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Donnerstag, 4. April 2024

Visitationsnotizen: Erzbischof Koch in Spandau

Wie man hört, hatte Erzbischof Koch am nachgeholten vierten Tag seiner Visitation der Pfarrei Heilige Familie Spandau-Havelland am Samstag vor Palmsonntag ein straffes Programm. Ich nicht ganz so: Am frühen Nachmittag fuhr ich entspannt mit dem Bus nach Spandau, um im Gemeindezentrum der Pfarrkirche Maria, Hilfe der Christen an einer Begegnung von Katecheten der Pfarrei mit dem Erzbischof teilzunehmen. 

Neben dem Erzbischof, einer Mitarbeiterin des Erzbischöflichen Ordinariats, dem Pfarrer, dem für den Gemeindeteil St. Joseph/St. Stephanus zuständigen Pfarrvikar und den beiden Gemeindereferenten (m/w) der Pfarrei Heilige Familie fanden sich ungefähr zwanzig Ehrenamtliche zu dem Treffen ein; einige von ihnen hatten ihre Kinder mitgebracht. Tatsächlich hatte ich erwogen, ebenfalls eins meiner Kinder – am ehesten wohl das Tochterkind – mitzunehmen, und bedauerte nun ein wenig, das nicht getan zu haben. 

Dem Wunsch des Erzbischofs entsprechend begann die Besprechung mit einer Vorstellungsrunde, in der die anwesenden Ehrenamtlichen ein paar Sätze dazu sagen durften und sollten, wer sie sind, woher sie kommen und in welcher Form sie katechetisch tätig sind. Bei mir hörte sich das so an: 

"Ich gehöre seit Oktober letzten Jahres – erst – zu einem Team, das in St. Joseph einmal im Monat Kinderwortgottesdienste anbietet. Ich bin so gesehen also noch Anfänger: Ich habe bisher drei Kinderwortgottesdienste mitgestaltet und einen hauptverantwortlich selbst konzipiert. Mein Interesse am Thema Kinderkatechese – auch und gerade für jüngere Kinder, also unter Erstkommunionalter – rührt sehr wesentlich daher, dass ich selbst zwei Kinder habe, die drei und sechs Jahre alt sind. Und jetzt lerne ich in der Praxis, wie es geht – und wie es nicht geht." 

Über dieses Statement hinaus kam ich in der Katechetenrunde nicht weiter zu Wort, was in erster Linie wohl daran lag, dass der Fokus von Erfahrungsaustausch und Diskussion bei dieser Veranstaltung doch sehr stark auf der Sakramentenkatechese lag. Zu diesem Umstand hätte ich durchaus etwas anzumerken gehabt, aber das mache ich dann eben hier; insgesamt kann und will ich nicht behaupten, dass ich unzufrieden damit gewesen wäre, meine Rolle bei dieser Veranstaltung auf "Präsenz zeigen und hinterher drüber bloggen" zu beschränken. In diesem Sinne möchte ich, bevor ich dazu komme, was ich als Leitgedanken aus dieser Gesprächsrunde "mitgenommen" habe, erst mal ein paar "anekdotische" Eindrücke festhalten. So warf Erzbischof Koch einmal die Frage auf, inwieweit bei der Erstkommunionkatechese die Eltern einbezogen würden; als daraufhin die Gemeindereferentin erklärte, diesbezüglich gebe es große Unterschiede zwischen Spandau und Falkensee, wurde der Erzbischof hellhörig und hakte nach, was für Unterschiede das denn seien – worauf die Gemeindereferentin eine extrem geschraubte und gewundene Antwort gab, die im Kern darauf hinauslief, dass in Falkensee halt tendenziell eher Besserverdienende wohnen, während Spandau eher proletarisch geprägt ist. Nun gut, das ist so, und eigentlich wüsste ich auch nicht, warum es jemandem peinlich sein sollte, diesen Sachverhalt zu benennen, aber der Gemeindereferentin war es offensichtlich peinlich. – Natürlich fangen bei der Feststellung, dass es hinsichtlich des sozio-ökonomischen Status der Bevölkerung große Unterschiede zwischen Spandau und Falkensee gibt, die Fragen eigentlich erst an: Wieso genau bedingt dieser Sachverhalt Unterschiede bei der Einbindung der Eltern in den Erstkommunionunterricht? Die Antwort der Gemeindereferentin schien nahe zu legen, es gehe lediglich darum, dass die besserverdienenden Falkenseer schlichtweg mehr Zeit und Muße haben, sich persönlich um die religiöse Bildung ihres Nachwuchses zu kümmern, als die hart arbeitenden Spandauer. Aber ich müsste mich doch sehr täuschen, wenn nicht noch mehr dahintersteckte. 

(Mit "Spandau" ist in diesem Zusammenhang übrigens nur der Ortsteil dieses Namens gemeint, nicht der ganze Bezirk; zum Bezirk Spandau – wenn auch nicht zur Pfarrei Heilige Familie – gehören z.B. auch die Ortsteile Gatow und Kladow, und die sind, was das Einkommensniveau der Bevölkerung angeht, nochmal eine ganz andere Hausnummer.) 

Festhalten möchte ich auch noch eine Anekdote, die der Erzbischof erzählte: Als er gerade frisch zum Priester geweiht worden war und seine erste Kaplansstelle antrat, wurde er gleich am zweiten Tag "zu einem Sterbenden gerufen". Dieser habe nach eigener Auskunft "seit Jahrzehnten" keine Kirche mehr betreten gehabt, äußerte aber auf dem Sterbebett den Wunsch, "nochmal so zu beten wie früher". Wie sich zeigte, meinte er damit konkret das Gebet "Seele Christi, heilige mich", an das er sich von seiner Kindheit her erinnerte und das er immer noch auswendig konnte. – Ich nehme an, darin sollte eine ermutigende Botschaft an die Adresse der Katecheten enthalten sein, mit dem Tenor: Auch wenn man manchmal versucht sein mag zu denken, es sei vergebliche Liebesmüh, Jahr für Jahr katechetischen Unterricht zu erteilen, wenn von denen, die daran teilnehmen, nur der allerkleinste Teil tatsächlich zu gläubigen und praktizierenden Christen wird (oder auf längere Sicht bleibt) – etwas bleibt von der Katechese eben doch hängen, und man kann nie wissen, wann dieses Samenkorn im Leben des betreffenden Menschen doch noch aufbricht und Frucht bringt. Ein bisschen musste ich dabei an den vieldiskutierten #TeamVolkskirche-Essay des Nordkirchen-Pastors Kurowski denken, genauer gesagt an dessen These, es sei elne genuine Leistung des Systems Volkskirche, auch bei religiös nicht besonders interessierten Menschen "eine gewisse Grundevangelisation" bzw. "religiöse Grundsozialisation" sicherzustellen. Dazu habe ich mich seinerzeit recht kritisch geäußert; insofern bin ich nicht ganz sicher, ob ich mit den Implikationen von Erzbischof Kochs Anekdote einverstanden bin, aber berührend fand ich sie irgendwie doch

Ein Gedanke, der in der Diskussion ein paarmal am Rande anklang und den ich gern vertieft hätte, wenn ich denn zu Wort gekommen wäre, war der, dass katechetische Angebote – gerade auch für Kinder und Jugendliche – im volkskirchlichen Normalbetrieb nahezu ausschließlich in Form von Sakramentenkatechese stattfinden und dass das aus einer Reihe von Gründen problematisch ist. Nicht zuletzt übrigens für die Sakramentenkatechese selbst. Erstkommunion-Katecheten klagen darüber, dass bei immer mehr Kindern überhaupt keine Grundlagen vorhanden sind, auf denen sie aufbauen könnten; und Firmkatecheten machen die Erfahrung, dass viele Jugendliche das, was sie in der Erstkommunionkatechese gelernt haben, inzwischen schon wieder größtenteils vergessen haben. Gar nicht zu reden von denen, die der Kirche in den Jahren zwischen Erstkommunion und Firmung ganz verloren gehen – ich würde mal schätzen, dass das etwa ein Drittel ist, jedenfalls keine vernachlässigenswerte Größe. – Halten wir also fest: Die eine Seite des Problems ist, dass die Sakramentenkatechese infolge des Mangels an anderen katechetischen Angeboten mit Aufgaben und Inhalten überladen und überfordert wird, die da gar nicht unbedingt hineingehören. Und erinnern wir uns übrigens, dass Lothar Zenetti Ähnliches schon 1966 über die Sonntagsmesse sagte; nämlich, dass 

"nun jeder all das an 'Religion', was es sonst während der Woche in Andachten und Bibelkreisen der Pfarrei, im häuslichen religiösen Leben und schließlich im privaten Gebet nicht mehr vollzieht und findet, nun von dieser einen Sonntagsstunde, von der Messe, erwartet und in ihr nachholen will: Seine Andacht, Ruhe und Besinnung, Stille, Erbauung, Wegweisung, Glaubensinformation, Erleben Gottes und der kirchlichen Gemeinschaft und vieles andere – alles soll in dieser einen Stunde untergebracht werden. Das aber kann, das will die Sonntagsmesse nicht leisten". 

Der gemeinsame Nenner dieser Probleme scheint mir darin zu liegen, dass der "volkskirchliche Normalbetrieb", wie ich ihn weiter oben genannt habe, allzu ausschließlich darauf fokussiert ist, was als "Pflichtprogramm" gilt, weil man davon ausgeht, dass bei freiwilligen Angeboten "sowieso keiner kommt" – was meiner Überzeugung nach vielfach eine self-fulfilling prophecy ist

Das Stichwort "Pflichtprogramm" im Zusammenhang mit der Sakramentenkatechese erinnert mich übrigens daran, dass ich schon vor rund zweieinhalb Jahren, in den "Ansichten aus Wolkenkuckucksheim" Nr. 16 – veranlasst durch einen Blogbeitrag von Micah Murphy – geäußert, es sei "schlichtweg ein Systemfehler", dass die wenigen katechetischen Angebote, die es im volkskirchlichen Normalbetrieb gebe, "in der Form eines Pflichtprogramms für die Zulassung zum Sakramentenempfang präsentiert werden". (Okay, zumindest in den ostdeutschen Bistümern gibt es die "Religiöse Kinderwoche", kurz RKW, auf die dies nicht zutrifft; aber was da an katechetischer Arbeit geleistet wird, kann ich nicht beurteilen.) – Warum Systemfehler? Weil der katechetische Unterricht, besonders wenn er dann auch noch in sehr "schulähnlicher" Form erteilt wird, den Kindern und Jugendlichen auf diese Weise als etwas erscheint, was sie "hinter sich bringen" müssen; sie lernen dafür wie für eine Klassenarbeit, das heißt, sobald sie meinen, dieses Wissen nicht mehr zu "brauchen", vergessen sie das meiste wieder. Wie ich schon anno 2021 schrieb, erscheint es aus dieser Perspektive auch plausibel, dass man die meisten Kinder nach der Erstkommunion frühestens zur Firmvorbereitung wieder in der Kirche antrifft und nach der Firmung dann gar nicht mehr: "Sie haben den "Abschluss gemacht', auf den sie hingearbeitet haben, und damit ist das Thema für sie erledigt. Man würde ja auch nicht, nachdem man das Abitur bestanden hat, weiterhin zur Schule gehen." 

Direkt im Anschluss an die Katechetenrunde fand in einem anderen Raum des Gemeindezentrums ein Treffen mit Vertretern der Jugendarbeit statt. Als Leiter der Wichtelgruppe hätte ich durchaus einen Vorwand gehabt, auch an diesem Termin teilzunehmen, wenn ich gewollt hätte; aber ich fand, man könne es mit dem "Präsenz zeigen" auch übertreiben – umso mehr, als der Erzbischof sich nach der Katechetenrunde bereits von mir verabschiedet hatte, mit einem herzlichen Händedruck und den Worten "Schönen Gruß zu Hause" (meine Familie hat bei der letzten Begegnung mit ihm offenbar einen bleibenden Eindruck hinterlassen). Davon abgesehen wirkte der Raum, als ich im Vorübergehen einen Blick hinein warf, auf mich schon einigermaßen überfüllt, und wenn ich ganz ehrlich bin, hatte ich auch nicht so richtig Lust darauf, mich mit einem Haufen BDKJ-Funktionäre an einen Tisch zu setzen. 

Zur Vorabendmesse zum Palmsonntag, die Erzbischof Koch in St. Joseph Siemensstadt zelebrierte, wollte ich hingegen auf jeden Fall, und zwar mit der ganzen Familie; da es sich nicht gelohnt hätte, vorher nochmal nach Hause zu fahren, aß ich erst mal in den Spandau Arcaden ein Eis und verabredete per Handy mit meiner Liebsten, uns an derselben Bushaltestelle in Haselhorst zu treffen, an der wir auch immer umsteigen, wenn wir sonntags zur Messe nach Siemensstadt fahren. 

Der Auftakt zur Messe, mit der Palmzweigsegnung und dem Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem, fand auf dem Vorplatz der Kirche statt; als wir dort ankamen, herrschte auf dem Platz bereits ein erheblicher Andrang. Dass wir somit nur ganz am Rand der Menschenmenge einen Platz bekamen, hatte allerdings den Vorteil, dass der Erzbischof bei seinem feierlichen Einzug direkt an uns vorbeikam – wobei er meine Liebste und die Kinder herzlich begrüßte. "Das ist der König!", freute sich unser Jüngster. "Der hat letztes Mal Bernadette seine rosa Mütze aufgesetzt." Unsere Einwände, ein Bischof sei nicht so ganz dasselbe wie ein König, richteten beim Junior nicht viel aus: Er betitelte Erzbischof Koch auch weiterhin beharrlich als "König". 

Die Kirche war bei dieser Vorabendmesse übrigens so voll, wie ich sie noch nie erlebt hatte – nicht einmal in der letztjährigen Osternacht, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt. Erzbischof Koch hielt nur eine kurze Predigt, eigentlich eher einen Impuls; darin setzte er die Hosanna-Rufe beim Einzug Jesu in Jerusalem ("Hosanna", so erläuterte er, bedeute "Herr, hilf doch!") zu der an dem gekreuzigten Jesus gerichteten Aufforderung "Rette dich selbst und steig herab vom Kreuz" (Mk 15,30) in Beziehung. Das war durchaus interessant, hätte für mein Empfinden aber noch der Vertiefung bedurft. Auch mit dieser Kurzpredigt dauerte die Messe allerdings gut über eineinhalb Stunden. 

Im Anschluss an die Messe stand noch "Begegnung im Pfarrsaal" auf dem Programm; allerdings zeigte sich, dass der Pfarrsaal von St. Joseph dafür eigentlich zu klein war und angesichts des Andrangs aus allen Nähten platzte. Anders als vor knapp drei Wochen in Maria, Hilfe der Christen gab es kein opulentes Fingerfood-Catering, sondern belegte Brötchen vom Sozialdienst Katholischer Männer – was ich grundsätzlich ausgesprochen sympathisch finde; allerdings war die Gesamtmenge des aufgetischten Essens erheblich zu knapp kalkuliert: Noch ehe der Erzbischof im Saal erschien, waren vom Büffet nur noch ein paar Schmalzstullen übrig. 

In einer Ecke des Raumes standen derweil vier oder fünf Vertreter der Gruppe "Synodale Gemeinde" beisammen, guckten wichtig und warteten darauf, dass der Erzbischof Zeit für sie hatte. Ein bisschen fühlte ich mich an die Amphitheater-Szene aus "Das Leben des Brian" erinnert: 

"Was ist eigentlich aus der Synodalen Gemeinde geworden?" – "Die sitzt (bzw. steht) da drüben." 

Im Ernst: Sich in einem so überfüllten Saal so auffällig von allen anderen abzusondern, das muss man erst mal hinkriegen. – Wir blieben nicht mehr lange, da die Kinder allmählich ungeduldig wurden und wir uns außerdem noch um ein Abendessen kümmern mussten. Auf dem Weg nach draußen begegneten wir nochmals Erzbischof Koch, der bei dieser Gelegenheit ein paar freundliche Worte mit meiner Liebsten wechselte. Zu mir sagte er zum Abschied: "Schön, dass wir uns heute so oft gesehen haben." 

Das fand ich auch. 


3 Kommentare:

  1. Bei "Synodale Gemeinde" weiß man eben, wie man einen Troll füttert. Hat ja auch geklappt. :-))

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  2. Kindisch, Herr Esser!

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  3. Meinen Sie mich? Wer sind Sie denn, Anonymus/-a?

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