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Freitag, 13. Oktober 2023

Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #51

Willkommen beim nur noch unwesentlich verspäteten Wochenbriefing, Leser! Ja, der reguläre Erscheinungstermin wäre gestern gewesen, aber das ist ja, nachdem wir vor nicht allzu langer Zeit noch einen Rückstand von beinahe zwei Wochen hatten, kaum noch der Rede wert... Freut euch also mit mir auf den Bericht über die Woche vom 6.-12. Oktober – und darauf, dass das nächste Wochenbriefing wieder pünktlich erscheinen wird!

Symbolbild: Achilleus hat die Schildkröte (fast) eingeholt. Dank Kaffee. 


Spandau oder Portugal 

Am Sonntag, dem 8. Oktober – dem 27. Sonntag im Jahreskreis – gingen wir "ganz normal" (und ohne größere Schwierigkeiten mit dem ÖPNV) mit der ganzen Familie in St. Joseph Siemensstadt zur Messe; der örtliche Pfarrvikar zelebrierte, und in der ersten Reihe saßen sieben Kinder aus dem neuen Erstkommunionkurs. Wie der Pfarrvikar nebenbei erwähnte, waren zuvor in St. Stephanus weitere sieben gewesen, womit also rund zwei Drittel des Erstkommunionkurses an diesem Sonntag in der Messe waren; ich bin geneigt anzunehmen, dass das eine bemerkenswert gute Quote ist, aber der Kurs hat ja auch gerade erst angefangen. Jedenfalls nahm der Pfarrvikar die starke Präsenz angehender Erstkommunionkinder zum Anlass, diesen in der Messe eine Katechese über die Messe zu erteilen. Dies tat er einerseits dadurch, dass er an verschiedenen Punkten der Liturgie kurze Erläuterungen darüber einschob, was gerade geschah und was das bedeutete, andererseits und vor allem aber in der Predigt, die er – abgesehen von einigen am Ende angefügten Sätzen "für die Erwachsenen" – als Dialog mit den Kindern gestaltete. Bisher war ich immer der Meinung gewesen, die Messe zu feiern und eine Katechese über die Messe zu halten seien zwei verschiedene Dinge, die man nicht miteinander vermischen sollte; Versuche anderer Geistlicher in anderen Gemeinden, beides gleichzeitig zu tun, hatte ich eigentlich immer als peinlich und ungelenk empfunden. Aber so, wie der Pfarrvikar es hier machte, fand ich es gut; und für diesen Sinneswandel gibt es sicherlich mehrere Gründe. Zum einen habe ich jetzt selber Kinder, und meine Älteste nähert sich langsam aber sicher dem Erstkommunionalter. (Ich machte meine Tochter mehrfach darauf aufmerksam, dass die an die Kinder gerichteten Erläuterungen des Priesters auch für sie seien, und antwortete flüsternd auf ihre Nachfragen; im Übrigen hatte ich den Eindruck, sie wäre durchaus in der Lage gewesen, im "Predigtgespräch" ähnlich sinnvolle Antworten auf die Fragen des Priesters zu geben wie die ein paar Jahre älteren Kinder aus dem Erstkommunionkurs.) Ein weiterer Aspekt ist sicherlich, dass der Pfarrvikar einfach "gut mit Kindern kann" – dass er im Umgang mit ihnen weder herablassend noch anbiedernd noch pedantisch wirkt; das ist, wie mir scheint, nicht nur unter Geistlichen, sondern überhaupt unter Erwachsenen eine nicht allzu häufig anzutreffende Gabe. Und dann kommt noch etwas hinzu, was meine Liebste auf ihre unnachahmliche Art wir folgt formulierte: "Es ist halt hilfreich, wenn man selbst an das glaubt, was man da vorne erzählt. Dann hat man auch seine Prioritäten klar." – Ja, meine Liebste ist ziemlich hardcore. Könnte damit zusammenhängen, dass sie als Teenager gläubig geworden ist. An der Aussage ist aber zweifellos was dran. "Wenn der Lektor hier steht und die Lesung vorträgt oder der Priester das Evangelium, dann spricht Gott zu euch. Da müsst ihr gut zuhören", erklärte der Pfarrvikar den Kindern. Im Predigtgespräch nutzte er Jesajas Lied vom Weinberg (Jes 5,1-7) für eine Einführung in die metaphorische Redeweise biblischer Texte: Diese müsse man "lernen wie eine andere Sprache, zum Beispiel Englisch"; allerdings sei es "zum Glück viel einfacher", ja er meinte sogar, im Grunde sei die Bibel "kinderleicht" zu verstehen. Da würde nun sicherlich so mancher Theologe die Stirn runzeln und mürrisch "Fundamentalismus!" murmeln; aber ich möchte mal zu bedenken geben: Wenn man Kindern vermittelt, die Bibel sei viel zu kompliziert für sie und sie könnten sie gar nicht verstehen, muss man sich nicht wundern, wenn sie das Interesse an ihr verlieren (oder gar nicht erst entwickeln). 

Im Übrigen ist – ich erwähnte es bereits – die zweite Nummer des gemeinsamen Pfarrbriefs für die Großpfarrei Heilige Familie Spandau-Havelland erschienen, und natürlich muss ich auch darüber ein paar Worte verlieren. Wir erinnern uns, dass die erste Ausgabe dieses Pfarrbriefs mir den Eindruck vermittelt hat, die Synodalbewegten hätten die Redaktion fest im Griff, was in einem gewissen Missverhältnis dazu stehe, dass sie in dieser Pfarrei ansonsten keine so große Rolle zu spielen scheinen. Schon dass dem Pfarrbrief der Name "Auf neuen Wegen" gegeben wurde, ist in dieser Hinsicht vielsagend, auch wenn dieser Name sich vordergründig auf den gemeinsamen Weg der in der neuen Großpfarrei zusammengeschlossenen Gemeinden bezieht. Zudem stand die Erstausgabe unter dem Oberthema "Wandel", in der zweiten Nummer lautet das Oberthema "Vielfalt". Ich erwähnte es ja schon mal: Theoretisch sind "Vielfalt" und "Buntheit" in progressiven Kreisen positiv besetzte und mit großem Pathos propagierte Begriffe, aber inwieweit das ihrer tatsächlichen Einstellung entspricht und sich in ihrem Verhalten niederschlägt, ist eine andere Frage. – "Vielfalt ist bunt" lautet denn auch die Überschrift des ersten Artikels in dieser neuen Pfarrbrief-Ausgabe, womit der Einführung eines neuen Farbschemas für die verschiedenen Rubriken des Pfarrbriefs offenbar ein höherer symbolischer Sinn verliehen werden soll. Mehr zur Sache geht's in einem Beitrag meines kritischen Lesers und Kommentarschreibers Egidius unter der Überschrift "Vielfalt – biblisch". Dieser Titel ist insofern etwas irreführend, als biblische Belege für den Wert der Vielfalt (angeführt werden 1 Kor 12,7-25 und Gal 3,27-28) nur einen eher kleinen Teil des drei Seiten langen Texts ausmachen; der eigentliche Dreh- und Angelpunkt des Artikels ist ein Satz aus dem Pastoralplan der Großpfarrei: "Wir wollen in unserer Pfarrei die Einheit in der Vielfalt leben." Mir kommt es so vor, als sei das eine Formulierung, die man schon so oft gehört hat, dass man unwillkürlich aufhört, sich zu fragen, woher sie eigentlich stammt und ob sie nicht eigentlich umgekehrt lauten müsste. Übrigens ist "Einheit in der Vielfalt" – auf Lateinisch "In varietate concordia" – zufällig auch das Motto der Europäischen Union, aber ich bitte, daran keine Verschwörungstheorien zu knüpfen. Egidius jedenfalls bemerkt ungefähr in der Mitte seines Artikels: "Die Delegierten des Synodalen Wegs in Deutschland setzten im Februar 2022 denselben Akzent wie unser Pastoralkonzept, als sie die 'Theologischen Grundlagen des Synodalen Weges' beschlossen: Einheit der Kirche meint nicht Uniformität." (Das Zitat aus den "Theologischen Grundlagen des Synodalen Weges" geht noch weiter, und es ist durchaus bemerkenswert, was dort darüber gesagt wird, worin die Einheit der Kirche denn nun wirklich bestehe – zumal in den späteren Debatten und Beschlüssen der Synodalversammlungen von dem hier beschworenen Verständnis von "Einheit im gemeinsam geteilten Glauben, in den Sakramenten und in der Gemeinschaft der Kirche unter dem Nachfolger des Apostels Petrus" nicht mehr viel zu spüren war. Das scheint auch Egidius aufzufallen, der anmerkt: "Dem Synodalen Weg wird von manchen etwas anderes nachgesagt[...]. Nein, hier steht es anders." Na wie schön. Ich denke da ja eher an Schiller, Die Piccolomini, IV. Akt, 7. Auftritt. Aber lassen wir das hier.) 

Am Schluss des Artikels wird "die Vielfalt von Charakteren, Fähigkeiten und Vorlieben" in der Spandauer Pfarrei gepriäesen, "die unterschiedlichen Lebens- und Ausdrucksformen, seien es Messfrömmigkeit, Anbetung, Rosenkranz oder Stundengebet, 'FEIERabend' mit 'Wolke 7', Marienverehrung, Mitarbeit in der Suppenküche, Ökumene oder Jugendarbeit: jedes ein Ausdruck persönlicher Spiritualität. Frauengemeinschaft, Pfadfinder und Kolpingsfamilie, Neokatechumenaler Weg, Chöre, Musik- und Gebetsgruppen, Gruppe Synodale Kirche/Maria 2.0, Familien- und Seniorenkreise und Ministranten verwirklichen jeweils mit eigenem Akzent zusammen die Vielfalt des Christlichen." Das klingt ja sehr inklusiv und friedfertig und weist damit demjenigen, der nun etwa einwenden wollte, die aufgezählten Elemente seien eben nicht alle gleichwertig und gleichermaßen gut katholisch, die Position des intoleranten Spalters zu. Indes hat ja gerade der Synodale Weg gezeigt, wie es um die Toleranz der "Progressiven" bestellt ist, sobald sie sich in einer überlegenen Position sehen. In diesem Zusammenhang mag man – auch wenn ich nicht so weit gehen würde, den Synodalen Weg mit dem Bösen schlechthin zu identifizieren – an einen Satz des emeritierten Erzbischofs von Philadelphia, Charles J. Chaput, denken: "Das Böse predigt solange Toleranz, bis es eine dominante Stellung innehat. Dann versucht es das Gute zum Schweigen zu bringen." Dass im hier besprochenen Text die "Gruppe Synodale Kirche/Maria 2.0" so bescheiden als eine Facette des Katholischen in trauter Eintracht mit dem Neokatechumenalen Weg, Anbetung und Rosenkranz erscheint, darf man dieser Logik nach wohl als ein Zeichen von Schwäche bewerten, und das hat ja auch was Beruhigendes. 

Im Übrigen trägt diese Pfarrbrief-Ausgabe ihrem Oberthema "Vielfalt" auch insofern Rechnung, als darin das Pastoralteam – bestehend aus dem Pfarrer, vier Pfarrvikaren und zwei Gemeindereferenten (m/w) – sowie diverse Kreise und Gruppen der Gemeinden mit ihren jeweiligen Aktivitäten vorgestellt werden. Das ist ausgesprochen informativ, und auf den einen oder anderen Punkt sollte man da wohl noch mal näher eingehen; aber das hat ja noch Zeit: Die nächste Ausgabe des Pfarrbriefs erscheint voraussichtlich erst im Advent. 


Währenddessen in Tegel 

Unlängst schrieb ich noch, beim Projekt "Religiöse Frühförderung für den Jüngsten" zeichne sich allmählich ein festes Wochenschema ab; aber dann kam die erste Oktoberwoche und brachte dieses Wochenschema gründlich durcheinander, denn am Dienstag war Feiertag und am Freitag hatte meine Liebste außerplanmäßig unterrichtsfrei und machte mit dem Kleenen einen Ausflug, während die Große sich freiwillig dafür entschied, lieber zur Schule zu gehen (!). Danach erwies es sich als schwierig, wieder zum einmal etablierten Wochenschema zurückzukehren – wozu auch schwankende Mittagsschlafzeiten beitrugen, verbunden mit der Tatsache, dass mein Herr Sohn sehr launisch wird, wenn er nicht rechtzeitig seinen Mittagsschlaf bekommt. Am Dienstag hielten wir daher keine Lobpreisandacht in St. Joseph Tegel ab, aber als der Knabe endlich im Kinderwagen eingeschlafen war, kehrte ich mit ihm in Herz Jesu ein und betete dort den Rosenkranz (es ist ja gerade Rosenkranzmonat). Am Mittwoch, dem Gedenktag des Hl. Papstes Johannes XXIII., gingen wir wieder – zum sechsten Mal in Folge – in St. Marien Maternitas zur Messe; auf dem Weg dorthin fragte ich mich, welcher Priester denn wohl diesmal "dran" wäre, und dachte: Am liebsten wäre mir der nigerianische Pfarrvikar, der meinen Sohn, wie schon mal erwähnt, auch getauft hat; am zweitliebsten der neue Pfarrvikar (aus Neugier); und am drittliebsten Pater Mephisto. Nicht aufs Treppchen schafft es mithin der leitende Pfarrer, aber wie dem auch sei, mir wurde diesmal mein erster Wunsch erfüllt. Die Messe verlief ohne besondere Vorkommnisse und das anschließende Frühstück ebenso; während des Mittagsschlafs des Juniors betete ich erneut einen Rosenkranz in Herz Jesu. Erst am Donnerstag, und somit nach fast vollen zwei Wochen, kamen wir dazu, mal wieder eine kleine Lobpreisandacht abzuhalten, und zwar wiederum St. Joseph Tegel. Mein Jüngster hatte das "Beten mit Musik", wie wir es untereinander nennen, wohl auch schon vermisst, denn am Ende der Andacht forderte er energisch noch ein weiteres (viertes) Lied. Den Wunsch erfüllte ich ihm natürlich gern und spielte zum Abschluss "Wir lieben deinen Namen" von Sebastian und Veronika Lohmer. 

Übrigens fiel mir in der Kirche ein Wandbild auf, zu dem ich noch ein paar Sätze anmerken möchte. Noch gegen Ende der Zeit, in der meine Liebste und ich in der Tegeler Pfarrei aktiv waren, hatte eine Gruppe von KiTa-Eltern in St. Joseph eine "Familienandacht" ins Leben gerufen; bei der ersten Veranstaltung dieses Formats waren wir und fanden sie gar nicht schlecht. Inzwischen finden diese Familienandachten regelmäßig statt – ungefähr einmal im Monat, glaube ich –, und zwar sonntags vormittags, was in Hinblick auf die vieldiskutierte Alternative "Familienmesse oder separater Kinderwortgottesdienst?" im Grunde the worst of both worlds ist: Die ganze Familie kommt nicht in die Messe. Dass den Veranstaltern nicht in den Sinn zu kommen scheint, dass das irgendwie problematisch sein könnte, finde ich recht vielsagend; aber über die inhaltliche und gestalterische Qualität der Familienandachten sagt das wohl noch nicht zwingend etwas aus. – Jedenfalls ist mir in jüngster Zeit, wenn ich die Kirche St. Joseph Tegel besuchte, aufgefallen, dass dort neuerdings am Rande des Altarraums stets ein Wandbild hängt, das sich auf das Thema der jeweils letzten zurückliegenden Familienandacht bezieht; offenbar werden diese Bilder in der jeweiligen Familienandacht gemeinsam erstellt und bleiben dann bis zur nächsten in der Kirche hängen. – Nun war die jüngste Familienandacht in St. Joseph just am vergangenen Sonntag gewesen, aber inhaltlich war es darin, wie das aktuelle Wandbild verriet, offenbar um das Evangelium vom Sonntag davor gegangen: das Gleichnis von den Ungleichen Söhnen, um das es ja auch im Kinderwortgottesdienst in St. Stephanus Haselhorst gegangen war. Was ich bei der Besprechung dieses Kinderwortgottesdienstes zu erwähnen vergessen hatte, ist, dass es eine sehr hübsche und witzige Version dieses Gleichnisses in dem entzückenden Buch "Jesus erzählt von Schafen, Perlen und Häusern" von Nick Butterworth und Mick Inkpen gibt. Und nun entdeckte ich Illustrationen aus genau dieser Version der Geschichte als Bestandteil des Familienandachts-Wandbildes! 

Also, ich muss sagen: Dass der Familienandachts-Arbeitskreis in St. Joseph Tegel mit diesem Buch arbeitet, gefällt mir wirklich gut. 

Neues von den Wichteln wird es erst im nächsten Wochenbriefing geben; dafür gibt's diesmal aber Neues aus der lange vernachlässigten Rubrik 


Was ich gerade lese 
Bruce Low, geboren 1913 als Ernst Gottfried Bielke in Paramaribo in der damaligen niederländischen Kolonie Suriname, gestorben 1990 in München, war in den 1950er Jahren in Deutschland als Schlagersänger, vorwiegend mit Cowboy- und Seemannsliedern, sowie als Musicaldarsteller erfolgreich; nachdem er durch die Rock'n'Roll- und Beat-Welle einen Karriereknick erlitten hatte, feierte er in den 70er Jahren ein Comeback mit teilweise parodistisch anmutenden Nachdichtungen traditioneller Spirituals bzw. Gospel-Songs und anderen Liedern mit religiöser Thematik (so coverte er 1978 das durch die Disco-Truppe Boney M. populär gewordene "Rivers of Babylon" unter dem Titel "Die Legende von Babylon"). Dass er – der Sohn eines Missionars der Herrnhuter Brüdergemeinde – diese religiösen Themen stets mit einem gewissen süffisanten Humor behandelte, hinderte ihn nicht daran, z.B. 1980 beim Katholikentag aufzutreten. – Nachdem ich Lows Autobiographie zu etwas mehr als einem Drittel durchgelesen habe, muss ich sagen: Ich weiß nicht genau, was ich von der Lektüre erwartet habe, aber jedenfalls nicht das, was ich bis hierher vorgefunden habe, nämlich eine romanhaft erzählte Mordgeschichte aus einer Missionsstation in der Kolonialzeit. Teile der Handlung – in der der Ich-Erzähler kaum eine besonders signifikante Rolle spielt, zumal er zu dieser Zeit erst vier oder fünf Jahre alt ist – könnte man sich mit nur wenigen Änderungen als Nebenhandlungsstrang eines Romans von Sir John Retcliffe vorstellen, manche Details erinnern an Jack Londons Südsee-Erzählungen. Es handelt sich also durchaus um eine spannende und gut erzählte Geschichte, aber der Umstand, dass sie gut ein Drittel eines Buches einnimmt, das eigentlich die Autobiographie eines Schlagersängers sein sollte, wirft doch zumindest Fragen auf. Ginge es dabei nur darum, das Publikum mit Spannung und Exotik zu unterhalten, wäre das wohl ein schlechter Tausch dafür, wie sehr die berechtigten Erwartungen der Leser und Käufer (!) des Buches unterlaufen damit unterlaufen werden. Nach und nach stellt sich allerdings der Eindruck ein, Low verfolge mit dieser Episode noch eine andere Absicht: Gewissermaßen an dieser Geschichte entlang versucht er gleichzeitig darzustellen, wie ihm, dem Missionarssohn, der Glaube seiner Väter schon früh fragwürdig wurde. Eine große Rolle spielt dabei die Verteufelung von Sexualität, die Low zu Recht oder zu Unrecht in der Konfession seiner Eltern wahrzunehmen meint. – Wie dem auch sei, ich gehe davon aus, dass im Handlungsverlauf des Buches demnächst mal ein größerer Zeitsprung fällig wird, sonst ist das Buch zu Ende, bevor Bruce Lows Karriere als Schlagersänger überhaupt begonnen hat. Und das wäre ja nun wirklich bizarr

Dieses Buch hat mein Jüngster unlängst in einer Büchertelefonzelle entdeckt, und ich dachte mir: Kann man ja mal mitnehmen. Als ich es wenig später dem Tochterkind als Gutenachtlektüre vorschlug, verband ich damit die Hoffnung, es würde mir beim Vorlesen mehr Spaß bereiten als die diversen Buchreihen über Einhörner, Meerjungfrauen, Elfen und Wolkenpferde, die sie sich aus der Kinder- und Jugendbuchabteilung der örtlichen Stadtteilbibliothek auszuleihen pflegt (wobei die teilweise gar nicht so doof sind, wie man denken könnte, aber dazu vielleicht ein andermal). Und ich wurde nicht enttäuscht: Das Buch "Rabenspaß in der Regenwassergasse" enthält drei in sich abgeschlossene Episoden aus dem turbulenten Alltag der Familie Jones, die im fiktiven Londoner Stadtteil Rumbury lebt und einen Raben namens Mortimer als Haustier hält. Wie es sich für einen literarischen Raben gehört, sagt Mortimer gern "Nimmermehr!"; auch sonst ist er sehr intelligent, allerdings auch äußerst gefräßig und stets darauf bedacht, Chaos anzurichten. Innigst geliebt wird Mortimer von Arabel, der Tochter der Familie Jones, die zugleich, gerade im Kontrast zu ihren auf unterschiedliche Weise schrulligen Eltern, ein Ausbund an Besonnenheit und gesundem Menschenverstand ist. (Wie alt sie ist, wird nicht explizit gesagt oder ich habe es mir nicht gemerkt, aber ich würde mal schätzen: Grundschulalter.) In der ersten und längsten Erzählung des Bandes, "Arabels Geburtstag", wird Arabel zusätzlich gegen eine etwa gleichaltrige, arg verzogene Cousine kontrastiert, die jede Menge teures Spielzeug besitzt – insbesondere elektronisches Spielzeug, das im Grunde mit sich selber spielt und gar keinen Menschen braucht; Michael-Ende-Kenner mögen sich an "Bibigirl, die vollkommene Puppe" aus "Momo" erinnert fühlen. Auch ein Buch, das schon seit einiger Zeit auf meiner Vorschlagsliste für die Gutenachtlektüre steht. Vorläufig wäre ich aber auch ganz zufrieden, wenn ich irgendwo noch mehr "Arabel & Mortimer"-Bücher auftreiben könnte; soweit ich bisher ermitteln konnte, umfasst die Reihe im Original mindestens 16 Teile, und in deutscher Übersetzung sind mindestens sieben Bände erschienen, zum Teil, wie im vorliegenden Fall, mit mehreren Geschichten in einem Band. Wie ich außerdem herausgefunden habe, produzierte die BBC 1993/94 eine 36-teilige Puppentrickserie "Mortimer and Arabel". Die gibt's aber offenbar nicht auf Deutsch. 


Aus dem Stundenbuch

Du selige Kirche! Es gab eine Zeit, da du hörtest, und eine Zeit, da du sahst. Du hörtest in den Verheißungen, und in der Verwirklichung schautest du. Du hörtest in der Weissagung und schautest im Evangelium; denn alles, was sich jetzt erfüllt, war schon vorausgesagt.

Heb also deine Augen, und lass sie durch die Welt schweifen! Sieh das Erbe bis an die Enden der Erde! Sieh, schon erfüllt sich, was gesagt wurde: "Alle Könige müssen ihm huldigen, alle Völker ihm dienen" (Ps 72,11). Siehe, schon ist das Wort erfüllt: "Erheb dich über die Himmel, o Gott! Deine Herrlichkeit erscheine über der ganzen Erde" (Ps 108,6)

Schau auf ihn, den Gekreuzigten: Seine Hände und Füße festgenagelt, seine Gebeine hängen am Holz, und man kann sie zählen. Um sein Gewand werfen sie das Los. Siehe, den sie da hängen sahen, der herrscht als König! Siehe, den sie verachteten, als er auf der Erde wandelte, er thront im Himmel. Sieh, so wird das Wort erfüllt: "Alle Enden der Erde sollen daran denken und werden umkehren zum Herrn: Vor ihm werfen sich alle Stämme der Völker nieder" (Ps 22,28). Wenn du das alles siehst, dann rufe voll Freude: Wie wir’s gehört haben, so erlebten wir’s jetzt. 

(Augustinus, Auslegung zu Psalm 48) 

 

Ohrwurm der Woche 

Bruce Low: Rum aus Jamaica 


Da ich nicht unbedingt annehme, dass meine geschätzten Leser den weiter oben erwähnten Bruce Low kennen, hier eine Kostprobe seines Schaffens – nicht aus dem Fundus seiner Gospel-Parodien und religiösen Schlager (wer sich diese antun mag, dem empfehle ich den Song "Gestern wollt' ich beten geh'n" – das ist noch einer der erträglichsten und gleichzeitig einigermaßen "repräsentativ"), sondern mit einem klassischen Seemannslied, vorgetragen im Rahmen eines Gastauftritts in der legendären NDR-"Haifischbar". Am Tisch, mit Kapitänsmütze, ist übrigens Ralf Bendix zu sehen – der heute wohl allenfalls noch für seinen Nr.-1-Hit "Babysitter-Boogie" von 1961 bekannt ist, aber ebenfalls eine interessante Rolle in der Geschichte des religiösen Schlagers und des frühen NGL gespielt hat


Preview auf Nr. 52 

Im Grunde kann ich natürlich noch gar nicht wissen, was es im nächsten Wochenbriefing so alles zu berichten geben wird, schließlich hat der Berichtszeitraum kaum erst begonnen. Ein paar Dinge sind aber doch schon absehbar: So steht am morgigen Samstag eine neue Wichtelgruppen-Schnupperstunde an und tags darauf mein erster Einsatz als Kinderwortgottesdienst-Mitarbeiter. Das dürfte einiges an Stoff ergeben; und eine neue Bettlektüre wird es auch zu besprechen geben, nämlich "Ruby Fairygale – Der Ruf der Fabelwesen" von Kira Gembri. Was alles Weitere betrifft, gilt: Lass dich überraschen, Leser – ich tue es auch! 


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