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Donnerstag, 13. Oktober 2016

Die Stimme seines Herrn

Gestern sagte ich mir, am Nachmittag könnte ich mir eigentlich ein bisschen Zeit nehmen, um zur Eucharistischen Anbetung zu gehen. -- Ich sollte dazu erwähnen, dass ich die Eucharistische Anbetung erst seit relativ kurzer Zeit für mich entdeckt habe, seit zwei, zweieinhalb Jahren, würde ich mal schätzen, und dann auch nur so nach und nach. Aus meiner Kindheit und Jugend kenne ich diese Gebetspraxis nicht, obwohl ich eigentlich sehr "kirchennah" aufgewachsen bin. Dass es diese Praxis in meiner Heimatgemeinde in Butjadingen nicht gegeben hätte, möchte ich nicht behaupten; aber wenn ich damals nichts davon mitbekommen habe oder es so wenig Eindruck auf mich gemacht hat, dass ich mich heute nicht mehr daran erinnern kann, dann sagt das ja auch schon was aus. Ich wurde, kurz gesagt, als Kind bzw. Jugendlicher nicht an die Eucharistische Anbetung "herangeführt" - wie an so vieles Andere aus der reichen Schatzkammer des katholischen Glaubens auch nicht. Seufz. Und das, obwohl ich doch so kirchennah aufgewachsen bin. Aber ich wiederhole mich. 

Dafür, dass ich schließlich doch noch einen Draht zur Eucharistischen Anbetung gefunden habe, war es hilfreich, dass mein kürzlich gekündigter Arbeitsplatz in unmittelbarer Nähe der Kirche St. Clemens in Berlin-Kreuzberg lag - und in dieser Kirche wird Ewige Anbetung praktiziert, tatsächlich rund um die Uhr. Ich würde sagen, in dieser Kirche habe ich erstmals bewusst wahrgenommen, wie Menschen unterschiedlichster Herkunft und unterschiedlichen Alters voller Hingabe vor dem Allerheiligsten knien, und irgendwie muss mich das darauf gebracht haben, dass an der Sache ja wohl was dran sein müsse. Und dann bin ich irgendwann mal zu Nightfever gegangen (und seitdem immer wieder). Und das war ein ganz entscheidender Schritt dazu, mir die Schönheit und Faszination der Eucharistischen Anbetung zu erschließen. -- Man könnte ja meinen (und, je nach Einstellung, gegebenenfalls auch kritisieren), dass das "Gesamtpaket" Nightfever - die späte Stunde, das Kerzenlicht, die Musik... - auf emotionale Überwältigung ausgerichtet sei; aber nach meiner Erfahrung ist das Faszinierende an Nightfever, dass das Herz und die Seele des Ganzen tatsächlich die Gegenwart des Eucharistischen Herrn ist und die ganze - wenn man so will - "Inszenierung" nicht etwa davon ablenkt, sondern vielmehr darauf hin lenkt. Ich kann Nightfever nur empfehlen. Aber ich gehe, wenn es sich einrichten lässt, auch gern zur stillen Anbetung in "ganz normale" Kirchen. Wenn es keine Aussetzung des Allerheiligsten gibt, ist Anbetung durchaus auch vor dem geschlossenen Tabernakel möglich. Wobei das für mein Empfinden doch nicht ganz dieselbe Intensität hat. 

Gestern jedenfalls wollte ich zur Anbetung in die Kirche St. Nikolaus im Stadtteil Friedrichshain gehen. Bis vor kurzem habe ich da ganz in der Nähe gewohnt, dennoch hatte ich lange Zeit überhaupt nichts von der Existenz dieser Kirche gewusst. Was insofern vielleicht erklärlich ist, als das Gebäude äußerlich überhaupt nicht als Kirche zu erkennen ist - ein niedriger, unansehnlicher Bau im Schatten der Protz-Wohnblöcke der Stalinallee. Erst kürzlich wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass in St. Nikolaus - früher einmal der Sitz der Katholischen Studentengemeinde der Humboldt-Uni - seit 2004 die Gemeinschaft "Brot des Lebens" ansässig ist und dass es dort an vier Tagen in der Woche jeweils vier Stunden Eucharistische Anbetung gibt. Seither war ich einmal dort gewesen und hatte mir vorgenommen, demnächst öfter hinzugehen. 


Allerdings ging es mir gestern eigentlich überhaupt nicht gut. Einerseits hatte ich immer noch mit der Männergrippe zu kämpfen, andererseits war ich am Abend zuvor trotzdem in den Pub meines Vertrauens gegangen und hatte dort vor lauter Freude darüber, dass mir das Bier doch schon wieder schmeckt, eins zuviel getrunken. Und dann war ich zwar zu einer einigermaßen zivilen Zeit zu Hause gewesen, aber statt mich direkt schlafen zu legen, hatte ich mich an Sir John Retcliffes Roman "Solferino" festgelesen. Bis zwei oder drei Uhr nachts. Das Buch ist einfach so spannend, was sollte ich machen. Eigentlich wäre ich also gestern am liebsten den ganzen Tag im Bett geblieben. Machte ich aber nicht, sondern schrieb am frühen Nachmittag einen angefangenen Blogartikel fertig, und dann machte ich mich doch auf den Weg nach Friedrichshain. 

Eigentlich wäre die U-Bahn-Station Frankfurter Tor am nächsten dran gewesen, aber aus alter Gewohnheit - weil ich da wie gesagt bis vor Kurzem gewohnt habe - stieg ich schon an der Weberwiese aus und hatte somit einen etwas längeren Fußweg. In der Hildegard-Jadamowitz-Straße spazierte eine Familie vor mir her, oder genauer gesagt: eine Frau, zwei oder drei Kinder im Vor- oder Grundschulalter und ein ziemlich großer Hund; und ich dachte spontan, dass ich es schön fände, wenn die auch zur Anbetung wollten. Darüber, ob das eine realistische Annahme war, machte ich mir überhaupt keine Gedanken. Wie sich zeigte, wollte zumindest der Hund anscheinend wirklich zur Anbetung, jedenfalls strebte er sehr entschlossen auf die Haustür mit der Nummer 25 zu. Aber die Familie hatte offenbar andere Pläne. Schade eigentlich. 

Nun war ich wie gesagt verschnupft, ein bisschen verkatert und unausgeschlafen und hatte das vage Gefühl, das seien nicht gerade ideale Voraussetzungen für eine erbauliche Anbetung. Aber glücklicherweise war mir auf dem Weg von der U-Bahn bis zur Kirche halb unbewusst ein Lied durch den Kopf gegangen, das auch beim Nightfever immer gern gesungen wird und von dem ich aus Urheberrechtsgründen hier nur ein paar Verse zitiere: 
"Herr, ich komme zu Dir
Und ich steh vor Dir so wie ich bin.
[...]
Was mich hindert, ganz bei Dir zu sein, räume aus." 
Das ist genau der Punkt. Come as you are. Man kann vielleicht der Meinung sein, man sei gerade "nicht in der richtigen Stimmung" zur Anbetung, aber eigentlich ist es egal, in was für einer Stimmung man gerade ist. Man muss diese Stimmung nur vor Gott bringen, und alles Weitere ergibt sich. 

Ich trete ein --- Stille. Eine so intensive Stille, dass sie mir geradezu laut vorkommt. Die Luft hier drin scheint irgendwie schwerer zu sein als draußen, aber es ist eine angenehme Schwere. 
Setz dich erst mal hin. Nimm dir Zeit, anzukommen. Sage ich mir das selber, oder...? 
Außer mir sind eine Frau und ein Mann in der Kirche. Die Frau geht, kurze Zeit nachdem ich angekommen bin, hinaus. Ich vermute, dass beide zur Gemeinschaft Brot des Lebens gehören und sich gerade bei der "Gebetswache" abgelöst haben, denn es ist gerade die volle Stunde durch. 
Nach ein paar Minuten gehe ich wie von selbst vom Sitzen zum Knien über. Eine halbe Stunde, so hatte ich es mir vorgenommen, wollte ich hierbleiben. Schweigen. Still ein Gebet aus dem Gotteslob lesen, genauer gesagt: zwei. Wieder schweigen. In Gedanken ein Lied singen. Und wieder schweigen. Ich muss mir nicht überlegen, was davon ich wann tun will. Es kommt einfach ganz natürlich. Und ehe ich's mich versehe, ist die halbe Stunde vorbei. Ich bleibe noch ein bisschen. 

Vom Pfarrer von Ars wird berichtet, er habe in seiner Kirche regelmäßig einen einfachen Bauern angetroffen, der oft stundenlang vor dem Tabernakel verharrte. Als der Pfarrer ihn einmal darauf ansprach, was er da eigentlich so lange mache, antwortete der Bauer: "Ich schaue Ihn an, und Er schaut mich an. Das genügt." Das ist für mich die schönste Beschreibung dessen, worum es in der Eucharistischen Anbetung geht. Aber so einfach sich das anhört, so schwer ist es, das wirklich in die Tat umzusetzen. Für mich jedenfalls. Es gibt bestimmt Menschen, denen es leichter fällt als mir. In der Kathedrale von Santiago, vor etwa sechs Wochen, hat mir ein Priester als geistliche Übung aufgegeben, vor Gott still zu sein. Das übe ich seitdem. Einfach mal die Klappe halten. Nicht nur die Zunge zum Schweigen bringen, sondern auch die Gedanken. Still sein und offen, auf Gott hin geöffnet. Bisher gelingt mir das kaum je länger als drei, vier Sekunden am Stück. Aber in diesen wenigen Sekunden ist das Bewusstsein der Gegenwart Gottes so intensiv, so überwältigend, dass ich mich manchmal frage, wie man das überhaupt länger aushalten können sollte. 

Und das Komische ist, mit meinem verschnupften, verkaterten, unausgeschlafenen Kopf gelingt mir das sogar besser als sonst. 

Als ich die Kirche verlasse, fühle ich mich wie innerlich aufgeräumt. Das geht mir jedesmal so nach der Eucharistischen Anbetung. Mal ist das Gefühl intensiver, mal weniger intensiv, aber es ist immer da

Ich gehe bald wieder hin. 



3 Kommentare:

  1. Danke für diese schönen Ausführungen, in denen ich auch durchaus mich selbst erkenne. Volle Zustimmung!
    Gruß Jürgen Hülf

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  2. Gib mir ein noooies ungeteiltes Heeerz...

    :-)

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  3. das ist so schön, dass ich ein bissel weinen muss.

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