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Montag, 23. März 2020

Grüße aus dem Corona-Park #1 (4. Woche der Fastenzeit)

+++Was bisher geschah+++ 

Wie schon vorige Woche erscheint es mir erneut schwierig, die Ereignisse, die es hier zu schildern gibt, in strikt chronologischer Reihenfolge wiederzugeben, aber eine thematische Sortierung -- etwa eine Unterteilung nach den sprichwörtlichen  "3 K", Kind, Kirche, Küche -- erscheint mir ebenfalls als ein nicht recht überzeugender Ansatz. Vielleicht versuche ich's also mit einer Mischung aus beidem. 

Beginne ich also mal chronologisch, nämlich mit dem Montagmorgen: Normalerweise gehe ich montags oft mit meiner Tochter zu einer kleinen Krabbelgruppe im evangelischen Gemeindehaus in Alt-Tegel; da aber dort ebenso wie im katholischen Pfarrhaus alle Veranstaltungen gestrichen worden waren, hatte ich mich ersatzweise mit zwei Mamis aus der Gruppe (und deren Kindern, natürlich) zu einem Spaziergang am See verabredet. Auf dem Weg dorthin kam ich an "unserer" Kirche vorbei; eine ältere Frau, die mir entgegenkam und die mich wohl vom Sehen kannte, sagte zu mir "Messe ist heute nicht", und ich erwiderte: "Ich weiß". Der Spaziergang war aber schön, und besonders entzückt war ich, als meine kleine Tochter mich auf ein Eichhörnchen (bzw., wie sie es nennt, "Einhörnchen") aufmerksam machte, das sie auf einem Baum entdeckt hatte. Anschließend verbrachten wir noch eine gute Stunde auf einem ansonsten fast menschenleeren Spielplatz. Am Nachmittag, während meine Liebste mit dem Kind zu den Omas fuhr (ja, ich weiß: Soll man nicht machen zur Zeit, aber so alt sind sie noch nicht, und meine Liebste argumentierte, möglicherweise sei es auf absehbare Zeit die letzte Gelegenheit), ging ich Vorräte für die nächsten Wochen einkaufen. Nein, keine Nudeln und kein Klopapier, davon hatten wir noch genug zu Hause, aber die leeren Regale fielen mir trotzdem auf. Schwer zu bekommen waren auch H-Milch, Knäckebrot und Kartoffelpüree. Insgesamt klapperte ich vier Supermärkte ab, ehe ich alles hatte, was auf meiner Einkaufsliste stand.

Übrigens musste meine Liebste zu Anfang der Woche noch regulär zur Arbeit; ab Mittwoch waren an den Schulen des Landes Brandenburg dann zwar die Schüler vom Unterricht freigestellt, für die Lehrkräfte bestand jedoch weiterhin Präsenzpflicht von 8:30 bis 13 Uhr. Zu welchem Zweck? Nun, zu tun haben die Lehrer in der derzeitigen Lage durchaus noch etwas, beispielsweise Online-Lehrpläne erstellen und Materialien für den Heimunterricht bereitstellen; warum sie dazu aber physisch in der Schule anwesend sein müssen, erscheint weniger einleuchtend -- zumal meine Liebste anmerkte, angesichts der technischen Ausstattung "ihrer" Schule könne sie die derzeit anfallende Arbeit von zu Hause sogar besser erledigen. Nun gut, wie sich zeigte, konnte sie sich dank der Tatsache, dass sie ein unter-zwölfjähriges Kind zu Hause hat, recht problemlos von der Präsenzpflicht befreien lassen, kam am Mittwoch zwei Stunden früher als erwartet nach Hause und macht seitdem Home Office. 

Nun zum Thema Kirche: Nachdem am vorigen Sonntag die Messen in unserer Kirche aufgrund der Einschätzung, die amtlich vorgeschriebene Beschränkung auf maximal 50 Teilnehmer lasse sich nicht so ohne Weiteres gewährleisten, kurzfristig abgesagt worden waren, hatten meine Liebste und ich uns überlegt, uns - unter der Voraussetzung, dass öffentliche Messfeiern nicht ganz verboten werden würden - für die nächsten Sonntage als Einlasshelfer anzubieten. Darüber hinaus könnten wir bei Bedarf auch noch weitere zum Küsterdienst gehörige Aufgaben übernehmen, meine Liebste wäre zudem auch willens und in der Lage gewesen, zu ministrieren. Am Montagmorgen schickte ich eine Mail dieses Inhalts an den Pfarrer, die weiteren Geistlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter der Pfarrei und einige Ehrenamtliche unseres Gemeindestandorts. Von den letztgenannten kamen zwei ausgesprochen positive Reaktionen, weitere Antworten gab es jedoch nicht; noch am Nachmittag desselben Tages machte die Neuigkeit die Runde, dass Bund und Länder gemeinsame "Leitlinien" zum weiteren Umgang mit der Corona-Krise erarbeitet hätten,  die u.a. vorsähen, dass "Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften" generell verboten werden sollten. Am Dienstag aktualisierte daraufhin das Erzbistum Berlin seine Richtlinien und erklärte lapidar: "Öffentliche Gottesdienste finden – unabhängig von der Zahl der Mitfeiernden – nicht mehr statt." Unser Vorschlag an die Verantwortlichen unserer Pfarrei hatte sich damit offenkundig erledigt, aber ein bisschen enttäuschend fanden wir es doch, dass es von den Geistlichen und Hauptamtlichen niemand für nötig zu halten schien, auch nur auf unsere Mail zu antworten. -- Auch interessant: Das Institut St. Philipp Neri, das - wie schon vorige Woche erwähnt - als Institut Päpstlichen Rechts nicht der Jurisdiktion des Erzbistums Berlin untersteht, gab am Mittwoch über Facebook bekannt, gemäß der aktuellen Verordnung des Berliner Senats dürften "Veranstaltungen bis 50 Personen weiterhin stattfinden", und veröffentlichte ungerührt die Termine für seine täglichen Heiligen Messen in St. Afra.

Was meine Liebste und mich betrifft, hatte ich vorige Woche ja noch vollmundig verkündet, unsere Lobpreis-Andacht am Dienstag werde auf jeden Fall stattfinden, aber ein bisschen unsicher waren wir nun doch. Nach einigem Abwägen kamen wir aber zu dem Schluss, da wir ja ohnehin dafür zuständig seien, am Dienstagabend die Kirche abzuschließen, könnten wir ruhig auch vorher unsere Andacht abhalten, unabhängig davon, ob zu diesem Zeitpunkt außer uns noch andere Leute in der Kirche seien oder nicht; denn dass das letztlich nicht vorhersehbar oder planbar sei, liege nun mal in der Natur des Konzepts "Offene Kirche". So machten wir es, und so werden wir es voraussichtlich auch in den kommenden Wochen halten. Sehr eindrucksvoll war übrigens die Tageslesung vom Dienstag aus dem Buch Daniel; hier ein Auszug:
"Ach, HERR, wir sind geringer geworden als alle Völker. In aller Welt sind wir heute wegen unserer Sünden erniedrigt. Wir haben in dieser Zeit weder Vorsteher noch Propheten und keinen, der uns anführt, weder Brandopfer noch Schlachtopfer, weder Speiseopfer noch Räucherwerk, noch einen Ort, um dir die Erstlingsgaben darzubringen und um Erbarmen zu finden bei dir." (Daniel 3,37f.
Zwischendurch aber noch ein anderes Thema: In den oben angesprochenen gemeinsamen Leitlinien von Bund und Ländern war auch von der Schließung von Spielplätzen die Rede; in Berlin wurde diese Maßnahme jedoch zunächst nicht umgesetzt. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) erklärte dazu,  in einer Stadt wie Berlin sei es unerlässlich, dass man es den Einwohnern ermögliche, sich an der frischen Luft aufzuhalten; das sei ja schließlich auch gesund. Wir ließen unser Kind also am Dienstag und am Mittwoch jeweils für gut eine Stunde auf einem Spielplatz in der Nähe unserer Wohnung im Sand buddeln (bzw. buddelten mit ihr zusammen im Sand), bis am Mittwoch gegen 16 Uhr zwei Mitarbeiter des Ordnungsamts auf dem Spielplatz auftauchten und die anwesenden Familien zwar leidlich freundlich, aber unmissverständlich zum Verlassen des Geländes aufforderten. Das traf uns umso unerwarteter, als der Regierende Bürgermeister Müller sich noch am selben Nachmittag für die Offenhaltung von Spielplätzen und Grünanlagen ausgesprochen hatte. Des Rätsels Lösung: Es handelte sich um eine Entscheidung des Bezirksamts Reinickendorf, oder anders ausgedrückt: Die CDU war schuld. Von wegen familienfreundlich. Jedenfalls beschloss meine Liebste daraufhin, in dem winzig kleinen Vorgarten vor unserem Haus einen improvisierten Privatspielplatz anzulegen. Zu diesem Zweck bestellte sie eine tragbare Buddelkiste und Sand im Internet, außerdem "liehen" wir uns einige für den "Krabbelbrunch" im Pfarrhaus angeschaffte Spielgeräte aus.

Am Freitag wurden die neuen Vermeldungen für den Pastoralen Raum Reinickendorf-Süd veröffentlicht, und ich war positiv überrascht. Sehr positiv. Da muss ich die Verantwortlichen wirklich mal uneingeschränkt loben. Nicht nur findet die allwöchentliche Eucharistische Anbetung in Herz Jesu Tegel (freitags von 15-18 Uhr) weiterhin statt, sondern darüber hinaus gibt es in allen sieben Kirchen des Pastoralen Raums jeweils zu den Zeiten, zu denen dort sonst Sonntagsmessen (einschließlich der Vorabendmessen) gewesen wären, Eucharistische Anbetung, und in diesen Zeiträumen wird auch jeweils ein Priester vor Ort sein. Als Notfallplan finde ich das sehr gut. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser Plan bei absehbaren weiteren Ausgangs- und Versammlungsbeschränkungen wird aufrecht erhalten lassen (auch das Institut St. Philipp Neri feiert seit Samstag nun doch keine öffentlichen Messen mehr), aber am gestrigen Sonntag waren wir jedenfalls in "unserer" Kirche zur Anbetung und werden das, soweit es an uns liegt, auch in Zukunft so halten. 
+++Die Rubrik "Was ansteht" entfällt bis auf Weiteres, da es derzeit schlichtweg nicht abzusehen ist, was der nächste Tag, geschweige denn die nächste Woche bringt+++ 

Stattdessen halte ich hier einige Gedanken zur Corona-Pandemie-Situation fest, die mir in der partiellen Selbstisolation so durch den Kopf gehen. Diese Gedanken mögen unausgegoren, teilweise widersprüchlich und sogar unfair sein, und sicherlich werden sie Manchem nicht gefallen. Aber die Gedanken sind nun mal da, und Ihr werdet sie ertragen müssen, liebwerte Freunde. 

Zunächst einmal muss ich einräumen, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass ich in Sachen Coronavirus zur Fraktion "Ja, das ist sicher schlimm, aber etwas aufgebauscht wird das wohl doch, an der Grippe sterben schließlich jedes Jahr viel mehr Menschen" gehört habe. Da lag ich wohl falsch, aber wenn man mal ehrlich ist, ging das wohl vielen von uns so. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch daran, dass das Corona-Krisenmanagement hierzulande sich noch vor Kurzem auf Ratschläge  zum richtigen Händewaschen beschränkt hat. Ein bisschen weniger musterschülerhafte Herablassung seitens derer, die es jetzt plötzlich schon immer besser gewusst haben, wäre daher durchaus nett (und damit meine ich ausdrücklich nicht diejenigen, die es tatsächlich schon vor Wochen besser gewusst haben, wie zum Beispiel mein Freund Marco Gallina). 

Jedenfalls verfolge ich seit nunmehr fast zwei Wochen die Statistik der weltweit amtlich gemeldeten Fallzahlen auf worldometers.info; ich kann genug Mathe, um zu verstehen, was exponentielles Wachstum bedeutet, und kann mir daher unschwer ausrechnen, wie schnell die Zahl der Erkrankten erst in die Hunderttausende und dann in die Millionen gehen kann, wenn die Weiterverbreitung des Virus nicht schnell und massiv eingedämmt wird. Ich verstehe auch die Eindämmungsstrategie des "Social Distancing" und leiste meinen Beitrag dazu, indem ich nur selten meine Wohnung verlasse und, wenn ich denn doch mal draußen bin, nach Möglichkeit Abstand von anderen Menschen halte. Gleichzeitig bin ich jedoch der Meinung, dass man auch die Grenzen des "Social Distancing" realistisch betrachten muss.

Damit meine ich zunächst einmal, dass es schon aus praktischen Gründen auch beim allerbesten Willen gar nicht möglich ist, alle Menschen vollständig voneinander zu isolieren; anders ausgedrückt: Man kann nicht die gesamte Bevölkerung auf einmal unter Quarantäne stellen. Dem Virus als solchem ist es allerdings egal, ob es bei unvermeidlichen oder bei unnötigen Begegnungskontakten übertragen wird. Solange also noch Menschen mit Bus oder U-Bahn zur Arbeit fahren (müssen), ist es daher relativ schwer vermittelbar, dass andere Menschen demnächst vielleicht - wie es in Frankreich bereits der Fall ist - eine schriftliche Genehmigung benötigen, um mit ihrem Hund Gassi zu gehen.

Rein mathematisch gesehen ist es natürlich so, dass jeder unterlassene Kontakt zwischen Menschen, von denen man nicht weiß, ob einer bereits infiziert ist, das Risiko der Weiterverbreitung des Virus reduziert; und das heißt, dass man mit einer weitgehenden Verringerung von Begegnungskontakten schon eine Menge für die Eindämmung der Pandemie erreichen kann, auch wenn es nicht möglich ist, ihre Ausbreitung komplett zu stoppen. Gerade weil eine 100%-Lösung aber ohnehin nicht möglich ist, bin ich der Ansicht, dass es auch auf individueller Ebene einen gewissen Ermessensspielraum in der Frage geben darf und muss, welche Gründe, die Wohnung zu verlassen, legitim und notwendig sind. Schuldzuweisungen à la "Wer das Haus verlässt, um an der Imbissbude ein Bier zu trinken, ist schuld, dass Menschen auf Krankenhauskorridoren sterben", halte ich für unangemessen.

Mit dem Großteil der Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die im Laufe der letzten Woche beschlossen wurden, kann ich persönlich ganz gut leben. Ärgerlich fand ich, wie oben ausgeführt, die Schließung der Spielplätze; und dann wäre da noch das Thema Kirche. --- Schaut man sich in den Leitlinien vom 16.03. an, was für Einrichtungen und Betätigungen als unverzichtbar angesehen werden und daher geöffnet bzw. erlaubt bleiben und welche nicht, dann entsteht der Eindruck, der Gottesdienstbesuch werde lediglich als ein Hobby betrachtet; eines, dem zwar jedes Wochenende ein paar Millionen Menschen frönen, aber hey, die Bundesliga fällt schließlich auch aus, also habt euch mal nicht so. Ich kann nicht behaupten, dass diese Wahrnehmung mich sonderlich überrascht, soweit sie von weltlicher Seite kommt. Was mich befremdet, ist, wie problemlos die kirchlichen Autoritäten, aber auch viele "einfache Gläubige" diese Sichtweise akzeptieren bzw. übernehmen. Gab es da nicht mal Einen, der sagte "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein"?

Ich glaube, ich hätte mit dem flächendeckenden de-facto-Verbot der Teilnahme an Eucharistiefeiern und sonstigen Gottesdiensten weniger Probleme, wenn unsere Kirchenoberen es anderweitig irgendwie hinbekämen, glaubwürdig den Eindruck zu vermitteln, sie seien wenigstens halb so sehr um das Seelenheil der Gläubigen besorgt und bemüht wie um ihre leibliche Gesundheit. Davon sehe ich aber wenig. Genauer gesagt kann ich in den Reaktionen der "Amtskirche" (böses Wort, ich weiß) auf die Krise nicht viel entdecken, was über den moralistisch-therapeutischen Modus (oder über reine PR) hinausginge. Die Ansprachen unserer Bischöfe unterscheiden sich kaum von denen politischer Amtsträger. Überall dieselben zivilreligiösen Beschwichtigungsparolen, keep calm and carry on stay at home. 

Nun gut, man könnte sagen, im Großen und Ganzen sei nichts anderes zu erwarten gewesen. Noch erheblich mehr macht es mir zu schaffen, mit anzusehen, wie Glaubensgeschwister aus lauter Angst um ihr bisschen Leben komplett am Rad drehen und jedem, der auch nur laut darüber nachdenkt, ob und wie man vielleicht doch noch an einer Messfeier teilnehmen könnte, Egoismus, Rücksichtslosigkeit oder Schlimmeres vorwerfen. Für diese habe ich eine schlechte Nachricht: IHR WERDET ALLE STERBEN! Nicht unbedingt in allernächster Zeit und nicht unbedingt am Coronavirus, aber sterben werdet ihr; vielleicht wäre die derzeitige Krise mal ein geeigneter Anlass, sich mit dieser Aussicht anzufreunden. -- Ich meine das nicht auftrumpfend. Im Gegenteil. Ich stelle fest, dass es auch für meine eigene geistig-geistliche Verfassung eine ernsthafte Belastung darstellt, zu sehen, wie Menschen, die ich normalerweise als ausgesprochen gläubige Christen einschätzen würde (und die sich wohl auch selbst so einschätzen würden), genauso von ihren kreatürlichen Ängsten umgetrieben werden "wie die anderen, die keine Hoffnung haben" (1. Thessalonicher 4,13). Mir drängt sich da die Frage auf, was passieren müsste, damit ich genauso reagiere. Wie sehr glauben wir wirklich an das, woran wir zu glauben behaupten? Oder ist unser Glaube nur ein Live-Rollenspiel? Ein nettes Hobby für Zeiten, in denen man keine anderen Probleme hat, aber wenn's ernst wird, verhalten wir uns vorsichtshalber doch lieber so, als ob es Gott nicht gäbe? 

Freilich sind auf der anderen Seite - etwa in Gestalt der mancherorts vernehmbaren Überzeugung, Gott werde nicht zulassen, dass man sich beim Besuch der Heiligen Messe infiziere; Weihwasser schütze vor Ansteckung und der eucharistische Leib Christi erst recht - eine Menge Hybris, Aberglaube und fehlerhafte Sakramentaltheologie im Schwange, aber ich möchte behaupten - auch wenn ich mir mit dieser Einschätzung naturgemäß nach beiden Richtungen hin Feinde mache -, dass solche Phänomene die Kehrseite derselben Medaille sind, der wir auch den Schismatischen Weg, Maria Zwonull et cetera verdanken: Das zentrale Problem ist ein Mangel an klarer und gesunder Glaubensunterweisung, an Evangelisierung, Katechese und Jüngerschaftsschulung; wenn die Leut' nicht vernünftig angeleitet werden, dann denken sie sich eben selbst was aus, und das schießt dann leicht mal in alle erdenklichen Richtungen ins Kraut. 

Andererseits: Vielleicht ist es ein Segen, dass die Welt mal für einige Monate (dass es nur ein paar Wochen sein werden, halte ich für extrem unrealistisch) gewissermaßen die Luft anhält. Es kommt halt darauf an, wie wir diese Zeit nutzen. Ich denke da (natürlich) an den Hl. Benedikt, der drei Jahre in einer Höhle verbrachte, ehe er sich aufmachte, Europa zu revolutionieren. Vielleicht können wir das auch.


+++Zitat der Woche+++ 
"[A]uch der rabiateste Missionar der alleinseligmachenden wissenschaftlichen Aufklärung spürte irgendwie dunkel, daß Kinder in einer solchen Vorstellungswelt nicht leben, nicht atmen, nicht gedeihen konnten, daß sie in dieser verwüsteten Landschaft ganz einfach seelisch verhungern und verdursten mußten. Eben deshalb duldete man die Schaffung unseres Reservats, in dem [...] ihnen für eine Weile erlaubt wird, sich die Natur von wunderbaren und geheimnisvollen Wesen, von Elfen, Zwergen und Feen bevölkert zu denken - bis zu dem Augenblick, in dem man sie für 'reif' genug hält, mit all den Vorstellungen bekannt gemacht zu werden, die man heute die 'objektiven Tatsachen' nennt. [...] Der kleine Wilde erfährt, daß man ihn bisher die ganze Zeit schlicht für dumm verkauft hat. Dieser grundlegende Vertrauensbruch wird nur deswegen nicht ernst genommen, weil er meist unbemerkt über die Bühne geht. Zurück bleibt eine unbewußte, aber deshalb nicht weniger tiefe Enttäuschung. Und die Überzeugung, nur das könne wahr sein, was nach Enttäuschung schmeckt. Von diesem Augenblick an ist er tatsächlich 'reif', ein Bewohner der Zivilisationswüste zu werden."  
(Michael Ende, "Gedanken eines zentraleuropäischen Eingeborenen", in: Michael Endes Zettelkasten. Stuttgart/Wien 1994, S. 555-69; Zitat von S. 62f.)

+++Linktipps+++ 
In seiner wöchentlichen "Montagskick"-Kolumne auf kath.net pflegt Peter Winnemöller kein Blatt vor den Mund zu nehmen; das gilt auch, wenn er sich das Coronavirus-Krisenmanagement der deutschen Bischöfe vorknöpft. Ungehalten ist er nicht darüber, dass "kirchliche Behörden Hand in Hand mit weltlichen Behörden präventiv handeln", um zur Eindämmung der Corona-Infektionen beizutragen; wohl aber darüber, dass die Bischöfe sich dabei vielfach "als reine Religionsmanager" gebärden - und nicht als Hirten. "Wo bleiben die geistlichen Antworten auf die drohende Pandemie?", fragt er. "Was die Menschen jetzt brauchen, ist nicht weniger Seelsorge, sie brauchen mehr davon." Und wie könnte oder müsste die konkret aussehen?
"Wo bleibt der Aufruf zu Fasten, Opfer, Buße und Gebet an die Gläubigen [...]? Manch ein bischöfliches Dekret unserer Tage wirkt wie ein Zeugnis stumpfer Apostasie, wenn man sich dem politischen Primat der Mathematik beugt, ohne den ureigenen geistlichen Akt des Glaubens dem entgegen zu setzen."

Auch da, wo die physische Teilnahme der Bevölkerung an Gottesdiensten ausgesetzt oder explizit verboten worden ist, werden weiter Heilige Messen zelebriert; zum Teil werden diese im Fernsehen übertragen oder im Internet gestreamt, aber zum Teil finden sie auch gänzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt (wobei die Gläubigen allerdings aufgefordert werden, "im Geiste" daran teilzunehmen). Auf Unverständnis stößt diese Praxis überall da, wo vorausgesetzt wird, der Gottesdienst sei für die mitfeiernde Gemeinde da bzw. die Gemeinde sei sogar das eigentlich handelnde Subjekt des Gottesdienstes. Solche Auffassungen habe ich in den Sozialen Medien sogar schon von Priestern vertreten gesehen, die es eigentlich besser wissen müssten. Man könnte da nun schlicht auf Can. 904 CIC verweisen - "auch wenn eine Teilnahme von Gläubigen nicht möglich ist", ist das eucharistische Opfer "eine Handlung Christi und der Kirche [...], durch deren Vollzug die Priester ihre vornehmste Aufgabe erfüllen" -, aber auf CNA erläutern der Priester und Kirchenrechtsprofessor James Bradley und der Dominikanerpater Thomas Petri diesen Sachverhalt etwas ausführlicher. Auch über die aktuelle Krisensituation hinaus ein wertvoller Beitrag zum besseren Verständnis von Wesen und Bedeutung der Heiligen Messe.

In der Coronavirus-Pandemie eine Strafe Gottes zu sehen, wäre "zynisch", so ließ sich unlängst der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick vernehmen: Eine solche Sichtweise sei "mit Jesu Botschaft unvereinbar". Nun gut, vielleicht hat der Herr Erzbischof eine andere Bibel als ich, kann ja sein. Und natürlich bin ich kein Theologe, aber ich würde mal sagen: Wenn die derzeitige Krise eine Strafe für unsere Sünden sein sollte, dann kann man zumindest nicht behaupten, wir hätten sie nicht verdient. Ich würde sie sogar als bemerkenswert mild bezeichnen. Ob sie in augenfälligem Maßstab eine Umkehr bewirken wird, ist noch einmal eine andere Frage. -- In der Tagespost beleuchtet Simon Kajan die theologischen und philosophischen Implikationen der Frage, ob wir es mit einer Strafe Gottes zu tun haben, kompetent und differenziert. Die Lektüre lohnt sich.

Auch Bloggerkollegin Crescentia hat sich Gedanken über die Corona-Krise und den Umgang mit ihr aus katholischer Sicht gemacht -- und sie behandelt das Thema sowohl detaillierter als auch aspektenreicher als ich. In der Bewertung des flächendeckenden Verbots öffentlicher Gottesdienste sind wir uns, wie mir scheint, nicht ganz einig, aber ich finde, das ist nur ein Grund mehr, ihren Debattenbeitrag zu empfehlen. Vive la difference und so.


+++Ohrwurm der Woche+++ 

Bruce Springsteen, "Blinded By the Light",  1973


Die meisten kennen ja nur die ein Jahr später erschienene Prog-/Schweinerock-Version von Manfred Mann's Earth Band, aber ich finde, das Original hat einen ganz eigenen Charme.


+++Aus der Lesehore+++ 
"Einmal im Jahr trennt sich der Hohepriester vom Volk und betritt den Ort, wo sich [...] die Bundeslade und der Räucheraltar befinden. Niemand durfte hier eintreten außer dem Hohenpriester. In diesem möchte ich meinen wahren Hohenpriester, den Herrn Jesus Christus, erkennen, wie er in seinem sterblichen Fleisch das ganze Jahr beim Volk war [...]. Beachte, wie er [...] in das Allerheiligste eintritt, das heißt, wie er nach Erfüllung des Heilsplans die Himmel durchschreitet und zum Vater eintritt, um ihn für das Menschengeschlecht gnädig zu stimmen und Fürsprache einzulegen für alle, die an ihn glauben." 
(Origines, Auslegung zum Buch Leviticus) 


5 Kommentare:

  1. Lieber Herr Klein,

    Ich schätze die meisten Ihrer Einlassungen sehr, und stimme oft mit ihnen überein, aber gerade aufgrund dieser grundsätzlichen Gewogenheit möchte ich Sie daran erinnern, dass der Ton die Musik macht. Folgende Passage ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert:

    "Noch erheblich mehr macht es mir zu schaffen, mit anzusehen, wie Glaubensgeschwister aus lauter Angst um ihr bisschen Leben komplett am Rad drehen und jedem, der auch nur laut darüber nachdenkt, ob und wie man vielleicht doch noch an einer Messfeier teilnehmen könnte, Egoismus, Rücksichtslosigkeit oder Schlimmeres vorwerfen. Für diese habe ich eine schlechte Nachricht: IHR WERDET ALLE STERBEN!"

    Das hier ist Ihre Seite, auf der sie schreiben können, was sie möchten. Aber das da oben ist vollkommen kontraproduktiv. Haben Sie da eventuell ein bisschen zu viel Bernhard von Clairvaux gefrühstückt?

    Ich würde Ihnen inhaltlich nicht einmal unbedingt widersprechen - natürlich zeigen sich in einer Situation wie der gegenwärtigen schärfer die weltlichen Prioritäten einzelner. Aber sollte man nicht gerade denen zu helfen versuchen, die aus Angst um ihre irdische Existenz jenen Vorwürfe machen, die weiter die Messe besuchen wollen, statt mit einem wohlfeilen Memento Mori in Großbuchstaben zu wedeln? Statt denen, die sie Glaubensgeschwister nennen, Ihre offenkundige Verachtung derart vor die Füße zu knallen, wäre es m.E. hilfreicher, Beispiele für eine Fortführung eines Lebens im katholischen Glauben unter den momentanen, vorübergehenden und ungewöhnlichen Bedingungen zu nennen.

    Wo die Kirchen noch offen sind, könne man z.B. so regelmäßig wie möglich den schmerzensreichen Rosenkranz und den 39. Psalm beten. Aber man kann das im Zweifel auch zu Hause machen.

    Hilft so etwas, auch indem man es vorlebt, dem Seelenheil der Menschen nicht mehr, als ihnen ihre Schwäche vorzuwerfen (selbst wemn man gleich im Anschluss, nicht so richtig überzeugend, wie ich finde, beteuert, man wolle nicht auftrumpfen)?

    Das widerspräche nicht einmal einem gleichzeitigen Ruf zur Umkehr und Buße, die in der Fastenzeit ja ohnehin angesagt ist. Nur eben bitte nach Möglichkeit mit etwas mehr Nächstenliebe im Tonfall.

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  2. "Aber sollte man nicht gerade denen zu helfen versuchen, die aus Angst um ihre irdische Existenz jenen Vorwürfe machen, die weiter die Messe besuchen wollen,"

    @Thomas Beckett
    Denen wird doch schon geholfen. Die können und dürfen ja zu Hause bleiben. Das ist ja Hilfe genug. Mehr geht nun wirklich nicht. Hier stehen halt unterschiedliche Positionen gegenüber, die nicht zusammen kommen. Den Leuten zu sagen: IHR WERDET ALLE STERBEN, kann sogar ein Akt der Nächstenliebe sein, so nach dem Vorbild unseres Herrn: IHR WERDET GENAUSO UMKOMMEN WENN IHR EUCH NICHT BEKEHRT! Das hat uns Jesus mal eben so vor den Latz geknallt. Bitte Nächstenliebe nicht in Puderdosen packen.

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  3. Ich dagegen schließe mich der maßvollen Mahnung um Mäßigung im Ausdruck von Thomas Beckett an.

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  4. Das ganze erinnert mich an das Gespräch zwischen Petrus und Jesus, wo der Apostel dem Herrn eindrücklich zum Maßhalten auffordert, was seine Ankündigungen vom eigenen Leiden und Sterben angeht. "Das darf nicht geschehen!" oder in die Gegenwart übersetzt: "Sowas kann man doch nicht sagen!"
    Wie weit Gottes Plan vom Plänchen der Menschen entfernt ist entscheidet sich immer im Tod. Allderdings der Tod, den ein Christ nicht zu fürchten braucht, ganz im Gegensatz zum zweiten Tod, der unwiderruflich ins Verderben stürzen wird und das für die Ewigkeit.
    Wir kennen die Reaktion des Herrn auf die Vorwürfe des Petrus. "Weg von mir Satan, du denkst nicht was Gott will, sondern was die Menschen wollen!"
    Der Mensch als Komplize des Teufels, wenn er sich nicht in der Vorsehung Gottes vollkommen überlässt. Da sind wir wieder bei der Frage des Blogbetreibers: "Wie sehr glauben wir wirklich an das, woran wir zu glauben behaupten?"

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  5. Diasporakatholik27. März 2020 um 11:50

    Heute abend ab 18 Uhr übertragen BR Fernsehen und ARD Alpha live Urbi et orbi aus Rom

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