Wenn man sich anschaut, was für ein Ton derzeit in innerkirchlichen Debatten angeschlagen wird, dann kann man es wohl niemandem verübeln, wenn der den Eindruck hat, es rieche verdächtig nach Schisma. "Kardinal Müller ätzt gegen kirchliche Reformprojekte": Diese Überschrift stand nicht in der taz oder im Neuen Deutschland, sondern in einem Magazin, als dessen Herausgeber laut Impressum ein katholischer Diözesanbischof firmiert. Derweil träumt in der Wochenzeitschrift "Christ in der Gegenwart", die früher mal Freiburger Katholisches Kirchenblatt hieß und deren Leserschaft laut einer Allensbach-Umfrage von 2004 zu 89% "jeden Sonntag in den Gottesdienst" geht, ein ungenannter Autor von einer runderneuerten, diskriminierungsfreien Kirche, aus der lediglich "ein paar alte Männer" ausgeschlossen bleiben sollen (was angesichts der typischen Altersstruktur der "Reform"-beflissenen kirchlichen Gremien und Verbände ein wenig tragikomisch wirkt, aber das nur nebenbei).
Wenn ich für die derzeitige innerkirchliche Polarisierung hier ausschließlich Beispiele von einer Seite gewählt habe, sehe ich das als ein Stück ausgleichende Gerechtigkeit angesichts des Umstands, dass die breite Öffentlichkeit von der anderen Seite ohnehin nichts anderes erwartet. Aber Spaß beiseite: Wie tief gespalten die katholische Kirche, aber auch darüber hinaus die ganze Christenheit hierzulande ist - wobei es oft den Anschein hat, dass die tiefsten Gräben quer durch die Konfessionsgrenzen verlaufen statt entlang dieser -, zeigt sich in jüngster Zeit vielleicht mit zunehmender Deutlichkeit und Dramatik, aber sehen konnte man es schon länger, wenn man nur hinschauen wollte. Ein Schlüsselerlebnis in dieser Hinsicht war für mich persönlich die Vorstellung des Mission Manifest Anfang 2018, oder genauer gesagt die Reaktionen darauf -- insbesondere die negativen. Darüber wollte ich schon lange mal was schreiben.
Bei der Live-Präsentation der Thesen des Manifests im Augsburger Messezentrum war ich nicht anwesend, da meine Liebste und ich währenddessen mit dem an jenem Abend lange erfolglos bleibenden Versuch beschäftigt waren, unsere Tochter ins Bett zu bringen. Aber immerhin war ich relativ dicht dran am Geschehen und las mir die zehn Thesen noch am selben Abend durch. Mein erster Eindruck war, dass diese Initiative eine ausgesprochene "Big Tent"-Strategie verfolge, ja ich dachte sogar, es wäre mir - im offenen Widerspruch zu dem Rat, den ein mir von jeher verhasstes Kinder-NGL gibt - lieber, den Kreis ein bisschen kleiner zu ziehen. Anders ausgedrückt, mir erschienen die Thesen derart inklusiv formuliert, dass ich dachte, da kann doch niemand was dagegen haben. Okay, an dem einen oder anderen Detail würde sicher der eine oder andere (möglicherweise einschließlich meiner Person) etwas auszusetzen haben, aber so im Großen und Ganzen...?
Tja. Werch ein Illtum.
Noch eher vorhersehbar waren die einander gegenseitig auskonternden Reaktionen traditionell-konservativer Katholiken, denen das Manifest nicht katholisch genug war, und fundamentalistischer Evangelikaler, denen es zu katholisch war. Aber das war noch gar nichts gegen die Mischung aus Verachtung und blanker Panik, die die Reaktionen aus dem progressiv-relativistischen Lager prägte. Eine übersichtliche Zusammenschau derartiger Reaktionen hat seinerzeit das Zentralorgan der im Sitzen pinkelnden Föhnfrisurträger, otherwise known as "Die Eule", geliefert. Die gängigsten Vorwürfe in Stichworten: Das Mission Manifest sei von einem fundamentalistischen Glaubensverständnis geprägt; das Konzept von "Mission", das in den Thesen zum Ausdruck komme, sei bevormundend gegenüber Nicht- und Andersgläubigen; und außerdem seien die Initiatoren lauter Männer. Schlimm.
Wenn ich für die derzeitige innerkirchliche Polarisierung hier ausschließlich Beispiele von einer Seite gewählt habe, sehe ich das als ein Stück ausgleichende Gerechtigkeit angesichts des Umstands, dass die breite Öffentlichkeit von der anderen Seite ohnehin nichts anderes erwartet. Aber Spaß beiseite: Wie tief gespalten die katholische Kirche, aber auch darüber hinaus die ganze Christenheit hierzulande ist - wobei es oft den Anschein hat, dass die tiefsten Gräben quer durch die Konfessionsgrenzen verlaufen statt entlang dieser -, zeigt sich in jüngster Zeit vielleicht mit zunehmender Deutlichkeit und Dramatik, aber sehen konnte man es schon länger, wenn man nur hinschauen wollte. Ein Schlüsselerlebnis in dieser Hinsicht war für mich persönlich die Vorstellung des Mission Manifest Anfang 2018, oder genauer gesagt die Reaktionen darauf -- insbesondere die negativen. Darüber wollte ich schon lange mal was schreiben.
Lagerbildung, wie ich sie mag. (Bildquelle: Flickr) |
Tja. Werch ein Illtum.
Noch eher vorhersehbar waren die einander gegenseitig auskonternden Reaktionen traditionell-konservativer Katholiken, denen das Manifest nicht katholisch genug war, und fundamentalistischer Evangelikaler, denen es zu katholisch war. Aber das war noch gar nichts gegen die Mischung aus Verachtung und blanker Panik, die die Reaktionen aus dem progressiv-relativistischen Lager prägte. Eine übersichtliche Zusammenschau derartiger Reaktionen hat seinerzeit das Zentralorgan der im Sitzen pinkelnden Föhnfrisurträger, otherwise known as "Die Eule", geliefert. Die gängigsten Vorwürfe in Stichworten: Das Mission Manifest sei von einem fundamentalistischen Glaubensverständnis geprägt; das Konzept von "Mission", das in den Thesen zum Ausdruck komme, sei bevormundend gegenüber Nicht- und Andersgläubigen; und außerdem seien die Initiatoren lauter Männer. Schlimm.
Wohl auch in den Kontext solcher Äußerungen gehörte - wenngleich das Mission Manifest darin nur beiläufig und indirekt erwähnt wurde - ein Beitrag von Gabriele Höfling in der "Standpunkt"-Rubrik auf häretisch.de über, man lese und staune, "Bewegungen, die vermehrt auf Frömmigkeit setzen". Als konkrete Beispiele dafür nennt sie die MEHR und "neuere Jugendformate wie Nightfever". "Einfach mal einen Gang runterschalten", rät hat Frau Höfling solchen Initiativen bereits in der Überschrift ihres Kommentars: Die sollen sich mal nicht so viel einbilden auf ihren Erfolg bei jungen Leuten, denn die "ganz normale" kirchliche Gremien- und Verbandsarbeit - beispielsweise "BDKJ, Pfadfinder und Ferienfreizeiten, denen aus bestimmten Kreisen gern ein mangelnder Glaubensgehalt unterstellt wird" - erreichten noch viel mehr Jugendliche, "ohne großen Hype". In "Lobpreis und Eucharistische[r] Anbetung" eine "bessere Antwort auf die Probleme der Kirche" zu sehen, "als es trockene Strukturreformen sein können", sei daher "ein Fehlschluss": "Von den genannten Angeboten werden eben nur die Leute angesprochen, mit einer solchen Frömmigkeit auch etwas anfangen können. Andere bleiben auf der Strecke." Oder, noch einmal anders ausgedrückt: "Ein solcher eher konservativer [!] Kurs, so formulierte es einmal der Religionssoziologe Detlef Pollack, könne zwar eine Minderheit enger an die Kirche binden. Eine große Mehrheit werde allerdings abgeschreckt."
Ach ja, Detlef Pollack. Der Münsteraner Religionssoziologe, der sowohl den Rat der EKD als auch die Deutsche Bischofskonferenz berät und zu dessen Glanzleistungen die Forderung gehört, Gottesdienste müssten kurz sein - auf jeden Fall kürzer als eine Stunde -, weil die Leut' am Sonntag schließlich auch noch was anderes vorhätten als in die Kirche zu gehen. Pollacks Dauerbrennerthema ist jedoch die Feststellung, dass gerade die distanzierten Kirchenmitglieder - bzw. deren Geld - eine unverzichtbare Ressource für den Erhalt der institutionellen Strukturen der Großkirchen darstellen. Die daraus recht plausibel ableitbare Forderung, die Kirchen müssten sich gerade um diese Zielgruppe besonders bemühen, bedeutet für Pollack jedoch nicht, dass man versuchen sollte, die Distanzierten aus ihrer Distanziertheit herauszuholen; im Gegenteil, die sollen mal schön bleiben, wo sie sind, denn gerade so nützen sie - dem automatischen Kirchensteuereinzug sei Dank - den Kirchen am meisten. Ein ausgeprägtes religiöses Profil zu zeigen, ist viel zu riskant: Damit liefe man Gefahr, die weniger religiös interessierten Mitglieder zu verschrecken; genau das können die Kirchen sich nicht leisten; daher fahren sie besser damit, möglichst wenig Profil zu zeigen.
Ich muss mich selbst immer wieder ermahnen, zu bedenken, dass eine solche Sichtweise nicht zwangsläufig zynisch ist -- dass daraus nicht allein das Kalkül von "Strukturbesatzern" spricht, deren Loyalität zur Institution Kirche im Wesentlichen darin besteht, ihren Job und das Gehalt, das sie dafür beziehen, zu verteidigen. Nein, es gibt im "liberalen" oder "progressiven" institutionellen Apparat der Kirche sicherlich nicht wenige Leute, die ganz aufrichtig davon überzeugt sind, dass die Kirche als zuvilgesellschaftliche Institution gute, wichtige und gesellschaftlich notwendige Arbeit leiste und dass sie, um diese Arbeit leisten zu können, eben eine große Mitgliederbasis (und viel Geld) benötige. Nur dieser ganze "Glaubenskram", der ist eher hinderlich, weil sich davon eben nur eine Minderheit der Mitgliederbasis ansprechen lässt.
Jemand, der dieser Auffassung widerspricht, ist überraschenderweise Erik Flügge. So gern er sich über handelsübliche Methoden "milieusensibler Pastoral" lustig macht und etwa erklärt, es bringe nichts, Gottesdienste für ein Publikum zu konzipieren, das sich nicht für Gottesdienste interessiert, beharrt er andererseits darauf, die Kirche dürfe nicht den Anspruch aufgeben, "ihre Mitglieder auch religiös erreichen zu wollen", andernfalls könne sie "nicht dauerhaft bestehen". -- Darüber, wie die Kirche die Menschen "religiös erreichen" kann und soll, hat Flügge indes offenkundig erheblich andere Vorstellungen als etwa die Initiatoren des Mission Manifest. Die Kirche sieht er weniger in der Rolle der Trägerin und Botin einer göttlichen Offenbarung, sondern eher als Dienstleisterin für die religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder, und der geringe Grad der Mitgliederbindung in den Großkirchen zeigt laut Flügge, dass diese erst wieder neu lernen müssen, was die religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder eigentlich sind, um sich dann darauf einzustellen.
Wirklich frappierend finde ich es indes, dass es Kritiker Flügges gibt, denen diese Sichtweise immer noch zu religiös ist. Norbert Bauer zum Beispiel, einstmals Pastoralreferent in Köln, jetzt daselbst Leiter der Karl-Rahner-Akademie. In einem Beitrag für das Magazin futur2 attestiert er Flügge einen "Abwertungsjargon", weil er "wie die Glaubenskongregation überall Glaubensdefizite diagnostiziert"; er tadelt Flügge dafür, dass er sich ausdrücklich nicht für die Dauerbrennerthemen des kirchlichen "Reform"-Diskurses (z.B. Frauenweihe) interessiert und meint, mit solchen Debatten wollten "Liberale und Konservative nur ihre Zielgruppen befriedigen"; ja, schließlich wirft er Flügge vor, dieser wolle eine Kirche, die "sich nur noch als Glaubensgemeinschaft definiert und den daraus folgenden Anspruch als Dienstleister für die Gesellschaft und für ihre Mitglieder aufgibt".
Soweit, so bizarr; aber ich will mich hier nicht in Details verzetteln. Belassen wir es bei der Feststellung, dass es irgendwo da draußen, in "theologischen Feuilletons", an Hochschulen, in kirchlichen Gremien und pastoraltheologischen "Think Tanks", einen Diskurs gibt, in dem es bereits als anrüchig gilt, sich zu der Auffassung zu bekennen, eine zentrale Aufgabe der Kirche sei Glaubensverkündigung. Wenn man damit dann auch noch einen überindividuell verbindlichen, in seiner Substanz unverfügbar vorgegebenen Glauben meint, dann ist man, bevor man von Reizthemen wie Weihepriestertum, Zölibat, Rolle der Frau, Interkommunion oder Segnung gleichgeschlechtlicher Paare auch nur angefangen hat, bereits als Reaktionär, als Fundi, als "vorkonziliar" abgestempelt. Oder mindestens, allermindestens als "konservativ". Eine Bezeichnung, mit der ich mich schwer tue -- jedenfalls damit, sie auf mich selbst zu beziehen.
Sicherlich könnte ich mich lang und breit über unterschiedliche Definitionen von "konservativ" auslassen, von denen ich manche besser und andere schlechter mit meinem eigenen Standpunkt in Einklang bringen könnte; aber das spare ich mir an dieser Stelle lieber, denn ich muss ohnehin schon zusehen, dass dieser Artikel nicht zu sehr ausufert. Ich halte solche Erörterungen hier auch für verzichtbar, und das aus (mindestens) zwei Gründen. Zum einen kommt mir immer mal wieder der Verdacht, die Etikettierung bestimmter Positionen als "konservativ" verfolge ohnehin nur die Absicht, diese zu delegitimieren. Das funktioniert deshalb, weil in weiten Teilen des gesellschaftlichen Diskurses "konservativ" als negativ konnotierter Begriff wahrgenommen wird; das ist die logische Kehrseite eines ungebrochen positiv konnotierten Verständnisses von "Fortschritt". "Konservativ" gilt als gleichbedeutend mit "oll". Das ist mir neulich mal wieder aufgefallen, als ich mich beim "Klönschnack" in der OASE Tossens mit einem emeritierten Pfarrer aus dem westfälischen Teil des Bistums Münster unterhielt. Als das Gespräch darauf kam, dass ich für die Tagespost schreibe, wandte er an, diese Zeitung gelte doch als "ziemlich konservativ". So wie er das sagte, hielt er das offensichtlich für etwas Schlechtes. -- Zum zweiten (und wenn ich es recht bedenke, hängt das wohl einigermaßen eng mit dem erstgenannten Punkt zusammen) betrachte ich das Etikett "konservativ" nicht so sehr aufgrund bestimmter Begriffsdefinitionen als einen Schuh, der mir nicht passt, sondern vor allem aufgrund bestimmter assoziativer Vorstellungen, die sich nicht-nur-aber-auch für mich an diese Bezeichnung knüpfen. Nämlich vor allem die Vorstellung, konservativ sei jemand, der möchte, dass alles so bleibt, wie es schon immer war, WEIL es schon immer so war. Ich möchte behaupten, genau diese Motivation unterstellen "Progressive" den von ihnen als "konservativ" Eingeordneten permanent; da ist es dann nur noch ein kleiner Schritt dazu, die Haltung des vermeintlich oder tatsächlich Konservativen wahlweise mit Dummheit, Faulheit oder Angst, namentlich Angst vor Veränderung, in Verbindung zu bringen,
Ach ja, Detlef Pollack. Der Münsteraner Religionssoziologe, der sowohl den Rat der EKD als auch die Deutsche Bischofskonferenz berät und zu dessen Glanzleistungen die Forderung gehört, Gottesdienste müssten kurz sein - auf jeden Fall kürzer als eine Stunde -, weil die Leut' am Sonntag schließlich auch noch was anderes vorhätten als in die Kirche zu gehen. Pollacks Dauerbrennerthema ist jedoch die Feststellung, dass gerade die distanzierten Kirchenmitglieder - bzw. deren Geld - eine unverzichtbare Ressource für den Erhalt der institutionellen Strukturen der Großkirchen darstellen. Die daraus recht plausibel ableitbare Forderung, die Kirchen müssten sich gerade um diese Zielgruppe besonders bemühen, bedeutet für Pollack jedoch nicht, dass man versuchen sollte, die Distanzierten aus ihrer Distanziertheit herauszuholen; im Gegenteil, die sollen mal schön bleiben, wo sie sind, denn gerade so nützen sie - dem automatischen Kirchensteuereinzug sei Dank - den Kirchen am meisten. Ein ausgeprägtes religiöses Profil zu zeigen, ist viel zu riskant: Damit liefe man Gefahr, die weniger religiös interessierten Mitglieder zu verschrecken; genau das können die Kirchen sich nicht leisten; daher fahren sie besser damit, möglichst wenig Profil zu zeigen.
Ich muss mich selbst immer wieder ermahnen, zu bedenken, dass eine solche Sichtweise nicht zwangsläufig zynisch ist -- dass daraus nicht allein das Kalkül von "Strukturbesatzern" spricht, deren Loyalität zur Institution Kirche im Wesentlichen darin besteht, ihren Job und das Gehalt, das sie dafür beziehen, zu verteidigen. Nein, es gibt im "liberalen" oder "progressiven" institutionellen Apparat der Kirche sicherlich nicht wenige Leute, die ganz aufrichtig davon überzeugt sind, dass die Kirche als zuvilgesellschaftliche Institution gute, wichtige und gesellschaftlich notwendige Arbeit leiste und dass sie, um diese Arbeit leisten zu können, eben eine große Mitgliederbasis (und viel Geld) benötige. Nur dieser ganze "Glaubenskram", der ist eher hinderlich, weil sich davon eben nur eine Minderheit der Mitgliederbasis ansprechen lässt.
Jemand, der dieser Auffassung widerspricht, ist überraschenderweise Erik Flügge. So gern er sich über handelsübliche Methoden "milieusensibler Pastoral" lustig macht und etwa erklärt, es bringe nichts, Gottesdienste für ein Publikum zu konzipieren, das sich nicht für Gottesdienste interessiert, beharrt er andererseits darauf, die Kirche dürfe nicht den Anspruch aufgeben, "ihre Mitglieder auch religiös erreichen zu wollen", andernfalls könne sie "nicht dauerhaft bestehen". -- Darüber, wie die Kirche die Menschen "religiös erreichen" kann und soll, hat Flügge indes offenkundig erheblich andere Vorstellungen als etwa die Initiatoren des Mission Manifest. Die Kirche sieht er weniger in der Rolle der Trägerin und Botin einer göttlichen Offenbarung, sondern eher als Dienstleisterin für die religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder, und der geringe Grad der Mitgliederbindung in den Großkirchen zeigt laut Flügge, dass diese erst wieder neu lernen müssen, was die religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder eigentlich sind, um sich dann darauf einzustellen.
Wirklich frappierend finde ich es indes, dass es Kritiker Flügges gibt, denen diese Sichtweise immer noch zu religiös ist. Norbert Bauer zum Beispiel, einstmals Pastoralreferent in Köln, jetzt daselbst Leiter der Karl-Rahner-Akademie. In einem Beitrag für das Magazin futur2 attestiert er Flügge einen "Abwertungsjargon", weil er "wie die Glaubenskongregation überall Glaubensdefizite diagnostiziert"; er tadelt Flügge dafür, dass er sich ausdrücklich nicht für die Dauerbrennerthemen des kirchlichen "Reform"-Diskurses (z.B. Frauenweihe) interessiert und meint, mit solchen Debatten wollten "Liberale und Konservative nur ihre Zielgruppen befriedigen"; ja, schließlich wirft er Flügge vor, dieser wolle eine Kirche, die "sich nur noch als Glaubensgemeinschaft definiert und den daraus folgenden Anspruch als Dienstleister für die Gesellschaft und für ihre Mitglieder aufgibt".
Soweit, so bizarr; aber ich will mich hier nicht in Details verzetteln. Belassen wir es bei der Feststellung, dass es irgendwo da draußen, in "theologischen Feuilletons", an Hochschulen, in kirchlichen Gremien und pastoraltheologischen "Think Tanks", einen Diskurs gibt, in dem es bereits als anrüchig gilt, sich zu der Auffassung zu bekennen, eine zentrale Aufgabe der Kirche sei Glaubensverkündigung. Wenn man damit dann auch noch einen überindividuell verbindlichen, in seiner Substanz unverfügbar vorgegebenen Glauben meint, dann ist man, bevor man von Reizthemen wie Weihepriestertum, Zölibat, Rolle der Frau, Interkommunion oder Segnung gleichgeschlechtlicher Paare auch nur angefangen hat, bereits als Reaktionär, als Fundi, als "vorkonziliar" abgestempelt. Oder mindestens, allermindestens als "konservativ". Eine Bezeichnung, mit der ich mich schwer tue -- jedenfalls damit, sie auf mich selbst zu beziehen.
Sicherlich könnte ich mich lang und breit über unterschiedliche Definitionen von "konservativ" auslassen, von denen ich manche besser und andere schlechter mit meinem eigenen Standpunkt in Einklang bringen könnte; aber das spare ich mir an dieser Stelle lieber, denn ich muss ohnehin schon zusehen, dass dieser Artikel nicht zu sehr ausufert. Ich halte solche Erörterungen hier auch für verzichtbar, und das aus (mindestens) zwei Gründen. Zum einen kommt mir immer mal wieder der Verdacht, die Etikettierung bestimmter Positionen als "konservativ" verfolge ohnehin nur die Absicht, diese zu delegitimieren. Das funktioniert deshalb, weil in weiten Teilen des gesellschaftlichen Diskurses "konservativ" als negativ konnotierter Begriff wahrgenommen wird; das ist die logische Kehrseite eines ungebrochen positiv konnotierten Verständnisses von "Fortschritt". "Konservativ" gilt als gleichbedeutend mit "oll". Das ist mir neulich mal wieder aufgefallen, als ich mich beim "Klönschnack" in der OASE Tossens mit einem emeritierten Pfarrer aus dem westfälischen Teil des Bistums Münster unterhielt. Als das Gespräch darauf kam, dass ich für die Tagespost schreibe, wandte er an, diese Zeitung gelte doch als "ziemlich konservativ". So wie er das sagte, hielt er das offensichtlich für etwas Schlechtes. -- Zum zweiten (und wenn ich es recht bedenke, hängt das wohl einigermaßen eng mit dem erstgenannten Punkt zusammen) betrachte ich das Etikett "konservativ" nicht so sehr aufgrund bestimmter Begriffsdefinitionen als einen Schuh, der mir nicht passt, sondern vor allem aufgrund bestimmter assoziativer Vorstellungen, die sich nicht-nur-aber-auch für mich an diese Bezeichnung knüpfen. Nämlich vor allem die Vorstellung, konservativ sei jemand, der möchte, dass alles so bleibt, wie es schon immer war, WEIL es schon immer so war. Ich möchte behaupten, genau diese Motivation unterstellen "Progressive" den von ihnen als "konservativ" Eingeordneten permanent; da ist es dann nur noch ein kleiner Schritt dazu, die Haltung des vermeintlich oder tatsächlich Konservativen wahlweise mit Dummheit, Faulheit oder Angst, namentlich Angst vor Veränderung, in Verbindung zu bringen,
Tatsächlich habe ich mit einem Konservatismus, für den das Althergebrachte und Gewohnte prinzipiell identisch mit dem Guten und Wahren ist, ebenso wenig am Hut wie mit einem Fortschrittsbegriff, der jede Neuerung, einzig aufgrund ihrer Neuheit, für eine Verbesserung hält. Das betrifft alle möglichen Lebensbereiche, aber bleiben wir hier mal beim religiösen Bereich. -- Ich habe schon gelegentlich mal erwähnt, dass ich die "erste Fundi-Phase" meiner an Irrungen und Wirrungen nicht armen Glaubensbiographie im Alter von ca. 14-16 Jahren hatte, und ich erinnere mich, dass ich damals eines Tages einen skizzenhaften Essay über verschiedene Fraktionen innerhalb der Kirche, so wie ich sie wahrnahm, in mein Tagebuch kritzelte. Ich hoffe, ich finde den Text mal wieder, aber die Grundzüge habe ich noch ganz gut im Gedächtnis. Ich unterschied seinerzeit nämlich nicht zwei, sondern drei innerkirchliche Lager, die ich die "Alteingesessenen", die "Liberalen" und die "Radikalen" nannte. Mich selbst ordnete ich natürlich ins "radikale" Lager ein, was sonst. Der entscheidende Punkt bei diesem sozusagen "dreipoligen" Modell war jedenfalls, dass ich die religiöse Praxis der "Alteingesessenen" - die ich idealtypisch in meiner Oma, ein paar angeheirateten Tanten und anderen alten Damen aus Schlesien verkörpert sah - als ebenso im Widerspruch zu meinen Vorstellungen von "radikalem Christsein" stehend betrachtete wie den verweltlichten Moralismus der "Liberalen". Heute würde ich über die "schlesische Oma-Fraktion" sicher milder urteilen; schon allein, weil ich bestimmte traditionell katholische Frömmigkeitsformen, die mir damals suspekt waren - weil man mich in meiner Kindheit und Jugend nicht an sie "herangeführt" hatte, wohl in der Annahme, sie seien nicht mehr "zeitgemäß", und weil ich mitreißende Begeisterung für Christus eher in evangelikalen Kreisen kennengelernt hatte -, inzwischen schätzen, ja lieben gelernt habe. Also beispielsweise den Rosenkranz oder das Knien vor dem Allerheiligsten. Aber auch wenn ich in meiner teenagertypischen Arroganz allzu voreilig davon überzeugt war, dass die formalisierte, rituelle Frömmigkeit der alten Schlesierinnen lediglich die Fassade vor einer gähnenden geistlichen Leere sei, würde ich dennoch sagen, dass meine damals entworfene Einteilung nicht gänzlich falsch war.
Ich finde, das ist ein guter Cliffhanger. Fortsetzung folgt!
Ohne formalisierte und rituelle Frömmigkeit, wäre ich schon längst in den radikalen Fängen der "Reformer" geraten.
AntwortenLöschenJaaa- eine Oma aus Schlesien hatte ich auch ~ ~ ~ und manchmal wurde auch mit mir gebetet :
AntwortenLöschen"ich bin klein
mein Herz ist rein
soll niemand drin wohnen
als JESUS allein."
Und immer wieder sagte ich dann still in mir:" NEIN!! Will ich nicht!!!
Mir hatte nämlich nie jemand erklärt,wer oder was JESUS ist
Rosenkranz gebetet wurde auch manchmal damals in der Küche -allerdings hatte dies eher die Funktion einer Eieruhr >>meine Oma wusste dann immer genau, wann die Eier weich oder hart gekocht waren. ......
Reichen solche Formalitäten zur "ReligionsAusübung? ? ?
Naja >>>ich bin dann später aus der Kirche ausgetreten
-auch wegen der Hysterie, die um all die Feste gemacht wurde.
Ein gewisser organisatorischer Rahmen muss schon sein - -
aber in der Mitte sollte doch das LICHT stehen
ja- und dieses ♡LICHT♡ ist mir vor einigen Jahren begegnet ******** und ich sage DANKE
Ja so ähnlich habe ich auch mal gedacht und sagen wir so, wenn mir die schlesische Omafraktion über den Weg läuft, tu ich mir immer noch schwer damit.
AntwortenLöschenAber die haben einfach etwas tradiert, was sie gar nicht verstandenen haben, würde ich heute sagen.
Und ohne die schlesischen, bayrischen, westfälischen usw Omas, wäre die Lage in der Kirche sicher noch schlimmer als sie ist.
Die Liberalen die haben es genausowenig verstanden wie die frommen Omas und deshalb sich noch nicht mal an die Formalien gehalten und so nichts zu tradieren gehabt, was so langsam nicht mehr zu leugnen ist, weswegen man auf die zarten Pflänzchen katholischer Frömmigkeit so massiv losgeht, wie wir es ständig erleben.
"Aber die haben einfach etwas tradiert, was sie gar nicht verstandenen haben, würde ich heute sagen."
LöschenDen Rosenkranz z.B. zu "verstehen" ist auch nur schwer möglich. Genauso wie vor dem Allerheiligsten zu bleiben und den Herrn anzubeten.
@ Gerd den Glauben zu verstehen (im üblichen Sinn des Wortes) geht überhaupt nicht, weil verstehen bedeutet über etwas Bescheid zu wissen und den Glauben muss man halt glauben und kann ihn nicht wissen.
AntwortenLöschenMeines Erachtens ist es der große Fehler der Liturgiereform, dass sie unter dem Impetus durchgeführt wurde, die Leute zum unmittelbaren Verständnis von etwas was man eben genau nicht verstehen kann, zu bringen.
Wie Sie so schön sagen, es lässt sich einfach nicht verstehen und das ganz schlimme an den modernen Gottesdiensten und Liturgien ist das ewige Rumgeschwalle und das beständige zugetextet werden.
Wohl weil die Apologeten der modernen Pastoral sehr wohl merken, dass man das "Vater unser.." gesprochen zu Gott genauso wenig versteht wie ein "Pater noster...." gesprochen zu Gott.
Dann könnte es ja sein, dass die schlesische Omafraktion, mehr von Glauben "verstanden" hat, als alle Apologeten der "modernen" Pastoral zusammen genommen.
LöschenJep
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