Über die Feiertage erzählte mir meine Liebste, sie habe - obwohl sie völlig "religionsfern" aufgewachsen ist - einige Weihnachtslieder mit explizit christlichem Inhalt schon von Kindheit an gekannt und sei nach ihrer Bekehrung sehr überrascht gewesen, dass dieselben Lieder in der Weihnachtszeit auch im Gottesdienst gesungen werden. Das erinnerte mich daran, dass ich vor drei Jahren in einem Blogartikel über Weihnachtslieder schrieb, im deutschsprachigen Raum hätten sich christliche Weihnachtslieder - allen voran natürlich "Stille Nacht, heilige Nacht", aber auch "O du fröhliche", "Ihr Kinderlein kommet", "Kommet ihr Hirten", "Es ist ein Ros entsprungen" und und und - auch außerhalb der kirchlichen Sphäre erstaunlich gut gehalten und seien "auch heute noch in Fernsehshows und auf ganz unkirchlichen, kommerziellen Weihnachtsmärkten" "ungebrochen populär". Dass das alles andere als selbstverständlich ist, zeigt ein Blick in den angloamerikanischen Raum, wo die populärsten Weihnachtslieder "entweder einfach Winterlieder" sind, "die Schnee und Kälte besingen", oder sich um "den Weihnachtsmann und seine Helferlein oder allgemein um weihnachtliches Brauchtum" drehen, "das aber seinerseits keinerlei christlichen Gehalt zu erkennen gibt". Darin zeigt sich "eine fortgeschrittene Säkularisierung, Entchristlichung des Weihnachtsfests", die man gerade in den USA, wo doch Religion in der Öffentlichkeit ansonsten eine erheblich größere Rolle zu spielen scheint als in West- und Mitteleuropa, wohl nicht unbedingt erwartet hätte. Allerdings hatte ich schon seinerzeit auf einen interessanten Artikel von Molly Hemingway im Federalist verwiesen, der ausführt, dass diese Säkularisierung von Weihnachten gerade in God's Own Country schon sehr früh und nachdrücklich einsetzte. Darauf möchte ich jetzt zurückkommen.
Molly Hemingway argumentiert, Weihnachten habe in den USA überhaupt nur in säkularisierter Form zu einem populären Fest werden können, und zwar aufgrund der konfessionellen Diversität der Bevölkerung. Es ist ja einigermaßen bekannt, welche Rolle "radikale" religiöse Splittergruppen - überwiegend protestantischer Provenienz - bei der Besiedlung der nordamerikanischen Kolonien spielten, aus denen die Vereinigten Staaten hervorgingen. Weder die Puritaner in Massachusetts noch die Quäker in Pennsylvania feierten Weihnachten; in Massachusetts war Weihnachten zeitweilig sogar verboten. Bis zum Jahr 1860 war Weihnachten nur in 16 der zu diesem Zeitpunkt 33 US-Bundesstaaten ein gesetzlicher Feiertag. Ein von religiösen Inhalten weitestgehend "gereinigtes" Weihnachtsfest konnte jedoch jeder unabhängig von seiner Konfession mitfeiern, und so entstand schon im Laufe des 19. Jahrhunderts ein charakteristisches, ausgeprägt nicht-religiöses Weihnachtsbrauchtum.
Ebendieses von christlichen Inhalten entleerte Brauchtum spiegelt sich auch in den Texten populärer Weihnachtslieder wider, und das vielleicht illustrativste Beispiel dafür ist der 1945 entstandene, erstmals 1946 von Nat "King" Cole eingespielte und seither unzählige Male - in jüngerer Zeit u.a. von Luther Vandross (1995), Christina Aguilera (2000) und. unvermeidlicherweise, Michael Bublé (2003) - gecoverte Song "The Christmas Song (Chestnuts Roasting on an Open Fire)".
Einer Anekdote zufolge haben die Songschreiber Bob Wells und Mel Tormé dieses Stück während eines sehr heißen Sommers geschrieben, um sich durch die Konzentration auf winterliche Impressionen gedanklich abzukühlen. Se non è vero, è ben trovato, wie der Italiener sagen würde: Diese Entstehungsgeschichte gäbe jedenfalls eine plausible Erklärung dafür ab, dass der Text aus nichts als einer Aneinanderreihung von Klischees besteht. Und möglicherweise ist genau das auch der Grund dafür, dass die Nummer laut Auskunft der Lizenzgesellschaft Broadcast Music Incorporated (BMI) der am häufigsten gespielte Weihnachtssong überhaupt ist.
Der Liedtext evoziert also zunächst einmal allerlei Bilder -- von Kastanien, die auf offenem Feuer geröstet werden; von beißender Kälte, personifiziert in der allegorischen Gestalt des Jack Frost, die einem die Nase anknabbert; von Chören, die Weihnachtslieder singen (immerhin), und dick vermummten Menschen (wobei "dressed up like eskimos" ja nun nicht gerade politically correct ist, aber auch in neueren Aufnahmen des Songs nicht verändert wurde). In der zweiten Strophe geht es dann konkreter um das Weihnachtsfest: "Jeder weiß, dass ein Truthahn und Mistelzweige / helfen, die Jahreszeit heiter zu gestalten." Merke: Die Elemente des Festbrauchtums werden als bekannt und geradezu selbstverständlich vorausgesetzt. Der Weihnachtsmann und seine fliegenden Rentiere werden auch erwähnt, allerdings lediglich als etwas, das die Phantasie der Kinder beschäftigt, und werden somit eher belächelt, wenn auch mit nostalgischem Wohlwollen. Und dann folgt gewissermaßen das Fazit:
Was wir anhand dieses Liedtexts geradezu exemplarisch beobachten können, ist, wie Weihnachten vom Zeichen zum Bezeichneten umgedeutet wird: Die diversen jahreszeitlichen und brauchtümlichen Elemente, die der Text aufruft, bedeuten Weihnachten, Weihnachten selbst bedeutet überhaupt nichts mehr. Weniger philosophisch ausgedrückt: Es wird nicht nach Gründen dafür gefragt, Weihnachten zu feiern, sondern Weihnachten ist selbst der Grund. Eine solche Sichtweise ist natürlich ungemein praktisch für all jene, die zwar überhaupt nicht religiös sind und auch keine Lust dazu haben, aus saisonalen Gründen so zu tun, als wären sie es, aber trotzdem schön Weihnachten feiern wollen.
Ich finde ja, das hat was Deprimierendes. Mir drängt sich da eine postapokalyptische Vision von Menschen auf, die in den Ruinen einer untergegangenen Kultur hausen und Rituale vollziehen, deren Sinn vor langer Zeit in Vergessenheit geraten ist. Zum Schluss des Liedes werden übrigens noch ein paar Takte "Jingle Bells" aus dem Bass gezupft, und selbst die klingen irgendwie melancholisch...
Molly Hemingway argumentiert, Weihnachten habe in den USA überhaupt nur in säkularisierter Form zu einem populären Fest werden können, und zwar aufgrund der konfessionellen Diversität der Bevölkerung. Es ist ja einigermaßen bekannt, welche Rolle "radikale" religiöse Splittergruppen - überwiegend protestantischer Provenienz - bei der Besiedlung der nordamerikanischen Kolonien spielten, aus denen die Vereinigten Staaten hervorgingen. Weder die Puritaner in Massachusetts noch die Quäker in Pennsylvania feierten Weihnachten; in Massachusetts war Weihnachten zeitweilig sogar verboten. Bis zum Jahr 1860 war Weihnachten nur in 16 der zu diesem Zeitpunkt 33 US-Bundesstaaten ein gesetzlicher Feiertag. Ein von religiösen Inhalten weitestgehend "gereinigtes" Weihnachtsfest konnte jedoch jeder unabhängig von seiner Konfession mitfeiern, und so entstand schon im Laufe des 19. Jahrhunderts ein charakteristisches, ausgeprägt nicht-religiöses Weihnachtsbrauchtum.
Ebendieses von christlichen Inhalten entleerte Brauchtum spiegelt sich auch in den Texten populärer Weihnachtslieder wider, und das vielleicht illustrativste Beispiel dafür ist der 1945 entstandene, erstmals 1946 von Nat "King" Cole eingespielte und seither unzählige Male - in jüngerer Zeit u.a. von Luther Vandross (1995), Christina Aguilera (2000) und. unvermeidlicherweise, Michael Bublé (2003) - gecoverte Song "The Christmas Song (Chestnuts Roasting on an Open Fire)".
Einer Anekdote zufolge haben die Songschreiber Bob Wells und Mel Tormé dieses Stück während eines sehr heißen Sommers geschrieben, um sich durch die Konzentration auf winterliche Impressionen gedanklich abzukühlen. Se non è vero, è ben trovato, wie der Italiener sagen würde: Diese Entstehungsgeschichte gäbe jedenfalls eine plausible Erklärung dafür ab, dass der Text aus nichts als einer Aneinanderreihung von Klischees besteht. Und möglicherweise ist genau das auch der Grund dafür, dass die Nummer laut Auskunft der Lizenzgesellschaft Broadcast Music Incorporated (BMI) der am häufigsten gespielte Weihnachtssong überhaupt ist.
Der Liedtext evoziert also zunächst einmal allerlei Bilder -- von Kastanien, die auf offenem Feuer geröstet werden; von beißender Kälte, personifiziert in der allegorischen Gestalt des Jack Frost, die einem die Nase anknabbert; von Chören, die Weihnachtslieder singen (immerhin), und dick vermummten Menschen (wobei "dressed up like eskimos" ja nun nicht gerade politically correct ist, aber auch in neueren Aufnahmen des Songs nicht verändert wurde). In der zweiten Strophe geht es dann konkreter um das Weihnachtsfest: "Jeder weiß, dass ein Truthahn und Mistelzweige / helfen, die Jahreszeit heiter zu gestalten." Merke: Die Elemente des Festbrauchtums werden als bekannt und geradezu selbstverständlich vorausgesetzt. Der Weihnachtsmann und seine fliegenden Rentiere werden auch erwähnt, allerdings lediglich als etwas, das die Phantasie der Kinder beschäftigt, und werden somit eher belächelt, wenn auch mit nostalgischem Wohlwollen. Und dann folgt gewissermaßen das Fazit:
Mein Deutsch-Leistungskurs-Lehrer hätte an dieser Stelle gefragt: Was ist in diesen Versen das entscheidende Wort? Und die Antwort, auf die diese Frage abgezielt hätte, wäre gewesen: although, "obwohl". Das lyrische Ich wünscht nicht deshalb "Frohe Weihnachten", weil das nun mal das ist, was man anlässlich dieses Festes sagt, sondern obwohl das so ist -- was wohl bedeuten soll: obwohl es eine abgedroschene, altmodische, unoriginelle Floskel ist. Aber offenbar gibt es schlichtweg nichts anderes, was man sagen könnte."Und so entbiete ich diese schlichte PhraseKindern von 1 bis 92Obwohl es schon viele MaleAuf vielerlei Arten gesagt worden ist:Frohe Weihnachten euch."
Was wir anhand dieses Liedtexts geradezu exemplarisch beobachten können, ist, wie Weihnachten vom Zeichen zum Bezeichneten umgedeutet wird: Die diversen jahreszeitlichen und brauchtümlichen Elemente, die der Text aufruft, bedeuten Weihnachten, Weihnachten selbst bedeutet überhaupt nichts mehr. Weniger philosophisch ausgedrückt: Es wird nicht nach Gründen dafür gefragt, Weihnachten zu feiern, sondern Weihnachten ist selbst der Grund. Eine solche Sichtweise ist natürlich ungemein praktisch für all jene, die zwar überhaupt nicht religiös sind und auch keine Lust dazu haben, aus saisonalen Gründen so zu tun, als wären sie es, aber trotzdem schön Weihnachten feiern wollen.
Ich finde ja, das hat was Deprimierendes. Mir drängt sich da eine postapokalyptische Vision von Menschen auf, die in den Ruinen einer untergegangenen Kultur hausen und Rituale vollziehen, deren Sinn vor langer Zeit in Vergessenheit geraten ist. Zum Schluss des Liedes werden übrigens noch ein paar Takte "Jingle Bells" aus dem Bass gezupft, und selbst die klingen irgendwie melancholisch...
Hier noch eine Auswahl von Liedern, die keine Weihnachtslieder sind - die meisten davon deutsch: https://kalliopevorleserin.wordpress.com/tag/kein-weihnachtslied/
AntwortenLöschenEs ist ganz und gar gruselig, was auch im deutschen Sprachraum so alles mit Weihnachten assoziiert und mit Inbrunst gesungen wird.
Jep so ist es leider!
AntwortenLöschenNur was tun wir dagegen?
Wenn wieder jemand damit kommt, dass Weihnachten doch nur ein heidnisches Fest für den Sonnengott abgelöst hat, kann ich nur sagen: Damals war ich nicht dabei, keine Ahnung wie das war. Aber heute bin ich live dabei, wie das christliche Weihnachtsfest abgelöst wird von einem heidnischen Fest, bei dem die Götzen Familie, Gemütlichkeit und Konsum angebetet werden.
AntwortenLöschenUnd die meisten Menschen wären vermutlich intelligent genug um zu sehen, dass diese Tatsache nicht ausreicht, um das heutige Weltbild als falsch zu entlarven... Aber das mit dem Sol Invictus soll irgendwie ein Argument gegen den christlichen Glauben sein...