Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Dienstag, 22. August 2017

Salomonisch

Nehmen wir mal König Salomo – und sein sprichwörtliches „Salomonisches Urteil“. Wir erinnern uns: dieser Fall mit den zwei Frauen, die sich um ein Kind streiten, und beide Frauen behaupten, die Mutter des Kindes zu sein. Hatte König Salomo da zunächst tatsächlich die Absicht, das Kind in zwei Hälften teilen zu lassen, und hat sich erst durch die Liebe der wahren Mutter zu ihrem Kind eines Besseren belehren lassen? – Nun ja: Könnte sein. Schließlich war König Salomo nur ein Mensch. Vielleicht hatte er schon einen sehr anstrengenden Tag gehabt, vielleicht ging ihm das Geschrei der beiden Frauen auf die Nerven und er wollte langsam mal Middach machen; und da sagte er sich vielleicht: Was soll's, dann kriegt halt jede Frau ein halbes Kind, und ich hab meine Ruhe.

Valentin de Boulogne: Das Urteil Salomos (ca. 1625; gemeinfrei) 

So ähnlich verhalten sich im Evangelium vom vergangenen Sonntag ja auch die Jünger, als im heidnischen Gebiet von Tyrus und Sidon eine kanaanäische Frau Jesus anfleht, ihre Tochter von einem Dämon zu erlösen. Als fromme Juden ihrer Zeit haben die Jünger überhaupt keine Veranlassung, einer heidnischen Frau gegenüber besonders hilfsbereit zu sein. Und im Grunde sind sie das auch nicht – aber das Geschrei der Frau geht ihnen auf die Nerven, also sagen sie sinngemäß zu Jesus: „Och komm schon, Meister, sei doch nicht so. Tu der Frau doch ihren Willen, Du kannst es doch – dann haben wir unsere Ruhe.“ Aber darauf lässt Jesus sich nicht ein.

Ich bin kein Theologe und will nicht behaupten, ich hätte diese Perikope, die schon größeren Denkern als mir Kopfzerbrechen bereitet hat, verstanden. Aber da sie in der Leseordnung des Jahreskreises nun mal regelmäßig auftaucht, habe ich im Laufe meines Katholikendaseins schon so allerlei Predigten dazu gehört, überzeugende und weniger überzeugende. Und ich muss sagen, zu den weniger überzeugenden zähle ich jene, die darauf abzielen, Jesus offenbare mit der Aussage„Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt“ ein defizitäres Verständnis seiner eigenen Sendung und müsse sich durch die Beharrlichkeit der Frau erst eines Besseren belehren lassen. Was, frage ich mich angesichts solcher Deutungen, ist mit der göttlichen Natur Jesu? Wenn wir daran glauben, dass Jesus der Mensch gewordene logos Gottes ist, wie könnte es dann möglich (oder gar notwendig) sein, Ihn über die Tragweite Seiner eigenen Mission zu belehren? Müssten wir nicht annehmen, dass Er schon im Voraus wusste, was die Frau zu Ihm sagen würde – und also auch, dass Er ihr schließlich doch helfen würde?

Wenn das Ergebnis aber von vornherein feststand, wozu dann das ganze Vorgeplänkel? Wollte Jesus damit den Jüngern eine Lektion erteilen, oder der Frau, oder beiden? Und worin bestand diese Lektion? War es nicht ziemlich fies von Jesus, die Nichtjuden, für die die kanaanäische Frau pars pro toto steht, als „Hunde“ zu bezeichnen, denen Er nicht das geben dürfe, was den „Kindern“, also dem Volk Israel, zustehe?

In einer Diskussion auf Facebook habe ich gelesen – was ich mangels altsprachlicher Kenntnisse nicht nachprüfen kann –, dass das Wort für „Hunde“, das Jesus an dieser Stelle benutzt, keineswegs „räudige Straßenköter“ bedeutet – dafür hätte es eine andere Vokabel gegeben –, sondern vielmehr die Haushunde in ihrer Eigenschaft als durchaus geschätzte und wertvolle, aber natürlich nicht den Kindern gleichrangige, Hausgenossen bezeichnet. Man mag zunächst einmal finden, das sei bestenfalls ein gradueller Unterschied. Interessant ist aber, dass die Frau ihre Kategorisierung als „Hund“ in ihrer Antwort aufgreift und somit annimmt. Und es sieht ganz danach aus, dass Jesus sie genau dafür lobt, wenn Er erwidert: „Frau, dein Glaube ist groß.“

Tatsächlich gibt es noch eine Reihe anderer Bibelstellen, die darauf schließen lassen, dass Gottes Heilsplan für die Menschen eine feste Reihenfolge hat: dass das – wenn man das so ausdrücken kann – „Heilsangebot“ des Neuen Bundes sich zuerst an das Volk Israel – als Gottes „Erste Liebe“ – richtet und dass Jesus also zunächst einmal tatsächlich explizit zu diesem gesandt ist, wohingegen der Auftrag, „in alle Welt“ hinauszugehen und die Heilsbotschaft „allen Völkern“ zu bringen, erst Seinen Jüngern erteilt wird. Was bedeutet das nun für die Szene mit der kanaanäischen Frau? Jesus erfüllt ihr zwar ihre Bitte, macht ihr aber gleichzeitig klar, dass sie keinen Anspruch darauf hat. Und gerade indem sie das akzeptiert – indem sie demütig die Rolle des „Hundes“ annimmt, der nur um die Brotkrumen betteln kann, die vom für die Kinder Israels bereiteten Mahl übrig bleiben – „qualifiziert“ sie sich dafür, Erhörung zu finden.

Ich sehe natürlich ein, dass es eine erheblich größere Herausforderung bedeutet, DAS einer Gemeinde begreiflich zu machen, als ihr zu erzählen, Jesus habe halt auch noch was lernen müssen – und zwar etwas, was für uns heute ganz selbstverständlich ist: dass alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft oder wovon auch immer, gleich wertvoll seien. Da kann man sich dann entspannt zurücklehnen und sich mit einer Frau identifizieren, die Jesus eine Lektion in diversity erteilt. Schon klar...



[Mit Dank an Leserin Crescentia für die Anregung zum einleitenden Absatz.]  



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen