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Dienstag, 5. Juli 2016

Zahle 5 Euro, um deine Nachbarn zu treffen

In den letzten Wochen hatte ich ein paar außerplanmäßig freie Tage - Überstunden abbummeln und so - und habe sie teilweise dazu genutzt, ein paar Werktagsmessen in Kirchen zu besuchen, in denen ich zuvor noch nie gewesen war. Schwerpunktmäßig in solchen Gegenden der Stadt, in denen meine Liebste und ich erwägen, uns eine gemeinsame Wohnung zu suchen, wenn wir verheiratet sind. Schon mal die Lage sondieren, sagte ich mir - auch und nicht zuletzt in Hinblick auf gewisse noch im Ideenstadium befindliche subversive Pastoralprojekte. Da es wohl kaum zu leugnen ist, dass Werktagsmessen nur einen recht punktuellen und nicht unbedingt repräsentativen Eindruck vom Leben und dem Charakter einer Pfarrgemeinde vermitteln, habe ich mir da stets auch gleich den jeweiligen Pfarrbrief mitgenommen. Einige weitere Pfarrbriefe - von Gemeinden, die ich noch nicht persönlich besucht habe - habe ich mir online angesehen. Nun möchte ich zwar keine Namen nennen - auch um in Hinblick auf die oben angedeuteten Umzugspläne keine "verbrannte Erde" zu erzeugen -, aber mein Gesamteindruck lautet: Bei der (v.a. sprachlich-stilistischen) Qualität der redaktionellen Beiträge in Pfarrbriefen ist noch beträchtlich Luft nach oben. Damit deutlich wird, was ich meine, komme ich um ein paar (behutsam anonymisierte) Beispiele aber wohl nicht herum: 

Da berichtet etwa ein Jugendgruppenleiter von einer Pilgerreise nach Rom. "[D]ie Spannung stieg. Und dann ging es los." Irgendwie muss man die zwei Seiten ja voll kriegen. Und weiter im Text: 
"Frisch und munter, ging es nach einer Stärkung zum ersten Programmpunkt: Die Basilika St. Paulus vor den Mauern. Vor Ort stieß Kaplan [N.N.] dazu, der uns eine kleine Führung geben konnte. Am vermeintlichen [!] Grab des Apostels beteten wir gemeinsam das Vater Unser. Ein sehr bewegender und spiritueller Moment für jeden von uns." 
Na wie schön. Ich will mal davon ausgehen, dass es sich bei dem Wort "vermeintlich" um unabsichtlich falsche Wortwahl handelt. Und auch sonst würde man den Umstand, dass der Text sich wie ein mittelprächtiger Schulaufsatz liest, gern auf die Jugend des Verfassers schieben; nur liest sich der Rest des Pfarrbriefs genauso, wenn nicht noch kruder. 
Im Pfarrbrief einer anderen Gemeinde wird von einer Buchvorstellung im Rahmen eines "Ökumenischen Gesprächsabends" berichtet: Das Buch "Was müsste Luther heute sagen?" von Heiner Geißler wurde vorgestellt, aber nicht etwa vom Autor selbst, sondern von einem Mitglied der evangelischen Nachbargemeinde. Und in der Zusammenfassung für den Pfarrbrief wird der Vortrag noch weiter verballhornt. Kostprobe gefällig? 
"Und hier zeigt sich vielleicht auch die Verbindung zu Papst Franziskus, der in einer reformerischen Position von mir eingeschätzt wird. Geißler sieht Luther heute in einer ähnlichen Aufgabenstellung, geprägt von einem Plädoyer für eine wiederzugewinnende Einheit der Kirche, um weltweit jene moralische Kraft wiederzuerlangen, die gerade heute notwendig erscheint." 
Alles klar? - Nun, diese Beispiele mögen genügen. Ich gestehe, dass Pfarrbriefredakteur nicht unbedingt meine Traumposition in der Pfarrei meines zukünftigen Wohnsitzes wäre, aber andererseits soll man ja dahin gehen, wo die Not am größten ist. Schauen wir mal. -- Viel interessanter als das Fahnden nach Stilblüten ist ja im Grunde die Frage, was die von mir gesammelten Pfarrbriefe über die diversen "außergottesdienstlichen" Aktivitäten der verschiedenen Pfarrgemeinden verraten. Gemeindeübergreifend schwer im Trend sind offenbar Qigong-Kurse. Zugegeben, es wird einem auch noch allerlei Anderes geboten, etwa Bastel- und Handarbeitskreise, Näh- und Holzarbeitskurse für Kinder, Fußballturniere, Filmabende, Preisskat und "PC-Talk", wobei ich bei Letzterem nicht völlig sicher bin, ob es sich um einen Computerkurs handelt oder um einen Lehrgang in Sachen political correctness. Aber Qigong ist wirklich auffallend stark vertreten. Man könnte sich - oder, besser vielleicht, die Verantwortlichen - nun natürlich fragen, wie es kommt, dass diese Meditationstechnik, die ihre Ursprünge ja eher im Bereich von Daoismus, Buddhismus und Konfuzianismus hat, im Gemeindeleben katholischer Pfarrgemeinden so eine herausragende Rolle einnimmt; aber auf der Basis bisheriger Erfahrungen rechne ich kaum mit profunderen Antworten auf diese Frage als "Warum nicht?". 

Ich selbst finde mich - um's mal im Pastoralsprech auszudrücken - da eher nicht so richtig wieder, und meine Liebste wohl auch nicht. Aber im Grunde geht mein bzw. unser Interesse ja ohnehin weniger dahin, uns von den bereits bestehenden Aktivitäten der Kreise und Gruppen einer Pfarrei beglücken zu lassen, als vielmehr, selbst etwas auf die Beine zu stellen, was es so noch nicht gibt. Und da ich ja, wie unlängst schon zu Protokoll gegeben, mit dem Gedanken umgehe, strukturell könne man für das Projekt einer subversiven Pastoral eine ganze Menge von der linken Szene lernen, habe ich mir jüngst, quasi als Kontrastprogramm zu den oben erwähnten Pfarrbriefen, die aktuelle Ausgabe des links-subkulturellen Terminkalenders Stressfaktor besorgt. Tatsächlich ist es ausgesprochen beeindruckend, was diese Szene so alles auf die Beine stellt. Der Adressenteil umfasst rund 120 einschlägige Locations, und trotz Sommerloch sind für jeden Tag des Monats einige Veranstaltungen aufgelistet. Richtungsweisend ist hier die Beobachtung, dass ein großer Teil des Programmangebots - von allerlei Do-It-Yourself-Workshops etwa für Siebdruck, Tischlerei, Schmiede- und Schweißarbeiten, aber auch weniger spektakulären Angeboten wie Koch- und Gitarrenkursen bis hin zu Schulungen in marxistischer oder anarchistischer Theorie - darauf abzielt, die Teilnehmer zu eigenen Initiativen zu befähigen. Davon kann man tatsächlich lernen! (Mutatis mutandis, versteht sich.) Wesentlich überraschender war für mich die Feststellung, dass sich in der Auflistung regelmäßiger Veranstaltungen im Stressfaktor auch so allerlei findet, was sich von den Aktivitäten diverser Kreise und Gruppen in katholischen Pfarrgemeinden auf den ersten Blick kaum unterscheidet. Da gibt es Töpferkurse, Spieleabende, einen "Gaukelzirkus", ja sogar einen "Meditationsabend" - und, natürlich, Qigong

Und dann brachte meine Liebste mir kürzlich einen Flyer vom "fühlbar"-Center ("Dein Zentrum für Begegnung und Bewegung") mit, einer sehr trendy-stylisch anmutenden Mischung aus Café und Esoterik-Oase, an der sie zufällig vorbeigekommen war. Das fühlbar-Team besteht aus mehr oder weniger jungen, mehr oder weniger attraktiven, breit grinsenden Männlein und Weiblein mit Namen wie Fabienne, Wanda, Bobby, Pippi und Franka - und bietet Kurse in Improtheater, Alexander-Technik"Expressive Living", "Unwinding", "Wunscherfüllung" (!) und natürlich Yoga, Tai Chi und Qigong an. Außerdem gibt es eine "Mut-Gruppe" und einen Kurs mit dem schönen Titel "Fit im Wald". Ist ja fast wie bei Kirchens, könnte man denken; aber dieser Irrtum vergeht einem, wenn man auf die Preisliste stößt. In der Tat: Was Kirchenkreise und linksautonome Aktivisten ehrenamtlich und allenfalls gegen einen Selbstkostenbeitrag anbieten, das betreiben Fabienne, Wanda, Bobby, Pippi und Franka kommerziell. "Expressive Living" kostet 60 Euro in der Stunde, Alexander-Technik in der Gruppe 20 Euro, als Einzelstunde 70 Euro. Für die meisten anderen Kursangebote gibt es für 120 Euro eine Monatskarte. Selbst für einen "Nachbarschaftstreff" nimmt die fühlbar 5 Euro Eintritt. Ob da die vegane Grillwurst schon inklusive ist? Ich wage es zu bezweifeln. 

Letztendlich zeigt das natürlich nur, dass esoterische Praktiken, die früher nur von durchgeknallten Hippie-Aussteigern in Wagenburgen oder besetzten Turnhallen praktiziert wurden, inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Was sie natürlich uncool macht. Spätestens wenn es zu einem einstmals exotisch und "alternativ" gewesenen Trend ein eigenes Lifestyle-Magazin auf Hochglanzpapier gibt, das bei netto oder REWE im Regal steht, ist er als Subkultur-Phänomen erledigt. Aber man hätte es ahnen können -- denn andernfalls würden derartige Kurse wohl kaum in Kirchengemeinden angeboten werden... 



1 Kommentar:

  1. "Warum nicht?" ist natürlich erst mal eine gut katholische Position, vgl. Tit 1/15....

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