Nehmen wir mal König
Salomo – und sein sprichwörtliches „Salomonisches Urteil“.
Wir erinnern uns: dieser Fall mit den zwei Frauen, die sich um ein
Kind streiten, und beide Frauen behaupten, die Mutter des Kindes zu
sein. Hatte König Salomo da zunächst tatsächlich die
Absicht, das Kind in zwei Hälften teilen zu lassen, und hat sich
erst durch die Liebe der wahren Mutter zu ihrem Kind eines
Besseren belehren lassen? – Nun ja: Könnte sein. Schließlich
war König Salomo nur ein Mensch. Vielleicht hatte er schon
einen sehr anstrengenden Tag gehabt, vielleicht ging ihm das Geschrei
der beiden Frauen auf die Nerven und er wollte langsam mal Middach
machen; und da sagte er sich vielleicht: Was soll's, dann kriegt
halt jede Frau ein halbes Kind, und ich hab meine Ruhe.
Valentin de Boulogne: Das Urteil Salomos (ca. 1625; gemeinfrei) |
So ähnlich verhalten
sich im Evangelium vom vergangenen Sonntag ja auch die Jünger, als
im heidnischen Gebiet von Tyrus und Sidon eine kanaanäische Frau
Jesus anfleht, ihre Tochter von einem Dämon zu erlösen. Als fromme
Juden ihrer Zeit haben die Jünger überhaupt keine Veranlassung,
einer heidnischen Frau gegenüber besonders hilfsbereit zu sein. Und
im Grunde sind sie das auch nicht – aber das Geschrei der
Frau geht ihnen auf die Nerven, also sagen sie sinngemäß zu Jesus:
„Och komm schon, Meister, sei doch nicht so. Tu der Frau doch ihren
Willen, Du kannst es doch – dann haben wir unsere Ruhe.“
Aber darauf lässt Jesus sich nicht ein.
Ich bin kein Theologe und
will nicht behaupten, ich hätte diese Perikope, die schon größeren
Denkern als mir Kopfzerbrechen bereitet hat, verstanden. Aber
da sie in der Leseordnung des Jahreskreises nun mal regelmäßig
auftaucht, habe ich im Laufe meines Katholikendaseins schon so
allerlei Predigten dazu gehört, überzeugende und weniger
überzeugende. Und ich muss sagen, zu den weniger überzeugenden
zähle ich jene, die darauf abzielen, Jesus offenbare mit der Aussage„Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt“ ein defizitäres Verständnis seiner eigenen Sendung und müsse sich durch die Beharrlichkeit der Frau erst eines Besseren belehren lassen. Was, frage ich mich angesichts solcher Deutungen, ist mit
der göttlichen Natur Jesu? Wenn wir daran glauben, dass Jesus
der Mensch gewordene logos Gottes ist, wie könnte es dann
möglich (oder gar notwendig) sein, Ihn über die Tragweite Seiner
eigenen Mission zu belehren? Müssten wir nicht annehmen, dass
Er schon im Voraus wusste, was die Frau zu Ihm sagen würde – und
also auch, dass Er ihr schließlich doch helfen würde?
Wenn das Ergebnis aber
von vornherein feststand, wozu dann das ganze Vorgeplänkel? Wollte
Jesus damit den Jüngern eine Lektion erteilen, oder der Frau, oder
beiden? Und worin bestand diese Lektion? War es nicht ziemlich
fies von Jesus, die Nichtjuden, für die die kanaanäische Frau pars
pro toto steht, als „Hunde“ zu bezeichnen, denen Er nicht das
geben dürfe, was den „Kindern“, also dem Volk Israel, zustehe?
In einer Diskussion auf Facebook habe ich gelesen – was ich mangels altsprachlicher
Kenntnisse nicht nachprüfen kann –, dass das Wort für „Hunde“,
das Jesus an dieser Stelle benutzt, keineswegs „räudige
Straßenköter“ bedeutet – dafür hätte es eine andere
Vokabel gegeben –, sondern vielmehr die Haushunde in ihrer
Eigenschaft als durchaus geschätzte und wertvolle, aber natürlich
nicht den Kindern gleichrangige, Hausgenossen bezeichnet. Man mag
zunächst einmal finden, das sei bestenfalls ein gradueller
Unterschied. Interessant ist aber, dass die Frau ihre Kategorisierung
als „Hund“ in ihrer Antwort aufgreift und somit annimmt.
Und es sieht ganz danach aus, dass Jesus sie genau dafür
lobt, wenn Er erwidert: „Frau, dein Glaube ist groß.“
Tatsächlich gibt es noch
eine Reihe anderer Bibelstellen, die darauf schließen lassen, dass
Gottes Heilsplan für die Menschen eine feste Reihenfolge hat:
dass das – wenn man das so ausdrücken kann – „Heilsangebot“
des Neuen Bundes sich zuerst an das Volk Israel – als Gottes
„Erste Liebe“ – richtet und dass Jesus also zunächst
einmal tatsächlich explizit zu diesem gesandt ist,
wohingegen der Auftrag, „in alle Welt“ hinauszugehen und die
Heilsbotschaft „allen Völkern“ zu bringen, erst Seinen Jüngern
erteilt wird. Was bedeutet das nun für die Szene mit der
kanaanäischen Frau? Jesus erfüllt ihr zwar ihre Bitte, macht ihr
aber gleichzeitig klar, dass sie keinen Anspruch darauf hat.
Und gerade indem sie das akzeptiert – indem sie demütig die
Rolle des „Hundes“ annimmt, der nur um die Brotkrumen betteln
kann, die vom für die Kinder Israels bereiteten Mahl übrig bleiben
– „qualifiziert“ sie sich dafür, Erhörung zu finden.
Ich sehe natürlich ein,
dass es eine erheblich größere Herausforderung bedeutet, DAS einer
Gemeinde begreiflich zu machen, als ihr zu erzählen, Jesus habe halt
auch noch was lernen müssen – und zwar etwas, was für uns
heute ganz selbstverständlich ist: dass alle Menschen,
unabhängig von ihrer Herkunft oder wovon auch immer, gleich
wertvoll seien. Da kann man sich dann entspannt zurücklehnen und
sich mit einer Frau identifizieren, die Jesus eine Lektion in
diversity erteilt. Schon klar...
[Mit Dank an Leserin
Crescentia für die Anregung zum einleitenden Absatz.]
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