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Donnerstag, 14. Dezember 2017

Oh Tannenbaum...

Ich hatte heute einen sehr aktivistischen Tag.

Vor ein paar Tagen hatten wir Besuch von einem befreundeten Priester, und bei Kaffee und via Foodsaving organisiertem Gebäck sprachen wir über allerlei Themen, von denen die meisten "irgendwas mit Kirche" zu tun hatten. Im Zuge dessen kamen wir irgendwann auf die Beobachtung zu sprechen, dass sich in einer durchschnittlichen Pfarrei kaum aktive Gemeindemitglieder finden, die "von ihrer Hände Arbeit leben". Sondern praktisch nur Leute aus im weitesten Sinne "intellektuellen" Berufen. Vermutlich, darin waren wir uns einig, rührt das daher, dass ein Großteil der typischen Aktivitäten, die im Rahmen einer Pfarrei veranstaltet werden, für eher handfest-zupackend veranlagte und interessierte Leute nicht sehr ansprechend ist. "Wenn es überall nur noch Stuhlkreise mit gestalteter Mitte und Bildmeditationen gibt und man dauernd darüber reden soll, wie man sich fühlt, dann ist das ja kein Wunder." -- "Und was ist das Ende vom Lied?", warf ich ein. "Am Ende muss der Küster einen Germanisten anheuern, um einen Weihnachtsbaum zu fällen und zur Kirche zu transportieren." 

Das war kein Witz. Also, in diesem Moment war es natürlich schon einer, aber er hatte einen ernsten Hintergrund: Kurz zuvor hatte ich mich bereit erklärt, in meiner Ortspfarrei beim Weihnachtsbaum- und Krippenaufbau mitzuhelfen. Der erste Schritt zu diesem hehren Ziel bestand darin, zusammen mit drei anderen Freiwilligen nach Heiligensee zu fahren, dort einen Baum zu fällen (ursprünglich war von drei Bäumen die Rede, aber aus organisatorischen Gründen konnte zunächst doch nur einer geholt werden - immerhin der größte der drei) und zur Kirche zu transportieren. Und diese Aktion stand heute Vormittag an. 

Ein Weihnachtsbaum aus Heiligen(!)see. Da muss ja wohl Segen drauf liegen. 

Und so sah das gute Stück im lebenden Zustand aus. 
Unter den vier Freiwilligen für diese Aktion war ich übrigens, wenn ich mich nicht irre, der einzige, der (noch) nicht zum ehrenamtlichen Küsterkreis der Pfarrei gehört. Bzw. jetzt wahrscheinlich doch. Ich hatte mir vorgestellt, der Baum, den wir holen sollten, stünde irgendwo im Wald herum, aber das erwies sich schon mal als Irrtum: Es handelte sich um eine private Spende an die Pfarrei, und folgerichtig stand der Baum in einem privaten Garten. Einem ziemlich kleinen Garten für so einen großen Baum. 

Übrigens, mein Lieblings-Dialog des Vormittags: 
"Na, hat sich jemand von euch ein YouTube-Tutorial darüber angesehen, wie man einen Baum fällt?" 
"Ja." 

Ich war es wohlgemerkt nicht, der diese Frage bejahte. Aber wenigstens einer. 





Tatsächlich erwies sich das Fällen des Baums vergleichsweise als das geringste Problem. Viel  schwieriger war es, ihn an Gartenhaus, Wäscheleine, Hollywoodschaukel, Hundeskulptur und anderen Bäumen vorbei aus dem Garten und ins Auto zu schaffen. Ich erspare Dir die Details, Leser. Jedenfalls waren wir wiederholt drauf und dran, aufzugeben. Was aber keine Option war, denn wir konnten den gefällten Baum ja schlecht mitten im Garten oder gar zwischen Gartentor und Haustür liegen lassen und uns aus dem Staub machen. 


Schließlich aber doch: Geschafft! 
Vermutlich wäre es erheblich einfacher gewesen, wenn wir angemessen mit Hilfsmitteln wie z.B. Seilen ausgestattet gewesen wären -- und erst recht, wenn wir zwei oder drei Mann mehr gewesen wären. Der Organisator der ganzen Aktion beteuerte allerdings, er habe alles versucht und nur mit erheblicher Mühe überhaupt vier Leute zusammenbekommen; und das glaube ich ihm durchaus. Zu den Gründen siehe oben. Während wir uns mit dem Baum abquälten, wurden unter uns Stimmen laut, die Pfarrei hätte lieber einfach mal 300-450 € in die Hand nehmen und einen Baum kaufen und liefern lassen sollen. Nächstes Jahr wolle man sich diesen Stress jedenfalls nicht noch einmal geben. -- Zu meiner eigenen Überraschung war ich anderer Ansicht. Geld ausgeben kann ja jeder. Es geht heutzutage an Weihnachten ohnehin schon viel zuviel um Konsum. Ist doch viel schöner, den Baum selbst zu fällen. Und viel benediktinischer. Körperliche Arbeit hat so etwas Befreiendes, wenn man sonst immer nur vor dem Bildschirm sitzt. Im Grunde könnte man so etwas als Exerzitien anbieten. 


Get Your Hands Dirty! 
Im Ernst: Ich würde es für eine gute Idee halten, wenn Pfarreien ihren aktiven Mitgliedern öfter mal Gelegenheit gäben, sich in ihrem Auftrag die Hände schmutzig zu machen. Vielleicht könnte man dadurch auf mittlere Sicht auch Leute anlocken, die das nicht nur gern tun, sondern sogar können

Aber mein aktivistischer Tag war noch nicht zu Ende: Kaum hatten wir den Baum auf dem Kirchengelände deponiert (in der Kirche aufgestellt wird er erst zu einem späteren Zeitpunkt), da musste ich auch schon wieder los, um meine Liebste bei einer Foodsaving-Aktion in einem Biomarkt zu unterstützen. (Im Wesentlichen bestand mein Beitrag ehrlich gesagt darin, mich währenddessen um das Baby zu kümmern... und dann einen Rucksack voller Brote nach Hause zu transportieren.)

Man beachte die Jakobsmuschel am Kinderwagen! 

Mittlerweile sind wir eigentlich andere Mengen gewohnt. Aber okay. 
Einen Großteil der Ausbeute dieser Foodsaving-Aktion gaben wir an einen jungen Mann weiter, der uns später am Nachmittag zu diesem Zweck besuchte. Der Kontakt hatte sich über Facebook ergeben: Der junge Mann ist wohnungslos und in allerlei Social-Media-Gruppen für Hilfeleistungen auf Gegenseitigkeit aktiv, und abgesehen davon, dass er mit geschenkten Lebensmitteln durchaus selbst etwas anfangen kann, hat er auch seinerseits einen Kreis von weiteren Abnehmern. Was das Stichwort "Gegenseitigkeit" angeht, bot er uns an, wir könnten uns an ihn wenden, wenn mal kleinere Reparaturen in der Wohnung zu erledigen seien oder so. 

Wir unterhielten uns recht lange mit unserem neuen Bekannten, und das war ziemlich interessant -- durchaus auch im Sinne von "lehrreich". Ich machte mir ein paar mentale Notizen über Dinge, die man zugegebenermaßen - zumindest zum Teil - durchaus auch "von alleine" hätte wissen oder sich zumindest hätte denken können, wenn, ja wenn man sich überhaupt Gedanken über so was machen würde: 
a) Nicht jeder, der "o.W." (= ohne Wohnung) ist, lebt faktisch "auf der Straße".
b) Nicht jeder Obdachlose, selbst wenn er "auf der Straße" lebt, ist ein Drogenwrack.
c) Obdachlose, einige jedenfalls, haben ihre eigenen Netzwerke zur gegenseitigen Unterstützung. 
Solche Netzwerke dienen zum Beispiel auch dazu, Gelegenheitsarbeiten an Land zu ziehen. Gern Arbeiten, bei denen eine größere Zahl zupackender Hände benötigt wird, wie etwa Umzugshilfe. 

Und dann, als der junge Mann wieder weg war, machte es Klick bei mir, und in meinem Kopf schloss sich ein Kreis. 

Der Tannenbaum. Das Obdachlosennetzwerk. 

Halte mich ruhig für bekloppt, Leser, aber ich finde: Statt nächstes Jahr einen Weihnachtsbaum bei einem kommerziellen Anbieter zu kaufen und liefern zu lassen (böh, langweilig!), sollte die Pfarrei - vorausgesetzt, sie hat erneut das Glück, einen Baum gespendet zu bekommen - lieber eine Gruppe Obdachloser (oder anderer Leute aus einschlägigen Selbsthilfenetzwerken) mit dem Transport beauftragen. Als Gegenleistung könnte man sie beispielsweise zu einem schönen Essen im Pfarrsaal einladen, oder sie einfach fragen, was man ihnen sonst Gutes tun kann. Das könnte obendrein und nicht zuletzt auch noch einen missionarischen Effekt haben. 

Ich schätze, das werde ich meiner Pfarrei mal vorschlagen. 


--- Nebenbei bemerkt warte ich in einer anderen Angelegenheit seit nunmehr drei Tagen auf Antwort auf eine Mail, die ich den beiden Gemeindereferentinnen der örtlichen Pfarrei geschrieben habe. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein Andermal erzählt werden... 

3 Kommentare:

  1. "Ich hatte heute einen sehr aktivistischen Tag."

    Den hatte ich heute: 16 Tannenbäume geschlagen, aus dem Wald gezogen, verladen und in vier Gotteshäusern verteilt. Wer kann mehr? ;-)

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    1. Natürlich nicht alleine: Der älteste war 82 der jüngste 48. Wir waren mit fünf Leuten unterwegs.

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