Unlängst stolperte ich auf Twitter über die folgende bemerkenswerte Miniatur:
"Fellow Gentrifizier-Genervte: Idee nich neu, aber was spricht für _euch_ dagegen?: aufs Land (günstig, Raum für neue Struktur), Techno-Hippie-Kolonien gründen, notfalls Geld remote verdienen & Städte durch eigne Shuttle-Netze nah halten; könnten so auch Rechten Einfluss abgraben?"
Das erste, was mich daran stutzig machte, war der Begriff "Techno-Hippies": Ich hatte bisher immer gedacht, das wäre ein Widerspruch in sich. Was aber zugegebenermaßen vielleicht nur daran liegt, dass ich noch nie auf dem Fusion-Festival war. -- Im Ernst: Ich könnte meine Auffassung, die Techno- und die Hippie-Subkultur seien geradezu diametrale Gegensätze, durchaus erschöpfend begründen, nur finde ich sowohl den bei Reclam erschienenen Reader "but I like it - Jugendkultur und Popmusik" als auch die Lektürenotizen, die ich mir schon vor ein paar Jahren dazu gemacht habe, augenblicklich nicht wieder. Na, sei's drum. Womöglich sind meine Informationen zu diesem Thema einfach unvollständig oder veraltet, und es gibt Techno-Hippies. Wenn die sich nun auf dem Lande ansiedelten, im Brandenburgischen beispielsweise, müsste man sich das Ergebnis wohl so ähnlich vorstellen wie in dem Film "Sommer in Orange" -- über den ich, seit ich ihn im Sommerurlaub im Fernsehen gesehen habe, auch schon längst mal was schreiben wollte, aber da das nun eben schon rund ein halbes Jahr her ist und ich es seinerzeit versäumt habe, mir detaillierte Notizen zu machen, müsste ich mir den Film zum Zweck einer gründlichen Analyse wohl erst nochmals ansehen. Lust hätte ich schon.
Doch zurück zum oben zitierten Tweet: Der Anti-Gentrifizierungs-Impuls, der dort geradezu den Ausgangspunkt der Überlegung bildet, scheint mir nicht recht durchdacht; präziser gesagt, er scheint ein mangelndes Bewusstsein davon zu verraten, dass die "Techno-Hippies" (so es sie denn gibt) selbst zur Vorhut der Gentrifizierung gehören, der sie entfliehen wollen; dazu habe ich vor über vier Jahren schon mal was geschrieben. Auch die Vorstellung, wie "Techno-Hippies" auf dem Lande "Rechten Einfluss abgraben" wollen - worunter man wohl "die Völkischen Siedler mit ihren eigenen Waffen schlagen" verstehen soll -, weckt bei mir eher tragikomische Assoziationen. Nicht nur, weil ich mir vorstelle, dass die Völkischen Siedler besser mit dem Baseballschläger umgehen können als die stadtflüchtenden Nerds; vor allem dürften die Völkischen Siedler deshalb einen Standortvorteil haben, weil sie nicht aufs Land ziehen, um "remote Geld zu verdienen", sondern vielmehr um das zu tun, was man auf dem Land eben so tut -- Ackerbau und ggf. Viehzucht betreiben nämlich.
Fällt mir zu dem Tweet noch etwas ein? Ach ja: "eigne Shuttle-Netze". Zu den Zeiten meines seligen Herrn Vaters hieß das noch "Fahrgemeinschaften bilden". Gerngeschehen.
Aber jetzt mal im Ernst: Was mich an der ganzen Sache wirklich interessiert und weshalb ich hier darüber schreibe, werden regelmäßige Leser meines Blogs vielleicht schon ahnen. Ich verrat's trotzdem:
Als ich Rod Drehers Benedict Option noch nicht aus eigener Lektüre, sondern nur aus Rezensionen kannte - und zwar in erster Linie aus Luma Simms' von Skepsis geprägter Rezension im Federalist -, nahm ich zunächst an, das oder zumindest ein zentrales Thema des Buches wäre die Gründung christlicher Landkommunen. Das ist nicht der Fall - zwar heißt das 6. Kapitel des Buches "Die Idee eines christlichen Dorfes", aber das ist eher metaphorisch gemeint: Ein solches "christliches Dorf" kann, zumindest der Theorie nach, überall sein, auch innerhalb einer Großstadt. Schließlich geht es bei der Benedict Option - es scheint wichtig zu sein, darauf hinzuweisen, denn gerade dieser Punkt wird offenbar gern und oft missverstanden, sowohl von Leuten, die das Buch nicht, als auch von solchen, die es nur auszugsweise oder oberflächlich gelesen haben - nicht darum, jeglichen Kontakt zur nicht- oder gar antichristlichen Umwelt zu meiden; davor wird sogar ausdrücklich gewarnt, da es einerseits ungesunde sektiererische Tendenzen begünstigen würde und andererseits nicht missionarisch wäre. Sehr wohl aber geht es in der Benedict Option darum, Rückzugsräume zu schaffen, in denen Christen ihren Glauben und ihre Gemeinschaft untereinander stärken können. Und in diesem Zusammenhang lässt mich die Idee eines "christlichen Dorfes" im buchstäblichen Sinne nicht so ganz los. Auch wenn man ausgerechnet da, wo so etwas innerhalb Deutschlands wohl am ehesten zu verwirklichen wäre - in strukturschwachen Regionen der "Neuen Bundesländer" - wohl einerseits mit der unerfreulichen Nachbarschaft Völkischer Siedler rechnen müsste und andererseits womöglich mit ungebetenem Besuch von der Antifa, die zwischen christlichen und völkischen Siedlern nicht unterscheiden kann oder will. Und nun kommt schlimmstenfalls auch noch die Konkurrenz der Digital-Hipster alias "Techno-Hippies" dazu.
Während ich noch darüber sinnierte, spülte mir Facebook auch schon einen Hinweis auf ein (vermeintlich) geeignetes Objekt in die Timeline: Im Süden Brandenburgs, so hieß es, stehe ein ganzes Dorf zum Verkauf - oder, wie Immobilienscout 24 es sachlich korrekter formuliert, eine "Siedlung mit Dorfcharakter": Die "Siedlung Alwine", sechs Häuser mit einer Gesamtwohnfläche von ca. 1.421,62 m² auf einer Grundstücksfläche von 16.871 m², idyllisch gelegen mitten in einem Waldgebiet im Landkreis Elbe-Elster. "Zwei Mehrfamilienhäuser, fünf Doppelhaushälften, ein Zweifamilienhaus, ein Einfamilienhaus, zehn Schuppen und Garagen", so beschreibt es ein Bericht im stern. "Es gibt sogar einen kleinen Dorfplatz mit einem halben Dutzend sauber gestutzten Sträuchern." Und diese ganze Siedlung soll am kommenden Samstag ab 12 Uhr beim Berliner Auktionshaus Karhausen unter den Hammer kommen -- zu einem Startgebot von schlappen 125.000 €. Ein Traum?
Symbolbild - nicht aus der Siedlung Alwine, sondern aus Tossens. |
-- Wie man's nimmt. Der stern räumt ein: "[E]s gibt natürlich einen Haken". Und den beschreibt die Illustrierte wie folgt:
"An den Häusern blättert der Putz ab, wenn er überhaupt noch vorhanden ist. Alte Fensterläden verdecken gähnende schwarze Löcher und überall, wo man hinschaut, sieht man eins: Verfall. [...] Es gibt zum Beispiel keine Heizungsanlagen in den Häusern [...]. Geheizt wird mit Kohle oder Holz im guten alten Kachelofen."
Ja wie jetzt - das soll der Haken sein? Ich denke, genauso soll das, wenn man schon in die Brandenburger Wälder ziehen will! Eine Handvoll Leute mit handwerklichem Geschick, Enthusiasmus und niedrigen Ansprüchen in Sachen Komfort, und ruck-zuck, fertich ist die Landkommune! -- Als der eigentliche Haken erweist sich bei genauerer Lektüre des Artikels ein ganz anderer: Die Häuser sind vermietet. Und den "ungefähr 15 Mietern" mangelt es offenbar an Kommunarden-Pioniergeist und Sinn für asketische Idylle. "Der eine will vielleicht neue Fenster, der andere ein neues Bad oder eine Heizung."
Da stellt sich nun natürlich die Frage, für wen das Objekt eigentlich interessant sein soll, wenn nicht für Landkommunengründer, seien es nun Digitale Hipster oder "BenOp"-Christen. Als Renditeobjekt scheint es jedenfalls nicht sonderlich attraktiv. Theoretisch, so heißt es, würde die ganze Siedlung 16.000 € Miete im Jahr (!) abwerfen, nur dass einige der Mieter derzeit wegen des Zustands der Gebäude gar keine Miete zahlen. "Mieteinnahmen bis zu 30.000 Euro jährlich wären durchaus möglich", meint der Auktionator; aber dafür müsste man offensichtlich erst mal ein Vielfaches des Kaufpreises in die Sanierung investieren -- und wann bitte soll das Ganze anfangen sich zu lohnen?
Kurz und gut, ich halte es für eher fraglich, ob sich jemand findet, der für die "Siedlung Alwine" das Mindestgebot von 125.000 € zu zahlen bereit ist; ja, solange Mieter in den Gebäuden sitzen, wäre ich nicht mal sicher, ob irgendjemand die Siedlung geschenkt haben wollen würde. Die gute Nachricht lautet indessen: Der Auktionskatalog hat durchaus auch noch andere ähnlich abenteuerliche Objekte zu bieten; wahrscheinlich gibt es davon im Osten Deutschlands wesentlich mehr als man denkt. Aber schade ist es doch um die Siedlung Alwine. Die nächste katholische Kirche wäre übrigens nur sieben Kilometer entfernt.
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