Ende
November gab es in unserem Pastoralverbund (der noch nicht offiziell
zum „Pastoralen Raum“ ernannt worden ist) eine sogenannte
„Tauferinnerungsfeier“, eine Art Andacht für Familien, in
denen im Laufe des zurückliegenden Jahres ein Kind getauft worden
ist. Geleitet wurde die Feier von der Gemeindereferentin, der Pfarrer
spielte Gitarre. Ich hatte den Eindruck, unter den anwesenden Eltern
waren meine Liebste und ich die einzigen, die die Veranstaltung –
bei aller Wertschätzung gegenüber der grundsätzlichen Idee –
nicht so richtig gelungen fanden. Zum Beispiel kam mir die Gestaltung
nicht wirklich altersgerecht vor. Sicher, auch in der
katholischen Kirche werden nicht alle Kinder im selben Alter getauft,
aber in der Praxis kann man doch wohl davon ausgehen, dass die
meisten Kinder, deren Taufe weniger als ein volles Jahr
zurückliegt, noch unter drei Jahren alt sind, und so war es bei
dieser Veranstaltung auch tatsächlich. Trotzdem schien die
Gestaltung eher auf Kinder im Vorschulalter ausgerichtet zu sein.
Davon hatten die Kinder, meiner Einschätzung nach jedenfalls,
herzlich wenig. Warum macht man das dann? Antwort: Wegen der Eltern.
Man geht – in der Regel wohl zu Recht, wenn man von Ausnahmefällen
wie meiner Liebsten absieht – davon aus, dass Eltern, die ihre
Kinder taufen lassen, selbst relativ „kirchennah“
aufgewachsen sind und daher auf eine bestimmte Vorstellung
davon geprägt sind, wie eine „kindgerechte Gestaltung“ im
kirchlichen Rahmen auszusehen habe. Und diese
Erwartungshaltung wird dann eben bedient. Was naturgemäß
darauf hinausläuft, dass Kindergottesdienste oder andere Formen
kirchlicher „Angebote“ für Familien mit jungen Kindern heute
nicht wesentlich anders aussehen als vor dreißig Jahren.
Die
meisten anderen Eltern bei dieser Veranstaltung kannte ich übrigens
nicht oder maximal vom Sehen, mit einer Ausnahme: Eine Mutter und
ihren schätzungsweise noch nicht ganz zwei Jahre alten Sohn hatte
ich schon zuvor mehrfach in offenen Krabbelgruppen getroffen, und ein
paarmal auch beim Einkaufen. Neulich war ich dann mal wieder zusammen
mit ihr in einer Krabbelgruppe und bekam beiläufig mit, wie sie sich
im Gespräch mit einer offenbar befreundeten anderen Mutter darüber
beklagte, dass sie für ihren Sohn keinen Platz in der KiTa ihrer
Wohnortpfarrei bekommen habe, während diese KiTa andererseits
offenbar keine Probleme damit habe, Kinder aufzunehmen, deren Eltern
mit der Kirche überhaupt nichts am Hut haben. In diesem Zusammenhang
äußerte sie den bemerkenswerten Satz „Mir ist das Christliche
ja sehr wichtig“, und ich fragte mich unwillkürlich, was genau
sie damit wohl meint.
Es
geht mir hier wohlgemerkt nicht speziell um diese eine Person. Zumal
ich sie so gut nun auch nicht kenne, dass ich mir ein Urteil
über ihren Glauben zutrauen würde. (Falls Du mitliest: Hi! Ich weiß
Deinen Namen gar nicht, nur den Deines Sohnes.) Meine Frage bezieht
sich vielmehr ganz allgemein auf Eltern, die ihre Kinder an den
handelsüblichen kirchlichen Kinderbetreuungs- und
-bespaßungsangeboten teilnehmen lassen und mit dem, was da geboten
wird, offenbar recht zufrieden sind. Oder die zum Beispiel selbst
aktiv daran mitwirken. Da denke ich insbesondere an die zwei bis drei
Familien, aus denen sich das Team zusammensetzt, das bei uns in der
Pfarrei einmal im Monat einen „Familiengottesdienst“
gestaltet. An den anderen Sonntagen des Monats sieht man diese
Familien praktisch nie in der Kirche, und die
Gestaltungselemente, die sie in die „Familiengottesdienste“
einbringen, erwecken in aller Regel den Eindruck, dass sie von den
Basics des christlichen (geschweige denn des spezifisch
katholischen) Glaubens nicht sonderlich viel verstanden haben.
Dennoch ist ihnen „das Christliche“, so wie sie es
verstehen, ja anscheinend irgendwie „wichtig“, denn sonst
würden sie das ja wohl nicht machen.
Das
bringt mich jetzt wieder darauf, dass Kindergottesdienste und
-katechesen in katholischen Pfarreien, meiner persönlichen Erfahrung
zufolge, vor dreißig Jahren schon im Wesentlichen genauso aussahen
wie heute. Mit anderen Worten, viele heutige Eltern, darunter auch
solche, die als haupt- oder ehrenamtliche Katecheten tätig sind,
sind in ihrer eigenen „kirchlichen Kindheit“ mit nichts anderem
gefüttert worden als mit mehr oder weniger deutlich moralisierend
angestrichenen „Gott hat uns alle lieb“-Plattitüden und denken
daher, das müsste so sein. Worauf ich bis vor Kurzem aber
nicht ernsthaft gekommen wäre, ist, dass sie das als etwas so
Wertvolles empfinden könnten, dass es ihnen wichtig ist, es
an ihre eigenen Kinder weiterzugeben.
Sehr
erhellend fand ich in diesem Zusammenhang einen unlängst in der
Zeit-Beilage „Antichrist & Unterwelt“
(#sorrynotsorry) erschienenen Artikel mit dem unverdächtigen Titel
„Christliche
Erziehung:
Die
Kinder, die Kirche und ich“; ein treffenderer Titel wäre
vielleicht gewesen „Hilfe, meine Kinder sind frömmer als ich“.
Der Verfasser des Beitrags ist ein junger Vater, der sich über die
Begeisterung seiner Kinder für alles, was mit Kirche zu tun
hat, nicht nur wundert, sondern sogar einigermaßen beunruhigt
darüber ist.
„Grundsätzlich entwickelte das ältere Kind während seines dritten Lebensjahrs eine klare Vorliebe für alles, was mit Kirche zu tun hatte. Vorher hatte es sich in kleinkindtypischer Indifferenz überall mit hinnehmen lassen, zum Turnen, ins Familienzentrum, in den Park. Jetzt aber begann es nach der Kita zu fragen: 'Kirsse? Ja? Ja?'“
Ich
muss ja sagen, ich als Vater wäre froh, das von meinen
Kindern zu hören. Präziser gesagt: Meine (bislang einzige) Tochter
ist noch ein gutes Stück jünger als die Kinder von Christ &
Welt-Autor Johannes Schneider; bisher spricht alles dafür, dass
sie sich in der Kirche wohl und „zu Hause“ fühlt, und ich hoffe
(und bin gewillt mein Möglichstes dafür zu tun), dass das so
bleibt.
Nicht
so Johannes Schneider (hier übrigens eine Kurzbio mit Foto. Müssen
diese Leute eigentlich immer genau so aussehen, wie man sie
sich vorstellt?). Er legt Wert darauf, seinen Kindern ein „zugleich
linksliberales und traditionsprotestantisches Elternhaus“ zu
bieten, in dem die Kinder „mit einem bunten und nicht immer
widerspruchsfreien Strauß kultureller Angebote“ aufwachsen. Dass
seine Kinder dennoch nichts von alledem – „abgesehen vielleicht
vom Kölner Karneval“ – „derart nachhaltig“ begeistert „wie
alles, was mit Kirche, Glauben und Bibelgeschichten zu tun hat“,
erscheint ihm befremdlich: „Wie kann das sein?“ Natürlich hat er
sich Gedanken darüber gemacht – und formuliert eine „kühne
These“, die bei aller Unausgegorenheit wohl doch ein paar ganz
bemerkenswerte Teil-Einsichten enthält: Die Sphäre von „Bibel,
Jesus, Kinderkirche“ ist für die Kinder ein „Schutzraum“, ein
„Ausgleich“ gegenüber derjenigen Normalität, die sie
beispielsweise „an einer Integrationskita im Neuköllner Süden“
erleben. „In Zeiten, in denen kindliche Lebenswelten und
Kulturangebote für Kinder weitgehend optimal auf die kognitiven und
seelischen Fähigkeiten der jeweils adressierten Alterskohorte
abgestimmt sind, repräsentieren Kirche und Bibel Wirklichkeiten, die
das Archaische bei aller freundlichen Zugewandtheit doch nicht ganz
loswerden“, theoretisiert Schneider munter drauflos. „Es bleibt
eine Gegenwelt, die nicht nur grausamer, sondern auch größer,
feierlicher und älter ist als alles, was sich die Kinder sonst
vorstellen können“ – eine Gegenwelt zu „unserer eigenen, wie
wir sie den Kindern gemeinhin darstellen: beruhigt und mittelmäßig“.
Dass
Schneiders Kinder überhaupt mit dieser „Gegenwelt“ in
Kontakt gekommen sind, hat auch mit seiner eigenen Kindheit
und Jugend zu tun. Er stammt nämlich selbst aus einem in gewisser
Weise ausgeprägt „kirchennahen“ Milieu:
„Mein Großvater war Presbyter, Kirchenvorstand heißt das in einigen Gegenden, mein Vater Religionslehrer, meine Schwester studierte auf Pfarramt. Ich war der Hedonist an der Basis – kirchliche Freizeiten, Rumhängen in Jugendtreffs, Bandproben im Gemeindekeller.[…]
Als wir eigene Kinder bekamen, war das ein guter Anlass, in die Welt der evangelischen Gemeindehäuser zurückzukehren. Vorher war ich ihr über ein Jahrzehnt eher lose verbunden gewesen [...], Kirchenaustritt kein Thema [...]. Wie andere Leute Mitglied eines Vereins sind, hatte ich eine unhinterfragbare soziale Heimat [...]. Mit den Kindern hatte ich plötzlich einen Anlass, wieder mehr Zeit in einem altvertrauten Milieu zu verbringen.“
Nur
dass es den Kindern dort offenbar ein bisschen zu gut gefällt,
das bringt den jungen Vater ins Grübeln. „Ist es […] nicht
unverantwortlich oder zumindest komplett gegen unser aller Interesse,
meine Kinder in meiner Kirche und der Bibel zu beheimaten?“, fragt
er sich. „Muss ich sie nicht vor sich selber schützen?“ Geradezu
mit Erleichterung nimmt er zur Kenntnis, dass seine Kinder auf einem
ihrem Alter entsprechenden Niveau durchaus auch Glaubenszweifel
formulieren: „Da heißt es dann: 'Wieso muss denn Gott auf uns
aufpassen? Die Eltern passen doch auf die Kinder auf und die
Erwachsenen können selber auf sich aufpassen. Wozu brauchen wir denn
dann Gott? Wann stirbt Gott?' Oder auch: 'Gott hat die Milchzähne
nicht gemacht, oder? Die sind doch von allein gewachsen!'“ Solche
Zweifel, meint er, gilt es zu unterstützen: „Auf diese Fragen und
Anmerkungen nicht mit mir selbst unverständlichen Verweisen auf
Gottes Allmacht und Rätselhaftigkeit zu antworten, das ist das
Mindeste, was ich tun kann.“
Da
könnte man sich nun natürlich fragen: Was hat der gute Mann für
ein Problem? „Ich bin kein Vorbild im Glauben“, sagt er – und
er will
es auch nicht sein. Die „tieferen Mysterien des Glaubens“ sind
für ihn nie ein Thema gewesen, Pfingsten – die Aussendung des
Heiligen Geistes – ist für ihn „ein überaus merkwürdiges
Fest“. Bei „Berliner Partys“ erlebt er es durchaus mal, dass
sein Verhältnis zum Glauben „kurioses Gesprächsthema im Sinne
einer seltenen kulinarischen Vorliebe ist“; dann sagt er, dass
dieser Glaube „einfach da ist – und dass es schon einer krassen
Selbstaufgabe und Selbstzerlegung bedürfte, um ihn aus mir
herauszukriegen“. Und schließlich:
„[D]er Glaube hindert mich an nichts, weder daran, wissenschaftliche Befunde anzuerkennen, noch daran, im Alltag ein anständiger und rücksichtsvoller Mensch zu sein, Letzteres sogar im Gegenteil. Ob er nun eine rein kulturelle Schimäre ist oder es doch eine im weitesten Sinn mystische Substanz gibt, ob die Gottesnähe, die ich nur in Kirchen fühle, eine kindliche Selbsttäuschung ist oder doch mit irgendwas zu tun hat, das außerhalb meiner selbst liegt: Ehrlich, wen interessiert das?“
Interessant,
dass er diese
Haltung überhaupt
als „Glauben“
klassifiziert – aber ich will mich hier nicht lange damit
aufhalten, diese halbherzige Einstellung zu kritisieren; was ich
davon halte, mag sich jeder selbst ausmalen. (In der
angloamerikanischen Umgangssprache gibt es als Synonym für
„halbherzig“ übrigens auch den Ausdruck „halbärschig“, und
dass der mir persönlich besser gefällt, wird wohl niemanden
überraschen, der mich ein bisschen kennt.)
Zu
der illustrierten Kinderbibel, für die seine Kinder sich begeistern,
merkt Johannes Schneider an: „Mich nervte vor allem das
Gleichnis der Arbeiter im Weinberg, in dem die Weinleser alle den
gleichen Lohn bekommen, obwohl einige viel mehr gearbeitet haben als
andere.“ Also bitte, das ist jetzt schon ein bisschen dämlich.
Genau darum geht’s in dem Gleichnis doch. Dass es nach
weltlichen Maßstäben zu erwarten gewesen wäre, dass die Entlohnung
der Arbeiter im Verhältnis zur geleisteten Arbeit steht, dass solche
Maßstäbe im Reich Gottes aber nicht gelten.
Dem laut
Selbsteinschätzung „linksliberale[n]“ Schneider passt das nicht:
„Die hätten den Weinbergbesitzer lieber mal enteignen sollen“,
murmelt er, in der erklärten Absicht, seine Kinder zu irritieren.
Ähm. Für wen der Weinbergbesitzer im Gleichnis steht, ist ihm aber
schon klar, oder? Und dass es noch ein anderes Gleichnis gibt, in dem
die Pächter die Boten, die der Besitzer des Weinbergs zu ihnen
schickt, verprügeln und fortjagen und schließlich sogar seinen Sohn
ermorden, um den Weinberg für sich zu behalten? Fast hätte ich
Lust, an dieser Stelle über eine gutbürgerlich-mittelmäßige Amts-
und Volkskirche zu sinnieren, die Gott enteignet hat, um aus Seiner
Kirche einen gemütlichen Geselligkeitsverein zu machen, aber ich
will mir nicht vorgreifen.
Klar ist: Wäre die
Sorge, die eigenen Kinder könnten, wenn man sie in die Kirche
mitnimmt, religiöser werden, als einem lieb ist, bloß Johannes
Schneiders Privatschrulle, würde es sich kaum lohnen, darüber viele
Worte zu verlieren, und ich gehe davon aus, dass das auch die Christ
& Welt-Redaktion so gesehen haben würde. Wir müssen also
davon ausgehen, dass es sich um ein durchaus verbreitetes Phänomen
handelt. Und tatsächlich bin ich kürzlich in
einem Blogartikel meines Freundes Rod über eine Passage
gestolpert, die bemerkenswert gut zu Johannes Schneiders
Erfahrungsbericht passt (Übersetzung von mir):
„Es ist offensichtlich, dass allzu viele Eltern den Glauben gar nicht wirklich ernst nehmen wollen. Sie möchten zwar, dass ihren Kindern ein bisschen Glauben vermittelt wird, aber nicht in einem solchen Maße, dass sie sich wirklich darauf einlassen.“
So. Und die Folge daraus,
dass dies ein so verbreitetes Phänomen ist, besteht darin, dass sich
die im weitesten Sinne katechetischen Angebote für Kinder in einer
durchschnittlichen Kirchengemeinde an dieser Erwartungshaltung der
Eltern ausrichten. Man will schließlich niemanden verprellen. In
einer Leserzuschrift, die Rod als „Update“ an seinen
Blogartikel angehängt hat, wird berichtet, wie die Frau des
Leserbriefschreibers zusammen mit dem Diakon ihrer Pfarrei ein
Konzept entwickelte, das die Verantwortung für Kinderkatechese und
Sakramentenvorbereitung prinzipiell in die Hände der Eltern
legen wollte – und zu diesem Zweck vorsah, in der Gemeinde
regelmäßige Kurse für die Eltern anzubieten statt für die
Kinder. Das Projekt scheiterte daran, dass der Pfarrer der Gemeinde
voraussagte, die Eltern würden nicht mitziehen. Was vermutlich eine
realistische Einschätzung war – aber was glaubt man auf längere
Sicht mit dem vorherrschenden Modell einer als kostenlose
Dienstleistung angebotenen Minimalkatechese, die darauf ausgerichtet
ist, niemanden zu überfordern, niemandem auf die Füße zu treten
und auf keinen Fall irgendwie „fundamentalistisch“ zu wirken, zu
erreichen? Nach allem, was ich in katholischen Pfarreien in
verschiedenen deutschen Diözesen an Kindergottesdiensten und
-katechesen miterlebt habe, muss ich sagen, es ist kein Wunder, wenn
man den Großteil der Kinder, die zur Erstkommunion gehen, erst
wiedersieht, wenn die Firmvorbereitung ansteht, und nach der Firmung
dann überhaupt nicht mehr. Ich muss es noch schärfer formulieren:
Ein Wunder wäre es, wenn es anders wäre. Fast könnte man
auf die Idee kommen, genau dieses Ergebnis wäre beabsichtigt.
Beziehen wir diese
Feststellungen nun wiederum auf Johannes Schneiders Beitrag in der
Christ & Welt, dann könnte man sich natürlich fragen:
Macht er sich womöglich unnötige Sorgen? Wenn er selbst, wie er es
ja beschreibt, gerade durch sein kirchennahes Aufwachsen ja
offenbar erfolgreich gegen ein allzu großes Ernstnehmen des Glaubens
immunisiert wurde, wieso vertraut er dann nicht darauf, dass
die Kirche das bei seinen Kindern genauso hinkriegt? Hier wird es nun
richtig interessant. Der Autor zeigt sich nämlich überzeugt, dass
die Art von harmloser Mittelklasse-Religiosität, in der er sich zu
Hause fühlt – die „leicht verstaubte und sehr verweltlichte
Amtskirche, die ich kenne und liebe“ –, keine Zukunft hat.
Mit anderen Worten, er sieht auf längere Sicht (er spricht von „
20 Jahren“) keinen gangbaren Mittelweg zwischen einem – wie er es
formuliert – „glaubensstarken“ Atheismus und einem radikalen
Entscheidungschristentum, das er mit „frömmelnden
Freikirchlern“ assoziiert. „[U]nd mit dem frömmelnden Charisma,
das die meisten Freikirchen durchweht, kann man mich einmal zum
Nordpol und zurück jagen.“ Wenn es hierbei nur um einen bestimmten
Stil der religiösen Praxis und des Redens über den Glauben
ginge, wäre ich vielleicht sogar geneigt, ihm tendenziell
zuzustimmen. Entscheidend ist für ihn aber offenbar etwas anderes:
Nämlich, dass er „gar nicht will“, dass seine Kinder den
christlichen Glauben „wortgetreu Buchstabe für Buchstabe nachbeten
oder sogar anderen damit missionarisch auf die Nerven gehen“. Ihnen
aber eine so mittelmäßige, halbherzige religiöse Sozialisation
angedeihen zu lassen, wie er selbst sie erfahren hat, würde sie, so
meint er, nur mit „einer unstillbaren Sehnsucht“ zurücklassen.
Nun, Johannes Schneiders
persönliche Einstellungen will ich nicht weiter kommentieren, auch
wenn seine Kinder mir ein bisschen leid tun (aber das wäre umgekehrt
vermutlich genauso). Seine Prognosen hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit
einer sozial unauffälligen, angepassten, in jeder Hinsicht
„harmlosen“ Kirchlichkeit halte ich jedenfalls für alles andere
als weit hergeholt – und wundere mich daher nur umso mehr über
diejenigen Akteure im institutionellen Apparat der deutschen
Großkirchen, die ihre Zukunft gerade in einer noch größeren
Vagheit und Unverbindlichkeit der Lehre, einer noch
entschlosseneren Angleichung an den gesellschaftlichen Mainstream
sehen. Denn das liefe – selbst wenn wir das Fass der Frage nach
überzeitlich gültigen Wahrheiten an dieser Stelle gar nicht erst
aufmachen wollen – schließlich darauf hinaus, gerade jene Chance zur
Differenzerfahrung niederzuwalzen, von der Johannes Schneider
glaubwürdig beschreibt, wie sehr sie seine Kinder fasziniert.
Er sieht tatsächlich genau so aus wie man sich solche Leute vorstellt! 😁
AntwortenLöschenEs braucht nur konsequent coolere Freizeitangebote sonn- und feiertags für die Kids anstelle Kirchgang.
AntwortenLöschenDann erledigt sich die Sorge um frommere Kinder als es die Eltern sind, ganz wie von selbst.
Das ist unsere leidvolle Erfahrung mit den Enkeln.
Die Haltung erinnert mich ein bißchen an meine atheistischen Eltern, obwohl ich meine Eltern über den Tod hinaus liebe und sie für hochgescheite Menschen halte.
AntwortenLöschenIch wurde in der ersten Klasse zum evangelischen Religionsunterricht angemeldet, weil in der Bibel so schöne Geschichten stehen, auch wenn man die nicht glauben muss, und weil das überhaupt mit Kultur zu tun hat. (Vor einiger Zeit fand ich mein Religionsheft von damals und hatte den klaren Beweis, daß ich dort nichts gelernt habe.)
Nun ist ja einigen Leuten bekannt, daß ich katholisch bin und mir das sehr wichtig ist. Daher läßt mich dieser seltsame Mensch das Beste für seine Kinder hoffen. Ich kann ihm nur voraussagen: Wenn DAS eintrifft (Kind wird als junger Erwachsener urplötzlich katholisch und dann mit der Zeit immer katholischer), wird es ein Schock für ihn. Und da ich ihn nicht für halb so gescheit halte wie meine Eltern, glaube ich, es wird extrem schwer für ihn, das zu überwinden.
Ich bin enttäuscht, dass nur die Freikirchler in seinem Frömmigkeitsfeindbild auftauchen ;)
AntwortenLöschenDen Fall finde ich gar nicht so untypisch. Diese Einstellungen und Handlungsweisen sind Symptome eines amtskirchlichen Systems, das sich längst überlebt hat. Die Kirche wird als eine Art alte Tante wahrgenommen, die schon etwas gaga ist, sich aber nett um die Kinder kümmert.
AntwortenLöschenSo richtig zufrieden mit dieser Kirche sind weder die traditionell Frommen noch diejenigen, die einen ernsthaften zeitgemäßen Zugang zum Glauben suchen, noch diejenigen, für die die Kirche vor einem eine soziale Rolle spielt.
Sehr seltsam auch, daß der Glaube ihn nicht daran hindert, ein anständiger und rücksichtsvoller Mensch zu sein, und daß er das im Ton des Erstaunens schreibt.
AntwortenLöschenIch war ja in meiner agnostischen Zeit der Ansicht, der Unglaube hindere mich nicht daran, anständig und rücksichtsvoll zu sein (wie falsch ich damit lag, merkte ich sehr viel später).
Etwas verspätet, aber das Thema interessiert mich sehr. Ich habe auch kleine Kinder und die Analyse ist vollkommen klar: Die meisten Kindergottesdienste sind Mist. Völlige Unklarheit über die Zielgruppe, vollständige Beliebigkeit oder zu wortlastig für die Kleinsten, es gibt nichts, was es nicht gibt. Aber haben Sie einen guten Gegenvorschlag? Was ist die Konsequenz? Ich finde es einfach wahnsinnig schwer für Kinder zwischen 3 und 6 Jahren etwas gutes zu machen. (Davor steht m.M.n. das rein sinnliche Erleben im Vordergrund.) Sollte Katechese nach Art der alten Kinderkatechismen versucht werden? Sollte man versuchen, eine kindliche Gebetssprache zu entwickeln, unterstützt durch viel Sinnenfälliges? Würde mich über Anregungen freuen.
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