Als ich letzten Montag launig und spontan meinen kurzen Beitrag "Igitt - die knutschen" in die virtuelle Welt hinaussandte, dachte ich nicht, dass ich wenig später noch einmal auf dieses Thema würde zurückkommen müssen. Muss ich nun aber doch - aus Gründen, die mit dem inkriminierten Knutschfoto an sich immer weniger zu tun haben.
Was das Foto als solches betrifft, ist meine Meinung unverändert: Ich finde grundsätzlich nichts Empörendes am Anblick zweier Frauen, die sich küssen. (Disclaimer: Ich würde auch am Anblick zweier Männer, die sich küssen, grundsätzlich nichts Empörendes finden.) Ich finde - offenbar im Gegensatz zu manchen anderen Teilnehmern dieser Debatte -, dass eine Abbildung von Menschen, die sich küssen, nichts mit Pornographie zu tun hat. An dem Umstand, dass Radio Vatikan gerade so ein Bild ausgewählt hat, um damit einen Artikel über Perspektiven katholischer Sexualmoral zu illustrieren, kann man gleichwohl legitime Kritik üben; in einigen Wortmeldungen hat die Empörung über das Foto jedoch ein Ausmaß erreicht, das ich als unverhältnismäßig und kontraproduktiv empfinde. (Und dabei habe ich, wie es scheint, die heftigsten Reaktionen gar nicht mitbekommen, wohl weil sie auf Websites erschienen, die ich im Allgemeinen meide.)
Bleiben wir mal beim Stichwort "kontraproduktiv": Reaktionen, die darauf hinauslaufen, ein Bild von sich küssenden Frauen sei, zumindest wenn es in einem katholischen Medium erscheint, einfach "bäh", finde ich persönlich nicht nur albern, sondern war und bin auch der Auffassung, sie seien zu nichts Anderem geeignet als dazu, das Anliegen moraltheologisch konservativer Katholiken zu diskreditieren. Und in dieser Einschätzung darf ich mich nun wohl bestätigt fühlen. Noch im Laufe des Montagnachmittags bezog Pater Bernd Hagenkord SJ, seines Zeichens Leiter der deutschsprachigen Sektion von Radio Vatikan, auf seinem Blog zu der Knutschfoto-Affäre Stellung. Er räumte ein, die Auswahl des Bildes sei "[v]ielleicht nicht allzu klug" gewesen, tadelte jedoch die Überzogenheit einiger Reaktionen: "Und da wundern wir uns noch [...], dass homosexuelle Menschen sich diskriminiert fühlen?"
Soweit, könnte man sagen, unterschied sich Pater Hagenkords Stellungnahme gar nicht mal so sehr von meiner eigenen. Aber natürlich lag schon ein erheblicher Unterschied darin, dass Pater Hagenkord in dieser Angelegenheit ja in einer ganz anderen Position war bzw. ist als ich. Als Sektionschef bei Radio Vatikan war er ja letztlich verantwortlich für die Veröffentlichung dieses Artikels mit diesem Bild, also hatte er Grund, die heftigen Reaktionen darauf zu einem gewissen Grad als Angriffe auf ihn selbst aufzufassen. Und das merkt man seiner Replik an.
Als exemplarisch für die Reaktionen, die das Knutschfoto ausgelöst habe, zitiert P. Hagenkord die Schlagworte "Homo-Perversion", "seid ihr noch katholisch?", "widerliche Porno-Bilder" - und resümiert: "Da sind einige Menschen da draußen wirklich ganz übel fixiert". Und was für Menschen mögen das sein? - Offenkundig "super-katholische Anzeige-Christen". Gab es denn gar keine maßvollere, sachlichere Kritik? Anscheinend nicht: "Am Niveau lag es nicht, da war keines". Deswegen muss man inhaltlich auch gar nicht auf Einwände gegen das Foto oder den dazugehörigen Artikel eingehen, denn: "Um die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften geht es gar nicht, es geht darum, sich künstlich aufzuregen und (ich sage es bewusst) sich zu erregen und sich maßlos über andere zu erhaben". Etwas, was P. Hagenkord und seine Leute selbstverständlich nie tun würden, denn: "[S]elbst wenn wir hier oder da mal Fehler machen, sind wir nicht bereit, dieses Spiel mitzumachen."
Jetzt mal dialektisch gefragt: wenn das kein "Sich über Andere Erheben" ist - was ist es dann? - Aber wenn das schon Alles wäre, würde ich gar nicht meckern. Wie es jedoch konkret aussieht, "dieses Spiel nicht mitzumachen", das kann man in den Kommentaren zu P. Hagenkords Artikel beobachten.
Die kaum noch unterschwellig zu nennende Pathologisierung der Knutschfoto-Kritiker als sabbernde, schwitzende Klemmis fällt bei nicht wenigen Lesern des Radio-Vatikan-Blogs auf fruchtbaren Boden: "Das schöne Foto der beiden glücklich sich küssenden Frauen" könne lediglich bei "Fetischisten katholischer Katechismusmoral" negative Reaktionen auslösen, wird da konstatiert: "Diese Leute [...] sind einfach ein Fall für den Psychiater", und: "Die kirchliche Sexuallehre züchtet sich ihre Gemütskranken selbst". Schließlich seien "[a]lle Menschen [...] bisexuell, die einen mehr, die anderen weniger", bzw. es gebe "im Grunde soviele Sexualitäten wie es Menschen gibt". Anderen ist Pathologisierung noch nicht genug: Für sie ist das "widerliche Hetze", "rechtsradikal faschistisch rassistisch", weshalb man "diesen Leuten" - gemeint sind offenbar kath.net und einige nicht namentlich genannte Blogger - "das Handwerk legen" müsse. Ein "Wikipedianer" mit dem Nutzernamen "suennerklaas" bietet P. Hagenkord sogar nachdrücklich praktische Hilfe für dieses Ansinnen an. Das geht dem Pater denn doch ein wenig zu weit, weshalb er betont:
"Ich glaube nicht, dass das rechtsradikal ist. Ich verstehe Ihr Argument, glaube aber, dass das einfach nur krank ist."
Sehr nett! Und warum gibt P. Hagenkord dieser Deutung den Vorzug?
"Rechtsradikal würde ja bedeuten, dass das irgendwie auch politisch oder gesellschaftlich relevant ist. Ist es aber nicht."
Bestechende Argumentation, muss man schon sagen. - In den Kommentaren zum Blogartikel findet sich durchaus auch Kritik an P. Hagenkord und an den oben auszugsweise zitierten Kommentaren einiger Leser; empfindlich reagiert der Pater allerdings, als ein Leser ihm eine "Hetzkampagne" vorwirft:
"Das ist keine Hetzkampagne, ich verbitte mir so ein Wort."
Schon klar, denn "hetzen" tun ja immer nur die Anderen. Die dafür aber pausenlos.
Im Ganzen gleicht P. Hagenkords Umgang mit Kritik frappierend einer Strategie, für die ich an anderer Stelle einmal einem ebenfalls bloggenden Jugendseelsorger den Titel "MacGyver der Rhetorik" verliehen habe: die Kritik gegen den Kritiker wenden, indem man ihm niedere Beweggründe und/oder einen psychischen Defekt unterstellt; sich selbst zum Opfer von "Hetze" stilisieren; sachliche Auseinandersetzung verweigern, weil "die Anderen" ja auch nicht sachlich argumentieren. Oder, kürzer ausgedrückt: "Ich bin schon deshalb einer von den Guten, weil meine Gegner so gemein zu mir sind". Dergleichen konnte man in P. Hagenkords Blog schon öfter beobachten, zuletzt in einem "Spaltung!" betitelten Artikel, mit dem er auf die Kritik an der so genannten "Schattensynode" reagierte, an der er als Moderator teilgenommen hatte. Seine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kritik an dieser Veranstaltung beschränkt sich auf den Satz "Das ist natürlich totaler Stuss"; dann fährt er fort:
"Dem will ich auch gar nicht weiter Aufmerksamkeit schenken, der Schaum vor dem Mund interessierter Kreise ist so schon schlimm genug. Es gibt Menschen, die können sich gar nicht genug aufregen."
Wie sich die Bilder gleichen! Interessant ist allerdings, was für Kriterien P. Hagenkord seinen Lesern zur "Unterscheidung" - "das Wort Unterscheidung' geistlich gebaucht" (!) von Stellungnahmen verschiedener Seiten empfiehlt; es sind u.a. diese:
"Wer macht Vorwürfe und wer nicht?"
"Wer (be)schimpft und wer nicht?"
"Wer urteilt und wer nicht?"
Nun sitze ich da und wundere mich, dass P. Hagenkord offenbar so überzeugt davon ist, ein Guter zu sein, dass er gar nicht auf die Idee kommt, man könnte diese Sätze gegen ihn verwenden.
Okay: Offenkundig ist er wirklich so überzeugt davon. Heuchelei würde ich ihm daher nicht vorwerfen. Hier wie so oft empfiehlt es sich, von der Goldenen Regel "Geh von guten Absichten aus" Gebrauch zu machen: Es ist anzunehmen, dass P. Hagenkord ehrlich davon überzeugt ist, im Recht zu sein und für die Kirche, der zu dienen er sich als Priester, Jesuit und nicht zuletzt auch als hochrangiger Journalist bei Radio Vatikan verpflichtet hat, nur das Beste im Sinn zu haben. Diese Überzeugung zu haben und auch zu äußern, ist selbstverständlich sein gutes Recht, ebenso wie es mein Recht ist, ihn zu kritisieren. Fragen sollte P. Hagenkord sich allerdings vielleicht, ob es statthaft ist, seine persönlichen Anschauungen auf einem Blog zu verbreiten, der zur offiziellen Webpräsenz von Radio Vatikan gehört.
Ich halte die Verquickung eines privaten Blogs auf einer offiziellen Seite zumindest für diskutabel.
AntwortenLöschenJeder, auch wenn er sich mit den technischen, internetspezifischen Dingen (php, html etc.) überhaupt nicht auskennt, kann sich einen Blog einrichten. Das kann man bei auf Blogs spezialisierten Anbietern wie blogspot.de machen oder auch auf einer eigenen Homepage. Viele Domain-Anbieter für eigene Homepages liefern entsprechende Pakete mit, die man mit wenigen Mausklicks einen Blog aktivieren/installieren kann.
Bei der deutschen Sektion von Radio Vatikan wurde aber eigens die Firma ""schoen und neu" aus Berlin engagiert, um den Blog zu gestalten. Hier wurde sich also richtig Mühe gemacht, um es hübsch zu machen.
Ebenso gut hätte die Firma es aber auch auf einer eigenen Domain machen können.
Den Blog als Sub-Domain unter Radiovatikan laufen zu lassen, macht schon den Eindruck, daß es sich hier NICHT um einen privaten Blog handelt, sondern um irgendwas halbwegs offizielles. Zumindest erweckt es den Eindruck, daß Radio Vatikan – und damit meine ich nicht nur die deutsche Sektion – sich mit den Inhalten des Blogs identifiziert.
Freilich gibt es auch anderswo Blogs, die als Subdomain laufen. Ich nenne dort exemplarisch die Blogs, die unter welt.de (z.B. boess.welt.de; freie.welt.de; etc.) zu finden sind. Insofern ist das Konstrukt bei Radiovatikan nicht einzigartig.
Ob man es so machen MUSS und ob es sinnvoll ist, das ist freilich eine ganz andere Frage, zumal man bei „Kirchens“ wohl auch noch etwas andere Maßstäbe anlegen muß, insbesondere, wenn der Name „Vatikan“ ins Spiel kommt.
Diese "Verquickung" kann man gewiß problematisch finden - in der Medienlandschaft hierzulande ist es aber zwischenzeitlich nicht unüblich, Redaktions-Blogs (oder eben: Redakteur-Blogs) einzurichten, die abseits des Hauptmediums die Leserbindung stärken sollen, indem das Gefälle zwischen Redakteur und Leser zugunsten einer etwas privater vorgestellten Austauschmöglichkeit "inter pares" gemildert wird. Das impliziert dann auch die subjektive Reflexion auf Berichtetes auf solchen Blogs.
LöschenSehr richtig.
AntwortenLöschenDisclaimer: ich habe das inkriminierte Foto selbst nicht gesehen und kann daher nichts darüber sagen, ob es nun ein lesbisch aussehender Kuß oder ein normaler Kuß unter Frauen war. An einem normalen Kuß unter Frauen ist (von Passendheitsargumenten bei Radio Vatikan abgesehen) ebensowenig auszusetzen wie an einer Umarmung unter Männern.
An einem Kuß unter Männern habe ich, hierzulande, etwas auszusetzen. (Ja, ich mache da einen Unterschied.) Das mag es abstrakt-naturrechtliche Gründe dagegen ebensowenig geben wie bei Frauen (was zu erörtern wäre), aber es ist in unserer Kultur nun einmal nicht vorgesehen, und hat von daher schonmal notwendig zumindest etwas Aufmüpfiges (in die falsche Richtung).
Hallo Imrahil, oder besser geschrieben Prinz Imrahil. Kennst du zufällig die Szene in welcher Éomer Imrahil küsst? Und wenn ich küssen schreibe, dann meine ich auch küssen... aber so richtig... aufmüpfig... weißt du?
AntwortenLöschenLG-Sam
Nö. Der küßt sowieso lieber meine Tochter.
LöschenThat said, kulturbedingt ist nunmal kulturbedingt. Ich sagte ja selber, daß objektiv da nicht unbedingt etwas Verkehrtes dran sein muß, aber kulturbedingt ist nunmal kulturbedingt. Daß Männer sich (so richtig) küssen ist in unserer Kultur nunmal nicht vorgesehen, daran ändert es auch nichts, wenn das in Gondor und Rohan anders sein sollte.