Betreff: Meinungsfreiheit und Diskussionskultur
ich
bin Autor eines katholischen Weblogs und habe dort u.a. über Aktionen
im Vorfeld des "Marschs für das Leben" berichtet.
Am vergangen Montag
wollte ich zusammen mit einer
Bloggerkollegin eine
Diskussionsveranstaltung besuchen, bei der Sie laut Ankündigung eine der
ReferentInnen waren:
"Abtreiben, einfrieren, durchscannen - (Queer-)Feministische Positionen zu Reproduktionstechnologien heute". -- Am Eingang wurden wir von einigen (wie ich vermute, dem VeranstalterInnen-Kollektiv
"NoFundiM.ärsche"
zugehörigen) Frauen empfangen, die uns den Zutritt verweigern wollten,
da sie annahmen, wir hätten die Absicht, die Veranstaltung zu "stören".
Nachdem wir klargestellt hatten, dass wir lediglich beabsichtigten,
friedlich und zivilisiert der Diskussion beizuwohnen, und darüber hinaus
zugesichert hatten, uns einer etwaigen Aufforderung zum Verlassen des
Saals, falls wir uns in Anstoß erregender Weise zu Wort melden sollten,
nicht zu widersetzen, erklärten unsere Gesprächspartnerinnen, sie
wollten die Meinung der ReferentInnen einholen. Minuten später wurde uns
mitgeteilt, die ReferentInnen - darunter also offenbar auch Sie -
hätten sich
gegen unsere Teilnahme ausgesprochen.
Da
uns keine Gelegenheit zur Aussprache eingeräumt wurde, kann ich streng
genommen nicht wissen, wie Sie persönlich in dieser Frage votiert haben.
Ich gehe jedoch davon aus, dass es sich um eine kollektive bzw.
einstimmige Entscheidung gehandelt hat. Sollte ich mich darin irren,
korrigieren Sie mich bitte.
Ich räume ein, dass unsere
Absicht, an dieser Diskussionsveranstaltung teilzunehmen, als
Provokation aufgefasst werden konnte, ja vielleicht sogar musste. Als
gläubige Katholiken vertreten meine Bloggerkollegin und ich zu
bestimmten Fragen, die mit dem Thema der Veranstaltung zusammenhängen,
Positionen, die zu der in der Ankündigung als "(queer-)feministisch"
bezeichneten Ausrichtung der Veranstaltung in einem Spannungsverhältnis
stehen. Gerade deshalb hätte ich die Teilnahme an der Veranstaltung als
vielversprechend betrachtet: Nicht zuletzt auch in Hinblick auf den
bevorstehenden "Marsch für das Leben", der beinahe "traditionell" von
einem
hohen Maß an Feindseligkeit begleitet wird, hätte ich mir davon,
lieber
miteinander zu sprechen als
übereinander, eine
deeskalierende Wirkung erhofft. Ich könnte mir zudem gut vorstellen,
dass die in der Ankündigung der Veranstaltung in Aussicht gestellte
kritische Auseinandersetzung mit Aspekten von Reproduktionstechnologien
sogar gewisse Übereinstimmungen zwischen "(queer-)feministischen"
Standpunkten und jenen der am christlichen Menschenbild ausgerichteten
Lebensschutzbewegung zu Tage gefördert hätte - oder zumindest die
Erkenntnis, dass die Gegensätze in einigen Fragen nicht gar so groß
sind, wie es oft den Anschein hat. Möglicherweise war aber gerade diese
Erkenntnis nicht erwünscht.
Da Sie als Referentin an der
genannten Veranstaltung beteiligt waren, wäre ich sehr interessiert
daran, zu erfahren, inwieweit Sie es als legitim betrachten, Personen,
deren Überzeugungen im Widerspruch zu den Ihren stehen, von der
Teilnahme an als "öffentlich" angekündigten Veranstaltung
auszuschließen. Inwieweit empfinden Sie es als vereinbar mit einer
demokratischen Diskussionskultur, bestimmte Standpunkte a priori als
nicht diskussionswürdig einzustufen, ohne diese zuvor auch nur angehört
zu haben? - Ich möchte hinzufügen, dass die von Ihnen mitgetragene
Entscheidung, Andersdenkende von der Teilnahme an der Diskussion -
selbst einer rein
passiven Teilnahme - auszuschließen, über die
Ächtung unliebsamer Meinungen noch hinausgeht: Der Eindruck, der
entsteht, ist der einer Ächtung der
Personen, die diese Meinungen
vertreten. Diese dürfen sich nicht einmal im selben Raum aufhalten,
nicht einmal dieselbe Luft atmen wie Sie und Ihre Gruppe von
Gleichgesinnten.
Sie sind Dozentin an der Freien
Universität Berlin. Gehen Sie in dieser Funktion eigentlich genauso vor?
Schließen Sie Studenten, mit deren Ansichten Sie ein Problem haben, von
ihren Seminaren aus? Wenn ja: Finden Sie, dass Sie damit Ihrem
Lehrauftrag gerecht werden? Fühlen Sie sich gut dabei, Gedankenpolizei
zu spielen? Wenn nein: Wie gehen Sie beruflich mit Meinungsäußerungen
um, die nicht Ihrem Weltbild entsprechen? Und wenn Sie in Ausübung Ihrer
Dozentinnentätigkeit in der Lage sind, andere Überzeugungen
auszuhalten, warum können Sie das dann nicht auch außerhalb dieser?
Für eine Antwort wäre ich Ihnen, unabhängig von deren Inhalt, ausgesprochen dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
[KingBear]
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