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Montag, 23. August 2021

Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #12 (21. Woche im Jahreskreis)

Was bisher geschah: Ich beginne mal mit etwas, was strenggenommen noch in das vorige Wochenbriefing hineingehört hätte -- einem Dialog am Frühstückstisch an Mariä Himmelfahrt, vorletzten Sonntag. "Also nächstes Jahr gibt es keine MEHR, sondern stattdessen eine WENIGER-Konferenz", teilte meine Liebste mir mit. "Die findet zweimal hintereinander statt, ohne Kinderprogramm und auch ohne Live-Übertragung; man kann sie nur erleben, indem man an ihr teilnimmt." 

Ich machte große Augen. "Du verarschst mich." 

"Nein!!!", beteuerte meine Liebste. 

Na ja, was soll man sagen. Ob das nun in die dicker und dicker werdende Ablage "How COVID ruined everything" gehört oder, wie meine Liebste meint, eher damit zu tun hat, dass "Hartl auf so'nem Entschleunigungstrip" ist -- lassen wir das mal dahingestellt. 

Am Montag ging es mir sehr schlecht: Ich litt, bedingt durch Stress und Schlafmangel, an Kopfschmerzen, vor allem aber war ich frustriert darüber, in der Gremienarbeit in der Pfarrei immer wieder gegen Wände zu laufen (ein Gefühl, das sich in meinem Wochenbriefing von voriger Woche wohl sehr deutlich niedergeschlagen hat), und hatte das Gefühl, unendlich viel zu tun zu haben und mit nichts so richtig voran zu kommen. Aber schon am Dienstag ging es wieder bergauf mit mir. Das begann damit, dass ich es schaffte, etwa eineinhalb Stunden früher aufzustehen als der Rest der Familie, um erst mal ein bisschen "Zeit für mich" zu haben. Am frühen Abend hatten wir, wie jeden Dienstag, Lobpreisandacht, allerdings hatte ich meiner Tochter Bernadette versprochen, vorher noch mit ihr die beiden Schnecken, die sie seit etwa eineinhalb Wochen in einem Schraubglas gehalten hatte, im Garten der Kirche "auszuwildern" und gegebenenfalls neue zu suchen. Meine Liebste kam mit dem Baby kurze Zeit später nach, Bernadette spielte auf dem Kirchengrundstück fröhlich mit den Nachbarsmädchen, und dann trafen wir unsere Pastoralreferentin, die wohl eigentlich gerade etwas im Pfarrbüro zu erledigen hatte, sich aber fast eine halbe Stunde Zeit für ein Gespräch mit uns nahm -- zunächst rein "privat", dann aber doch auch über verschiedene Aktivitäten und Projekte in der Pfarrei, und das erwies sich als sehr hilfreich zur Überwindung meiner Motivationskrise. 

Schnecken fanden sich im Garten der Kirche reichlich; noch mehr als hier zu sehen sind. 

Was die Lobpreisandacht betrifft, dachte ich zunächst, ich würde sie allein bestreiten müssen, während unsere Große weiterhin im Hof mit den Nachbarsmädchen spielte und meine Liebste sie dabei beaufsichtigte (und gleichzeitig das Baby stillte). Aber kaum hatte ich mit der Andacht begonnen, da kamen Bernadette und eins der anderen Mädchen in die Kirche gelaufen und tanzten zur Lobpreismusik. Ich war entzückt. Nicht minder entzückt war ich, als ich während der laufenden Andacht erwog, anstelle der Kurzlesung aus der Vesper vom Tag (die sich schließlich alle vier Wochen wiederholt) die Tageslesung aus dem Messlektionar zu nehmen -- und feststellte, dass da die Berufung Gideons aus dem Buch der Richter dran war; habe ich erwähnt, dass mein kleiner Sohn Gideon heißt? Nach der Andacht gingen wir erneut bei dem Vietnamesen gegenüber der Kirche essen, und der Laden ist echt gut

Den Mittwoch verbrachten Frau und Kinder größtenteils im Tierpark, was mir den nötigen Freiraum verschaffte, an der September-Ausgabe der "Lebendigen Steine", an meinen Buchrezensionen und an diesem Blogartikel zu arbeiten. Am Donnerstag begleitete ich meine Familie erst einmal zu einer Spielplatz-Verabredung, klinkte mich da aber nach knapp zwei Stunden aus, und als ich nach Hause kam, fand ich im Briefkasten das eigentlich schon letzte Woche erwartete Rezensionsexemplar des Buches "Den ersten Schritt macht Gott" von Bischof Stefan Oster und meinem Freund Rudolf Gehrig vor. Kommt natürlich auf meine Leseliste, allerdings würde es im Rahmen der "100-Bücher-Challenge" erst in Etappe 10 drankommen, und ich fürchte, ein Teil meiner Leser - allen voran Rudolf selbst - kann so lange nicht warten, also muss ich vielleicht demnächst schon mal eine "Sneak-Preview" auf Facebook veröffentlichen oder so. 

Am Freitag, dem Gedenktag des Hl. Bernhard von Clairvaux, hatte meine Liebste nachmittags eine Vorstandssitzung des Vereins "Freunde der katholischen Kirche Herz Jesu Tegel e.V." zum Zweck der Planung eines "Begegnungsfests" am 5. September; ich beaufsichtigte derweil - nach einem kurzen Besuch der Eucharistischen Anbetung - unsere Große beim Spielen im Hof der Kirche. Im Anschluss an die Vorstandssitzung war Abendmesse, und wir hatten gehört, dass ein junges Ehepaar, das erst seit wenigen Monaten im Gemeindegebiet wohnt, in dieser Messe ihr zehnjähriges Ehejubiläum feiern wollte. Junge Familie? Neu in der Gemeinde? Die wollten wir natürlich kennenlernen! Tatsächlich schafften wir es, uns ihnen nach der Messe vorzustellen und ein paar Worte mit ihnen zu wechseln. Schauen wir mal, wie sich das weiter entwickelt. 

Am Samstag standen wir zeitig auf, um den Krabbelbrunch vorzubereiten -- den ersten seit 17 Monaten. 



Schon im Vorfeld hatten wir uns - u.a. angesichts mangelnder Werbung, wofür wir uns zum Teil (zum Teil aber auch nicht) an die eigene Nase fassen müssen - Gedanken gemacht, ob überhaupt jemand kommen würde. Diese Sorge erwies sich als berechtigt, aber hey: Für unsere eigenen Kinder war's schön, für die Erwachsenen gab's leckeren Kaffee und coronakonform einzeln verpacktes Kleingebäck, und schließlich verfuhren wir wie in dem Gleichnis vom Hochzeitsmahl und luden die Nachbarsmädchen ein, sich zu uns zu gesellen. Aus dem Alter für die von uns aufgebaute Spiellandschaft waren die zwar schon deutlich raus, aber nett war's trotzdem. 

Das designierte Highlight des Sonntags war dann das Maria 1.0-Regionaltreffen für das Erzbistum Berlin. Der Anfang des Zoom-Meetings geriet aus technischen Gründen etwas holprig, aber dann wurde es doch sehr interessant und nett. Der voraussichtliche nächste Schritt wird die Einrichtung einer Mailingliste für die Koordination zukünftiger gemeinschaftlicher Aktivitäten sein; da steckt also noch Einiges an Potential drin. 


Was ansteht: Ich hatte es vorige Woche bereits angedeutet: Diese Woche platzt mein Terminkalender wirklich aus allen Nähten. Okay, heute noch nicht; heute ist "nur" der Redaktionsschluss für die September-Ausgabe der "Lebendigen Steine". Aber morgen - am Fest des Apostels Bartholomäus - steht beim vom Baumhaus ausgerichteten Emergent Berlin Festival ein, wie mir scheint, ziemlich vielversprechendes Thema auf dem Programm: "How to Kiezblock - Wandering Liveable Streetspace", ein "Teach-In" mit Kai Siefke vom Verein Changing Cities. (Was mich übrigens daran erinnert, dass dieser Verein auch mal eine Veranstaltung in "unserem" Pfarrhaus hatte...). Schauen wir mal, ob ich es schaffe, da nach der Lobpreisandacht hinzufahren. 

Am Mittwoch, dem Gedenktag des Heiligen Ludwig, trifft sich die AG Neuevangelisierung, vorrangig zu dem Zweck, die monatlichen Herz-Jesu-Andachten in unserer Pfarrkirche für das nächste halbe Jahr oder so zu planen, aber ich gehe mal davon aus, dass bei der Gelegenheit auch andere Anliegen diskutiert werden. So zum Beispiel die abgefahrene Idee des Pastoralausschusses, die einzelnen Gemeinden und "Orte kirchlichen Lebens" des Pastoralen Raums sollten eine "SWOT-Analyse" erarbeiten. Wie ich mich kenne, wird mein Beitrag dazu vorrangig darin bestehen, darzulegen, warum ich diese Idee eher nicht so brillant finde -- oder sagen wir: was ich daran problematisch finde. 

Am Donnerstag soll, meinem Terminkalender zufolge, das zweite Planungstreffen für die Einrichtung eines Instagram-Accounts für den Pastoralen Raum Reinickendorf-Süd stattfinden, aber da ich seit dem ersten Treffen dieser Gruppe (vor acht [!] Wochen) nichts mehr davon gehört habe, bin ich nicht ganz sicher, dass es wirklich stattfinden wird. Schauen wir mal. Dann ist schon Freitag, der Gedenktag der Hl. Monika, und da ist Lokalausschuss. Ein wichtiges Thema dürfte da wohl die angestrebte Renovierung der Pfarrhausküche sein; was sonst noch auf die Tagesordnung kommt, bleibt abzuwarten, aber die Erfahrung spricht dafür, dass da eine ganze Reihe von Themen zusammenkommen wird. 

Am Samstag ist der Gedenktag des Hl. Augustinus, und der wird in der zu unserem Pastoralen Raum gehörenden Pfarrei St. Rita - die aus einem Augustinerkonvent hervorgegangen ist - groß gefeiert: mit einer Festmesse um 18:30 Uhr, anschließendem Umtrunk im Klostergarten und einem Sinfoniekonzert um 21 Uhr. Der Umtrunk würde mich ja - unter Networking-Gesichtspunkten, versteht sich - durchaus interessieren, das Sinfoniekonzert ehrlich gesagt weniger. Aber vielleicht liest dies ja jemand, der sowohl Lust als auch die Möglichkeit hat, da hinzugehen. 

Und am Sonntag gibt's in St. Joseph einen "Familien-Wortgottesdienst". Normalerweise wäre das ja nun so richtig überhaupt nicht unser Ding, aber uns wurde mitgeteilt, dass diese Veranstaltung auf Initiative einer erst kürzlich ins Gemeindegebiet gezogenen Familie organisiert worden ist -- nicht der Familie, die vergangenen Freitag in Herz Jesu ihr Ehejubiläum gefeiert hat, aber die wird wohl auch dabei sein. Ich bin gespannt! 


Zitat der Woche: 

"Nur ein ganz klein wenig Glaube genügt, und Petrus kann auf dem Wasser gehen. Denn Glaube bedeutet Einssein, Einigsein mit Gott, und diese Einheit wirkt Wunder. Sich einzulassen auf die Wirklichkeit Gottes, ist ansteckend. Oft bemerken wir gerade bei Menschen, die Übermenschliches leisten oder erleiden, dass ihnen solches nur in der Kraft des Glaubens möglich ist." 

(Klaus Berger, "Jesus", S. 82) 


Linktipps: 

Ein Artikel von vor einem Jahr, aber sein Anlass - der Gedenktag des Hl. Maximilian Kolbe - wiederholt sich ja jedes Jahr, und somit wurde der Artikel unlängst erneut in den Sozialen Medien verbreitet. Und das ist gut so, denn ich (und sicherlich nicht nur ich) habe ihn dadurch zum ersten Mal zu Gesicht bekommen. Hätte ich schon früher von der Existenz dieses Artikels gewusst, hätte ich vermutlich ein paar Auszüge daraus für die August-Ausgabe der "Lebendigen Steine" verwendet. 

Elizabeth Scalia präsentiert in ihrem Artikel keine umfassende biographische Skizze des Heiligen, sondern konzentriert sich weitgehend auf die Umstände seines Todes im KZ Auschwitz. Die äußeren Fakten dieses Vorgangs sind ja recht bekannt, aber Elizabeth Scalia schildert die Ereignisse - unter Berufung auf Zeugenaussagen - sehr eindringlich. 

Dreh- und Angelpunkt des Artikels ist, dass Elizabeth Scalia die letzten Tage des Hl. Maximilian Kolbe als ein Zeugnis für die subversive Kraft des Gebets betrachtet. "Das Gebet eines gläubigen Menschen ist die Waffe des wahren Widerstandskämpfers", schreibt sie: "Was auch immer man dem Leib antun mag: Der Geist, wenn er durch das Gebet freigesetzt wird, kann nicht gezähmt werden." Und schließlich: 

"Die weltlich Gesinnten nennen den Glauben töricht und spotten über ihn. Genau deswegen werden sie letzten Endes unterliegen. Man kann keinen Krieg gewinnen, wenn man die Waffen geringschätzt, die denen zur Verfügung stehen, die man unterdrückt."  

In diesem Zusammenhang scheint es mir übrigens erwähnenswert, dass neulich in einem informellen Gespräch unter engagierten Gemeindemitgliedern die Rede davon war, die Gemeinde solle Vorschläge für ein Patrozinium der Großpfarrei sammeln, die in ein paar Jahren aus unserem Pastoralen Raum hervorgehen soll. Spontan brachte ich den Namen Maximilian Kolbe ins Gespräch, u.a. auch mit Blick auf die signifikante Anzahl polnischstämmiger Katholiken im Pastoralen Raum. Meine Gesprächspartner äußerten jedoch Bedenken: Kolbe sei ja ein Widerstandskämpfer gewesen, und das vertrage sich womöglich schlecht mit dem Selbstverständnis einer Kirche, die in der Mitte der Gesellschaft stehen wolle. 

Lassen wir das mal einen Moment auf uns wirken. 

Nanu, schon wieder Hanniel? Jo, isso. Die Überschrift hat mich neugierig gemacht.  Aufmerksamen Lesern wird nicht entgangen sein, dass ich in den letzten beiden Wochenbriefings andeutungsweise ein gewisses Maß an Sympathie oder jedenfalls Verständnis für die sogenannte "Querdenker"-Bewegung signalisiert habe; und wenngleich ich wenig Lust verspüre, mich dafür zu rechtfertigen, denke ich doch, ein bisschen Kontextualisierung und differenzierte Betrachtung ist da durchaus ratsam. Und dafür bietet eine Auseinandersetzung mit diesem Hanniel-Blogartikel recht gute Ansatzpunkte. 

"Corona ist für mich Symptom-Thema", beginnt Hanniel. "Sie [?] fördert Schwach- und Bruchstellen sowohl bei säkularen Post-Evangelikalen als auch bei den gegenweltlichen Konservativen zu Tage." Das klingt erst einmal sehr ausgewogen und ist sicherlich auch so gemeint;  folglich war ich zunächst etwas überrascht, dass Hanniels insgesamt sehr knappe Anmerkungen zu diesem Thema vorrangig als Kritik oder Ermahnung an die Adresse der "gegenweltlichen Konservativen" zu verstehen sind. Das mag zum Teil mit der Zielgruppenorientierung des Hanniel-Blogs zu tun haben -- in dem Sinne, dass der Autor möglicherweise davon ausgeht, die "säkularen Post-Evangelikalen" würden sich von ihm sowieso nichts sagen lassen bzw  er habe ihnen schlichtweg nichts zu sagen. Trotzdem erscheint es mir bezeichnend, dass ich mir unter der Überschrift dieses Artikels tendenziell etwas Anderes vorgestellt hätte; und ich möchte behaupten, das hat mit einem unterschiedlichen Erfahrungshorizont zu tun. 

Damit will ich sagen: Wenn ich beim Stichwort Vermischung von Corona und Evangelium in erster Linie eher nicht an fundamentalistische Impfgegner denke, die ihre Haltung zur herrschenden Corona-Politik zum Prüfstein christlicher Rechtgläubigkeit erheben, sondern eher an die exakt gegenteilige Position, dann hat das zweifellos auch damit zu tun, welche Haltung ich als die dominante erlebe. Gut, zugegeben: In einem Buch für Gebetsanliegen, das in unserer Pfarrkirche ausliegt, finden sich in jüngster Zeit immer mal wieder Einträge, in denen gewarnt wird, die Corona-Impfung sei "vom Satan", und hin und wieder tauchen entsprechend apokalyptische Pamphlete auch in der Schriftenauslage oder im Büchertauschregal auf. Aber das würde ich alles in allem doch als extreme Außenseiterpositionen betrachten, die im volkskirchlichen Mainstream kaum toleriert, geschweige denn ernst genommen werden. Volkskirchliche Normalität, so wie ich sie wahrnehme, ist ja eher von einem Ausmaß von Compliance gegenüber den behördlichen Corona-Vorschriften geprägt, dass man sich manchmal wünschen würde, die Glaubenslehre der Kirche würde auch nur halb so gewissenhaft befolgt. "Desinfektionsmittel statt Weihwasser" ist, wie mir scheint, eine recht symbolkräftige Illustration für diesen Sachverhalt. 

In der zurückliegenden Woche habe ich von mehreren Bischöfen gelesen, die sich dagegen ausgesprochen haben, religiös begründete Ausnahmen von der Impfpflicht anzuerkennen. Sogar der Papst ruft die Gläubigen dazu auf, sich gegen Corona impfen zu lassen

Nun ist dies allerdings eine Frage, in der auch der Papst nicht unfehlbar ist. Er kann - mit Recht - darauf hinweisen, dass es moralisch geboten ist, die eigene Gesundheit und die der Mitmenschen nach Möglichkeit zu schützen. Darüber zu urteilen, inwieweit eine Corona-Impfung diesem Zweck dient oder gar notwendig dafür ist, fällt nicht in seinen Kompetenzbereich als Papst. 

Das Problem an solchen Positionierungen ist, so wie ich (und gewiss nicht nur ich allein) es sehe, nämlich dies: Wenn, wie man immer wieder hört und liest, die Impfung zwar das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs signifikant verringert, den Geimpften aber weder davor schützt, infiziert zu werden, noch auch davor, Andere anzustecken, dann ist das in kirchlichen Kreisen sehr beliebte Narrativ, es sei ein Gebot der christlichen Nächstenliebe, sich impfen zu lassen, um Andere zu schützen, schlichtweg gegenstandslos. Aber wenn das so ist - und wenn somit auch durch eine flächendeckende "Durchimpfung" der Bevölkerung keine "Herdenimmunität" erreicht werden kann -, stellt sich die Frage: Wozu dann der enorme politische, mediale und gesellschaftliche Druck, mit dem dafür gesorgt  werden soll, dass alle Welt geimpft werde? Solange es auf diese Frage keine überzeugende Antwort gibt, braucht man sich über das Grassieren von Verschwörungstheorien nicht zu wundern. Sicherlich sind manche Vorstellungen, die in den Kreisen der sogenannten "Querdenker" kursieren, deutlich "over the top" -- zum Teil einfach abwegig, zum Teil wohl auch mit einer potentiell gefährlichen ideologischen Schlagseite ausgestattet -; aber dass diese Leute das Gefühl haben, den "offiziellen Autoritäten" nicht trauen zu können, kann ich ihnen schwerlich verübeln. Und darum erscheint es mir ausgesprochen unglücklich, wenn auch die Kirchen sich demonstrativ auf die Seite jener offiziellen Autoritäten schlagen. 

Nun aber zurück zu Hanniel! Seiner Ausgangsthese, es sei "problematisch", eine "Positionierung zur Impfung direkt mit dem Evangelium zu verbinden", kann ich voll und ganz zustimmen; interessant wird es dann in den nächsten zwei Sätzen: 

"Diejenigen, die so auf die Unterscheidung des bürgerlichen und staatlichen Regiments pochten, werden so unvermittelt zu Jüngern gegen die Impfung. Das nenne ich eine Vermischung der zwei Reiche (statt einer Unterscheidung)."

Das gibt zu denken; aber stimmt das eigentlich, oder ist es doch nur argumentative Spiegelfechterei? Ich bin mir da nicht ganz sicher. Vielleicht könnte das Buch "Corona und Christus" von John Piper, das Hanniel als weiterführende Lektüre empfiehlt; aber ich glaube, so genau, dass ich deswegen freiwillig ein ganzes Buch zum Thema "Christen und Corona" lesen würde, will ich es dann doch nicht wissen. 

Wiederum gänzlich mit Hanniel einverstanden bin ich, wenn er denjenigen Christen, die sich "unverhohlen als Vertreter der 'harten Rechten' zu erkennen" geben, vorhält, sie stellten "damit das Evangelium unter einen Gesinnungsvorbehalt". In der Tat: Die Glaubensüberzeugungen des Christen sollen seine politische Haltung prägen, nicht umgekehrt. (Das ist übrigens eine Forderung, die viele "liberale Christen" - unter Verweis auf die Trennung von Staat und Kirche, die sie als Trennung von Politik und Religion missverstehen - empört bis entsetzt zurückweisen würden. Aber das ist ein Thema für sich.) 

Zum Schluss merkt Hanniel noch an: "Die Geimpften kochen vor Wut über nicht Geimpfte und sind verhindert zu beten." Fundamentalistische Impfskeptiker unter den Christen könnten hier nun empört fragen: "Wie bitte, sollen wir daran jetzt auch noch schuld sein?" Dazu würde ich sagen, man muss nicht unterstellen, dass Hanniel das so gemeint hat, aber es kann wohl nicht schaden, in diesem Zusammenhang an die eindringlichen Warnungen der Evangelien davor zu denken, dass Christen füreinander zum skandalon, zum Stein des Anstoßes werden. Wie der Theologe Klaus Berger in seinem Buch "Jesus", S. 88, schreibt, ist "Ärgernisgeben" - verstanden als "ein Verhalten, mit dem ich den anderen provoziere, ihn störe, ihn irritiere, ihn unsicher mache in seinem Christsein" - dem Zeugnis der Evangelien und Briefe des Neuen Testaments zufolge "ungefähr das Schlimmste, was ein Christ dem anderen antun kann". Zumindest könnte man sagen, wer ein besonders guter Christ sein will, ist gut beraten, sich besonders darum zu bemühen, seine Feinde zu lieben. Das gilt im hier angesprochenen Konflikt natürlich für beide Seiten, und auch unabhängig vom Thema Corona immer und für uns alle, nicht zuletzt für mich. Ich weiß sehr wohl, dass die Feindesliebe nicht meine stärkste Seite ist. Aber ich bemühe mich um Besserung. 

(Nebenbei möchte ich anmerken, dass dieser Artikel durchaus auch exemplarisch ist für den trockenen, hölzernen Stil, der erheblichen Anteil daran hat, dass ich mit Hanniel Strebel nicht so richtig warm werde. Aber das gilt unabhängig von seinen inhaltlichen Positionierungen.) 

Vivian Warren ist 43, lebt und arbeitet in einer Niederlassung der Bruderhof-Gemeinschaft im Staat New York -- und sie ist Single. Das hat sie sich nicht so ausgesucht, es hat sich einfach nicht anders ergeben. Damit ist das Thema dieses Artikels schon einigermaßen umrissen: Wie schwer ist es, ein solches unfreiwilliges Singledasein als gottgewollt, ja womöglich sogar als eine Art von Berufung zu akzeptieren? 

An dieser Stelle ein paar Anmerkungen zur Bruderhof-Gemeinschaft: Meinen ersten Kontakt zu dieser nach dem I. Weltkrieg in Deutschland gegründeten neutäuferischen Bewegung, deren Gründergeneration 1937 vor den Repressionen durch das Nazi-Regime flüchtete und die heute Niederlassungen in den USA, Australien, Großbritannien, Paraguay, Österreich und auch wieder in Deutschland hat, hatte ich auf der MEHR 2017, jedoch - auch wenn das komisch klingt - gewissermaßen ohne es richtig zu merken. Im MEHR-Space gab es einen Bruderhof-Infostand, an dem ich allerlei Giveaways abgriff -- darunter zwei Bücher: "Leben in der Nachfolge", eine thematisch sortierte Sammlung von Auszügen aus den Schriften von Johann Heinrich Arnold, dem Sohn des Bruderhof-Gründers und langjährige Leiter dee Gemeinschaft, sowie die Autobiographie seiner Mutter Emmy Arnold, "Gegen den Strom". In der Masse an Infomaterial, die ich von meiner ersten MEHR mit nach Hause brachte, gingen diese Bücher aber erst mal unter und wurden bald darauf auch noch beim Umzug verkramt, kurz und gut, gelesen habe ich sie bis heute nicht, aber immerhin stehen sie auf meiner Leseliste für die "100-Bücher-Challenge" und sind da für die Etappen 9 und 13 vorgesehen. 

Wie ich bereits in früheren Artikeln angemerkt habe, erwähnt Rod Dreher die Bruderhof-Bewegung mehrfach auf seinem Blog; umgekehrt erschien auf der deutschsprachigen Bruderhof-Website eine sehr positive Besprechung meiner Übersetzung von Rod Drehers "Benedikt-Option", und in dieser Besprechung wurde auch mein Blog lobend erwähnt. 

Vorbehaltlich der noch ausstehenden eingehenderen Auseinandersetzung mit Lehre und Praxis der Bruderhof-Bewegung glaube ich jedenfalls sagen zu können, dass ihre Anhänger eine Form christlichen Gemeinschaftslebens kultivieren, die dem durchschnittlichen Volkskirchen-Angehörigen "sektenartig" vorkommen dürfte -- es dabei aber irgendwie scgaffen, sympathisch und ungefährlich 'rüberzukommen. Vivian Warren jedenfalls kommt enorm sympathisch 'rüber. Und ich glaube, dass ihr sehr persönliches und emotional aufrichtiges Zeugnis auch und gerade solchen Lesern "etwas sagen" kann  die sich mit dem Konzept "Keuschheit" eher schwertun; oder, for that matter, auch mit dem Konzept "Gehorsam"

Wie Vivian Warren erläutert, legen Mitglieder von Bruderhof-Gemeinschaften ebenso wie die Mitglieder religiöser Ordensgemeinschaften ein Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams ab. Ein Bruderhof ist aber eben kein Kloster, die Gemeinschaft besteht nicht nur aus Personen, die sich zu lebenslanger Ehelosigkeit verpflichtet haben, sondern auch Familien -- womit schon mal klar sein dürfte, dass mit dem Keuschheitsgelübde etwas Anderes gemeint sein muss als das, was sich Viele wohl unter diesem Begriff vorstellen würden, nämlich "absolute sexuelle Enthaltsamkeit, Punkt". Von Vivian Warren kann der geneigte Leser lernen, dass Keuschheit bedeutet, Sexualität so zu leben, wie es dem Willen Gottes entspricht -- und das bedeutet in der Praxis natürlich für Verheiratete etwas Anderes als für Unverheiratete. In diesem Sinne lehrt übrigens auch die katholische Kirche, dass alle Christen zur Keuschheit berufen sind (vgl. KKK 2348) -- wenngleich sie einfachen Laien bzw. "Weltchristen" im Normalfall nicht durch ein formelles Gelübde dazu verpflichtet. Allerdings wage ich zu behaupten, dass es für die Mehrheit der Getauften - und wahrscheinlich sogar für die Mehrheit der aktiven Kirchgänger - eine völlig abwegige Vorstellung ist, der Frage nach dem Willen Gottes für das eigene Leben höhere Priorität einzuräumen als dem Anspruch auf "Selbstverwirklichung". Das ist natürlich nicht zuletzt auch ein Problem mangelnder bzw. falscher Katechese. Wieso sollte Gott überhaupt etwas von mir bzw. für mich wollen, was meinen eigenen Wünschen widerspricht? Ist Gott nicht dazu da, MICH glücklich zu machen? -- Nun ja, ehrlich gesagt: Nicht direkt, Schnucki. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wahres Glück findet man, indem man den eigenen Willen mit dem Willen Gotte in Einklang bringt. Dass das nicht einfach ist und zuweilen schmerzhaft sein kann, stellt Vivian Warren sehr eindringlich dar. Kurz gesagt, ein Text, den ich gerade auch Jugendlichen und/oder den für sie zuständigen Katecheten gern ans Herz legen möchte. 


Ohrwurm der Woche: People's Temple Choir: "Hold On, Brother" (1973) 

Diesen Song widme ich der Tatsache, dass ich es in der zurückliegenden Woche endlich geschafft habe, Darryl Coopers siebenteiligen Podcast über Jim Jones und den People's Temple zu Ende anzuhören. Rund 30 Stunden. Vier Wochen hat's gedauert. Aber ich kann diesen Podcast nicht g'nug empfehlen. Ich habe unheimlich viel daraus gelernt,  nicht nur über den People's Temple, sondern auch über die Black Power-Bewegung, den Weather Underground, über ideologische Ent- und Verwicklungen der "Neuen Linken" seit den 1960er-Jahren, die bis heute fortwirken, und noch über Manches andere. 

Was man sich auch ohne spezielles Hintergrundwissen hätte denken können, ist, dass eine Sekte unbedingt eine gute Band braucht. Der People's Temple hatte eine -- die im Jahr 1973 sogar eine professionell produzierte Schallplatte, "He's Able", herausbrachte. Die elf Songs des Albums gibt's sämtlich auf YouTube, ich habe sie mir aber noch nicht alle angehört. Der Song "Hold On, Brother" wird in Darryl Coopers Podcast mehrfach angespielt, und ich finde ihn sehr bezeichnend für die gewissermaßen "para-religiöse" Ideologie des People's Temple: Musikalisch hat die Nummer eindeutige Gospel-Vibes, aber im Text wird die Anrufung Gottes konsequent ersetzt durch die Verheißung einer besseren Zukunft, die man, ganz in marxistischer Manier, selbst zu schaffen habe. Wir wissen, wie die Sache ausging: Gut fünf Jahre später waren all diese Leute - sofern sie nicht schon vorher aus der Sekte ausgestiegen waren - tot, im Dschungel von Guyana mit einem mit Blausäure versetzten Fruchtsaftgetränk vergiftet. 


Aus der Lesehore: 

Dreifach und doch wieder einfach ist der Sinn des göttlichen Mysteriums. Mysterium ist zunächst Gott in sich, Gott als der unendlich Ferne, der Heilige, der Unnahbare, dem kein Mensch sich nahen kann, ohne zu sterben; dem verglichen alles unrein ist, wie der Prophet sagt: "Ich bin ein Mann mit unreinen Lippen und lebe mitten in einem Volk mit unreinen Lippen, und meine Augen haben den König, den Herrn der Heere, gesehen." (Jes 6,5)

Und dieser Allheilige entschleiert sein Mysterium, lässt sich zu seinen Geschöpfen herab und offenbart sich ihm, aber immer wieder "im Mysterium", das heißt, in gnadenvoller Offenbarung an die von ihnen Erwählten, Demütigen, Herzensreinen, nicht an die Stolzen und Selbstbewussten. So bleibt auch seine Offenbarung ein Mysterium, da es nicht der profanen Welt offensteht, sondern sich vor ihr verbirgt und sich nur dem Gläubigen, dem Auserwählten, enthüllt. Gottes Wesen ist also unendlich erhaben über die Welt, und doch wohnt er gnadenvoll in der Kreatur, in der Menschheit; er ist transzendent und immanent zugleich; er übersteigt alle Kreatur dem Wesen nach und durchdringt sie der Allgegenwart und der Allwirksamkeit nach. 

(Odo Casel, "Das christliche Kultmysterium")  


3 Kommentare:

  1. "In einem Buch für Gebetsanliegen, das in unserer Pfarrkirche ausliegt, finden sich in jüngster Zeit immer mal wieder Einträge, in denen gewarnt wird, die Corona-Impfung sei "vom Satan", und hin und wieder tauchen entsprechend apokalyptische Pamphlete auch in der Schriftenauslage oder im Büchertauschregal auf."

    Die gesamte Offenbarung des Johannes ist ein einziges apokalyptisches Pamphlet, und das meine ich durchaus positiv. Da wimmelt es von Drachen mit mehreren Köpfen und Diademen auf denselben, von apokalyptischen Reitern und Racheengeln, vom Blutmond und verloschenen Sonnen, von einer Finsternis ect. ect.

    Nun hat es Satan (ja den gibt es wirklich) geschafft das Weihwasser aus den Kirchen zu verbannen. Irgendwie hört sich das für mich sehr apokalytisch an. Genauso wie folgende "Vorschrift" auf der Website unserer Pfarrei:
    "Sofern ohne medizinische Maske gesungen werden soll, müssen alle Erwachsenen zur Personengruppe der Immunisierten gehören oder einen gültigen kostenpflichtigen negativen PCR-Test vorlegen können, der nicht älter sein darf als 48 Stunden."

    Apokalyptischer wird es wohl noch werden, wenn nur noch Geimpfte zum Herrn Zutritt haben. Ich nehme Wetten an....

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    1. Diasporakatholik28. August 2021 um 14:13

      Ich weiß wirklich nicht, was an den auch in unseren Kirchengemeinden umgesetzten Corona Schutzmaßnahmen, zu denen halt auch noch der Verzicht auf Weihwasser in den entsprechenden für die Allgemeinheit zu benutzenden Becken gehört, "apokalyptisch" oder gar "vom Teufel eingegeben" sein soll.

      Das sind rein elementare und rational begründbare epidemiologische Schutzmaßnahmen gegen Weiterverbreitung der Viren und gegen Ansteckung mit denselben. Sonst nichts.

      Aber Leute wie gerd wittern dahinter finstere geheime Machenschaften und versuchen fleißig, Misstrauen gegen die Obrigkeiten zu säen.

      P.S.: Bei uns steht hinten in der Kirche öffentlich zugänglich ein großes Vorratsgefäß mit Weihwasser, aus welchem jeder Gläubige sich zum privaten Gebrauch kleine geeignete Portionen abfüllen kann und darf.

      So könnte man sich auch z. B. ein kleines Fläschchen davon mitnehmen und sich beim Betreten der Kirche daraus etwas auf die Fingerspitzen tupfen, um sich damit dann zu bekreuzigen.

      What's the problem?

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    2. "What's the problem?"

      "Die Katholische Kirchengemeinde St. Michael und St. Paulus in Velbert (Erzbistum Köln) will mit 1. September eine „3-G-Regelung“ für die Teilnahme an Gottesdiensten einführen. An den Gottesdiensten oder anderen Angeboten der Kirchgemeinde können nur Personen teilnehmen, die vollständig gegen Covid-19 geimpft, von der Krankheit genesen oder negativ getestet sind. Für den jeweiligen Status muss vor dem Eintritt ein Nachweis erbracht werden." (Quelle: kath.net)

      That's the problem! Die Aktion in Velbert zeigt ganz deutlich, dass die, nach ihrer Meinung nach, elementaren und rational begründeten Maßnahmen rein gar nichts genützt haben. Was rational daran sein soll, einen Gesundheitsnachweis zu bringen über eine Krankheit die zwischen 0,4 und 0,6% Todesfälle verursacht (Durchschnittsalter der Verstorbenen weit über 80 Jahre) können Sie mir ganz bestimmt nicht erklären. Ich nehme Wetten an....
      Im übrigen, werter Diasporakatholik, sind es nicht finstere und geheime Mächte, die in der Welt wirken, sondern: "Seid nüchtern und wachet! Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen könne! (Petrus, 5:8) Die finsteren Mächte haben einen Namen und sind eine Person: Satan! Das ist kein Geheimnis, welches man wittern könnte, sondern harte Realität im Leben eines jeden Christen, mich eingeschlossen!

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