Eine Drei-Jahres-Bilanz in Sachen Punkpastoral
Ich hatte es schon erwähnt: Der Tag unserer Rückreise aus dem Herbsturlaub – Montag, der 28. Oktober – war der Festtag der Apostel Simon und Judas, und das ist in der Geschichte der "Punkpastoral"* ein recht markantes Datum; denn an diesem Tag vor drei Jahren haben meine Liebste und ich unsere Mitarbeit in der Pfarrei Herz Jesu Tegel beendet. Ich hatte während der langen Rückreise von Runding nach Berlin also reichlich Zeit und Gelegenheit, eine Bilanz der zurückliegenden drei Jahre zu ziehen.
Die Apostel Simon und Judas auf einem Seitenflügel des Hochaltars des Münsters Heilsbronn (Foto von Wolfgang Sauber, Quelle und Lizenz hier) |
Zunächst einmal muss man einräumen, dass wir – meine Liebste und ich – ein solches Maß an Aktivität und Engagement in der Pfarreiarbeit, und damit einhergehend auch ein solches Maß an Einbindung in die Strukturen der Pfarrei, wie wir sie bis vor drei Jahren in Herz Jesu Tegel hatten, seither nicht wieder erreicht, zum Teil auch gar nicht angestrebt haben. Ich war im Pfarrgemeinderat, meine Liebste hatte den Vorsitz des Fördervereins der Pfarrkirche inne: Das vermissen wir beide nicht. Das eigentliche Herzstück unserer Arbeit in der Pfarrei, das "Dinner mit Gott", war in der Corona-Zeit zum Erliegen gekommen; das Büchereiprojekt machte nur sehr schleppende Fortschritte, da es innerhalb der Gemeinde an Leuten fehlte, die zur Mitarbeit bereit waren, wohingegen es ganz und gar nicht an Leuten fehlte, die die Bücherkartons im Gemeindehaus als Belästigung und Ärgernis empfanden. – Das war, wenn ich es recht bedenke, mehr oder weniger das Standard-Reaktionsschema der Alteingesessenen der Gemeinde auf unsere Initiativen; aber ich will mir nicht vorgreifen. Der in der Corona-Zeit ebenfalls zum Erliegen gekommene Krabbelbrunch war im Zuge der allmählichen Lockerung der Hygienevorschriften gerade wieder angelaufen; davon abgesehen war ich im Lektorenkreis, wir veranstalteten einmal wöchentlich eine Lobpreisandacht und gestalteten zu den entsprechenden Zeiten des Kirchenjahres Kreuzweg-, Mai- und Rosenkranzandachten. Alles in allem also wirklich eine ganze Menge; so ziemlich allen unseren Unternehmungen in der Tegeler Pfarrei war allerdings gemeinsam, dass sie vom harten Kern der Gemeinde kaum angenommen wurden: Selbst diejenigen Gemeindemitglieder, die uns versicherten, sie schätzten unsere Initiativen und sähen sie als Bereicherung des Gemeindelebens, nahmen kaum daran teil; im Hintergrund lief so allerlei an Mobbing und übler Nachrede, was man gar nicht alles nacherzählen kann, und insgesamt wurde uns recht unverhohlen zu verstehen gegeben, wir könnten schon dankbar sein, dass man uns unsere Sachen machen lasse. – So ärgerlich ich diese Einstellung immer fand und im Rückblick immer noch finde, muss ich aus heutiger Sicht zugeben, dass da auf eine verschrobene, verkorkste Weise etwas Wahres dran war: Immerhin hatte man auf diese Weise Gelegenheit, Konzepte zu entwickeln und auszuprobieren, auch wenn es auf die Dauer natürlich unbefriedigend war, dass sich niemand dafür interessierte. In unserer jetzigen Pfarrei ist das – aus einer Reihe von Gründen – schwieriger.
Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist zunächst einmal die größere räumliche Entfernung von unserem Zuhause. Zu unseren besten Zeiten in der Tegeler Pfarrei haben wir fast jede Woche eine Veranstaltung – wenn man die Lobpreisandachten mitzählt, sogar zwei pro Woche. Das war schon manchmal schwer zu stemmen gewesen, aber wenn die Gemeinderäume nicht in fußläufiger Entfernung von der eigenen Wohnung liegt, ist es erst recht nicht mehr zu schaffen. Hinzu kommt, dass man natürlicherweise innerhalb der Gemeinde nicht so gut integriert und vernetzt ist, wenn man nicht im selben Kiez wohnt wie die anderen Gemeindemitglieder.
Sodann spielt es auch eine Rolle, dass die Kinder größer geworden sind. Mancher mag jetzt vielleicht denken, das müsste eigentlich ein Faktor sein, der die Dinge einfacher macht, und vielleicht wird das auch mal so sein, wenn sie noch größer sind; vorläufig ist jedenfalls das Gegenteil der Fall. Als unsere Tochter klein war, haben wir sie einfach zu allen unseren Aktivitäten mitgenommen, und der Jüngste war zu dem Zeitpunkt, als wir den Staub der Tegeler Pfarrei von unseren Füßen schüttelten, ohnehin erst gut ein halbes Jahr alt. Inzwischen haben die Kinder vermehrt eigene Interessen und damit auch eigene Termine, was sich erheblich auf das allgemeine Zeitmanagement der Familie auswirkt. Nicht dass ich mich darüber beklagen möchte: Sich um die Bedürfnisse seiner Kinder zu kümmern, ist nicht etwas, was einen von wichtiger Arbeit abhält, sondern ist selbst wichtige Arbeit. Oder, um einen (in verschiedenen Varianten) gern der Hl. Mutter Teresa von Kalkutta zugeschriebenen Ausspruch zu zitieren: "Wenn du den Frieden in der Welt fördern willst, geh heim und liebe deine Familie." – Auch hier könnte man natürlich sagen, wenn wir stärker in die Gemeinde integriert wären, hätten mit einiger Wahrscheinlichkeit auch die Kinder mehr soziale Kontakte und idealerweise Freundschaften innerhalb der Gemeinde, und das würde es natürlich erheblich leichter machen, Familienleben und Gemeindearbeit unter einen Hut zu kriegen. Das ist ein Punkt, auf den noch zurückzukommen sein dürfte.
Zusätzlich, und ironischerweise, wird unser Engagement in der Gemeinde St. Joseph Siemensstadt/St. Stephanus Haselhorst aber auch dadurch etwas gebremst, dass das Gemeindeleben dort alles in allem in einem erheblich besseren Zustand ist als in Tegel: Da gibt es einfach keinen so großen oder so offenkundigen Bedarf an neuen Leuten, die neue Impulse bringen.
Das ändert wohlgemerkt nichts daran, dass wir hier auf der anderen Seite – wie ich schon öfter betont habe, aber ich finde, man kann das gar nicht genug hervorheben – ein hohes Maß von Wertschätzung und Unterstützung für unser Engagement erfahren, auch von Seiten hauptamtlicher Mitarbeiter; und diese Erfahrung, dass unsere Mitarbeit in der Gemeinde nicht bloß toleriert wird, sondern ausdrücklich erwüscht ist und aktiv gefördert wird, ist schon sehr viel wert, gerade vor dem Hintergrund unserer früheren Erfahrungen. Da wäre es sicherlich grob undankbar, sich darüber zu beklagen, dass die Unterstützung der Verantwortlichen der Gemeinde sich nicht auf alle unsere Ideen und Konzepte erstreckt. Zum Beispiel zeigte die Gemeinde von Anfang an kein Interesse daran, das in Tegel ins Stocken geratene Büchereiprojekt zu übernehmen. Als wir uns mit dem Vorschlag, entweder in St. Joseph oder in St. Stephanus eine regelmäßige Lobpreisandacht (unter dem Titel "Lobpreis mit dem Stundenbuch") zu veranstalten, an einen der Vikare wandten (von dem man uns signalisiert hatte, er sei "für sowas" zuständig), sagte der, er werde das Thema mal in die Dienstbesprechung der Hauptamtlichen mitnehmen, und dann hörten wir nichts mehr davon – vielleicht hätten wir da aber auch einfach hartnäckiger nachfragen sollen. Ähnlich verhielt es sich, als es in den Vermeldungen hieß, in St. Joseph würden neue bzw. zusätzliche Lektoren gesucht: Ich signalisierte Interesse, dieses wurde wohlwollend aufgenommen, aber weiter passierte dann nichts. Wie gesagt, wahrscheinlich ist der Bedarf einfach nicht so groß. Mir wurde auch schon der wahrscheinlich ziemlich kluge Rat gegeben, es sei besser, sich nicht an zu vielen Stellen gleichzeitig zu engagieren, sonst würden womöglich manche Leute misstrauisch werden, was das für einer ist, wo der eigentlich herkommt und warum der plötzlich überall mitmischt.
Kommen wir also lieber mal zu dem einen wirklich dicken Plus in Sachen Gemeindearbeit, das die zurückliegenden drei Jahre gebracht haben, und das ist, zu meiner eigenen Überraschung, die Mitarbeit im Arbeitskreis Kinderwortgottesdienst. Diese Arbeit macht Spaß, ist bereichernd auch fürs eigene spirituelle Leben, wird gut angenommen, und ich finde, dass die Ergebnisse dieser Arbeit sich ausgesprochen gut sehen lassen können. Nicht zuletzt bin ich optimistisch, dass man durch die katechetische Arbeit mit Kindern wirklich langfristig "etwas bewirken" kann. Natürlich ist auch dieser Tätigkeitsbereich noch ausbaufähig. In den Teambesptechungen wird immer mal wieder über andere Veranstaltungsformate neben den monatlichen Kinderwortgottesdiensten während der Sonntagsmesse nachgedacht, die Kinderbibelrallye bei der Fronleichnamsfeier der Pfarrei war da schon mal ein gelungener Versuch. Einen Kinderkreuzweg habe ich auch schon mal mitgestaltet, da könnte man durchaus überlegen, auch andere Andachtsformen zu geprägten Zeiten des Kirchenjahres für Kinder zu adaptieren. In den nächsten Sommerferien könnte ich eventuell als Betreuer zur Religiösen Kinderwoche mitfahren, aber hundertprozentig spruchreif ist das noch nicht. Und kürzlich bin ich angefragt worden, dieses Jahr in St. Joseph Siemensstadt den Nikolaus zu spielen; das habe ich auch vor zwei Jahren schon mal gemacht.
Die Konzentration auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen kann man somit wohl als eine richtungsweisende Entwicklung der letzten drei Jahre betrachten, und das ist ja auch und nicht zuletzt im Interesse unserer eigenen Kinder sinnvoll. Auch in diesem Bereich wäre aber theoretisch noch mehr drin. Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, dass unser erstes Projekt in St. Stephanus Haselhorst eine Krabbelgruppe war, die aber von Anfang an kein sonderlicher Erfolg war; auch die Wichtelgruppe ist im Laufe eines Jahres nie so richtig in Gang gekommen und pausiert derzeit bis auf Weiteres. Andere Initiativen wie die Kinderlobpreisdisco und das Gartenprojekt drohen mangels Unterstützung aus der Gemeinde gar nicht erst aus den Startlöchern zu kommen bzw. in der Gremienbürokratie zu versanden. Das finde ich zwar insbesondere mit Blick auf das Gartengrundstück schade, in dem so viel ungenutztes Potential schlummert, und ich bin auch noch nicht geneigt, diesbezüglich aufzugeben, aber insgesamt muss man wohl die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass eine Pfarrei, unabhängig vom guten Willen konkreter Einzelpersonen, einfach nicht der geeignete organisatorische Rahmen für die Umsetzung der ganzen Ideen ist, die meine Liebste und ich so haben.
An dem Punkt waren wir vor drei Jahren eigentlich auch schon mal, aber nachdem die Frage "Spandau oder Portugal?" vorläufig im Sinne der ersteren Option entschieden wurde, ist die Idee, irgendwo auf einem Resthof in der Pampa oder wahlweise in einem ungenutzten Streckenwärterhaus einen eigenen "Ort kirchlichen Lebens" aufzubauen, wie man das im heutigen Pastoralsprech nennt, erst mal ein bisschen in den Hintergrund gerückt.
Ein Haus wie dieses hier zum Beispiel... hätte doch was. |
Das heißt nicht, dass wir derartige Pläne aufgegeben hätten: Irgendwo eine Art von Mischung aus Nachbarschaftszentrum, Pilgerherberge und Exerzitienhaus zu betreiben, ist im Prinzip nach wie vor unser Ziel, derzeit aber ein eher längerfristiges Ziel. Dabei spielt es auch eine Rolle, dass unser Tochterkind jetzt zur Schule geht, dort ausgesprochen "gut angekommen" ist und dass man eine Schule wie diese wohl nicht so leicht ein zweites Mal findet. Unser Jüngster ist jetzt schon sicher, dass er auch auf diese Schule gehen will, und hat wohl auch gute Aussichten auf einen Platz. Eine wirklich umwälzende Veränderung unserer allgemeinen Lebenssituation ist also im Moment, und für die nächsten Jahre, erst mal nichts, was wir aktiv anstreben. Bis auf Weiteres gilt es also, im Großen und Ganzen so weiterzumachen wie bisher: Im Rahmen der Möglichkeiten, die sich uns hier bieten, Dinge ausprobieren, Erfahrungen sammeln, darüber reflektieren, daraus lernen und hoffen, damit auch Andere inspirieren zu können – letzteres natürlich nicht zuletzt auch dadurch, dass man drüber bloggt.
Zu diesem Punkt wäre dann also wohl auch noch eine (kurze) Bilanz der letzten drei Jahre fällig. Hier auf "Huhn meets Ei" erschienen nach unserem Bruch mit der Tegeler Pfarrei zunächst fünf Folgen einer Wochenbriefing-Reihe mit dem programmatischen Titel "Spandau oder Portugal" (zuzüglich einer "Preview"-Nummer), danach war erst mal ein gutes Vierteljahr lang Funkstille, bis ich unter der Überschrift "Neustart in Haselhorst" den Beginn unseres Engagements in St. Stephanus verkündete. Dass danach dann fast ein ganzes Jahr – genauer gesagt elf Monate – Blogpause auf "Huhn meets Ei" herrschte, hatte möglicherweise, wenigstens zum Teil, damit zu tun, dass ich vermeiden wollte, dass meine Tätigkeit als Blogger für Unruhe innerhalb der Gemeinde sorgt, in der ich tätig war (damit hatte ich in Tegel ja reichlich Erfahrungen gesammelt). Auf längere Sicht konnten solche Bedenken meine Lust am Unruhestiften aber nicht im Zam halten, und seit Mitte März 2023 blogge ich wieder so viel und so stetig wie "seit Corona" nicht mehr. Vor rund einem Jahr kam dann die "Mittwochsklub"-Seite bei Patreon dazu, die vor allem dazu dienen soll, Freunden und Gleichgesinnten eine Möglichkeit zu geben, unsere Punkpastoral-Aktivitäten finanziell zu unterstützen. Man wird wohl zugeben müssen, dass die Patreon-Seite bisher noch etwas hinter ihrem Potential zurückbleibt. Aber das wird schon noch.
Im Übrigen habe ich vor einem Jahr am Fest der Apostel Simon und Judas die Wochenbriefing-Reihe "Creative Minority Report" eröffnet. Da diese Reihe im Sommer ein paar Wochen pausiert hat, bin ich aber innerhalb eines Jahres noch nicht auf 52 Folgen gekommen, und diese Zahl möchte ich noch voll kriegen, ehe ich eine neue Wochenbriefing-Reihe anfange. Daraus folgt, dass die neue Reihe (deren Titel ich noch nicht verrate) am Vorabend des 1. Advent beginnen wird, pünktlich zum Beginn des Neuen Kirchenjahres. Das wird (hoffentlich) meinen kritischen Leser Egidius freuen...
[* P.S.: Ich werde immer mal wieder – so auch jüngst infolge der Vorveröffentlichung dieses Artikels auf Patreon – gefragt: "Warum nennst du das eigentlich Punkpastoral?" Auch wenn ich eigentlich der Meinung bin, dazu schon öfter etwas gesagt zu haben, erinnern mich solche Anfragen immer daran, dass ich eigentlich schon länger die Absicht habe, diese Frage mal gründlich und systematisch zu beantworten, in Form eines "Dossier"-Artikels, wie ich auch schon zum Thema "Erstkommunion" einen vorgelegt habe. Mein erster Entwurf zu einem solchen Dossier "Warum eigentlich Punkpastoral?" ist allerdings, was wohl nicht untypisch für mich ist, in der Anlage viel zu breit und detailliert geraten und daher irgendwann halbfertig liegen geblieben. Nun fühle ich mich aber motiviert, in absehbarer Zeit einen neuen Versuch zu unternehmen; bis dahin verweise ich auf die folngenden grundlegenden Artikel zum Thema:
- Wer, wenn nicht wir? (11.6.2016)
- Der Feind am eigenen Suppentopf (12.9.2016)
- Punk und Askese (26.6.2017)
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