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Mittwoch, 1. Oktober 2025

Kirche wozu? – Die schon fast nicht mehr erwartete Fortsetzung

Über sechs Jahre ist es mittlerweile her, dass ich meinen Artikel "Kirche wozu? Oder: Lagerdenken gibt's nur bei den anderen!" mit den Worten "Fortsetzung folgt!" beendete und ihn folgerichtig mit dem Titelzusatz "Teil 1" versah. Dass ich die Ankündigung einer Fortsetzung all die Jahre nicht wahr gemacht habe, jetzt aber doch, hat sehr wesentlich damit zu tun, dass ich gegen Ende des ersten Teils auf einen "skizzenhaften Essay über verschiedene Fraktionen innerhalb der Kirche, so wie ich sie wahrnahm", zu sprechen gekommen war, den ich während meiner  "erste[n] Fundi-Phase"  im Alter von ca. 14-16 Jahren "in mein Tagebuch kritzelte"; und zu diesem Essay hatte ich angemerkt: "Ich hoffe, ich finde den Text mal wieder". Tja – und erst im vergangenen Frühjahr, im Zuge der großen Aufräumaktion in unserer Wohnung, hat diese Hoffnung sich erfüllt. 

Ehe wir uns nun aber diesem historischen Dokument aus dem Jahre 1992 zuwenden, sollten wir wohl erst einmal rekapitulieren, warum und wozu ich diesen Text – soweit ich mich an ihn erinnern konnte – in meinem Blogartikel von 2019 eigentlich erwähnt habe. Nun, der Kontext ist der, dass ich mich gegen eine allzu simplizistische Wahrnehmung bzw. Darstellung innerkirchlicher "Lager" positioniere; genauer gesagt gegen die Auffassung, alle möglichen Strömungen, die mit dem im institutionellen Apparat der Kirche vorherrschenden liberal-relativistischen Mainstream im Konflikt liegen, ließen sich unter dem Begriff "konservativ" zusammenfassen. Das ist natürlich ein Thema, das mich auf meinem Blog immer wieder beschäftigt, so schon in "Let's talk about Reformverhinderung" (2015) und dann wieder in "Auf einer Skala von Bischof Oster bis Maria 1.0" (2023); und natürlich geht es mir da auch um eine persönliche Positionsbestimmung, denn wie ich in Teil 1 von "Kirche wozu?" schrieb, "betrachte ich das Etikett 'konservativ" [...] als einen Schuh, der mir nicht passt", und dies "nicht so sehr aufgrund bestimmter Begriffsdefinitionen [...], sondern vor allem aufgrund bestimmter assoziativer Vorstellungen, die sich nicht-nur-aber-auch für mich an diese Bezeichnung knüpfen". Wenn es indes nur um das Thema "Warum ich mich nicht gern als 'konservativ' bezeichne bzw. bezeichnen lasse" ginge, wäre es wohl kaum der Mühe wert, darüber so viele Worte zu machen. Der eigentlich interessantere und jedenfalls wichtigere Aspekt des Themas ist die Beobachtung bzw. These, dass das Bemühen um eine geistliche Erneuerung der Kirche von den Wurzeln her – was eine mögliche Übersetzung des Begriffs "radikal" wäre – nicht allein den besagten liberal-relativistischen Mainstream gegen sich hat, sondern auch bestimmte Ausprägungen eines konservativen Katholizismus. Wobei es da in letzter Konsequenz vielleicht gar nicht so sehr um konservative Überzeugungen geht, sondern weit mehr um ein konservatives Gemüt – etwa in dem Sinne, wie Dietrich von Hildebrand es beschreibt, nämlich als "Menschen, die an dem Bekannten, Gewohnten hängen, noch unabhängig von seinem spezifischen Gehalt": 

"Etwas ist ihnen lieb und vertraut, weil sie daran gewöhnt sind, weil es den selbstverständlichen Rahmen für ihr Leben abgibt. Alles Neue, Ungewohnte erschreckt sie und erfüllt sie mit Verdacht – eben weil es ihnen ungewohnt ist." 

Dass ein solches konservatives Gemüt heute, sechs Jahrzehnte nach dem II. Vatikanischen Konzil, nicht zwangsläufig mit Standpunkten einhergeht, die im innerkirchlichen Diskurs als "konservativ" gelten, ist ein Aspekt, über den auch noch zu reden sein wird; aber bleiben wir erst mal noch bei denjenigen Glaubensgeschwistern, bei denen es das doch tut. Dass die Auseinandersetzung mit dieser Fraktion innerhalb der Kirche ein Thema ist, das mich immer wieder beschäftigt, hat sicherlich zu einem guten Teil auch mit persönlichen Erfahrungen zu tun. Während meiner aktiven Zeit in der Tegeler Pfarrei las ich das Buch "Stark wie das Leben" von Francine Rivers – und notierte dazu die bezeichnende Kritik, die Autorin zeige "für meinen Geschmack erheblich zu viel Sympathie für die Fraktion der alten Säcke, die sich aus Prinzip gegen jede Art von Veränderung sträuben": 

"Deren Verhalten ist schließlich offenkundig widersinnig: Sie sehen zwar, dass es in ihrer Gemeinde nicht so weitergehen kann wie bisher – genau deswegen engagieren sie ja den neuen Pastor –, aber gleichzeitig wollen sie, dass alles so bleibt, wie es schon immer war." 

Ich räumte ein, möglicherweise reagierte ich "nicht zuletzt deshalb so allergisch darauf, weil solche Leute mir bei der Basisarbeit zu Hause in Tegel mehr zu schaffen machen als irgendwelche 'progressiven' Kryptohäretiker". Was man wohl als eine Art déja-vû betrachten kann, denn in meiner "ersten Fundi-Phase" ging's mir schon genauso; weshalb es nur folgerichtig ist, dass ich den soeben zitierten Betrachtungen noch hinzufügte, "dass ich meinen angefangenen Lang-Essay zum Thema 'Lagerdenken in der Kirche' mal weiterschreiben muss" – wozu ich dann aber doch nicht gekommen bin, bis jetzt. 

Eine Auswahl von T-Shirt-Motiven bei der MEHR 2020. 

– Übrigens: Auch ein Grund, weshalb es Zeit wird, dass ich den besagten Text aus meinem alten Tagebuch hier dokumentiere, ist, dass im Originalmanuskript die Tinte schon ziemlich verblasst ist und bald ganz unlesbar werden könnte. Das betrifft natürlich viele andere interessante Tagebucheinträge aus dieser Zeit auch; eventuell wäre da also mal eine Artikelserie "Dokumente meiner ersten Fundi-Phase" angezeigt. 

– Veranlasst wird der betreffende Tagebucheintrag vom 16.07.1992 durch den Besuch einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung im "Rat-Schinke-Haus" in Burhave; dort fanden damals in der Sommerferiensaison regelmäßig ökumenische Gesprächsabende statt, veranstaltet von den beiden örtlichen Kirchengemeinden; und im vorliegenden Fall hielt dort eine Psychologin, die für eine Beratungsstelle der evangelischen Kirche arbeitete, einen Vortrag zum Thema "Trennung – eine Grunderfahrung menschlichen Lebens". Eigentlich ist es schade, dass man aus meinem Tagebucheintrag nicht viel über den Inhalt des Vortrags erfährt – genauer gesagt: nicht viel mehr als dass ich ihn doof fand. Immerhin lässt sich aus meinen Notizen erschließen, dass es mich ärgerte, dass die Referentin "psychologisch, sozialpädagogisch und was noch alles", aber kaum religiös argumentierte – wenn man davon absieht, dass sie in ihren Vortrag "hier und da [...] ein paar Bibelzitate einfließen ließ, allerdings total zusammenhangslos". Als meine Schwester der Referentin auf den Kopf zusagte, ihre Anschauungen seien in "manchen Teilen schon nicht mehr christlich zu nennen", entgegnete diese "Ich bezeichne mich aber als Christ" und versuchte dies mit dem Hinweis zu untermauern, "andernfalls würde sie nicht mit Bibelzitaten argumentiert haben" – was ich schon damals als "extrem billig" bewertete. 

Ein anderer interessanter Teilnehmer der Diskussion war Kai-Uwe Schroeter, der in jenem Jahr die vom Geistlichen Rüstzentrum Krelingen ausgerichtete "Strandmission" in meinem Heimatdorf leitete und später (von 2004-2007) Leiter des GRZ wurde; heute ist er Pfarrer in Dortmund. Bezüglich der alten Damen aus der örtlichen katholischen Gemeinde hielt ich die Beobachtung fest, dass sie einerseits übertrieben respektvoll gegenüber der Referentin wirkten, andererseits aber inhaltlich wenig interessiert an dem Vortrag schienen: So notierte ich, meine Oma sei "zwischendurch schon mehrfach eingeschlafen", und als zwischen Vortrag und Diskussion eine Pause entstand, weil zunächst niemand etwas zu sagen wusste, nutzte meine Tante Gertrud diese Gelegenheit, "um einigen Bekannten von ihrer wenige Monate alten Enkelin [...] zu erzählen". – "Schließlich stellten einige Zuhörer der Psychologin Fragen, aber nicht zum Thema, sondern zu ihrer Beratungsarbeit im Allgemeinen", und "Oma meinte, es sei ja eine 'große Ehre', dass die Frau in unseren kleinen Ort kam! Ich persönlich fühlte mich nicht so unheimlich geehrt." 

Insgesamt bot mir die Personenkonstellation bei dieser Veranstaltung somit reichlich Anschauungsmaterial "für die Konsolidierung meiner Theorie über die verschiedenen Arten von Christen oder solchen, die sich dafür hielten", wie ich es seinerzeit formulierte. Ich schicke gleich voraus, dass mir Manches an diesem Text heute peinlich ist, aber zu meiner Verteidigung möchte ich vorbringen, dass ich gerade mal 16 war, als ich das schrieb. Wie dem auch sei, ich werde diesen Text hier jetzt nicht in einem Stück und unkommentiert folgen lassen, andererseits aber auch nichts Wesentliches weglassen. 

Ausgangspunkt meiner "Theorie" über verschiedene Fraktionen bzw. Richtungen innerhalb der Kirche – von der ich allerdings eingestandenermaßen selbst "bezweifelte", dass sie "schon für eine Doktorarbeit reichte", waren Beobachtungen über eine Gruppe, die ich die "Alteingesessenen" nannte – wobei ich vorrangig die alten Schlesierinnen in der Gemeinde meines Heimatdorfes vor Augen hatte, von denen ich viele von Kindheit an "Tante" zu nennen gewohnt war, ohne genau zu wissen, ob und wie ich tatsächlich mit ihnen verwandt war. "Hier in der Provinz", so theoretisierte ich, bildete diese Gruppe "vermutlich zumindest unter den 'Aktiven' die Mehrheit", wohingegen sie "in städtischen Gebieten höchstwahrscheinlich vom Aussterben bedroht" sei; das sei "auch kein Wunder, denn die Alteingesessenen waren ein Überbleibsel aus dem Mittelalter." Mit dieser unfreundlichen Einschätzung meinte ich, dass sie einer Glaubensauffassung anhingen, die "[d]amals" – also im Mittelalter – "alle Menschen außer den Intellektuellen und den Herrschenden" geteilt hätten. Nun ja: Was man mit 16 Jahren so alles zu wissen glaubt... Als "Kennzeichen der Alteingesessenen" führte ich an: 

"Sie gingen regelmäßig wie selbstverständlich zur Kirche, stellten ihren Glauben in keiner Weise in Frage, dachten aber auch nicht darüber nach. Zum jeweiligen Gemeindepfarrer sahen sie auf wie zu einem König, und weil sie ihren Glauben nicht anhand der Bibel oder durch kritische Überprüfung 'korrigierten', schlichen sich bei ihnen Fehlentwicklungen ein (Aberglauben, usw.). Außerdem legten die Alteingesessenen viel Wert auf Äußerlichkeiten. Sie machten gern Wallfahrten, stellten Kerzen vor der Muttergottesstatue auf und ähnliches." 

Als bemerkenswert darf man es wohl bezeichnen, dass ich in diesem Zusammenhang das Rosenkranzgebet nicht erwähnte – was, wie mir scheint, Rückschlüsse darauf zulässt, wie wenig ich die Glaubenspraxis der "Alteingesessenen" tatsächlich kannte. Nicht umsonst merkte ich ja schon in meinem Artikel von 2019 an, inzwischen würde ich "über die 'schlesische Oma-Fraktion' sicher milder urteilen", und zwar nicht zuletzt deshalb, "weil ich bestimmte traditionell katholische Frömmigkeitsformen, die mir damals suspekt waren [...], inzwischen schätzen, ja lieben gelernt habe"; und warum waren sie mir "damals suspekt"? Primär deshalb, "weil man mich in meiner Kindheit und Jugend nicht an sie 'herangeführt' hatte". Dass ich "mitreißende Begeisterung für Christus eher in evangelikalen Kreisen kennengelernt hatte", spielte natürlich auch eine Rolle, aber dazu ein andermal. – Der Hang zu einer "teenagertypischen Arroganz", den ich meinem 16-jährigen Ich schon aus der Rückschau des Jahres 2019 attestierte, äußerte sich auch und nicht zuletzt in der Einschätzung, die "Art von Glauben", die ich an den sogenannten "Alteingesessenen" wahrnahm, sei "schon seit Jahrhunderten überholt": Da würde ich aus heutiger Sicht ja erst mal fragen, was dieses "überholt" in diesem Zusammenhang eigentlich bedeuten soll. Dass diese Art des Glaubens keine gesellschaftliche Relevanz mehr hat, nicht mehr kulturprägend ist, nur mehr in geschlossenen Milieus (die es aber kaum noch gibt) überlebensfähig ist? Nun gut, das wäre immerhin diskutabel. Weiter theoretisierte ich, "[u]nter dem Einfluss der Aufklärung" hätten sich unter derjenigen Christen, "die nicht gleich Atheisten wurden" zwei Richtungen entwickelt", die ich als die liberale und die radikale Richtung bezeichnete. Und da wird's nun erst richtig interessant. Dass Erweckungsbewegungen, die eine "radikalere" Form des Christseins propagieren, ebenso eine Reaktion auf die Erschütterung hergebrachter Glaubensgewiss- und -gewohnheiten durch die Aufklärung darstellen wie der theologische Liberalismus, ist eine These, die ich auch heute noch dort vertreten würde, aber ehrlich gesagt bin ich überrascht, dass ich das schon mit 16 Jahren so gesehen habe. Auffallend abwesend in meinen damaligen Betrachtungen ist derweil die Berücksichtigung konfessioneller Unterschiede. Aus der Rückschau scheint es mir recht offensichtlich, dass meine damalige Vorstellung von "radikalem" Christsein, so unscharf sie in diesem Tagebucheintrag von 1992 auch bleibt, wesentlich von Erfahrungen geprägt ist, die ich im evangelikalen Milieu gemacht habe; die Frage, ob es etwas Vergleichbares auch innerhalb der katholischen Kirche gebe (und wenn ja wo, und wenn nein warum nicht), scheint mich aber nicht sonderlich beschäftigt oder gar beunruhigt zu haben. Aus heutiger Sicht würde ich ja zu der Auffassung neigen, beide von mir benannten Strömungen seien zunächst vorrangig Phänomene innerhalb des Protestantismus gewesen, während in der katholischen Kirche das "vor-aufklärerische" Modell von Glaubensverständnis und –praxis, das ich als kennzeichnend für die sogenannten "Alteingesessenen" wahrnahm, sehr viel länger, in manchen Milieus bis ins 20. Jh. hinein, konserviert wurde. Und man könnte darüber hinaus die These wagen, dass in den gegenwärtigen Richtungskämpfen innerhalb der katholischen Kirche Prozesse am Werk sind, die der Spaltung zwischen liberalem und evangelikalem Protestantismus prinzipiell ähneln

Dieser Hypothese mag man widersprechen, und erst recht mag es darüber, was daraus denn nun konkret für Schlüsse zu ziehen seien, sehr unterschiedliche Auffassungen geben; auf jeden Fall aber scheint sie mir ein geeigneter Ansatzpunkt, um die Aussage aus meinem Artikel von 2019 zu vertiefen und zu differenzieren, meine im Tagebucheintrag von 1992 eher kenntnisarm und übertrieben polemisch hingeklatschte Kritik an den "Alteingesessenen", deren religiöse Auffassungen und Praktiken ich damals "als ebenso im Widerspruch zu meinen Vorstellungen von 'radikalem Christsein' stehend betrachtete wie den verweltlichten Moralismus der 'Liberalen'", sei trotz allem "nicht gänzlich falsch" gewesen. Gegenüber der "Großen Scheidung" zwischen einem liberalen Katholizismus, der sich vom liberalen Protestantismus kaum wesentlich unterscheidet, und einem, wenn man denn so will, "evangelikalen Katholizismus" (der sich allerdings in mancherlei Hinsicht deutlich vom evangelikalen Protestantismus unterscheiden müsste) ist eine nur konservative, auf das Festhalten am Gewohnten und Vertrauten konzentrierte Haltung unfruchtbar, kontraproduktiv, eine Sackgasse. (Dazu eine Nebenbemerkung: Wie sehr auch die in die Jahre gekommenen Liberalen an dem festhalten, was für sie das Gewohnte und Vertraute ist, kann man landauf, landab bei der Gestaltung von Familiengottesdiensten und Erstkommunionfeiern beobachten. Da sollte eigentlich jedem klar werden, dass eine in diesem Sinne konservative Haltung kein Wert an sich ist.) – Ich rede hier übrigens nicht von der Traditionalistischen Bewegung. Die ist gerade nicht in dem hier gemeinten Sinne konservativ; denn wie jeder, der seit Summorum pontificum (2007) mal eine Heilige Messe in der außerordentlichen Form des Römischen Ritus besucht hat, bestätigen kann, wird diese Bewegung sehr wesentlich von Menschen getragen, die offensichtlich zu jung sind, um die Zeit vor der Liturgiereform noch bewusst (oder überhaupt) miterlebt zu haben. Das heißt, für sie ist diese Form des Ritus gerade nicht das Gewohnte und Vertraute, sondern etwas, wofür sie sich bewusst entschieden haben, nicht selten unter Opfern. Probleme mit "Tradis" habe ich erst dann, wenn sie sich allzu exklusiv gebärden, keine anderen Formen neben der ihren dulden wollen, gar die sakramentale Gültigkeit der Heiligen Messe im "nachkonziliaren" Ritus in Zweifel ziehen. Das ist hier aber nicht mein Thema. 

Gehen wir daher kurz noch einmal zurück an den Anfang dieses Texts zurück, nämlich dazu, was Dietrich von Hildebrand über Menschen sagt, die einfach vom Gemüt her konservativ sind – was eine generelle Skepsis gegenüber allem Neuen und Ungewohnten einschließt. Man könnte die These wagen, diesen Menschentypus treffe man – auch heute noch, nachdem die schlesischen Omas meiner Kindertage weitestgehend ausgestorben sind – deshalb so vergleichsweise häufig in der Kirche an, weil diese Leute sich in einer Jahrtausende alten, weltumspannenden Institution, die schon durch pure Massenträgheit einigermaßen gefeit vor allzu rapiden und umwälzenden Veränderungen ist, verhältnismäßig wohl und sicher fühlen. Oder zumindest bis vor relativ kurzer Zeit noch gefühlt haben. Folgerichtig reagiert diese Klientel besonders irritiert, wenn neuerdings Regenbogenflaggen an Kirchen gehisst werden und katholische Jugendverbände Kondome verteilen. – Man verstehe mich nicht falsch: Sie haben durchaus Recht damit, dies abzulehnen. Allerdings steht zu befürchten, dass sie genauso vehement auch Dinge ablehnen würden, an denen an und für sich gar nichts verkehrt ist, außer dass sie nicht in ihr vorgefasstes Bild davon passen, wie Kirche zu sein habe

Nicht unbedingt mit diesem Gemütskonservatismus identisch, aber in seinen Auswirkungen schwer davon zu unterscheiden ist ein Phänomen, für das ich mir vor Jahren mal die Bezeichnung "identitärer Katholizismus" zurechtgelegt habe; man könnte auch von einem "rechten Flügel des Kulturkatholizismus" sprechen, wenn die Einordnung als "rechts" heutzutage nicht so viele problematische Untertöne hätte. Was ich unter der Bezeichnung "identitärer Katholizismus" verstehe, ist eine Haltung, bei der die Kirchenzugehörigkeit, der mehr oder weniger regelmäßige und häufige Gottesdienstbesuch, aber auch die Vorliebe für eine gewisse "hochkirchliche" Ästhetik und als "typisch katholisch" wahrgenommene Frömmigkeitsformen vorrangig die Funktion eines Identitätsmarkers hat und nicht unbedingt etwas mit Glauben zu tun hat. Zugespitzt gesagt, ist der idealtypische "identitäre Katholik" mehr Katholik als Christ, weshalb er auch im Verhältnis zu anderen christlichen Konfessionen mehr auf das Trennende als auf das Verbindende sieht. Noch ein bisschen stärker zugespitzt, könnte man sagen, "identitäre Katholiken" sind Leute, die einen gewissen Stolz darein setzen, wirklich so zu sein, wie Hardcore-Evangelikale sich Katholiken in ihren dumpfesten Vorurteilen vorstellen. Die Bibel lesen und zitieren? Das machen doch nur Protestanten! Persönliche Beziehung zu Jesus Christus? Hör mir bloß auf mit diesem Freikirchler-Gelaber! 

Das mag ein bisschen übertrieben dargestellt sein, aber im Prinzip, das wage ich zu behaupten, gibt es solche Leute in fast jeder Pfarrgemeinde; und wenn sie das Klima in der Gemeinde prägen oder zumindest in einem nicht unwesentlichen Maße beeinflussen, ist das für das Anliegen einer echten geistlichen Erneuerung nicht unbedingt weniger schädlich, als wenn ökofeministische, "queersensible", NGL-singende und Robbenbaby-meuchelnde Liberalkatholiken den Ton in der Gemeinde angeben. Gewissermaßen "worst of both worlds" ist es, wenn – wie meine Liebste und ich es in Tegel erlebt haben – eine im Großen und Ganzen "gemütskonservative" Gemeinde von einem tendenziell eher liberalen "Pastoralteam" geleitet wird; zu den Kennzeichen der "Gemütskonservativen" gehört nämlich eine ausgeprägte Autoritätsgläubigkeit, und so führt diese Konstellation dazu, dass sich ein Bonmot Chestertons bewahrheitet: "Die Liberalen machen Fehler und die Konservativen verhindern, dass diese Fehler berichtigt werden." 

Kurzum: Mag man mit dem jüngst zum Kirchenlehrer erhobenen John Henry Newman der Auffassung sein, der Liberalismus in der Religion sei ein Übel, das es mit aller Kraft zu bekämpfen gelte, so ist dennoch nicht der Umkehrschluss zulässig, der Konservatismus in der Religion sei unter allen Umständen richtig und gut. Was Dietrich von Hildebrand über das konservative und das progressive Temperament sagte, macht deutlich, dass eine Voreingenommenheit für das Althergebrachte genauso wie die für das Neue "eine völlig illegitime, unsachliche Wirkung" haben kann, wenn sie die "Stellung zur Wahrheit und zu echten Werten beeinflusst": 

"Angesichts einer [...] Frage, bei der es allein auf die wahre Antwort ankommt, von 'konservativ' und 'fortschrittlich' zu sprechen, ist nicht nur sinnlos, sondern sogar ausgesprochen dumm. Denn jedes andere Motiv als das der Wahrheit ist ebenso unsachlich, wie wenn jemand ein Bild für schön hält, bloß weil es sein Vetter gemalt hat." 

Man mag einwenden, das Christentum sei seinem Wesen nach konservativ, weil es auf ewigen Wahrheiten fußt, ja weil Gott selbst unveränderlich ist. Ebenso könnte man aber auch argumentieren, eine konservative Grundeinstellung stehe im Widerspruch zum Geist des Christentums, dessen Wesen Umkehr sei – das griechische Wort, das das Neue Testament hierfür verwendet, Metanoia, kann auch als Um-denken übersetzt werden, und dazu neigt das konservative Temperament eher nicht. Was also wäre ein Ausweg aus diesem Dilemma? Hören wir noch einmal Chesterton: 

"Alles Konservative beruht auf der Vorstellung, dass man, wenn man die Dinge sich selbst überlässt, sie so lässt, wie sie sind. Das tut man aber mitnichten. Überlässt man etwas sich selbst, so überlässt man es einem rasanten Wandel. Überlässt man einen weißen Pfosten sich selbst, wird er bald schwarz sein. Möchte man unbedingt, dass er weiß bleibt, so muss man ihn immer wieder streichen; das heißt, man muss beständig für eine Revolution sorgen." 

 

Dienstag, 30. September 2025

Das Kirchensterben kommt näher

Schon über ein Jahr ist es her, dass ich auf meinem Blog die Situation in der Großpfarrei St. Franziskus Reinickendorf-Nord in den Blick genommen habe: Da war gerade der (mir persönlich bekannte) Pfarrer nach nicht einmal einem Jahr von seinem Amt zurückgetreten, woraufhin – was man wohl ungewöhnlich finden darf – dem Generalvikar des Erzbistums die Leitung der Pfarrei übertragen wurde; man hörte von massiven finanziellen Problemen, von Konflikten zwischen den sowohl von der Sozialstruktur wie von der geistlichen Prägung her extrem unterschiedlichen Gemeindeteilen sowie davon, dass die 2017 gegründete Großpfarrei als "erste Pfarrei neuen Typs" im Erzbistum Berlin gewissermaßen ein Modellprojekt sei, womit sie sozusagen – jedenfalls aus Sicht des Erzbischöflichen Ordinariats – zum Erfolg verurteilt sei. Insgesamt zweifellos ein vielschichtiges und spannendes Thema, und man kann sicherlich sagen, ich hätte da mal besser dranbleiben sollen, dann hätte es in den zurückliegenden Monaten noch sehr viel mehr aus St. Franziskus zu berichten gegeben. Aber ich hatte halt auch andere Dinge im Kopf und um die Ohren, und da ich nun mal nicht in Vollzeit investigativen Journalismus betreibe, bin ich eben auch davon abhängig, was mir so zugetragen wird. 

Mitte Juli entdeckte ich dann allerdings in Herz Jesu Tegel einen Flyer, der meine Aufmerksamkeit weckte: Er stammte vom Sprecherteam des Gemeinderats der zur Großpfarrei St. Franziskus gehörenden Gemeinde St. Nikolaus in Wittenau und enthielt, der Überschrift zufolge, "Wichtige Informationen zur Pfarrversammlung am 3.7.2025" – ein Datum, das zu dem Zeitpunkt, als ich dieses Flugblatt fand, leider schon in der Vergangenheit lag; datiert war das Schreiben auf dem 11. Juni. Und worum ging es da nun konkret? Um den Immobilienentwicklungsprozess. Dem Flyer war zu entnehmen, seitens der "Pfarreiverantwortlichen" werde offenbar die "Abwicklung" des Standorts St. Nikolaus angestrebt; demgegenüber bekundete der Gemeinderat von St. Nikolaus den "festen Willen, die Kirche St. Nikolaus als Gottesdienststandort zu erhalten". 

In diesem Zusammenhang erinnerte ich mich daran, wie im vorigen Jahr ein anonymer Kommentator auf meinem Blog die ausgeprägten Unterschiede, ja Gegensätze zwischen den verschiedenen Teilgemeinden der Großpfarrei St. Franziskus beschrieben hatte: "St. Martin und St. Nikolaus im Süden: Eher arm, eher 'klassisch-katholisch'/orthodox (rechtgläubig), eher international. Die Gemeinden im Norden: Eher reich, eher 'liberal-grün', eher 'weiß-deutsch'." Kein Wunder, dass sich da meine Sympathie für den Standort St. Nikolaus regte – und der Wunsch, dem Verdacht nachzugehen, dieser Gemeindestandort solle womöglich – zumindest unter anderem – gerade wegen der in dem zitierten Leserkommentar hervorgehobenen Merkmale "abgewickelt" werden. 

Der Flyer, den ich in der Schriftenauslage von Herz Jesu Tegel entdeckt habe, gibt in dieser Hinsicht einige beachtenswerte Fingerzeige. So wird dem Kirchenvorstand der Pfarrei St. Franziskus vorgeworfen, "schon seit Jahren keine Jahresschlussrechnung vorgelegt" zu haben: "Wie will er dann die finanzielle Schieflage der Pfarrei erklären?" Weiterhin wird hervorgehoben, St. Nikolaus habe innerhalb der Pfarrei "mit den höchsten Grad an ehrenamtlich Tätigen" und trage "damit seit Jahren nachhaltig zur Kostenminderung bei". Betont werden "die positiven Veränderungen im pastoralen Leben der Gemeinde St. Nikolaus", wozu neben einem "hohen Besucherzuspruch" speziell "die Frühmesse am 1. Sonntag im Monat (mit Sonntagskaffee), die in Eigeninitiative ermöglichte Erstkommunion (mit Ausbildung von Ministranten)" sowie "die vielfältigen eigenständigen Bemühungen um Seelsorge (Andachten, Gruppenarbeit)" gezählt werden; all dies werde vom Kirchenvorstand offenbar nicht angemessen gewürdigt. Bezüglich der "angeblich zu erwartende[n] hohe[n] Investitionskosten für St. Nikolaus" wird darauf hingewiesen, dass das Kirchengebäude unter Denkmalschutz stehe und für notwendige Maßnahmen zur Erhaltung des Gebäudes "staatliche Fördermittel beantragt werden" könnten. Zusammenfassend könnte man sagen: Wenn man den Standort St. Nikolaus erhalten wollte, gäbe es durchaus Mittel und Wege, dies möglich zu machen; es steht somit der Verdacht im Raum, dass dies eben nicht gewollt ist. 

Wie schon gesagt, war zu dem Zeitpunkt, als ich diesen Flyer sah, die dort angekündigte Pfarrversammlung schon vorbei, und ebenso eine Sitzung des Kirchenvorstands der Großpfarrei St. Franziskus, bei der konkrete Beschlüsse zur Immobilienentwicklung an den einzelnen Standorten gefasst wurden. Allerdings fand ich heraus, dass just am nächsten Tag in St. Nikolaus eine Gemeinderatssitzung anstand, bei der die Ergebnisse der vorausgegangenen Sitzungen der übergeordneten Gremien vorgestellt und diskutiert werden sollten. Und da ging ich hin. 

Die St.-Nikolaus-Kirche auf einem Gemälde im Gemeindesaal. 

Diese Sitzung werde ich hier jetzt nicht im Detail schildern; nur soviel sei gesagt, dass da wenig von Resignation und Entmutigung zu spüren war – im Gegenteil, mein Gesamteindruck war der einer erheblich engagierteren, konstruktiveren, lösungsorientierteren Atmosphäre, als ich es von kirchlichen Gremiensitzungen normalerweise gewohnt bin. Was freilich nichts daran ändert, dass der Handlungsspielraum des Gemeinderats begrenzt ist, wenn übergeordnete Gremien (wie der Kirchenvorstand) und nicht zuletzt das Erzbischöfliche Ordinariat andere Pläne haben. 

– Und was für Pläne sind das nun? Auch ohne Interna aus der Gemeinderatssitzung auszuplaudern, bei der ich als Gast zugegen war, lässt sich zu dieser Frage allerlei sagen; vor allem dank der Tatsache, dass sich auf der Website der Großpfarrei St. Franziskus sehr umfangreiche und übersichtlich geordnete Materialien zum Immobilienentwicklungsprozess in der Pfarrei finden. Sämtliche dort zusammengetragene Dokumente, angefangen vom Brief des Erzbischofs vom 04.07.2023 an alle Pfarreien, auch nur annähernd angemessen zu würdigen, würde hier, so interessant es auch wäre, beiweitem den Rahmen sprengen; aber wer möchte, kann sich da ja selbst mal umschauen. Ich möchte mich hier mal auf den chronologisch jüngsten Eintrag in dieser Materialsammlung konzentrieren – der unter der Überschrift "Beschlüsse des Kirchenvorstandes vom 09. Juli 2025" steht. Eingeleitet wird dieser Abschnitt mit einem "Gebet im Immobilienprozess" – was bei mir bereits spontanes Augenrollen auslöste, bevor ich den Wortlaut dieses Gebets näher unter die Lupe nahm. Einerseits musste ich dabei an eine Diskussionsveranstaltung zum "Pastoralen Prozess 'Wo Glauben Raum gewinnt'" denken, die ich im Frühjahr 2016 besuchte und bei der none other than Ex-Bundestsgspräsident Wolfgang Thierse anmerkte, er finde es "beinahe unanständig", dass der Prozess der Umstrukturierung der Pfarreien seitens des Erzbistums "als 'geistlicher Prozess' ausgegeben" werde – "denn damit macht man ihn unangreifbar". Ich würde mal sagen, für den Versuch, in ähnlicher Weise auch Umstrukturierungsmaßnahmen im Bereich der Immobilienverwaltung zu "spiritualisieren", gilt das erst recht

– Man kann, dieser kleine Exkurs sei mir gestattet, hier durchaus auch noch grundsätzlichere Kritik an dem "kirchliche[n] Brauch" üben, "Grundsatzentscheidungen durch vor- oder zwischengeschaltete 'Andachten' als geistlich geprägt zu markieren", wie es der evangelische Pastoraltheologe Jan Hermelink in einem Beitrag zu dem von ihm mitherausgegebenen Band "Paradoxien kirchlicher Organisation" (2008) formulierte: Er nannte dies eine "jedenfalls nicht überzeugende Lösung der Spannung zwischen Religion und Organisation" und warnte vor der "Gefahr, dass die nachträgliche Deutung eines Beschlusses als 'geistlich zwingend' die ganz anderes gearteten Entscheidungsregeln und -gründe verdeckt, nach denen er zustande gekommen ist" (S. 215). – Aber schauen wir doch mal in dieses Gebet rein: Da finden sich Zeilen wie 

"Mit Dir arbeiten wir zusammen für die Menschen."

"Wir danken auch für alles Engagement". 

"Wir wissen, dass sich die Gestalt unserer Kirchen ständig verändert."

"Kirche ist immer neu in Form zu bringen."

"Wir wollen [...] einander in Respekt und Wertschätzung begegnen."

Würg. So redet ihr mit eurem Gott? – Abgesehen von diesem durch und durch furchtbaren Jargon der political correctness empfinde ich es einfach als schamlos, Texte als "Gebet" auszugeben, bei denen es so schmerzlich offensichtlich ist, dass nicht Gott der eigentliche Adressat ist. Ich habe mich schon öfter über diese Unsitte aufgeregt, der man auch bei Fürbitten in der Messe nicht selten begegnet und die mich immer irgendwie an therapeutisches Handpuppenspiel erinnert; und, um in diesem Zusammenhang mal mich selbst zu zitieren: Da muss man sich dann nicht wundern, wenn der Eindruck entsteht, in der Mainstream-Version der kirchlichen Glaubenskommunikation sei Gott nicht viel mehr als eine Handpuppe und so richtig ernsthaft glaube da niemand an Ihn. 

Aber das ist ein Thema für sich; schauen wir uns lieber mal an, was der Kirchenvorstand von St. Franziskus in der Sache beschlossen hat. Hier erscheint zunächst eine Anmerkung zum geographischen Zuschnitt der Großpfarrei angebracht: Zum Pfarreigebiet gehören nämlich nicht nur die Ortsteile Frohnau, Hermsdorf, Lübars, Waidmannslust, Wittenau und Märkisches Viertel des Berliner Bezirks Reinickendorf, sondern darüber hinaus auch noch die Gemeinden Mühlenbecker Land und Hohen Neuendorf im brandenburgischen Landkreis Oberhavel. Im Ganzen ist die Großpfarrei somit in sieben Gemeinden untergliedert; zum Vergleich: In der Nachbarpfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd sind es fünf, in der Pfarrei Heilige Familie Spandau-Havelland sogar nur drei. Von diesen sieben Gemeinden hat St. Judas Thaddäus in Hohen Neuendorf schon seit zwanzig Jahren kein eigenes Gotteshaus mehr: Die 1948 geweihte Kapelle dieses Namens wurde 2005 profaniert und verkauft, die Gemeinde blieb – als Teil der Pfarrei St. Hildegard, die 2017 ihrerseits in der Großpfarrei St. Franziskus aufging – erhalten und feierte ihre Gottesdienste in der örtlichen evangelischen Kirche. Dieses Beispiel, so scheint es, soll jetzt innerhalb der Großpfarrei Schule machen. Die Christkönig-Kirche in Lübars gehört mitsamt Gemeindehaus und Außenanlagen schon jetzt nicht mehr der Pfarrei, sondern dem Erzbischöflichen Stuhl und soll an die Ukrainisch-Orthodoxe Gemeinde verkauft werden. Der Kirchenvorstand wünscht bzw. hofft, dass "katholisches Leben in Lübars und Umgebung [...] z.B. im Zusammenwirken mit der evangelischen Gemeinde oder in anderer angemessener Weise" fortgeführt werden kann: "Das Erzbistum soll hierzu um finanzielle Unterstützung gebeten werden." Um den Vorgaben des Immobilienentwicklungskonzepts gerecht zu werden, sollen aber noch zwei weitere Kirchenstandorte aufgegeben werden – nämlich St. Katharinen im Schildow (Mühlenbecker Land) und eben, wie schon erwartet bzw. befürchtet, St. Nikolaus in Wittenau. Erhalten bleiben sollen demnach im gesamten weitläufigen Pfarreigebiet nur drei Kirchenstandorte: St. Hildegard in Frohnau, Maria Gnaden in Hermsdorf und St. Martin im Märkischen Viertel. Gegenüber den klassischen "Besserverdienenden"-Stadtteilen Frohnau und Hermsdorf fällt das Märkische Viertel offenkundig ziemlich aus dem Rahmen; aber wie man hört, ist der Gemeindestandort St. Martin gerade deshalb – als "Kirche im sozialen Brennpunkt" – eine Art Prestigeprojekt des Erzbistums und liegt auch dem Erzbischof persönlich besonders am Herzen. Da passt es ins Bild, dass das Erzbistum "im Interesse der Präsenz und Stärkung katholischen Lebens im sozialen und internationalen Brennpunkt Märkisches Viertel" beschlossen hat, "am Standort der Gemeinde St. Martin den Konvent der Herz Jesu-Priester und die portugiesischsprachige Gemeinde anzusiedeln" – ein Beschluss, dem der Kirchenvorstand von St. Franziskus "unter der Voraussetzung" zustimmt, "dass das Erzbistum Berlin sich in überwiegender Weise an den erheblichen finanziellen Investitionen zur Herstellung der neuen Nutzung und Sanierung von Kirche, Gemeindehaus und Außenanlagen beteiligt"; auch die "Abgabe des Eigentums der Immobilie oder Teilen davon an das Erzbistum" wird als Option ins Spiel gebracht. 

Die zukünftige Entwicklung der Präsenz der katholischen Kirche im Märkischen Viertel dürfte also ein Thema sein, das es verdient, im Auge behalten zu werden; im benachbarten Wittenau hingegen guckt man in die Röhre. Zwar heißt es im Beschluss des Kirchenvorstandes, man wolle sich "pastoral für den Fortbestand der Gemeinde St. Nikolaus und katholisches Leben in Wittenau" einsetzen, "z.B. im Zusammenwirken mit der evangelischen Gemeinde oder in anderer angemessener Weise"; die Pfarrei werde "die Gemeinde bei der Nutzung von Räumlichkeiten für Gottesdienste und gemeindliche Aktivitäten unterstützen" und das Erzbistum solle "hierzu um finanzielle Unterstützung gebeten werden"; aber es erscheint doch sehr fraglich, ob diese Absichtserklärung mehr ist als eine Standard-Vertröstungsformulierung für die Abwicklung von Gemeindestandorten. Dass es im Umkreis von gut drei Kilometern um St. Nikolaus ganze vier weitere katholische Kirchenstandorte gibt – neben der schon erwähnten Kirche St. Martin im Märkischen Viertel sind das die zur Pfarrei St. Klara gehörenden Kirchen Allerheiligen in Borsigwalde, St. Rita im Auguste-Viktoria-Kiez und St. Marien in Alt-Reinickendorf –, lässt es umso weniger aussichtsreich erscheinen, in Wittenau ein eigenständiges Gemeindeleben ohne eigenes Kirchengebäude aufrecht zu erhalten; wahrscheinlicher ist wohl, dass die Gemeinde sich zerstreut. 

Hervorzuheben ist noch ein weiterer wichtiger Satz im auf St. Nikolaus bezogenen Abschnitt des Kirchenvorstands-Beschlusses: "[D]ie Kita soll erhalten bleiben." Damit nicht genug soll auch in die weiteren Überlegungen dazu, wie das Kirchengrundstück "im Interesse der Pfarrei wirtschaftlich baldmöglich und wünschenswert in sozialer Hinsicht entwickelt bzw. verwertet werden" kann und soll (wie es im Beschluss etwas geschraubt heißt), u.a. der Zweckverband "Hedi-Kitas" einbezogen werden, was darauf schließen lässt, dass an einen Ausbau bzw. eine Erweiterung der KiTa gedacht ist. Die darin zum Ausdruck kommende Tendenz ist sicherlich nicht spezifisch nur für diesen einen Standort: Das Erzbistum hat den Pfarreien die Weisung erteilt, ihren Immobilienbesitz zu reduzieren, und die Pfarreien konzentrieren sich bei der Umsetzung dieser Vorgaben einseitig darauf, Kirchenstandorte loszuwerden – ihre KiTas wollen sie hingegen behalten und nach Möglichkeit noch vergrößern. Für wen eigentlich? Der Bedarf an KiTa-Plätzen ist in Berlin derzeit rückläufig, schon jetzt haben nicht wenige KiTas Probleme, ihre Gruppen voll zu kriegen, und die Entwicklung der Geburtenzahlen lässt nicht erwarten, dass dieser Trend sich in absehbarer Zeit wieder umkehrt. Nun könnte man natürlich entgegnen, die Plätze in den Kirchenbänken seien schließlich erst recht nicht ausgelastet. Genau diese funktionalistische Auffassung, die die Kirchengebäude nach denselben weltlichen Effizienz- und Nützlichkeitsmaßstäben beurteilt wie die anderen Immobilien in kirchlichem Besitz, und so einigermaßen folgerichtig zu dem Schluss kommt, Kirchengebäude seien vergleichsweise weniger nützlich als beispielsweise KiTas, offenbart jedoch den Kern des Problems: In der Kirche herrscht eine verweltlichte Verwaltungsstruktur, ein institutioneller Apparat, dem jegliches Verständnis oder Gespür dafür abhanden gekommen ist, was die Kirche ist und wofür sie da ist. Insbesondere ist diesem Verwaltungsapparat der Sinn für das Heilige abhanden gekommen, das Verständnis dafür, warum die Kirche geweihte Räume für ihren Gottesdienst schafft, statt ihn einfach in Mehrzwecksälen abzuhalten. Wie ich vor Jahren schon mal im Zusammenhang mit der Profanierung von Kirchenstandorten meiner Heimatpfarrei im ländlichen Niedersachsen schrieb: "Wer meint, man bräuchte ja keine Kirche am Ort, weil man die Gottesdienste ja auch in einem nicht-sakralen Gebäude feiern könne, bei dem stimmen ganz grundsätzlich die Prioritäten nicht." Der sieht die Kirche nicht mehr als Ort der Begegnung zwischen Gott und Menschen, sondern will die Institution Kirche nur noch in der Rolle eines Wohlfahrtsverbands und einer sozialpolitischen Lobbygruppe sehen. Dass es Leute gibt – und zwar gerade innerhalb des institutionellen Apparats der Kirche! –, die ernsthaft glauben, genau so die "Relevanz" der Kirche in der säkularen Gesellschaft retten zu können, als gäbe es nicht genug Andere, die diese Aufgaben im Zweifel effizienter und professioneller übernehmen könnten, ist eigentlich das Absurdeste an der ganzen Geschichte. 

Aber darüber rede ich mir ja sowieso bei jeder Gelegenheit den Mund fusselig. Daher mache ich an dieser Stelle erst mal einen Punkt (oder drei...). 


Samstag, 27. September 2025

Die 3 K der Woche (44): Kinder, Kirche, Kampftechniken (auch für den geistlichen Kampf)

Wohlan, Freunde: Es ist wieder Wochenbriefing-Zeit, und erneut gibt es so viel zu berichten, dass ich mir sorgsam überlegen musste, was ich weglasse. Allein die Gemeindefreizeit der EFG The Rock Christuskirche, an der wir, d.h. meine Liebste, die Kinder und ich, teilgenommen haben, hat mir im Grunde Stoff für mehr als einen Blogartikel beschert; wir werden mal sehen, wie ich das, was ich im Wochenbriefing nicht unterbringen konnte, noch verarbeiten werde. Aber auch darüber hinaus fehlt es nicht an spannenden Themen... Seht selbst! 


Sowas wie Familienexerzitien 

Seit ungefähr zwölf oder 15 Jahren (so habe ich es jedenfalls gehört bzw. aufgeschnappt) veranstaltet die EFG The Rock Christuskirche aus Berlin-Haselhorst einmal im Jahr ein Wochenende in einem Feriendorf in der Uckermark; auf dem Gelände gibt es Spiel- und Sportplätze, ein Ziegengehege und eine Badestelle am See, aber vor allem umfasst so eine Gemeindefreizeit ein umfangreiches Programm aus Gebetszeiten, geistlichen Impulsen, Workshops und Lobpreis. – Wir haben in dieser Gemeinde ja gewissermaßen Gaststatus – seit über drei Jahren gehen wir dort mit unseren Kindern regelmäßig zum Kinderprogramm ("Jungschar am Mittwoch", kurz JAM) und kennen dadurch einfach ziemlich viele Leute in der Gemeinde, sowohl Mitarbeiter als auch andere Eltern; und zum Sonntagsgottesdienst gehen wir dort zwar nicht besonders oft, aber doch immer mal wieder –, und so wurden wir schon letztes Jahr gefragt, ob wir nicht mal zur Gemeindefreizeit mitkommen wollten. Da passte es dann aus verschiedenen Gründen nicht so richtig, aber dieses Jahr haben wir uns gedacht, wir machen's. Und ich kann gleich vorneweg versichern, dass wir diese Entscheidung nicht bereut haben. 

Mal von vorne: Am Freitag holten wir die Kinder etwas früher als sonst aus der KiTa und der Schule ab und machten uns direkt auf den Weg in die Brandenburgischen Wälder – mit S-Bahn, nochmal S-Bahn, Regionalbahn und Bus; schon beim Unsteigen von der zweiten S-Bahn in die Regionalbahn trafen wir ein Mitglied der Gemeindeleitung, aber die meisten anderen Teilnehmer – ich würde schätzen, dass es insgesamt ca. 80 bis 100 Leute waren – reisten mit dem Auto an. Untergebracht waren wir als Familie in einer Holzhütte mit einem Erwachsenen- und einem Kinderschlafzimmer, einem sehr kleinen Bad und einem Wohnzimmer mit Küchennische. Relativ bald nach unserer Ankunft gab's erst mal gemeinsames Abendessen. 

Die Anlage gefiel mir insgesamt ausgesprochen gut – besonders die kleine Kapelle, in der ich nach dem Abendessen erst mal einen Rosenkranz betete: 


Im Übrigen verlief der erste Abend für mich nicht gerade ideal. Nachdem die Kinder, vor allem der Jüngste, während der gut zweistündigen Anreise ziemlich überdreht und anstrengend gewesen waren, dröhnte mir ganz schön der Kopf, und dann stand als erster Programmpunkt (abgesehen vom Abendessen) ausgerechnet ein Spieleabend an. Auf dem Weg zum Großen Saal schoss mir folgerichtig der Gedanke durch den Kopf, ob ich eigentlich komplett lebensmüde sei, in meiner augenblicklichen Verfassung freiwillig zu einem Spieleabend zu gehen. Als dann gleich am Eingang jeder Teilnehmer aufgefordert wurde, sich eine Süßigkeit aus einer Schüssel auszusuchen, das Einwickelpapier aber aufzubewahren, weil anhand dieser die Teams eingeteilt würden, gingen bei mir die Alarmglocken an: Das wird so ein Gruppendynamik-Ding. Da habe ich ja ungefähr so viel Lust drauf wie auf eine Darmspiegelung. Ich machte also auf dem Absatz kehrt und verbrachte den Abend allein. Das war subjektiv sicherlich die richtige Entscheidung, aber für die Zukunft würde ich den Veranstaltern doch gern die Idee ans Herz legen, gerade für den ersten Abend an ein Alternativprogramm für Introvertierte zu denken. 

Wie dem auch sei, am nächsten Morgen stand ich extra früh auf, um zum "freiwilligen Frühgebet (mit Kaffee)" zu gehen. Die Betonung der Freiwilligkeit in der Benennung dieses Programmpunkts mag den Eindruck erwecken, die sonstigen Programmpunkte seien Pflichtveranstaltungen; ganz so war das nicht, aber jedenfalls fand sich hier eine im Verhältnis zur Gesamtteilnehmerzahl der Gemeindefreizeit eher kleine Runde zusammen, vielleicht 15, maximal zwanzig Leute. – Für mich war dieses Frühgebet ein Highlight: Auch wenn ich mich nicht in dem Sinne "aktiv" daran beteiligte, dass ich selbst ein Gebet gesprochen hätte, spürte ich deutlich, wie die Teilnahme an diesem Gebetskreis mein Herz und meine Seele weitete und meinen Geist zu Gott hin öffnete, auch wenn das jetzt pathetischer klingt, als es normalerweise meine Art ist. Zudem hat mir die Gebetszeit elnige Denkanstöße beschert, aus denen in absehbarer Zeit noch der eine oder andere separate Blogartikel hervorgehen dürfte; ein paar Gedanken und Beobachtungen möchte ich aber auch hier und jetzt schon festhalten. Dazu gehört, dass einige der teilnehmenden Frauen während der Gebetszeit ihr Haupt bedeckten – mit einem Schal bzw. Halstuch, mindestens eine aber auch mit einem durchaus Mantilla-ähnlich aussehenden Schleier. Zudem eröffnete ein Mitglied der Gemeindeleitung die Gebetsrunde mit einem Bibelvers als Impuls; bei diesem Vers handelte es sich um Psalm 43,4, den er in der Elberfelder Übersetzung zitierte: "So werde ich kommen zum Altar Gottes, zum Gott meiner Jubelfreude". Der Gemeindeälteste (oder wie auch immer sein genauer Titel sein mochte) sprach so begeistert über diesen Vers, als hätte er ihn an diesem Morgen ganz neu entdeckt, was ich insofern irgendwie witzig fand, als er in der katholischen Kirche, wenn auch auf Latein, jahrhundertelang Bestandteil der Stufengebete am Beginn der Heiligen Messe war (deren Abschaffung man wohl zu den eher fragwürdigen Aspekten der Liturgiereform zählen darf). Der für mich zentrale Satz des Frühgebets am Samstag lautete jedoch: 

"Wenn die Welt uns nervt, soll in unserem Inneren Dein Lied erklingen." 

Und dieser Satz wirkte umso stärker, als dabei vernehmliches Vogelgezwitscher durchs Fenster hereindrang. – Erwähnenswert fand ich weiterhin, dass in dieser Runde für einige Gemeindemitglieder gebetet wurde, die nicht zur Gemeindefreizeit hatten mitkommen können; es wurde um Heilung für Gemeindemitglieder mit chronischen Krankheiten oder anderen langwierigen Leiden gebetet ("Wir sind so hungrig danach, ein Wunder zu erleben"); und was ich besonders interessant fand: Mit Blick darauf, dass es am Sonntag zwei Taufen geben sollte, wurde die Einschätzung geäußert, dass die Täuflinge besonders unseres Gebets bedürften, weil "der Teufel sie angreifen wird". Dazu ließe sich sicher eine Menge sagen, und vielleicht komme ich noch an anderer Stelle darauf zurück, aber erst einmal fand ich die Selbstverständlichkeit bemerkenswert, mit der diese Auffassung vorgebracht und auch in der Runde aufgenommen wurde. 

Nach dem Frühgebet gab's Frühstück, und das weitere Programm bis zum Mittagessen war im Prinzip ähnlich aufgebaut wie ein Sonntagsgottesdienst dieser Gemeinde: Begrüßung, Lobpreis, dann wurden die Kinder zum separaten Kinderprogramm 'rausgeschickt, und für die Erwachsenen gab's einen Vortrag, den man, wenn die Veranstaltung offiziell als Gottesdienst deklariert gewesen wäre, wohl als Predigt bezeichnet hätte. Diesen Vortrag anzuhören überließ ich meiner Liebsten und ging, wie gewohnt, mit den Kindern; diesen wurde der erste Teil eines "Lebensbildes" über den Cricketspieler und späteren Missionar Charles Studd (1860-1931) präsentiert, anschließend gab's ein Geländespiel. Dies nahm ich zum Anlass, mich auszuklinken und mich erneut zum Rosenkranzgebet in die Kapelle zurückzuziehen. 

Ehe ich im chronologischen Ablauf weitergehe, möchte ich aber noch ein paar Dinge anmerken, die mir im Zusammenhang mit der Kinderkatechese (die am Sonntag fortgesetzt wurde) aufgefallen sind. Das betrifft nicht so sehr die inhaltliche Seite: Wie ich schon früher mal festgehalten habe, bin ich kein besonderer Fan von diesem "Lebensbildern", zumal die mir alle so ziemlich über denselben Leisten geschustert zu sein scheinen. Was mir hingegen positiv auffiel, war die motivationsfördernde Wirkung der Einbindung in Leitungsverantwortung. Okay, das klingt vielleicht ein bisschen abstrakt, aber ich erläutere es gleich. Schon am Mittwoch vor der Gemeindefreizeit war mir beim JAM aufgefallen, dass einer der Absolventen des "Next Step"-Glaubenskurses für Jugendliche die Begrüßungsabsprache übernahm. Dieser Junge war schon länger "Teenie-Mitarbeiter" beim JAM gewesen, aber die Begrüßungsansprache war bisher immer in den Aufgabenbereich der erwachsenen Mitarbeiter gefallen. Okay, dachte ich, "Next Step" bedeutet auch neue Aufgaben und mehr Verantwortung in der Gemeindearbeit; das ergibt Sinn. Jetzt bei der Gemeindefreizeit konnte man prinzipiell Ähnliches beobachten: Hier wurden nämlich, zumindest für die Dauer des Wochenendes, ein paar Kinder zu Helfern ernannt, die diesen Status bisher nicht gehabt hatten; darunter war ein ca. 12-jähriger Junge, der, als er anfing mit seiner Mutter zum JAM zu kommen, für mein Empfinden den Eindruck vermittelt hatte, er sei "eigentlich zu cool für sowas" und interessiere sich wesentlich mehr für Sport und Zocken als für irgendwas anderes. Und nun durfte der in der Kinderkatechese Bilder hochhalten und einen Bibelvers vorlesen. Fand ich super. 

Nach dem Mittagessen standen erst einmal ein paar Stunden Freizeit auf dem Programm; auf besonderen Wunsch der Kinder gingen wir an den See, aber zum Baden war es doch schon ein bisschen kalt; die einzige von uns, die sich nicht nur bis zu den Waden ins Wasser traute, sondern tatsächlich schwimmen ging, war meine Liebste. Um 15 Uhr gab's Kaffee und Kuchen, und nicht lange darauf hatte man die Wahl zwischen mehreren Workshops. Meine Liebste wollte zu einem Workshop zum Thema Alpha-Kurs gehen; das hätte mich durchaus auch interessiert, aber da es während des Nachmittagsprogramms kein paralleles Kinderbetreuungsangebot gab, hielt ich es für sinnvoller, mit den Kindern zum Workshop "Selbstverteidigung" zu gehen, der von einem Mitarbeiter angeboten wurde, den wir vom JAM kennen. Der junge Mann ist ein erfahrener Kampfsportler, betonte aber, die beste Form der Selbstverteidigung sei es, sich gar nicht erst auf einen Kampf einzulassen. Die Kampftechniken, die er erklärte, vorführte und die Teilnehmer üben ließ, waren dementsprechend vor allem darauf ausgerichtet, den Angreifer auf Distanz zu halten. Obwohl ich nur zuschaute und nicht an den Übungen teilnahm, empfand ich den Workshop als sehr lehrreich; die Kinder konnten sich bei den Übungen ordentlich austoben und hatten sichtlich Spaß dabei. 

Meine Liebste berichtete übrigens, beim Workshop zum Thema Alpha-Kurs sei es darum gegangen, dass der Workshop-Leiter im nächsten Frühjahr in der The Rock-Gemeinde einen Alpha-Kurs anbieten will und dafür sowohl Mitarbeiter als auch Teilnahme-Interessierte sucht; und sie habe sich gemeldet – als Mitarbeiterin. Man darf gespannt sein. 

Nach den Workshops gab es Abendessen, und danach stand ein Lobpreisabend mit Zeugnissen auf dem Programm. Der Lobpreis war vom Leiter als "Organic Worship" angekündigt worden, was bedeuten sollte, dass jeder, der ein Instrument beherrschte (und mitbrachte), mitspielen durfte; in der Praxis sah das so aus, dass eine kleine Gruppe von Musikern mit Gitarre, Keyboard, Cajón und zwei Gesangsmikrofonen auf einem Bühnenpodest standen, und aus dem Publikum heraus spielten zwei weitere Gitarren, eine Geige und eine Querflöte mit. Allerdings nicht spontan und improvisiert wie bei einer Jamsession von Jazzmusikern, sondern es waren Notenblätter an die Mitmusizierenden verteilt worden. Die Lieder kannte ich durchweg nicht, was wohl mit dazu beitrug, dass sie mich buchstäblich nicht vom Hocker rissen: Schon zur Eröffnung des Vormittagsprogramms hatte es einige Lobpreislieder gegeben, dazu war ich aufgestanden und hatte mich gewundert, dass die Gemeinde sitzen blieb (ich finde generell, dass im evangelikalen Gottesdienst zu viel gesessen wird, aber das mal nur am Rande), aber jetzt blieb ich selber auch auf meinem Hintern sitzen. (Was für einen Unterschied es macht, wenn man die Lieder schon kennt, merkte ich am nächsten Tag, als im Gottesdienst eins der Lieder vom Lobpreisabend – mit dem Titel "Dankbarkeit und Lobpreis" – erneut gesungen wurde; und diesmal berührte es mich schon viel stärker.) Ganz am Schluss wurde dann ein Lied für die Kinder gespielt, nämlich den "Adlersong", und die Kinder, auch unsere, durften nach vorn kommen, um die Choreographie zu diesem Lied vorzuführen. Anschließend gab es einen geselligen Lagerfeuerabend; das war nett, aber die Kinder waren inzwischen so müde, dass sie nach einer Weile freiwillig ins Bett wollten. Auch ein Erfolg dieses Tages. 

Der Sonntag begann für mich wieder mit Frühgebet und Kaffee, und der Bibelvers zum Einstieg lautete diesmal Sprüche 17,24, wieder in der Elberfelder Übersetzung: "Der Verständige hat die Weisheit vor dem Angesicht, aber die Augen des Toren sind am Ende der Erde." Ein guter Impuls, das Bewusstsein auf das Hier und Jetzt zu richten, statt in Gedanken immer woanders zu sein – ich würde sagen, das ist eine Ermahnung, die gerade bei mir oft angebracht ist. Weitere bemerkenswerte Sätze aus dieser Gebetszeit: 

"Selbst wenn ein Mensch keine Beine hat und sie ihm nachwachsen, ist das kein so großes Wunder, wie wenn ein Mensch sich bekehrt." 

Und: 

"Es gehört zur Weisheit des Christen, dass er die Gaben der Gemeinde nutzt." 

Zu all dem wäre bei passender Gelegenheit sicherlich noch mehr zu sagen. – Das Vormittagsprogramm am Sonntag glich noch mehr als das vom Samstag den "normalen" Sonntagsgottesdiensten der Gemeinde; so war es einigermaßen folgerichtig, dass dazu auch Gemeindemitglieder anreisten, die ansonsten nicht am Programm des Wochenendes teilgenommen hatten. Ein "normaler" Gottesdienst war es allerdings insofern nicht, als es, wie schon angekündigt, zwei Taufen gab: Getauft werden sollten eine ältere Frau und eine Jugendliche, die wir als "Teenie-Mitarbeiterin" vom JAM kannten. Dadurch, dass die Zeugnisse der Täuflinge von der ganzen Gemeinde, einschließlich der Kinder, gehört werden sollten, fiel das separate Kinderprogramm etwas kürzer aus als sonst; ich ging aber trotzdem dorthin mit, schon allein weil ich nicht recht Lust auf eine Predigt zum Thema Taufe hatte: Das problematische und aus meiner Sicht offen gestanden defizitäre Taufverständnis dieser Gemeinde, zu dem ich mich schon anlässlich der Swimmingpooltaufe in Falkensee vor den Sommerferien geäußert habe, war schon in der Anmoderation zu den Taufzeugnissen wieder deutlich genug zum Ausdruck gekommen. 

Dafür gab's bei der Kinderkatechese, so kurz sie auch war, ein schönes Erlebnis, als die Leiterin die Kinder fragte, ob sie schon mal die Erfahrung gemacht hätten, dass Gott versorgt. Zum allgemeinen Erstaunen meldete sich mein Jüngster (viereinhalb Jahre alt!), und auf die Frage, welche Erfahrung er diesbezüglich denn konkret gemacht habe, sagte er: 

"Dass Wunden wieder heilen." 

Ich war begeistert. – Nach dem zweiten Teil des Lebensbildes über Charles Studd gab es noch ein kurzes Spiel, und danach ging's runter zur Badestelle am See – zur Taufe. Das war schon ein eindrucksvolles Erlebnis, besonders als die Gemeinde spontan und unbegleitet zu singen anfing ("Die Herrlichkeit des Herrn bleibet ewiglich"). – Die Abreisevorbereitungen (Sachen packen, Betten abziehen, Müll rausbringen) hatten wir größtenteils schon nach dem Frühstück erledigt; es gab noch ein gemeinsames Mittagessen, und damit war die Gemeindefreizeit dann im Wesentlichen vorbei. Schon am Abend zuvor hatte ich zu meiner Liebsten gesagt, ich hätte eigentlich nichts dagegen, wenn die Gemeindefreizeit eine ganze Woche ginge und nicht bloß ein Wochenende, und hatte augenzwinkernd hinzugefügt: "Wie überrascht bist du, dass ich das sage, auf einer Skala von eins bis... äh... sieben?"

"Fünf", erwiderte sie. 

Sie selbst meinte sogar, am liebsten würde sie immer so leben. Ich würde mal sagen, das sollte ein guter Ansporn sein, das Projekt "Pfarrhausfamilie" nicht aus den Augen zu verlieren...! 


Eine kleine Nachlese zum Marsch für das Leben 

Wie vorige Woche schon angemerkt, war es für mich ein kleiner Wermutstropfen des vorigen Wochenendes, dass ich wegen der Gemeindefreizeit nicht am Berliner Marsch für das Leben teilnehmen konnte; ich bemühte mich aber, das Geschehen aus der Ferne wenigstens ein bisschen zu verfolgen. Was aus der Blogoezese über den Marsch zu erfahren war, habe ich bereits am Donnerstag in der Blogrundschau gewürdigt; es wären aber auch noch einige Berichte und Stellungnahmen aus anderen Quellen zu erwähnen. Fangen wir mal an mit dem offiziellen Grußwort der Deutschen Bischofskonferenz: Darin wird der "Einsatz für den Schutz menschlichen Lebens von seinem Beginn bis zum natürlichen Tod" als "ein menschenfreundliches Anliegen" gewürdigt, das "mit den Grundlinien des christlichen Verständnisses vom Menschen und vom Leben des Menschen" übereinstimme; gleichzeitig wird betont, das "Anliegen des Lebensschutzes" dürfe "nicht verzweckt werden", etwa "für politische, demografische, nationalistische oder gar völkische Interessen". – Inhaltlich bin ich mit dieser Aussage voll und ganz d'accord; als eher problematisch betrachte ich es indes, dass darin die Unterstellung mitschwingt, die Veranstalter und Unterstützer des Marsches hätten diese Ermahnung nötig. Zahlreiche Reaktionen – angefangen von der häretisch.de-Schlagzeile "Bischof Bätzing sendet Grußwort an 'Marsch für das Leben' – und warnt" – dokumentieren, dass diese Botschaft genau so verstanden wurde: als implizite Distanzierung vom Marsch für das Leben, ja als "dogwhistle" an die Adresse der PUU-Fraktion: "Eigentlich sind wir auf eurer Seite." Bemerkenswert ist nun aber, dass die Adressaten darauf gar nicht mal so erfreut reagierten. Exemplarisch sei hier eine Wortmeldung auf Bluesky zitiert – von demselben jungen Mann, dessen Beiträge ich hier schon öfter als Paradebeispiel dafür herangezogen habe, was für ein Geist im quasi-offiziellen Sozialen Netzwerk für eine (vermeintlich) bessere Welt herrscht: 

"Ich verstehe einfach nicht, warum man immer noch für diese Vorfeldveranstaltung der faschistischen Bewegung Grußwörter schreibt." 

Nebenbei sei erwähnt, dass auch in der Instagram-Story von Horse & Hound ein Kommentar zum Marsch für das Leben erschien; aber der war so weird, dass ich an anderer Stelle ausführlicher darauf eingehen möchte. Schauen wir hier und jetzt lieber mal, was der Berliner Tagesspiegel so schreibt – der ja schon letztes Jahr in seiner Berichterstattung zum Marsch für das Leben ordentlich auf die Kacke gehauen hat. Schon dass diese – wie ich schon seinerzeit schrieb – ehemals seriöse Tageszeitung erneut jenen Dominik Lenze über den Marsch berichten ließ, der im vorigen Jahr seine Befriedigung darüber, dass einige "Aktivist:innen" bei der Abschlussandacht die Bühne stürmten, kaum zu zügeln wusste, sagt ja einiges aus. Im diesjährigen Tagesspiegel-Bericht erfährt der geneigte Leser beispielsweise, eine Rednerin bei der Auftaktkundgebung habe sich "energisch dafür" ausgesprochen, "dass ein Schwangerschaftsabbruch auch nach einer Vergewaltigung nicht in Ordnung sei", und habe dafür ein "Dickes Dankeschön" von der Moderatorin geerntet. Zufällig habe ich den betreffenden Redebeitrag im Livestream von EWTN verfolgt: Bei der Rednerin handelte es sich um Johanna Durairaj, die in Indien in einem Geburtshaus tätig ist und auf vielfältige Weise Hilfen für in Not geratene Schwangere organisiert – darunter sind Frauen, die wegen ihrer Schwangerschaft von ihrer Familie verstoßen wurden, und auch Vergewaltigungsopfer. Und ja, sie hat in ihrem Redebeitrag tatsächlich argumentiert, es sei eine irrige Annahme, für eine durch Vergewaltigung schwanger gewordene Frau sei eine Abtreibung hilfreich oder gar notwendig dafür, das Trauma der erlittenen Abtreibung zu verarbeiten. Könnte man mal einen Moment lang in Erwägung ziehen, dass sie mit dieser Aussage Recht hat? Nein? Na dann nicht. 

Ähnlich bezeichnend für die Qualität dieses Presseartikels ist eine Passage, in der es heißt, "der umstrittene Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki" habe ein Grußwort für den Marsch geschrieben: "Dem Kirchenmann wird vorgeworfen, Missbrauchsfälle mindestens mangelhaft aufbereitet zu haben. Im Juli forderte ein Gremium der Deutschen Bischofskonferenz vom Papst Schritte gegen Woelki." Da könnte man nun fragen, was hat das eine mit dem anderen zu tun? Gar nicht mal so subtil wird dem Leser suggeriert, es müsse irgendwie einen Zusammenhang zwischen "gegen Abtreibung sein" und mangelhafter Missbrauchsaufarbeitung geben; und man trifft in freier Wildbahn durchaus zuweilen Leute, die das tatsächlich glauben. Dass es in Deutschland auch noch andere Bischöfe gibt, denen Fehler und Versäumnisse im Umgang mit Missbrauchsfällen vorgeworfen werden oder sogar konkret nachgewiesen wurden, womit die Medien aber sehr viel nachsichtiger (oder vergesslicher) umgehen als im Falle Kardinal Woelkis, sei an dieser Stelle ebenfalls angemerkt. 

Man muss aber gar nicht so weit in die (Kirchen-)Ferne schweifen, um schlechte Berichterstattung zum Marsch für das Leben zu finden. Beim Domradio etwa liest man unter der Unterschrift "Protest gegen Schwangerschaftsabbrüche" die einleitenden Zeilen: 

"In Berlin und Köln haben beim 'Marsch für das Leben' Tausende für ein strengeres Abtreibungsrecht demonstriert. Auf Gegendemos protestierten ebenso viele Menschen für sexuelle Selbstbestimmung und die Entkriminalisierung des Abbruchs." 

Ich würde sagen, es ist recht eindeutig, welche Seite hier in einem freundlicheren Licht dargestellt wird. Das Portal evangelisch.de geht noch einen Schritt weiter: Dort ist schon auf dem Vorschaubild zum Artikel "Abtreibungsdebatte: Pro und Contra Demos in Berlin und Köln" ein Banner mit dem Schriftzug "Abtreibung legalisieren jetzt!" zu sehen. Da weiß man gleich, woran man ist. 


Schwarzer Gürtel in KiWoGo – und darüber hinaus 

Am Dienstag am späten Nachmittag traf sich der – wie jüngst schon erwähnt – aktuell auf zwei Personen geschrumpfte Arbeitskreis Kinderwortgottesdienst der Gemeinde St. Joseph Siemensstadt/St. Stephanus Haselhorst in idyllischer Biergarten-Atmosphäre am Ufer des Tegeler Sees, um Pläne für die anstehenden Aktivitäten zu schmieden. Und ich darf sagen, wir haben uns eine ganze Menge vorgenommen. Der erste KiWoGo dieses Schuljahres ist für den 12. Oktober (28. Sonntag im Jahreskreis) geplant, da kommt im Evangelium die Heilung der zehn Aussätzigen (Lukas 17,11-19) dran; das trifft sich gut, denn zu dieser Perikope habe ich erst unlängst nicht nur eine, sondern zwei Kinderkatechesen miterlebt – eine bei der Urlauberkirche in Butjadingen, eine bei der Kinderbibelwoche in Haselhorst. Nun habe ich zwar nicht die Absicht, das, was ich da gesehen und gehört habe, einfach zu kopieren, aber gewisse Anregungen habe ich doch daraus bezogen; was genau mir für die Gestaltung dieses KiWoGo vorschwebt, werde ich aber erst schildern, wenn's soweit ist. Der nächste KiWoGo-Termin ist dann der 9. November, der Weihetag der Lateranbasilika; da ist das Evangelium von der Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel (Johannes 2,13-22) dran, auch wieder ein sehr dankbarer Text. Da kann man natürlich sehr schön die Aufmerksamkeit der Kinder fesseln, indem man zu Beginn etwas sagt wie "Heute hören wir, dass Jesus nicht immer nur lieb und nett ist." Die Frage ist dann natürlich, worauf will man katechetisch damit hinaus? Nach einigem Reflektieren über den Text kamen wir zu dem Schluss, das Entscheidende an der Perikope sei die Frage nach der Vollmacht Jesu: "Welches Zeichen lässt du uns sehen, dass du dies tun darfst?" (V. 18). Wenn man von dem, was Jesus daraufhin über den Tempel Seines Leibes sagt, für die Erstkommunionkinder eine gedankliche Verbindung zum Leib Christi als dem neuen Ort der Gegenwart Gottes unter den Menschen, und damit zur Eucharistie, herstellen kann, dann ist das schon sehr gut; und wenn bei den jüngeren Kindern "nur" die Message ankommt, dass sie in der Kirche nichts tun sollen, was der Würde des Gottesdienstes unangemessen ist (also z.B. am Tablet zocken oder Pokémon-Sammelkarten tauschen), ist das auch schon was wert. 

Und dann kommt schon bald der Advent – und da kam nun der Umstand ins Spiel, dass aus dem Pastoralteam heraus der Wunsch formuliert worden war, es solle im Advent mehr Angebote für Familien mit Kindern geben als sonst. Zu der Idee, man könne an jedem Adventssonntag einen Kinderwortgottesdienst anbieten, wandte ich ein, das sei mir eigentlich zuviel; der Gemeindereferent stimmte mir im Grundsatz zu, aber dann einigten wir uns doch darauf, dass es am 1., 3. und 4. Advent einen KiWoGo geben soll. Für den 1. Advent sammelten wir schon einige Ideen (unter dem Leitwort "Seid wachsam!"), alles Weitere verschoben wir erst mal aufs nächste Treffen; die Evangelien zum 3. und 4. Adventssonntag sind jedenfalls vielversprechend, in dem einen geht es um Johannes den Täufer im Gefängnis (Mt 11,2-11), in dem anderen um die Verkündigung des Engels an Josef (Mt 1,18-24). Da lässt sich sicherlich was Gutes draus machen. 

In der Advents- und Weihnachtszeit stehen natürlich auch noch weitere Gemeindeveranstaltungen an, die ganz oder teilweise in den Zuständigkeitsbereich des Ausschusses "Kinder, Jugend und Familien" fallen. Für die Nikolausfeier sitze ich dieses Jahr nur auf der Ersatzbank, will sagen, den Nikolaus soll eigentlich ein anderer spielen, aber sollte der verhindert sein, stehe ich zur Verfügung. Dann kommt das Krippenspiel – da wollen meine Kinder definitiv wieder mitmachen –, dann kommt die Sternsingeraktion; auch daran hat das Tochterkind Interesse signalisiert. 

Am interessantesten fand und finde ich aber doch das neue Projekt "Religiöse Kindertage" (RKT) – auch wenn ich der Meinung bin (und dies auch gegenüber dem Gemeindereferenten vertrat), der Name klinge allzu bürokratisch und "DDR-mäßig", außerdem sei "religiös" für viele Leute ein negativ besetzter Begriff; kurz und gut, als interner Arbeitstitel sei die Bezeichnung wohl brauchbar, aber nennen müsse man das Ding am Ende anders, irgendwie cooler und griffiger – "damit man nicht nur auf den üblichen kircheninternen Kanälen dafür werben kann, sondern auch bei Edeka, in der Stadtteilbibliothek und an der Tanke". 

"Na ja, der Name ist halt von der Religiösen Kinderwoche abgeleitet", wandte der Geneindereferent ein, "und ja, die kommt aus der DDR, aber das ist eine gut eingeführte Marke." 

"Aber nur innerhalb kirchlicher Kreise und nicht darüber hinaus." 

"Okay." 

Im Übrigen, und da ich ja gerade sozusagen frisch von der Gemeindefreizeit kam, betonte ich, wie wichtig es sei, dass die Gemeindearbeit im Gebet verwurzelt sei, und dass das gerade bei dem neuen Projekt zu beachten sei; und siehe da, damit rannte ich beim Gemeindereferenten offene Türen ein. Angedacht ist jetzt, alle, die interessiert sind, an dem "RKT"-Projekt in irgendeiner Form mitzuarbeiten, zu einem Vorbereitungstag unter dem Motto "Beten – Planen – Essen" einzuladen. Ich bin sehr gespannt! – Die Namensfindung für das Projekt würde ich übrigens am liebsten so lösen, dass eine Liste mit Namensvorschlägen auf ein großes Flipchart geschrieben und dieses dann mit Dartpfeilen beworfen wird; aber vielleicht ist das ein bisschen zu filmisch gedacht. 


Eltern sein nach der Petrus-Methode

In der Gemeinde auf dem Weg ging am vergangenen Mittwoch der Eltern-Glaubenskurs weiter, der diesmal noch ein bisschen schwächer besucht war als beim ersten Mal: Theoretisch hätten zwei neue Teilnehmerinnen hinzukommen wollen, aber dann hatten diese und noch eine, die schon beim ersten Mal dabeigewesen war, kurzfristig abgesagt, wegen kranker Kinder oder aus ähnlichen Gründen. Gut war's trotzdem; ein thematischer Schwerpunkt lag diesmal auf dem Umgang mit eigenen Fehlern, und dabei wurde auf das biblische Beispiel des Apostels Petrus verwiesen. Das fand ich so interessant, dass ich hier etwas näher darauf eingehen möchte. Zunächst hieß es, es sei wohl ganz normal, zumindest weit verbreitet, dass Eltern perfekt sein wollen, sich fest vornehmen, alles richtig zu machen und die Fehler anderer Eltern, nicht zuletzt die der eigenen, zu vermeiden. Das wurde verglichen mit der Antwort des Petrus auf die Ankündigung Jesu beim Letzten Abendmahl, alle Jünger würden Ihn im Stich lassen und sich von Ihm abwenden: "Und wenn alle an dir Anstoß nehmen – ich niemals! Und wenn ich mit dir sterben müsste – ich würde dich nie verleugnen" (Mt 26,33.35). Und ebenso wie Petrus Jesus dann eben doch verleugnet, zerschellen auch viele gute Vorsätze von Eltern an den rauen Klippen des Alltags. Aber dann kommt die Begegnung Petri mit dem auferstandenen Christus am Ufer des Sees Gennesaret (Johannes 21,15-19) ins Spiel: Jesus verzeiht Petrus, stutzt gleichzeitig dessen überhöhtes Selbstbild auf ein realistisches Maß zurecht – und überträgt ihm im gleichen Atemzug Leitungsverantwortung ("Weide meine Schafe!"). Sinngemäß sagt Er zu ihm: Ich weiß um deine Fehler und Schwächen, genauer als du selbst, und trotzdem, und gerade so, vertraue ich dir diese Aufgabe an. Und genauso hat Gott uns auch unsere Kinder anvertraut, hat uns zu Eltern berufen und bestimmt. 


Geistlicher Impuls der Woche 

Was dir selbst verhasst ist, das mute auch einem anderen nicht zu! Gib dem Hungrigen von deinem Brot und dem Nackten von deinen Kleidern. Such nur bei Verständigen Rat; einen brauchbaren Ratschlag verachte nicht! Preise Gott, den Herrn, zu jeder Zeit; bitte Ihn, dass dein Weg geradeaus führt und dass alles, was du tust und planst, ein gutes Ende nimmt. 

(Tobit 4,15a-16.18-19) 


Ohrwurm der Woche 

Lennart Schilgen: Lagerfeuersongs ("Abenteuerland"-Parodie) 

Meine Schwägerin mag die Gruppe PUR; das muss man wohl unter de gustibus non est disputandum abbuchen. Für mein Empfinden zählt das Œuvre dieser Gruppe, wie z.B. auch Herman van Veen und Peter Maffays "Tabaluga", zum säkularen Pendant zu NGL, einschließlich der schwammig-betulichen Pseudo-Spiritualität. Desto mehr mag ich den Kabarettisten Lennart Schilgen (wir erinnern uns: Was ist der Unterschied zwischen einem Comedian und einem Kabarettisten?); und dass ich seine "Abenteuerland"-Parodie ausgerechnet auf der Gemeindefreizeit entdeckte – wo es, wie geschildert, auch einen Lagerfeuerabend gab –, ist schon eine bemerkenswerte Fügung. Da der junge Herr Schilgen es klüglich verschmäht hat, seine Parodie-Idee über die gesamte Länge des Songs auszuwalzen, ist dies der erste "Ohrwurm der Woche" in der Geschichte meiner Wochenbriefings, der nur eine Minute lang ist; aber das macht eigentlich nichts: Im Kopf läuft der Song sowieso weiter... 


Vorschau/Ausblick 

Von gestern auf heute hat unsere Große bei einer Schulfreundin übernachtet, und diese Freundin kam dann heute Vormittag auch mit zum Stammestreffen der Royal Rangers – darauf komme ich nächste Woche noch zurück. Ob wir es am Abend zur Community Networking Night im Baumhaus schaffen würden, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest; falls ja, wird auch das ein Thema für das nächste Wochenbriefing. – Am morgigen Sonntag gäbe es schon wieder eine Veranstaltung auf dem Achorhof, zu der wir eingeladen sind – vormittags ein Kochkurs "nach Hildegard von Bingen", anschließend wird das Gekochte gemeinsam aufgegessen, und am frühen Nachmittag folgt eine Messfeier. Was allerdings dagegen spricht, da hinzufahren, ist, dass uns nach dem Ende der Sommerpause eigentlich angewöhnen möchten, wieder regelmäßig (oder möglichst noch regelmäßiger als zuvor) in Siemensstadt in die Messe zu gehen – auch um in der dortigen Gemeinde mehr Präsenz zu zeigen. Am Nachmittag ist außerdem auch noch Ökumenischer Waldgottesdienst im Tegeler Forst; normalerweise hätte ich nicht in Erwägung gezogen, da hinzugehen, wäre nicht beim Elternabend in der KiTa unseres Jüngsten dafür geworben worden. Wenn also die Chance bestünde, dort die Familien anderer Kinder aus der KiTa zu treffen, würde es sich eventuell schon lohnen... Am Mittwoch ist an der Schule des Tochterkindes Tag der offenen Tür, aber da das mit dem JAM kollidiert, werden wir uns noch gut überlegen müssen, ob wir da hingehen. Am Freitag ist Feiertag – in Westfalen werden die Heiligen Ewald & Ewald gefeiert, in Bayern der Todestag von Franz Josef Strauß und in den Landeskirchen der EKD Franz von Assisi, dessen Gedenktag in der katholischen Kirche erst einen Tag später ist –, daher gibt's ein langes Wochenende. Was wir da machen werden, ist noch ungewiss. Vielleicht wäre ein Wochenende, an dem nichts Besonderes los ist, auch mal ganz schön... 


Donnerstag, 25. September 2025

Blogoezese-Rundschau am Donnerstag – Vol. 12

Salvete, liebe Blogoezese-Interessierte! In der zwölften Folge meiner wöchentlichen Rundschau geht's mit der Zahl der zu besprechenden Artikel wieder leicht bergauf, wobei sich der Trend verfestigt, dass das Gros der im Guten oder im Bösen erwähnenswerten Artikel am Wochenende erscheint; weiterhin ist festzustellen, dass die Artikel, die mir negativ aufgefallen sind, die lobenswerten zwar nicht zahlenmäßig übertreffen, wohl aber hinsichtlich des Umfangs meiner Anmerkungen. Kritik braucht halt oft mehr Worte als Lob, das mag man schade finden, aber #isso. – Wichtige Themen der Woche waren das jüngste Papst-Interview sowie der Marsch für das Leben in Berlin und Köln

Zum heutigen Gedenktag des Hl. Nikolaus von Flüe: Das Sachsler Meditationstuch (gemeinfrei, Quelle hier

Zunächst ist noch allerlei zum vorigen Donnerstag, dem 18. September, nachzutragen; zum Beispiel erschien da auf dem TheoBlog ein Beitrag mit dem interessanten Titel "Sexualität in einer liberalen Marktgesellschaft"; dabei handelt es sich um einen Auszug aus einem gleichnamigen, bei idea erschienenen Essay von Peter Schallenberg und David Dekorsi. Hier ein paar Schlüsselsätze: 

"Was heute als 'Befreiung' gefeiert wird, führt in Wahrheit zu Isolation. Noch nie war Sexualität so enttabuisiert, so frei verfügbar – und doch: Noch nie waren Menschen so einsam. Der Akt, der einst Ausdruck tiefster Verbundenheit war, wird zum Tauschgeschäft. Begegnungen bleiben flüchtig, Beziehungen verkommen zu Transaktionen. Dauer, Tiefe und Hingabe gelten inzwischen als naiv oder als Hindernis für persönliche Selbstverwirklichung." 

Auf die sich aufdrängende Frage "Und was soll man da jetzt machen?" versucht ein zweiter zitierter Absatz Antwort zu geben, allerdings bleibt diese für mein Empfinden etwas vage. Vielleicht müsste man den Text von Schallenberg und Dekorsi mal im Ganzen lesen. 

Mit dem Blog Rotsinn bin ich bislang nicht so recht warm geworden, und zwar offen gesagt deshalb, weil es mich einfach unglaublich nervt, wenn jemand sich als werweißwie intellektuell in Szene zu setzen versucht, aber schlichtweg nicht den Gehirnschmalz hat, um diesen Anspruch einzulösen. Der neueste Beitrag auf Rotsinn, betitelt "Über den Charakter von Politikerinnen und Politiker [sic!]", unterstreicht diesen Eindruck. Schauen wir uns mal den einleitenden Absatz an: 

"Wer gerechte, nachhaltige, gemeinwohlorientierte, d.h. einfach gute Politik haben möchte, der braucht vor allem eines: gerechte, nachhaltig lebende, an Gemeinwohl interessierte, d.h. einfach gute Politikerinnen und Politiker. So simpel ist es: Gute Politik braucht gute Politikerinnen und Politiker." 

So simpel ist das? Sorry, bei so viel Naivität bekomme ich Krämpfe. Im offenen und betonten Widerspruch zur herrschenden Meinung der Politikwissenschaft meint der Verfasser, man solle sich statt mit der Struktur politischer Institutionen und theoretischen Erwägungen "zum Rechtsstaat, zur Gewaltenteilung [...] usw." lieber mehr "mit den Tugenden und Lastern der politischen Akteure befassen" – denn: 

"Bekommen wir es derzeit nicht vorgeführt – u.a. in den Vereinigten Staaten – dass Institutionen und Staatwesen nur so 'gut' sind, wie die Personen, die in diesen Institutionen handeln, 'gut' sind? Dass gegen lasterhafte Personen an der Spitze eines Staates, einer Partei, einer Bewegung institutionelle Arrangements nur sehr bedingt helfen? Dass gegen die destruktive Energie lasterhafter Politikerinnen und Politiker nur eines wirkmächtig hilft: die konstruktive Energie tugendhafter Personen, die an einflussreicher Stelle Widerstand und Gegenrede gegen das lasterhafte Handeln leisten?" 

Dabei behandelt er den Begriff "Tugend" durchweg so, als sei es selbsterklärend, was darunter zu verstehen sei (während man z.B. aus Alasdair MacIntyres "Der Verlust der Tugend" lernen könnte, dass er das mitnichten ist). Wenn der Verfasser dann auch noch zwischen privater und politischer Tugend zu trennen versucht ("Natürlich kann eine Frau, die ihren Kindern eine gute Mutter ist, eine lasterhafte, weil böswillige, gierige, usw. Politikerin sein. Und ein Mann, der seinen Nachbarn ein zuvorkommender Nachbar ist, kann dennoch schlechte, weil rassistische und fremdenfeindliche Politik betreiben"), weiß man erst recht nicht mehr, worauf er eigentlich hinaus will. – Kurz gesagt, je mehr ich von Rotsinn lese, desto mehr erinnert mich der Verfasser dieses Blogs hinsichtlich seiner intellektuellen Kapazitäten an König Peter in Büchners "Leonce und Lena": Das Denken mag seine große Leidenschaft sein, aber das heißt noch nicht, dass er es besonders gut kann

Auf naunyn wird derweil die Reihe "40 Jahre WG Naunynstraße" fortgesetzt: Die 18. Folge dieser Artikelserie stammt von einer Franziskanerin aus dem Kloster Sießen, Sr. Ingrid, und heißt "Kreuzberg zwischen Waldemarstraße und Naunynstraße". Die Verfasserin führte ab 1995 zusammen mit einer Mitschwester 22 Jahre lang "ein offenes Haus mit Mittagstisch, Kleiderkammer und zwei Mal wöchentlich Lebensmittelausgabe mit Spenden von der Berliner Tafel" in Kreuzberg und schildert, wie sie im Zuge dieser Tätigkeit mit der Naunynstraßen-WG in Kontakt kam. 


Freitag, 19. September (Hl. Januarius

Bei Tu Domine erscheint ein Beitrag zum Thema "Wie das persönliche Gebet sein soll", der mit dem Quellenvermerk "von einem Athos-Mönch" versehen ist. Da kann man sich also ausrechnen, dass es spirituell anspruchsvoll wird. Aber auch wenn man sich, zumal als Nicht-Mönch, nicht dazu in der Lage sieht, die in diesem Text formulierten Maßregeln eins zu eins auf das eigene Gebetsleben anzuwenden, kann man doch gewisse wertvolle Impulse daraus beziehen, würde ich mal behaupten. 

Wie ich vor Jahren schon mal feststellte, muss man bei Blogs, deren Name mit "Theo" beginnt, immer besonders genau hingucken, damit man sie nicht verwechselt; denn Davon gibt's einige. Am Freitag stieß ich auf einen, den ich in meinen bisherigen Blogrundschauen nicht berücksichtigt hatte, da der (nunmehr vor-)letzte Artikel dort im März erschienen war: Theosalon. Das klingt elegant und kultiviert; wie schrieb doch Max Goldt: 

"Ein Salon war doch, wenn man an Anno Tobak, als die Leute auf Hochrädern und Draisinen mit Hörrohr am Rohr durch die Städte fuhren, in eine schnieke Altbauwohnung ging, um mit Schöngeistern Kultur und Politik zu bekakeln, und Rahel Varnhagen oder Madame de Staël oder die Irre von Chaillot, bzw. die nun vielleicht nicht gerade, haben immer Kaffee nachgegossen, bis jedem das Herz piekste." 

("Karlsruhe zwingt mich nach Koblenz", Juli 1993)

Ungefähr so hätte ich mir einen "Theosalon" auch vorgestellt oder gewünscht; aber ach. Der Blog dieses Namens hat zwei Autoren, Norbert Bauer – der mir vor allem daher ein Begriff ist, dass er allen Ernstes das Kirchenbild von Erik Flügges Pamphlet "Eine Kirche für viele statt heiligem Rest" als zu religiös kritisierte, und Peter Otten, den ich vor allem aus Kommentarschlachten auf Facebook kenne. Peter Otten ist Pastoralreferent, und schon diese Tatsache allein gibt mal wieder Anlass, darüber zu tagträumen, wie es in der Kirche aussehen könnte, wenn sie mal aufhören würde, ihre Feinde dafür zu bezahlen, dass sie sie bekämpfen. – Aber wie dem auch sei: Unter der Überschrift "Anonyme Katholiken lösen Sudoku" widmet sich Otten dem unlängst auszugsweise veröffentlichten Interview, das die Journalistin Elise Ann Allen mit Papst Leo XIV. geführt hat; oder genauer gesagt widmet er sich den Gefühlen, die das, was der Papst in diesem Interview gesagt hat (noch mehr aber eigentlich das, was er nicht gesagt hat), bei Leuten auslöst, die seit Jahrzehnten auf eine bestimmte Sorte sogenannter "Reformen" in der Kirche warten. Es sind Gefühle der Frustration und Resignation, da das besagte Interview recht deutlich den Eindruck erweckt, dass es die ersehnten "Reformen" auch unter Papst Leo nicht geben wird. Angesichts dieser Gefühlslage empfiehlt Otten den "Profi-Katholikinnen und -katholiken (Bischöfe außer die in Köln und Bayern sind mitgemeint)" – das steht da wirklich! –, sie sollten es aufgeben, jede Äußerung des jeweils gerade aktuellen Papstes akribisch nach möglichen Anzeichen danach zu durchleuchten, es könnte sich doch mal etwas in die von ihnen gewünschte Richtung bewegen: "Das macht ihr schon seit weiß Gott wie lang – aber merkt ihr es nicht? Da kommt nichts mehr." Nun könnte man denken, eine ehrliche Konsequenz aus dieser Erkenntnis wäre es, den Job als Pastoralreferent an den Nagel zu hängen, aus der Kirche auszutreten und sein Heil beispielsweise bei den Altkatholiken oder Quäkern zu suchen, aber das möchte der Herr Otten dann wohl doch nicht tun und auch seinen fellow Liberalkatholiken nicht raten. Sondern was? "Mensch sein, Verantwortung übernehmen, den Mensch, den du liebst umarmen, Mittagessen kochen, Wählen gehen, einen Plausch mit dem Bettler vorm REWE halten, ein Gebet murmeln, Demokratie üben" – oder aber einfach "tief durchatmen, Kaffee trinken und lieber ein ehrliches Sudoku lösen". Dazu fällt mir – und das ist äußerst selten bei mir – nun wirklich nichts mehr ein außer: Dann mach das doch und halt die Fresse. 

Wir bleiben beim Thema: Hatte ich nicht jüngst die Hoffnung geäußert, Hochwürden Carsten Leinhäuser (vaticarsten) möge sich in Zukunft wieder mehr darauf konzentrieren, sich mit seinem Hund zu unterhalten? Tja, da sieht man mal wieder, dass man vorsichtig damit sein sollte, was man sich wünscht, denn in "Es bleibt dabei: Liebegewinnt" kommentiert er das Papstinterview in Form eines Gesprächs mit seinem Hund. Das Ergebnis ist ziemlich übel. Da meint nämlich der Hund (!), dem Papst ankreiden zu müssen, er habe "nicht verstanden [...], dass Menschen sich ihre Sexualität nicht aussuchen" und dass sie "sich nicht entscheiden, hetero, homo oder trans zu sein, sondern einfach so sind, wie sie sind", und diagnostiziert, dass Leo "beim Versuch, was 'Nettes' zu sagen, gerade ziemlich danebengreift und wieder mal Menschen aus der LGBTQ-Community verletzt und ausgrenzt" und zudem "mal eben sowohl naturwissenschaftliche als auch theologische Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte ignoriert". Wie gut, dass sowohl Hund als auch Herrchen klüger und menschenfreundlicher sind als der Papst; so ist sich Hochwürden Leinhäuser sicher: "Irgendwann wird auch unsere Kirche verstehen, dass sie in dieser Sache auf nem Irrweg ist – und ihre Haltung ändern." In der Zwischenzeit macht er sich mit seiner Haltung zwar innerkirchlich angreifbar, aber: "Jesus nachzufolgen war schon immer ne riskante Sache." 

Würg. 

Werfen wir aus Proporzgründen auch mal einen Blick aufs andere Ende des Spektrums – zu altmod zum Beispiel, wo ein Artikel "In eigener Sache" erschienen ist. Darin erfährt man, dass der Verfasser des Blogs ein Buch veröffentlicht hat, und zwar, man höre und staune, seine Memoiren. Im Wesentlichen besteht der Artikel aus einem "Interview zum Buch", das den starken Verdacht erweckt, der Verfasser habe es mit sich selbst geführt. Gleich die erste Frage lautet: 

"Ihr Buch trägt den Titel 'Meine Welt von gestern'. Das erinnert stark an Stefan Zweigs berühmte Autobiografie. War das Absicht?"

So viel self-importance möchte ich ja mal haben, oder ehrlich gesagt, vielleicht lieber nicht. Jedenfalls hat mich die Frage, ob der altmod-Blogger eigentlich Grund zu der Annahme hat, irgendjemand würde sich für seine Memoiren interessieren, zu einer kleinen Recherche veranlasst; dabei bin ich auf einen Artikel des Nordbayerischen Kuriers aus dem Jahr 2015 gestoßen, in dem es heißt, der Blogger sei "bisher nur im Raum Pegnitz der Öffentlichkeit bekannt" gewesen – jedenfalls bis er sich anschickte, einen Skandal daraus zu machen, dass bei einem traditionellen Bierfest in Pegnitz vegetarisches Essen angeboten werden sollte. Die Skandalisierung ging in diesem Fall eher nach hinten los, indem dadurch Aufmerksamkeit auf allerlei sonstige rechtslastige Inhalte auf seinem Blog gelenkt wurde. Insgesamt unterstreicht die ganze Angelegenheit meinen Eindruck, dass man gut daran tut, den altmod-Blogger nicht allzu ernst zu nehmen. 


Samstag, 20. September (Hll. Andreas Kim Taegon, Paul Chong Hasang und Gefährten) 

Erste Berichte über den Marsch für das Leben erschienen am Samstagabend. "Erfolgreicher 21. Marsch für das Leben in Köln und Berlin mit 7000 Teilnehmern" war der Artikel des Christlichen Forums betitelt; zu der in der Überschrift genannten Teilnehmerzahl heißt es im Artikel, in Berlin hätten "ca. 4000" Menschen am Marsch teilgenommen und in Köln "ca. 3000". In den säkularen Medien wurden erheblich niedrigere Teilnehmerzahlen genannt, aber das kennt man ja. Unterm Strich würdigt das Christliche Forum die beiden Märsche als "große Veranstaltungen, die friedlich, sachlich und menschenzugewandt wichtige Themen ansprachen und beeindruckende Beispiele für die praktische Verwirklichung der Menschenwürde auf die Bühne brachten". – Ein persönlicher Erlebnisbericht vom Berliner Marsch erschien auf Katholisch? Logisch! unter der Überschrift "Marsch für das Leben – oder eher: Fest für das Leben". Der Bericht enthält zahlreiche Fotos und gipfelt in dem Satz: 

"Betend auf die Straße gehen für den Schutz des Lebens, oder fluchend auf die Straße gehen für das Recht auf Vernichtung von Menschen – ich bin sicher, richtig gewählt zu haben." 


Sonntag, 21. September (Hl. Apostel Matthäus

Als jemand, der notorischerweise mit Leidenschaft gegen das Lagerdenken innerhalb der Kirche zu streiten pflegt, muss ich selbstkritisch zu Protokoll geben, wie sehr ich selbst zuweilen von diesem Lagerdenken beeinflusst bin: Stoße ich auf jemanden, der sich nicht so leicht in die üblichen Koordinaten dieses Lagerdenkens einordnen lässt, reagiere ich darauf spontan oft nicht so erfreut, wie ich es eigentlich sollte, sondern eher mit einer gewissen Reserviertheit – so als müsste ich ständig vor unliebsamen Überraschungen auf der Hut sein. 

Keinen echten Anlass zu solchen Besorgnissen hat mir bisher Kaplan Peter Prochác gegeben, der unter dem unprätentiösen Titel Mein Web meist schon ein paar Tage im Voraus seine Predigten zu den Evangelien der Sonn- und Feiertage verbloggt; aber so richtig sicher war ich mir doch immer nicht, wo ich den eigentlich hinstecken sollte. Nun kann man anhand seiner Predigt zum Gedenktag des "Hl.Pius von Pietrelcina, Ordenspriester, Lk 8,19-21" zumindest mal feststellen: Also, ein Liberaler ist er jedenfalls nicht. Den umstrittenen Heiligen würdigt er "als mitfühlenden und weisen Beichtvater und Wundertäter, der auch die Stigmata – die Wundmale Christi – auf seinem Körper trug", und weiter heißt es: 

"An Pater Pio wie auch an allen anderen Heiligen sehen wir, dass Gott jeden gebraucht, der bereitwillig und großzügig auf seinen Ruf antwortet. Wenn wir die Gaben, die Gott uns schenkt, mit anderen teilen, gibt er uns noch mehr. Dieses „Mehr“ bedeutet für jeden etwas anderes; das Leben von Pater Pio war zum Beispiel anders als das Leben des heiligen Franz Xaver, und sein Leben hatte wieder einen anderen Inhalt als das Leben von Mutter Teresa."  


Montag, 22. September (Hl. Mauritius und Gefährten) 

Auf Tu Domine findet sich ein Artikel mit der Überschrift "Orthodoxe zu 'Trans-Kindern'"; das klingt erst mal ein bisschen missverständlich: Schwerter zu Pflugscharen, Orthodoxe zu Trans-Kindern? Nee, natürlich nicht. Tatsächlich handelt es sich um einen von der Website der "Union Orthodoxer Journalisten" übernommenen und lediglich mit einer eigenen Einleitung versehenen Artikel von Michael W. Davis, der dort den Titel "'Trans-Kinder' brauchen Heilung, keine Bestätigung" trug. Davis geht von der empirisch belegbaren Feststellung aus, "dass Transgender-Personen und insbesondere 'Trans-Kinder' einem höheren Risiko für andere psychische Erkrankungen ausgesetzt sind", widerspricht jedoch der Auffassung, die Tatsache, dass Transgender-Personen auffallend häufig von "Depressionen, Angstzustände[n] und Suizidalität" betroffen seien, unterstreiche die Notwendigkeit, sie in ihrer angenommenen Geschlechtsidentität zu affirmieren: Gerade diese Affirmation, so Davis, "treibt Betroffene nur tiefer in die psychische Erkrankung und verstärkt ein falsches Selbst, das im Widerspruch zu Biologie und Gesellschaft steht." Geboten sei vielmehr "echte psychische Unterstützung – eine Therapie, um das zugrunde liegende Trauma zu verarbeiten, und keine Hormone oder Operationen, die den Körper unwiderruflich verändern." 


Mittwoch, 24. September (Hll. Rupert und Virgil

Spät am Abend, fast schon am Donnerstag, erschien auf Pro Spe Salutis ein neuer Beitrag aus der Rubrik "Lieblingszitate", und als ich diesen heute morgen öffnete, erlebte ich eine äußerst bewegende Überraschung, denn der Verfasser widmet "ein Wort von Henri de Lubac", auf das er beim Kreuz- und Querlesen in dessen Buch "Glaubensparadoxe" gestoßen ist, man höre und staune, mir. Das Lubac-Zitat lautet wie folgt: 

"Lebt, denkt und leidet man nicht mit den Menschen seiner Zeit als einer der ihren, so wird man im entscheidenden Augenblick vergeblich versuchen, sie anzureden, seine Sprache ihrem Ohr anzupassen." 

Und was hat das nun mit mir zu tun? – Der Blogger von Pro Spe Salutis führt aus: 

"Tobias lebt [...] mit seiner Familie in Berlin und hat keine Scheu, sich auf alle möglichen Leute einzulassen; in Berlin gibt es ... nun ja ... echt alle möglichen Leute (er/sie/dey). Und Initiativen. Multireligiöse WGs. Baumhäuser. Vegane Foodsaving-Festivals: alles Orte und Szenen, an und in denen man nicht unbedingt auf die heile katholische Welt trifft." 

Und an die Adresse von Leuten, die es tadeln, dass ich solche "Orte und Szenen" aufsuche, merkt er an: 

"Rümpft man die Nase, wenn man etwa einer erklärt nonbinären Person mit Nasenring, verwegenen Tattoos und grün gefärbten Haaren gegenüber steht, dann kann man die Samenkörner des Evangeliums auch gleich mit voller Absicht in die Disteln schmeißen." 

Ich muss sagen, über diese Würdigung bin ich erst mal platt. Und kann mich nur, Tag für Tag aufs Neue, strebend bemühen, dem Bild, das da von mir entworfen wird, wirklich gerecht zu werden. 

Daher mache ich hier jetzt auch erst mal einen Punkt und verschiebe alles Weitere – z.B. "Regretting Motherhood" bei Feinschwarz – auf nächste Woche. Bleibt mir gewogen!