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Mittwoch, 10. April 2024

Abbrüche und Neuanfänge: Zur (volks-)kirchlichen Situation in der nördlichen Wesermarsch

Am diesjährigen Ostersonntag habe ich mir auf YouTube eine Osterpredigt aus dem Jahr 2020 angesehen; wir erinnern uns: Ostern 2020, da war Corona, da war Lockdown, öffentliche Gottesdienste durften nicht stattfinden – da entdeckten nicht wenige Kirchenleute die digitalen Medien als einen Weg, dennoch irgendwie die Leute zu erreichen. Manch ein Geistlicher fremdelte wohl ein wenig mit diesem Setting und wirkte darin folglich etwas fehl am Platz; nicht so jedoch der Prediger in diesem Ostervideo: Matthias Kaffka, ein junger Mann mit rotem Hipsterbart, dazu passender Brille und T-Shirt, der in betont lässig-kumpelhaftem Tonfall über Christopher Nolans Batman-Film "The Dark Knight" spricht, den er im Lockdown auf Netflix gesehen hat. Ja, natürlich zieht er Parallelen zwischen Batman und Jesus. Ja, man kann den Versuch, bloß nicht "churchy" 'rüberzukommen, schon ein bisschen bemüht finden, aber Kaffka ist immerhin ein Typ, dem man diesen "Ey Mann"-Gestus abkauft. Das Erstaunlichste an der ganzen Sache ist eigentlich, dass er nicht Pastor einer hippen Non-Denom-Freikirche in Berlin-Mitte oder einem vergleichbar gentrifizierungsbetroffenen Bezirk irgendeiner anderen Großstadt ist, sondern evangelisch-lutherischer Pfarrer in Abbehausen, einem Dorf in der Wesermarsch, das seit 1974 zur Stadt Nordenham gehört, kirchlich aber nach wie vor zu Butjadingen gerechnet wird. 

Wie man sich vielleicht vorstellen kann, ist das auch genau der Grund dafür, dass ich überhaupt auf dieses Video aufmerksam geworden bin: Ich war neugierig, was der Pastor Kaffka für einer ist. Vor fast zehn Jahren, im Herbst 2014, wurde er vom Abbehauser Gemeindekirchenrat einstimmig zum Pfarrer gewählt; infolge des massiven Abbaus von Pfarrstellen in der Oldenburgischen Landeskirche ist er inzwischen auch für die Kirchengemeinden in Stollhamm, Eckwarden und Tossens zuständig. Aber nicht mehr lange: Zum 1. August gibt er seine jetzige Stellung auf und geht nach Schottland. Die zum Auslandsdienst der EKD gehörenden Deutschsprachigen Gemeinden in Schottland und Nordost-England mit Sitz in Edinburgh haben ihn für die Dauer von sechs Jahren zu ihrem Pfarrer gewählt. Dass er sich eine solche Karrierechance nicht entgehen lassen möchte, ist ihm schwerlich zu verdenken; umgekehrt ist es aber wohl auch verständlich, dass die Butjenter ihn ungern ziehen lassen. Die Kommentare auf der Facebook-Seite der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Abbehausen lassen darauf schließen, dass Kaffka in der Gemeinde ausgesprochen beliebt war bzw. ist; aber auch davon abgesehen stellt sein Abschied die evangelische Kirche vor Ort vor eine schwierige Situation: Außer ihm gibt es in ganz Butjadingen nur noch einen evangelischen Pfarrer, und der – Klaus Braje, seit 1987 (!) Pastor in Burhave, wo ich aufgewachsen bin – steht kurz vor dem Ruhestand. 

Symbolbild, Quelle: Pixabay 

In der auf der Facebook-Seite der Abbehauser Kirchengemeinde veröffentlichten Pressemitteilung über Matthias Kaffkas bevorstehenden Weggang heißt es über die "Vakanzzeit" – "also die Zeit, wenn kein Pfarrer vor Ort ist", dass "[d]ie Kreispfarrerin und die benachbarten Pfarrer" die vakanten Kirchengemeinden "mit betreuen" werden: "Es wird weiterhin Andachten und Gottesdienste geben – und keiner muss sich Sorgen machen, wenn Taufen, Trauungen oder Beerdigungen anstehen. Die Gemeindekirchenratsmitglieder werden auch über die weitere Organisation des Gemeindelebens sprechen." 

Die volkskirchliche Grundversorgung bleibt gewährleistet, lautet also, kurz gefasst, die Botschaft. Gleichwohl erscheint es fraglich, wie bald es der Oldenburgischen Landeskirche gelingen wird, die durch Kaffkas Weggang und Brajes Ruhestand entstehenden Lücken zu schließen – und in welchem Umfang sie dies, angesichts ihrer einerseits durch strikten Sparkurs, andererseits durch einen Mangel an Bewerbern geprägten Personalsituation, überhaupt anstrebt. In den letzten Jahren war immer wieder die Rede davon, dass die Anzahl der Pfarrstellen in Butjadingen, die bis 1986 noch 5½, 2018 immerhin noch 3¼ und zuletzt von der Papierform her 1¾ betrug, auf längere Sicht auf eine einzige reduziert werden solle. Man könnte meinen, die aktuelle Situation biete der Landeskirche eine günstige Gelegenheit für einen solchen Einschnitt. 

Kurz und gut, mir scheint, man sollte die weitere Entwicklung in dieser Sache im Auge behalten. Überraschende Neuigkeiten gibt es derweil aus der katholischen Pfarrei St. Willehad Nordenham/Butjadingen/Stadland: Dort startet dieser Tage ein neuer Glaubenskurs. "Neue Leute kennenzulernen und gemeinsam den Glauben entdecken", steht auf dem Flyer, und weiter unten: "Lern Leute in deiner Umgebung kennen – Sieh dir gemeinsam mit anderen ein Video über den Glauben an – Stelle deine Fragen und teile deine Gedanken". Sicher, unter so einer Beschreibung kann man sich im Guten wie im Bösen so ziemlich alles Mögliche vorstellen, aber ich muss doch sagen, dass ich gerade dieser Pfarrei eine solche Initiative schwerlich zugetraut hätte. Dies gilt umso mehr, als der Flyer das Logo des Alpha-Kurses trägt; und das ist, nach allem, was ich darüber gehört habe, nun wirklich ein Gütesiegel

"Alpha ist eine Reihe von Treffen, bei denen der christliche Glaube in entspannter Atmosphäre entdeckt werden kann", heißt es in betont niederschwelliger Diktion auf dem Flyer. Entwickelt wurde dieses Veranstaltungsformat in den 1970er Jahren in der angelikanischen Holy Trinity-Gemeinde in Brompton, einem Stadtteil von London; nach Deutschland gebracht wurde es zuerst 1996 von der Geistlichen Gemeinde-Erneuerung in der Evangelischen Kirche (GGE), einer charismatischen Strömung innerhalb der evangelischen Landeskirchen. Heute wird das Konzept aber quer durch (fast) alle christlichen Konfessionen praktiziert. Der kanadische Priester und Gemeindeerneuerungs-Berater James Mallon bekennt sich in seinem Buch "Divine Renovation – Wenn Gott sein Haus saniert" dazu, "ein großer Fan von Alpha-Kursen" zu sein: 

"Nach dem ersten Alpha-Kurs wusste ich, dass er funktionierte. Die Hungruigen wurden gespeist, die Lauen wurden zum Leben erweckt und Nicht-Kirchgänger und sogar Nichtglaubende kamen zum Glauben an Jesus und kehrten in die Kirche zurück. [...] Noch nie vorher hatte ich in der Pastoral solche Früchte für das Apostolat gesehen [...]. Dieser Kurs war in der Lage, Menschen aus verschiedenen Milieus und Glaubensniveaus anzusprechen und zu berühren" (S. 182). 

– Und das gibt es jetzt in Nordenham? Zeichen und Wunder, kann man da wohl nur sagen! – Fragt man sich, woher es kommen mag, dass diese Pfarrei plötzlich Interesse an Neuevangelisierung zeigt, dann gibt es allerdings eine naheliegende Vermutung: Ich halte es für mehr als wahrscheinlich, dass die Initiative dazu von dem (mittlerweile nicht mehr ganz so) neuen Subsidiar Michael Kenkel ausgegangen ist, der ja u.a. auch in der Karl-Leisner-Jugend aktiv ist. Wie ich schon mal erwähnt habe, stand Kenkel, als er in den Jahren 2011-21 Pfarrer in Raesfeld war, wegen seiner Nähe zu innerkirchlichen Bewegungen und Strömungen in der Kritik , die als "rückwärtsgewandt" und "fundamentalistisch" wahrgenommen wurden – was von solchen Zuschreibungen zu halten ist, ist ja hinlänglich bekannt: Als "rückwärtsgewandt" gelten im Jargon des liberalen deutschen Funktionärs- und Gremienkatholizismus praktisch alle, die für die Zukunft der Kirche eine andere Vision haben als die Agenda des Schismatischen Wegs; und um in den Ruf des "Fundamentalismus" zu geraten, genügt es schon, die Aussagen des christlichen Glaubensbekenntnisses vollumfänglich zu bejahen und nicht bloß in einem metaphorischen Sinne gelten zu lassen

Ich will's mal so sagen: Sollte es Michael Kenkel gelingen, eine geistliche Erweckung an einem Ort in Gang zu bringen, an den er zwar nicht unbedingt im strikten Wortsinne strafversetzt, aber doch so etwas Ähnliches wie strafversetzt wurde, nachdem er seine vorherige Pfarrstelle infolge von Vorwürfen grenzüberschreitenden Verhaltens verloren hatte, dann wäre das wohl mal wieder ein Fallbeispiel dafür, dass Gott auch auf krummen Zeilen gerade schreiben kann. Natürlich wünsche ich dem Projekt allen erdenklichen Erfolg und möchte auch nicht die Gelegenheit versäumen, meine Leser dazu aufzurufen, für den Alpha-Kurs in Nordenham zu beten; aber eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Erfolgsaussichten kann ich dennoch nicht abschütteln. Sicher ist der Alpha-Kurs ein gutes Instrument auf dem Weg zum Glauben, aber wie sieht es denn mit dem weiteren Wachstum im Glauben aus? Ich muss sagen, ich beneide die Leute nicht, die durch einen Alpha-Kurs den Glauben entdecken und dann in einer Gemeinde landen, in der schauderhafte, nicht selten geradezu sakrilegische Liturgieverhunzung betrieben wird, wo das Niveau der Verkündigung irgendwo zwischen Phil Bosmans und den Kleinen Leuten von Swabedoo liegt und wo Aktionen wie "Segne Dich selbst" angeboten werden. Manch einem mag es da ergehen wie denjenigen Samenkörnern im Gleichnis vom Sämann, die zwar schnell zu keimen beginnen, dann aber wegen des ungeeigneten Bodens verdorren. 

Nicht unerwähnt lassen möchte ich in diesem Zusammenhang, dass es in Herz Jesu Tegel, ein paar Jahre bevor meine Liebste und ich in diese Gemeinde kamen, auch mal Alpha-Kurse gab – die allerdings eingestellt wurden, nachdem ein leitendes Mitglied der benachbarten Gemeinde der Siebenten-Tages-Adventisten dieses Angebot dazu genutzt hatte, für seine Glaubensrichtung zu missionieren. Dies mal als warnendes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn man ein Evangelisierungs-Angebot in einer Gemeinde ansiedelt, die keine gesunden Bedingungen für geistliches Wachstum bietet. 

Aber versuchen wir's mal optimistisch zu sehen: Wenn der Alpha-Kurs schwerpunktmäßig junge Erwachsene anspricht und diese sich dann mit dem Enthusiasmus ihres neu gefundenen Glaubens aktiv ins Gemeindeleben einbringen, könnte es gelingen, die Kultur in der Gemeinde allmählich zu verändern – zumal wenn diese jungen Erwachsenen in absehbarer Zeit Kinder haben werden, während die noch vom früheren Pfarrer Bögershausen geprägten Boomer Catholics ja wohl allmählich mal aussterben dürften. Auch hier gilt also: Es dürfte sich lohnen, die weitere Entwicklung im Auge zu behalten... 



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1 Kommentar:

  1. Ein Alpha -Kurs setzt einiges Grundwissen über den christlichen Glauben voraus. Ich habe mal diesen Kurs in den Niederlanden begleitet: Grundwissen der Teilnehmer? Null. Man musste wortwörtlich mit der Genesis beginnen. Altes Testament? Nie gehört, geschweige denn gelesen. Neues Testament, nie gehört geschweige denn gelesen. Ich habe noch nie in soviele ratlose Gesichter geschaut wie an diesen Abenden des Kurses. Der Wille war da.....aber man kann und darf einen Gelähmten nicht auffordern einen Marathon zu laufen. Da scheitert schon der Versuch.

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