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Sonntag, 24. Juni 2018

Wenn die Wölfe es geschafft haben, in die Wesermarsch zurückzukehren, wieso sollten es nicht auch die Mönche tun?

In Niedersachsen stehen die Sommerferien kurz bevor, und das Gymnasium Nordenham hat daher zum Ende des Schuljahres eine Projektwoche unter dem Motto "Die Welt der Tiere" angesetzt. Man mag das ein bisschen altbacken finden, aber im Zweifel ist mir das immerhin lieber als eine Projektwoche zum Thema "Transgender". Oder so. Wie dem auch sei, die Ergebnisse der Projektwoche werden an diesem Dienstag im Rahmen eines Schulfests vorgestellt, und vielleicht geh' ich da mitsamt Frau und Kind hin. Lust hätt' ich schon. In einer Pressemitteilung, die von beiden Lokalzeitungen annähernd gleichlautend abgedruckt wurde (hier die Version der Nordwest-Zeitung), heißt es, die Gymnasiasten hätten sich im Laufe der Projektwoche mit Fragen auseinandergesetzt wie: 
"Was steckt in tierischen Lebensmitteln? Wie arbeitet eine Honigbiene? Brauchen wir Wölfe in Niedersachsen? Schmeckt veganes/vegetarisches Essen als Alternative zum Fleischkonsum?" 
Zur Honigbiene vielleicht ein Andermal mehr, aber bei der Sache mit den Wölfen hab' ich gelacht. Man stelle sich mal vor, man würde ein Rudel Wölfe befragen "Brauchen wir Menschen in Niedersachsen?". Wobei es gar nicht auszuschließen ist, dass die Meinungen der Wölfe zu dieser Frage einigermaßen geteilt wären. Denn nur wo Menschen sind, sind auch domestizierte Tiere, und deren Vorhandensein macht den Wölfen die Nahrungsbeschaffung wohl tendenziell eher leichter. Sehr zum Leidwesen der Tierhalter, insbesondere der Deichschäfer

Von dem Wolfsproblem in der Wesermarsch hatte ich meiner Liebsten übrigens schon auf der Fahrt mit der "Regio-S-Bahn" von Hude nach Nordenham erzählt, und in diesem Zusammenhang kam urplötzlich der Satz aus meinem Mund: 
"Wenn die Wölfe es geschafft haben, in die Wesermarsch zurückzukehren, dann könnten es doch vielleicht auch die Mönche tun." 
Das muss ich jetzt natürlich erklären. Wie kam ich in diesem Zusammenhang ausgerechnet auf Mönche? Nun gut, zum Teil hatte das vielleicht damit zu tun, dass es in Hude, wo wir vom Intercity in die "Regio-S-Bahn" umgestiegen waren, eine vergleichsweise gut erhaltene Klosterruine gibt. Die konnte man vom Bahnsteig aus zwar nicht sehen, aber ich wusste halt, dass es sie gibt, und irgendwann werde ich mir mal die Zeit nehmen müssen, sie zu besichtigen.

Die Zisterzienserabtei Portus Sanctae Mariae in Hude wurde 1232 gegründet, erhielt von den Grafen von Oldenburg umfangreiche Schenkungen an Ländereien, die die Mönche sehr erfolgreich bewirtschafteten; das Kloster betrieb u.a. eine Brauerei und eine Ziegelei, und die Klosterkirche beherbergte über zwei Jahrhunderte lang die Grablege der Grafen von Oldenburg. 1482 fiel Hude allerdings zusammen mit der nahen Burg Delmenhorst an das Bistum Münster, und 1536 verfügte der Münsteraner Bischof Franz von Waldeck - eine schillernde Gestalt der Reformationszeit - die Aufhebung des Klosters. Unter dem Oldenburger Grafen Anton I., der Delmenhorst und Hude im Jahr 1547 im Handstreich zurückeroberte, wäre es dem Kloster allerdings auch nicht besser ergangen, denn dieser hatte in seinem Territorium ab 1530 die Reformation eingeführt: Religiös war er zwar eher desinteressiert, sah in der Reformation aber eine günstige Gelegenheit, die Klöster zu enteignen.

Dieser Umstand weist darauf hin, dass es in der damaligen Grafschaft Oldenburg recht umfangreichen klösterlichen Besitz gegeben haben muss. Im benachbarten Ostfriesland gab es vor der Reformation eine der dichtesten Klosterlandschaften ganz Mitteleuropas, und ich möchte mal annehmen, dass die zwischen Ostfriesland und Oldenburg heftig umstrittene Wesermarsch mehr oder weniger mit zu dieser Landschaft gehörte. Professionelle Regionalhistoriker könnten Genaueres darüber sagen; meine eigenen Kenntnisse in dieser Sache sind eher lückenhaft, aber immerhin kann ich mit ein paar Schlaglichtern dienen. So unterhielt allein der Johanniterorden mindestens drei Niederlassungen (Kommenden) auf dem Gebiet des heutigen Landkreises Wesermarsch, nämlich in Roddens (bei Eckwarden), Inte (bei Stollhamm) und Strückhausen (bei Ovelgönne). Alle drei Kommenden wurden ca. 1531 von Graf Anton I. von Oldenburg enteignet, was einen langwierigen Rechtsstreit nach sich zog. In Atens, heute ein Stadtteil von Nordenham, wurde noch 1505 ein Karmeliterkloster gegründet,  das jedoch 1530 bereits verödet war. Ein Kelch aus dem Besitz dieses Klosters wird noch heute verwendet -- allerdings jetzt von der evangelischen Kirchengemeinde.

Okay, fassen wir zusammen: Vor der Reformation gab es in der Wesermarsch Klöster, und zwar nicht zu knapp; und heute gibt es keine mehr. Aber was hat das nun alles mit den Wölfen zu tun? -- Also, das ist so. Es gibt doch auf YouTube so ein Video darüber, wie im Yellowstone-Nationalpark Wölfe angesiedelt wurden und daraufhin auf staunenerregende Weise das gesamte, zuvor erheblich gestörte ökologische Gleichgewicht des Parks quasi "reparierten". Genau genommen gibt es nicht nur ein Video darüber, sondern diverse, und meine Liebste, die Biologielehrerin von Beruf und aus Leidenschaft ist, sagt, diese Geschichte stehe als Anschauungsbeispiel in so ziemlich jedem zweiten Lehrbuch über Ökologie. Wie dem auch sei, hier ist jedenfalls das Video, durch das ich diese Geschichte kennengelernt habe:


Faszinierend, nicht? Tja, und irgendwie treibt mich jetzt die Phantasie um, würde man wieder Mönche in der Wesermarsch ansiedeln, dann könnten die im geistlichen Sinne eine ähnliche Kettenreaktion in Gang setzen, die letztlich dazu führt, dass die "spirituelle Ökologie" dieses Landstrichs wieder ins Gleichgewicht kommt. Ich habe zwar keine ganz konkreten Vorstellungen davon, wie so eine Kettenreaktion ablaufen könnte, aber ein bisschen träumen bzw. 'rumspinnen kann man ja mal.

Ich gebe zu - und habe es ja auch gelegentlich schon angedeutet bzw. durchblicken lassen -, dass ich mir unter einer Benedikt-Options-Kommune, mit der man ehemalige Bauernhäuser, nicht mehr genutzte Wassertürme oder vom Fortschritt vergessene ländliche Wohnsiedlungen besetzen, äh, mit neuem Leben erfüllen könnte, bislang idealerweise eine Gruppe von Familien oder meinetwegen auch Mehrgenerationen-Wohngemeinschaften vorgestellt hätte. Aber die Bemerkung meiner Liebsten, in dem zum Verkauf stehenden Nordenhamer Wasserturm könne man "ein ganzes Kloster" unterbringen, hat mich ins Grübeln gebracht, und zwar auch über den konkreten Fall dieses Wasserturms hinaus. Könnte es sein, dass ein buchstäbliches Kloster tatsächlich der ideale Kristallisationspunkt für ein #BenOp-Siedlungsprojekt wäre? Bedenken wir, dass beispielsweise die Gemeinschaft der Tipi Loschi, die in Rod Drehers Buch immer wieder als vorbildlich gepriesen wird, in engem Kontakt mit den Benediktinermönchen von Norcia lebt. Bedenken wir beispielsweise auch, dass - wie ich in vor längerer Zeit mal erwähnt habe - die ab 1928 entstandene katholische Wohnsiedlung "Mariengarten" im (übrigens einstmals vom Templerorden begründeten) Berliner Ortsteil Marienfelde gezielt in der Nachbarschaft eines Klosters angelegt wurde.

Stellen wir uns also mal vor, der erste Schritt zur Entstehung einer #BenOp-Community in einer strukturschwachen und religiös weitgehend verödeten Gegend wäre die Begründung eines richtigen, echten Klosters, und im nächsten Schritt würden sich dann die oben angesprochenen Familien und/oder Mehrgenerationen-WGs in der Umgebung dieses Klosters ansiedeln, um regelmäßig am Gebetsleben der Mönche (Stichwort Stundengebet) teilzunehmen, aber zum Teil vielleicht auch gemeinsam mit den Mönchen zu arbeiten. Und diese gewissermaßen an das Kloster angegliederten Laiengemeinschaften tragen dann das lebendige Zeugnis eines radikal christlichen Lebens weiter in die Umgebung hinein -- ein Zeugnis gegenüber Nachbarn, Arbeitskollegen beziehungsweise Geschäftspartnern und natürlich gegenüber anderen Familien. Auf diese Weise ergäbe sich dann vielleicht tatsächlich eine Kettenreaktion à la Yellowstone.

Was nun konkret den alten Nordenhamer Wasserturm angeht, finde ich die Idee, da ein "vertikales Kloster" einschließlich Klosterkirche und Aquaponik-Klostergarten 'reinzubauen, als Idee nach wie vor überaus charmant. Übrigens habe ich mich davon überzeugt, dass der Turm in einer ziemlich oll und ein bisschen heruntergekommen aussehenden Wohngegend steht (Kenner der Nordenhamer Stadtgeschichte mögen mir aushelfen: Ist das die sogenannte "Kabelkolonie", die zwischen 1900 und 1907 von den Norddeutschen Seekabelwerken für ihre Beschäftigten angelegt wurde, oder ist die woanders?), was auch für Schritt 2 des "Kettenreaktions"-Plans keine schlechten Voraussetzungen böte.



Und ein tolles klostermäßig aussehendes Portal hat der Turm auch.


Übrigens liegt die örtliche katholische Pfarrkirche St. Willehad nur ca. sieben Minuten Fußweg vom Wasserturm entfernt.


Realistisch betrachtet ist allerdings wohl anzunehmen, dass jedweder Versuch, den Turm für irgendeine sinnvolle Nutzung umzubauen und dabei gleichzeitig dem Denkmalschutz gerecht zu werden, sich als Millionengrab entpuppen dürfte. Aber na ja, seien wir ehrlich: Abgefahrene Ideen 'rauszuhauen, und zwar ohne Rücksicht auf Fragen der Realisierbarkeit, ist nun mal meine Spezialität; Alternativpläne zu entwickeln, die im direkten Vergleich plötzlich viel realistischer aussehen, kann gern jemand anderes übernehmen. Vielleicht aber ja jemand, der ohne meine Spinnereien gar nicht erst auf so eine Idee gekommen wäre. Das wäre dann ja auch eine Art Kettenreaktion.

Eine heikle Frage ist indessen, wo man in Deutschland eine verlässlich rechtgläubige Ordensgemeinschaft für so ein Projekt finden soll. Was man aus manchen deutschen Klöstern so hört und liest, stimmt mich diesbezüglich wenig optimistisch. Details erspare man mir.

Immerhin ist aber ja in einer ganz anderen Ecke Deutschlands, im Bistum Görlitz, eine Wiedereröffnung des 1817 säkularisierten Klosters Neuzelle durch Zisterzienser aus dem österreichischen Stift Heiligenkreuz in Vorbereitung. Es wird spannend zu beobachten sein, ob die Zisterzienser in der Lausitz tatsächlich ein ähnlich segensreiches Wirken entfalten wie die Wölfe im Yellowstone-Park...



1 Kommentar:

  1. In der Gegend dort oben gab es mW auch einige Praemonstratenserklöster, die die Reformation nicht überlebt haben.

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