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Dienstag, 2. Juli 2019

Die Idee eines christlichen Dorfes... in Italien

Giovanni Zennaro ist Webdesigner und Benediktiner-Oblate und lebt mit seiner Frau und drei kleinen Kindern in der Nähe von Mailand. Kennengelernt habe ich ihn über Rod Dreher - wobei der Ausdruck "kennengelernt" vielleicht etwas zu hohe Erwartungen weckt, aber jedenfalls haben wir halbwegs regelmäßig E-Mail-Kontakt. Schon in der allerersten Mail, die ich von Giovanni erhielt - Anfang Oktober 2017 -, erwähnte er beiläufig, er und seine Frau dächten über die Gründung eines christlichen Gemeinschafts-Wohnprojekts für junge Familien nach -- "ein Haus des Glaubens, das es uns ermöglicht, weiterhin in der Welt zu leben und zu arbeiten, ohne von ihr assimiliert zu werden".  Er bat um Gebetsunterstützung für dieses Projekt: "Der Heilige Geist hat dieses Verlangen in unseren Herzen erweckt, aber wir haben noch keine Ahnung, wie Er uns leiten wird, um es zu verwirklichen." 

Inzwischen hat dieses Vorhaben erhebliche Fortschritte gemacht: Es hat einen Namen - Cascina San Benedetto - und eine Website, auf der die Pläne der Initiatoren in italienischer, englischer und deutscher Sprache erläutert werden. Mit einem Zitat aus der Benediktsregel beschreiben Giovanni und seine Mitstreiter ihre Vision als "eine Schule für den Dienst am Herrn": 
"Wir teilen den Wunsch nach einem geordneten Leben, damit unsere Gedanken und Werke immer mehr an Christus ausgerichtet sein können. Ein Leben in Gemeinschaft, das auf brüderlicher Liebe und regelmäßigem liturgischen Gebet beruht, damit Gott in allen Dingen verherrlicht werde." 
Konkret ist dabei an einen Ort gedacht, an dem "mehrere Familien eng zusammenleben", ihren Tagesablauf durch gemeinsames Gebet strukturieren und partielle Gütergemeinschaft praktizieren, um so "im Glauben wachsen [zu] können und sich als Brüder und Schwestern in den Bedürfnissen des Lebens [zu] unterstützen. Diese Gemeinschaft soll in einer "kleine[n] landwirtschaftliche[n] Siedlung in der Brianza, eine halbe Stunde von Mailand entfernt", angesiedelt werden, sodass diejenigen Mitglieder der Gemeinschaft, die in der Stadt arbeiten, die Möglichkeit zum Pendeln haben. Zumindest vorläufig ist nämlich geplant, dass die Begründer der Gemeinschaft ihre "derzeitigen beruflichen Verpflichtungen beibehalten"; allerdings ist sehr wohl auch an die Möglichkeit gedacht, "dass jemand unter uns seine Arbeitszeit teilweise oder ganz reduziert, um sie Gemeinschaftsprojekten zu widmen". Zu den Zielen des Projekts gehört es insbesondere, "eine von Eltern betriebene Schule einrichten, damit unsere Kinder eine Ausbildung erhalten, die vollständig im Glauben und in der Morallehre der katholischen Kirche verankert ist." Über diese Idee einer von Eltern betriebenen Schule - gewissermaßen eine Form gemeinsamen "Homeschoolings" mehrerer Familien - wäre sicherlich noch allerlei zu sagen, aber ich schätze, das ist Stoff für einen eigenständigen Artikel. Ein weiterer wichtiger Aspekt des Projekts "Cascina San Benedetto" ist die Gastfreundschaft:
"So wie wir in den Klöstern Gastfreundschaft erleben, so wollen auch wir, dass unser Haus ein Ort ist, der für alle offen ist: für diejenigen, die mit der Zeit unsere Lebensweise teilen wollen, für diejenigen, die an unserer Freundschaft in Christus teilhaben wollen, indem sie sich uns zu den Gebetszeiten anschließen, und für diejenigen, die uns einfach besuchen wollen." 
Abb. ähnlich (Bildquelle und Lizenz hier
Rod Dreher äußert sich auf seinem Blog begeistert über das Projekt "Cascina San Benedetto": Dies sei "exakt das, wovon ich beim Schreiben der Benedikt-Option geträumt habe" und "ein Zeichen der Hoffnung für uns alle": 
"Hier sehen wir ein konkretes Beispiel engagierter junger christlicher Familien, deren höchstes Ziel es ist, Gott zu dienen und ihre Kinder in einer gläubigen Gemeinschaft aufzuziehen, und die so die Benedikt-Option verwirklichen. Lasst Euch davon ermutigen! Und wenn Ihr könnt, dann unterstützt diese praktischen Visionäre." 
In einem ausführlichen E-Mail-Interview mit Giovanni Zennaro merkt Rod an, man sollte ja eigentlich denken, es wäre "das Natürlichste auf der Welt, [...] junge christliche Familien zusammenzuführen, um gemeinsam ein von Gebet und Gottesverehrung erfülltes Leben zu führen", aber tatsächlich stünden einem solchen Vorhaben erstaunlich viele Hindernisse entgegen. Wie kommt das? "Das liegt daran, dass wir die soziale Gewohnheit des Lebens in Gemeinschaft verloren haben", meint Giovanni:
"Mir scheint, dass die westliche Welt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Prozess der mentalen Bourgeoisifizierung vervollkommnet hat, der mit der Industriellen Revolution seinen Anfang genommen hat. Selbstverwirklichung und individuelles Wohlergehen ist zum hauptsächlichen Bestreben von Einzelpersonen und Familien geworden, unabhängig von ihrer sozialen Stellung. Die Vorstellung, dass menschliche Gemeinschaft den Kontext bildet, innerhalb dessen die einzelne Person geboren wird und wächst, Leid und Freude erfährt und die tieferen Aspekte ihres eigenen Lebens mit anderen teilt, ist uns abhanden gekommen." 
Whoa. Mentale Bourgeoisifizierung, ein starker Begriff. Gefällt mir. Aber weiter:
"Selbst Christen sind nicht immun gegenüber diesem Phänomen. Der Glaube ist zu einem von vielen Werten reduziert worden, die wir aufrecht zu erhalten suchen, anstatt die einzigartige Erfahrung zu sein, die allem anderen im Leben erst seinen Geschmack und seine Bedeutung verleiht. Heute können wir sehen, dass eine solche Art von Glauben - eine Praxis, die das Leben letztlich unberührt lässt - höchstens noch einige wenige Generationen überdauern kann."
Giovanni merkt an, dass die grassierende Einsamkeit in unserer Gesellschaft - übrigens ein Thema, zu dem ich auch schon seit Wochen einen Artikel in der Pipeline habe - zu einem wachsenden Interesse an neuen Formen gemeinschaftlichen Lebens geführt habe. Im Allgemeinen, so stellt er fest, setzen solche Gemeinschaftskonzepte jedoch nur bei "Teilaspekten des Lebens" an -- "einem bestimmten Interesse, einem Hobby, einer besonderen Form sozialen Engagements, einem Wert, der den betreffenden Personen besonders wichtig ist". (Nur beiläufig möchte ich einwerfen, dass viele Menschen zu der Annahme neigen dürften, für religiöses Engagement gelte genau dasselbe, und diese Auffassung kann man den Leuten kaum verübeln, da sich institutionalisierte Formen religiösen Engamements tatsächlich häufig so darstellen.) "Auf diese Weise", so Giovanni Zennaro weiter, "erschaffen wir Formen des Zusammenseins, um die Einsamkeit zu bekämpfen, aber ohne dabei das wahre Drama des Lebens, die großen Fragen über den Sinn des Daseins miteinander zu teilen. [...] Ich denke, wir Christen haben die Aufgabe, unter uns eine andere Qualität von Gemeinschaft zu praktizieren -- und diese der Welt zu zeigen."

Dieser letzte Halbsatz erscheint mir besonders bedeutsam, da dies meiner Beobachtung zufolge einen Punkt berührt, an dem die Grundidee der Benedikt-Option besonders häufig missverstanden wird: Ja, es geht darum, dass gläubige Christen die Gemeinschaft untereinander intensivieren sollen, aber gerade nicht im Sinne einer Abschottung von der Welt oder Ausgrenzung Nicht- oder Andersgläubiger; vielmehr soll diese Gemeinschaft gerade auch ein evangelisierendes Zeugnis gegenüber der "Außenwelt" darstellen. Giovanni erklärt:
"Ich denke, es wird zunehmend wichtig für uns Christen, eine spezifische Lebensweise zu kultivieren, die derjenigen der ersten christlichen Gemeinden ähnelt. Wir werden Räume benötigen, in denen der Glaube in jeder Handlung des alltäglichen Lebens sichtbar zum Ausdruck kommt. Ich meine damit eine Art von Oasen des Glaubens - was sicherlich nicht heißen kann, dass diese Räume frei wären von all unseren Menschlichen Widersprüchlichkeiten und Schwächen -; Orte, an denen man sich kontinuierlich regenerieren kann. Dadurch sollte es uns auch möglich werden, umso besser als wahre Christen in der 'Welt da draußen' zu leben. 'Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen?' (Matthäus 5,13) Wir brauchen - das ist jedenfalls meine Überzeugung - Orte, an denen wir unsere 'Salzigkeit' erhalten können; wo wir fortwährend den charakteristischen Geschmack des christlichen Lebens verspüren. Wenn wir diesen Geschmack nicht zunächst in uns selbst bewahren, können wir ihn auch nicht der Welt anbieten." 
Am Rande merkt Giovanni an, seine Frau ermahne ihn regelmäßig, dass man "eine Gemeinschaft christlicher Familien nicht mit einer Hippie-Kommune verwechseln" dürfe. Wer mich kennt, den wird es nicht überraschen, dass ich an dieser Stelle des Interviews spontan dachte "Schade eigentlich"; aber sehen wir's mal so: Schon allein der Umstand, dass Giovannis Frau ihn immer wieder auf die Unterschiede hinweisen muss, zeigt, dass es eben doch ein gewisses Maß an Ähnlichkeit gibt.  

Gegen Ende des Interviews erwähnt Giovanni, eine Gemeinschaft von Mönchen habe ihm und seinen Mitstreitern den Vorschlag gemacht, ihr Projekt in unmittelbarer Nachbarschaft ihres Klosters anzusiedeln. Giovanni bezeichnet diese Option als "extrem faszinierend": "In täglichem Kontakt zu den Mönchen zu stehen, an ihrer Liturgie teilzunehmen und sie in die Bildung und Erziehung unserer Kinder einzubeziehen, wäre die schönste und beste Verwirklichung unseres Projekts." Ein entscheidendes Hindernis besteht jedoch darin, dass das fragliche Kloster "an einem abgelegenen Ort" liegt, "viele Stunden entfernt von unseren jetzigen Wohnorten. [...] Wir wüssten nicht, wie wir dort unseren Lebensunterhalt verdienen sollten." Daher, so sagt Giovanni, sei es sein Traum, "dass es auch umgekehrt funktionieren könnte: dass Mönche eines Tages in unsere Nähe kommen" und in der Nachbarschaft der Cascina San Benedetto ein Kloster gründen.

Natürlich lässt sich ein Projekt wie die Cascina San Benedetto schwerlich ohne ganz schnödes Geld realisieren, daher gibt es auf der Website auch einen Spendenaufruf bzw. einen Link zu einer Crowdfunding-Seite. Im Interview mit Rod Dreher erklärt Giovanni Zennaro:
"Wenn es uns nicht gelingt, Unterstützung zu bekommen, werden wir trotzdem versuchen, mit unseren eigenen Mitteln einen Anfang zu machen, auch wenn diese sehr begrenzt sind. Wir würden gern von Anfang an nicht nur unsere eigenen Wohnungen, sondern auch einige Gemeinschaftsräume fürs Gebet, für die Schule und für unsere Gäste in Angriff nehmen. Wenn dies ein 'Kloster für Familien' sein soll, dann muss es uns auch gelingen, die typischen Aufgaben eines Klosters zu erfüllen: Gebet, Unterricht, körperliche Arbeit, Gastfreundschaft. Deshalb sind wir auf der Suche nach finanzieller Unterstützung. Klöster leben von ihrer eigenen Arbeit und von dem, womit Gott sie versorgt. Dasselbe wollen wir auch tun." 
Auf der besagten Crowdfunding-Seite ist ein Spendenziel von 200.000 € angegeben, was mir nicht übertrieben viel zu sein scheint; allerdings ließ die Summe der eingegangenen Spenden, als ich das letzte Mal nachgesehen habe, doch noch sehr zu wünschen übrig. Also, liebe Leser, werft doch mal einen wohlwollend prüfenden Blick in Euer Portemonnaie (bzw. auf Euren letzten Kontoauszug)! -- Neben Geldspenden ist selbstverständlich auch Gebetsunterstützung für das Projekt ausgesprochen willkommen. 



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