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Mittwoch, 6. März 2024

Nichts als Vehlefanz im Kopf

In jüngster Zeit habe ich mit meinem noch nicht ganz drei Jahre alten Sohn ein paar Halbtagesausflüge ins Berliner Umland unternommen, und auf diese Weise verschlug es uns neulich in einen Ort namens Vehlefanz. Klingt ausgedacht, aber den gibt's wirklich: Es ist ein Ortsteil der Gemeinde Oberkrämer im Landkreis Oberhavel; der aparte Ortsname ist laut Tante Wikipedia "wendischen Ursprungs", über seine Bedeutung gibt es indes verschiedene Theorien, die von "großes Dorf" bis "am Walde gelegen" reichen. 

Kaum waren wir der Regionalbahn entstiegen, da stellte mein Jüngster auch schon fest: "Vehlefanz ist ganz schön schön." Ich brauchte etwas länger, um mein Herz für diesen Ort zu entdecken – aber gar nicht mal so viel länger. Es ist schön ruhig dort – wenig Autoverkehr –, der Ort wirkt gepflegt, ohne übertrieben malerisch oder aufgeputzt zu sein, und die Landschaft rundherum hat durchaus Ähnlichkeit mit Butjadingen, auch wenn sie etwas hügeliger ist und mehr Bäume aufzuweisen hat. Architektonisch ansprechend fand ich die Nashorn-Grundschule, laut Tante Wikipedia der erste Grundschul-Neubau im Land Brandenburg nach der Wende; da gingen wir aber nur dran vorbei und wandten uns anschließend erst mal der historischen Dorfkirche zu. 


Diese Kirche stammt aus dem 15. Jh., also aus vorreformatorischer Zeit; es wird vermutet, dass auch Überreste eines Vorgängerbaus aus dem 12. oder 13. Jh. in sie eingebaut worden sein könnten. Ihre heutige Gestalt erhielt sie im 18. Jh., als sie im Barockstil erweitert und umgebaut wurde. – Als wir uns der auf einer Anhöhe gelegenen Kirche näherten, stellten wir zunächst einmal fest, dass es keinen barrierefreien Zugang gibt; also ließen wir den Kinderwagen am Fuß des Hügels stehen und kraxelten die steile Treppe hinauf – nur um festzustellen: Ob barrierefrei oder nicht, man kommt überhaupt nicht hinein. Ein Kulturdenkmal erster Güte, aber besichtigen kann man es nicht, geschweige denn darin beten. Letzteres hielt uns allerdings nicht davon ab, uns unmittelbar vor dem Eingang (bzw. Nicht-Eingang) auf eine Bank zu setzen, unsere mobile Lautsprecherbox auszupacken und wenigstens eine kleine "Beten mit Musik"-Session abzuhalten, bestehend aus zwei Lobpreisliedern (in gedämpfter Lautstärke, damit uns nicht das ganze Dorf hörte) und einem Psalm. – Erst im Nachhinein fiel mir ein Aushang im Schaukasten auf, vor dem wir unseren Kinderwagen geparkt hatten: Daraus ging hervor, dass der evangelische Pfarrbereich Schwante-Vehlefanz (zu dem auch noch weitere Ortsteile der Gemeinde Oberkrämer gehören) diese Kirche ungefähr einmal im Monat als Gottesdienstort nutzt (über die Osterfeiertage allerdings öfter). 

Einem Wegweiser in der Nähe der Kirche entnahm ich, dass es in Vehlefanz auch eine Windmühle gibt, und als ich das meinem Jüngsten erzählte, wollte er da unbedingt hin. Auf dem Weg dorthin gefiel mir der Ort immer besser, und ich ertappte mich dabei, ernsthaft darüber zu sinnieren, was es wohl kosten mochte, in Vehlefanz ein Haus zu kaufen, und ob man das Eigenkapital für eine Finanzierung wohl durch Crowdfunding zusammenkriegen könnte, wenn man das Haus nicht bloß dazu nutzen wollte, selbst darin zu wohnen, sondern für ein Projekt. Eine Jüngerschaftsschule für Familien etwa, auch wenn man dem Projekt, damit es mit dem Crowdfunding klappt, vielleicht einen weniger fromm klingenden Namen geben müsste. Auf jeden Fall, sagte ich mir, müsste man einen Andachtsraum einplanen. – Und kaum war ich mit meinem Luftschlösserbauen bis zu diesem Punkt gekommen, da sah ich zu meiner Linken ein Gebäude, an deren Fassade der Schriftzug "Christliche Kita am Mühlensee" prangte, und dachte: Gibt's ja gar nicht

Bei näherer Betrachtung erwies sich diese Kita als zur Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Oberkrämer gehörig, deren Gemeindezentrum im gleichen Gebäude untergebracht war. Neugierig geworden, fragte ich meinen Sohn etwas suggestiv, ob er vielleicht eine neue Windel brauchte, und als er bejahte, drückte ich kurzentschlossen die Türklinke herunter. Die Tür war verschlossen, aber Sekunden später kam eine freundlich aussehende Mitarbeiterin und öffnete. Ich erklärte ihr, wir seien nur zufällig vorbeigekommen, und fragte, ob ich meinem Sohn hier mal eben die Windel wechseln dürfe. "Ja, natürlich", erwiderte die Frau, bat uns herein, zeigte uns, wo der Wickelraum war, und bat uns, ihr Bescheid zu geben, bevor wir wieder gingen. – 

Nach erfolgreichem Windelwechsel nutzte ich die Gelegenheit, mich im Gebäude ein wenig umzusehen; ich warf einen Blick in den Gottesdienstraum und ans Schwarze Brett und nahm mir am Schriftenstand einiges an Infomaterial mit – darunter einen Flyer für eine "Osterjugendkonferenz" am Samstag in der Osteroktav und einen für eine "Outdoor-Bibelschule" im Sommer. Sollte man wohl mal im Auge behalten. 

Auf den ersten Blick leicht zu übersehen: das Schlagzeug im Glaskäfig (rechts)

Machen wir uns jedenfalls erst mal die Notiz, dass die Freikirche die aktivste und präsenteste Glaubensgemeinschaft in Vehlefanz zu sein scheint; anders als die evangelische Landeskirche feiert sie schließlich jeden Sonntag einen Gottesdienst in diesem Dorf. Katholischerseits gehört der Ort übrigens zur Pfarrei Zu den Heiligen Schutzengeln in Hennigsdorf, die ihrerseits zum Pastoralen Raum Birkenwerder-Hennigsdorf-Oranienburg gehört. Der nächstgelegene katholische Gottesdienstort ist die Christus-König-Kapelle in Kremmen, 7 Kilometer entfernt, gefolgt von der Kirche St. Joseph in Velten, knapp 10 Kilometer entfernt. Da kamen wir übrigens auf dem Rückweg nach Berlin vorbei, kamen aber nicht mal aufs Grundstück, das zur Straße hin durch einen Metallzaun mit verschlossenem Tor begrenzt wurde. 

Aber mal zurück nach Vehlefanz: Die gesuchte Windmühle befand sich tatsächlich ganz in der Nähe des freikirchlichen Gemeindezentrums, und nachdem wir uns diese angesehen hatten (von außen), entdeckte mein Sohn auf einer Infotafel ("Wanderkarte Mühlensee") einen Hinweis auf den Wasserturm im Nachbarort Schwante und beschloss, da wolle er auch noch hin. Also machten wir uns auf den Weg nach Schwante – und kamen dabei allen Ernstes an einer Milchtankstelle vorbei! Um dort Milch zu tanken, hätte man seine eigene Flasche oder Kanne mitbringen müssen, aber wir kauften uns am Automaten ein Eis, das wir uns auf dem weiteren Weg teilten. Man hätte an der Milchtankstelle übrigens auch Würste aus Wasserbüffelfeisch kaufen können... Kurz darauf kamen wir an einer Weide vorbei, auf der Tiere grasten, von denen ich auf die Entfernung nicht sicher erkennen konnte, ob das Alpakas waren oder extrem seltene Langhals-Riesenschafe. "Ich glaube, das sind Kamele", warf mein Jüngster hilfreich ein. 


Schwante selbst wirkt übrigens nochmals deutlich ländlicher als Vehlefanz; einige Leute halten dort sogar Hühner im Vorgarten. Im Pfarrhaus von Schwante wurde 1989 die Sozialdemokratische Partei der DDR gegründet, und die dortige Dorfkirche ist, anders als die in Vehlefanz, frei zugänglich; aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden... 


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