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Dienstag, 29. Dezember 2015

Wir schaffen Weihnachten!

Nein, man hat es nicht leicht an Weihnachten, so als Christ. Allzu Viele scheint es zu geben, die einem die Feier der Geburt des Herrn schlicht nicht gönnen wollen. Die das Fest entweder für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren möchten oder es lieber gleich ganz im Orkus der Geschichte verschwinden sähen, mitsamt dem ganzen Christentum. So tischt beispielsweise Deutschlands meistes Nachrichtenmagazin, der SPIEGEL, seinen Lesern alle Jahre wieder just zur Weihnachtszeit ein Titelthema auf, mit dem Gott, Christus, die christlichen Kirchen und/oder Religion ganz allgemein geschmäht werden. Es lohnt sich nicht, sich darüber aufzuregen. Die werden nicht damit aufhören. Solange, bis sie eines Tages der Blitz auf dem Lokus trifft. 

Hinter solcher Chuzpe will natürlich auch das Berliner Stadtmagazin zitty - einst stolze Lifestyle-Bibel für in der bürgerlichen Mitte angekommene Ex-Alternative, ein veritabler Papierberg in Hochglanzeinband, neuerdings aber geschrumpft zum schmalen Wochenblatt auf Recyclingpapier - in seiner Weihnachtsausgabe nicht zurückstehen. Den doppelseitigen Cartoon "Weihnachten ist am vierundzwanzigsten Dezember" von Hannes Richert, in dem es heißt, Weihnachten sei vor allem deshalb "das geilste christliche Fest", weil es da die besten "Spezialsüßigkeiten" gebe und man sich außerdem den Termin leichter merken könne als im Fall von Ostern und Pfingsten, kann man mit etwas gutem Willen zur Ironie noch schmunzelnd goutieren, womöglich gar als sarkastischen Kontrapunkt zur lifestyligen Titelstory des Hefts, "Hiergeblieben!" ("Absackerbars, reichlich Theater und in Ruhe tanzen: Warum Berlin in den Feiertagen am schönsten ist", S. 14-19) auffassen. Einen unerwarteten Tiefschlag versetzt die zitty der Christenheit jedoch in ihrem Artikel "Mythos Tegel" (S. 28f.): Zu den sechs Argumenten, die das Blatt dafür nennt, dass der Westberliner Flughafen einzigartig, unverzichtbar und erhaltenswert sei, zählt, man lese und staune, der Umstand, dass er keinen Gebetsraum hat. Warum ist das gut? Tja, weil: "Zu oft genießen Religionen noch immer allerlei Sonderrechte - in Deutschland darf die katholische Kirche millionenfach Steuern erheben" - seit wann eigentlich nur die katholische? Hab ich was verpasst? Egal:
"In Tegel dagegen gibt es keine Sonderbehandlung für die Konfessionen. Hier findet man nämlich nirgends eine Kapelle oder sonstige Sakralräume [...]. Das ist fortschrittlich und aufgeklärt. Religion bleibt eine Privatsache. Wer vor dem Bordgang ein Stoßgebet losschicken will, um die Flugangst zu vertreiben, muss dies in aller Stille im Wartesaal tun." 
So so, hm hm. Zwar spricht zugegebenermaßen Einiges dafür, dass der gesamte Tegel-Artikel ironisch zu verstehen ist. Leider traue ich es der zitty aber zu, dass just dieses Detail ernst gemeint ist: dass es tatsächlich als "fortschrittlich und aufgeklärt" angesehen wird, Gläubigen aller Bekenntnisse die Ausübung ihrer Religion zu erschweren. Seh'n se, det is Berlin

Angesichts eines solchen Verständnisses von Fortschritt und Aufklärung blickt die zitty-Redaktion vermutlich scheelen Auges nach Somalia, wo Weihnachten heuer kurzerhand verboten wurde. "Wir sind ein muslimisches Land", erklärte der Minister für religiöse Angelegenheiten, Sheik Mohamed Kheyroow. "Und es gibt null Toleranz für solche unislamischen Feiern in unserem Land." Ähnlich aufgeklärt und fortschrittlich geht es im kleinen, aber reichen Sultanat Brunei auf der Insel Borneo zu: Dort dürfen Christen nur in geschlossenen Räumen und nur mit behördlicher Genehmigung Weihnachten feiern, Muslimen ist die Teilnahme an diesen Feiern strikt untersagt. Öffentliches Aufstellen von Weihnachtsbäumen, das Tragen von Weihnachtsmannmützen oder das mündliche oder schriftliche Übermitteln von Weihnachtsgrüßen kann mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. 

Verglichen damit haben wir es hierzulande ja noch richtig gut. Andererseits: Wozu braucht das Christentum Feinde, wenn es die Evangelische Kirche hat? Die leistet sich zum Beispiel Geistliche wie Isabel Klaus, Pastorin an der Bremer Remberti-Kirche, die sich in einem Interview mit dem Weser-Kurier nicht entblödet zu erklären:
"Wir lesen im Gottesdienst die Weihnachtsgeschichte. Dabei weiß jedes Kind, dass Maria keine Jungfrau war und der Heilige Geist nicht für ihre Schwangerschaft verantwortlich ist. Die Weihnachtsgeschichte hat so nicht stattgefunden. Und trotzdem ist sie das große Glaubensmärchen, das seit Jahrhunderten einen hohen Stellenwert im Christentum hat. Aber die Leute wollen eben nicht veräppelt werden. Wir haben die Aufklärung hinter uns und wissen, was an dieser Geschichte wahr ist und was nicht." 
Noch etwas weiter nördlich, im Kirchenkreis Wesermarsch, gibt es den Kreisjugenddiakon Hauke Bruns, der jüngst mit der Nordwest-Zeitung über die "Magie [!] von Weihnachten" sprach. Was für eine Magie? Na ja: "Das große Staunen, das Hoffen und Bangen, ob man das Geschenk bekommt, was man sich wünscht, und das Sich-Überraschen-Lassen, das Nicht-Erwarten-Können". Ach so. Auf die anscheinend etwas irritierte Nachfrage des NWZ-Journalisten, "Verbinden Kinder und Jugendliche mit Weihnachten mehr als nur Geschenke?", räumt Hauke Bruns ein:
"Meine Kinder wissen aus Kindergarten, Schule und Gottesdiensten, dass an Weihnachten Jesus geboren worden ist. Ob sie damit auch den Erlöser der Welt und den Friedensbringer stets vor Augen haben, weiß ich nicht". 
Klar, woher soll er das auch wissen - er ist ja nur der Vater. Und Kreisjugenddiakon in der Evangelischen Kirche.

Aber okay. Wenn Kirchenvertreter schon selber nicht mehr wissen, worum es an Weihnachten geht, ist es nur umso besser, wenn sie von Außenstehenden daran erinnert werden. Beispielsweise von Kabarettisten, Comedians und Linke-Politikern (die Grenzen zwischen diesen Personengruppen mögen fließend sein). Schon mindestens seit Anfang November verbreitete sich ein Spruch in den Sozialen Netzwerken, der mit diversen Variationen ungefähr so ging:
"In den nächsten Wochen feiert das christliche Abendland einen ungarisch-römischen Soldaten (11.11., Heiliger Martin), einen türkischen Bischof (6.12., Heiliger Nikolaus), einen aramäischen Wanderprediger (24.12., Jesus), ein paar jüdische Hirten (25.12.) und drei persisch-arabische Sterndeuter (6.1., Heilige Drei Könige).
Man stelle sich vor, die würden als Gruppe im Advent versuchen, montags in Dresden über den Weihnachtsmarkt zu laufen." 

An der hier offenbar beabsichtigten Aussage, manch Einer, der für sich in Anspruch nimmt, das "christliche Abendland" zu verteidigen ("montags in Dresden" spielt selbstverständlich auf PEGIDA an), ist von Fall zu Fall sicher was Wahres dran. Dabei wirkt es dann allerdings etwas tragikomisch, dass an dieser Aufzählung so gut wie alles falsch ist - so pedantisch und humorlos es auch anmuten mag, darauf hinzuweisen und es im Einzelnen zu belegen. Spätestens als kirchliche Stellen, beispielsweise die Social-Media-Redaktionen mehrerer katholischer Bistümer, den Spruch übernahmen, konnte oder musste man jedoch anfangen sich zu fragen, ob da nicht vielleicht ein paar Leutchen sitzen, die in Jesus Christus mehr sehen als irgendeinen "aramäischen Wanderprediger". Und wenn nein, warum nicht. Richtig peinlich wurde es, als der "unkonventionelle" katholische Pfarrer Rainer Maria Schießler aus München den Spruch Ende November beim "Sonntags-Stammtisch" im Bayerischen Fernsehen zitierte und dafür u.a. von katholisch.de abgefeiert wurde, als sei er der Urheber dieser fragwürdigen Weisheit. Eine adäquate Antwort auf den Hype fand Catholicism Wow
"Am 25. Dezember feiern wir die Geburt eines radikalen jüdischen Wanderpredigers, der mit einer Geißel gegen religiös verbrämte Geldmacherei vorgegangen ist. Man stelle sich vor, der käme heute nach Bonn." 
Aber ach, im Großen und Ganzen glich der Versuch, der nun nicht gerade neuen Tendenz zur Politisierung der christlichen Weihnachtsbotschaft zu widersprechen, in diesem Jahr dem Versuch, mit einer Muschel den Ozean auszuschöpfen. Allüberall wurde man belehrt, das Weihnachtsevangelium erzähle von einer "Flüchtlingsfamilie aus dem Nahen Osten"; und die Kirchen machten da kräftig mit. Nun finde ich es zwar grundsätzlich völlig richtig, darauf hinzuweisen, dass das christliche Gebot der Nächstenliebe verlange, Notleidenden zu helfen, was selbstverständlich auch und nicht zuletzt für Flüchtlinge gilt. Aber sollte es nicht möglich sein, diese Aussage 'rüberzubringen, ohne dafür die Weihnachtsgeschichte zu verballhornen und die heilsgeschichtliche Dimension der Geburt Jesu Christi auszublenden? 

Vor diesem Hintergrund war ich beinahe angespannt, als in der Christmette in der Dominikanerkirche St. Paulus in Berlin-Moabit der Zelebrant, Pater Michael, in seiner Predigt die Worte "in der Herberge war kein Platz für sie" aus dem Weihnachtsevangelium nach Lukas (2,7) als "elementar" hervorhob. Pater Michael wollte aber auf etwas Anderes hinaus als das scheinbar Offensichtliche: Er zog eine Parallele zu einem Vers aus dem Prolog des Johannesevangeliums - "Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf" (Joh 1,11) - und stellte die Frage in den Raum: "Haben wir in unserem Leben Platz für Gott?" Meine Liebste, die mit mir in dieser Christmette war, hat bereits gestern Abend über die Predigt gebloggt, und ich bin mal so frei, den Kernabschnitt ihres Artikels zu zitieren: 
"Bevor wir anfangen, Josef und Maria als Obdachlose oder als Flüchtlinge zu imaginieren, sollten wir lernen, das Gleichnis zu lesen, das Gott uns mitteilt, indem er Maria seinen Sohn nach erfolgloser Herbergssuche in einem Stall zur Welt bringen und in eine Krippe legen lässt.
Gott will zu uns kommen, zu jedem einzelnen. Und auch, wenn wir uns ihm nicht öffnen, hört er nicht auf, nach uns zu fragen.
Die Herberge aber, die er in der Welt haben will, die einzige, die er wirklich sucht, ist unser Herz.
Dies ist auch heute aktuell und hat nichts von seiner Wichtigkeit verloren." 
Besser könnt' ich's nicht sagen! - Tags darauf gingen wir in Herz Jesu in Prenzlauer Berg zur Messe, und auch da war's schön und feierlich; Abzüge in der B-Note gibt's jedoch für die Fürbitten. Zur Erläuterung für Nicht-Kenner der katholischen Liturgie: Die Fürbitten, auch Allgemeines Gebet genannt, bilden nach der Predigt und (an Sonntagen und Hochfesten) dem Credo den Abschluss des Wortgottesdienstes, bevor dann mit der Gabenbereitung die Eucharistiefeier eingeleitet wird. Dieses Allgemeine Gebet gehört zu den Teilen der Liturgie, die relativ frei gestaltet werden können, allerdings gibt es durchaus so etwas wie ein gängiges und bewährtes Schema. Üblich sind ungefähr fünf Fürbitten pro Gottesdienst, wobei die letzte in der Regel den Verstorbenen gewidmet ist; ansonsten wird gewöhnlich für die Kirche, für die Gläubigen, für die Welt sowie für Kranke und Leidende gebetet. Da all dies allerdings auch im Eucharistischen Hochgebet angesprochen wird, spräche im Prinzip auch nicht zwingend etwas dagegen, das Allgemeine Gebet einfach wegzulassen, aber das wird kaum gemacht, zumal es eine gute Gelegenheit bietet, die Laien aktiv in die Liturgie einzubeziehen. Nicht unüblich ist es, eine Fürbitte einem aktuellen Anlass des Weltgeschehens zu widmen; auch Fürbitten für die Regierenden und "alle, die Verantwortung tragen" sind nicht selten. In dieser Weihnachtsmesse in Herz Jesu jedoch waren alle Fürbitten politisch und bezogen sich mehr oder weniger explizit auf die Flüchtlingskrise. Das war ein bisschen viel des Guten. Zudem waren die Fürbitten so gestaltet, dass jeweils ein Detail der Krippenerzählung nach Lukas 2 allegorisch auf die politische Lage bezogen wurde. Besonders die zweite Fürbitte ist bei mir hängen geblieben: 
"Das Jesuskind wurde in eine Krippe gelegt. Herr, gib auch uns immer wieder die Kraft und Kreativität, um die Flüchtlinge mit allem zu versorgen, was sie brauchen." 
Krippe, Kraft, Kreativität - unser alltäglich Alliteration gib uns heute, o Herr. 

Noch einmal: Dass die Kirche sich für Flüchtlinge einsetzt und die Gläubigen dazu anhält, das ebenfalls zu tun, ist richtig und gut. Rückt dieses Thema jedoch so sehr in den Vordergrund, dass alles Andere - außer vielleicht noch der Klimawandel - dahinter zu verschwinden droht, dann ist etwas faul in der Kirche. Schließlich hat sie in allererster Linie einen geistlichen Auftrag, und auch das Gebot der Nächstenliebe droht seine wahre Bedeutung zu verfehlen, wenn es nicht im Zusammenhang mit der christlichen Heilslehre gesehen wird. Bei so manchen Bekundungen kirchlicher Stellen zur Flüchtlingspolitik kann man den Eindruck haben, dass sie im Grunde nicht den Flüchtlingen helfen, sondern den Kurs der Merkel-Regierung stützen sollen. Ein, wie ich finde, besonders widerwärtiges Beispiel hierfür ist eine Reihe von Spruchbildern, die die Katholische Landjugendbewegung (KLJB) Bayern auf Facebook verbreitet hat: 
"'Wir schaffen das', sagte eine junge Frau aus Galiläa, als sie erfuhr, dass sich ihr Leben radikal verändern würde."
"'Wir schaffen das', sagte der junge Zimmermann, als er mit Frau und Kind nach Ägypten fliehen musste."
"'Wir schaffen das', sagten die Hirten, als sie 'Fürchtet euch nicht' hörten und sich auf den Weg machten."
"'Wir schaffen das', sagte der Herbergsvater, der der jungen Familie seinen Stall anbieten konnte, weil kein Platz in der Herberge frei war." 
Ist Frau Merkel eigentlich schon zur Heiligsprechung angemeldet worden? - Ich mag diesen Unfug gar nicht weiter kommentieren, denn ich vermute, den Einen muss ich nicht groß erklären, warum ich dabei Schreikrämpfe bekomme, und den Anderen werde ich es kaum erklären können. Zumindest aber möchte ich an dieser Stelle mal die Frage aufwerfen: Was ist eigentlich aus der Trennung von Staat und Kirche geworden? Seit dem Investiturstreit des 11. und 12. Jahrhunderts hat das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im heutigen Deutschland so einige Wandlungen durchgemacht, aber die Versuchung, sich in die Belange des jeweils Anderen einzumischen, hat seither immer mal wieder ihr hässliches Haupt erhoben. Der Investiturstreit war, dem Wortsinne nach, ein Streit darum, wer wem das Gewand anzieht - wobei das Gewand natürlich symbolisch zu verstehen war für das Amt und die damit verbundenen Würden, oder anders ausgedrückt: die Autorität. Dass dieser Streit damals mehr oder weniger unentschieden bzw. in einer Pattsituation endete, bildete gewissermaßen die Grundlage für die Trennung von Staat und Kirche, wie wir sie heute kennen: Der Staat verdankt seine Autorität nicht der Kirche, umgekehrt aber die Kirche die ihre auch nicht dem Staat. Und das ist auch gut so, sagt doch schon Jesus Christus in aller Deutlichkeit: "Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört" (Lukas 20,25). Schon deshalb täte die Kirche gut daran, allzu große Nähe zum Staat zu meiden. Aber das ist ein anderes Problem und soll ein andermal erörtert werden.

Oder vielleicht auch lieber nicht.


2 Kommentare:

  1. "In Tegel dagegen gibt es keine Sonderbehandlung für die Konfessionen."
    Da fallen mir zwei Dinge ein.
    Erstens: Ich habe vorzeiten ehrenamtlich als Vollzugshelferin gearbeitet.
    Zweitens: Das Wort Sonderbehandlung wurde vor einigen Jahrzehnten in einer sehr unschönen Weise umgedeutet.
    Insofern bin ich ganz froh, daß Christen in deutschen Knästen, dem Vernehmen nach, nicht ermordet werden.

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    1. Mit "Tegel" war in diesem Fall allerdings der Flughafen gemeint. Davon abgesehen volle Zustimmung...

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