Große Aufregung hat
die jüngst vom Bundeskongress der JuSos, des Jugendverbands der SPD,beschlossene Forderung nach ersatzloser Streichung der
Strafrechtsparagraphen 218 und 219 verursacht – eine Forderung, die
praktisch auf eine uneingeschränkte Legalisierung von Abtreibung
hinausliefe. Dabei kann der Position der JuSos eine gewisse
Folgerichtigkeit kaum abgesprochen werden: Wer nicht bereit ist, ein
ungeborenes Menschenkind ab dem Moment der Zeugung als einen Menschen
mit eigenen Rechten anzuerkennen, für den gibt es auch keinen
zwingenden Grund, dies ab der zwölften Schwangerschaftswoche zu tun.
So gesehen verweist der Beschluss des JuSo-Kongresses im Grunde nur
darauf, dass es sich bei der Neuregelung des Abtreibungsstrafrechts
in den 1990er Jahren um einen letztlich faulen Kompromiss gehandelt
hat – einen Kompromiss allerdings, den gerade deshalb, weil er so
mühsam errungen wurde, rund ein Vierteljahrhundert lang niemand
ernsthaft anzutasten gewagt hat. Das ist nun offensichtlich vorbei.
Wenn allerdings die Radikalität der Forderung, Abtreibung praktisch
bis unmittelbar vor der Geburt zu erlauben, auch bei Menschen, die
durchaus nicht prinzipiell gegen Abtreibung sind, emotionale
Widerstände hervorruft, dann wohl nicht zuletzt deshalb, weil es so
offensichtlich ist, dass das Kind kurz vor der Geburt derselbe
Mensch ist wie kurz nach der Geburt. Wenn dieser Umstand stärker
ins öffentliche Bewusstsein rückt, dann liegt in der von den JuSos
angestoßenen Debatte möglicherweise sogar eine Chance für das
Anliegen des Lebensschutzes.
Derweil hat die neu
gewählte CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, die sich
in der Vergangenheit als entschiedene Gegnerin der sogenannten „Ehe
für alle“ profiliert hatte, klargestellt, zwar bleibe sie bei
ihrer „persönlichen Überzeugung“, dass die Ehe eine „Verbindung
von Mann und Frau“ sei; dennoch wolle sie an der im Herbst 2017 vom
Deutschen Bundestag beschlossenen Einführung der
gleichgeschlechtlichen Ehe „auf keinen Fall rütteln“.
„Selbstverständlich“, so erklärte sie im ZDF-Morgenmagazin, müsse man „die Entscheidung des Bundestags akzeptieren undumsetzen“. Deutlicher kann man die Auffassung, „persönliche
Überzeugungen“ hätten auf dem Parkett der großen Politik nichts
zu suchen, wohl kaum ausdrücken. Während „von links“ eine
deutlich ideologisch ausgerichtete Gesellschaftspolitik
vorangetrieben wird, die mittels einer möglichst flächendeckenden
Krippenerziehung – erinnern wir uns, dass der heutige Vizekanzler
Olaf Scholz schon 2002 den Begriff der „Lufthoheit über den Kinderbetten“ prägte – schon Kleinkinder beispielsweise mit
einem an Gender-Theorien orientierten Konzept von „geschlechtlicher Vielfalt“ zu indoktrinieren sucht, werden konservative, gar
christlich-konservative gesellschaftspolitische Vorstellungen
bestenfalls noch als reine Privatmeinung gelten gelassen, mit
der im wahrsten Sinne des Wortes „kein Staat mehr zu machen“ ist.
Damit bestätigt sich eine unbequeme Wahrheit, die der
US-amerikanische Autor Rod Dreher in seinem Buch „Die Benedikt-Option“ ausspricht: „Politik wird uns nicht retten.“
Traditionell christliche Auffassungen über Sexualität, Familie und
Elternschaft, die noch vor wenigen Jahrzehnten breite Akzeptanz in
der Gesellschaft genossen, gelten heute als rückständig,
diskriminierend und zunehmend sogar als strafwürdig, und es gibt
keine nennenswerte politische Kraft, die ernsthaft gewillt wäre,
sich diesem gesellschaftlichen Trend entgegenzustemmen.
„Und nicht nur den
öffentlichen Raum haben wir verloren“, fährt Rod Dreher fort,
„sondern auch das vermeintliche Hochplateau unserer Kirchen ist
kein sicherer Boden mehr.“ Ein hartes Urteil, dem jedoch kaum
widersprochen werden kann – und das gilt für Deutschland womöglich
noch mehr als für andere Teile der „westlichen Welt“: Während
weite Teile der evangelischen Landeskirchen sich in Fragen von
Sexualität und Gender, aber auch in der Frage des
Lebensschutzes längst von traditionellen Positionen der christlichen
Ethik und des christlichen Menschenbildes abgewandt haben, lässt
sich zunehmend auch in der katholischen Kirche eine Tendenz dazu
beobachten, die kirchliche Lehre zu solchen und ähnlichen Fragen zu
relativieren, schamhaft zu beschweigen oder sogar offen in Zweifel zu
ziehen. Nicht zuletzt hat die katholische Kirche in Deutschland
gewissermaßen ihr eigenes Pendant zu den JuSos, nämlich in Gestalt
des BDKJ, des „Bundes der deutschen katholischen Jugend“.
Bei der jüngst zu Ende gegangenen Jugendsynode im Vatikan erregte
der BDKJ-Bundesvorsitzende Thomas Andonie Aufsehen mit einem Redebeitrag, in dem er den Zugang von Frauen zu Weiheämtern sowie
„mehr Mitbestimmung durch junge Menschen“ forderte und die
Haltung der Kirche „zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und
zu vorehelichem Geschlechtsverkehr“ kritisierte. Wenn der
offizielle Dachverband der katholischen Jugendorganisationen
Deutschlands solche Positionen vertritt, dann lässt dies an ein
weiteres Zitat aus Rod Drehers „Benedikt-Option“ denken:
„Dies sind keine schlechten Leute. Vielmehr sind es junge
Erwachsene, die von ihrer Familie, ihrer Kirche und anderen
Institutionen, die ihr Gewissen und ihre Vorstellungskraft gebildet
oder vielmehr gerade nicht gebildet haben, furchtbar im Stich
gelassen wurden.“ Wenn sich in kirchlichen Gremien und kirchennahen
Verbänden im Wesentlichen dieselben (oder zumindest sehr ähnliche)
Leute engagieren wie in politischen Parteien und
zivilgesellschaftlichen Institutionen, und wenn diese Leute dann wie
selbstverständlich davon ausgehen, in der Kirche müssten auch
dieselben Regeln gelten wie überall sonst in Politik und
Gesellschaft, dann kann man ihnen das kaum zum Vorwurf machen: Sie
wissen es schlicht nicht besser, sie haben überhaupt keine
Vorstellung davon, dass es auch anders sein könnte. Dies ist die
logische Folge der jahrzehntelangen Strategie der Volkskirchen, in
sich selbst die säkulare Gesellschaft gewissermaßen zu verdoppeln,
anstatt ein Gegengewicht gegen sie zu bilden. Die Mächte des
Säkularismus haben die letzten zwei bis drei Generationen von
Kirchenmitgliedern in ihrem Sinne katechisiert, und die Kirche
hat dabei weitgehend tatenlos zugesehen. Zwar betreibt die Kirche
Kindergärten, Schulen und Hochschulen, aber auch diese orientieren
sich an weltlichen Standards, mit dem Ergebnis, dass auch dort den
Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen kaum etwas anderes
vermittelt wird als eine im Kern säkulare Weltanschauung mit ein
bisschen religiöser Garnierung.
Religiöse Kindererziehung, Symbolbild (Quelle: Pixabay) |
Aber es handelt sich
nicht allein um ein Versagen der Katechese. Selbst wenn es um die
katechetische Bildung hierzulande erheblich besser stünde, als es
tatsächlich der Fall ist, wäre es noch nicht genug, die Lehre der
Kirche lediglich als theoretisches Wissen zu vermitteln. Sich gegen
die herrschenden Trends der säkularen Gesellschaft zu stellen,
erfordert einen Mut, der nur aus einem vertieften und lebendigen
Glauben wachsen kann. Und es erscheint mehr als fraglich, ob eine als
Dienstleistung missverstandene Pastoral, die die beitragszahlenden
Kirchenmitglieder als Konsumenten, ja als Kunden betrachtet
und sie mit „niederschwelligen Angeboten“ bei der Stange zu
halten versucht, in der Lage ist, einen solchen Glauben zu fördern.
Beziehungsweise ob dies überhaupt angestrebt wird.
Es soll hier aber nicht
darum gehen, Pessimismus zu verbreiten. Selbstverständlich gibt es
im Bereich der Kirche auch positive, hoffnungsvoll stimmende
Entwicklungen. Sowohl in traditionsorientierten wie auch in eher
charismatisch ausgerichteten geistlichen Gemeinschaften ereignen sich
bemerkenswerte Aufbrüche zur Neuevangelisation, gerade auch unter
jungen Menschen. Es gibt die Gebetshausbewegung, es
gibt Projekte wie die „Home Mission Base“ der
Loretto-Gemeinschaft,
Initiativen wie Nightfever, und nicht zuletzt gibt es den
YOUCAT. Zu fragen ist allerdings, wie viel von solchen
Impulsen eigentlich in der alltäglichen Praxis der „ganz normalen“
Pfarrgemeinden ankommt. Schließlich können die geistlichen
Gemeinschaften, so wichtig sie als Impulsgeber für das Gedeihen der
Kirche zweifellos sind, die Aufgabe der Neuevangelisation nicht
allein stemmen. Das freilich ist eine Herausforderung, die
jeden von uns angeht. Der Satz „Politik wird uns nicht retten“
gilt auch für die Kirchenpolitik: Es wäre wenig
aussichtsreich, zu erwarten, dass Missstände, die über Jahrzehnte
gewachsen sind, sich durch administrative Maßnahmen „von oben“
beheben lassen sollten. Vielmehr ist es höchste Zeit für einen
Ansatz, der in dem viel diskutieren Buch „Mission Manifest“
unter dem Schlagwort „Demokratisierung von Mission“ beschrieben
wird: Es ist die Aufgabe jedes einzelnen Gläubigen, sich mit der
Frage auseinanderzusetzen, was er in seinem unmittelbaren Umfeld, in
seiner Familie, in seiner Nachbarschaft und natürlich in seiner
Pfarrgemeinde zu einer geistlichen Erneuerung der Kirche beitragen
kann. Wir alle sind in Taufe und Firmung zu Priestern, Propheten und
Königen gesalbt worden. Machen wir was draus!
[P.S.: Meinen Stammlesern hatte ich schon vor einiger Zeit einen Artikel über die umstrittene KiTa-Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung und einen weiteren, der sich mit einem Beitrag aus der Antichrist & Unterwelt zum Thema "Hilfe, meine Kinder sind frömmer als ich!" auseinandersetzt, in Aussicht gestellt. Die sind beide in Arbeit. Ich komm nur zur Zeit zu nichts. Ihr kennt das. Vielleicht. Also, kurz und gut: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, ein bisschen Geduld noch, die Artikel kommen noch!]
[P.P.S.: Ja, dasselbe gilt auch für die Fortsetzung der Saga um die eingekerkerte Nonne.]
Ich habe neulich mit einer Freundin lange über die BenOp geredet und das Fazit war "Ja genau das haben wir doch jahrelang versucht! Und der Erfolg ist gerade Null und in all der Zeit ist all das was wir versucht haben, was noch da war, zu stützen, einfach eingegangen!2
AntwortenLöschenIch finde genial an Rod Dreher, dass er es wagt klar und deutlich zu sagen "Der Zug ist abgefahren!" aber ich denke dass das jahrelange mit dem Stromschwimmen, weil es halt so bequem war, sich nun einfach rächt.
Vielleicht müssen wir wieder entdecken was es gewesen ist, dass die frühen Christen "mit Freude! den Verlust aller ihrer Güter" hinnehmen hat lassen oder auch die Apostel sich hat freuen lassen, für den Namen des HERRN Schmach auf sich nehmen zu dürfen.
Es muss was am frühen Christentum gewesen sein, was uns abhanden gekommen ist, die frühen Christen haben für Christus ihr Leben gegeben, wir zicken rum, wenn wir, um Christi willen, ein ungeplantes Kind annehmen sollen, um es mal etwas überspitzt zu sagen.
Dass die Politik uns nicht retten kann, habe ich mit der Muttermilch aufgesogen. Das war auch in den Blütezeiten der Kirche nicht anders. Wir müssen halt Gott geben, was der Kaiser nicht empfangen kann.
AntwortenLöschenIch blicke zwar nur auf ungefähr zehn Jahre Lebenserfahrung in Deutschland zurück, aber ich hatte noch nie den Eindruck, die Politik hier hätte etwas (außer im entferntesten Sinne) mit christlichen Interessen oder einem besonders christlich Weltbild auf dem Hut. Aber vielleicht ist das besser so! So kann sich keiner Illusionen über die Welt machen. Beten und vertrauen, es gibt trotz allem Grund genug für Freude.
AntwortenLöschenNun ja, es gibt aber viel zu viele Leute hierzulande die sich Illusionen über die Welt machen
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