniziert wird -- und schon gar nicht auf eine Art, die irgendwie motivierend oder ermutigend wäre. Kommuniziert wird stattdessen: Tja, Leute, alles geht den Bach runter; wir - die Verantwortlichen dieser Pfarrei bzw. dieses Verbunds von Pfarreien - können es nicht ändern, und ehrlich gesagt haben wir auch keinen Bock drauf. -- Und bei so einer Einstellung muss man sich natürlich über nichts wundern. Höchstens darüber, dass überhaupt noch irgendwas läuft.



1 Kommentar:

  1. Tatsächlich kenne ich "von der Pfarrei zur Verfügung gestellte Palmzweige" überhaupt nicht (wenn man berücksichtigt, daß Tradis keine "Pfarreien" haben; von *dort* kenne ich das nämlich *schon*).

    Traditionell werden die Palmbuschen vom Frauen- und Mütterverein gebunden und von diesen für Geld verkauft.

    Das aber unmittelbar vor dem Palmsonntagsgottesdienst auch nur, wenn man Glück hat (am Dom z. B.)

    Also: "Besorgt euch eure Palmzweige gefälligst selber" ist durchaus Standard.

    AntwortenLöschen