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Dienstag, 5. Januar 2016

Dürfte ich mal Ihren Sternsingerausweis sehen?

Neulich wachte ich morgens auf und stellte fest, dass ich den ganzen Tag nichts Wichtiges zu tun hatte, außer Glühbirnen und etwas zu Essen zu kaufen. Futter und Licht bringen Freude ins Haus, sagte ich mir, und im nächsten Moment dachte ich: Hey, das ist ein tolles Motto. Also mindestens so toll wie "Klopft an Türen, pocht auf Rechte" oder "Lernen und Handeln, damit Kinder heute leben können". Also könnte ich mir eigentlich, wo wir doch gerade Anfang Januar haben, Schuhcreme ins Gesicht schmieren, eine Krone aufsetzen und einen Pappstern vor mir her tragen, um unter dem Motto "Futter und Licht bringen Freude ins Haus" Spenden für Glühbirnen und etwas zu Essen zu sammeln. 

Theoretisch eine schöne Idee. Geht nur leider nicht. Weil das Sternsingen in Deutschland urheberrechtlich geschützt ist. 

IM ERNST??!!?? 

Ja, leider. Seit 1958 richtet das Kindermissionswerk "Die Sternsinger" in Deutschland die "Aktion Dreikönigssingen" aus - seit 1961 in Zusammenarbeit mit dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Im Jahr 1968 wurde die Aktion von der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz "für alle Pfarreien empfohlen". Und seit 2003 "gilt der Gesamtzusammenhang der Aktion Dreikönigssingen (auch die Bezeichnung und das Logo) als urheberrechtlich geschützt". Dieser für die bürokratiebeflissene deutsche Teilkirche so charakteristische Zug treibt einigermaßen bizarre Blüten; so heißt es in der FAQ-Rubrik der Sternsinger-Website allen Ernstes:
"Zum Schutz der Aktion empfehlen wir, die Sternsinger oder zumindest die Begleiter mit Ausweisen auszustatten. [...] Die Ausweise können Sie in der gewünschten Anzahl beim Kindermissionswerk bestellen." 
Zum Schutz der Aktion, wohlgemerkt. Man fühlt sich an einen klassischen Beitrag der Satireseite Der Postillon erinnert, der unter dem Titel "Polizei warnt vor bettelnden Kinderbanden aus dem Morgenland" pünktlich zum Dreikönigstag 2014 erschien. Darin heißt es u.a.:
"Die kriminellen Trios geben sich als 'Könige', manchmal auch als 'Weise aus dem Morgenland' aus und werden in der Regel unauffällig von einem Erwachsenen beobachtet. Dieser soll vermutlich verhindern, dass sich die Kinder [...] bei ihren Gaunereien selbst bereichern." 
Das ist gar nicht so weit von der Realität entfernt, wie man denken könnte. In der oben bereits zitierten Ordnung der Deutschen Bischofskonferenz für die Aktion Dreikönigssingen liest man:
"Die Sammlung erfolgt ausschließlich für die Aktion Dreikönigssingen. Es ist nicht zulässig, weitere Zwecke mit der Sammlung zu verbinden. Die Sammelgefäße sind in geeigneter Weise zu sichern (Siegel, Plombe, Schloss o.Ä.). Bei der Öffnung der Sammelgefäße und dem Zählen des Geldes ist das Vier-Augen-Prinzip einzuhalten. Das gesammelte Geld ist zeitnah und ohne Abzüge an das Kindermissionswerk zu überweisen." 
Es kommt wohl nicht ganz von ungefähr, dass ich in der Überschrift des hier zitierten § 4 der "Ordnung", "Erfassung und Verwaltung der Mittel", auf den ersten Blick statt "Erfassung" "Erpressung" gelesen habe. - Aber ich merke gerade, wie sich mein Unterkiefer versteift, und dies hier sollte doch eigentlich ein heiterer Artikel werden. Daher - zwischendurch, zur Auflockerung - hier mal etwas völlig Anderes: ein Foto von einem Hund mit einer Scheibe Schinken auf dem Kopf.

[Bildquelle hier.]
So; zurück zum Thema. Fassen wir mal bis hierher zusammen: Der deutsche Verbandskatholizismus hat es fertig gebracht, ein Stück traditionelles, seit dem 16. Jahrhundert bezeugtes christliches Brauchtum zu institutionalisieren. Ein Brauchtum übrigens, das seit 2015 auf der UNESCO-Liste "Immaterielles Weltkulturerbe" steht - worüber sich die Veranstalter der "Aktion Dreikönigssingen" bezeichnenderweise geflissentlich ausschweigen. Und so ergeht es dem Sternsingen so wie allem, was vom deutschen Verbandskatholizismus institutionalisiert wurde: Der Rubel rollt - 2015 brachte die Aktion Dreikönigssingen 45,5 Millionen Euro ein -, aber der Geist verflüchtigt sich.

Die Verehrung der Heiligen Drei Könige - die ihren Gedenktag im katholischen Heiligenkalender eigentlich am 24. Juli haben, derer jedoch traditionell am Fest der Erscheinung des Herrn (Epiphanias) am 6. Januar gedacht wird - geht bekanntlich auf das 2. Kapitel des Matthäusevangeliums zurück, wo es sich allerdings - je nach Übersetzung - um "Weise aus dem Morgenland" bzw. "Sterndeuter aus dem Osten" handelt. Dass sie in der außerbiblischen Überlieferung zu Königen wurden, erklärt sich zum Teil wohl daraus, dass die Huldigung der Sterndeuter als Erfüllung einer Prophezeiung aus Psalm 72 aufgefasst wurde:
"Die Könige von Tarschisch und von den Inseln bringen Geschenke, die Könige von Saba und Seba kommen mit Gaben. Alle Könige müssen ihm huldigen, alle Völker ihm dienen." (V. 10f.) 
Die Annahme, dass es sich um drei Weise bzw. Könige gehandelt habe, korrespondiert mit der Zahl der im Evangelium genannten Geschenke, die dem Jesuskind dargebracht werden - Geschenke übrigens, in denen man eine symbolische Bedeutung erkennen kann: Gold kennzeichnet den damit beschenkten Jesus als König, Weihrauch als Hohenpriester, Myrrhe weist auf sein Leiden und seinen Tod voraus. Gleichzeitig hat die Überlieferung schon seit alten Zeiten die Heiligen Drei Könige als Repräsentanten der drei Kontinente der Alten Welt - Asien, Europa und Afrika - angesehen. Deshalb ist auf künstlerischen Darstellungen der Anbetung der Könige in der Regel einer der Könige dunkelhäutig, und so war es in meiner Kindheit auch bei der Aktion Dreikönigssingen noch üblich, einem der Sternsinger das Gesicht schwarz bzw. dunkelbraun anzumalen. Heute ist das wohl eher verpönt bzw. gilt als politisch inkorrekt ("Blackfacing"). Aber das nur ganz am Rande. Entscheidend ist - wie Bloggerkollegin Braut des Lammes schon vor drei Jahren schrieb-, dass das Gedenken an die Huldigung der Sterndeuter das Fest der Erscheinung des Herrn zum "Fest der Berufung der Heiden" macht:
"Der Besuch der Sterndeuter von weither ist womöglich der erste Fingerzeig Gottes, daß sich das Heil, das von dem Kommen seines Sohnes ausgeht, an alle Völker richtet." 
Wenn somit die Bedeutung der Heiligen Drei Könige darin liegt, Christus als das Heil für alle Völker zu bekennen, dann liegt es in der Tat nahe, das Dreikönigsbrauchtum mit dem Missionsgedanken zu verknüpfen. Und tatsächlich heißt es in der Ordnung der Deutschen Bischofskonferenz für die Aktion Dreikönigssingen:
"Die Sternsinger stellen sich in den Dienst der Kirche, die am Beginn des Jahres die Weihnachtsbotschaft und Gottes Segen verkündet. […] Dieser Dienst umfasst die Verkündigung des Evangeliums, das missionarische Zeugnis und den Einsatz für die weltweite Entwicklung, Gerechtigkeit und Solidarität."
Das klingt ja recht gut; aber wenn man sich beispielsweise ansieht, wie in den vergangenen Jahren auch von kirchlichen Stellen etwa gegen die Aktion "Weihnachten im Schuhkarton" polemisiert wurde, gerad weil diese einen klaren missionarischen Auftrag verfolgt, darf man wohl hinterfragen, welchen Stellenwert die "Verkündigung des Evangeliums" in der Tätigkeit des Kindermissionswerks "Die Sternsinger" tatsächlich hat. Zumal ja auch der BDKJ mit von der Partie ist - ein Verband, der weiß: "Jugendliche wollen nicht missioniert werden" - und der dementsprechend Wert darauf legt, dass seine Aktivitäten nicht "als Missionierungsversuch missverstanden werden".

Aufschluss versprechen hier einerseits die Motti der Sternsingeraktionen der letzten Jahre, andererseits die umfangreichen Materialien, die das Kindermissionswerk für die diesjährige Aktion bereitgestellt hat. -- Schauen wir uns zunächst einmal die Motti an. Im Jahr 2000 - die Älteren unter uns werden sich noch an dieses Jahr erinnern: Gerhard Schröder war Bundeskanzler, Bill Clinton US-Präsident, und der Hl. Johannes Paul II. war Papst - wurde im Motto der Aktion Dreikönigssingen letztmals Jesus Christus explizit erwähnt: "Jesus Christus- Brot des Lebens, damit Kinder heute leben können". Einen ähnlich deutlichen Bezug zum christlichen Glauben gab es zuletzt im Motto von 1974: "Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch nicht Opfer des Menschen sei". - Der Teilsatz "...damit Kinder heute leben können" war übrigens von 1981 bis 2002 Bestandteil aller Jahresmotti der Sternsingeraktion. Gut und schön: Dass Kinder heute leben können, ist zweifellos ein wichtiges Anliegen, und es ist ganz richtig, dass sich auch die Kirche um dieses Anliegen kümmert. Auch, wohlgemerkt. Ein Alleinstellungsmerkmal ist das nicht. Ein Alleinstellungsmerkmal für die Kirche wäre es vielmehr, sich (auch) um das ewige Leben der Kinder zu kümmern.

Seit 2013 enthält jedes Motto - nach einer Reihe nichtssagender Slogans wie "Kinder finden neue Wege" (2010), "Kinder zeigen Stärke" (2012) oder gar "Kinder schaffen was" (2006; ich habe zunächst irrtümlich gelesen "Kinder schaffen das", aber dazu später) - den Bestandteil "Segen bringen - Segen sein". Das klingt ja wenigstens vage religiös, aber mehr eben auch nicht.

Wo die Jahresmotti nicht nur Allgemeinplätze wie "Aufbrechen" (1991), "Hoffnung" (1992), "Gerechtigkeit" (1996), "Offene Türen" (1997) aufrufen, sondern konkrete Forderungen ansprechen ("Sauberes Wasser", 1993; "Gesundheit", 2013; "Gesunde Ernährung", 2015), da kann man den Eindruck bekommen, die Initiatoren arbeiteten die UN-Kinderrechtskonvention ab. Gut und schön, aber gibt es dafür nicht schon die UNICEF? -- Die diesjährige Sternsingeraktion steht unter dem Motto "Respekt für dich, für mich, für andere". Na toll. Respekt ist ja genau so ein inhaltlich unbestimmtes bzw. beliebig füllbares "Hochwertwort" wie Toleranz. Bisher war ich der Meinung, das Wort Respekt erfreue sich vor allem in der HipHop-Szene und in der Schwulenbewegung einer herausgehobenen Stellung. Bei genauerem Hinsehen erweist sich diese Einschätzung als nicht ganz falsch - respekt! Zeitschrift für Lesben- und Schwulenpolitik heißt beispielsweise die Verbandszeitschrift des Lesben- und Schwulenverbands LSVD - aber auch nicht als ganz richtig: Es gibt nämlich auch noch die Initiative Respekt! Kein Platz für Rassismus, den Jugendwettbewerb 361° Respekt auf YouTube und die Respekt Werbeagentur Berlin ("Mehr Respekt für Ihre Marke"). Der KiKa brachte im Oktober 2015 eine Sendereihe Respekt für meine Rechte! zum Thema Kinderarmut in Deutschland. Interessant ist auch, was man im "Yoga Wiki" zum Thema Respekt liest:
"Triff den Entschluss: 'Während der nächsten Woche will ich die Tugend, die Eigenschaft, Respekt kultivieren, wachsen lassen, stärker werden lassen. Ich freue mich darauf, in einer Woche ein respektvollerer Mensch zu sein.' [...]
Ich bin respektvoll. Om Om Om.
Ich bin ein Respektvoller, eine Respektvolle. [...]
Ich freue mich darauf, bald sehr respektvoll zu sein." 

Herrlich, so viel Respekt überall. Om Om Om. Da will nun auch die Sternsingeraktion dieses Jahr kräftig mitrespektieren - und hat ein Dossier zum Thema "Respekt für Kinder weltweit" herausgebracht, in dem es u.a. um "Kinder mit Behinderungen", um "subtile Formen des Rassismus", um "Mobbing", ja gar um "Cybermobbing" geht - und, man staunt, sogar auch um religiöse Verfolgung, z.B. im Irak. Es liegt auf der Hand, dass die Worthülse "Respekt" bei einer solchen Themenvielfalt massiv überbeansprucht wird und schließlich nur noch banal wirkt - besonders, wenn es in den "Gottesdienst-Bausteinen" zum Aktionsmotto, in dem etwas hilflosen Versuch, einen Bezug zum Evangelium von der Huldigung der Sterndeuter herzustellen, heißt, die Heiligen Drei Könige hätten "einem Baby [...] ihren ganzen Respekt gezollt. Weil sie Gott selbst in diesem kleinen Kind erkannten." Nun wohl, aber Gott selbst in diesem kleinen Kind erkannt haben sie nicht, oder nicht nur, in dem Sinne, wie es im folgenden Absatz heißt: "Jeder Mensch verdient unseren Respekt, denn jeder Mensch ist ein geliebtes Kind Gottes"; nein, dieses Kind war tatsächlich, buchstäblich GOTT, und deshalb zollten die Weisen aus dem Morgenland ihm nicht einfach nur "Respekt", sondern warfen sich vor ihm nieder und beteten es an.

Aber ehe ich mich wieder in Polemiken verzettele: lieber noch einmal zurück zu dem Hund mit dem Schinken im Gesicht. Ob man es glaubt oder nicht: Dieses Bild dürfte - obwohl es erst am 23. Dezember veröffentlicht wurde - zu den erfolgreichsten Facebook-Beiträgen des Jahres 2015 gehören. Und zwar nicht, weil es so lustig aussieht. Im Gegenteil, könnte man sagen. Das Bild wurde über 100.000 mal auf Facebook geteilt, weil der Scherzkeks, der es ursprünglich gepostet hat, behauptete, es zeige einen Hund, der schwere Verbrennungen erlitten habe, weil er versucht habe, eine Familie aus einem brennenden Haus zu retten. Scrollen Sie ruhig noch einmal ein Stück hoch: Sieht das aus wie ein Hund mit schweren Verbrennungen oder wie ein Hund mit einer handelsüblichen Scheibe Kochhinterschinken-Formfleisch auf dem Kopf? Na?!? - Aber nichtsdestoweniger fielen Zehntausende, ja Hunderttausende Facebook-Nutzer auf den Hoax herein und riefen zu Gebeten für die Heilung des armen Hundes auf - eine Heilung, die, wie der Online-Journalist Jacob Siegal auf bgr.com schrieb, im Wesentlichen darin bestehen müsste, dass der Hund den Kopf schüttelt und den Schinken, sobald dieser auf dem Boden auftrifft, auffrisst. Hat das irgend etwas mit der Sternsingeraktion zu tun? Ich bin mir nicht sicher.

Was jedenfalls die Politisierung der Sternsingeraktion angeht, finde ich es recht bezeichnend, dass alle Jahre wieder (seit 1984) ein Empfang der Sternsinger im Bundeskanzleramt als Höhepunkt der Aktion abgefeiert wird. 108 Sternsinger nahmen heuer daran teil, vier aus jeder der 27 deutschen Diözesen. Komische Zahl eigentlich: Wieso vier und nicht drei? Na, sei's drum. Einige Bistümer stellten ihre Abordnung für de Empfang bei der Kanzlerin bereits im Vorfeld auf Facebook vor; dabei ließ sich eine gewisse Überalterung und Überweiblichung der für diese Aktion ausgewählten Sternsinger beobachten: In der Hauptsache waren sie zwischen 13 und 16 Jahre alt und überwiegend Mädchen. -- Diese Überalterung scheint ein strukturelles Grundübel des deutschen Verbandskatholizismus zu sein. Die beiden hauptamtlichen Vorsitzenden des BDKJ etwa sind über 30 - für einen Jugendverband nicht mehr ganz taufrisch, zumal sie wohl kaum vorhaben, ihr Amt so bald wieder abzugeben: Ihr Vorgänger Dirk Tänzler blieb bis zum Alter von 44 Jahren im Amt. Und was die Überweiblichung angeht, nun ja, das ist so ähnlich wie bei den Messdienern. Hier wie dort würde ich nicht so weit gehen, zu sagen, Mädchen sollten das nicht machen (oder nur im Notfall). Aber ein Problem ist es schon, wenn Mädchen Jungen aus diesen Diensten herausdrängen. Und das passiert - gar nicht mal mit Absicht, sondern einfach, weil sie fleißiger, zuverlässiger und disziplinierter sind und viele Jungen in einem bestimmten Alter einfach keine Lust zu gemeinsamen Aktivitäten mit Mädchen haben - und schon gar nicht darauf, sich mit Mädchen messen zu müssen. In letzter Konsequenz trägt das zum Priestermangel bei. Ich meine das ganz ernst. Sternsinger, Messdiener, Diakon, Priester, Bischof, so ist doch eigentlich die übliche Laufbahn. Ich selbst war ein einziges Mal während meiner Grundschulzeit Sternsinger - bin dann allerdings schon am Sprung zum Messdiener gescheitert.

Aber das nur am Rande. Mein allerzweitliebstes deutsches Bistum hat mit seinen zum Empfang im Bundeskanzleramt ausgewählten Sternsinger(inne)n sogar ein Video produziert, in dem sie sich - trotz eines gewissen, für Teenager nicht untypischen Hangs zur Maulfaulheit - dazu äußern müssen, wie sehr sie sich auf die Begegnung mit der Bundeskanzlerin freuen. Eins der Mädchen sagt darin den bemerkenswerten Satz:
"Frau Bundeskanzlerin, ich find gut, was Sie für die Flüchtlinge tun." 
Äh - was genau tut Frau Merkel eigentlich für die Flüchtlinge? - Zugegeben, vielleicht liegt es an mir, dass ich das nicht weiß. Vielleicht verfolge ich die Nachrichten zu diesem Thema einfach nicht aufmerksam genug, weil mich die extreme Polarisierung abstößt. Mein Eindruck ist jedenfalls, dass Frau Merkels Flüchtlingspolitik im Wesentlichen darin besteht, Optimismus zu verbreiten und ansonsten nichts zu tun. Sie erklärt wieder und wieder "Wir schaffen das!", unternimmt aber nichts dafür, dass "das" tatsächlich "geschafft" wird.

Aber, wie gesagt, es kann durchaus sein, dass Sternsingerin Vanessa (16) das besser weiß als ich. Doch davon mal ganz abgesehen: Das schiere Ausmaß an Ehrfurcht, mit dem die Jugendlichen der Begegnung mit der Bundeskanzlerin entgegensehen - immerhin nur einer gewählten Amtsträgerin des deutschen Volkes und keiner Kaiserin oder Königin von Gottes Gnaden -, das zu sehen tut schon ziemlich dolle weh, ja, in gewissem Sinne finde ich es sogar sehr beunruhigend. Kinder und Jugendliche im Zuge der Sternsingeraktion scharenweise ins Kanzleramt zu schicken, scheint - auch wenn sie als Könige verkleidet kommen - nicht gerade dazu beizutragen, den jungen Leuten zu vermitteln, dass sie in einem demokratischen Staat keine Untertanen sind, sondern der eigentliche Souverän. Im Gegenteil: Mit etwas bösem Willen könnte man beim Sternsingerempfang im Bundeskanzleramt den unbehaglichen Eindruck einer Anbetung der weltlichen Macht bekommen. Vermaledeite Staatsnähe der deutschen Kirche! Fehlt nur noch, dass Frau Merkel die Sternsingerinnen streichelt und ihnen sagt, sie hätten das "ganz prima gemacht".

Aber lassen wir das. Eins muss ich nämlich noch unmissverständlich klarstellen: Meine Kritik an der Aktion Dreikönigssingen möchte ich definitiv nicht als Aufruf verstanden wissen, nichts für diese Aktion zu spenden. Es ist ja nicht so, als wären die Projekte, die mit Hilfe dieser Aktion finanziert werden, nicht förderungswürdig. Erst kürzlich zum Beispiel hat das Kindermissionswerk "Die Sternsinger" 600.000 € locker gemacht, um syrischen Flüchtlingskindern im Libanon den Schulbesuch und eine Mahlzeit am Tag zu ermöglichen. 600.000 Euro, das sind immerhin rund 1,3% der Einnahmen des Dreikönigssingens vom letzten Jahr. Wer meint, 1,3% seien nicht sehr viel, der möge beachten, dass das Kindermissionswerk weltweit mehrere Tausende Projekte fördert.

Was mich jedoch, ganz im Ernst, ärgert, ist die Monopolisierung des Sternsingens durch das Kindermissionswerk. Es ist schließlich, wie gesagt, ein alter Brauch, der sogar zum Weltkulturerbe gehört. Wenn nun eine Pfarrei, oder sogar eine Privatinitiative, auf die Idee käme, eigene Sternsinger loszuschicken, die nicht für das Kindermissionswerk sammeln, sondern vielleicht für einen lokalen Zweck (das müssen ja nicht unbedingt Glühbirnen und was zu essen sein); oder eine Sternsingeraktion zu veranstalten, bei der insgesamt nicht das Spendensammeln im Vordergrund steht, sondern das Segnen der Häuser bzw Wohnungen (die seiten-interne Suchfunktion auf sternsinger.de weist zum Suchwort "Haussegnung" genau eine Fundstelle aus), dann dürften sie das streng genommen nicht. Wegen des Urheberrechts.

Aber es gibt einen Ausweg: Einen Segen für Haus oder Wohnung kann man auch bekommen, ohne dass die Sternsinger vorbeikommen. Wie das geht, hat die Braut des Lammes bereits anno 2011 beschrieben, aber ich habe den betreffenden Artikel erst jetzt entdeckt und bin ziemlich begeistert. Nicht so sehr von der Möglichkeit, die Sternsinger nicht reinlassen zu müssen, sondern beispielsweise davon, dass es ein eigenes Sakramentale für die Segnung der Kreide gibt, mit der die Türstürze beschriftet werden. Wir Katholiken haben schon eine ziemlich coole Religion! -- Allerdings muss man für die Do-It-Yourself-Haussegnung erst mal einen Priester finden, der einem die Kreide segnet. Ich habe ehrlich gesagt erhebliche Zweifel, ob das in allen Pfarreien gemacht wird. - Hat man aber einen Priester gefunden, der oldschool genug für eine zünftige Kreidesegnung ist, dann kann man bei dem bestimmt auch noch eine Fürbitte für den Hund mit dem Schinken auf dem Kopf einschieben...



5 Kommentare:

  1. Ein Dreikönigstripel ohne Mohren ist kein Dreikönigstripel. So einfach ist das. Das wird nach meiner Ansicht auch nach wie vor so praktiziert.

    (Natürlich wird man gerne auch auf "Natur-Schwarze" zurückgreifen, sofern vorhanden.)

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  2. >>Wieso vier und nicht drei?

    Das zumindest ist nicht komisch:

    Drei Könige (einer davon schwarz) *und* ein, im Idealfall kleinerer, Sternträger. (Dazu kommt ggf. noch eine fünfte Person in Zivil, die sich im Hintergrund hält, als Aufsicht und ggf. für Fahrdienste.)

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  3. Zumindest in einem Pfarrbrief habe ich gelesen:
    »“Segen bringen - Segen sein - Respekt für Dich, für mich, für Andere, in Bolivien und Weltweit" - unter diesem Motto ziehen, festlich gekleidet und mit einem Stern vorneweg, die Sternsinger als Heilige Drei Könige zu den Menschen in unseren Gemeinden.
    Dabei erbitten sie eine Spende für Schwester XXXX, die sich in Kenia um Waisenkinder kümmert. Schwester Damian kommt gebürtig aus YYYY«


    Dort wird also wohl nicht alles Geld (oder gar gar nichts?) an das Kindermissionswerk abgeführt.

    Soweit ich mich erinnere wurde, als ich in den 80er Jahren bei der Aktion mitgemacht habe, 50% ans Kindermissionswerk abgeführt, der Rest blieb in der Gemeinde und füllte die Kasse für die Messdienerarbeit.
    Damals rekrutierten sich die Sternsinger aus den vielen Messdienern. Weibliche Messdiener gab es da noch nicht.
    Heute hat man in der gleichen Gemeinde Probleme, überhaupt noch Freiwillige als Sternsinger zu finden. Die Aktion stand zwischenzeitlich auf der Kippe, so daß sie beinahe dieses Jahr ausgefallen wäre.

    Hier in PB ist es so, daß man sich in Listen eintragen muß, wenn man will, daß die Sternsinger vorbei kommen. – Die Listen liegen seit einiger Zeit in der Kirche aus. Am Sonntag habe ich mal drauf geguckt und es standen vielleicht 15 Adressen drauf…

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  4. Danke für diesen wunderbaren Artikel! Ich würde ihn gern verlinken, wenn es gestattet ist.

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