Dass die christlichen Kirchen - nicht nur die Katholische, diese aber in besonderem Maße - homophob bis ins Mark seien: das ist eine so verbreitete Auffassung, dass sie fast schon keiner Belege mehr zu bedürfen scheint. Dennoch werden einem immer mal wieder so Geschichten präsentiert, die noch einmal doppelt unterstreichen sollen, wie arg das ist mit der kirchlichen Homophobie. Zu meiner Kenntnis gelangt sind in jüngster Zeit drei solche Geschichten - eine aus Stuttgart, eine aus Paris und Rom und eine aus Bad Nenndorf. Wenn das mal keine bunte Mischung ist.
In Stuttgart wollte, wie die Stuttgarter Nachrichten berichteten, der seit Jahren in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebende CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann seine Partnerschaft von der Katholischen Kirche segnen lassen. Eine entsprechende Feier sollte in der Stuttgarter Kirche St. Konrad unter Leitung von Pfarrer Anton Seeberger stattfinden, wurde aber vom zuständigen Diözesanbischof Gebhard Fürst unter Verweis auf das geltende Kirchenrecht untersagt.
Zwischen Paris und Rom ging es um die Ernennung eines neuen Botschafters der Republik Frankreich beim Heiligen Stuhl. Mehrere Zeitungen bzw. Nachrichtenseiten ließen verlauten, der Vatikan verweigere dem vom Elysée-Palast benannten Kandidaten Laurent Stefanini die Anerkennung - und zwar, weil er homosexuell sei. Es wurde gemunkelt, die Sprecherin der (von der Qualitätstageszeitung Die Welt als "offen homofeindlich" bezeichneten) Bewegung La Manif pour tous, Ludovine de la Rochère, habe beim Vatikan gegen die Ernennung Stefaninis interveniert, obwohl der Pariser Erzbischof André Vingt-Trois und der Camerlengo Jean-Louis Kardinal Tauran sich für ihn ausgesprochen hätten. "Er wäre nicht der erste Schwule, der wohl von einer homophoben Lobby verhindert worden wäre", orakelte Die Welt.
Und in Bad Nenndorf sah eine 84-jährige Dame mit dem Vornamen Marie, Großmutter von zwei Homosexuellen, die NDR-Sendung Die Schwulenheiler 2, in der u.a. der evangelische Pastor Gero Cochlovius aus Hohnhorst, einem Nachbarort von Bad Nenndorf, seine Ansichten zum pastoralen Umgang mit Homosexuellen darlegte. Die Äußerungen dieses Pastors erzürnten die alte Dame derart, dass sie unter Protest ihren Austritt aus der evangelischen Kirche erklärte.
Alle diese Fälle erregten, wie man sich vorstellen kann, erhebliches Aufsehen. Schlagzeilen wie "Bischof lässt Schwule abblitzen" oder "Vatikan sabotiert schwulen Botschafter aus Frankreich" geisterten durch den Blätterwald, und in den Kommentarspalten tummelten sich all jene, die ja schon immer gewusst haben, wie "ewiggestrig", "mittelalterlich" und "menschenverachtend" die Kirche ist. Das größte und emotionalste Echo löste jedoch der Fall "Oma Marie" aus. Die Veröffentlichung ihrer Austrittserklärung auf Facebook erhielt Zehntausende "Likes" und wurde Hunderte von Malen geteilt. "Oma Marie kämpft für schwule Enkel", jubelte die Süddeutsche Zeitung, und die Frauenzeitschrift Brigitte schrieb: "Jetzt betet Oma Marie nur noch zu Hause. Und wir verneigen uns vor ihr."
Wischt man sich aber mal kurz die Tränen der Rührung aus den Augen und betrachtet die drei Fälle ein wenig nüchterner, dann fällt einem auf, dass da so Einiges offensichtlich nicht stimmt. - An der Stuttgarter Geschichte fällt zunächst einmal auf, dass sie im Grunde ein ganz schön alter Hut ist: In der linksalternativen taz war schon vor einem Jahr von Stefan Kaufmanns Wunsch nach einem kirchlichen Segen für seine eingetragene Lebenspartnerschaft zu lesen. "Die Kirche segnet Panzer, Weizenfelder, Schulen. Warum nicht uns?", wurde der CDU-Politiker damals zitiert, und: "Und es ist auch Politik, wenn ich den Bischof bitte, unsere Segnung zu genehmigen." Angesichts der neu aufgeflammten Debatte erklärte Stefan Kaufmann persönlich auf Twitter, das Ansinnen einer katholischen Segnungsfeier sei bereits "seit Monaten vom Tisch"; vielmehr sei es zuletzt nur noch um einen "Dankgottesdienst" gegangen, aber auch zu diesem habe Bischof Fürst seine Zustimmung verweigert. Dass der Fall in den Medien überhaupt wieder aufgewärmt wurde, war offenbar dadurch ausgelöst worden, dass Kaufmanns Partner aus der Römisch-Katholischen Kirche aus- und in die Altkatholische Kirche eingetreten ist, um von dieser den gewünschten Segen zu erhalten. Der altkatholische Pfarrer Joachim Pfützner erklärte sich bereit, eine solche Segensfeier zu zelebrieren, stellte jedoch gegenüber den Stuttgarter Nachrichten klar, dass eine solche "Segnung ihres gemeinsamen Lebenswegs" keinesfalls mit einer kirchlichen Eheschließung zu vergleichen sei.
In der Affäre um den designierten französischen Vatikan-Botschafter Stefanini ließ die Website LifeSiteNews am 15. April eine Bombe platzen, indem sie den Wahrheitsgehalt der vorangegangenen Meldungen, Stefanini sei wegen seiner Homosexualität vom Vatikan abgelehnt worden, in allen Punkten radikal in Frage stellte. In Umlauf gebracht worden seien diese Meldungen ursprünglich von dem französischen Magazin Le Canard enchaîné - einer Satirezeitschrift. Stefanini, ein praktizierender Katholik (und damit im laizistischen Frankreich klar in der Minderheit), lebe durchaus nicht "offen homosexuell", sondern habe sich nie öffentlich zu seiner sexuellen Orientierung geäußert und sei auch nie als Verfechter von Rechten Homosexueller hervorgetreten; dass der Vatikan ihn bislang nicht als Botschafter bestätigt habe, könne zwar als unausgesprochene Ablehnung interpretiert werden, dies sei jedoch keinesfalls sicher; und für diese Ablehnung, wenn es denn überhaupt eine sei, bestimmte Gründe benennen zu wollen, sei vollends spekulativ. Zudem habe die Manif pour tous-Sprecherin Ludovine de la Rochère entschieden bestritten, in dieser Angelegenheit beim Vatikan interveniert zu haben.
Was nun "Oma Marie" aus Bad Nenndorf angeht, muss ich sagen, dass die ganze Angelegenheit für mich von vornherein ganz ganz stark nach Fake roch - und ich war auch nicht der Einzige, der das so sah. So schrieb etwa das evangelikale Nachrichtenportal idea.de noch am 15. April vom "angeblichen Kirchenaustritt einer 84-Jährigen" und wies darauf hin, dass bei Pfarrer Cochlovius kein entsprechender Brief eingegangen sei. Andere Beobachter wiesen darauf hin, dass der eigentliche Urheber des "Oma Marie"-Hypes auf Facebook ein Aktivist namens Kim Kamps von der Anti-Homophobie-Initiative "Enough is Enough" gewesen sei. Nach eigenem Bekunden ist Kim Kamps einer der beiden homosexuellen Enkel von Oma Marie. Falls das stimmt, bleibt immer noch ein schaler Beigeschmack bei dieser medienwirksamen Einspannung einer Seniorin für die Kampagnentätigkeit ihres Enkels.
Offensichtlich scheint es, dass alle diese drei Geschichten - soweit sie nicht von vornherein fiktiv sind - gezielt instrumentalisiert worden sind, mit dem erklärten Ziel, die Kirche(n) öffentlich unter Druck zu setzen, ihre Haltung zu praktizierter Homosexualität zu revidieren. Bezeichnend dafür ist auch, dass man sich in allen drei Fällen gewissermaßen "weiche Ziele" gesucht hat. Bischof Fürst von Rottenburg-Stuttgart wird wohl beim schlimmsten Willen niemand für einen Hardliner innerhalb der Katholischen Kirche halten; in der Berichterstattung über die Stefanini-Affäre wurde immer wieder gern darauf hingewiesen, dass Papst Franziskus doch mal im Flugzeug diesen "Wer bin ich, darüber zu urteilen"-Satz gesagt habe (dass er inhaltlich nichts Anderes zum Thema Homosexualität gesagt hat als seine Vorgänger, wird dabei gern verkannt oder ausgeblendet); und in der EKD ist eine "wertschätzende" Haltung gegenüber "sexueller Vielfalt" schon lange Mainstream. Selbst die inkriminierten Äußerungen des Pastor Cochlovius kann man im Grunde nur als moderat bezeichnen - schließlich sprach er ausdrücklich von solchen Homosexuellen, die unter ihrer Veranlagung leiden und Hilfe suchen.
Und in zwei der drei Fälle zeigte der mediale Druck ja auch umgehend Wirkung. Bischof Fürsts Stellungnahme zur Causa Kaufmann fiel butterweich aus - und wurde auch so verstanden: "Versöhnliche Töne zur Segnung von Schwulen" erkannten etwa die Stuttgarter Nachrichten in des Bischofs Beteuerung, die "Verweigerung eines gottesdientlichen Segens für gleichgeschlechtliche Partnerschaften" stelle "keine Herabwürdigung dieser Lebensform dar" und "jeder Lebensgemeinschaft, deren Zusammenleben auf christlichen Werten beruhe", stehe "Respekt und Anerkennung" zu. Darüber hinaus verwies Bischof Fürst in seiner Stellungnahme auf die kommende "Bischofssynode in Rom" und erklärte es für "derzeit offen", ob "eine kirchliche Segnung homosexueller Paare künftig möglich" sein werde.
Dem Portal queer.de - das man mit einigem Recht als das kreuz.net der LGBT-Szene bezeichnen kann - war das freilich noch nicht genug: Als nur "vermeintlich versöhnlich" bewertete man Bischof Fürsts Aussagen dort, und ein Kommentator des Artikels bot eine freie Übersetzung der bischöflichen Stellungnahme an:
Auf evangelischer Seite überschlug man sich erwartungsgemäß noch deutlich mehr, um jeglichen Verdacht auf Homophobie von sich abzuschütteln. In Oma Maries Heimatgemeinde St. Godehardi Bad Nenndorf trat am 15. April der Kirchenvorstand zusammen und verabschiedete einstimmig eine Resolution, in der er erklärte, Pastor Cochlovius' Aussage, "ausgelebte Homosexualität" sei "Sünde", "mit Entsetzen zur Kennntnis genommen" zu haben. "Homosexualität ist nach unserem Verständnis keine Sünde. Sie ist ein Teil der Vielfalt der Schöpfung und kann und darf gelebt werden." Das Portal evangelisch.de veröffentlichte unter dem Motto "Komm zurück, Oma Marie!" einen offenen Brief an die streitbare Seniorin, in dem es u.a. hieß: "Wir teilen Ihre Meinung, dass Homosexualität weder eine Sünde noch eine Krankheit ist, die man heilen sollte. Darum begrüßen wir es, dass Sie sich klar und eindeutig hinter Ihre schwulen Enkel stellen. Das erwarten wir von jedem, der den christlichen Glauben und das Vorbild Jesu ernst nimmt." Zudem erschien auf evangelisch.de ein Leitartikel mit dem Titel "Oma Marie, wir brauchen dich!". Und schließlich schrieb auch noch der zuständige - Hannoveranische - Landesbischof Ralf Meister einen offenen Brief an Oma Marie, in dem auch er betonte: "Homosexualität ist aus Sicht der Landeskirche weder Sünde noch muss sie geheilt werden". Trotz dieser klaren inhaltlichen Positionierung trug es Landesbischof Meister schließlich sogar noch Kritik ein, dass er "anderen Meinungen eine Daseinsberechtigung zuspricht", indem er anmerkte, man müsse "akzeptieren, dass einzelne Pastorinnen und Pastoren die Bibel anders interpretieren und deshalb zur Homosexualität eine andere Meinung haben", und damit den inkriminierten Pastor Cochlovius implizit in Schutz nahm.
(Bei alledem beachte man, dass im Jahr 2012 - für 2013 und 2014 liegen mir noch keine Zahlen vor - stolze 138.195 Personen aus der EKD ausgetreten sind. Man kann wohl davon ausgehen, dass die meisten von ihnen keinen Brief geschrieben haben, um die Gründe für ihren Austritt ausführlich darzulegen; einige aber ganz sicher. Hat auch nur eine einzige dieser Austrittserklärungen ein annähernd so großes Echo gefunden wie die von "Oma Marie"? Offenbar nicht. Was für eine erbärmliche Feigheit.)
Nun aber mal Butter bei die Fische: Wie homophob ist oder sind die Kirche(n) denn nun wirklich? Oder, anders gefragt - da ich den Begriff "Homophobie" (aus Gründen, die ich auf Nachfrage gern erläutere) eigentlich von vornherein blödsinnig finde -: Was sagt die kirchliche Lehre denn nun wirklich zum Thema Homosexualität? -- Nun, auf evangelischer Seite ergibt sich da, wie man wohl schon gesehen hat, ein ziemlich wirres Bild; aber die Katholische Kirche hat ja glücklicherweise ein verbindliches Lehramt. Mithin kann da ein Blick in den Katechismus Klarheit schaffen; fündig wird man in den Artikeln 2357-2359. Hier ist zunächst einmal zu konstatieren, dass der Katechismus strikt zwischen der Beurteilung homosexuell empfindender Menschen und der Beurteilung homosexueller Handlungen unterscheidet. Für erstere findet Art. 2358 ausgesprochen freundliche Worte: Homosexuell empfindenden Menschen sei
Aber bleiben wir erst einmal bei der Katholischen Kirche. Wertschätzung für homosexuell empfindende Menschen mit der Ablehnung homosexueller Handlungen unter einen Hut zu bringen, mag in der Praxis ein ganz schöner Spagat sein, aber es hat ja auch nie jemand behauptet, dass Christsein einfach wäre. Jedenfalls lässt sich aus den oben zitierten Passagen des Katechismus unschwer begreiflich machen, dass die Katholische Kirche zwar homosexuell empfindenden Menschen einen persönlichen Segen spenden kann, nicht aber eine homosexuelle Lebenspartnerschaft segnen. Es wäre schlichtweg nicht ehrlich. Denn es würde ja bedeuten, eine Beziehung unter den Schutz Gottes zu stellen, von der man gleichzeitig überzeugt ist, dass sie Gottes Willen widerspricht. Dasselbe gilt auch für andere Beziehungsformen, die laut kirchlicher Lehre irregulär und darum abzulehnen sind: polygame Beziehungen, inzestuöse Beziehungen, ja letztlich alle nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften - und nicht zuletzt Wiederverheiratungen von zivilrechtlich Geschiedenen. Um es sicherheitshalber noch einmal zu betonen: Es geht nicht darum, den Menschen, die in solchen Beziehungen leben, Wertschätzung und Achtung zu verweigern oder ihnen die Kirchentür vor der Nase zuzuschlagen. Aber den Beziehungen als solchen kann die Kirche ihren Segen nicht geben.
Für Homosexuelle, die gleichzeitig gläubige Katholiken sind, ergibt sich nun natürlich die Schwierigkeit, dass es für sie, anders als für Heterosexuelle, schlechterdings keine Möglichkeit gibt, ihre Sexualität auf eine Weise auszuleben, die von der Kirche gutgeheißen würde. Das kann man ungerecht finden oder sogar "menschenverachtend", besonders wenn man jenem Dogma der modernen Gesellschaft anhängt, demzufolge ein leben ohne Sex nicht lebenswert sei. Prinzipiell steht es natürlich Jedem frei, der Meinung zu sein, die Kirche habe hier einfach Unrecht, aber für gläubige Katholiken ergibt sich ein Dilemma, wenn sie im Credo bekennen "Ich glaube an... die heilige Katholische Kirche" und im Stillen hinzufügen "aber in diesem und jenem und dann vielleicht noch in soundsoviel anderen Punkten finde ich trotzdem falsch, was sie lehrt". Dieses Dilemma jedoch auflösen zu wollen, indem man von der Kirche fordert, sie solle ihre Lehre an das anpassen, was man selber für richtig hält, ist dann wohl doch ein wenig kindisch. Wenn nicht Schlimmeres.
In der öffentlichen Diskussion begnügt man sich jedoch schon lange nicht mehr damit, einfach anderer Meinung zu sein als die Kirche; nein, im Grunde möchte man der Kirche am liebsten das Recht absprechen, sich überhaupt zu ethischen Fragen zu äußern. Den Menschen vorschreiben zu wollen, was moralisch richtig oder falsch sei, das sei anmaßend, wenn nicht (Achtung, jetzt wird's bizarr) sogar "unchristlich". Solche Auffassungen finden sich zunehmend sogar innerhalb der Kirche(n) - so etwa bei dem oben erwähnten badischen Landesbischof Cornelius-Bundschuh, der jüngst erklärte, "die Kirche" habe "nicht zu sagen, welche Form von Sexualität gut oder schlecht sei". Derweil gab im "Kirchenblog" der Stuttgarter Nachrichten der Journalist und promovierte Theologe Markus Brauer ein in seiner Radikalität frappierendes Bekenntnis zum moralischen Relativismus ab:
Für die Verkündigung des Glaubens in der säkularisierten Gesellschaft stellt diese verbreitete Weigerung, sich mit dem Begriff "Sünde" auseinanderzusetzen, geschweige denn, ihn auf sich selbst bzw. sein eigenes Handeln zu beziehen, ein schwerwiegendes Problem dar. Die Menschen wollen, im wahrsten Sinne des Wortes, von Sünde nichts wissen. Sie haben nur die diffuse Ahnung, dass Sünde etwas sei, wofür man in die Hölle kommt. Da wollen sie natürlich nicht hin, deshalb kommt es gar nicht in Frage, sich selbst als Sünder zu betrachten oder bezeichnen zu lassen. Vielfach scheint es, dass sich die Kirchen tatsächlich kaum noch trauen, von Sünde zu sprechen, um die Leute nur ja nicht vor den Kopf zu stoßen.
Aber natürlich ist das keine Lösung. Im Gegenteil, die Kirche(n) sollte(n) nicht weniger, sondern eher mehr über Sünde sprechen. Zum Beispiel darüber, dass der Begriff Sünde zunächst einmal eine Störung des Verhältnisses zwischen Mensch und Gott bezeichnet. Einerseits verursacht der einzelne Mensch diese Störung selbst, wenn er entgegen dem Willen Gottes handelt; andererseits ist der Mensch aber eben nicht nur ein Einzelner, sondern lebt in einem vielfältigen Beziehungsgeflecht und ist damit mehr oder minder zwangsläufig in Sünde verstrickt - ja, er wird sogar in diesen unheilen Zustand hineingeboren, weshalb die Katholische Kirche von Erbsünde spricht. Sünde ist also ein Thema, das uns alle betrifft, nicht nur bestimmte Personengruppen (wie z.B. Homosexuelle). Deshalb ist es auch keine Hetze, Schmähung oder Herabwürdigung, jemanden als Sünder zu bezeichnen, sondern lediglich die Beschreibung einer anthropologischen Realität. Der gern und oft zitierte Ausspruch Jesu "Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein" (Johannes 8,7) macht es sehr deutlich: Das Bewusstsein der eigenen Sünde kann bzw. sollte den Menschen davon abhalten, andere Sünder zu verdammen; aber das bedeutet gerade nicht, Sünde nicht als Sünde zu benennen. Im Gegenteil. Man kann sagen, die Weigerung, sich selbst als Sünder zu erkennen und zu bekennen - zu meinen, man habe keine Umkehr und keine Vergebung nötig, weil man so, wie man sei, schon okay sei - sei die denkbar unchristlichste Haltung, die ein Mensch einnehmen kann; er verschließt sich damit der Gnade Gottes, die ihn heil machen will. Im Gleichnis vom verlorenen Schaf sagt Jesus Christus, im Himmel werde "mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren" (Lukas 15,7); über Diejenigen jedoch, die meinen, sie hätten es nicht nötig, umzukehren, dürfte im Himmel am wenigsten Freude herrschen...
In Stuttgart wollte, wie die Stuttgarter Nachrichten berichteten, der seit Jahren in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebende CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann seine Partnerschaft von der Katholischen Kirche segnen lassen. Eine entsprechende Feier sollte in der Stuttgarter Kirche St. Konrad unter Leitung von Pfarrer Anton Seeberger stattfinden, wurde aber vom zuständigen Diözesanbischof Gebhard Fürst unter Verweis auf das geltende Kirchenrecht untersagt.
Zwischen Paris und Rom ging es um die Ernennung eines neuen Botschafters der Republik Frankreich beim Heiligen Stuhl. Mehrere Zeitungen bzw. Nachrichtenseiten ließen verlauten, der Vatikan verweigere dem vom Elysée-Palast benannten Kandidaten Laurent Stefanini die Anerkennung - und zwar, weil er homosexuell sei. Es wurde gemunkelt, die Sprecherin der (von der Qualitätstageszeitung Die Welt als "offen homofeindlich" bezeichneten) Bewegung La Manif pour tous, Ludovine de la Rochère, habe beim Vatikan gegen die Ernennung Stefaninis interveniert, obwohl der Pariser Erzbischof André Vingt-Trois und der Camerlengo Jean-Louis Kardinal Tauran sich für ihn ausgesprochen hätten. "Er wäre nicht der erste Schwule, der wohl von einer homophoben Lobby verhindert worden wäre", orakelte Die Welt.
Und in Bad Nenndorf sah eine 84-jährige Dame mit dem Vornamen Marie, Großmutter von zwei Homosexuellen, die NDR-Sendung Die Schwulenheiler 2, in der u.a. der evangelische Pastor Gero Cochlovius aus Hohnhorst, einem Nachbarort von Bad Nenndorf, seine Ansichten zum pastoralen Umgang mit Homosexuellen darlegte. Die Äußerungen dieses Pastors erzürnten die alte Dame derart, dass sie unter Protest ihren Austritt aus der evangelischen Kirche erklärte.
Alle diese Fälle erregten, wie man sich vorstellen kann, erhebliches Aufsehen. Schlagzeilen wie "Bischof lässt Schwule abblitzen" oder "Vatikan sabotiert schwulen Botschafter aus Frankreich" geisterten durch den Blätterwald, und in den Kommentarspalten tummelten sich all jene, die ja schon immer gewusst haben, wie "ewiggestrig", "mittelalterlich" und "menschenverachtend" die Kirche ist. Das größte und emotionalste Echo löste jedoch der Fall "Oma Marie" aus. Die Veröffentlichung ihrer Austrittserklärung auf Facebook erhielt Zehntausende "Likes" und wurde Hunderte von Malen geteilt. "Oma Marie kämpft für schwule Enkel", jubelte die Süddeutsche Zeitung, und die Frauenzeitschrift Brigitte schrieb: "Jetzt betet Oma Marie nur noch zu Hause. Und wir verneigen uns vor ihr."
Wischt man sich aber mal kurz die Tränen der Rührung aus den Augen und betrachtet die drei Fälle ein wenig nüchterner, dann fällt einem auf, dass da so Einiges offensichtlich nicht stimmt. - An der Stuttgarter Geschichte fällt zunächst einmal auf, dass sie im Grunde ein ganz schön alter Hut ist: In der linksalternativen taz war schon vor einem Jahr von Stefan Kaufmanns Wunsch nach einem kirchlichen Segen für seine eingetragene Lebenspartnerschaft zu lesen. "Die Kirche segnet Panzer, Weizenfelder, Schulen. Warum nicht uns?", wurde der CDU-Politiker damals zitiert, und: "Und es ist auch Politik, wenn ich den Bischof bitte, unsere Segnung zu genehmigen." Angesichts der neu aufgeflammten Debatte erklärte Stefan Kaufmann persönlich auf Twitter, das Ansinnen einer katholischen Segnungsfeier sei bereits "seit Monaten vom Tisch"; vielmehr sei es zuletzt nur noch um einen "Dankgottesdienst" gegangen, aber auch zu diesem habe Bischof Fürst seine Zustimmung verweigert. Dass der Fall in den Medien überhaupt wieder aufgewärmt wurde, war offenbar dadurch ausgelöst worden, dass Kaufmanns Partner aus der Römisch-Katholischen Kirche aus- und in die Altkatholische Kirche eingetreten ist, um von dieser den gewünschten Segen zu erhalten. Der altkatholische Pfarrer Joachim Pfützner erklärte sich bereit, eine solche Segensfeier zu zelebrieren, stellte jedoch gegenüber den Stuttgarter Nachrichten klar, dass eine solche "Segnung ihres gemeinsamen Lebenswegs" keinesfalls mit einer kirchlichen Eheschließung zu vergleichen sei.
In der Affäre um den designierten französischen Vatikan-Botschafter Stefanini ließ die Website LifeSiteNews am 15. April eine Bombe platzen, indem sie den Wahrheitsgehalt der vorangegangenen Meldungen, Stefanini sei wegen seiner Homosexualität vom Vatikan abgelehnt worden, in allen Punkten radikal in Frage stellte. In Umlauf gebracht worden seien diese Meldungen ursprünglich von dem französischen Magazin Le Canard enchaîné - einer Satirezeitschrift. Stefanini, ein praktizierender Katholik (und damit im laizistischen Frankreich klar in der Minderheit), lebe durchaus nicht "offen homosexuell", sondern habe sich nie öffentlich zu seiner sexuellen Orientierung geäußert und sei auch nie als Verfechter von Rechten Homosexueller hervorgetreten; dass der Vatikan ihn bislang nicht als Botschafter bestätigt habe, könne zwar als unausgesprochene Ablehnung interpretiert werden, dies sei jedoch keinesfalls sicher; und für diese Ablehnung, wenn es denn überhaupt eine sei, bestimmte Gründe benennen zu wollen, sei vollends spekulativ. Zudem habe die Manif pour tous-Sprecherin Ludovine de la Rochère entschieden bestritten, in dieser Angelegenheit beim Vatikan interveniert zu haben.
Was nun "Oma Marie" aus Bad Nenndorf angeht, muss ich sagen, dass die ganze Angelegenheit für mich von vornherein ganz ganz stark nach Fake roch - und ich war auch nicht der Einzige, der das so sah. So schrieb etwa das evangelikale Nachrichtenportal idea.de noch am 15. April vom "angeblichen Kirchenaustritt einer 84-Jährigen" und wies darauf hin, dass bei Pfarrer Cochlovius kein entsprechender Brief eingegangen sei. Andere Beobachter wiesen darauf hin, dass der eigentliche Urheber des "Oma Marie"-Hypes auf Facebook ein Aktivist namens Kim Kamps von der Anti-Homophobie-Initiative "Enough is Enough" gewesen sei. Nach eigenem Bekunden ist Kim Kamps einer der beiden homosexuellen Enkel von Oma Marie. Falls das stimmt, bleibt immer noch ein schaler Beigeschmack bei dieser medienwirksamen Einspannung einer Seniorin für die Kampagnentätigkeit ihres Enkels.
Offensichtlich scheint es, dass alle diese drei Geschichten - soweit sie nicht von vornherein fiktiv sind - gezielt instrumentalisiert worden sind, mit dem erklärten Ziel, die Kirche(n) öffentlich unter Druck zu setzen, ihre Haltung zu praktizierter Homosexualität zu revidieren. Bezeichnend dafür ist auch, dass man sich in allen drei Fällen gewissermaßen "weiche Ziele" gesucht hat. Bischof Fürst von Rottenburg-Stuttgart wird wohl beim schlimmsten Willen niemand für einen Hardliner innerhalb der Katholischen Kirche halten; in der Berichterstattung über die Stefanini-Affäre wurde immer wieder gern darauf hingewiesen, dass Papst Franziskus doch mal im Flugzeug diesen "Wer bin ich, darüber zu urteilen"-Satz gesagt habe (dass er inhaltlich nichts Anderes zum Thema Homosexualität gesagt hat als seine Vorgänger, wird dabei gern verkannt oder ausgeblendet); und in der EKD ist eine "wertschätzende" Haltung gegenüber "sexueller Vielfalt" schon lange Mainstream. Selbst die inkriminierten Äußerungen des Pastor Cochlovius kann man im Grunde nur als moderat bezeichnen - schließlich sprach er ausdrücklich von solchen Homosexuellen, die unter ihrer Veranlagung leiden und Hilfe suchen.
Und in zwei der drei Fälle zeigte der mediale Druck ja auch umgehend Wirkung. Bischof Fürsts Stellungnahme zur Causa Kaufmann fiel butterweich aus - und wurde auch so verstanden: "Versöhnliche Töne zur Segnung von Schwulen" erkannten etwa die Stuttgarter Nachrichten in des Bischofs Beteuerung, die "Verweigerung eines gottesdientlichen Segens für gleichgeschlechtliche Partnerschaften" stelle "keine Herabwürdigung dieser Lebensform dar" und "jeder Lebensgemeinschaft, deren Zusammenleben auf christlichen Werten beruhe", stehe "Respekt und Anerkennung" zu. Darüber hinaus verwies Bischof Fürst in seiner Stellungnahme auf die kommende "Bischofssynode in Rom" und erklärte es für "derzeit offen", ob "eine kirchliche Segnung homosexueller Paare künftig möglich" sein werde.
Dem Portal queer.de - das man mit einigem Recht als das kreuz.net der LGBT-Szene bezeichnen kann - war das freilich noch nicht genug: Als nur "vermeintlich versöhnlich" bewertete man Bischof Fürsts Aussagen dort, und ein Kommentator des Artikels bot eine freie Übersetzung der bischöflichen Stellungnahme an:
"wenn ihr lieb seid und keine übertriebenen forderungen stellt (z.b. wie richtige menschen behandelt zu werden), dann denken wir uns vielleicht, später, irgendwann, eventuell, möglicherweise mal irgendeinen minderwertigen firlefanz für euch aus."(Man fragt sich hier ein bisschen, warum Menschen eigentlich so verbissen darum kämpfen, dass die Kirche sie anerkennen solle, wenn sie die Kirche so sehr verachten. Aber das nur am Rande.)
Auf evangelischer Seite überschlug man sich erwartungsgemäß noch deutlich mehr, um jeglichen Verdacht auf Homophobie von sich abzuschütteln. In Oma Maries Heimatgemeinde St. Godehardi Bad Nenndorf trat am 15. April der Kirchenvorstand zusammen und verabschiedete einstimmig eine Resolution, in der er erklärte, Pastor Cochlovius' Aussage, "ausgelebte Homosexualität" sei "Sünde", "mit Entsetzen zur Kennntnis genommen" zu haben. "Homosexualität ist nach unserem Verständnis keine Sünde. Sie ist ein Teil der Vielfalt der Schöpfung und kann und darf gelebt werden." Das Portal evangelisch.de veröffentlichte unter dem Motto "Komm zurück, Oma Marie!" einen offenen Brief an die streitbare Seniorin, in dem es u.a. hieß: "Wir teilen Ihre Meinung, dass Homosexualität weder eine Sünde noch eine Krankheit ist, die man heilen sollte. Darum begrüßen wir es, dass Sie sich klar und eindeutig hinter Ihre schwulen Enkel stellen. Das erwarten wir von jedem, der den christlichen Glauben und das Vorbild Jesu ernst nimmt." Zudem erschien auf evangelisch.de ein Leitartikel mit dem Titel "Oma Marie, wir brauchen dich!". Und schließlich schrieb auch noch der zuständige - Hannoveranische - Landesbischof Ralf Meister einen offenen Brief an Oma Marie, in dem auch er betonte: "Homosexualität ist aus Sicht der Landeskirche weder Sünde noch muss sie geheilt werden". Trotz dieser klaren inhaltlichen Positionierung trug es Landesbischof Meister schließlich sogar noch Kritik ein, dass er "anderen Meinungen eine Daseinsberechtigung zuspricht", indem er anmerkte, man müsse "akzeptieren, dass einzelne Pastorinnen und Pastoren die Bibel anders interpretieren und deshalb zur Homosexualität eine andere Meinung haben", und damit den inkriminierten Pastor Cochlovius implizit in Schutz nahm.
(Bei alledem beachte man, dass im Jahr 2012 - für 2013 und 2014 liegen mir noch keine Zahlen vor - stolze 138.195 Personen aus der EKD ausgetreten sind. Man kann wohl davon ausgehen, dass die meisten von ihnen keinen Brief geschrieben haben, um die Gründe für ihren Austritt ausführlich darzulegen; einige aber ganz sicher. Hat auch nur eine einzige dieser Austrittserklärungen ein annähernd so großes Echo gefunden wie die von "Oma Marie"? Offenbar nicht. Was für eine erbärmliche Feigheit.)
Nun aber mal Butter bei die Fische: Wie homophob ist oder sind die Kirche(n) denn nun wirklich? Oder, anders gefragt - da ich den Begriff "Homophobie" (aus Gründen, die ich auf Nachfrage gern erläutere) eigentlich von vornherein blödsinnig finde -: Was sagt die kirchliche Lehre denn nun wirklich zum Thema Homosexualität? -- Nun, auf evangelischer Seite ergibt sich da, wie man wohl schon gesehen hat, ein ziemlich wirres Bild; aber die Katholische Kirche hat ja glücklicherweise ein verbindliches Lehramt. Mithin kann da ein Blick in den Katechismus Klarheit schaffen; fündig wird man in den Artikeln 2357-2359. Hier ist zunächst einmal zu konstatieren, dass der Katechismus strikt zwischen der Beurteilung homosexuell empfindender Menschen und der Beurteilung homosexueller Handlungen unterscheidet. Für erstere findet Art. 2358 ausgesprochen freundliche Worte: Homosexuell empfindenden Menschen sei
"mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen. Auch diese Menschen sind berufen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen".Hingegen zitiert Art. 2357 in Hinblick auf homosexuelle Handlungen die Erklärung Persona humana der Kongregation für die Glaubenslehre von 1975, in der es heißt, dass
"die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung sind und keinesfalls in irgendeiner Weise gutgeheißen werden können".Weiterhin weist der Katechismus darauf hin, dass auch die Bibel homosexuelle Praktiken "als schlimme Abirrung bezeichnet", und führt als Belege die Schriftstellen Genesis 19,1-21, Römer 1,24-27, 1. Korinther 6,10 und 1. Timotheus 1,10 an. Man könnte meinen, an diesen Bibelstellen kämen die evangelischen Kirchen mit ihrem Grundsatz sola scriptura auch bzw. erst recht nicht vorbei; und tatsächlich sehen das ja, wie Landesbischof Meister sich ausdrückt, "einzelne Pastorinnen und Pastoren", darunter Gero Cochlovius aus Hohnhorst bei Hannover, genau so. Andere hingegen, wie etwa der badische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh, schlagen abenteuerliche argumentative Salti, um aus der Bibel das herauslesen zu können, von dem sie gerne hätten, dass es drin stünde - nämlich die "Anerkennung sexueller Vielfalt".
Aber bleiben wir erst einmal bei der Katholischen Kirche. Wertschätzung für homosexuell empfindende Menschen mit der Ablehnung homosexueller Handlungen unter einen Hut zu bringen, mag in der Praxis ein ganz schöner Spagat sein, aber es hat ja auch nie jemand behauptet, dass Christsein einfach wäre. Jedenfalls lässt sich aus den oben zitierten Passagen des Katechismus unschwer begreiflich machen, dass die Katholische Kirche zwar homosexuell empfindenden Menschen einen persönlichen Segen spenden kann, nicht aber eine homosexuelle Lebenspartnerschaft segnen. Es wäre schlichtweg nicht ehrlich. Denn es würde ja bedeuten, eine Beziehung unter den Schutz Gottes zu stellen, von der man gleichzeitig überzeugt ist, dass sie Gottes Willen widerspricht. Dasselbe gilt auch für andere Beziehungsformen, die laut kirchlicher Lehre irregulär und darum abzulehnen sind: polygame Beziehungen, inzestuöse Beziehungen, ja letztlich alle nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften - und nicht zuletzt Wiederverheiratungen von zivilrechtlich Geschiedenen. Um es sicherheitshalber noch einmal zu betonen: Es geht nicht darum, den Menschen, die in solchen Beziehungen leben, Wertschätzung und Achtung zu verweigern oder ihnen die Kirchentür vor der Nase zuzuschlagen. Aber den Beziehungen als solchen kann die Kirche ihren Segen nicht geben.
Für Homosexuelle, die gleichzeitig gläubige Katholiken sind, ergibt sich nun natürlich die Schwierigkeit, dass es für sie, anders als für Heterosexuelle, schlechterdings keine Möglichkeit gibt, ihre Sexualität auf eine Weise auszuleben, die von der Kirche gutgeheißen würde. Das kann man ungerecht finden oder sogar "menschenverachtend", besonders wenn man jenem Dogma der modernen Gesellschaft anhängt, demzufolge ein leben ohne Sex nicht lebenswert sei. Prinzipiell steht es natürlich Jedem frei, der Meinung zu sein, die Kirche habe hier einfach Unrecht, aber für gläubige Katholiken ergibt sich ein Dilemma, wenn sie im Credo bekennen "Ich glaube an... die heilige Katholische Kirche" und im Stillen hinzufügen "aber in diesem und jenem und dann vielleicht noch in soundsoviel anderen Punkten finde ich trotzdem falsch, was sie lehrt". Dieses Dilemma jedoch auflösen zu wollen, indem man von der Kirche fordert, sie solle ihre Lehre an das anpassen, was man selber für richtig hält, ist dann wohl doch ein wenig kindisch. Wenn nicht Schlimmeres.
In der öffentlichen Diskussion begnügt man sich jedoch schon lange nicht mehr damit, einfach anderer Meinung zu sein als die Kirche; nein, im Grunde möchte man der Kirche am liebsten das Recht absprechen, sich überhaupt zu ethischen Fragen zu äußern. Den Menschen vorschreiben zu wollen, was moralisch richtig oder falsch sei, das sei anmaßend, wenn nicht (Achtung, jetzt wird's bizarr) sogar "unchristlich". Solche Auffassungen finden sich zunehmend sogar innerhalb der Kirche(n) - so etwa bei dem oben erwähnten badischen Landesbischof Cornelius-Bundschuh, der jüngst erklärte, "die Kirche" habe "nicht zu sagen, welche Form von Sexualität gut oder schlecht sei". Derweil gab im "Kirchenblog" der Stuttgarter Nachrichten der Journalist und promovierte Theologe Markus Brauer ein in seiner Radikalität frappierendes Bekenntnis zum moralischen Relativismus ab:
"Tatsächlich verstößt hier niemand gegen göttliche Gebote - allenfalls gegen menschliche Gesetze und Moralvorstellungen. Moral ist nichts anderes als die subjektive Neigung, bestimmte Maximen und Normen, die man als richtig erkannt hat, zu befolgen. Auch wenn diese Normen als objektiv oder göttlich offenbarte Wahrheit " gelten, sind sie doch nichts anderes als Handlungsmuster und Konventionen".Wenn "Oma Marie" in ihrer berühmt gewordenen Austrittserklärung schreibt, es sei "unverantwortlich", "Homosexuelle als Sünder zu bezeichnen", spricht sie, wie die Reaktionen zeigen, offenbar vielen Menschen aus der Seele. Und dabei geht es nicht nur um das Thema Homosexualität - sondern viel allgemeiner darum, die Begriffe "Sünde" und "Sünder" aus dem Diskurs zu verbannen. Von Sünde und Sündern zu sprechen, gilt als "unbarmherzig" - ein logischer Fehler, denn Barmherzigkeit setzt das Vorhandensein von Sünde voraus. Sonst wäre sie ja unnötig.
Für die Verkündigung des Glaubens in der säkularisierten Gesellschaft stellt diese verbreitete Weigerung, sich mit dem Begriff "Sünde" auseinanderzusetzen, geschweige denn, ihn auf sich selbst bzw. sein eigenes Handeln zu beziehen, ein schwerwiegendes Problem dar. Die Menschen wollen, im wahrsten Sinne des Wortes, von Sünde nichts wissen. Sie haben nur die diffuse Ahnung, dass Sünde etwas sei, wofür man in die Hölle kommt. Da wollen sie natürlich nicht hin, deshalb kommt es gar nicht in Frage, sich selbst als Sünder zu betrachten oder bezeichnen zu lassen. Vielfach scheint es, dass sich die Kirchen tatsächlich kaum noch trauen, von Sünde zu sprechen, um die Leute nur ja nicht vor den Kopf zu stoßen.
Aber natürlich ist das keine Lösung. Im Gegenteil, die Kirche(n) sollte(n) nicht weniger, sondern eher mehr über Sünde sprechen. Zum Beispiel darüber, dass der Begriff Sünde zunächst einmal eine Störung des Verhältnisses zwischen Mensch und Gott bezeichnet. Einerseits verursacht der einzelne Mensch diese Störung selbst, wenn er entgegen dem Willen Gottes handelt; andererseits ist der Mensch aber eben nicht nur ein Einzelner, sondern lebt in einem vielfältigen Beziehungsgeflecht und ist damit mehr oder minder zwangsläufig in Sünde verstrickt - ja, er wird sogar in diesen unheilen Zustand hineingeboren, weshalb die Katholische Kirche von Erbsünde spricht. Sünde ist also ein Thema, das uns alle betrifft, nicht nur bestimmte Personengruppen (wie z.B. Homosexuelle). Deshalb ist es auch keine Hetze, Schmähung oder Herabwürdigung, jemanden als Sünder zu bezeichnen, sondern lediglich die Beschreibung einer anthropologischen Realität. Der gern und oft zitierte Ausspruch Jesu "Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein" (Johannes 8,7) macht es sehr deutlich: Das Bewusstsein der eigenen Sünde kann bzw. sollte den Menschen davon abhalten, andere Sünder zu verdammen; aber das bedeutet gerade nicht, Sünde nicht als Sünde zu benennen. Im Gegenteil. Man kann sagen, die Weigerung, sich selbst als Sünder zu erkennen und zu bekennen - zu meinen, man habe keine Umkehr und keine Vergebung nötig, weil man so, wie man sei, schon okay sei - sei die denkbar unchristlichste Haltung, die ein Mensch einnehmen kann; er verschließt sich damit der Gnade Gottes, die ihn heil machen will. Im Gleichnis vom verlorenen Schaf sagt Jesus Christus, im Himmel werde "mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren" (Lukas 15,7); über Diejenigen jedoch, die meinen, sie hätten es nicht nötig, umzukehren, dürfte im Himmel am wenigsten Freude herrschen...
Schade nur, daß die, die das am dringendsten lesen sollten, Dein Weblog verdammungswürdig finden.
AntwortenLöschenTrotzdem Dank für diesen Artikel. Damit dröselst Du sehr gut auf, worum es eigentlich geht, und gibst Möchtegern-Apologeten wie mir das Rüstzeug, wenn ich mal wieder denke: Will doch eh keiner wissen.
Du findest es also ausgesprochen freundlich, Homosexuellen, gemäß Katechismus, mit "Mitleid" zu begegnen?
AntwortenLöschenSag es doch einem homosexuellen Menschen mal direkt ins Gesicht, dass du aufgrund seiner/ihrer Sexualität "mit" ihm/ihr "leidest". Diese Unterstellung, das auf Grund Homosexualität "gelitten" wird...
widerlich.
Selbstverständlich ist Mitleid nur jemandem gegenüber, der auch selbst *leidet*, eine angemessene Reaktion. Mir ist schon klar, dass es nicht "politisch korrekt" ist, anzunehmen, dass homosexuelle Menschen unter ihrer Homosexualität leiden könnten. Nur geht Leiden davon, dass man es verleugnet, nicht weg.
LöschenSie sind so homophob, dass ich mich immer wieder als menschgewordener Sexualakt auf zwei Beinen fühle. Auch hier.
AntwortenLöschen"Wir lieben dich, es geht nur um deinen Sex."
~ "sexuelle Sünde wie jede andere" Den Aufstand gegen Masturbierende (95% der Männer) muss ich wohl übersehen haben. Die von Kaiserin Maria Theresia aus christlichen Gründen eingeführte Strafbarkeit von Masturbation wurde zum Glück von ihrem Sohn Josef II. schon wieder abgeschafft. Das andere in diesem Paragraphen dauerte noch einige Jahrzehnte.
"Willen Gottes" mal in anderer Formulierung: Gewollte Orgasmen darf es nur geben wenn ein Penis eine angetraute Vagina penetriert.
Bei "Wiederverheiratungen von zivilrechtlich Geschiedenen" habe ich noch selten Verweise auf Lev 20,10 oder Dtn 22,22 gesehen. Auf Lev 20,13 wird sehr oft hingewiesen oder es zitiert.
Es entspricht der katholischen Lehre und ist ohne Probleme möglich Homosexuelle und Wiederverheiratet taktvoll mit Mördern zu vergleichen. (Cardinal Raymond Burke)