Neulich hatte ich auf Facebook eine interessante Diskussion unter Bloggerkollegen und anderen Netzkatholiken; eine Diskussion, die durch eine Stellenausschreibung des Erzbistums Hamburg angestoßen worden war, sich aber recht bald von diesem konkreten Anlass verselbständigte. Noch mit Blick auf das ursprüngliche Thema schrieb ich:
"Das Problem, das ich hier sehe, ist jenes, das der Religionssoziologe Mark Chaves mit dem Begriff 'dual structure' beschreibt. Dass religiöse Körperschaften ab einer gewissen Größe einen professionell geführten Verwaltungsapparat benötigen, kann man einleuchtend finden; dieser birgt jedoch die Gefahr, zur Parallelstruktur und zum Selbstzweck zu werden, wenn er nach rein 'weltlichen' Professionalitäts- und Effizienzmaßstäben arbeitet und sich nicht um den geistlichen 'Unternehmenszweck' kümmert, weil dieser angeblich nicht in seinen Aufgabenbereich falle. Das kann nur vermieden werden, wenn die Mitarbeiter sich als Diener des geistlichen Auftrags der Kirche begreifen. Vielleicht muss das nicht für jede Reinigungskraft und jeden Hausmeister gelten (idealerweise allerdings schon); wenn ein Aufgabenbereich aber so wichtig oder so umfangreich ist, dass dafür ein eigener Abteilungsleiter benötigt wird, dann MUSS dieser Abteilungsleiter sich der geistlichen Dimension seiner Aufgabe bewusst sein. Das bloße Faktum der Kirchenmitgliedschaft ist dafür noch keine hinreichende Qualifikation."
Ein anderer Diskussionsteilnehmer erwiderte darauf:
"Das Problem wird sich in absehbarer Zeit mit dem Abschmelzen der Kirchensteuer von selbst lösen. Allerdings auf sehr schmerzhafte Weise. Und ob dir das, was danach kommt, besser gefallen wird, ist auch noch nicht sicher."
Dieser Einwand ist natürlich absolut berechtigt, und er berührt weit wichtigere Fragen als die, nach was für Kriterien eine Abteilungsleiterstelle im Erzbischöflichen Generalvikariat Hamburg besetzt wird. Dass es mit der konkreten Sozialgestalt der Kirche, an die wir gewöhnt sind, unweigerlich zu Ende geht, dürfte schwerlich zu leugnen sein; aber was kommt danach? Ich beschäftige mich schon seit einer ganzen Weile mit dieser Frage, und je mehr ich das tue und je mehr ich mich in Religionssoziologie und Pastoraltheologie einlese, desto mehr wächst meine Überzeugung, dass das Modell "Volkskirche", das auf vielen Ebenen immer noch das Selbstverständnis kirchlicher Einrichtungen bestimmt, schon seit längerer Zeit ein lebender Leichnam ist. Allerdings einer, der noch funktionierende Teile hat - mit Betonung auf "noch". Und darunter sind durchaus solche, die man auch in Zukunft ungern missen möchte. Eben deshalb denke ich, dass genau jetzt die Zeit ist, die Weichen dafür zu stellen, dass aus dem absehbaren Zusammenbruch der kirchensteuerfinanzierten Strukturen gerettet werden kann, was zu retten ist. Und das meine ich nicht im Sinne von "das, was man retten kann", sondern im Sinne von "das, was es wert ist, gerettet zu werden".
Symbolbild: Abriss der Kirche St. Josef Hamm-Heessen, aufgenommen von Dirk Vorderstraße (Bildquelle hier) |
Und was mache ich in dieser Situation? Nun, ich bemühe mich, auf eine gut katholische Kombination aus Gottvertrauen und - in dem bescheidenen Rahmen, in dem mir das möglich ist - "Selbst-mit-Anpacken" zu setzen. Diesbezüglich hatte ich vor ein paar Tagen eine Art Schlüsselerlebnis, als ich mit Frau und Kind zu einem "Glaubensgespräch" in unserer örtlichen Pfarrei ging. Außer uns bestand dieser Gesprächskreis nahezu ausschließlich aus ältlichen bis sehr alten Damen, rechtgläubig bis in die Zehennägel, aber zutiefst frustriert über den allgemeinen Zustand von Kirche und Welt. Verwässerung der Lehre, mangelhafte Katechese, Berufungsmangel, wilde Ehen und uneheliche Kinder, unwürdiger Kommunionempfang... you name it. Meine Liebste und ich, die wir gerade mit einem gehörigen Maß an Enthusiasmus dabei sind, Konzepte zur Neubelebung unserer Pfarrgemeinde zu entwickeln, empfanden diese den Gesprächskreis dominierende "Alles geht den Bach runter"-Stimmung als, drücken wir's mal maßvoll aus, nicht gerade motivierend.
Sicherlich: Die angesprochenen Missstände gibt es, und es ist auch richtig und notwendig, sie wahrzunehmen und zu benennen. Aber gleichzeitig gibt es eben auch hoffnungsvoll stimmende Aufbrüche. Ich denke da an das "Mission Manifest" und die diversen damit in Verbindung stehenden geistlichen Bewegungen und Initiativen; ich denke (natürlich) an die "Benedict Option"; und ich denke beispielsweise an Father James Mallons "Divine Renovation". Alle diese Ansätze haben ihre jeweils unterschiedlichen Schwerpunkte, aber auch ihre Schnittmengen und Anknüpfungspunkte untereinander und somit das Potential, sich gegenseitig zu befruchten und zu ergänzen. Den erwartbaren Einwand, dass an diesen Konzepten aber auch mancherlei kritisch zu sehen sei, will ich gleich vorneweg einräumen: Natürlich muss man da sehr genau hinsehen und den Geist der Unterscheidung walten lassen, um zu beurteilen, was da wirklich dem Wohl der Kirche dienlich ist und was vielleicht eher doch nicht. Aber das ist in der Kirchengeschichte ja nichts Neues; das war bei neuen geistlichen Aufbrüchen eigentlich immer so.
Was den genannten Ansätzen - und sicherlich noch weiteren, die ich (noch) gar nicht auf dem Radar habe - jedenfalls gemeinsam ist, ist die Überzeugung, dass Neuevangelisation im eigenen Herzen beginnen und von da aus in den eigenen Nahbereich, sprichwörtlich gesagt: den Bereich "vor der eigenen Haustür" - hineingetragen werden muss. Wie Václav Havel es - wenn auch auf den Staat und nicht auf die Kirche bezogen - formulierte: "Es ist also nicht so, daß die Einführung eines besseren Systems automatisch ein besseres Leben garantiert, sondern eher umgekehrt – nur durch ein besseres Leben kann man wohl auch ein besseres System aufbauen." Wie dieses "bessere System", das an die Stelle der sterbenden volkskirchlichen Strukturen treten kann und muss, konkret aussehen wird, das können wir jetzt noch nicht wissen. Wir müssen, wie ich es bei einer früheren Gelegenheit einmal formulierte, "aufbrechen wie Abraham - ohne das Ziel zu kennen, aber im Vertrauen darauf, dass Gott uns hinführen wird". Sich im Gebet Gottes Führung anzuvertrauen und dann im kleinen Rahmen selbst sein Möglichstes zu tun, ist ohne Zweifel fruchtbarer, als nur darüber zu zagen und zu klagen, was im Großen alles verkehrt läuft.
Ich halte den Bezug auf Abraham hier für überstrapaziert.
AntwortenLöschenSpäter erklär' ich vielleicht auch noch warum.
Ich gehe davon aus, daß der Motor jeder positiven Bewegung Gebet und Anbetung ist.
AntwortenLöschenIch bin froh, eine Nische gefunden zu haben, und mit den Dingen, die in den Pfarreien, Pastoralverbünden, Pastoralen Räumen und wie die neuen Strukturen auch heißen mögen, nichts mehr zu tun zu haben.
AntwortenLöschenVor zwei Tagen gab es einen passenden Zeitungsbericht:
AntwortenLöschen»In Hamm verschwinden immer mehr Kirchen - Was bleibt?«
https://www.wa.de/hamm/stadt-hamm-werden-immer-mehr-kirchen-abgerissen-karte-uebersicht-nachnutzung-9746776.html
Es ist ein langer und beschwerlicher Prozess, vom Beklagen der Zustände bis zum Bewusstsein, dass ich selber ein Teil der Zustände bin. Frau Sperlich ist da auf dem richtigen Weg, wenn sie die Anbetung und das Gebet im Allgemeinen an den Anfang der Umkehrung setzt. Tagtäglich erlebe ich natürlich auch den Niedergang und es ist wohl menschlich, dann nur noch Niedergang zu beobachten. Eine Stunde vor dem Allerheiligsten relativiert die Sache ungemein. Eine Stunde sich selbst betrachten und den Herrn hinzuholen, ist besser als tausend Stunden klagen. Hier Abraham als Vorbild zu nehmen ist gar nicht so abwegig. So wie ich mir den Vater der Glaubenden vorstelle, war er ein Mensch der ständig auf Gott hören wollte(!). Der dann auch die Bereitschaft hatte, bedingungslos dem Wort Gottes zu folgen. Auch auf die Gefahr hin, seinen eigenen Sohn opfern zu müssen. Wenn das die Antriebsfeder für eine Mission ist, dann immer her damit.
AntwortenLöschenJetzt die Erklärung, warum die Analogie zu Abraham, der sich auf Gottes Geheiß in die Ungewißheit der Wüste aufmacht, hier nicht so wirklich greift:
AntwortenLöschen1. Da geht es zum einen um den Glauben des Einzelnen, und zwar um den eigentlichen Glauben, den Aufbruch zu Gott hin - mit dem damals die Geschichte des Gottesvolkes begann. Und selbst in *diesem* Sinne ist die Analogie nicht ganz unproblematisch, ebensowenig, wie der sehr gern gewählte Ausdruck "Wagnis des Glaubens". Die singuläre Glaubens-Heldentat eines Abraham (oder einer allerseligsten Jungfrau, eines hl. Joseph) wird vom Normalgläubigen nicht gefordert, dem der Herrgott spätestens in der christlichen Dispensation jede Menge Sicherheiten mit auf den Weg gibt, auf daß es daran nicht scheitere.
Sei dem aber wie dem sei: Detailfragen der Organisation der für die Spendung der Gnadenmittel nötigen Infrastruktur (wenn ich es einmal so spröde ausdrücken darf) sind offensichtlich etwas ganz *anderes* als dieses Existenzielle "zu Gott hin in die Wüste".
2. Es *gibt* im Alten Testament eine offenkundig als solche erkennbare Anagogie für den Weg der Kirche durch die Zeit. Aber es ist nicht Abraham und der Aufbruch ins Ungewisse und in die Wüste zu Gott hin, auch wenn eine Wüste durchaus vorkommt:
es ist nämlich der Exodus: wir *haben* Ägypten schon verlassen; diese Entscheidung ist (trotz Murrens einzelner) irreversibel; wir befinden uns zwar in einer Wüste, aber jeden Morgen gibt's Manna; die Führung ist auch klar (wenn auch ebensowenig unangefochten wie die Treue des Einzelnen, siehe Korach und Goldenes Kalb) und am Ende wartet das Gelobte Land. (Darin, daß Mose, am Ziel angekommen, vor dem Überschreiten der Grenze stirbt, gerät die Anagogie an ihre Grenze - Mose ist eben nicht Jesus, und deswegen führt Jesus [vom Namen her = Josua] unsere Väter, die Kinder Israels, ins Gelobte Land.)
Wenn wir also alttestamentliche Parallelen finden wollen, dann geht es hier eben nicht um so Existenzielles wie einen Aufbruch ins Ungewisse, sondern um so pragmatische Dinge, die im AT an der Stelle auch durchaus *stehen*: etwa die Einsetzung des Rates der siebzig Ältesten auf pragmatisches Anraten von des Propheten Schwiegerpapa.
(Das AT kann ziemlich faszinierend sein.)
Leider verlaufen das Absterben der katholischen Kirchensteuerkirche (KK) und der katholischen Gottesdienstgemeinde (GG) nicht synchron, geschweige denn, dass noch Gläubige übrig sind, wenn das Kirchensteuersystem an sein Ende kommt. Vielmehr ist es so, dass - unter vereinfachender linearer Fortschreibung - die Zahl der gegen Zahlung von Kirchensteuer die Lebenswenderiten Konsumierenden erst in ca. 90 Jahren abgeschmolzen sein wird, während in den meisten Sonntagsmessen in 5 bis 10 Jahren der Letzte das Licht ausmacht.
AntwortenLöschenDem deutschen Kirchensteuerapparat sind allerdings selbst die wenigen verbliebenen Anhänger eines engen und steilen Weges dermaßen ein Dorn im Auge, dass deren Vertreibung möglicherweise noch wesentlich rascher vor sich gehen wird.
@Imrahil
AntwortenLöschenDass wir uns zwischen dem 1. und 2. Kommen Christi gewissermaßen im Exodus befinden, ist gesamtheilsgeschichtlich sicher richtig.
Die hier diskutierte aktuelle kirchliche Situation erweckt in mir aber eher das Bild, als ob wir noch an den Fleischtöpfen Ägyptens sitzen.
"sind allerdings selbst die wenigen verbliebenen Anhänger eines engen und steilen Weges dermaßen ein Dorn im Auge, dass deren Vertreibung möglicherweise noch wesentlich rascher vor sich gehen wird."
AntwortenLöschenWill heißen, auf die von dieser Gruppe gezahlten Kirchensteuern wird man dann doch hoffentlich großzügig verzichten können.
Eine wirkliche Volkskirche gibt es m. E. in Deutschland schon jetzt nicht mehr, die Strukturen werden sich aber noch eine ganze Weile halten.
AntwortenLöschenIch schätze, nach einer Übergangszeit wird eine Remissionierung erfolgen, vermutlich von irgendwoher aus Afrika, Asien oder Südamerika mit der nötigen Frische und Begeisterung.