Unlängst habe ich hier über den von der Synode der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Oldenburg beschlossenen drastischen Stellenabbau und dessen absehbare Auswirkungen auf die Kirchengemeinden meiner alten Heimat Butjadingen berichtet. Ein Aspekt, auf den ich dabei nicht eingegangen bin, den ich aber in einem anderen Zusammenhang schon mal angesprochen habe und der mich in Hinblick auf "Benedikt-Options"- bzw. "Punkpastoral"-Projekte insgesamt stark beschäftigt, betrifft den Umstand, dass die Streichung bzw. Zusammenlegung von Pfarrstellen mittelbar auch einen Leerstand kirchlicher Immobilien zur Folge hat. Das betrifft wohl nicht so sehr die Kirchengebäude selbst - bei den evangelischen Kirchen in Butjadingen handelt es sich überwiegend um noch aus vorreformatorischer Zeit (anders ausgedrückt: aus dem Mittelalter) stammende Baudenkmäler, die schon aus kulturgeschichtlichen Gründen erhaltenswert sind; und solange die Kirche für den Unterhalt dieser Gebäude aufkommen muss, wird sie sie auch zu nutzen wissen -- und sei es für Orgelkonzerte. (Auf ein konkretes Beispiel gehe ich weiter unten ein.) Anders sieht es etwa bei den Pfarrhäusern aus. Wie berichtet, ist die Zahl der Pfarrstellen in Butjadingen seit den 90er Jahren von sechs auf 3,25 geschrumpft und soll bis 2030 auf 1,75 weiterreduziert werden. Und wo kein Pfarrer mehr ortsansässig ist, da braucht man auch kein Pfarrhaus mehr.
So steht etwa im beschaulichen Dörfchen Langwarden am nördlichen Ende der Halbinsel Butjadingen das ehemalige Pfarrhaus leer, seit Pfarrer Hartmut Blankemeyer im Frühjahr 2017 in Ruhestand gegangen ist. Laut einem Bericht der Nordwest-Zeitung hatten seither "die sechs Butjadinger Kirchengemeinden zusammen mit
Kreispfarrer Jens Möllmann die Idee entwickelt, als
Kooperationsprojekt das Pfarrhaus in Langwarden zu renovieren" und es neuen Nutzungszwecken zuzuführen -- unter anderem sollte das "17 Zimmer umfassende Haus" als Unterkunft für die Teams der Urlauberseelsorge in der Sommerferiensaison dienen.
(Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht nicht ganz uninteressant, dass der erwähnte Kreispfarrer Möllmann unlängst einen meiner Vorträge zur "Benedikt-Option" - in der "Oase" in Tossens - besucht und sich sehr engagiert und aufgeschlossen an der Diskussion beteiligt hat; ich hatte einen ziemlich positiven Eindruck von ihm.)
Aber jetzt die schlechte Nachricht, laut dem Bericht der NWZ:
"Das Projekt [ist] so weit gediehen, dass eine konkrete Planung sowie eine Kostenaufstellung vorliegen [...]. Die Renovierung des Pfarrhauses würde 150 000 Euro kosten, von denen die Kirchengemeinde Langwarden aus Rücklagen alleine 80 000 Euro gestemmt hätte. Die Landeskirche hätte aus einem Kooperationsfonds lediglich 54 000 Euro dazugeben müssen. Der Kirchensteuerbeirat in Oldenburg habe Butjadingen diese Mittel aber mehrheitlich verweigert [...]. So wird aus der Renovierung des Pfarrhauses vorerst nichts".
Mein erster Gedanke war: Eigentlich ist sowas ein Fall für Instandbesetzung. Aber dann dachte ich mir, man könnte ja zur Abwechslung auch mal eine nicht ganz so radikale Lösung ins Auge fassen. Zumal die örtliche Kirchengemeinde ja schon einen nicht unbeträchtlichen Teil der veranschlagten Renovierungskosten zusammengebracht hat. Ganz schlau werde ich aus den in der NWZ genannten Zahlen zwar nicht: Wenn die Kirchengemeinde Langwarden 80.000 Euro aufbringt und die Landeskirche 54.000 hätte zuschießen sollen, dann fehlen nach meiner Berechnung immer noch 16.000 zur vollen Summe; andererseits: Wollten die anderen Butjadinger Kirchengemeinden und der Kirchenkreis sich nicht auch irgendwie beteiligen? Sollten die vielleicht die fehlenden 16.000 Euro auftreiben? -- Wie dem auch sei, gehen wir mal von einem Fehlbetrag von irgendwas zwischen 54.000 und 70.000 Euro aus. Das ist ja "nicht die Welt", wie man so sagt. Nun stelle man sich mal vor, eine mehr oder weniger explizit #BenOp-mäßig gesonnene Initiative brächte diesen Betrag auf - sei es durch Crowdfunding, Lottogewinn, Erbschaft oder wie auch immer - und erklärte rotzfrech: "Wir beteiligen uns an den Renovierungskosten, wenn wir dafür dann auch an der Nutzung des Hauses beteiligt werden." Wie eine solche "geteilte Nutzung" konkret realisiert werden könnte - durch eine Aufteilung der Räume (immerhin sind es 17 Zimmer!) oder eher im Sinne von "Timesharing" -, wäre sicher verhandelbar, ebenso die Frage einer Beteiligung an den laufenden Betriebskosten der Immobilie.
Viel interessanter ist ja erst einmal die Frage: Wie bzw. wofür könnte oder sollte man das Haus überhaupt nutzen? Ich nehme mal an, eine Nutzung als Selbstversorger-Gästehaus, wie sie im zur katholischen Pfarrei St. Willehad gehörenden "Rat-Schinke-Haus" im Nachbardorf Burhave praktiziert wird, wäre insofern attraktiv, als das Haus auf diese Weise unter dem Strich sogar Geld einbringen könnte. Wesentlich interessanter fände ich allerdings ein Nutzungskonzept, wie es die Nightfever-Mitbegründerin Katharina Fassler in ihrem Beitrag zum "Mission Manifest" - "Wir brauchen eine 'Demokratisierung' von Mission" - unter dem Schlagwort "Der Traum vom lebendigen Pfarrhaus" skizziert. -- Ehrlich gesagt war ich ziemlich verblüfft, als meine Liebste mir die betreffende Passage aus dem "Mission Manifest" vorlas, denn schon zuvor hatten wir mehrfach miteinander über ähnliche Ideen beratschlagt. Andeutungsweise hatte ich auch schon mal was darüber gebloggt. Lassen wir trotzdem erst mal Katharina Fassler zu Wort kommen: Ihre "Vision", die sie auch als "persönlichen Traum" bezeichnet, dreht sich um
"belebte, lebendige Pfarrhäuser […] voller Familien [...], die den besonderen Ruf spürten, verlassenen und verwaisten Pfarrkirchen in den unzähligen Dörfern neues Leben zu schenken. Gegen eine geringe Miete dürfen die Ehepaare, mit oder ohne Kinder, in den dazugehörigen Pfarrhäusern wohnen, während sie ihren ganz normalen Berufen nachgehen. Den Ehepaaren ist ein geistliches Leben wichtig. [...] Nun tun sie nichts anderes, als in ihrer Freiheit ihr geistliches Leben für die Dorfgemeinschaft zu öffnen und diese daran teilhaben zu lassen. Bibelkreis, Stundengebet, Lobpreis, Rosenkranz, Kinderkatechese, Anbetung. Je nach Spiritualität der Familie oder auch mehrerer Familien, die sich der Kirche zur Verfügung stellen, gibt es verschiedene geistliche Angebote. Der Mehraufwand für die Ehepaare ist gering. […] Sie richten eine persönliche Gebetszeit am Tag ein [...]. Nun dürfen einfach noch andere dazu kommen, wenn die Glocken läuten. […] Je nach Talent und Ausbildung bereitet man die Heilige Messe auch musikalisch vor. Es muss nicht immer die Orgel sein, auch einfaches A-cappella-Singen oder eine Gitarre reichen aus. Vielleicht findet sich auch ein kleines Orchester … Im Dorf hat es sich mittlerweile herumgesprochen, dass sich jeder in der wiederbelebten Kirche einbringen kann und auch dringend gebraucht wird. […] Das Wiederbeleben der verwaisten Dorfkirche, in der bis jetzt nur noch alle zwei Wochen ein Gottesdienst stattfand, ist ein Plus, aber kein Muss. In ihr passiert das, was machbar ist. Neue Wege und Ideen, Strukturen und Möglichkeiten eröffnen sich. […] Gemeinsam mit anderen Gläubigen sucht das Ehepaar im Ort begabte und zu begeisternde Mitarbeiter in der Pfarrei. Vielleicht finden sie jemanden, der gerne ältere und kranke Menschen besucht, das Kirchengebäude pflegt oder ein Mütterfrühstück organisiert."
Wenn - wovon ich eigentlich ausgehe - an dem Pfarrhaus ein nicht allzu kleines Grundstück mit dranhängt, könnte man zudem noch einen Selbstversorgergarten anlegen. (Man frage mich bitte nicht, wo mein in jüngster Zeit immer größer werdendes Interesse an Gartenbauprojekten eigentlich herkommt. Als Kind habe ich Gartenarbeit gehasst. Na ja, so ändern sich die Zeiten.)
Katharina Fassler geht in ihrem Konzeptentwurf explizit von katholischen Pfarrhäusern aus, aber ich sehe eigentlich keinen Grund, warum nicht auch überkonfessionelle Kooperationen möglich sein sollten. Nebenbei bemerkt schreibe ich diesen Artikel natürlich nicht nur in der Absicht, meine Leser dazu zu überreden, als "Dorfmissionare" ausgerechnet nach Langwarden zu ziehen, sondern auch, um sie zu motivieren, über Möglichkeiten ähnlicher Projekte an anderen Orten nachzudenken. Kommen wir trotzdem nochmals auf das konkrete Beispiel Langwarden zurück. Was den konfessionellen Aspekt angeht: Die nächstgelegene katholische Kirche ist rund fünfeinhalb Kilometer entfernt, im Nachbardorf Burhave. Die seit der Reformation evangelische Langwarder Kirche St. Laurentius wurde im 12. Jahrhundert im romanischen Stil aus Tuffstein erbaut und "beherbergt eine rund 350 Jahre alte Orgel, die zu den bedeutendsten Instrumenten Norddeutschlands zählt". Letzterem Umstand ist es zu verdanken, dass in dieser Kirche alljährlich eine Konzertreihe unter dem Titel "Langwarder Orgelsommer" stattfindet. Übrigens wurde die Kirche von Spätsommer 2017 bis Frühjahr 2018 "für eine sechsstellige Summe" aufwendig renoviert; wie abermals die NWZ berichtet, betrafen die Renovierungsarbeiten "das Orgelprospekt ebenso [...] wie die Decke,
die Wände und das Mobiliar" und wurden finanziert "durch Zuwendungen vom
Bund sowie von der Europäischen Union", aber auch durch "eigene Mittel aus der Baurücklage" der Kirchengemeinde. Während der Renovierung fanden die Gottesdienste "in den Nachbarkirchen und das eine oder andere Mal auch an
ungewöhnlichen Orten" statt, womit die Kirchengemeinde nach Einschätzung von NWZ-Redakteur Detlef Glückselig "aus der Not eine Tugend" gemacht habe -- vielleicht aber auch eine Untugend. -- Übrigens erzählte mir der Diakon der katholischen Pfarrei St. Willehad, im Zuge der Renovierung seien in der Langwarder Kirche unerwartet Fresken aus vorreformatorischer Zeit freigelegt worden -- was die weiteren Arbeiten nicht unerheblich verkompliziert habe...
Der Reiz der weiten, flachen Landschaft, die sich von Langwarden aus in südlicher Richtung erstreckt, soweit das Auge reicht, erschließt sich indes erfahrungsgemäß nicht Jedem, aber ich persönlich find's sehr schön dort.
Weitere bemerkenswerte Informationen über Langwarden hat Ludwig Strackerjans erstmals 1867 erschienenes Standardwerk "Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg" zu bieten (im Folgenden zitiert nach der 2. Auflage, Oldenburg 1909, Bd. II, S. 392, Abschnitt 584c): Strackerjan berichtet, der volkstümlichen Überlieferung zufolge habe
Der Reiz der weiten, flachen Landschaft, die sich von Langwarden aus in südlicher Richtung erstreckt, soweit das Auge reicht, erschließt sich indes erfahrungsgemäß nicht Jedem, aber ich persönlich find's sehr schön dort.
Sonnenuntergang, gesehen vom Deich bei Langwarden; Bildquelle und Lizenz siehe hier. |
Weitere bemerkenswerte Informationen über Langwarden hat Ludwig Strackerjans erstmals 1867 erschienenes Standardwerk "Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg" zu bieten (im Folgenden zitiert nach der 2. Auflage, Oldenburg 1909, Bd. II, S. 392, Abschnitt 584c): Strackerjan berichtet, der volkstümlichen Überlieferung zufolge habe
"[z]u Langwarden [...] ehemals außer der jetzigen Kirche noch eine zweite Kirche gestanden, welche die Brüderkirche hieß, weil sie von zwei Brüdern erbaut war. Sie stand auf dem alten Kirchhofe, welcher der Riesenkirchhof benannt wird, weil dort Riesen begraben liegen. Ein steinerner Sarg, den man dort ausgegraben, liegt bei der Pastorei und heißt der Riesensarg."Man mag freilich darüber spekulieren, ob der Name "Brüderkirche" - vorausgesetzt, es hat diese sagenhafte Kirche tatsächlich gegeben - nicht tatsächlich einen anderen Hintergrund gehabt hat; diese Vermutung wird besonders dadurch nahegelegt, was Strackerjan über das sogenannte "Steinhaus" zu berichten weiß, das als das wahrscheinlich älteste profane Gebäude der Wesermarsch gilt und heute ebenfalls der Kirchengemeinde Langwarden gehört, die es als Gemeindehaus nutzt. Dieses Steinhaus, so Strackerjan, solle
"ein Teil eines ehemaligen Mönchsklosters gewesen sein und durch einen unterirdischen Gang mit dem Riesenkirchhofe und weiter unter der Straße hin mit der jetzigen Kirche in Verbindung gestanden haben".
So, liebe Leser: Habe ich Euch Langwarden jetzt ausreichend schmackhaft gemacht? Falls nicht, hier noch ein letzter Hinweis: Ganze drei der Nachbardörfer besitzen einen Badestrand...
Wie ist das eigentlich heutzutage: Soweit ich weiß, gehörte üblicherweise zu den Pfarrstellen in Dörfern und Ackerbürgerstädten immer auch ein Garten, Stallungen und ein Acker, aus dem sich der Pfarrer weitgehend selbst zu versorgen hatte. In meiner Familie wurde gern die Story erzählt, wie der in Stiefeln, an denen noch etwas vom Ausmisten hängen geblieben war, auf dem Fahrrad zu meiner Taufe kam ... So lange ist das ja nun auch wieder nicht her. Was ist da inzwischen passiert?
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