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Donnerstag, 29. November 2018

Wer viel fragt, kriegt viel Antwort (vielleicht aber auch nicht)

Im Bistum Münster verpflichtet eine im November 2013 in Kraft getretene Satzung für Pfarreiräte alle 217 zur Diözese gehörenden Pfarreien zur Ausarbeitung eines "lokalen Pastoralplans". Fünf Jahre später sind bereits über 100 solcher Pläne zusammengekommen und können online eingesehen werden. Meine alte Heimatpfarrei St. Willehad Nordenham/Butjadingen/Stadland gehört nicht zu den Pfarreien, die mit ihrem lokalen Pastoralplan schon fertig sind, aber das kann man den Verantwortlichen vor Ort kaum zum Vorwurf machen, schließlich hatte die Gemeinde in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Turbulenzen zu bewältigen – regelmäßige Leser meines Blogs werden sich erinnern. 

Unlängst hat die Pfarrei jedoch einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zur Erstellung eines lokalen Pastoralplans unternommen: Sie hat einen Fragebogen zur Gemeindebefragung ausgearbeitet und veröffentlicht. Okay, das macht man heutzutage so. Schon vor Beginn der Fragenbogenaktion prophezeite mir ein Freund und Mitkatholik auf Facebook
"Also, da wird herauskommen, dass man sich mehr Gemeinschaft wünscht, ansprechendere ('lockerere') Gottesdienste ('auch mal was Modernes'), dass es insgesamt Unzufriedenheit mit der katholischen Sexualmoral gibt, Priester heiraten können sollten. Auch untereinander, solange es noch keine Priesterinnen gibt.
Und der Dialog mit anderen Religionen und der Kampf gegen Fundamentalismus sind wichtig. Es gibt viele Einzelstimmen für den Kampf gegen rechts, aber auch eine nicht zu überhörende Gruppe, die glaubt, Merkel müsse weg." 
Nun ja: Seit vergangenem Sonntag steht der Fragebogen auf der Website der Pfarrei zum Download bereit bzw. kann auch online ausgefüllt werden; besonders interessant daran ist, dass ausdrücklich nicht nur Gemeindemitglieder zur Teilnahme aufgefordert sind. Gleich zu Beginn der Umfrage soll man angeben, ob man katholisch oder evangelisch ist, einer anderen Konfession angehört oder konfessionslos ist; unter Punkt 2 dann, ob man sich als Gemeindemitglied fühlt. „Gefühl ist alles“, heißt es ja schon in Fausts Antwort auf die sprichwörtliche „Gretchenfrage“. Ob es Auswirkungen auf die Berücksichtigung bzw. Gewichtung der weiteren Antworten hat, wenn man hier „nein“ ankreuzt, sei mal dahingestellt. 



Nominell hat die Pfarrgemeinde von St. Willehad 3.386 Mitglieder; bei der jüngsten Kirchenvorstandswahl vor wenigen Wochen machten 183 Gemeindemitglieder von ihrem Wahlrecht Gebrauch, bei der Pfarreiratswahl vor rund einem Jahr waren es immerhin 256. Das entspricht durchaus „volkskirchentypischen“ Beteiligungs-Parametern. Ich wäre daher überrascht, wenn sich aus der Gemeinde wesentlich mehr als 200 Personen an der Fragebogenaktion beteiligten. Umso höher ist natürlich das statistische Gewicht jedes einzelnen ausgefüllten Fragebogens – und folglich auch die Möglichkeit für Außenstehende, Einfluss zu nehmen. 

Wer nicht ortsansässig ist oder zumindest einen halbwegs engen Kontakt zur Gemeinde von St. Willehad pflegt, dürfte mit einem großen Teil der Fragen allerdings Schwierigkeiten haben. In Frage 12-16* geht es beispielsweise darum, wie gut man über verschiedene Gemeindeaktivitäten bescheid weiß. Wohlgemerkt: Bewertet werden sollen da nicht die Aktivitäten als solche, sondern lediglich der Grad an Publicity, der ihnen jeweils zuteil wird. 

Auch sonst ist dieser Fragebogen ein gutes Fallbeispiel dafür, dass Umfragen zu einem gewissen Grad zwangsläufig manipulativ sind -- insofern, als die Fragen, die gestellt werden, bereits determinieren, welche Antworten überhaupt möglich sind und welche nicht. Zwar gibt es einen gewissen Anteil offener Fragen, die es jedem ermöglichen, loszuwerden, was er „schon immer sagen wollte“ (wie es in Frage 22* tatsächlich wortwörtlich heißt). Bei den Multiple-Choice-Fragen hatte ich hingegen den Eindruck, dass  – wie ich, eine Formulierung aus John Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“ aufgreifend, zu meiner Liebsten sagte – „Leute wie wir“ entweder überhaupt keine adäquate Antwortoption vorfinden oder zumindest keine, die sie in der Auswertung erkennbar von 60+-jährigen „Gewohnheitskatholiken“ unterscheiden würde. Bevor ich dies näher ausführe, muss ich allerdings einräumen, dass es eine gängige Interpretationsaufgabe für die Verwendung von „Von Mäusen und Menschen“ im Schulunterricht ist, zu fragen: Was genau meint der Charakter George mit der Formulierung „Leute wie wir“? Was für Leute sind das, wodurch zeichnen sie sich aus? Beim Sinnieren über die Frage, wen ich mit dieser Formulierung meine, habe ich festgestellt, dass mir keine griffige Bezeichnung für die Sorte von Katholiken, die ich dabei vor Augen habe, einfällt – jedenfalls keine Bezeichnung, die nicht entweder zu polemisch ist oder im Umkehrschluss als Abwertung derjenigen Katholiken verstanden werden könnte, die nicht zu dieser Kategorie gehören, oder aber zu eng gefasst ist, sodass Personen, die durchaus „mitgemeint“ sind, sich darin nicht wiederfinden. Aber okay: Wofür man keinen Begriff hat, das muss man eben umschreiben. Sagen wir also: Was ich meine, sind Katholiken, die sich 
a) ohne Wenn und Aber zur Glaubenslehre der Kirche bekennen und die 
b) der Auffassung sind, es sei Aufgabe der Kirche (auf allen Ebenen, also auch der einzelnen Ortspfarrei), Menschen zu Jüngern Jesu heranzubilden
Wer mit einem solchen Glaubens- und Kirchenverständnis an diese Umfrage herangeht, wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit immer wieder genötigt sehen, Antworten zu geben, die nur so ungefähr zutreffen oder gründlich missverstanden werden könnten. So lautet Frage 6 „Welche Rolle spielt für Sie die katholische Kirchengemeinde?“. Damit ist offenkundig konkret die St.-Willehad-Gemeinde gemeint, und keine der vier vorgegebenen Antwortmöglichkeiten (Mehrfachnennungen möglich) stellt einen Zusammenhang zwischen der Einstellung zu dieser Gemeinde und der Einstellung zur Kirche als ganzer her – also etwa in dem Sinne, dass die Pfarrei deshalb wichtig sei, weil sich in ihr die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche vor Ort verkörpere. 

Frage 9 lautet „Was motiviert Sie, einen Gottesdienst zu besuchen?“; neun Antwortmöglichkeiten sind vorgegeben, auch hier sind wieder Mehrfachnennungen möglich. Neben den Antwortoptionen „familiäre Anlässe wie Taufe, Erstkommunion, Firmung, Hochzeit oder Beerdigung“, „große kirchliche Feiertage wie Weihnachten, Ostern oder Pfingsten“, „besonders gestaltete Gottesdienste (z. B. Familien- und Jugendgottesdienste Erwachsenengottesdienste, Seniorengottesdienste etc.)“, „besondere musikalische Gestaltung der Gottesdienste“, „weil mir die Gemeinschaft wichtig ist“, „weil es einfach dazu gehört“ oder sogar „nichts“ stehen hier auch die Optionen „mein christlicher Glaube bewegt mich dazu“ und „um Stärkung für meinen Glauben und meinen Alltag zu erfahren“ zur Wahl. Klingt nicht schlecht, aber: Was genau ist denn „mein christlicher Glaube“? Die Erfahrung zeigt, dass es darüber sehr unterschiedliche Vorstellungen geben kann. Und hinter dem Wunsch nach Stärkung für meinen Alltag kann sich durchaus auch die Vorstellung verbergen, die Kirche habe in erster Linie ein Anbieter spiritueller Wellness zu sein. 

In Frage 10 geht es darum, zehn verschiedene Aspekte der Gottesdienstgestaltung danach zu bewerten, ob man sie „sehr wichtig“, „wichtig“, „unwichtig“ oder „völlig unwichtig“ findet. Hier gibt es einige Dopplungen zu Frage 9 (Gemeinschaft, Musik, besondere Gestaltung für Jugendliche, Senioren etc.); auch die „Kraft für meinen Alltag“ taucht hier erneut auf. Bemerkenswert erscheint die Antwortoption „Der Gottesdienst soll mir den Empfang der Kommunion ermöglichen“: Offenbar soll hier eruiert werden, inwieweit man den Umfrageteilnehmern Wortgottesdienste als vermeintlich gleichwertigen Ersatz für die Heilige Messe anbieten kann. Warum die Umfrageteilnehmer viel oder wenig Wert auf den Kommunionempfang legen bzw. was er ihnen konkret bedeutet, wird weder an dieser noch an einer anderen Stelle des Fragebogens ermittelt. Möglicherweise zielt diese Antwortoption aber nicht zuletzt auch auf evangelische Umfrageteilnehmer und somit auf das Thema Interkommunion, wer weiß. Nicht minder interessant ist die Antwortmöglichkeit „Der Gottesdienst soll mir eine Begegnung mit Jesus Christus ermöglichen“. Das ist eine Wortwahl, die in Ehren ergrauten „Gewohnheitskatholiken“ eher wenig vertraut sein dürfte; sie klingt nach Neuevangelisation, wenn nicht sogar nach Charismatischer Erneuerung, aber ein bisschen unscharf bleibt es naturgemäß doch, was der Einzelne wohl darunter versteht. Dennoch ist das eine Antwortoption, die ich persönlich ohne Zögern als „sehr wichtig“ markieren würde. 

Frage 19* lautet: „Religiöse Überzeugungen haben für Menschen unterschiedliche Bedeutung. Wie ist das bei Ihnen?“ Hier wird es nun aber doch spannend, oder? Nun ja, wie man's nimmt. Unter dieser Überschrift können bzw. sollen die folgenden Aussagen mit „trifft genau zu“, „trifft zu“, „trifft nicht zu“ oder „trifft überhaupt nicht zu“ bewertet werden: 

  • „Ich beschäftige mich nicht mit Glaubensfragen. Sie spielen in meinem Leben keine Rolle.“ [Aber meine Meinung über die Kirchengemeinde loszuwerden ist mir trotzdem wichtig genug, um an dieser Umfrage teilzunehmen.] 
  • „Ich möchte gerne glauben, finde aber keinen Zugang dazu.“ 
  • „Ich glaube schon [!] etwas. Der Glaube ist etwas in mir, was ich gefühlsmäßig erlebe und erfahre.“ [Wie schon gesagt: „Gefühl ist alles.“] 
  • „Mit manchen Glaubenssätzen und manchen Bibelstellen habe ich meine Schwierigkeiten. Trotzdem halte ich mich für eine Christin/einen Christen.“ [Dass hier „halte ich mich für“ steht und nicht „betrachte ich mich als“, klingt fast schon ein bisschen boshaft. Ist aber bestimmt nicht so gemeint.] 
  • „Ich kann auch ohne Kirche religiös sein.“ [Bin ich aber nicht.] 
  • „Ich glaube an die Kernbotschaft der Bibel.“ [Nämlich welche? Ich vermute, würde man zusätzlich erfragen, was derjenige, der an dieser Stelle „trifft genau zu“ oder „trifft zu“ ankreuzt, als diese „Kernbotschaft“ ansieht, bekäme man einen bunten Strauß unterschiedlicher Antworten zusammen; und ich möchte sogar behaupten, wenn jemand meint, den Inhalt seines persönlichen Glaubens auf eine „Kernbotschaft der Bibel“ zurückführen zu können, kommt dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas Heterodoxes heraus.] 
  • „Ich bin katholische Christin/katholischer Christ aus innerer Überzeugung.“ [Nett. Und worauf gründet die sich bzw. worin besteht sie?] 
  • „Der Glaube gibt mir in meinem Leben Stärke und Orientierung.“ [Hatten wir schon. Mittlerweile zum dritten Mal.] 
Machen wir uns nichts vor: In methodischer Hinsicht handelt es sich bei dieser Fragebogenaktion im Wesentlichen um eine Marktforschungs-Initiative. In ihr begegnet uns eine Kirche, die sich als Dienstleistungsanbieter begreift und von ihren Kunden wissen will, wie sie diesen ein noch befriedigenderes Konsumerlebnis bieten kann. Für Gläubige, die von der Kirche nicht in erster Linie ein Konsumangebot erwarten, sondern Evangelisation, Katechese und Zurüstung zur Jüngerschaft, ist diese Umfrage schlechterdings nicht gemacht, und darum haben sie es auch schwer, sich in ihr adäquat auszudrücken. 

Dieser strukturelle Mangel ist wohlgemerkt nicht allein der Willehad-Umfrage eigen. In einer im Herbst 2017 an der Universität Augsburg als Dissertation angenommenen „humangeoraphischen“ Studie mit dem Titel „Katholische Glaubensstile in postsäkularen Gesellschaften: das religiöse Verhalten katholischer Christen in Deutschland“, verfasst von einem jungen Mann namens Johannes Mahne-Bieder, kommt der von mir gemeinte Typus von Gläubigen ebenfalls nicht vor. Man kann nur vermuten, dass sie sich ungleichmäßig auf die von Mahne-Bieder beschriebenen Kategorien der „volksfrommen Traditionalisten“, der „frommen Modernisierer“ und vielleicht auch der „spirituellen Experimentalisten“ verteilen und dass Kriterien, die sie als eigenständige Gruppe erkennbar gemacht hätten, schlichtweg nicht abgefragt wurden. 

Wenn eine statistische Erhebung von vornherein so angelegt ist, dass sie nicht in der Lage ist, eine bestimmte Gruppe abzubilden, dann lässt das darauf schließen, dass mit der Existenz dieser Gruppe schlichtweg nicht gerechnet wird. Angesichts dieser Erkenntnis schoss mir mit Blick auf die Willehad-Umfrage der Gedanke durch den Kopf: Na, ist ja kein Wunder, dass die mit dieser Sorte von Katholiken nicht rechnen, denn woher sollten die auch kommen? Die Gemeinde selbst bringt sie jedenfalls sicher nicht hervor. Aber kaum hatte ich das zu Ende gedacht, da fiel mir auf, dass das für meine jetzige Wohnortpfarrei genauso gilt, und somit vermutlich für viele andere ebenfalls. Das ist eine wichtige Erkenntnis: Es handelt sich nicht um ein lokal spezifisches Problem, sondern um ein flächendeckendes, strukturell bedingtes. 

Es ist im Grunde keine neue, aber in dieser Schärfe doch schmerzhafte Erkenntnis: Das, was einem hierzulande in einer durchschnittlichen katholischen Ortspfarrei an Katechese, an Homiletik und an Liturgie geboten wird, ist kaum geeignet, einen Glauben zu vermitteln, der im Stande wäre, die Gemeindemitglieder zu persönlicher Nachfolge Jesu zu motivieren; und ich behaupte: Das liegt zu einem großen Teil daran, dass das gar nicht angestrebt wird. Diejenigen, die diese Motivation bereits haben – woher auch immer – werden auch nicht im Glauben gestärkt, sondern eher frustriert. So gern ich auf dem Fragebogen angeben würde, dass ich den Gottesdienst besuche, „um Stärkung für meinen Glauben und meinen Alltag zu erfahren“: Allzu oft leistet der Gottesdienst genau dies nicht, sondern ich habe eher hinterher das Gefühl, eine Stärkung zu brauchen. 

Man könnte das mit einer Schule vergleichen, in der die Unterrichtsqualität so miserabel ist, dass diejenigen Schüler, die von sich aus motiviert sind, etwas lernen zu wollen, sich praktisch den gesamten Unterrichtsstoff auf eigene Faust zu Hause erarbeiten müssen und darin seitens der Schule nicht nur nicht unterstützt werden, sondern schon froh sein können, wenn die Schule sie nicht daran hindert. Dass das ein unhaltbarer Zustand ist, müsste an sich jedem klar sein. Aber in der Kirche wird es als Normalität hingenommen. – Erst unlängst beklagte mein Freund und Kollege Peter Winnemöller auf kath.net, „dass eine Pastoral betrieben wird, als sei da gar kein Gott“: 
„Die Mitarbeiter der Kirche vor Ort [...] schmiegen sich geschmeidig an den Unglauben der Familien an. [...] Man will, so sagte mir vor Jahren eine Katechetin, den Jugendlichen ein gutes Erlebnis mit der Kirche verschaffen. Das war die Motivation und das Prinzip der Firmvorbereitung. […] Das zieht sich durch die gesamte Arbeit in den Gemeinden und erstreckt sich zuweilen bis in die Liturgie hinein, die nur noch gefällig sein soll.“ 
Jeder weiß, dass auf diese Weise maximal 10% der gefirmten Jugendlichen weiterhin zur Kirche gehen werden und dass man die anderen, wenn überhaupt, erst wiedersieht, wenn sie kirchlich heiraten wollen oder selbst Kinder haben, die sie wiederum zur Taufe, Erstkommunion und Firmung anmelden wollen. Aber das scheint niemanden großartig zu stören, ja man kann sogar den Eindruck haben, es sei genau so gewollt. Wenn 10% aller Gemeindemitglieder den Gottesdienst besuchen und davon wiederum 10%, also 1% der gesamten Gemeinde, Bereitschaft zeigen, sich ehrenamtlich in der Pfarrei zu engagieren, dann reicht das, um den Laden am Laufen zu halten. Wird diese Quote nicht erreicht, muss man die Aktivitäten der Pfarrei halt ein bisschen runterschrauben und begibt sich so in eine langsame Abwärtsspirale, deren Ende die heute Aktiven nicht mehr miterleben zu müssen hoffen. 

Gewiss: In jeder Heiligen Messe, die irgendwo auf der Welt gefeiert wird, vergegenwärtigt sich das Kreuzesopfer Jesu Christi, und deshalb dürfen wir froh und dankbar für jede Heilige Messe sein, die stattfindet – und dies unabhängig von der Qualität der Predigt, der Kirchenmusik oder sonstiger Gestaltungselemente. Trotzdem ist es nicht einfach egal, was eine Pfarrei innerhalb und außerhalb des Kirchenraums sonst noch so alles tut oder nicht tut. In seinem Buch "Divine Renovation – Wenn Gott sein Haus saniert" vergleicht der kanadische Priester James Mallon die Kirche auf pointierte Weise mit einem Fotokopierer: Dieser ist 
"dazu da, […] Kopien zu machen. Er tut das, indem er das Papier in sich hineinzieht. Das ist Evangelisierung. Dann druckt er, kopiert, stapelt und locht. Das ist Jüngerschaft (getauft, gelehrt, zugerüstet). Dann spuckt er das Papier mit dem ausgedruckten Wort aus, das dann losmarschieren und die Welt verändern kann. […] Das ist missionieren. Die Kirche ist dann in ihrer Höchstform, wenn sie diesen Zyklus durchlebt. Sie evangelisiert, macht Jünger und sendet sie aus als Missionare, die losgehen und evangelisieren, um mehr Jünger zu machen, die getauft und gelehrt und schließlich wiederum ausgesandt werden können. Wenn die Kirche gesund ist, macht sie genau das. Wenn die Kirche nicht gesund ist, wenn sie sich in sich selbst zurückgezogen hat, dann hat sie ihre große Berufung vergessen, lumen gentium, Licht für die Welt zu sein [...]. In diesem Zustand […] wird die Kirche wie ein überhitzter und verstopfter Fotokopierer, der in einer Ecke herumsteht, einstaubt und schließlich vergessen wird." (S. 39f.) 
Diese Diagnose betrifft, wie gesagt, St. Willehad nicht unbedingt in höherem Maße als viele andere Pfarreien im Lande. Darum möchte ich abschließend noch etwas erwähnen, was konkret diese Gemeinde betrifft, auch wenn es nicht direkt mit der Fragebogenaktion zur Erarbeitung des lokalen Pastoralplans zusammenhängt. Auf der Website der Pfarrei St. Willehad kann man die Protokolle der Pfarreiratssitzungen einsehen bzw. herunterladen, und aus purer Neugier habe ich da kürzlich mal reingeschaut. Und im Protokoll der jüngsten Sitzung entdeckte ich folgendes interessante Detail: 
„Das Angebot, die Kinder während des Familiengottesdienstes in die Kinderbetreuung zu geben, wird nicht stark angenommen. Sie soll aber weiter bestehen bleiben.“ 
Bemerkenswert, nicht? Wenn die Verantwortlichen der Überzeugung sind, etwas "müsse so sein", lassen sie sich auch durch mangelnde Resonanz nicht davon abbringen. 

Was ich generell von separater Kinderbetreuung während des Gottesdienstes halte, bitte ich hier nachzulesen. 

An der Fragebogenaktion kann man sich übrigens noch bis zum 31.01.2019 beteiligen.



[* Die Nummern beziehen sich auf das Online-Formular; die Druckversion hat ab Nr. 12 eine abweichende Fragennumerierung.] 



2 Kommentare:

  1. Ich habe ein paarmal versucht, diesen Fragebogen auszufüllen, und es aufgegeben. Erstens, weil die Fragen zu Willehadianisch sind und ich so tun müsste, als sei ich genau dieser Gemeinde verbunden. Zweitens, weil ich die Fragen ähnlich doof finde wie Du. Beispielsweise wünsche ich mir selbstverständlich auch Wortgottesdienste und Andachten - aber nicht statt täglicher Messe, sondern zusätzlich. Und dann halt eine Reihe Fragen, die im Grunde heißen "Es ist uns völlig schnurz, was Sie von unseren Angeboten halten, aber wir wüßten gerne, ob Sie schon mal gehört haben, daß es sie gibt". Und das erscheint mir unlogisch.

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  2. Wen überrascht's? Christentum in Deutschland hat sich so sehr an der bestehenden Gesellschaftsordnung orientiert, dass der Staat die "Spenden" der Gläubigen abführen darf... Da besteht nicht mal einen Schimmer der Chance, Menschen in einer Unabhängigkeit von der Gesellschaft und ihren Normen zu bilden. Die institutionelle Kirche ist und kann unter diesen Umständen nur ein Spiegelbild der Konsum- und Wohlstandsgesellschaft sein. Ein Spiegelbild von alledem, wovon wir als Christen uns eigentlich lösen sollen. Und Menschen wie Sie kommen in so einer Welt nicht vor.

    Stichwort spiritual wellness, haben Sie mitbekommen, dass das Erzbistum Berlin neulich einen "spirituellen Wohlfühlabend für Frauen" (und ja, das hieß wirklich so) angeboten hat? Mit Massage und Duftkerzen oder so.

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