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Freitag, 23. Mai 2025

Kommt Zeit, kommt Farm: Der aktuelle Stand in Sachen Pfarrhausfamilien-Projekt

Wie in letzter Zeit schon ein paarmal erwähnt, lese ich gerade einen Auswahlband von Dorothy Days unter dem Reihentitel "On Pilgrimage" erschienenen Catholic Worker-Kolumnen aus den 1960er Jahren; inzwischen bin ich damit im Jahr 1965 angekommen, und im Beitrag aus dem Januar 1965 las ich die folgenden Zeilen (eigene Übersetzung): 

"Da es so häufig Fragen darüber gibt, worum es beim Catholic Worker überhaupt geht, möchte ich versuchen, dieses neue Jahr mit einer kleinen Diskussion über Ziele und Absichten zu beginnen. 

Im Besonderen handelt es sich dabei um Fragen wie: Wann werden wir endlich beginnen, die Dinge zu tun, über die wir immer reden – eine Farmkommune gründen, eine 'Agronomische Universität', eine Landvolksschule, eine Synthese aus Kult, Kultur und Kultivation? Und dann [...] wird diskutiert, was für eine Art von Leuten wir bräuchten, um einen Ort von der Art zu schaffen, wie wir immer sagen, dass wir ihn haben wollen. Gott bewahre, dass wir jemals aufgeben oder entmutigt werden oder aufhören, es zu versuchen. Unser Motto ist jener Satz aus den Psalmen: 'Nun habe ich begonnen'. Zugleich aber auch: 'Der Mensch denkt und Gott lenkt', und 'Gott kann auf krummen Zeilen gerade schreiben'. Und ich bin in der Tat überzeugt, dass wir das vollbringen, was Er von uns will, und damit zugleich auch das, was wir uns vorgenommen haben. Ich bin überzeugt, dass wir auf dem richtigen Pfad sind, auf DEM WEG." 

Ich muss sagen, ich fand diese Passage ausgesprochen ermutigend – um nicht zu sagen tröstlich angesichts des Umstands, dass es mit unserem Pfarrhausfamilien-Projekt nun doch nicht so zügig vorangeht, wie es zeitweilig den Anschein hatte. Aufmerksamen Lesern ist es nicht entgangen, dass wir hinsichtlich der Frage, ob es mit der Pfarrhauswohnung klappen würde, die wir uns Anfang März angesehen hatten, einige Wochen lang zwischen Hoffen und Bangen geschwankt haben. Nachdem es zunächst so ausgesehen hatte, als hätten wir die Wohnung fast (aber eben nur fast) sicher, waren plötzlich doch noch unerwartete technische und bürokratische Hindernisse aufgetaucht, die es fraglich erscheinen ließen, ob – und wenn ja, ab wann – die betreffende Wohnung überhaupt würde vermietet werden können. Anfang Mai war eine eindeutige Klärung dieser Frage immer noch nicht in Sicht, aber für meine Liebste und mich drängte allmählich die Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Schließlich würden wir, wenn wir zum neuen Schuljahr mit dem Pfarrhausfamilien-Projekt starten wollten, unsere Wohnung in Berlin kündigen müssen, und meine Liebste müsste sich an eine Schule an unserem angestrebten zukünftigen Wirkungsort versetzen lassen. Somit sind wir nun, wenn auch unter Schmerzen, zu dem Entschluss gelangt, dass wir dieses Risiko bei der aktuellen Unklarheit der Lage nicht eingehen können. Das heißt: In diesem Jahr – und damit aller Wahrscheinlichkeit nach auch im ganzen Schuljahr 2025/26 – wird es erst mal nichts werden mit dem Projekt "Pfarrhausfamilie"

Wahrscheinlich war es auch von vornherein etwas übertrieben wagemutig, anzunehmen, man könnte derart Hals über Kopf in ein solches Projekt starten – besonders nachdem ich noch kurz zuvor geschrieben hatte, eine "wirklich umwälzende Veränderung unserer allgemeinen Lebenssituation" sei "im Moment, und für die nächsten Jahre, erst mal nichts, was wir aktiv anstreben". Aber ich hatte, als wir dieses Angebot bekamen, wohl so ein "Jetzt oder nie"-Gefühl; im Sinne von "Wenn wir das jetzt nicht machen, bekommen wir so eine Chance vielleicht nicht wieder". Deshalb war die Einsicht, dass es so schnell jetzt doch nicht geht, erst einmal nicht leicht zu verdauen. Aber wenn ich mal ruhig und besonnen darüber nachdenke, glaube ich, es spricht gar nicht so viel dafür, dass dieses "Jetzt oder nie"-Gefühl Recht behält. Und ich glaube darüber hinaus, dass die Zeit, in der wir uns darauf vorbereitet haben, dass es praktisch sofort losgehen könnte mit dem Pfarrhausfamilien-Projekt, uns der Verwirklichung dieses Projekts tatsächlich ein gutes Stück näher gebracht hat. 

Okay, in diesen beiden Aussagen ist ganz schön Vieles enthalten, was ich erläutern sollte. Wie fange ich an? 

Vielleicht mal so: Als ich mir die in Frage stehende Pfarrhauswohnung und das ganze Drumherum zum ersten Mal anschaute, war mein Eindruck, das sei alles fast zu gut um wahr zu sein. Die Wohnung hatte die richtige Größe für uns, es gab zwei Kinderzimmer, einen kleinen Garten, die Kirche gefiel mir gut, es gab auf dem Grundstück noch ein kleines Nebengebäude, das derzeit nur als Rumpelkammer genutzt wird und gewissermaßen auf ein neues Nutzungskonzept wartet; auch die Stadt selbst gefiel mir gut, und ich sah interessante Perspektiven für Kooperationen mit den anderen christlichen Konfessionen vor Ort. Wenn man so etwas sieht, liegt es natürlich nahe, zu denken: So ideale Bedingungen finden wir doch nie wieder. Aber mal ganz abgesehen davon, dass die Möglichkeit, dass es dort zu einem späteren Zeitpunkt (konkret: nächstes Jahr) doch noch klappt, ja noch nicht vom Tisch ist (deshalb mag ich auch immer noch nicht verraten, wo das war, und möchte bezüglich der oben angedeuteten technischen und bürokratischen Hindernisse, die einer Vermietung im Weg stehen, nicht näher ins Detail gehen), muss man sich auch mal klar machen, dass wir uns noch gar keine andere Option angesehen haben und folglich überhaupt nicht beurteilen können, ob die dort vorgefundenen Bedingungen wirklich so einmalig sind. Man bedenke in diesem Zusammenhang auch, dass wir nahezu zeitgleich mit diesem Angebot noch ein zweites bekommen hatten – bei dem wir allerdings unsererseits zu dem Schluss gekommen waren, dass das für uns nicht funktioniert, aber auch das wäre bis nächstes Jahr vielleicht noch einmal zu überdenken, vorausgesetzt, die Wohnung ist dann noch zu haben. 

Was nun die Einschätzung angeht, das Projekt "Pfarrhausfamilie" habe in den zurückliegenden Monaten Fortschritte gemacht, die trotz des erst einmal unbefriedigenden Ergebnisses nicht umsonst gewesen sind, möchte ich diese wie folgt erläutern: Eine konkrete Möglichkeit vor Augen (gehabt) zu haben, wie die Idee der Pfarrhausfamilie in der Praxis aussehen könnte, hat uns konzeptionell weitergebracht, insofern als wir dadurch klarere Vorstellungen davon gewonnen haben, worauf es bei der Verwirklichung dieser Idee ankommt, welche Voraussetzungen gegeben sein müssten und welches die vorrangigen Schritte wären, um, wenn man die Wohnung erst einmal hätte, aus der bloßen Tatsache des Wohnens im Pfarrhaus ein Projekt zu machen, nämlich, um's mal auf den Punkt zu bringen, ein Projekt zur Gemeindeerneuerung und Neuevangelisierung. Auf diese konzeptionellen Überlegungen komme ich noch zurück; hinzu kommt, dass wir in den zurückliegenden Monaten viel ermutigenden Zuspruch für unsere Projektidee erfahren haben, interessante und vielversprechende Kontakte geknüpft haben und von verschiedener Seite, vom Baumhaus bis hin zum Achor-Verein, Rat und Unterstützung zugesagt bekommen haben. Da gilt es jetzt dranzubleiben, auch wenn der konkrete Start des Projekts erst mal etwas weiter in die Ferne gerückt ist. 

Versuchen wir daher an dieser Stelle mal übersichtlich zusammenzufassen, was wir im Rahmen der Projektidee "Pfarrhausfamilie" eigentlich konkret suchen, brauchen und vorhaben. – Eine primäre Voraussetzung für das Pfarrhausfamilien-Projekt ist natürlich eine geeignete Wohnung; aber was heißt "geeignet"? Wir stellen uns das ungefähr so vor: 

  • Die Wohnung sollte mindestens 4 Zimmer und ca. 80 m² Wohnfläche haben (mehr wäre auch nicht schlimm 😉); die Küche sollte groß genug sein, um auch als Esszimmer genutzt werden zu können (d.h. außer für die Küchenzeile sollte mindestens noch Platz für einen Esstisch und vier Stühle sein).
  • Ein bisschen Gartenfläche wäre schön, ist aber kein absolutes Muss.
  • Die Wohnung sollte möglichst auf demselben Grundstück liegen wie die örtliche Kirche, auf jeden Fall aber in unmittelbarer Nähe.
  • Idealerweise sollte es im selben oder einem benachbarten Gebäude einen Gemeindesaal und/oder andere Räume für Gemeindeaktivitäten geben.
Was den Ort angeht, wäre es mit Blick auf die Berufstätigkeit meiner Liebsten sehr vorteilhaft, wenn er im Land Brandenburg läge, und idealerweise sollte es dort ein Oberstufenzentrum geben – wenn nicht direkt selben Ort, dann zumindest in einer unschwer und ohne allzu großen Zeitaufwand mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbaren Umgebung. (Eine Versetzung in ein anderes Bundesland beantragen zu müssen, würde eine deutlich höhere Hürde bedeuten.) Sodann wäre es natürlich noch ein Kriterium, ob es am Ort eine gute Schule für unsere Tochter (bzw., auf gar nicht mal so lange Sicht, für unsere beiden Kinder) gibt; und zu guter Letzt wäre es auch noch von Vorteil, wenn man dort nicht unbedingt ein Auto zum Leben bräuchte. 

Gleichzeitig sollte es natürlich ein Ort sein, an dem wir mit unserem Engagement und unseren Ideen wirklich gebraucht werden; d.h., Orte, an denen es auch ohne unser Zutun ein aktives Gemeindeleben mit diversen "Gruppen und Kreisen" und/oder Verbänden wie Kolping, KAB, KDFB, SKM, DPSG usw. usf. gibt, wären eher nicht erste Wahl. Günstigere Voraussetzungen dürften Orte bieten, deren Kirche keine Pfarrkirche (mehr) ist, wo es folglich wenig oder gar kein speziell für diesen Kirchenstandort zuständiges hauptamtliches Personal gibt und wo auch die Ehrenamtlichen den Laden nicht so fest im Griff haben, dass sie Neuankömmlinge, die sich engagieren möchten, in erster Linie als Konkurrenz und Bedrohung wahrnehmen. 

Und was würden wir an so einem Ort nun konkret machen (außer eben dort wohnen)? – In unseren Überlegungen der letzten Monate und den Gesprächen, die wir zu diesem Thema geführt haben, haben sich zwei Arbeitsfelder als vorrangig herauskristallisiert:

  • Offene Kirche: Wenn man davon ausgeht, dass wir eine Kirche vorfinden, die außerhalb der Gottesdienstzeiten (nehmen wir mal an: eine Sonntagsmesse und eine Werktagsmesse pro Woche, vielleicht sogar noch weniger) üblicherweise zugesperrt ist, wäre es eine vorrangige Aufgabe, regelmäßige Zeiträume zu schaffen, in denen die Kirche offen ist. Dies sollte sowohl gestaltete Gebetszeiten (z.B. Rosenkranz, Andachten zu geprägten Zeiten des Kirchenjahres, unser selbst entwickeltes Format "Lobpreis mit dem Stundenbuch", nach Möglichkeit auch Eucharistische Anbetung) als auch Zeiten für individuelles stilles Gebet umfassen.
  • Community Building/Networking: Um nicht Gefahr zu laufen, den Leuten vor Ort etwas vor die Nase zu setzen, was sie weder wollen noch brauchen, ist es wichtig, erst einmal mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Neben diversen Formen informeller Kontakte, die sich mehr oder weniger "von selbst ergeben", dürfte hier unser gutes altes "Dinner mit Gott" (mit dem überarbeiteten, an der Community Networking Night im Baumhaus orientierten Konzept) ein wertvolles Hilfsmittel sein. Hierzu sollten die aktiven oder potentiell aktivierbaren Gemeindemitglieder, aber auch Vertreter der anderen christlichen Konfessionen vor Ort wie auch nichtreligiöser Vereine und Initiativen gezielt eingeladen werden. So können Ideen und Konzepte für weitere Aktivitäten gemeinsam entwickelt und daraufhin überprüft werden, ob und inwieweit bestimmte Angebote überhaupt Bedarf und Interesse vorfinden.
Im Idealfall sollte sich alles Weitere organisch aus diesen beiden Ansatzpunkten heraus entwickeln; das könnte durchaus auch Angebote bzw. Projekte umfassen, die wir bisher noch gar nicht auf dem Schirm haben, aber einige Ideen, die wir gern verwirklichen würden, haben wir natürlich schon im Gepäck. Als Dauerbrennerthemen, die wohl, wenn ich mal dazu komme, jeweils ein eigenes "Dossier" verdienen, wären hier natürlich die Stichworte "Büchereiprojekt" und "Gartenprojekt" zu nennen; davon abgesehen würden wir auch sehr gern ein offenes Angebot für Kinder und Jugendliche nach dem Vorbild des JAM auf die Beine stellen, also eine Kombination aus Spieltreff, Lobpreisdisco und Katechese. Auch eine Idee, die mir immer mal wieder durch den Kopf geht, wäre ein katechetisches Angebot für Eltern – z.B. ein Lesekreis zum YouCat for Kids – mit parallelem Kinderbetreuungs-Angebot. Aber das können wir natürlich nicht alles allein stemmen, da müssten sich vor Ort Leute finden, die mitarbeiten. (Das sollte allerdings sowieso klar sein. Wenn das Projekt "Pfarrhausfamilie" nicht über kurz oder lang dazu führt, auch andere Leute, insbesondere andere Familien, für die Gemeindearbeit zu aktivieren, dann funktioniert es nicht.)

Was den Zeitplan für das Projekt betrifft, legt insbesondere meine Liebste Wert darauf, zu betonen, dass wir, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, bis Mitte Januar 2026 eine verbindliche Zusage für eine geeignete Wohnung bräuchten, damit dort zu Anfang September einziehen könnten. Bei Einhaltung dieser Frist wäre auch ein Umzug in ein anderes Bundesland nicht ausgeschlossen. Umgekehrt bräuchte man deutlich weniger zeitlichen Vorlauf, wenn sich etwas finden ließe, das so sehr "in der Nähe" läge, dass dafür kein Arbeitsplatz- und Schulwechsel notwendig wäre; aber davon würde ich jetzt erst mal nicht ausgehen. 

Also, liebe Leser: Falls jemand von euch "was weiß", d.h. eine Pfarrei, einen Pastoralen Raum o. dergl. kennt, der für unser Projekt in Frage kommen könnte, oder zumindest eine Idee hat, wo wir uns diesbezüglich mal umhören könnten, dann lasst es uns bitte wissen! Wenn euch dazu gar nichts einfällt, gibt es aber auch noch andere Möglichkeiten, uns zu unterstützen; zum Beispiel:

Wenn es ernst wird – d.h  wenn wir einen geeigneten Standort gefunden haben, an dem wir ab dem Schuljahr 2026/27 mit unserem Projekt loslegen können –, wird es auf jeden Fall auch eine Crowdfunding-Aktion geben, und da hoffen wir dann natürlich auch auf eure Unterstützung. Aber das erfahrt ihr, wenn es soweit ist! 


Ein Wort möchte ich noch dazu sagen, dass es – auch, aber nicht nur in Kommentaren auf diesem Blog – Spekulationen gegeben hat, unser Pfarrhausfamilien-Projekt könnte auch daran scheitern, dass ich einigen Leuten zu kontrovers bin und sie sich so jemanden lieber nicht in die Gemeinde holen möchten (zumal sie dann womöglich damit rechnen müssten, sich auf meinem Blog unvorteilhaft dargestellt zu finden). Das glaube ich eigentlich eher nicht, aber ich finde es schon interessant, dass dieser Gedanke aufkommt. Dass ich bei manchen Leuten, die haupt- oder ehrenamtlich, auf Gemeindeebene oder darüber, in der Kirche aktiv sind, als kontrovers gelte, ist durchaus eine Erfahrungstatsache, aber ich würde sagen, das beweist nur, wie wenig Kontroverse diese Leute gewohnt und zu ertragen bereit sind. Das ist durchaus ein Problem, aber nicht meins

Als ein größeres Hindernis nehme ich den Umstand wahr, dass es in der institutionellen Kirche wenig Verständnis für Graswurzelinitiativen gibt. Das heißt nicht unbedingt dass die maßgeblichen Entscheidungsträger etwas gegen solche Projekte hätten; sie haben sie einfach gar nicht auf dem Schirm. Ich habe allerdings Hoffnung, dass sich in dieser Hinsicht etwas ändert. Zum Beispiel dann, wenn – nicht nur bedingt durch Austritte, sondern mehr noch dadurch, dass die Baby-Boomer-Generation in Rente geht – die Kirchensteuereinnahmen in Zukunft nicht mehr so üppig sprudeln wie bisher. – Inwiefern das von Vorteil sein könnte, will ich mal anhand einer Analogie erläutern: Als ich zum Theaterwissenschaftsstudium nach Berlin kam, regierte hier – wie heute ja ooch – ein CDU-geführter Senat, es gab kräftige Einsparungen im Kulturbereich, und ich erinnere mich an so manche Diskussion im Kommilitonenkreis über die Frage, wie es zu erklären sei, dass gerade die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz – die unter der Intendanz von Frank Castorf ein ausgesprochen "wildes", experimentelles und linkes Image pflegte – dabei vergleichsweise ungeschoren blieb. Ein Kommilitone erklärte es so: "Die Volksbühne ist bei Kulturpolitikern beliebt, weil sie viel Theater für wenig Geld macht." Entsprechend könnte man doch annehmen oder jedenfalls hoffen, in dem Maße, wie auch "bei Kirchens" die Kassen knapper werden, könnte in den Ordinariaten die Erkenntnis wachsen, dass Projekte, die die Institution nicht viel Geld kosten, ja im Idealfall sogar Geld mitbringen (in Form von Crowdfunding oder sonstigen "Drittmitteln"), unterstützungswürdig sein könnten. 

Davon abgesehen setze ich auch Hoffnungen auf den neuen Papst; konkret gesagt die Hoffnung, dass er – wenn nicht höchstpersönlich, dann doch mittelbar – dafür sorgt, dass auch hierzulande das Thema Neuevangelisierung stärker auf die Agenda kommt als bisher. Anzeichen dafür gibt es durchaus schon jetzt, zum Beispiel – ausgerechnet – aus dem derzeit vakanten Bistum Münster: Dort wurde unlängst der Diözesanadministrator Antonius Hamers von der Bistumszeitung Kirche + Leben interviewt, und auf die Frage, wie es denn nun mit dem Synodalen Weg weitergehe, gab Hamers eine ganz andere Antwort, als der Interviewer sie offenkundig hören wollte: "Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr mit Themen beschäftigen, die weltkirchlich nicht die ganz große Rolle spielen", gab er zu bedenken. Zwar habe Papst Leo in seinen ersten Ansprachen "die Synodalität der Kirche betont"; es gelte aber zu fragen, "welche Inhalte er damit verbindet. Leo XIV. sprach vor allem von Umkehr, innerer Erneuerung, Evangelisierung. Wir müssen schauen, ob alle unsere Themen wirklich kompatibel sind" – schon mal ein ziemlich hartes Statement, wenn man mal drüber nachdenkt; und auf Nachfrage bekräftigte Hamers: "Dass innere Erneuerung, Umkehr und Evangelisierung ein Dauerauftrag für uns als Kirche bleiben, steht außer Frage. Es ist in unserer stark säkularisierten Welt von großer Bedeutung, dass wir immer wieder auf das hinweisen, was für uns wesentlich ist – das Evangelium." Ich würde mal sagen, das sind Töne, die man aus der Leitungsebene deutscher Bistümer (mit Ausnahme von Passau und evtl. Regensburg) eher nicht gewohnt ist. Ich schätze, uns stehen spannende Zeiten bevor. 

Nun überschreite ich hier wohl gerade den Rahmen eines Artikels, in dem es eigentlich um das Projekt "Pfarrhausfamilie" gehen sollte; aber ähnlich wie in den Benutzungshinweisen von Putzmitteln gern empfohlen wird, man solle das Mittel zunächst an einer unauffälligen Stelle ausprobieren, nutze ich diesen Artikel mal, um die folgende These auszuprobieren: Natürlich können erste Eindrücke trügen, aber ich habe das Gefühl, Papst Leo XIV. könnte genau der richtige Mann sein, um das, was am Pontifikat seines Vorgängers Franziskus gerade für das Thema Neuevangelisierung richtungsweisend war, in die Tradition der Kirche einzubinden und dabei auch "das Krumme gerade zu machen" (vgl. Jesaja 40,4; Lukas 3,5). 

Im Übrigen – und damit schließt sich der Bogen zum Anfang dieses Artikels – hoffe ich darauf, dass Papst Leo Dorothy Day selig spricht, die ich schon jetzt als Schutzpatronin für das Pfarrhausfamilien-Projekt betrachte. 


Mittwoch, 21. Mai 2025

Der seltsame Fall der eingekerkerten Nonne, Teil 21

Nachdem die Wiederaufnahme der Artikelserie über den Fall Barbara Ubryk und seine Verarbeitung im Genre der Schundliteratur ein recht erfreuliches Echo gefunden hat, habe ich beschlossen, das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist; fackeln wir also nicht lange, sondern kommen direkt zur nächsten Folge! – Das LXV. Kapitel von Dr. A. Rodes "Barbara Ubryk"-Roman trägt die Überschrift "Opfer der Lüste"; und die Erwartungen, die dieser Titel weckt, werden gewissermaßen doppelt eingelöst: einmal auf der Ebene der eigentlichen Romanhandlung, wo die Protagonistin Jovita alias Barbara zuerst beim Überqueren der Grenze vom russischen zum österreichischen Teil Polens eine sehr zudringliche Leibesvisitation über sich ergehen lassen muss und dann, als sie im Wald einschläft, von einem Jäger vergewaltigt wird; und zum anderen in einem Exkurs über einen historischen Fall von sexuellem Missbrauch durch einen Priester, nämlich den Fall der Cathérine Cadière und ihres Beichtvaters Jean-Baptiste Girard, der mehr als ein Jahrhundert vor der Handlungszeit des Romans europaweit Schlagzeilen machte. Der Exkurs über diesen Fall nimmt mehr als die Hälfte des Kapitels ein; schauen wir uns aber trotzdem erst einmal den Fortgang der eigentlichen Romanhandlung an. 

Nachdem Jovita ihrem Beichtvater Gratian und ihrer Krankenpflegerin Kordula, die sie nach Krakau hatten bringen sollen, entkommen ist, erreicht sie "das Städtchen Nowo Brzesko" (S. 1039), wo sie die Weichsel überqueren und so auf österreichisches Gebiet überwechseln will; welche Behandlung ihr dabei seitens eines russischen Grenzbeamten zuteil wird, haben wir bereits angedeutet. In der österreichischen Zollstation am anderen Ufer erfährt sie, dass das Gut des Grafen Satorin in der Nähe liegt; wenn dieser Name dem geneigten Leser nichts sagt, ist das insofern einigermaßen verzeihlich, als seine letzte Erwähnung im Roman schon fast 500 Seiten zurückliegt: Eine gräfliche Familie Satorin hatte im Mittelpunkt einer Kindsvertauschungsgeschichte gestanden, die bereits im IX. Kapitel des Romans als Nebenhandlung eingeführt worden war: Weil der damalige Graf Satorin unbedingt einen Sohn haben wollte, hatte seine Frau ihre neugeborene Tochter gegen den jüngsten Sohn von Jaromir Ubryk austauschen lassen; die echte Grafentochter hatte Jaromir kurz darauf in einer Gastwirtschaft vergessen, woraufhin sie erst von Juden und später von Zigeunern aufgezogen wurde, schließlich aber als Dienstmädchen ins Haus ihrer leiblichen Mutter kam. Zu einem vorläufigen Abschluss war dieser Handlungsstrang in Kapitel XLIII dadurch gelangt, dass der falsche Grafensohn und die echte Grafentochter sich ineinander verlieben und heiraten, womit die poetische Gerechtigkeit hergestellt ist. Der derzeitige Graf Satorin ist demnach Barbara Ubryks leiblicher Onkel, und wie wir noch sehen werden, weiß sie davon – was zweifellos eine gewichtige Rolle für ihren Entschluss spielt, das Gut des Grafen prompt aufzusuchen. 

Auf dem Weg dorthin wird sie jedoch von Müdigkeit übermannt und legt sich im Wald schlafen – wo sie von einem Jagdhund aufgespürt wird, der sogleich seinen Herrn herbeiführt. 

"An die Dame herantretend, betrachte er sie genauer. Er ließ sich auf die Kniee nieder und beugte sich über sie. Ihr Gesicht war geröthet, sonst aber bleich und eingefallen. Der Mund war geöffnet und murmelte von Zeit zu Zeit unverständliche Worte. Der Busen hob und senkte sich rasch; es schien, als läge sie in schwerem Traume. Der Jäger sprach kein Wort; seine Lippen fest aufeinander gekniffen, haftete er seine Augen unverwandt auf die vor ihm liegende Dame. Das Blut trat ihm allmählig in die Wangen; auch seine Brust hob und senkte sich rascher unter dem Athem. Es war so stille im Walde, kein menschliches Wesen in der Nähe. Er, der Mann, fand sich allein mit einem Weibe im Walde. Niemand sah ihn, Niemand störte ihn, wenn er einer lüsternen Stimme folgte, die sich mächtig in ihm regte....." (S. 1044) 

Hier wird geradezu so getan, als sei es das Natürlichste von der Welt, dass ein Mann, wenn er an einem einsamen Ort eine hilflose Frau antrifft, erst mal seine Lust an ihr befriedigt; das scheint mir recht bezeichnend, nicht nur für diesen Roman, sondern für das gesamte Genre. 

"Eine Stunde später" tritt Jovita alias Barbara "aus dem Walde" und gelangt an "ein großes Gebäude [...], um welches im Kreise mehrere Bauernhöfe lagen" (ebd.): den Landsitz des Grafen Satorin. Sie lässt sich der Gräfin melden und stellt sich ihr als "eine unglückliche Frau" vor, die "nicht nur von boshaften Menschen , sondern auch von Noth und Elend verfolgt" werde (S. 1045):  

"Nachdem ich mich auf österreichischen Boden gerettet hatte, hörte ich, daß es weit und breit keine edlere und mildherzigere Dame gäbe als Sie. Demnach beschloß ich, Ihre Güte in Anspruch zu nehmen und Sie um irgend eine Verwendung in Ihrem Dienste zu bitten" (ebd.)  

Wie sich zeigt, hat die Mildherzigkeit der unter Zigeunern aufgewachsenen Gräfin allerdings Grenzen; so reagiert sie ausgesprochen ungnädig, als die Bittstellerin gesteht, aus einem Kloster entflohen zu sein: 

"Mein Gott, eine entflohene Klosterfrau sind Sie? Was hat Sie nur auf solche Abwege gebracht? Kann es ein schöneres Leben geben als das fromme, herzliche und liebliche Zusammenleben in einem Kloster, wo man sich um Nichts zu kümmern hat, keinen Mangel leiden darf und nur für seiner Seele Heil zu sorgen hat?" (ebd.) 

Jovita alias Barbara widerspricht beherzt: "Wer in der Welt lebt, urtheilt freilich von der günstigsten Seite über das Leben im Kloster; aber anders gestaltet sich die Ansicht, wenn man dieses Zusammenleben selbst geführt und unerträglich gefunden hat" (S. 1045f.). Die Gräfin lässt sich jedoch nicht beirren: 

"O ich weiß es, daß viele Nonnen unzufrieden sind. Der Mensch kann ja Alles ertragen, nur nicht das Glück. Je besser es ihm geht , desto unzufriedener ist er. Weil diese Nonnen Alles besitzen, was sie nur immer wünschen, ein ruhiges, friedliches sorgloses Leben, so verlangen sie gerade nach dem Gegenstande, der ihnen durch ein Gelübde versagt ist, nach einem Manne" (S. 1046). 

Barbaras Bitte, ihr eine Stellung im Hause zu geben, weist die Gräfin rundheraus ab: 

"Eine Verwendung in meinem Dienste habe ich nicht für Sie; ganz untergeordnete Dienste könnte ich Ihnen nicht einmal geben, da sie der Arbeit ungewohnt und ihr vielleicht abhold sind. Ueberdies würde der Segen Gottes, der bisher sichtbar über meinem Hause gewaltet hat, von ihm weichen, wenn ich eine entflohene Klosterfrau, die ihre Gelübde gebrochen hat, aufnähme und ihr Unterkunft gewährte. Wenn Sie im Kloster nicht aushalten konnten[,] glauben Sie sich in einen Dienst besser zu finden?" (ebd.) 

Währenddessen tritt "ein junger Mann in den Salon" (ebd.), der die Bittstellerin erkennt und sie mit ihrem Ordensnamen Jovita anspricht; woher er sie kennt, verrät er gleich darauf der Gräfin: "Es ist das dieselbe Jovita, von der ich Ihnen erzählte, daß ich sie liebte, und daß ich aus Gram über die Gelübde, die sie an das Kloster banden, Warschau verließ" (ebd.). Auch Jovita alias Barbara erkennt daraufhin ihren früheren Geliebten wieder: "Er ist Woicech Zarski!" (S. 1047). Darüber, was dieser im Hause des Grafen Satorin zu tun hat – nämlich, dass er eine "Stellung als Secretär des Grafen" hat – wird der Leser erst einige Seiten später aufgeklärt (S. 1050); die Gräfin jedenfalls hat sogleich den Verdacht, "daß [s]ie sich beide verabredet haben, hier zusammenzutreffen": 

"Gewiß haben Sie diese Nonne veranlaßt, Woicech, aus dem Kloster zu entfliehen und hieher zu kommen. Und gedenken Sie hier Ihre Liebeleien fortzusetzen? Nie und nimmer werde ich das meinem Hause dulden." (S. 1047) 

Diese Unterstellung wird von beiden vehement bestritten, was jedoch nichts daran ändert, dass die Gräfin Satorin in Übereinstimmung mit ihrem Ehemann die Entscheidung trifft, "daß man der flüchtigen Nonne die zur Weiterreise nöthigen Mittel , aber keinen Aufenthalt im Hause gewähren solle" (ebd.). Als der Graf im Salon erscheint, erkennt Jovita in ihm mit Schrecken "den – Jägersmann vom Walde, obgleich er jetzt in andern Kleidern stack" (S. 1048). – Hierzu wäre übrigens anzumerken, dass der österreichische Grenzbeamte, bei dem Jovita nach dem Weg gefragt hatte, vom Grafen Satorin als "einem gutherzigen Manne" gesprochen hatte (S. 1044) und der Leser sehr viel früher, nämlich auf S. 563, erfahren hatte, "daß Alexander und Yelva" – also Graf und Gräfin Satorin – "in der glücklichsten und friedlichsten Ehe zusammen lebten"; aber das heißt wohl nicht viel in einem Romankosmos, in dem der Geschlechtstrieb als ebenso unkontrollierbar wie Niesreiz dargestellt wird. 

Jedenfalls ist nun auch der Graf bestrebt, Jovita möglichst schnell wieder loszuwerden; Woicech kann ihn jedoch überreden, "den Aufenthalt Jovitas wenigstens so lange [zu] erlauben, bis sie sich erholt und ihre Kleider etwas geordnet habe" (S. 1048). Woicech bemüht sich, von Jovita zu erfahren, was ihr seit ihrem letzten Zusammentreffen widerfahren ist; das wird allerdings dadurch erschwert, dass sich ihre Geistesstörung immer wieder bemerkbar macht: 

"Man hat mir im Kloster etwas angethan, was? vermag ich nicht zu sagen. Man hat mich mit bösen Geistern besetzt gemacht und mich dann geschlagen, daß ich halbtodt liegen blieb. Auf einmal entkam ich. Ich wundere mich selbst, daß ich plötzlich keine Nonne mehr um mich sehe, daß ich in weltlichen Kleidern bei Dir sitzen kann. Wenn der Mond voll wird, vergeht mir das Gedächtniß; ich weiß nichts mehr von mir und den Dingen, die geschehen. Wenn der Mond abnimmt, werde ich ruhig, die Besinnung kehrt zurück und ich bin wie andere Menschen" (S. 1049).

Sie verrät Woicech auch, dass Graf Satorin ihr leiblicher Onkel ist; als er sie daraufhin "ihm als seine Nichte vorstellen" will (S. 1050), erhebt sie jedoch Einspruch und schildert ihm ihre Begegnung mit dem "Jäger vom Walde" (S. 1051): 

"Er fand mich schlafend, Woicech. Als ich erwachte, lag ich in seinen Armen. Darum wagte er mich nicht anzusehen, als er so eilig durch den Saal rannte. Aus eben diesem Grunde soll er nie erfahren, daß ich seine Nichte sei; er soll mich für eine flüchtige Nonne halten, die ihn blos um Obdach und Speise bittet" (ebd.). 

Als sie Woicech auf dessen wiederholte Erkundigungen, was ihr im Kloster widerfahren sei, eröffnet, ihr "früherer Beichtvater, Pater Gratian", trage "die Schuld an allem [ihrem] Unglücke" (S. 1052), fühlt dieser sich durch diese Mitteilung an "die Geschichte der Cadière" (ebd.) erinnert, die er daraufhin sehr ausführlich – rund 21 Seiten lang – nacherzählt. In einer Fußnote zu diesem Exkurs verweist der Verfasser auf eine Quelle mit dem Titel "Recueil général des Pièces concernant lé procês entre la Demoiselle Cadière et le Père Girard" und fügt hinzu: "Auszüge aus diesem acht Oktavbände starken Werke erschienen in fast allen lebenden Sprachen Europas; die deutsche bei Brockhaus in Leipzig, 1732" (ebd.). Auch der von Dr. Rode schon öfter als Quelle benutzte "Pfaffenspiegel" gibt dem Fall Cadière beträchtlichen Raum; zwischen der dortigen Schilderung und derjenigen im "Barbara Ubryk"-Roman lassen sich allerlei Parallelen bzw. Ähnlichkeiten feststellen, wortwörtliche Übereinstimmungen hingegen nicht oder kaum; mit anderen Worten, der Grad der Übereinstimmung lässt eher darauf schließen, dass beide Autoren dieselben Quellen benutzt haben, als dass der eine direkt vom anderen abgeschrieben hätte. In beiden Versionen wird es als Tatsache dargestellt, dass der Jesuitenpater Girard sein Beichtkind Cathérine Cadière unter Missbrauch seiner geistlichen Autorität verführt und sexuell erniedrigt und ihr, als sie schwanger wurde, ein abtreibendes Mittel verabreicht habe; dass der ausführlich geschilderte Gerichtsprozess mit einem Freispruch endete, wird mit Manipulationen des Jesuitenordens sowie damit erklärt, dass das Gericht dem Ansehen der Kirche nicht habe schaden wollen. Man muss allerdings wohl konstatieren, dass die letztgenannte Absicht deutlich verfehlt wurde, denn wie eingangs schon erwähnt, erregte der Fall europaweit Aufsehen – wohl auch deshalb, weil er im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Jansenisten und Jesuiten in Frankreich zur Diskreditierung der letzteren instrumentalisiert wurde. 

Die Verführung der Marie-Catherine Cadière durch Jean-Baptiste Girard, Buchillustration, 1735 (gemeinfrei)

Anders als es bei den zahlreichen quasi-dokumentarischen Einschüben, die der Autor sich leistet, sonst meist der Fall zu sein pflegt, wirkt die Erzählung Woicechs über den Fall Cadière insofern unmittelbar auf die Handlung zurück, als sie bei Barbara alias Jovita einen erneuten Ausbruch ihres Wahnsinns "triggert", wie man heute sagen würde: Sie hält sich selbst für "die Katharina Cadière" (S. 1073), zeigt "dem erstaunten Woicech einige wunde Flecken auf der Brust" und behauptet, diese seien "die Wundmale Christi", und gleich darauf fühlt sie sich wieder von dem Dämon "Zoophyt" besessen (ebd.). Woicech lässt sie zu Bett bringen; am folgenden Tag, "[a]ls sich der Graf seiner täglichen Gewohnheit gemäß auf die Jagd begeben hatte" (S. 1076), zieht Woicech  aus einem unverschlossenen Fache des Schreibpultes eine Menge Papiere hervor", die er "mit fieberhafter Eile abzuschreiben" beginnt: "Diese Arbeit setzte er noch mehrere Tage fort und schrieb selbst ganze Nächte hindurch. Die meisten Schriften waren in polnischer, einige in französischer Sprache geschrieben" (S. 1076). Vorerst ist nur zu erahnen, dass es sich dabei um Papiere handelt, die Woicech einige Seiten zuvor gegenüber Barbara erwähnt hatte und die teils "von einem gewissen Jaromir von Ubryk" und teils "von einem Kasimir von Ubryk herrühren" – wozu Barbara ihm erklärt hatte: "Jaromir ist mein Großvater, Kasimir mein Vater. Ihre Papiere überließen sie meiner Mutter Elka, und diese wird sie bei ihrem Tode ihrem Schwager, dem Grafen Alexander, übermacht haben" (S. 1050). Nachdem er sich eine volle Woche lang mit dem Kopieren dieser Schriftstücke beschäftigt hat, bittet er den Grafen um Urlaub, um "die Klosterfrau, der Sie bisher so großmüthig Ihre Gastfreundschaft angedeihen ließen, nach Krakau [zu] geleiten" (S. 1077); wobei man sich unwillkürlich fragt, ob es wirklich eine gute Idee ist, Barbara ausgerechnet an den Ort zu bringen, an den auch ihre Peiniger sie hatten schaffen wollen. Barbara selbst scheint ähnlich zu denken: "Nur nicht in's Kloster, Woicech!", fleht sie bei der Abfahrt, worauf dieser erwidert: "Eher zum Teufel!" (S. 1078).

Das LXVII. Kapitel, das die Überschrift "Das provisorische Jenseits" trägt, führt den Leser in eine Irrenanstalt in Krakau; an einer Auswahl von Patienten dieser Anstalt werden verschiedene Erscheinungsformen von Wahnsinn vorgeführt, wobei auch ein Patient, der sich für Napoleon hält, nicht fehlen darf. Der erzählerische Rahmen für dieses Kapitel wird dadurch gebildet, dass Woicech Zarski sich als "kais. russischer Irrenarzt zu Warschau" ausgibt und sich unter dem Vorwand, die "kaiserliche Regierung" habe ihm "Stipendien zu wissenschaftlichen Reisen im Irrenfache ertheilt und zur Aufgabe gestellt, über die Einrichtungen, Behandlungsweise und sonstigen Verhältnisse ausländischer Irrenhäuser Erfahrungen zu sammeln und sie in einem umfassenden Berichte niederzulegen" (S. 1079f.), durch die Anstalt führen lässt. Erst ganz am Ende des Kapitels erfährt man, welchen Zweck er damit verfolgte, aber diese Erklärung wirft beim geneigten Leser mehr Fragen auf, als sie beantwortet: "]D]ie, welche ich eigentlich im Irrenhause suchte, fand ich nicht", sinniert Woicech, als er sich in einer "nahe[n] Weinschenke [...] bei einem Gläschen Ungar von den keineswegs angenehmen Eindrücken zu erholen" sucht, "welche der Besuch einer solchen Anstalt bei jedem fühlenden Menschen zu hinterlassen pflegt" (S. 1103): "Wo magst Du doch sein, meine arme Barbara?" (ebd.). Äh, Moment: Hat er sie nicht im vorigen Kapitel selbst nach Krakau begleitet? Wie hat er sie denn verloren, und wie viel Zeit mag seitdem verstrichen sein? Das folgende LXVIII. Kapitel gibt darauf jedenfalls keine Antwort, denn dieses trägt die Überschrift "Wie dem Pater Alfons zu Muthe war, als er an die Luft gesetzt wurde, und was mit dem kleinen Pfäfflein weiter geschah" und knüpft somit an Kapitel LXII, "Die Teufelsbeschwörung" an, in dem Pater Alfons wegen ketzerischer Äußerungen in "Zelle Nro. 13 – so heißen die klösterlichen Kerker" (S. 964) – eingesperrt worden war. Nun erfährt man, wie es ihm in der Haft ergangen ist:
"Er hatte sich die Zeit weidlich mit dem Schnupftabak vertrieben, den er seiner Gewohnheit nach in der Kapuze auf dem Rücken verborgen gehalten hatte. Alle Stunde nahm er eine Prise, und so war es trotz der Größe seiner Dose gekommen, daß er am dreißigsten Tage mit dem ganzen Vorrathe an Tabak zu Ende war.
Mit geheimer Bangniß schaute er daher in die Zukunft. Das Brevier zu beten ohne Schnupftabak – das kann kein ordentlicher Pfaffe leisten. [...] Nein, das stand fest, solange kein würziger Tabak herbeikam, könnten auch die Horen nicht mehr abgebetet werden.
Der Prior hatte in seiner Wuth über das Kezerthum in der Kutte den Pater Alfons nicht mehr das Tagelicht schauen lassen. Wider alle Regel wurde dieser weder zum Chorgebete, noch zur Messe zugelassen. Das Letztere war dem Pater sehr unangenehm, denn es entging ihm dadurch jeden Morgen ein tüchtiger Schluck Wein, der den Magen erwärmte. Jeden Mittag erhielt er ein Stück schwarzes Brod, einen Krug Wasser und dazu die kleine Disciplin zu 36 Geißelhieben, was ihm nicht absonderlich schmeckte, und am Abend ein Stück Käse mit Brod und einem Trunk Bier. Wenn das länger fortgegangen wäre, so würde er nicht nur bald aus Hunger an der Geißel genagt haben, sondern auch unfehlbar ein Heilger geworden sein" (S.  1104).
"Vor dieser Gefahr bewahrte aber Gott die Menschheit, indem er die Erlösung aus Kerkersbanden schickte" (S. 1105) – nämlich in Form der am Ende von Kapitel LXIV geschilderten Aufhebung der katholischen Klöster im russisch beherrschten Teil Polens; bei dieser wird auch die Gefängniszelle im Warschauer Karmeliterkloster entdeckt und Pater Alfons, wie es in der Kapitelüberschrift heißt, "an die Luft gesetzt". Dies nimmt er zum Anlass, darüber zu sinnieren, wie er überhaupt Mönch geworden ist:
"Ein rechter Pfaffe war ich nie, und ist schon so dumm zugegangen, wie ich ins Kloster und in die Kutte kam. Lebt' ich dereinst in London als Käsepapierhändler und schwang mich zu einem ansehnlichen Maculaturhändler empor. Als guter Katholik, der ein Irländer immer ist, lief ich jedweden Sonn- und Feiertag hinein in die Kirchen allwo der nachmalige Cardinal Dr. Wisemann selber Zeit gar rührende Predigten vormacht" (S. 1108f.).

Was den "nachmalige[n] Cardinal" angeht, sei angemerkt, dass Nicholas Wiseman (1802-1865) erst 1850 die Kardinalswürde erhielt, wovon Pater Alfons in einem Romankapitel,  das im Jahr 1847 spielt, also eigentlich noch nichts wissen kann; aber das darf man wohl als einen vergleichsweise geringfügigen historischen Schnitzer des Verfassers betrachten. Halten wir aber noch fest, dass, wenn Pater Alfons in London Predigten von Wiseman gehört haben will, dies in den Jahren 1835/36 gewesen sein müsste. Ins Kloster eingetreten ist der vormalige Käsepapierhändler jedoch nicht aus Frömmigkeit, sondern – und hier wird die Erzählung recht abstrus – weil der Vormund des Mädchens, das er heiraten wollte, ihm als Bedingung für die Einwilligung zur Eheschließung eine dreijährige Probezeit im Kloster abverlangte; er werde dann schon dafür sorgen, dass er von seinen Gelübden wieder entbunden werde. Dass dies in Wirklichkeit ein Trick des Vormunds war, um ihn loszuwerden und das Mädchen anderweitig zu verheiraten, ging Alfons erst auf, als es zu spät war – nämlich nachdem er in "Belgien, weil es in England nach der Parlamentsakte von anno 1820 keine Klöster gibt", ins erstbeste Kloster eingetreten war, "und das war ein Carmeliterkloster" (S. 1009). Dort wurde er schon bald der Ketzerei verdächtigt und von einem Kloster ins andere strafversetzt, bis er schließlich in Warschau landete. Über die Aufhebung des dortigen Klosters ist er nun nicht direkt unglücklich, abgesehen davon, dass er nun nicht weiß, wie er seinen Lebensunterhalt bestreiten soll. Für dieses Problem findet sich indes bald eine Lösung, da ein stereotyper reisender Engländer – "Lord Ainsworth [...], der bei der englischen Gesandtschaft in St. Petersburg attachirt gewesen," (S. 1116), ihn in seinen Dienst nimmt. Der ehemalige Pater Alfons nimmt nun wieder seinen bürgerlichen Namen Jedediah Pumpkins an und reist mit seinem neuen Dienstherrn alsbald in Richtung Posen ab.

– Dazu, dass und warum ich es als eine recht gezwungene und wenig glaubwürdige Wendung betrachte, den Pater Alfons mit dem im allerersten Kapitel des Romans als Trödler in London vorgestellten Jedediah Pumpkins zu identifizieren, habe ich mich schon bei früherer Gelegenheit geäußert und finde auch die hier angebotene "backstory" nur mäßig überzeugend; auf jeden Fall kann man aber trotz der Abreise nach Posen wohl davon ausgehen, dass das noch nicht das letzte war, was der geneigte Leser von Mr. Pumpkins erfährt, denn irgendwie muss er ja noch an die Papiere kommen, die er im ersten Kapitel dem Erzähler verkauft. Und es sollte mich gar nicht wundern, wenn es sich dabei um dieselben Papiere handelte, die Woicech Zarski im Hause des Grafen Satorin so eifrig abgeschrieben hat... 


Montag, 19. Mai 2025

Predigtnotizen aus Reinickendorf-Süd

Spulen wir mal ein paar Wochen zurück: Am Mittwoch der zweiten Osterwoche ging ich, wie so oft mittwochs, mit meinem Jüngsten in St. Marien Maternitas in Heiligensee in die Messe, und diese wurde wieder einmal von Pater Mephisto zelebriert. Über diesen Geistlichen habe ich schon mal geschrieben, man habe bei ihm manchmal den Eindruck, er entscheide morgens vor dem Spiegel ganz spontan, was für eine Art von Priester er heute sein wolle; und an dem besagten Mittwoch war er offenbar mal wieder in seine liberale Erscheinungsform geschlüpft. 

Zu Beginn seiner kurzen – nur ungefähr drei Minuten langen – Predigt nahm er auf das Rosenkranzgebet Bezug, das der Messe vorangegangen war und bei dem, wie vielerorts üblich, am Ende jedes Gesätzes das "Fatima-Gebet" ("O mein Jesus...") gesprochen worden war; speziell ging es ihm dabei um den Satz "Bewahre uns vor dem Feuer der Hölle". Dies sei, so meinte er, "ein Gedanke, der heutzutage Vielen nicht mehr so ganz nachvollziehbar ist oder den man ein bisschen von sich wegweist": Der "Gedanke der Höllenstrafe" sei "unsa ein bisschen fremd geworden". Was wahrscheinlich eine realistische Einschätzung ist, aber dann fügte er hinzu "Und das ist auch gut so" – und genau in dem Moment fiel, ohne erkennbare äußere Ursache, das Gotteslob von seinem Priestersitz. Rumms. Ist ja mal ein Statement, dachte ich insgeheim. 

Tags darauf, am Fest Hl. Josef der Arbeiter, war in St. Joseph Tegel Patronatsfest; wie bereits berichtet, wurde die Festmesse von Pater Brody zelebriert, die Predigt hielt jedoch der Diakon. Der Mann mit der progressiven Eisenfaust im Samthandschuh. Okay, vielleicht tut ihm diese Beschreibung schon zu viel Ehre an, aber jedenfalls weiß ich bei ihm immer nicht, was mir eigentlich mehr gegen den Strich geht: die Positionen, die er inhaltlich vertritt, oder der sanft-säuselnde Stil, in dem er sie vorträgt. – Das Evangelium zum Fest Hl. Josef der Arbeiter war Matthäus 13,54-58, die Ablehnung Jesu in seiner Heimat; und in der Predigt über diesen Text ging der Diakon von der Annahme aus, die Nazarener hätten Jesus deshalb nicht für voll genommen, weil er sozusagen "aus einfachen Verhältnissen" kam. Ein Fall von "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern", wenn man so will. Ich halte es ja eher für zweifelhaft, ob der Text diese Deutung wirklich hergibt oder ob das nicht eher Eisegese als Exegese ist; umso mehr gilt es, sich zu fragen: Worauf wollte der Prediger mit dieser Deutung hinaus? Die Antwort auf diese Frage ist, wenn man diesen Diakon und/oder andere Leute seines Schlages kennt, keine Überraschung: Es ging darum, der Kirche vorzuwerfen, sie sei – zumindest früher™️, was wahlweise "bis zum II. Vatikanischen Konzil", "bis zu Papst Franziskus" oder "bis zum Synodalen Weg" bedeuten kann – nicht "jesuanisch" genug (gewesen). Die aus den "Kindheitstagen" des Diakons stammende Erinnerung an einen Seelsorger, der sich "hochgearbeitet" hatte und dadurch einen "Standesdünkel" entwickelt hatte, weshalb die Eltern des Diakons, "selbst kleine Leute", über ihn zu sagen pflegten "Der hat doch seinen Geburtsschein vergessen", wird da gewissermaßen pars pro toto als symptomatisch für die Kirche insgesamt herausgestellt: "Manchmal könnte man durchaus glauben, die Kirche habe ihren Geburtsschein vergessen. So als wolle sie nicht mehr wissen, woher Jesus kam. Ja als schäme sie sich des einfachen Jesus und seiner einfachen Eltern." Inwiefern? "Die Herkunft der Familie Jesu", so meinte der Diakon, sei "schon früh verdrängt worden. Nur die Evangelien" – mit anderen Worten: "nur" die am weitesten verbreiteten, am häufigsten kopierten Texte der gesamten Antike! – "berichteten immer wieder vom Menschen Jesus, seiner Herkunft, seinem Leben, seinem Leiden und seinem Sterben. Vergessen wurde jedoch immer mehr, wer der Mann aus Nazaret war: ein einfacher Mensch." Und: "Die Kirche jedoch gewann Macht und Reichtum, und mancher Nachfolger des Fischers vom See Gennesaret fühlte sich als der Herr der Welt." 

Soweit, so plump; es sollte aber noch blöder kommen. "Intellektuelle waren sie nicht", urteilte der Diakon über die Familienangehörigen Jesu; "auch Jesus nicht. Sie lebten wohl eher aus ihrem Gefühl heraus, ohne groß darüber nachzudenken, wie es einfache Leute eben oft tun." Ach so? "Und Jesus tat es ihnen gleich. Er wollte ja nicht gelehrt sein. Er redete über Gott wie über Essen und Trinken. Oder er erzählte von Ackerbau und Viehzucht und sagte damit etwas über den Himmel. Das Gesetz, die Staatsräson, die scherten ihn nicht. Der einzelne sollte leben können und dürfen." 

Jesus, wie der Diakon von St. Klara ihn sich vorstellt (Abb. ähnlich) 

Vor dem Hintergrund eines derartigen Blödsinns bekommen selbst Aussagen der Predigt, die an sich nicht verkehrt sind – etwa: "Unser Platz soll auf der Seite der Kleinen und Armen sein. Das ist es auch, was uns Papst Franziskus in den letzten zwölf Jahren täglich gezeigt hat" – eine bedenkliche Schlagseite; wie man z.B. daran sehen kann, dass unmittelbar auf die zuletzt zitierten Sätze diese hier folgten: 

"Dann bauen wir nicht immer größere Gebäude aus 'Du sollst' und 'Du darfst nicht', sondern wir freuen uns, wenn Menschen Luft und Lust haben zu leben, wenn sie frohen Herzens sich für ihr Leben entscheiden." 

Wie ich neulich schon schrieb: Hätte ich kommen sehen, dass der Diakon in dieser Messe predigen würde, hätte ich vorsorglich eine Kiste angematschter Tomaten zum Werfen mitgenommen. – In anderer Hinsicht ärgerlich waren die Fürbitten, die von einer (ebenfalls schon öfter erwähnten) pensionierten Gemeindereferentin in Mantelalbe vorgetragen wurden. Wer auch immer für die Auswahl der Fürbitten in dieser Messe verantwortlich war, hatte sich offenbar gedacht, die Tatsache, dass der 1. Mai ein politischer Feiertag ist – und auch die Stiftung des Festes Hl. Josef der Arbeiter durch Papst Pius XII. im Jahr 1955 unschwer die Absicht erkennen lässt, dem säkularen Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse ein religiöses Pendant aus dem Geist der Katholischen Soziallehre gegenüberzustellen –, rechtfertige es oder verlange sogar, bei den Fürbitten nicht nur so gut wie ausschließlich politische Themen anzusprechen, sondern sich darüber hinaus auch noch in den Formulierungen am gängigen Politikerjargon zu orientieren. "Für den sozialen und gesellschaftlichen Frieden in unserem Land" wurde an erster Stelle gebetet, und dann wurde das weiter ausdifferenzert: 

"Um Ehrlichkeit und Anstand in der Politik; dass um Gemeinsames gerungen wird, statt Trennendes zu provozieren." – "Bitten wir für die Menschen, die in Deutschland Zukunft suchen; dass wir menschenwürdige und richtige Lösungen für sie finden." – "Bitten wir für alle, die Arbeit suchen, für alle, die Sorge um ihren Arbeitsplatz haben, für alle, die in prekären Arbeitsverhältnissen stecken." – "Bitten wir für unsere Schulen, für unser Bildungssystem; bitten wir für die Lehrer, aber auch für die Eltern und die Kinder, dass alle gemeinsam gute Weichen für die Zukunft stellen." – "Für die alten Menschen, die Pflegebedürftigen, die Kranken; dass unser Gesundheitssystem, aber auch unser Sozialsystem nicht ausgehöhlt, aber auch nicht ausgenützt wird." 

Dazu eine spontane Assoziation: Rod Dreher erwähnte unlängst in seinem Substack-Newsletter, er habe es einmal, als er noch für die New York Post schrieb, erlebt, dass ein Redakteur eine Kolumne über den Gottesdienstbesuch in evangelikalen und charismatischen Gemeinden mit der Begründung abgelehnt habe, Religion sei nur relevant, sofern sie sich mit Politik überschneide. Ich habe manchmal den Eindruck, diese Auffassung ist hierzulande sogar und gerade innerhalb der Kirche selbst arg verbreitet, bis hinauf zur Deutschen Bischofskonferenz. 

– Am darauffolgenden Mittwoch wurde, wie ich ebenfalls bereits zu Protokoll gegeben habe, die Messe in St. Marien Maternitas von einem Gastpriester gehalten, der gebürtig aus der dortigen Gemeinde stammt, aber im Erzbistum München und Freising inkardiniert ist. Auf der Basis dessen, wie ich ihn bei früheren Gelegenheiten erlebt habe, würde ich sagen, er ist nach den üblichen Kriterien des innerkirchlichen Lagerdenkens ziemlich eindeutig als konservativ einzuordnen. – In seinen Begrüßungsworten ging er auf die besondere Bedeutung der Osterzeit im Kirchenjahr ein: So sei die Osteroktav "eine ganze Woche, die gewissermaßen wie ein Tag gefeiert wird: Die Zeit bleibt stehen, und wir können uns innerlich vergewissern, dass das Leben aus der Ewigkeit kommt, dass wir mit der Ewigkeit verbunden sind – dass wir mit dem Ewigen, mit Gott selber verbunden sind. Und nach dieser Osteroktav geht Ostern weiter bis Pfingsten. Wir werden immer tiefer eingeführt in das Geheimnis der Auferstehung, immer tiefer eingeführt auch in die Begegnung mit Jesus." 

In meinem Wochenbriefing zur betreffenden Woche hatte ich festgehalten, der Priester habe an diesem dritten Mittwoch der Osterzeit "eine schöne Osterpredigt" gehalten, "die allerdings weder auf die Lesungstexte vom Tag noch auf das Konklave Bezug nahm", das am selben Tag begann; bezüglich der Lesungstexte muss ich diese Aussage indes etwas revidieren: Im letzten Drittel der nicht ganz fünf Minuten langen Predigt stand dann doch ein Vers aus dem Tagesevangelium im Mittelpunkt, genauer gesagt ein Teil eines Verses, nämlich Johannes 6,35a: "Ich bin das Brot des Lebens". Damit, so führte der Priester aus, sage Jesus im Grunde: "Ihr könnt mich verinnerlichen, ich komme tief in euer Leben hinein, ich werde eins mit euch." Weiter hieß es in der Predigt, der Mensch werde "im Grunde von Jesus erhoben zu diesem erlösten Kind Gottes, indem wir Ihn verinnerlichen, indem wir Ihn konsumieren, indem wir Ihn essen." Und schließlich: "Diese Heilige Kommunion – Kommunion bedeutet ja Gemeinschaft; Gemeinschaft mit Gott, Gemeinschaft mit Jesus, aber auch gerade durch die Gemeinschaft mit Jesus eine innige Gemeinschaft untereinander –, gerade diese Kommunion ist es, die eben im Grunde das Leben ausmacht. Und keiner von uns, der nachher die Kommunion empfangen hat, der jetzt das Wort Gottes hört, geht einsam nach Hause." 

Ich bin geneigt zu sagen, wenn man die Predigt dieses Gastpriesters mit der des Diakons am 1. Mai vergleicht, dann möchte man kaum glauben, dass es sich um dieselbe Religion handelt; und einige hartnäckige Stimme in meinem Inneren fügt hinzu: Das ist es ja im Grunde auch nicht. So viel mal zum Stand des "Schmutzigen Schismas", deren Auswirkungen die Gläubigen selbst innerhalb derselben Pfarrei ausgesetzt sind; und zweifellos ist das ein Problem, das sich nicht auf die eine, hier exemplarisch in den Blick genommene Pfarrei beschränkt. – Die erste Messe unter dem Pontifikat Leos XIV., die ich im Gebiet der Pfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd miterlebte, war wiederum an einem Mittwoch in Heiligensee, und diese wurde von dem aus Nigeria stammenden Pfarrvikar zelebriert. Den mag ich ja bekanntlich sehr, und auch wenn er, wie schon mal erwähnt, in der jüngeren Vergangenheit gelegentlich eine für mein Empfinden allzu große Kompromissbereitschaft gegenüber der deutschsynodal-postchristlichen Fraktion an den Tag gelegt hat, zweifle ich doch nicht grundsätzlich daran, dass er in Hinblick auf das "Schmutzige Schisma" ebenfalls auf der rechtgläubigen Seite steht. Predigen wollte er an diesem Mittwoch, wie er einleitend sagte, eigentlich "nur zwei Minuten", es wurden dann aber doch knapp fünf draus – wobei man durchaus feststellen kann, dass nur ungefähr zwei Minuten der Auslegung (oder, ehrlich gesagt, eigentlich eher einer Paraphrase) des Evangeliums galten und der Rest dem neuen Papst gewidmet war. Schon in seinen Begrüßungsworten hatte der Pfarrvikar erklärt: "Wir haben Grund, Gott zu danken, besonders dass wir einen neuen Papst haben." Hinzugefügt hatte er, im Pastoralteam der Pfarrei gebe es jemanden, der den neuen Papst "sehr, sehr gut kennt" – und das ist... Trommelwirbel... Pater Mephisto. Näheres hierzu konnte man wenig später auf dem Instagram-Auftritt der Pfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd erfahren, nämlich, dass der heutige Leo XIV. im Jahr 2011, damals in seiner Eigenschaft als Generalprior des Augustinerordens, seinen bis dahin in Kinshasa (Demokratische Republik Kongo) tätig gewesenen Ordensbruder Pater Mephisto als Ordensökonom nach Rom berief. Nun könnte man natürlich meinen, wenn jemand wie Pater Mephisto dem neuen Papst auf der Basis persönlicher Bekanntschaft und Zusammenarbeit ein positives Zeugnis ausstellt, dann werfe oder würfe das ein eher zweifelhaftes Licht auf diesen; diese Sichtweise möchte ich mir aber nicht zu eigen machen – und dies nicht nur, weil ich mir meinen bisher sehr positiven Eindruck von Papst Leo XIV. nicht durch sowas kaputtmachen lassen will, sondern auch, weil ich Pater Mephisto als jemanden kennengelernt habe, der durchaus fähig ist, Wertschätzung für Menschen zu empfinden und auszudrücken, die nicht unbedingt "auf seiner Linie" sind. Ganz davon zu schweigen, dass man bei ihm, wie schon gelegentlich angedeutet, ohnehin nie so ganz sicher sein kann, was für eine "Linie" das eigentlich ist

Aber noch einmal zurück zu dem besagten Instagram-Beitrag: Diesem kann man auch entnehmen, dass der jetzige Papst Leo XIV. tatsächlich schon mal hier, also in Berlin-Reinickendorf, war; genauer gesagt in St. Rita, wo es ja ein Augustinerkloster gibt, dem bis 2012 auch die Seelsorge für die damals noch selbständige Pfarrei St. Rita oblag. Im Jahr 2004 besuchte der damalige Augustiner-Generalprior und jetzige Papst St. Rita im Rahmen einer Ordensvisitation und konzelebrierte bei dieser Gelegenheit auch bei einer Familienmesse zum Dreifaltigkeitssonntag. Es gibt Fotos! 

Was bleibt nun noch zu sagen, um diesen Artikel "rund" zu kriegen? Ich könnte noch auf den RBB-Rundfunkgottesdienst vom Weißen Sonntag eingehen, der in St. Bernhard Tegel-Süd aufgenommen wurde und bei dem der leitende Pfarrer der Pfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd die Predigt hielt; aber diese Predigt – die man online nachhören oder –lesen kann, wenn man denn wirklich will – ist dermaßen banal und zugleich geschwätzig, dass sich wirklich jeder Kommentar erübrigt. Wenn man nichts zu sagen weiß, sollte man's vielleicht einfach lassen


Samstag, 17. Mai 2025

Die 3 K der Woche (25): Kinder, Kirche, Klassentreffen

Gott zum Gruße, Leser! Aus Gründen, auf die ich weiter unten näher eingehen werde, habe ich eine vergleichsweise ruhige und ereignisarme Woche hinter mir – mit Ausnahme eines Wochenendes in Nordenham, das umso ereignisreicher war und dessen Schilderung daher den Löwenanteil dieses Wochenbriefings ausmachen wird. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass auch für diejenigen Leser, die keinen persönlichen Bezug zur schönen Wesermarsch haben, genug Interessantes dabei ist. Überzeugt Euch selbst! 

Diese Wandgemälde im Altbau des Gymnasiums Nordenham wurden von Schülern im Rahmen eines Unterrichtsprojekts zum Thema Surrealismus geschaffen, irgendwann in den 1990ern, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt.


Alt sind wir geworden! 

Wie bereits erwähnt, war ich am vergangenen Samstag in aller Frühe (und solo) nach Nordenham aufgebrochen, um dort an der Feier zum 30jährigen Jubiläum des Abiturjahrgangs 1995 teilzunehmen. Auf der Anreise sammelte ich eine Stunde und 20 Minuten Verspätung an, kam aber auch so noch rechtzeitig, um bei meiner Mutter zu Mittag zu essen; Treffpunkt für die Jubiläumsfeierlichkeiten war dann um 15 Uhr am Gymnasium. 

Als ich dort eintraf, waren bestimmt schon so 20 Leute dort, und es wurden in rascher Folge immer mehr; bald waren es mehr als 70. Und nun begann das heitere "Wer ist wer?"-Spiel, denn sehr viele meiner früheren Mitschüler hatte ich tatsächlich fast 30 Jahre lang nicht gesehen, oder höchstens mal flüchtig. Ich erkannte zwar fast alle, aber bei einigen musste ich zwei- bis dreimal hinsehen. Man muss allerdings feststellen: Während einige Leute aus meinem Abi-Jahrgang sich wirklich sehr verändert haben, ist es mindestens ebenso bemerkenswert, wie wenig sich einige andere in all den Jahren verändert haben. Erstaunlich viele sahen so aus, als hätte eine KI anhand vom 30 Jahre alten Fotos berechnet, wie sie heute aussehen müssten; und einige sahen noch nicht mal so viel älter aus. Insgesamt ging mir bei den Begegnungen mit meinen Ex-Mitschülern dennoch der Gedanke durch den Kopf: An den Anderen sieht man, wie alt man selber geworden ist. Man selbst altert unmerklich, weil einem das eigene Gesicht jeden Tag im Spiegel begegnet und man dabei natürlicherweise von Tag zu Tag keine großen Veränderungen feststellt. 

Ehe ich mich nun aber in Betrachtungen über Freude des Wiedersehens mit alten Freunden und Weggefährten, über die vielen im Laufe des Nachmittags und Abends geführten Gespräche und die allgemeine Stimmung bei der Veranstaltung vertiefe, möchte ich erst einmal noch bei der Schilderung des Ablaufs verweilen. Zunächst stand nämlich ein Rundgang durch die "alte Wirkungsstätte", wie der Hauptorganisator des Jahrgangstreffens es formulierte, auf dem Programm; wie es in einem auf dem offiziellen Instagram-Account des Gymnasiums Nordenham veröffentlichten Kurzbericht durchaus treffend heißt, sorgte dies für zahlreiche "'Weißt du noch?'-Momente in Klassenräumen und auf Fluren": Das war unser Klassenraum in der Siebten, da hatten wir Latein, in dem Raum fanden immer die Nachschreibeklausuren statt... Alles in allem hatte sich im Gebäude gar nicht so viel verändert in den letzten 30 Jahren. 

Diesen Raum gab's zu unserer Zeit allerdings noch nicht. Also den Raum an sich natürlich schon, aber nicht mit dieser Funktionsbestimmung.

Sehenswert fand ich nicht zuletzt den Kunstraum im Dachgeschoss des Altbaus: 


Nebenbei bemerkt gibt es dort ein paar Schränke, die ich auf den ersten Blick fast für Beichtstühle gehalten hätte: 

Bilden Sie mal einen Satz mit "Mandarin"! – "Wir schaffen uns 'nen Beichtstuhl an, / weil man darin gut beichten kann!"

Ein weiteres Highlight des Nachmittags war die Aushändigung der Abiturklausuren: Wer im Vorfeld signalisiert hatte, daran interessiert zu sein, der konnte gegen eine Spende an den Förderverein des Gymnasiums (in freiwilliger Höhe) seine Original-Abiturklausuren samt Gutachten der Prüfungskommission in Empfang nehmen; da nach 30 Jahren das Abitur nicht mehr angefochten werden könne, bräuchten die Klausuren nicht mehr archiviert zu werden, hatte man uns mitgeteilt. Ich wollte meine definitiv haben; ich konnte mich noch erinnern, dass man bei der Deutsch-Leistungskurs-Klausur zwischen einem Aufgabenvorschlag zu Brechts "Furcht und Elend des Dritten Reiches" und einem zu Novalis' "Die Christenheit oder Europa" wählen konnte und dass ich mich als einziger für Novalis entschieden hatte, aber was ich dazu geschrieben hatte, wusste ich nicht mehr (wenn Interesse besteht, komme ich evtl. in einem zukünftigen Blogartikel darauf zurück); von meiner Englisch-Leistungskursklausur wusste ich nicht einmal mehr das Thema (wie sich zeigte, handelte es sich um einen Auszug aus der Autobiographie der ehemaligen IRA-Terroristin Maria McGuire, "To Take Arms"); und von meiner Mathe-Klausur verstehe ich heute kaum noch etwas. 

Der eigentliche Party-Teil des Jahrgangstreffens fand dann in einem "Tenne" genannten rustikalen Festsaal im Nordenhamer Ortsteil Abbehausen statt, in dem unser Abi-Jahrgang schon vor 30 Jahren einige unvergessliche Partys veranstaltet hatte. Aus Gründen des Daten- bzw. Persönlichkeitsschutzes hier mal ein Foto "ohne Leute drauf"

An dem Wagenrad, das da so dekorativ von der Decke hängt, habe ich mir seinerzeit beim Pogo-Tanzen eine blutende Kopfverletzung geholt.

Die endgültige Teilnehmerzahl der Jubiläumsfeier wurde im Laufe des Abends übrigens mit 83 angegeben. Dazu ist zu sagen, dass im Jahr 1995 am Nordenhamer Gymnasium 98 Schülerinnen und Schüler das Abitur bestanden haben, zur Feier aber auch diejenigen eingeladen waren, die zwar (aus unterschiedlichen Gründen) nicht mit uns Abitur gemacht haben, aber vorher einige Jahre lang mit uns zusammen die Schulbank gedrückt hatten. Das traf auf 16 oder 17 der Jubiläumsgäste zu – was im Umkehrschluss bedeutet, dass gut zwei Drittel der tatsächlichen Absolventen des Jahrgangs zur Feier erschienen waren, eine sehr beachtliche Quote, wie ich finde. 

Nun ist es bei insgesamt über 100 Leuten in einer Jahrgangsstufe wohl ganz natürlich, dass im Laufe der Schulzeit nicht alle mit allen in einem mehr als oberflächlichen Ausmaß in Kontakt kommen; manche kennt man vielleicht kaum mehr als vom Sehen, und manche mag man vielleicht auch nicht so besonders. Somit war ich – und ich hoffe, das nimmt mir insbesondere von den Beteiligten niemand übel – im Vorfeld dieses Jahrgangstreffens durchaus nicht überzeugt, dass das Wiedersehen mit meinen alten Schulkameraden durchweg erfreulich sein würde. Natürlich gab es einige, bei denen ich mich eindeutig und uneingeschränkt auf das Wiedersehen gefreut habe, und einige mehr, auf die ich zumindest gespannt bzw. neugierig war; auf der anderen Seite aber doch auch recht viele, bei denen ich mich zunächst fragte: Was habe ich mit denen eigentlich zu tun, abgesehen von der eher zufälligen Tatsache, dass wir zur selben Zeit auf derselben Schule waren? Wie gesagt: Ich denke, das ist normal. Aber gerade in dieser Hinsicht wurde ich von diesem Jahrgangstreffen positiv überrascht. Schon im Vorfeld hatte ich diesbezüglich ein paar Aha-Erlebnisse gehabt. Die Planung und Vorbereitung der Jubiläumsfeier lief im Wesentlichen über eine WhatsApp-Gruppe ab; dieser Umstand brachte es mit sich, dass alle Beteiligten Zugriff auf die Mobiltelefonnummern aller anderen hatten, und so kam es, dass ich schon in den Wochen vor der Feier zu einigen Leuten aus dem Jahrgang auch "privat", also außerhalb der WhatsApp-Gruppe, Kontakt hatte – und darunter waren durchaus auch solche, die zu Schulzeiten nicht unbedingt zu meinen engsten Freunden gehört hatten. Und nun war ich selbst überrascht, wie sehr es mich freute und bewegte, von ihnen zu hören. Es ist wohl einfach so, dass gemeinsame Erinnerungen – selbst wenn es nicht durchweg positive sind – eine starke Verbindung zwischen Menschen herstellen, stärker als man vielleicht denken würde. Diese Erfahrung haben am vergangenen Samstag, wenn nicht schon im Vorfeld, wohl viele von uns gemacht. Der Hauptorganisator des Treffens – der, ich erwähnte es schon, zufällig denselben Vornamen trägt wie ich – bezeichnete in einem WhatsApp-Gruppenbeitrag am Tag nach der Feier die Mitglieder des Abijahrgangs als "die Menschen, die mich vom Kind zum jungen Mann haben werden lassen"; das mag, gerade für das norddeutsche Gemüt, ein bisschen dick aufgetragen wirken, aber es trifft doch den Kern der Sache. Ein weiteres Zitat aus diesem Statement: "30 Jahre lang habe ich den Menschen aus meinem Umfeld erzählt, wie toll die Zeit rund ums Abitur war. Wahrscheinlich behauptet fast jeder, und das ist auch gut so, 'Mein Jahrgang war der Beste ever.' Seit gestern weiß ich aber, wir waren (und sind) es wirklich." 

Übrigens gab es im Laufe der Feier auch eine Schweigeminute für fünf bereits verstorbene Mitschüler. 

Was mich persönlich betrifft, habe ich sowohl einige meiner besten Freunde aus der Abi-Zeit wiedergetroffen – darunter ein paar, zu denen ich seit rund zwei Jahrzehnten überhaupt keinen Kontakt mehr gehabt hatte – als auch mit einigen anderen Ex-Mitschülern interessantere, tiefere und persönlichere Gespräche geführt als während unserer gesamten Schulzeit. Nur beiläufig sei erwähnt, dass einer meiner Jahrgangsgenossen mir mitteilte, er habe immer geglaubt, ich wäre Priester geworden... (Dabei war ich "damals", also vor 30 Jahren, deutlich "kirchenferner" als heute. Aber damit wohl immer noch in einem Maße "religionsaffin", wie es in meiner Generation eher selten und darum auffällig war.) – Eigentlich wäre das jetzt schon eine schöne Überleitung zu den weiteren Themen dieses Wochenbriefings, aber ich möchte dieses Thema nicht abschließen, ohne noch einmal festzuhalten: Es war ein sensationeller Nachmittag und Abend, ich bin sehr froh, dabei gewesen zu sein, habe mich über alle gefreut, die ich dort getroffen habe, und hoffe, bis zum nächsten Mal dauert es nicht wieder dreißig Jahre... 


St. Willehad feiert Papst Leo XIV. 

Mein Wochenendausflug nach Nordenham brachte es mit sich, dass ich am 4. Sonntag der Osterzeit in der Nordenhamer Pfarrkirche St. Willehad die Messe besuchte. Es war, wohlgemerkt, der erste Sonntag unter dem Pontifikat Leos XIV., und wie sich zeigte, hatte das erhebliche Auswirkungen auf die Gestaltung der Messe. Zelebriert wurde sie, wie ich bereits dem Gemeindeblatt "Willehad aktuell" entnommen hatte, glücklicherweise von Pastor Kenkel; Diakon Richter wirkte ebenfalls mit, u.a. trug er das Evangelium vor, die Predigt kam aber vom Zelebranten, und ich schätze, das war gut so. Auch wenn ich zunächst nicht sehr erbaut war, als zu Beginn der Predigt der Projektionsschirm im Altarraum ausgeklappt wurde. 

Dieser Projektionsschirm, der an einer Wand im Altarraum befestigt ist und, solange er nicht benutzt wird, zur Wand hin weggeklappt werden kann, ist eine Errungenschaft, die Pfarrer Jasbinschek in St. Willehad eingeführt hat; Pastor Kenkel kann man im vorliegenden Fall immerhin zugute halten, dass er diesen Schirm sinnvoller zu nutzen wusste, als ich es in anderen Gottesdiensten an diesem Ort erlebt habe, in denen der Schirm im Wesentlichen dazu genutzt wurde, die Predigt oder auch andere Teile des Gottesdienstes mit mehr oder weniger "stimmungsvollen" Symbolbildern zu illustrieren. Nicht so diesmal: Pastor Kenkel bezog sich in seiner Predigt ausgiebig auf die Antrittsrede des neuen Papstes, die dieser unmittelbar nach seiner Wahl gehalten hatte, und der Text dieser Ansprache wurde dabei abschnittsweise auf den Schirm projiziert – wobei einzelne Passagen, auf die in der Predigt besonders eingegangen wurde, im Schriftbild hervorgehoben waren. Ich hatte es bisher eigentlich für "typisch freikirchlich" gehalten, bei Predigten mit derartigen Präsentationen zu arbeiten, und weiß ehrlich gesagt nicht so recht, wie ich das mit der Würde der Heiligen Messe in Einklang bringen soll; aber konzentrieren wir uns lieber mal auf den Inhalt der (gerade mal acht Minuten langen) Predigt. Die Antrittsrede des neuen Papstes habe ihn "ermutigt", betonte Pastor Kenkel gleich zu Beginn; sodann stellte er einen Bezug zwischen den Worten des Papstes "Gott liebt uns, Gott liebt euch alle, und das Böse wird nicht siegen! Wir sind alle in Gottes Hand" und dem Evangelium dieses Sonntags her, in dem es heißt "Meine Schafe [...] werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen" (Johannes 10,27f.). Soweit, so gut; richtig spannend wurde die Predigt aber, als Pastor Kenkel auf den Appell des Papstes – wie auch des vorigen – zu sprechen kam, die Kirche müsse missionarisch sein, "ohne Angst das Evangelium verkünden" wie die Apostel in der 1. Lesung dieses Sonntags (Apostelgeschichte 13,14.43b-52). In diesem Zusammenhang ließ der Pastor sogar Kritik am Synodalen Weg anklingen, indem er erwähnte, Papst Franziskus habe "extra uns Deutschen einmal einen Brief geschrieben" – der unseren Bischöfen offenbar nicht sehr gefallen habe, "deshalb haben sie ihn nicht veröffentlicht; man kann ihn trotzdem finden im Netz" –, um die Kirche in Deutschland zu ermahnen, die Neuevangelisierung nicht zu vernachlässigen. "Ihr müsst auf das Wort zurück, auf das Wesentliche, und von da ausgehend den Menschen neu Christus verkünden", fasste er die Kernaussage dieses Schreibens zusammen – und fügte hinzu: "Und Papst Leo stößt in das gleiche Horn." Mit anderen Worten: Wenn jetzt so viel die Rede davon ist, dass der neue Papst den Kurs seines Vorgängers fortsetzen solle und dies nach eigener Aussage auch durchaus beabsichtigt, dann sollte man bedenken, dass dieser Kurs in entschiedenem Widerspruch zu demjenigen steht, den die Kirche in Deutschland mit dem Synodalen Weg eingeschlagen hat. – Überhaupt muss ich sagen, schon allein dass der Begriff Neuevangelisierung in dieser Predigt vorkam, zweimal sogar und uneingeschränkt positiv besetzt, hätte ich von einer Predigt in St. Willehad, und nicht nur dort, wahrhaftig nicht erwartet. "Wir sind Jünger Christi", betonte Pastor Kenkel. "Die Welt braucht Sein Licht, die Menschheit braucht Ihn." Und der Schlusssatz seiner Predigt an diesem Sonntag lautete: "Ich danke dem Heiligen Geist, dass Er uns diesen Papst geschenkt hat; dass Er auch heute noch Seine Kirche führt." 

Auch liturgisch gab es an dieser Messe wenig zu bemängeln, gerade für Nordenhamer Verhältnisse. Die Lieder wurden größtenteils dem Münsteraner Regionalteil des Gotteslobs entnommen und waren mir daher eher wenig geläufig, aber immerhin: Das Kyrie war ein richtiges Kyrie, das Gloria ein richtiges Gloria, das Sanctus ein richtiges Sanctus und das Agnus Dei ein richtiges Agnus Dei, und das ist schon mehr, als ich erwartet hätte. Zum Auszug gab es sogar ein Marienlied ("Wunderschön Prächtige", nach ortsüblicher Melodie). Dass der Antwortpsalm durch eine Strophe der Weltjugendtagshymne "Jesus Christ, You Are My Life" ersetzt wurde und der Halleluja-Ruf vor dem Evangelium durch eine weitere Strophe, war so ein Fall von "Na, ich weiß ja nicht", aber meinetwegen, Geschmackssache. Immerhin gab es beide Lesungen, auch nicht unbedingt selbstverständlich. 

Nach der Kommunion und dem Danklied trat nochmals der Lektor an den oder das Ambo und verlas "Einige Anekdoten über unseren neuen Papst Leo XIV.". Allgemein gesprochen wäre ich geneigt, es für eine Willehad-typische Unart und eine Frucht jahrzehntelanger liturgischer Verwahrlosung zu halten, nach dem eucharistischen Teil der Messe partout noch einen weiteren Wortbeitrag einzuschieben, aber andererseits: Anderswo kommen an genau dieser Stelle der Messe die Vermeldungen dran, das ist auch nicht unbedingt erbaulicher. Was die inhaltliche Seite der Anekdoten angeht, finde ich sie mit dem anschließenden Kommentar von Pastor Kenkel – "Scheint 'n feiner Kerl zu sein" – durchaus treffend zusammengefasst; gleichwohl muss ich kritisch anmerken, dass mir die Zusammenstellung dieser Anekdoten ein bisschen arg offensichtlich darauf zugeschnitten war, den neuen Papst als bescheidenen, bodenständigen "Typen von nebenan" darzustellen. Auch wenn das alles stimmt, scheint mir das Bedürfnis, den Papst so zu sehen, in dieser starken Ausprägung doch fragwürdig. 

Bereits beim Betreten der Kirche hatte ich im Eingangsbereich ein Faltblatt mit dem Titel "Gebet um einen neuen Bischof von Münster" ausliegen sehen und mir ein Exemplar mitgenommen. Ein Hinweis auf Verfasser, Herausgeber oder presserechtlich Verantwortliche war nicht zu entdecken, aber inzwischen habe ich das Gebet auf der Website gut-katholisch.de wiedergefunden und dort erfahren, dass das Faltblatt von der Karl-Leisner-Jugend erstellt wurde und vertrieben wird. In dem Gebet werden die Bistumspatrone und die aus dem Bistum hervorgegangenen Heiligen und Seligen um Fürsprache dafür angerufen, dass das Bistum Münster einen Bischof bekommt, der "unermüdlich das Evangelium verkündet", "ein wirklicher Vater im Glauben ist", "von Eifer für die eigene Heiligung wie von Eifer für die Heiligung der ihm Anvertrauten erfüllt ist", der "ohne Menschenfurcht in schwierigen Zeiten für das Lebensrecht aller eintritt", "der bereit ist, den Glauben bis zur Hingabe seines Lebens zu verteidigen" und noch manches Andere. Finde ich gut! Nebenbei bemerkt möchte ich daran erinnern, dass ich unlängst schon prognostizierte, der künftige Bischof von Münster könnte "der erste deutsche Diözesanbischof sein [...], der vom nächsten Papst ernannt wird". Worüber ich mir bisher keine Gedanken gemacht hatte, war der Umstand, dass die Münsteraner Diözesanen bis zur Wahl von Leo XIV. gewissermaßen eine "doppelte Sedisvakanz" hatten, insofern, als sie weder Papst noch Bischof hatten. 

Hervorheben möchte ich übrigens noch, dass die St.-Willehad-Kirche an diesem Sonntag sehr gut besucht war und dass ich den Eindruck hatte, die Gemeinde sei im Durchschnitt jünger und "diverser", als ich das von anderen Orten, zum Beispiel aus der Tegeler Pfarrei, kenne. Alles in allem verfestigt sich der Eindruck, dass sich in St. Willehad in jüngster Zeit "etwas bewegt", und ich kann nur hoffen, dass der neue Pfarrer, der im September die Leitung der Pfarrei übernehmen wird, diese Entwicklung weiter fördert und nicht etwa hemmt


Loch im Bauch 

Da die Erfahrung mir gezeigt hat, dass zumindest ein Teil meiner Leserschaft durchaus Anteil an meinem persönlichen Wohl und Wehe und dem meiner Familie nimmt, und da die Lektüre von Dorothy Days Kolumnen aus den 60ern mich darin ermutigt hat, meine Leser quasi als "Teil der (erweiterten) Familie" zu betrachten und anzusprechen (die gute Dorothy hatte erheblich mehr Leser als ich und hat sich trotzdem nicht gescheut, zuweilen recht persönliche Informationen über sich und ihre Angehörigen preiszugeben), möchte ich hier nicht verschweigen, dass ich am Montag beim Arzt war und dieser bei mir, wie ich selbst bereits vermutet hatte, eine Hernie in der Nabelgegend diagnostiziert hat. Um den Kindern zu erklären, was das ist, bin ich auf die Formulierung "Ich habe ein Loch im Bauch" verfallen. An und für sich ist das, wie mir der Arzt versicherte, nicht besonders schlimm, jedenfalls solange die Schwellung unterhalb des Bauchnabels sich bei Entspannung, also z.B. im Liegen, unproblematisch zurückbildet; aber um möglichen Komplikationen vorzubeugen, dürfte eine Operation doch ratsam sein. Habe zur genaueren Abklärung eine Überweisung an einen Spezialisten erhalten und versuche bis dahin, mich im Rahmen des Möglichen einigermaßen zu schonen. War deswegen am Mittwoch auch nicht mit beim JAM, obwohl ich das bedauert habe. Immerhin brachte meine Liebste mir von dort Grüße und Genesungswünsche vom Team und von anderen Eltern mit, einschließlich der Versicherung, ich müsse mir keine Sorgen machen, so eine Hernien-OP sei keine große Sache. Das hat mir der Arzt, bei dem ich am Montag war, auch gesagt, und im Prinzip glaube ich das auch, aber irgendwie Bammel habe ich doch. Was mir übrigens auch zeigt, wie viel mir in Sachen Gottvertrauen noch fehlt. Grundsätzlich bekenne ich mich immer gern zu der Auffassung, dass man nicht tiefer fallen kann als in Gottes Hand, und wenn ich nicht ernsthaft daran glauben und mich in meinen Lebensentscheidungen davon leiten lassen würde, dann wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Daraus könnte man natürlich auch folgern: Dass ich heute da bin, wo ich bin, beweist geradezu, dass die Aussage stimmt. Und dennoch: Die Fähigkeit, alles in Gottes Hände zu legen und mir keine Sorgen zu machen, habe ich noch nicht erlangt. Manchmal – besonders in der Eucharistischen Anbetung, aber durchaus auch beim "Beten mit Musik" – gibt es kurze Momente, in denen ich sozusagen einen Zipfel dieser Fähigkeit erhasche, ein Gefühl dafür bekomme, wie es wäre, sich über nichts Sorgen zu machen, weil man weiß, dass letztlich alles in Gottes Hand liegt. Und ich kann dir sagen, Leser: Das wäre eine echte Superkraft. Vielleicht ist es für einige Leute ganz beruhigend, dass ich diese Superkraft nicht habe. Trotzdem, ich arbeite dran. 


Noch etwas Konklave-Feedback 

Den wohl schönsten Kommentar zum Konklave habe ich auf der App Formerly Known As Twitter gefunden: "Katholische Kirche zieht so ne geile Scheiße wie Konklave ab evangelische Kirche irgendeine Ute spielt Gitarre während Pfarrer Björn flashmob startet", schrieb Nutzer @septinger95 und erntete für diese prägnante Feststellung über 3000 Likes. Ich schätze, es wäre gut, wenn mehr Katholiken hierzulande – gerade auch solche an einflussreichen Positionen des institutionellen Apparats der Kirche – sich dieser Wirkung, die die Rituale der Kirche auf Außenstehende haben, stärker bewusst wären und darin eine Stärke der Kirche erkennen würden, statt sie als unzeitgemäßen Ballast zu betrachten. 

Und übrigens, da wir gerade beim Stichwort "Wirkung auf Außenstehende" sind: Im Zuge der Konklave-Berichterstattung auf EWTN erzählte Rudolf Gehrig, er habe unlängst mit einer Journalistenkollegin gesprochen, die "mit der Kirche nicht viel am Hut" habe; und diese habe im Zusammenhang mit den Beerdigungsfeierlichkeiten für den verstorbenen Papst erwähnt, Franziskus habe sie beeindruckt, weil er der erste Papst gewesen sei, der Leuten die Füße gewaschen habe. Rudolf merkte an, als Kirchenjournalist kratze man sich natürlich erst mal am Kopf, wenn man so etwas höre – denn selbstverständlich war Franziskus nicht der erste Papst, der Leuten die Füße gewaschen hat. Trotzdem, meinte Rudolf, sollte man solche Äußerungen ernst nehmen, denn sie zeigen, was für eine andere Perspektive Leute, die der Kirche fern stehen, auf Dinge haben, die "uns" selbstverständlich erscheinen. 

Zu der verständlicherweise vieldiskutierten Frage, was der neue Papst denn nun "für einer sei", hat – wieder einmal – Peter Winnemöller einen klugen und besonnenen Beitrag verfasst. Die Tatsache, dass alle möglichen innerkirchlichen Fraktionen und "Lager" den neuen Papst gern für ihre Positionen vereinnahmen möchten, ordnet er als "Kaffeesatzlese[n]" ein und merkt an: "Es ist irgendwie ganz natürlich, dass sich alle vom neuen Papst bestätigt fühlen. Alle sind glücklich. Alle haben schon immer so gedacht und sich genau diesen Papst gewünscht." Da hat es fast schon etwas Erfrischendes, dass es auch Leute gibt, die dem Papst von vornherein nichts Gutes zutrauen; zugleich ist es aber auch beruhigend, dass solche Stellungnahmen, soweit ich es überblicken kann, schwerpunktmäßig eher von außerhalb der Kirche kommen. Zum Beispiel aus radikal antikatholischen Fraktionen des Protestantismus. Als das Gebetshaus Augsburg auf Facebook einen (vergleichsweise nüchtern gehaltenen) "Habemus Papam"-Beitrag postete, kommentierte eine Facebook-Nutzerin prompt, der neue Papst habe "sofort Maria angebetet", und garnierte dies mit einem Kotz-Smiley; sinngemäß ähnlich las man's tags darauf in den Kommentaren zu einem Beitrag auf der Facebook-Seite von idea: "Als erstes hat er Maria angebetet und dann einen Ablass ausgesprochen. Das ist unbiblisch hoch drei. Für Protestanten gibt es mit so jemandem keine Gemeinsamkeiten im Glauben." Wirklich gar keine? So hart würde ich über Protestanten (bzw. deren Glauben) nicht urteilen. 

Derweil haben die amerikanischen Katholiken, wie sie selbst es wohl ausdrücken würden, natürlich einen "field day" angesichts der Tatsache, dass "Father Bob aus Chicago Papst geworden ist"; es kursieren allerlei Witze darüber, von Spekulationen, der neue Papst könnte Ketchup auf Hot Dogs verbieten, bis hin zu diesem Meme

Gefunden hier

Insgesamt scheint es jedenfalls, dass die Freude über den neuen Papst in der katholischen Welt, quer durch die innerkirchlichen "Lager", sehr groß ist – so groß, dass jedem, der etwas Kritisches über ihn sagt, ein vielstimmiges "Ach, halt die Klappe!" (oder zumindest "Ach komm, wart's doch erst mal ab") entgegenschallt. Man kann wohl sagen, Papst Leo hat die Herzen im Sturm erobert. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht. 


Geistlicher Impuls der Woche 

Auch heute wird der christliche Glaube in nicht wenigen Fällen als etwas Absurdes angesehen, als etwas für schwache und wenig intelligente Menschen; vielfach werden andere Sicherheiten wie Technologie, Geld, Erfolg, Macht und Vergnügen bevorzugt. Es handelt sich um Umfelder, in denen es nicht leicht ist, das Evangelium zu bezeugen und zu verkünden, und in denen Gläubige verspottet, bekämpft, verachtet oder bestenfalls geduldet und bemitleidet werden. Doch gerade deshalb sind dies Orte, die dringend der Mission bedürfen, denn der Mangel an Glauben hat oft dramatische Begleiterscheinungen: dass etwa der Sinn des Lebens verlorengeht, die Barmherzigkeit in Vergessenheit gerät, die Würde des Menschen in den dramatischsten Formen verletzt wird, die Krise der Familie und viele andere Wunden, unter denen unsere Gesellschaft nicht unerheblich leidet.

Vielfach wird Jesus, obwohl er als Mensch geschätzt wird, auch heute bloß als eine Art charismatischer Anführer oder Übermensch gesehen, und zwar nicht nur von Nichtgläubigen, sondern auch von vielen Getauften, die so schließlich in einen faktischen Atheismus geraten. Dies ist die Welt, die uns anvertraut ist und in der wir, wie Papst Franziskus uns so oft gelehrt hat, berufen sind, den freudigen Glauben an Jesus, den Erlöser, zu bezeugen. Deshalb ist es auch für uns unerlässlich, immer neu zu bekennen: "Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes" (Mt 16,16).

(Papst Leo XIV., Predigt in der Messe zum Abschluss des Konklaves am 9. Mai 2025 in der Sixtinischen Kapelle


Ohrwurm der Woche 

R.E.M.: Pop Song 89 

Im Zuge meiner seelisch-emotionalen Einstimmung auf die oben ausführlich geschilderte "Abi 95"-Jubiläumsfeier habe ich etwas gemacht, was ich schon lange nicht mehr gemacht hatte, nämlich: mir Musik-CDs aus der Bibliothek ausleihen. Ein Grund, warum ich das lange nicht gemacht habe: Wer hat heutzutage noch einen CD-Player? In unserem Haushalt befindet sich ein alter, gebrechlicher Laptop, der über ein eingebautes CD-Laufwerk verfügt, und mit viel Geduld und gutem Zureden konnte ich diesen tatsächlich dazu bringen, die geliehenen Scheiben abzuspielen. Darunter waren zwei Alben von R.E.M. – aus der Zeit, bevor die Band, zumindest diesseits des Großen Teichs, im Mainstream ankam: "Document" (1987) und "Green" (1988). Das fünfte und sechste Studioalbum der Band übrigens, so etwas gab es damals noch, dass eine Gruppe erst mit ihrer siebten Langspielplatte ihren großen Durchbruch schaffte, statt sich bis dahin schon längst aufgelöst zu haben. Nun ist es natürlich so ein typisches Hipster-Ding, zu sagen "Ich hab die schon gehört, bevor es cool war, und überhaupt, früher, als sie sich noch nicht verkauften, warnse besser"; aber trotzdem ist es nun einmal so, dass Mainstream-Erfolg für eine Alternative Rock-Band ein Problem ist und zu Identitätskrisen führen kann. Und icv sag mal: Wer R.E.M. "nur" von ihren beiden erfolgreichsten Platten, "Out of Time" (1991) und "Automatic for the People" (1992), kennt, wird vermutlich komisch gucken, wenn ich sage, dass R.E.M. eigentlich eine Postpunk-Band war. Gut fand ich die beiden zuletzt genannten Platten trotzdem immer noch, und das Album "Monster" (1994), mit dem sie zu einem raueren, rotzigeren Sound zurückzukehren versuchten und einen Großteil ihrer neuen Fans damit erfolgreich wieder vergraulten, auch; die weiteren Veröffentlichungen der Gruppe rauschten dann mehr oder weniger an mir vorbei, bis zu der Single "Imitation of Life" von 2001, die ich dann auch wieder sehr schön fand. Trotz alledem würde ich behaupten, auf den Alben "Document" und "Green" sind R.E M. auf eine Weise bei sich selber, wie sie es später nicht mehr waren, und der hier ausgewählte Song vom Album "Green" gehört zu meinen definitiven Lieblingsstücken von dieser Band. Obendrein passen die Verse "Should we talk about the weather, should we talk about the government?" gut zu dem, was ich im letzten Absatz dieses Blogartikels sagen möchte. 

Übrigens habe ich das Originalvideo zum Song hier nicht verlinkt, und zwar wegen der darin zu sehenden nackten Brüste. Ich persönlich finde den Anblick zwar nicht so schlimm, dachte mir aber, ich nehme lieber mal Rücksicht auf Leser, die daran Anstoß nehmen könnten. 


Vorschau/Ausblick

Wie schon angekündigt, fand heute bei uns zu Hause eine Kinderparty statt, zehn Kinder waren eingeladen, acht davon kamen, dazu fünf Mütter (zeitweilig sechs) und ein Vater – damit war die Bude also ganz schön voll, und eventuell werde ich im nächsten Wochenbriefing noch auf diesen turbulenten Tag zurückkommen. Am morgigen fünften Sonntag der Osterzeit findet in St. Joseph Siemensstadt die zweite Runde der diesjährigen Erstkommunion statt, in Rom hingegen die feierliche Amtseinführung von Papst Leo XIV. (EWTN überträgt live). Am Montagmorgen habe ich dann erst mal einen erneuten Arzttermin im Zusammenhang mit meinem "Loch im Bauch" (Gebet ist willkommen!). Weiter steht für die kommende Woche noch nichts Besonderes im Terminkalender, was sich – je nachdem, wie der Arzttermin verläuft – als recht günstig erweisen könnte. Auf jeden Fall habe ich die Absicht, die kommende Woche – wie auch schon die letzten Tage – dazu zu nutzen, in Ruhe an einigen Artikeln zu arbeiten, die außerhalb der Wochenbriefing-Reihe erscheinen sollen. Dazu gehört auch ein Update zum Pfarrhausfamilien-Projekt; mal sehen, wie bald ich damit fertig werde.

Was ich übrigens auch noch loswerden möchte: Die Reaktionen auf meinen jüngsten Artikel zur Stimmungslage unter den CDU-Wählern haben mir einmal mehr demonstriert, dass ich wahrscheinlich deutlich mehr Traffic auf meinem Blog haben könnte, wenn ich mehr über Politik schreiben würde (bzw. über das, was man gemeinhin unter der Bezeichnung "Politik" zu verstehen pflegt). Ich glaube aber, ich werde aus dieser Erfahrung lieber die Konsequenz ziehen, zukünftig wieder weniger über Politik zu schreiben. Weil ich es ehrlich gesagt befremdlich finde, wie wichtig viele Leute dieses Thema finden, und dies weder unterstützen noch mich da mit 'reinziehen lassen möchte. Dass Leute sich derart darüber ereifern können, wer gerade an der Regierung ist und welche Partei man wählen oder nicht wählen sollte, scheint mir für eine maßlose Überschätzung von Politik zu sprechen – eine Überschätzung sowohl des tatsächlichen Handlungsspielraums der Regierenden als auch der tatsächlichen Auswirkungen des Regierungshandelns auf das alltägliche Leben, von Fragen des ewigen Lebens, also des Seelenheils, mal ganz zu schweigen. Ehrlich, Leute, statt politische Debatten im Fernsehen zu suchten, solltet ihr lieber mehr im Garten arbeiten, wenn ihr einen habt. Legt einen Teich an, bastelt mit euren Kindern ein Insektenhotel. Wenn ihr keinen Garten habt, lest ein gutes Buch, spielt Brettspiele, lernt ein kreatives Hobby, meinetwegen Teppiche knüpfen oder Möbel tischlern. Glaubt mir, die Welt hat mehr davon, und ihr selbst erst recht.