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Samstag, 8. November 2025

Die 3 K der Woche (50): Kinder, Kirche, Kofferservice

Willkommen zum Wochenbriefing, Leser! Die erste Schul- und Arbeitswoche nach unserem sensationellen Urlaub ist überstanden, und ich würde sagen, sie ist ziemlich okay gelaufen – besser als erwartet eigentlich. So ganz sind wir zwar wohl noch nicht wieder im Rhythmus des Alltags angekommen, aber immerhin auf dem Weg dorthin. Im Folgenden erwartet euch, wohllöbliche Leser, daher eine Mischung aus Rückblicken auf den Urlaub und Ausblicken auf das, was in nächster Zeit so ansteht. Seid also gespannt! 

Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen. 

Kamele und Vulkane 

Mein voriges Wochenbriefing hatte ich von Arrecife auf der Insel Lanzarote aus in den digitalen Äther abgesandt – der letzten Station unserer spektakulären Urlaubsreise vor Gran Canaria, von wo aus wir am nächsten Morgen die Rückreise antreten mussten. Aus einiger Entfernung sah die Vulkaninsel Lanzarote durchaus eindrucksvoll aus: 

Weniger freundlich war der erste Eindruck, den die Insel beim Landgang auf mich machte: Eine unwirtliche Mondlandschaft, bedeckt mit Vulkanasche; kaum Grün, abgesehen von Kakteen und vereinzelten Palmen, und niedrige Gebäude, also kaum Schatten. Zudem war die Anlegestelle des Schiffes so weit von der Innenstadt von Arrecife entfernt, dass wir kaum etwas Sinnvolles tun konnten, bis unser gebuchter Ausflug losging. Im Grunde hätten wir besser daran getan, eine bis eineinhalb Stunden länger an Bord zu bleiben. 

Insgesamt drängte sich mir der Verdacht auf, die Spanier würden sich für dieses öde Fleckchen Erde wohl kaum sonderlich interessiert haben, wenn sie nicht eine Zwischenstation auf dem Weg nach Amerika gebraucht hätten. Auf den gebuchten Ausflug, der in den Timanfaya-Nationalpark im Nordwesten der Insel führen sollte, freute ich mich nun auch nicht mehr so richtig, da ich befürchtete, stundenlang in glühender Hitze durch eine baumlose Landschaft wandern zu müssen. Diesbezüglich erwiesen sich meine Vorstellungen allerdings als übertrieben: Den größten Teil der Tour durch die Vulkanlandschaft absolvierten wir im Bus, einen kleineren Teil auf Kamelrücken. Ich hatte eigentlich angenommen, der in der Ausflugsbeschreibung als "optional" bezeichnete "kurze Kamelritt" wäre eine separate Attraktion neben der Führung durch die Vulkanlandschaft, aber tatsächlich war der Ritt gar nicht so kurz, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, und führte durch einen Teil des Geländes, der ohne die Hilfe der trittsicheren Paarhufer wohl nur schwer zugänglich gewesen wäre. 


Für die Kinder war dieser Kamelritt, wie sie rückblickend äußerten, ein Highlight des ganzen Urlaubs, und dasselbe galt für ein paar Demonstrationen unterirdischer Vulkanaktivität, die uns im Außenbereich des Nationalpark-Besucherzentrums vorgeführt wurden. Die wohl spektakulärste dieser Vorführungen bestand darin, dass ein Eimer Wasser in ein Loch im Boden entleert wurde und Sekunden später eine Dampffontäne aus dem Loch hervorgeschossen kam. Zu dem Besucherzentrum gehörte auch ein Restaurant, in dem die Hitze aus dem Vulkan u.a. dazu genutzt wurde, ganze Hähnchen auf einem Rost zu braten. 

Zum Abschluss des Ausflugs wurde noch ein kleines Weingut besucht, wozu auch eine Weinprobe gehörte. So wenig auf dieser Insel auch sonst wächst, wird der Weinanbau hier doch sehr groß geschrieben. 


Andachtsraum auf Deck 9¾ 

Am letzten Abend unserer Kreuzfahrt merkte unsere Tochter an, sie fühle sich auf dem Schiff inzwischen wie zu Hause und würde am liebsten immer dort leben; und ich müsste lügen, wollte ich behaupten, ich könnte diesen Wunsch nicht nachvollziehen. Nun, jedenfalls führte diese Bemerkung zu einer kleinen familieninternen Diskussion – oder vielleicht eher zu einem Brainstorming – darüber, was es auf dem Kreuzfahrtschiff denn noch geben müsse, damit einem da wirklich nichts zum Leben fehlt. Auf den für Viele wohl naheliegenden Einwand "Aber die Kinder müssen doch zur Schule gehen!" würde ich als Schulpflichtskeptiker ja erst mal erwidern ", müssen sie nicht", aber irgendeine Form von Lernangeboten bräuchte es natürlich schon, und dazu eine Bibliothek, in der es nicht nur Trivialromane und Promi-Autobiographien gibt. – Kurz und gut, eine Schulalternative könnte ich mir an Bord eines Kreuzfahrtschiffes noch so einigermaßen vorstellen; schwieriger würde es da schon mit einer Pfadfinder-Alternative, und was am allermeisten fehlen würde, wäre – wie vorige Woche schon angeklungen ist – ein Andachtsraum, idealerweise in Gestalt einer Anbetungskapelle, in der, wenn gerade mal ein Priester an Bord ist, auch Messe gefeiert werden kann. Zu der Frage, wo auf dem Schiff wohl Platz für einen solchen Raum sein könnte, meinte meine Liebste, das wäre wohl – frei nach Harry Potter – ein Fall für "Deck 9¾". Wozu ich sagen möchte, dass mir die Vorstellung eines Kreuzfahrtschiffes mit einem geheimen Deck, von dessen Existenz nur Eingeweihte wissen und auf dem es so allerlei gibt, was man auf einem Kreuzfahrtschiff normalerweise nicht erwarten würde, noch tagelang allerlei amüsantes Kopfkino beschert hat. 

Jenseits solcher realitätsfremder Phantasien beschäftigte mich indes durchaus der Gedanke, wie es wohl wäre, auf einem Kreuzfahrtschiff zu arbeiten – nicht unbedingt dauerhaft, sodass man nur alle soundsoviel Wochen mal nach Hause käme, aber "für mal". Angeregt hatte mich zu diesem Gedanken vor allem ein Interview mit der Personalchefin des Schiffs im Rahmen des abendlichen Showprogramms (ich hatte es vorige Woche schon kurz erwähnt). – Zu den interessanten Berufen an Bord gehört übrigens der des Lektors; so wird jemand bezeichnet, der auf der Showbühne des Schiffes jeweils ein paar Tage im Voraus Vorträge über die anstehenden Reiseziele hält. Den Lektor, der unsere Kreuzfahrt begleitete, fand ich allerdings nicht besonders gut: Schon sprachlich fielen seine Vorträge durch eine Häufung von Grammatik- und Satzbaufehlern, Malapropismen und Katachresen auf, wie ich sie bisher nur aus Gerichtsshows auf Sat1 und RTL kannte, und inhaltlich... nun ja. In seinem Vortrag über La Coruña spielte der Jakobsweg und mithin das gut 75 km entfernte Santiago de Compostela eine nicht geringe Rolle, und in diesem Zusammenhang sprach der Lektor vom "angeblichen" Grab des Apostels Jakobus – eine Wortwahl, für die er sich sogleich entschuldigte, die er aber natürlich gerade dadurch besonders hervorhob. Am  Tag vor unserer Rückreise sprach er über die Insel Teneriffa – die das Schiff am übernächsten Tag anlief; für Passagiere mit wohlgenährterem Geldbeutel (und mehr Zeit) ging (und geht) die Reise nämlich noch weiter bis in die Karibik, und Teneriffa war die letzte Station vor einer sieben Tage dauernden Atlantiküberquerung. Wie dem auch sei: Der Vortrag über Teneriffa schien mir von der Überzeugung geprägt, politischer Moralismus gehöre zu den Grundbedürfnissen des Deutschen, die auch im Urlaub bedient werden müssen. So hielt sich der Referent ausgiebig bei dem Umstand auf, dass Teneriffa traditionell eine Hochburg des Franquismus gewesen sei, was bis heute nachwirke: Es gebe auf der Insel immer noch Gruppen von Leuten, die an Francos Geburtstag Gedenkfeiern für ihn abhielten und beispielsweise Heilige Messen für ihn lesen ließen. Insbesondere über letzteres zeigte der Redner sich so demonstrativ empört, dass ich mich unwillkürlich fragte, ob er überhaupt weiß und versteht, warum man Messen für Verstorbene hält, wenn er es offenbar irgendwie ungehörig findet, dies für jemanden zu tun, der zu Lebzeiten kein guter Mensch war. "Noch schlimmer" fand er es allerdings, dass bis vor einigen Jahren noch mehrere Straßen und Plätze auf Teneriffa nach General Franco benannt gewesen seien: "Stellen Sie sich mal vor, in Deutschland gäbe es immer noch Straßen und Plätze, die nach Adolf Hitler benannt wären." Also sorry: So wenig ich die Franco-Diktatur irgendwie schönreden will, finde ich doch, Franco mit Hitler auf eine Stufe zu stellen läuft geradezu auf eine Verharmlosung der nationalsozialistischen Terrorherrschaft hinaus. – Auch sonst schienen mir die Ausführungen des Lektors zum Spanischen Bürgerkrieg, gelinde gesagt, unterkomplex und auf sehr deutsche Weise mehr vom Pochen auf korrekte Gesinnung als von Sachverstand geprägt. Unwillkürlich fiel mir ein, wie ich mal an einer Kirchenwand in einem kleinen Ort am Jakobsweg – ich glaube, in Azofra – eine Gedenktafel für die "im Heiligen Krieg gegen den Kommunismus" gefallenen Gemeindeangehörigen gesehen habe. Was der AIDA-Lektor wohl dazu gesagt hätte? 

Was auch zum Fazit dieser Reise gehört, ist die Feststellung, dass es – wenn es schon keine eigenen Kreuzfahrtunternehmen für Hardcore-Katholiken gibt – allemal wünschenswert wäre, dass es in den von Kreuzfahrtschiffen typischerweise angesteuerten Hafenstädten Stadtführungs- und Ausflugsanbieter gäbe, die in Kooperation mit den Kreuzfahrtunternehmen Angebote für ein "katholisch interessiertes" Publikum machen. Wenn von Lissabon aus Ausflüge zur Tropfsteinhöhle von Mira de Aire angeboten werden, warum dann nicht auch zum kaum weiter entfernten Marienwallfahrtsort Fátima? Ein weiteres Beispiel fiel mir auf Lanzarote auf: Auf der Rückfahrt vom Timanfaya-Nationalpark zum Schiff kamen wir fast an der Kirche Nuestra Señora de los Dolores vorbei – aber eben nur fast, geschweige denn dass wir dort Station gemacht hätten; dabei ist die sehr interessant: Es handelt sich um eine Votivkirche, die nach einem Vulkanausbruch im 18. Jahrhundert gestiftet und an der Stelle errichtet wurde, an der die Lavaströme zum Stillstand gekommen waren; Teile der Innenausstattung sind aus Vulkangestein hergestellt. Also, wenn ich in meinem Leben noch einmal nach Lanzarote komme, dann will ich diese Kirche sehen. 

Aber davon mal abgesehen: Die wohl aussagekräftigste Antwort auf die Frage, wie uns dieser Urlaub gefallen hat, dürfte darin bestehen, dass meine Liebste – nachdem sie beim Buchen dieser Reise noch argumentiert hatte, so etwas mache man einmal im Leben – schon über die nächste Kreuzfahrt nachdenkt. Aber dafür müssten wir wohl erst mal eine ganze Weile sparen – auch wenn man feststellen muss: Im Verhältnis dazu, was einem an Bord so alles geboten wird –angefangen von dem ganzen Essen und Trinken über das Schwimmbad und die Kinderbetreuung bis hin zu den Bühnenshows –, ist diese Form von Urlaub eigentlich gar nicht übermäßig teuer. Na, mal sehen – vielleicht wird es in drei bis vier Jahren nochmal was... 


Auf Gran Canaria sind die Bushaltestellen unterirdisch 

Und das ist nicht als Qualitätsurteil gemeint, sondern sie liegen tatsächlich unter der Erde. Also jedenfalls einige Bushaltestellen in Las Palmas. Das war die erste bemerkenswerte Erkenntnis unseres Rückreisetags. Glücklicherweise fuhren die Busse trotzdem weitgehend oberirdisch, sodass wir auf dem Weg vom Hafen zum Flughafen sowohl den Sonnenaufgang als auch einiges von der Stadt sahen. Merke: Auf Gran Canaria sieht's aus wie in Spanien, nur südlicher, mit mehr Palmen und so. Da kann man nun natürlich sagen "Na klar, Gran Canaria gehört ja auch zu Spanien", aber das tut Lanzarote auch, und da sieht's aus wie auf'm Mond. – Die nächste interessante Erkenntnis war, dass es im Abflugbereich des Flughafens von Gran Canaria einen Kinderspielplatz gibt. 

Auch sonst verlief die Rückreise nach Berlin ziemlich reibungslos und jedenfalls unproblematischer, als man sie sich theoretisch hätte vorstellen können; an dieser Stelle daher herzlichen Dank an diejenigen Leser, die dem Aufruf gefolgt sind, für unsere glückliche Heimreise zu beten. Nicht so gut erging es unserem Gepäck: Das blieb nämlich erst mal in Madrid zurück. Mit knapp vier Tagen Verspätung wurde es uns dann aber unversehrt nach Hause geliefert; das hätte schlimmer ausgehen können. 


Wenn der Vater mit dem Sohne 

Am Dienstag feierte unsere Große mit fünf Schulfreundinnen (eigentlich wären es sechs gewesen, aber eine konnte nicht kommen) im Anschluss an die Schule in der Colorbox in Moabit ihren Geburtstag nach; da dies eine reine Mädchenparty werden sollte und die Feier mit ihren "Jungs-Freunden" ja schon vor unserer Urlaubsreise stattgefunden hatte, war der kleine Bruder nicht eingeladen und war darüber so traurig, dass er am Morgen nicht in die KiTa wollte, sondern den Tag lieber mit mir verbringen wollte. Ich hatte für diesen Tag zwar eigentlich andere Pläne gehabt, kam aber zu dem Schluss, dass ich abgesehen vom Einkauf, den ich auch zusammen mit dem Knaben erledigen konnte, eigentlich nichts Unaufschiebbares zu tun hatte, und überhaupt ist es für mich als langjährigen #kindergartenfrei-Veteranen ja eigentlich Ehrensache, zu sagen: Wenn das Kind nicht in die KiTa will, dann muss es auch nicht. Gleichwohl unternahm ich ein paar Versuche, ihn umzustimmen – er habe doch schließlich Freunde in der KiTa, es gebe dort doch tolle Spielsachen usw. –, aber schließlich gab ich nach. Dabei traf es sich gut, dass an diesem Tag die "Rumpelberggruppe" stattfand, zu der ich mit dem Jüngsten regelmäßig gegangen war, solange er noch nicht in der KiTa war. Die Frage, ob er dorthin wolle, bejahte er ohne Umstände. Also machten wir uns dorthin auf den Weg, und es war auch wirklich schön, mal wieder dort zu sein; danach blieben aber immer noch knapp vier Stunden bis zu der Zeit, zu der ich den Knaben normalerweise aus der KiTa abgeholt haben würde, und dann noch einmal vier, bis die "andere Hälfte der Familie" vom Kindergeburtstag zurückkam. Alles in allem hatten mein Sohn und ich also so viel Zeit "alleine zu zweit" wie schon lange nicht mehr, und ich stellte fest, dass ich das richtig genoss. Am schönsten fand ich, dass wir endlich mal wieder dazu kamen, eine "Beten mit Musik"-Andacht in St. Joseph Tegel abzuhalten. Auf dem Weg dorthin hatte der Knabe den Wunsch geäußert, wir sollten drei Lieder spielen, von denen eins – nämlich das mittlere – ich mir aussuchen dürfe; aber am Schluss der Andacht fand er dann doch, wir sollten noch ein viertes Lied spielen, das dann ebenfalls ich aussuchen durfte. Die Psalmenabschnitte aus der Non vom Tag empfand ich als sehr ermutigend, und insgesamt weckte diese "Beten mit Musik"-Andacht bei mir den Wunsch, "sowas mal wieder öfter zu machen". Derweil kündigte mein Sohn an, er wolle auch mal wieder zur Werktagsmesse (mit anschließendem Frühstück) in St. Marien Maternitas gehen – was darauf hinausliefe, dass er auch mal an einem Mittwoch nicht in die KiTa geht, aber okay, soll mir recht sein. 

An diesem Mittwoch gingen wir jedenfalls nachmittags zum JAM, zum ersten Mal seit vier Wochen; das fühlte sich ein bisschen an wie nach Hause kommen, auch wenn die Veranstaltung diesmal vergleichsweise schwach besucht war. Während meine Liebste zum Elterncafé und das Tochterkind zum Programm für die "Kids" (6-12 Jahre) ging, schleppte der Jüngste mich resolut mit zum Programm für die "Minis" (unter 6 Jahre). Inhaltlich ging es aber in beiden Kinder-Altersgruppen, wenn auch in unterschiedlicher Gestaltung, um dasselbe, nämlich um einen Abschnitt aus dem 1. Buch der Könige. Schon in der Ankunftsphase, vor dem eigentlichen Programmbeginn, war mir eine Materialienmappe ins Auge gefallen: 

Auf den ersten Blick würde ich sagen, das ist mal wieder ein augenfälliges Beispiel für das schon früher beobachtete Phänomen, dass es im evangelikalen Verständnis ein Wert an sich ist, Kindern Kenntnisse über biblische Geschichte zu vermitteln, und dass die Frage "Was sagt uns das heute?" dabei gar nicht so sehr im Vordergrund steht. Wobei "nicht so im Vordergrund stehen" nun wiederum auch nicht bedeutet, dass das gar keine Rolle spielt. Diesmal ging es konkret darum, wie König Joschafat von Juda sich von seinem Nachbarn, König Ahab von Israel, überreden lässt, mit ihm in den Krieg gegen die Aramäer zu ziehen, und die Lehre daraus – jedenfalls in der Version für die Kinder im Vorschulalter – lautete, dass man sich vor falschen Freunden hüten solle, die nicht an Gott glauben. Diese Message kam für mein Empfinden zwar ein bisschen platt daher, aber man kann's mir auch wirklich schwer recht machen, muss ich zugeben. Diese Feststellung leitet übrigens ziemlich gut zum nächsten Thema über: 


Neues von der Kinderkatechese 

Auf der Liste der übernatürlichen Fähigkeiten, die ich gern hätte, steht die Gabe der Bilokation immer noch weit oben; da ich diese Gabe aber nun einmal nicht besitze, habe ich während unseres Urlaubs leider das erste Vorbereitungstreffen für das Projekt "Religiöse Kindertage" in St. Stephanus verpasst. Nun, betrachten wir das mal als eine Gelegenheit, gegen meinen Hang zur Selbstüberschätzung anzugehen, der sich gern in der mehr oder weniger uneingestandenen Überzeugung äußert, wenn irgendein Projekt ohne meine konzeptionelle Mitarbeit gestartet werde, dann könne dabei ja gar nichts Vernünftiges herauskommen. Tatsächlich scheint es mir zwar ein bisschen ein Schnellschuss zu sein, den ersten "Religiösen Kindertag" schon in einer Woche stattfinden zu lassen – okay, der Termin stand schon mindestens seit September im Raum, aber wäre ich beim Planungstreffen gewesen, hätte ich wohl dafür plädiert, sich mit der Vorbereitung lieber mehr Zeit zu lassen und vielleicht, auch angesichts der Tatsache, dass Krippenspiel und Sternsingeraktion vor der Tür stehen, erst im Neuen Jahr damit zu starten –, aber gleichzeitig muss ich anerkennen, dass der Programmentwurf für diese erste Veranstaltung recht vielversprechend aussieht. Das Motto lautet "Heilige & Tattoos", inhaltlich soll es darum gehen, dass die teilnehmenden Kinder mehr über ihre Namenspatrone (und einige andere ausgewählte Heilige) erfahren, und rund um dieses Thema herum soll es Spiel- und Bastelangebote sowie gemeinsames Kochen und Essen geben. Ich bin durchaus zuversichtlich, dass das sehr gut werden kann, und hinterher kann man dann immer noch sehen, was man beim nächsten Mal womöglich noch besser machen kann. 

Gleichwohl habe ich durchaus schon jetzt ein paar Verbesserungsvorschläge oder ‐wünsche für die Zukunft; und diese drehen sich durchweg um einen Leitgedanken, von dem ich den Verdacht habe, dass er beim Planungstreffen keine große Rolle gespielt hat, oder zumindest keine so große, wie es der Fall gewesen wäre, wenn ich dabei gewesen wäre: nämlich das Anliegen, die Veranstaltungsreihe auch für "unchurched people" interessant und attraktiv zu machen. Ich hatte das schon im September bei dem Zwei-Mann-Arbeitskreistreffen am Tegeler See angesprochen und hatte den Eindruck gehabt, dass der Gemeindereferent in der grundsätzlichen Absicht mit mir übereinstimmt; aber es gibt in der post-volkskirchlichen Praxis nun mal eingespielte Gewohnheiten, in die man, wenn man nicht permanent auf der Hut ist, quasi automatisch zurückverfällt – und rauszugehen und zu versuchen, Leute zu erreichen, die nicht von alleine kommen, gehört dezidiert nicht zu diesen eingespielten Gewohnheiten. Da gibt es also noch Baustellen, und eine solche sehe ich darin, dass wir einen ansprechend designten Flyer brauchen. Einen, den man ohne Scham nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Stadtteilbibliothek, an der Tanke und bei Edeka auslegen kann. Nicht ganz davon zu trennen ist das Anliegen, der ganzen Veranstaltungsreihe einen griffigen, nicht allzu offensichtlich "churchy" klingenden Namen zu geben. Insofern, könnte man sagen, ist der "Einladungszettel" für die erste Veranstaltung schon ein Schritt in die richtige Richtung, denn da steht das Tagesthema "Heilige & Tattoos" im Zentrum des Layouts und die, wie ich finde, recht bürokratisch und sperrig anmutende Bezeichnung "Religiöser Kindertag" in kleinerer Schrift darunter. Gleichzeitig macht das Stichwort "Heilige" im Titel wohl einigermaßen deutlich, dass die Themenwahl eher nicht darauf ausgerichtet gewesen ist, ein kirchenfernes Publikum anzusprechen; aber wie schon gesagt, warten wir ruhig erst mal ab, wie die erste Veranstaltung läuft, und ziehen daraus dann Konsequenzen für die konzeptionelle Weiterentwicklung. Ich bin jedenfalls gespannt! 


Wie soll die neue Wochenbriefing-Reihe heißen? 

Nur noch zwei Wochen bis zum Christkönig-Wochenende, das den Zeitpunkt markiert, bis zu dem die Wochenbriefing-Reihe "Die 3 K der Woche" ein volles Kirchenjahr hindurch gelaufen sein wird – und zwar, im Unterschied zum Vorgänger-Format "Creative Minority Report", ohne Unterbrechungen; das war zuvor nur dem Ur-Wochenbriefing-Format "Kaffee & Laudes" gelungen, das es allerdings wegen des etwas kürzeren Kirchenjahres "nur" auf 49 Folgen brachte. – Zugleich heißt das aber auch, dass in drei Wochen, pünktlich zum 1. Advent, wieder eine neue Wochenbriefing-Reihe starten soll, und die braucht dann auch einen neuen Titel. Ein paar Ideen dazu hätte ich schon, kann mich aber noch für keine davon mit ganzem Herzen entscheiden – zumal jeder dieser angedachten Reihentitel auch seine eigenen Implikationen für die inhaltlich-konzeptionelle Gestaltung mitbringt. Es handelt sich um die folgenden: 

  • In Tempore Leonis 

Dieser Titel bezieht sich natürlich auf das Pontifikat Leos XIV. – von dem wir allerdings doch wohl hoffen wollen, dass es länger dauert als die Wochenbriefing-Reihe des kommenden Kirchenjahres –; zugleich bedeutet diese Überschrift aber auch "In der Zeit des Löwen", das klingt nach Abenteuer, und Latein ist sowieso immer gut. Allerdings würde ein solcher Titel wohl die Erwartung wecken, dass ich im Vergleich zu den "3 K der Woche" wieder einen stärkeren Fokus auf "kirchenpolitische" Themen jenseits des persönlichen Erfahrungsbereichs richte, und ich weiß nicht recht, ob ich diese Erwartung erfüllen möchte. 

  • Fährtensucher 

Das ist, konzeptionell betrachtet, so ziemlich der direkte Gegenentwurf: Natürlich ist bzw. wäre dieser Reihentitel von meinem seit einiger Zeit neu erwachtem Interesse an der Pfadfinderei inspiriert, aber ich würde denken, auch darüber hinaus ließe sich so allerlei damit assoziieren – etwa: die Suche nach Wegen durch die Tücken des Alltags, durch die Herausforderungen des Schmutzigen Schismas, durch die ideologischen Verirrungen unserer Zeit. "Der Weg durch den Dschungel" wäre auch ein schöner Titel, aber so heißt ja schon das Erprobungsbuch der KPE für die Wölflingsstufe

  • In The Year 25/26 

Für diese Titelidee stand natürlich der dystopische Hippie-Folksong "In the Year 2525" von Zager & Evans Pate, womit schon mal mindestens zwei Aspekte benannt wären, die die thematische Schwerpunktsetzung einer so benannten Wochenbriefing-Reihe berücksichtigen müsste: Hippiesk und apokalyptisch müsste sie sein. Okay, es steht im Grunde nicht zu bezweifeln, dass das kommende Jahr allerlei Stoff liefern dürfte, der diesen Aspekten gerecht wird. Was dabei aber konzeptionell womöglich ein wenig zu kurz kommt, sind die Momentaufnahmen aus dem täglichen Leben; und das wiederum bringt mich auf eine weitere Titelidee, nämlich 

  • Utopie und Alltag 

– frei nach dem epochalen Post-Punk- bzw. Proto-NDW-Album der Gruppe Fehlfarben, versteht sich. – Auch noch eine Option wäre es, den Reihentitel "Spandau oder Portugal" wieder aufzugreifen, aber es scheint mir doch einigermaßen fraglich, ob ich diesen Titel auf die Dauer wirklich mit Leben würde füllen können, solange die Idee, nach Portugal auszuwandern, lediglich ein Wunschtraum für "irgendwann mal" ist. – Da ich mich nun aber zwischen all diesen Optionen nicht so recht entscheiden kann, habe ich mir gesagt, zieh' ich einfach mal den Publikumsjoker; will sagen, ich habe sowohl auf Facebook als auch auf der App Formerly Known As Twitter Umfragen erstellt, damit ihr, geschätzte und verehrte Leser, darüber abstimmen könnt, welcher der vorgeschlagenen Reihentitel euch am besten gefällt. Wer in keinem der beiden Netzwerke aktiv ist, kann sein Votum gern auch direkt hier im Kommentarbereich abgeben. Betonen möchte ich allerdings, dass diese Publikumsbefragung lediglich eine beratende Funktion haben soll: Am Ende mache ich doch, was ich will. Ich hoffe allerdings, dass euer Votum mir dabei helfen wird, zu entscheiden, was ich eigentlich will


Geistlicher Impuls der Woche 

Mit [dem] Verlust des christlichen Gedächtnisses geht eine Art Zukunftsangst einher. Das gemeinhin verbreitete Bild von der Zukunft stellt sich oft als blass und ungewiss heraus. Man hat eher Angst vor der Zukunft, als dass man sie herbeiwünschte. Besorgniserregende Anzeichen dafür sind unter anderem die innere Leere, die viele Menschen peinigt, und der Verlust des Lebenssinnes. Zu den Zeichen und Auswirkungen dieser Existenzangst sind insbesondere der dramatische Geburtenrückgang und die Abnahme der Priester- und Ordensberufe zu zählen sowie die Schwierigkeit, wenn nicht sogar die Weigerung, endgültige Lebensentscheidungen auch bezüglich der Ehe zu treffen. 

(Johannes Paul II., Nachsynosales Schreiben Ecclesia in Europa, Nr. 8) 


Ohrwurm der Woche 

Timmy Thomas: Why Can't We Live Together 

Ich hatte ja schon erwähnt, dass ich die Musik, die während unserer Urlaubsreise auf dem Kreuzfahrtschiff zu hören war, durchweg sehr gut fand; tatsächlich sogar so gut, dass ich mir versuchsweise auch zu Hause mal AIDAradio angehört habe, aber da war mein Eindruck eher durchwachsen. – Unter den Songs, die ich an Bord gehört habe, ist "Why Can't We Live Together" von Timmy Thomas jedenfalls besonders bei mir hängen geblieben – nicht zuletzt, weil ich diese Songauswahl eher überraschend fand: So richtige Feelgood-Mucke für den Urlaub ist das ja nun nicht unbedingt, sagte ich mir – auch wenn ich zugeben muss, dass mir beim flüchtigen Hören erst mal nicht einfiel, wie der Song hieß oder von wem er war; aber schon der eindringliche Klang der Lowrey-Orgel weckte bei mir Assoziationen von Rassenunruhen und Vietnamkriegsprotesten. Beides nicht zu Unrecht übrigens: Timmy Thomas wurde nach eigenem Bekunden durch Medienberichte über den Vietnamkrieg zu diesem Song inspiriert, und das Thema Rassendiskriminierung klingt ja recht deutlich in der Textzeile "No matter what color, you are still my brother" an. Kurz und gut, bezüglich der Stimmung, die der Song evoziert, würde ich ihn irgendwo zwischen "The Revolution Will Not Be Televised" von Gil Scott-Heron, "Am I Black Enough For You" von Billy Paul und "War" von Edwin Starr einordnen, was übrigens auch chronologisch ziemlich gut hinhaut. Der minimalistische und ungehobelt wirkende Sound der Nummer erklärt sich dadurch, dass es sich eigentlich nur um eine Demo-Aufnahme (in mono) handelte, bei der Timmy Thomas alle Instrumente selbst eingespielt hatte; zunächst war geplant, den Song mit einer richtigen Band neu einzuspielen, aber dann fand der Inhaber des Plattenlabels, die Demoversion sei so, wie sie war, schon perfekt. Recht hatte er, würde ich sagen. 


Vorschau/Ausblick 

Am heutigen Samstag standen wir erneut vor der Wahl, zu den KPE-Wölflingen im Süden Berlins oder zu den Royal Rangers in Tegel zu gehen; aber wenngleich ich durchaus gewillt bin, es gelegentlich mal wieder bei den Royal Rangers zu versuchen, gaben wir diesmal wieder der KPE den Vorzug. Ich halte es einfach für wichtig, da "dranzubleiben", und da am nächsten Samstag der oben erwähnte "Religiöse Kindertag" ansteht und ich am übernächsten Wochenende nicht da bin (warum nicht bzw. wo ich dann sein werde, verrate ich zu gegebener Zeit), wollte ich die heutige Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen; wie's war, erfahrt ihr nächste Woche. – Außerdem findet heute die ökumenische St.-Martins-Feier in Borsigwalde statt, nachdem sie im vorigen Jahr ausgefallen war; und wenn alles so läuft wie geplant, sind wir gerade dort, während dieses Wochenbriefing online geht; auch dazu also mehr im nächsten Wochenbriefing. Morgen ist der Weihetag der Lateranbasilika, da steht in St. Joseph Siemensstadt der KiWoGo zur Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel an; anschließend ist unsere Große zur Geburtstagsfeier einer Schulfreundin eingeladen. Am Dienstag wäre dann der eigentliche Martinstag, aber wie es scheint, verteilen sich die St.-Martins-Feiern in unserer Umgebung sämtlich auf die Tage davor oder danach; die KiTa unseres Jüngsten etwa feiert am Mittwoch St. Martin, was insofern unglücklich ist, als es mit dem JAM kollidiert – aber da müssen wir wohl durch, zumal der Knabe in der KiTa bereits eine Laterne für diesen Anlass gebastelt hat und seine Freunde da auch hingehen. Donnerstag und Freitag steht, soweit ich sehe, noch nichts auf dem Programm, und dann ist schon das nächste Wochenbriefing fällig... 


Mittwoch, 5. November 2025

Der seltsame Fall der eingekerkerten Nonne, Teil 26

Frohe Kunde, Leser: Ich habe den Roman "Barbara Ubryk oder die Geheimnisse des Karmeliter-Klosters in Krakau" zu Ende gelesen, damit ihr es nicht müsst! Nachdem ich vor mehr als neun Jahren (!) mit der Lektüre dieses ausufernden Fortsetzungsromans begonnen hatte, hatte ich zwischenzeitlich schon Zweifel, ob ich das Ende jemals erreichen würde. Was ich damals aber auch nicht geahnt habe, war, dass der Autor 74 Kapitel und fast 1200 Druckseiten füllen würde, bevor die Romanhandlung an einen Punkt gelangte, an dem man sie sinnvoll mit den bekannten Fakten über den realen Fall der Barbara Ubryk abgleichen kann. Immerhin, diesen Punkt haben wir jetzt erreicht. –

Erinnern wir uns, dass der Verfasser am Ende des LXXIV. Kapitels angekündigt hatte, die letzten beiden Kapitel des Romans – wenn man das Nachwort nicht mitrechnet – würden sich auf die amtlichen Untersuchungsakten zum Fall Barbara Ubryk stützen. Auf die Frage "Glauben wir dem das?" habe ich eine Antwort, die den geneigten Leser vielleicht überraschen wird: Für bare Münze nehmen sollte man diese Behauptung sicherlich nicht, aber ein Körnchen Wahrheit steckt wohl doch darin. Konkret gesagt glaube ich nicht, dass der Verfasser persönlich Einblick in irgendwelche amtlichen Untersuchungsakten hatte, sehr wohl jedoch, dass die letzten Kapitel erheblich mehr authentische Fakten zum Fall Barbara Ubryk enthalten als die gesamte bisherige Romanhandlung. Warum? Einfach deshalb, weil die Fakten über die Auffindung Barbara Ubryks, die dabei festgestellten Umstände ihrer Gefangenschaft (wie etwa Größe, Ausstattung und Zustand ihrer Zelle) sowie die Ergebnisse der anschließenden ärztlichen Untersuchung durch die internationale Presse gegangen waren und somit auch den Lesern des Romans theoretisch bereits bekannt sein konnten; der Autor musste also einerseits bestrebt sein, diesen Fakten Rechnung zu tragen, andererseits aber auch, sie nach Möglichkeit mit dem ganzen ausgedachten Quatsch in Einklang zu bringen, den er seinen Lesern bisher aufgetischt hat, und zugleich zu suggerieren, er wisse mehr als das, was schon in der Zeitung stand, denn was wäre das sonst für ein Enthüllungsroman?

Das LXXV. Kapitel, "In pace, oder: was der unterirdische Gang erzählt" (im Inhaltsverzeichnis ist die Kapitelüberschrift hingegen mit "In pace, der Klosterkerker" angegeben), kann indes eher wenig Anspruch auf Authentizität erheben: Die Handlung knüpft unmittelbar an die Schilderung der missglückten Flucht Jovitas im vorangegangenen Kapitel an, man erfährt, infolge der "Geschwätzigkeit der Schusterwirthin Frau Halman" habe "nicht nur die Stadt Krakau von der mißglückten Flucht einer Carmeliter=Nonne" erfahren, "sondern auch das bischöfliche Generalvikariat, und zwar noch denselben Vormittag" (S. 1199). Es heißt, die lokale Presse – namentlich die "zwei Blätter 'Czas' und 'Craj'" – hätten "damals nur flüchtig" über den Fall berichtet: "Niemand wußte, wer die Nonne gewesen, wie sie geheißen habe, und so verstummte das Gerede über diesen Vorfall wieder sehr bald" (ebd.). – Belege dafür vorzulegen, dass die genannten Zeitungen damals überhaupt über einen solchen Fall berichtet haben, dürfte dem Autor indes schwer fallen, zumal die Zeitung "Czas" (d.h. "Zeit"), wie man aus Meyers Großem Konversations-Lexikon von 1906 erfahren kann, erst ab November 1848 erschien, der besagte Fluchtversuch jedoch bereits "am 25. Mai 1848" stattgefunden haben soll (S. 1201); die Zeitung "Kraj" (d.h. "Land") wurde sogar erst 1869 von Adam Sapieha begründet. Einen Hinweis darauf, dass die Fluchtversuchs-Geschichte dennoch einen wahren Kern haben könnte, habe ich allerdings im Pfälzer Boten vom 4. August 1869 gefunden, in dem es unter Berufung auf die Wiener "Presse" heißt:

"Thatsache jedoch ist, daß im Jahre 1848 aus dem Kloster der Carmeliterinnen in Krakau eine Nonne flüchten wollte. Ob diese Nonne und Barbara Ubryk identisch sind? Höchst wahrscheinlich."

Was dieser Artikel an Gerüchten über die Vorgeschichte dieses Fluchtversuchs mitteilt, ist indes wiederum eine ganz andere Geschichte als die, die in Dr. Rodes Roman erzählt wird; aber dazu vielleicht an anderer Stelle mehr. Entscheidend ist zunächst einmal, dass der "bischöfliche Generalvikar" von der Sache Wind bekommt und "sofort die Einleitung einer Untersuchung und die vorläufige Einsperrung der Nonne 'wegen Bruches der Clausur'" anordnet (S. 1200). Um einer solchen Untersuchung seitens des Bistums zuvorzukommen, die, "wenn sie eingeleitet wurde allerhand Dinge zu Tage fördern" würde, "welche auf das ganze Kloster das schlimmste Licht warfen" (ebd.), beschließen die Priorin des Klosters und der Beichtvater, "über das Schicksal Jovitas endgiltig zu entscheiden" (ebd.). Dies soll "in einem großen Capitel" geschehen – wozu ausgeführt wird:

"Die Klöster haben ihre eigene Jurisdiktion, nach welcher sie richten, urtheilen und vollstrecken, und welche unter dem gewöhnlichen Schutze von Concordaten weder vom Staate noch von Bischöfen angetastet werden darf. Sie bilden so recht einen Staat im Staate, eine Republik in der Monarchie" (ebd.).

Höchst fatal! Ganz nebenbei wird noch der eigentlich gar nicht zur Sache gehörende Hinweis eingestreut, vom Beichtvater Pater Hyginus werde "in gewissen Kreisen Krakau's nicht mit Unrecht vermuthet, daß er der leibliche Sohn der ehrwürdigen Mutter Tharsilla, aus einer geistlichen Ehe entsprungen, gewesen sein soll" (ebd.); viel interessanter ist aber allemal der "Capitelbeschluß des Convents der barfüßigen Carmeliterinnen zu St. Mariä Heimsuchung", den der Autor als ein authentisches Dokument ausgibt; wäre dies tatsächlich der Fall, dann dürfte man aber wohl erwarten, dass dieses in der gerichtlichen Untersuchung zum Fall Barbara Ubryk eine Rolle gespielt haben würde. In diesem Beschluss wird "Jovita de Angelis von Ubryk" unter anderem für schuldig befunden, "unsittliche Handlungen begangen zu haben", "[d]er Taufgnade abgeschworen und sich dem Teufel ergeben zu haben" (ebd.), "[u]nwürdig communicirt, Sakrilegien und Gotteslästerungen begangen zu haben" (S. 1201) und ihre Gelübde gebrochen zu haben, insbesondere "das Gelübde der Keuschheit durch ein Liebesverhältniß mit dem Ordensnovizen Woicech Zarski" (ebd.). Für diese und andere Vergehen wird Barbara alias Jovita dazu verurteilt,

"I. [d]rei Tage Kirchenbuße zu thun;

II. hierauf von allen Schwestern gestäupt, des Ordenskleides und der geistlichen Würde beraubt;

III. für todt erklärt und aus den Listen des Ordens gestrichen,

IV. der heil. Messe und Communion verlustig, und endlich

V. ewig eingesperrt zu werden" (ebd.).

Vinzenz Katzler: Die eingemauerte Nonne (1868). Gemeinfrei.

Erfolgt die Einkerkerung hier also aufgrund eines förmlichen Beschlusses, der "die Unterschriften sämmtlicher Schwestern" trägt (ebd.), so liest man in dem Pamphlet "The Convent Horror", der vorgeblich Barbaras eigenen Bericht über ihre Gefangenschaft enthält, ganz Anderes: Hier wird Barbara unter dem Vorwand, zur Buße für ihren Ungehorsam Küchenarbeit verrichten zu sollen, von der Oberin des Klosters in den Keller gelockt und dort heimtückisch eingesperrt.

Auf "The Convent Horror" werden wir noch ein paarmal zurückkommen müssen; bleiben wir aber zunächst noch bei Dr. Rodes "Barbara Ubryk"-Roman – und halten fest, was der Verfasser hier zum "Verwurf der Unzucht" anmerkt; diesen, so meint er nämlich, "hätten [...] die frommen Ordensfrauen besser unterlassen" (S. 1201):

"Ja, es ist wahr und man weiß es, daß sich die Nonnen geheimen Sünden hingeben, daß es in den Klöstern Sünden gibt, von denen die 'verworfene' Welt Gott sei Dank nichts weiß, Sünden, welche die raffinirtesten sexuellen Genüsse bilden, Sünden, welche ohne die Klöster nicht existiren würden!!!" (ebd.).

Da sind wir argumentativ ganz auf dem Niveau von "Der Zölibat ist schuld am Missbrauch", und noch deutlicher wird die Parallele zum gegenwärtigen Diskurs über die "kirchliche Sexualmoral", wenn es gleich darauf heißt: "Allein wenn Barbara in einer schwachen Stunde fiel: wir haben darüber nicht zu rechten" (ebd.). – Klar: Der Einzelne hat keine Schuld, ist vielmehr selbst ein Opfer; Schuld hat das System. Aber lassen wir das lieber mal beiseite.

Interessant ist, dass laut Dr. Rodes Darstellung eine bischöfliche Visitation des Klosters ausgesprochen resolut verhindert wird, indem "der von dem bischöflichen Generalvikariate abgeordnete Visitator in der Person des Domcapitularen Bomell [...] trotz der bischöflichen Vollmacht nicht zur Visitation zugelassen" wird:

"Der Bischof, erklärte ihm die Priorin, habe kein Recht, sich in ihre Klosterangelegenheiten zu mischen, nur der General des Ordens könne eine außerordentliche Visitation verfügen. Die Beichtväter hätten erklärt, sie würden bei bischöflicher Intervention keine Messen in der Kirche mehr lesen, überhaupt keine geistlichen Verrichtungen im Kloster mehr besorgen, weil sich Priorin und Convent fremder Sünden theilhaftig machen würden. Daraufhin zog Bomell ab und der Bischof untersagte die Visitation, sowie die Einleitung einer Untersuchung" (S. 1202).

Nur der Vollständigkeit halber sei daran erinnert, dass sich diese Vorgänge im Mai 1848 zugetragen haben sollen; der damalige Bischof von Krakau, Karol Skórkowski, hatte allerdings schon 1835 auf Druck Russlands seine Diözese verlassen müssen, lebte im Exil im schlesischen Troppau und wurde durch den Apostolischen Administrator Ludwik Łętowski vertreten. Na ja: Details. Im weiteren Verlauf des Kapitels wird ausgiebig die zeremonielle Auspeitschung Barbaras und schließlich ihre Einkerkerung geschildert:

"Requiescat in pace! hatten die Nonnen im Weggehen gesprochen. Man muß die Ausdrucksweise der Klöster kennen, um den tiefen Hohn zu verstehen, der in diesen Worten liegt. Requiescat heißt: 'sie ruhe' und in pace 'im Frieden'. In der klösterlichen Sprache heißen aber auch die Kerker 'in pace', um anzudeuten, daß das von ihnen aufgenommene unglückliche Wesen dort in friedlicher Grabesnacht ruhe. Dieser Doppelsinn galt diesmal unter der Form eines frommen Spruches dem schrecklichen Schicksale Jovita's: 'Sie ruhe – im Kerker!'" (S. 1206).

Über den unterirdischen Kerker, in den Barbara gesperrt wird, heißt es, dieser messe "3 Schritte in die Breite und 5 in die Länge" (S. 1206); vergleicht man dies mit der "Convent Horror"-Broschüre, die die Maße von Barbaras Verlies schon im Titel als "Eight Feet Long, Six Feet Wide" angegeben werden, kommt man zu dem Schluss, dass man eine Schrittlänge zwischen 48 und 60 cm voraussetzen müsste, um diese beiden Angaben miteinander in Einklang zu bringen. Anders ausgedrückt: Da ein erwachsener Mensch normalerweise eher größere Schritte macht, bedeutet das, dass Dr. Rode seiner Barbara sogar mehr Platz in ihrem Kerker zugesteht als das Convent Horror-Pamphlet; umso mehr, als er angibt, die Zelle sei im Verhältnis zu ihrer Enge "ziemlich hoch" (S. 1206), wohingegen sie in The Convent Horror als "an inch or two over six feet high" beschrieben wird – "By leaping up with all my strength, I could sometimes touch the ceiling with my fingers". In den über Google Books zugänglichen zeitgenössischen Presseberichten, von denen hier im Folgenden noch mehrfach die Rede sein wird, habe ich keine präzisen Angaben zu den Abmessungen der Kerkerzelle gefunden; einig sind sich die verschiedenen Berichte indes darin, dass die Zelle sich in unmittelbarer Nähe einer "Cloake" befand: Dies berichteten u.a. das Innsbrucker Tagblatt vom 27. Juli 1869, das Trautenauer Wochenblatt vom 1. August 1869 und der Pfälzer Bote vom 4. August 1869. In The Convent Horror heißt es, der Abtritt in Barbaras Zelle – "a sort of privy seat" – sei direkt mit dem "general cesspool or sink of the Convent" verbunden gewesen: "I was convinced of this from the frightful smell that came up out of it". Nun wäre Dr. Rode aber wohl nicht er selber, wenn er diesen Umstand nicht breiter und lustvoller ausgemalt hätte. So hebt er den "Umstand, daß unmittelbar durch den Kerker die Kloake des Klosters geht" (S. 1207f.), als bezeichnend für "den alle Begriffe der Gemeinheit überbietenden, boshaften und verächtlichen Sinn der dortigen Carmeliternonnen" (ebd.) hervor und führt aus:

"Es gibt noch zwei Kerkerlöcher in diesem Kloster; aber man wählte absichtlich dieses, weil man einerseits die unglückliche Nonne durch das Geräusch, welches bei gewissen Verrichtungen entstand, verhöhnen , andererseits aber sie durch die furchtbaren Ausdünstungen vergiften, hinrichten wollte. Man steckte sie nicht direkt in die Düngergrube, aber das einzige Fenster, welches um die Mittagszeit, und dann nur an schönen Sommertagen dem Lichte einigen Zutritt gewährte, ging in diese Kloake hinaus, so daß Barbara während dieser schrecklich langen Jahre so viel wie inmitten einer Düngergrube saß" (S. 1208).

Zusammenfassend heißt es:

"Das ist der Kerker Barbara's, ein kahles, nacktes Gewölbe, dumpf, dunstig, feucht und kalt. Der Modergeruch ertödtet nach sünf Minuten das Organ des Geruches und des Geschmackes, die Kälte ist fast eisig und bringt die Zähne zum Klappern. Das Auge muß sich erst allmählig an die im Kerker herrschende Dunkelheit gewöhnen. Eine Art Dämmerlicht erfüllt den schrecklichen unheimlichen Raum, die Wände sind feucht und glänzen in schlüpfrigem Silber.

Kein Gegenstand der Bequemlichkeit findet sich in ihm. In einem Winkel gegenüber der Thüre, gerade an der Cloake, liegt ein Bund Stroh. Das war Barbara's Lager" (ebd.).

Dass Barbara nackt in ihrer Zelle aufgefunden wurde, wird dadurch erklärt, dass sie das "Bußhemd, welches sie in den Kerker mitgebracht, [...] in der ersten Verzweiflung zerrissen" habe und danach keine neue Kleidung mehr bekam (S. 1209); in The Convent Horror heißt es hingegen, dass Barbaras Kleidung ihr im Laufe der ersten zehn Jahre ihrer Gefangenschaft infolge von Abnutzung und Verschmutzung in Lumpen vom Leibe fällt. Weiterhin liest man bei Dr. Rode, in der Anfangszeit ihrer Gefangenschaft habe Barbara "nur von drei zu drei Tagen Wasser und Brod" erhalten, und zwar durch ein "an der Kerkerthüre unten" angebrachtes "Schubloch" (S. 1208): "Niemals konnte sie sehen, welche Schwester sie brachte; niemals sprach die Schwester ein Wort" (S. 1209). Erst nach einigen Jahren, unter einer neuen Priorin (dazu in Kürze mehr), "erhielt Barbara jeden andern Tag auch ein warmes Essen in einem Napfe. Wenn dieses auch nur aus eingerührtem Brode, Kartoffeln oder Wassersuppe bestand, so war es immerhin eine sehr große Wohlthat, und nur diesem Umstande dürfte es zuzuschreiben sein, daß Barbara ihre Existenz so lange fristen konnte" (S. 1209). – Von einer "verschiebbare[n] Oeffnung" in der Tür, "durch welche wahrscheinlich Speisen verabreicht wurden", ist auch in den bereits zitierten Berichten des Innsbrucker Tagblatts und des Trautenauer Wochenblatts die Rede, nicht jedoch im Convent Horror, wo der Beichtvater Fr. Calenski Barbara nach zweitägiger Gefangenschaft erstmals Wasser und Brot bringt und ihr ankündigt "that I would be fed every forty-eight hours for the rest of my life"; und hier ist ausdrücklich die Rede davon, dass die Tür der Zelle geöffnet wird, wenn Barbara Essen erhält.

Wie oben bereits angedeutet, gibt Dr. Rode an, die Bedingungen von Barbaras Gefangenschaft hätten sich – wenigstens was die Verpflegung betraf – leicht gebessert, nachdem "einige Jahre darauf die alte Priorin Tharsilla endlich zum Satan heimgegangen war" (S. 1209); zunächst "trat ihre Favoritin Cäcilia an ihre Stelle; allein auch diese endete bald darauf. Dank den Drohungen, Einschüchterungen und allen gebräuchlichen Wahlmanövers des Pater Hyginus wurde dann eine jüngere Nonne zur Priorin gewählt, Fräulein Martha Wenzyk, welche dem Kloster noch jetzt vorsteht" (ebd.). Hierzu sei angemerkt, dass ein Bericht des Regensburger Morgenblattes vom 31. Juli 1869 den Namen der zu diesem Zeitpunkt amtierenden Oberin des Krakauer Karmeliterinnenklosters als "Maria Freiin v. Wenzyk, Tochter des verstorbenen polnischen Castellans Franz v. Wenzyk" angegeben wird; weiterhin erfährt man dort, dass sie 37 Jahre alt sei (womit sie zum Zeitpunkt der Einkerkerung Barbara Ubryks ein 16jähriges Mädchen gewesen sein müsste) und das Amt der Oberin seit vier Jahren ausübe. Als ihre Vorgängerin wird hier eine Therese v. Kosterkiewicz genannt, "eine starke Sechzigerin, welche das Amt einer Oberin in dem erwähnten Kloster schon mehrere Male bekleidete". Im Convent Horror ist Mutter Josepha während der gesamten Zeit von Barbaras Gefangenschaft die Oberin des Klosters. Wir können als vorläufigen Gesamteindruck festhalten, dass dieses in Amerika erschienene Pamphlet noch erheblich weniger Übereinstimmungen mit zeitgenössischen Presseberichten zum Fall Barbara Ubryk aufweist als Dr. Rodes Roman.

– Und was ist mit dem Beichtvater? Dr. Rode schreibt:

"Anfänglich besuchte der Beichtvater P. Hyginus die Gefangene im Kerker. An und für sich zeigte es von großer Unverschämtheit, daß er sich zu einer nackten Frauensperson begab; und wenn er das zu thun vor den Nonnen keinen Austand nahm, so dürfte sich auch noch manches Andere im finstern Kerker zugetragen haben. Ja wir werden uns kaum irren, wenn wir manche unsittliche Aeußerungen Barbaras auf den Beichtvater zurückführen" (S. 1210)

– der letzte Satz ist im Grunde ein Vorgriff auf die Untersuchungen von Barbaras Geisteszustand nach ihrer Befreiung, denn offenbar gab sie zuweilen recht unflätige Ausdrücke von sich, und es wurde seinerzeit viel darüber spekuliert, woher eine Nonne überhaupt einen solchen Wortschatz haben könne (vgl. z.B. den Fränkischen Kurier vom 22. August 1869). Es wird aber noch interessanter:

"Eben so verdächtig als auffällig ist der Umstand, daß zwei Tage nach der Entdeckung Barbaras Pater Hyginus, ohne vorher krank gewesen zu sein, eines raschen Todes starb – am 24. Juli 1869. Wir wollen nicht geradezu behaupten, daß er nach altem klösterlichem Gebrauche gestorben wurde , damit er als der Hauptschuldige der Untersuchung entgehe und dieser somit die Spitze abgebrochen werde; aber wir wissen, daß er etwas zu rasch gestorben ist" (ebd.).

Im Convent Horror heißt es ganz direkt, der Beichtvater Fr. Calenski habe nach der Auffindung und Befreiung Barbara Ubryks Selbstmord begangen; tatsächlich findet sich auch im Fränkischen Kurier vom 4. August 1869 ein ominöser Hinweis auf einen Karmeliterpater, der "so rasch gestorben" sei, dessen Name allerdings Peter Lewkowicz war und dessen Bruder Joseph, ebenfalls Pater, in einem Leserbrief an die schon erwähnte Krakauer Zeitung "Kraj" mitgeteilt habe, "sein Bruder sei natürlichen Todes gestorben nach mehrwöchentlichem Leiden". Der Fränkische Kurier orakelt: "Sei er nun so oder so gestorben, immerhin ist einer der bedeutendsten Zeugen in der Krakauer Klosteraffaire vom Schauplatze verschwunden". Im Pfälzer Boten vom selben Tag heißt es, dass Pater Lewkowicz "als früherer Beichtvater der Carmeliterinnen die Klosterskandale kannte, den Nonnen trotzdem die Absolution ertheilte und vor Zeugen sich hierüber aussprach"; eine "Gerichtskommission" sei ausgesandt worden, um seinen plötzlichen Tod zu untersuchen. Wie das Wiener Wochenblatt "Der Freimütige" am 5. August berichtete, sei die "beabsichtigte Ausgrabung und Secirung" des Verstorbenen dann aber "unterlassen" worden, "weil sich herausgestellt haben soll, dass dieser geistliche Herr seit längerer Zeit dem Trunke ergeben war und deshalb kränkelte". Offensichtlich kursierten jedoch weiterhin Gerüchte, Pater Lewkowicz sei vergiftet worden, und zwar als Strafe dafür, dass er einem Pfarrer in Trzebinia von der eingekerkerten Nonne in Krakau erzählt und damit die Kette der Ereignisse in Gang gesetzt habe, die zur Aufdeckung des ganzen Skandals geführt habe.

Man sieht, die in der zeitgenössischen Presse dokumentierten Fakten des Falls Ubryk sowie die Gerüchte, die sich an diese Fakten anlagerten, hätten eigentlich schon Stoff genug für einen Roman abgegeben, ohne dass man sich so eine wirre, ausufernde und überhaupt nicht zu diesen Fakten passende Vorgeschichte aus den Fingern hätte saugen müssen. Aber dazu hätte man eben zuerst einmal recherchieren müssen, ehe man die ersten Folgen des Fortsetzungsromans hätte auf den Markt werfen können, und aus der Sicht des Verlags war es offenbar wichtiger, das öffentliche Interesse an dem Fall auszuschlachten, solange es auf dem Siedepunkt war. Obendrein scheint es, dass sich das Interesse des Autors daran, sich mit den authentischen Fakten des Falles auseinanderzusetzen, bis zuletzt eher in Grenzen hält; lieber füllt er gegen Ende des LXXV. Kapitels nochmals rund zwei Seiten mit allgemeiner Polemik gegen das Klosterwesen, die er in die Form rhetorischer Fragen kleidet. Auf S. 1213 schließlich starrt den Leser in riesengroßen Lettern die Zeile

! – 21 Jahre – !

an, darunter steht, in kleinerer Schrift: "Entsetzlich!". Ehe wir uns dem LXXVI. Kapitel, schlicht "Barbara Ubryk. (Schluß.)" betitelt, zuwenden, möchte ich in der nächsten Folge dieser Artikelserie aber lieber mal den VII. Band von Sir John Retcliffes "Biarritz" untersuchen; das ist erheblich abwechslungsreicher und verspricht mehr Action


Samstag, 1. November 2025

Die 3 K der Woche (49): Kinder, Kirche, Kreuzfahrt

Saludos, geschätzte und verehrte Leser! Ich melde mich aus dem Hafen von Arrecife auf der Insel Lanzarote, wo es mobiles Internet gibt, nachdem ich den ganzen gestrigen Tag keines hatte. In diesem Wochenbriefing dürft ihr euch auf allerlei Urlaubseindrücke mit zahlreichen Fotos freuen, allerdings wäre ich wohl nicht der Tobi, wenn ich diese Urlaubseindrücke nicht mit solchen Themen und Reflexionen zu verknüpfen wüsste, für die man den Blog "Huhn meets Ei" kennt und liest. Überzeugt euch selbst, Freunde! 

Wenn das Rote Meer Grüne Welle hat. 

Auf Lolas Spuren 

Die Urlaubsplanung und –buchung fällt bei uns von jeher in das Ressort meiner Liebsten, und im Allgemeinen bin ich damit auch sehr zufrieden; im aktuellen Fall war ich jedoch anfangs nicht ganz überzeugt von ihrer Entscheidung, vor dem Antritt unserer Schiffsreise zwei Tage (und nicht nur einen) in Hamburg einzuplanen. Wie sich zeigte, war das aber doch gut so, denn die Zeit dort verging fast schneller als uns lieb war. Die Kinder kannten Hamburg bisher ja praktisch nur aus den "Lola"-Büchern von Isabel Abedi (und der Verfilmung des ersten Bandes), und da das Restaurant von Lolas Vater und Opa am Hamburger Hafen liegt und einige bedeutende Handlungsanteile sich in der Speicherstadt und der HafenCity abspielen, kamen wir an so allerlei Originalschauplätzen vorbei. 

Ob das Miniatur-Wunderland in den Lola-Büchern erwähnt wird, wüsste ich aus dem Gedächtnis nicht mit Sicherheit zu sagen, aber als wir uns so ziemlich direkt nach unserer Ankunft in Hamburg dorthin begaben, sahen wir unterwegs schon mal einiges von der Speicherstadt. 

In ziemlich unmittelbarer Nähe des Miniatur-Wunderlands schmückt eine Statue des Hl. Ansgar einen Brückenpfeiler. Die Möwe auf dem Kopf fand ich besonders kleidsam.

Beim Miniatur-Wunderland herrschte ein enormer Andrang, und an der Kasse erfuhren wir, dass man ein Zeitfenster für den Einlass reservieren musste, um hineinzukommen. Wir machten also eine Reservierung für den folgenden Tag und gingen erst mal wieder, um einen anderen geplanten Programmpunkt vorzuziehen: eine Besichtigung des Museumsschiffs "Rickmer Rickmers", das in mehreren Lola-Bänden eine markante Rolle spielt. Um dorthin zu gelangen, nahmen wir von der Elbphilharmonie zu den Landungsbrücken eine Fähre; das war an sich schon ein Highlight, vor allem (aber nicht nur) für die Kinder. 

Die "Rickmer Rickmers", von der Fähre aus gesehen. 

Die Besichtigung des Museumsschiffs war jedenfalls ein Programmpunkt, den ich Hamburg-Touristen – ob mit oder ohne Kinder, ob mit oder ohne den Hintergrund der Lola-Bücher – uneingeschränkt empfehlen möchte. Anschließend fuhren wir zurück zum Hauptbahnhof, wo wir unser Gepäck eingeschlossen hatten, aßen dort zu Mittag und machten uns dann mit unserem Gepäck auf den Weg zu unserer Unterkunft, einem Hostel im wenig idyllischen Stadtteil Hammerbrook. In diesem Hostel war meine Liebste vor Jahren schon mal mit einer Schulklasse untergebracht gewesen, bei ihrem ersten Einsatz als verantwortliche Lehrkraft bei einer Klassenfahrt. Aktuell präsentierte der Stadtteil Hammerbrook sich uns als eine krasse Baustellenwüste, aber auch wenn man sich die Baustellen wegzudenken versuchte, machte so ziemlich der gesamte Bereich zwischen Berliner Tor und Hauptbahnhof – gerade im Vergleich zu Berlin – den Eindruck, ausgesprochen fußgängerunfreundlich zu sein. Ich schätze mal, das hat damit zu tun, dass die Stadtplaner in der Nachkriegszeit die durch den Krieg zerstörten Stadtlandschaften als eine leere Leinwand auffassten, auf der sie ihre Vision einer Neuerfindung des Konzepts "Stadt" verwirklichen konnten; der Leitgedanke lautete damals, im Zeichen des rasanten Fortschritts der privaten Motorisierung, "autofreundliche Stadt", und "autofreundlich" heißt nun mal im Umkehrschluss "fußgängerunfreundlich".

Wie dem auch sei: Unser Familienzimmer im Hostel ließ keine wesentlichen Wünsche offen, außerdem gab es eine Dachterrasse, die einen recht eindrucksvollen Ausblick gewährte. Wir verbrachten also den Rest des Donnerstags in der Unterkunft, am Freitag frühstückten wir in einer Bäckerei und machten uns dann auf den Weg zu unserer reservierten Einlasszeit im Miniaturwunderland. 

Nein, in Rom waren wir nicht. 

Für den Besuch dort hatten wir rund drei Stunden eingeplant, und ich bezweifle auch nicht, dass man so viel Zeit oder noch mehr in der Ausstellung verbringen könnte, aber die Geduld der Kinder war nach knapp zwei Stunden erschöpft, obendrein herrschte trotz Einlassbeschränkung ein ziemliches Gedränge in den Ausstellungsräumen. Daher zogen wir uns noch für rund eine Stunde in den Kinderspielbereich zurück, und danach trafen wir uns mit meinem Bruder und meiner Schwägerin, die uns erst einmal in ein sehr hübsches bretonisches Lokal einluden. 


Dieser Werbeaufsteller sieht ein bisschen aus wie Rickmer Rickmers in bretonischer Tracht.

Und das Essen war auch lecker.

Danach gingen wir auf die Besucherterrasse der Elbphilharmonie, wo wir eine Aussicht hatten, die die von der Dachterrasse des Hostels doch noch um einiges in den Schatten stellte. 

Wer genau hinschaut, kann hier auch das Schiff entdecken, mit dem wir unterwegs sind.

Anschließend fuhren wir erneut mit einer Fähre von der Elbphilharmonie zu den Landungsbrücken – wobei ich noch erwähnen möchte, dass wir vom Fähranleger an der Elbphilharmonie einen weiteren Originalschauplatz der Lola-Bücher sehen konnten, nämlich den Marco-Polo-Tower. Im 9. Band, "Lola und die einzige Zeugin", findet darin die Geburtstagsparty eines Millionärs statt, und diese stellt einen Schlüsselmoment für einen der beiden Haupthandlungsstränge des Buches dar. – An den Landungsbrücken aßen wir noch Fischbrötchen mit meinem Bruder und meiner Schwägerin, dann verabschiedeten wir uns. Insgesamt war das ein sehr schöner Nachmittag und Abend, und wie schon beim Familientreffen im Sommer hat sich erneut gezeigt, wie gern unsere Kinder ihre Onkels und Tanten von meiner Seite der Familie mögen – und umgekehrt auch


Landei vs. Landratte 

Der Beginn unserer mit Spannung erwarteten Seereise wurde überschattet von Sturmtief "Joshua", oder, wie der Norddeutsche sagt: "Büschen windich, näch?". Im Kontrast zu dramatischen, mit Schockvokabeln wie "Bombenzyklon" gewürzten Unwetterwarnungen empfand ich einen Bericht des NDR, in dem ein Sprecher des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie mit der Einschätzung zitiert wurde, Sturm im Herbst sei ein ganz normaler Vorgang, recht erfrischend. Gleichwohl stand die Möglichkeit im Raum, dass die Elbe für den Schiffsverkehr gesperrt werden würde; daher war das Schiff, mit dem wir fahren wollten, von seiner vorherigen Reise einen Tag früher nach Hamburg zurückgekehrt und sollte nach Möglichkeit auch früher wieder ablegen, wenn auch nur zwei bis drei Stunden früher als geplant. Zu diesem Zweck wurde die zuvor festgelegte Check-In-Reihenfolge aufgehoben, und alle Passagiere sollten sich zwischen 10 und 14 Uhr am Terminal einfinden. Wir brachen also direkt nach unserem Checkout aus dem Hostel dorthin auf; die grundsätzlichen Abläufe im Kreuzfahrtterminal waren im Wesentlichen dieselben wie an einem Flughafen, aber infolge des vorgezogenen Boardings war alles etwas hektischer, als es wohl normalerweise gewesen wäre. Ich war während des gesamten Check-In-Vorgangs ziemlich nervös und dachte jedesmal, wenn eine Mitarbeiterin irgendwie streng guckte, es wäre etwas mit unseren Reiseunterlagen nicht in Ordnung und unsere Urlaubspläne würden in letzter Minute noch platzen. In Wirklichkeit lief aber alles recht reibungslos, sodass wir schon gegen halb Zwölf an Bord waren und, nachdem wir die digitale Version der Sicherheitseinweisung zur Kenntnis genommen hatten, erst mal in Ruhe zu Mittag essen konnten. Abgelegt wurde dann tatsächlich schon um 15 Uhr – unmittelbar nachdem ich mein voriges Wochenbriefing veröffentlicht hatte. 

An dieser Stelle muss ich erst mal das Geständnis einschieben, dass ich lange Zeit ganz grundsätzliche Bedenken gegen diese Art des Urlaubs hatte. Man erinnere sich etwa daran, was ich schon vor gut eineinhalb Jahren über den Urlaub in einem "Holiday-Resort" geschrieben habe (oder lese es nach): "Ist das nicht arg kommerziell und un-punkig für den 'Bonifatius der Benedikt-Option'?" Das gilt für eine Kreuzfahrt natürlich erst recht, und hinzu kommen ökologische Bedenken: 

Gesehen am Fähranleger an der Elbphilharmonie. – Was ist eigentlich aus der Gruppe "Extinction Rebellion" geworden? Mein Eindruck ist, dass sie in der öffentlichen Wahrnehmung ziemlich deutlich von der "Letzten Generation" in den Hintergrund gedrängt wurde. Das ist wohl so ähnlich, wie Bommi Baumann es einst über die Frankfurter Kaufhausbrandstifter um Andreas Baader sagte: "Wer die knallhärtesten Taten bringt, gibt den Ton an."

Andererseits bin ich aber eben an der See aufgewachsen und das steckt mir einfach im Blut; kaum habe ich eine Handbreit Wasser unter dem Kiel, macht sich bei mir eine Art gesteigertes Lebensgefühl bemerkbar. Folglich lösten sich meine Bedenken weitgehend in Luft auf, kaum dass wir an Bord waren. – Aber was war denn nun mit Sturmtief Joshua? Nun, solange wir die Elbe abwärts schipperten, verlief die Fahrt ruhig. 

Hier übrigens Övelgönne, der Schauplatz der Rahmenhandlung von "Der Leuchtturm auf den Hummerklippen" von James Krüss.

Anders wurde das, als wir am Abend bei Cuxhaven in die offene Nordsee vorstießen. Ich persönlich finde ja, ein bisschen Seegang muss sein, damit man merkt, dass man auf einem Schiff ist; aber das war schon nicht mehr nur ein bisschen Seegang. Wie der Kapitän am nächsten Morgen verriet, gab es in der Nacht bis zu sechs Meter hohe Wellen; wir wurden also ordentlich durchgeschaukelt, der Jüngste fiel im Schlaf aus dem Bett (schlief jedoch auf dem Fußboden weiter, bis ich ihn dort fand und ihn zurück ins Bett legte), und meine Liebste war am nächsten Morgen ernsthaft seekrank. Die Fahrt durch die Nordsee blieb weiter unruhig, bis wir am Nachmittag in den Ärmelkanal einfuhren. An der Rezeption holte meine Liebste sich Tabletten gegen Reiseübelkeit, und danach ging's – auch als die See am folgenden Tag, als wir aus dem Ärmelkanal in den offenen Atlantik fuhren, vorübergehend wieder unruhiger wurde. Irgendwie ironisch war es aber wohl doch, dass ich zumindest während der ersten 24 Stunden nach dem Auslaufen in Hamburg die Kreuzfahrt deutlich mehr genoss als meine Liebste. Als es ihr wieder besser ging, merkte sie an, immerhin habe diese Reise erwiesen, dass sich "die Geißeln des abenteuerlustigen Menschen" gleichmäßig auf uns beide verteilen: Ich neige zu Höhenangst – wie sich auf der Terrasse der Elbphilharmonie gezeigt hatte – und sie eben zu Seekrankheit


Kein geistlicher Beistand auf der AIDA 

Was die Frage nach der Erfüllbarkeit der Sonntagspflicht an Bord betrifft, wandte ich mich, nachdem ich im offiziellen Veranstaltungsprogramm der Reise keinerlei Hinweise darauf gefunden hatte, am Sonntag nach dem Frühstück an die Rezeption. Präzise gesagt fragte ich, ob möglicherweise ein katholischer Priester an Bord sei, der bereit wäre, mit interessierten Mitreisenden eine Messe zu feiern. Die junge Dame an der Rezeption erwiderte mit aufrichtig wirkendem Bedauern, so etwas hätten sie gar nicht im Angebot. Auf die Implikationen dieser Aussage komme ich noch zurück; vorerst sei gesagt, dass ich für den ja durchaus erwartbaren Fall, dass die Teilnahme an einer Heiligen Messe nicht zu realisieren sein würde, als Plan B im Hinterkopf hatte, auf der Kabine eine Wortgottesfeier im Familienkreis (mit Lobpreismusik) abzuhalten, aber diesem Vorhaben stand der Umstand im Wege, dass die Liebste, wie schon erwähnt, bis zum mittleren Nachmittag seekrank in den Seilen hing und ich, um ihr möglichst viel Ruhe zu gönnen, mit den Kindern die Decks durchstreifte und unsere Kabine möglichst mied. Letztendlich beschränkte ich mich darauf, die Tageslesungen vom 30. Sonntag im Jahreskreis – zuzüglich Eröffnungsvers und Tagesgebet – für mich allein zu lesen und, soweit der Tagesablauf mir Zeit und Muße dazu ließ, darüber nachzusinnen. 

Gleichwohl gab mir die Aussage der Dame an der Rezeption zu denken, so etwas gebe es an Bord gar nicht. Das betrifft ja nicht allein die Sonntagspflicht der Katholiken. Dass ein Kreuzfahrtunternehmen, das eine Flotte von elf schwimmenden Wellnesshotels über die Weltmeere schippern lässt, die spirituellen Bedürfnisse seiner Gäste so gar nicht im Blick hat, finde ich dann doch enttäuschend. Wenigstens einen Multi-Religious Prayer Room, wie man ihn an vielen internationalen Flughäfen findet, hätte man doch wohl irgendwo auf dem Schiff unterbringen können – auch wenn man diesen im Interesse der muslimischen Passagiere wohl mit einem Kompass ausstatten müsste, um feststellen zu können, in welcher Ecke des Raumes jeweils gerade Osten ist. 

Der Gedanke an muslimische Passagiere brachte mich um ein paar Ecken darauf, mich zu fragen: Was ist eigentlich mit der Crew? An einem Abend, an dem im Showprogramm eigentlich der Kapitän als Talkgast hätte auftreten sollen, aber aus dienstlichen Gründen kurzfristig verhindert war und von der Personalchefin des Schiffs vertreten wurde, erfuhr man beiläufig, dass große Teile der Crew aus Indonesien oder von den Philippinen kommen. Indonesier sind weit überwiegend Muslime; wo beten die? Gibt es wenigstens im Crewbereich einen Gebetsraum? Und die Crewmitglieder von den Philippinen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit katholisch. Wenn es keinen Priester an Bord gibt, dann heißt das wohl, dass sie nur zur Beichte und zur Kommunion gehen können, wenn sie Landurlaub haben. 

Nun wissen wir ja alle, dass sich da, wo der Heilige Geist nicht waltet, gern allerlei andere Geister und Ungeister tummeln. Wie mir erst am dritten Reisetag während einer Fahrstuhlfahrt von Deck 4 nach Deck 14 auffiel, dass es auf diesem Schiff kein Deck 13 gibt. Lohnt sich wahrscheinlich nicht. Will sagen: Man fürchtet, allzu viele potentielle Passagiere würden aus abergläubischen Gründen keine Kabine auf Deck 13 buchen wollen, und dann bekäme man die Kabinen dort nicht voll. In großen Hotels, so hört man, soll es auch so sein. – Zum Veranstaltungsangebot an Bord zählten z.B. Vorträge über Hypnose oder eine "Thalasso-Rasul-Zeremonie" im "Organic Spa"

Zu dieser Art "erlebnisorientierter Spiritualität" muss man es wohl auch rechnen, dass am 4. Reisetag Ausflüge von La Coruña (galicisch: A Coruña) ins gut 75 km entfernte Santiago de Compostela angeboten wurden, einschließlich eines Stückchens Wandern auf dem Jakobsweg; das machten wir aber nicht mit, das wäre ja nicht stilecht gewesen. Stattdessen erkundeten wir die Umgebung des Hafens von La Coruña sowie die Altstadt auf eigene Faust und zu Fuß – und hatten Glück: Die erste Kirche, an der wir vorbeikamen, war San Jorge (galicisch: San Xurxo), und als ich dort die Aushänge studierte, zeigte sich, dass in rund zehn Minuten eine Messe begann. Also blieben wir dort. Übrigens war es das Fest der Apostel Simon und Judas, ein Datum, das – wie sich treue Leser meines Blogs vielleicht erinnern – in der Geschichte unseres Familienapostolates (wenn mir der hochtrabende Ausdruck gestattet ist) eine besondere Bedeutung hat. – Vor Beginn der Messe machte ich aber erst mal einige Fotos: 







Zur Messe erschienen etwa dreißig bis vierzig Personen; der Priester, den ich auf etwa Mitte 70 schätzen würde, zelebrierte recht zügig, es gab keine Predigt und keinen Gesang, und so dauerte die Messe insgesamt nur knapp eine halbe Stunde. – Zur Kommunion nahmen wir die Kinder mit nach vorn, da wir es von zu Hause her gewohnt sind, dass sie bei dieser Gelegenheit einen Segen erhalten können; das war hier aber offenbar nicht ortsüblich, und der Priester schien etwas unsicher, ob er unserer achtjährigen Tochter die Kommunion spenden sollte oder nicht. Ich konnte dies gestisch klären, aber nach dem Ende der Messe kam der Priester zu uns, um sich noch einmal zu vergewissern, ob das Tochterkind denn schon zur Erstkommunion gegangen sei. Anschließend fragte er, woher wir denn kämen und wie wir hießen; er war ausgesprochen entzückt, als wir ihm verrieten, dass unsere Tochter Bernadette hieß, und machte uns darauf aufmerksam, dass es in seiner Kirche eine Statue Unserer Lieben Frau von Lourdes gab. Den gewünschten Segen erhielten die Kinder bei dieser Gelegenheit auch noch. 

Im weiteren Verlauf unseres Altstadtbummels in La Coruña sahen wir noch mehrere weitere Kirchen; zunächst Santa Maria del Campo



In dieser Seitenkapelle ist u.a. ein Stuhl zu sehen, auf dem der Hl. Johannes Paul II. bei einem Besuch in Santiago de Compostela gesessen hat. Eine Berührungsreliquie also.

Sodann die Igrexa Santiago, die, wie der Name schon vermuten lässt, am Jakobsweg liegt: 





Und schließlich San Francisco, die ich zwar versäumt habe von außen zu fotografieren, aber wie die meisten spanischen Kirchen, die ich bisher gesehen habe, ist sie von innen ohnehin eindrucksvoller: 




An einem kleinen Devotionalien-Verkaufsstand in dieser Kirche kauften wir den Kindern auf ihren eindringlich vorgetragenen Wunsch hin je einen Rosenkranz; dann kehrten wir zurück an Bord. 


Die alte Frage "Spandau oder Portugal"...

...hat wieder erheblich an Brisanz gewonnen, seit wir am Mittwoch zum ersten Mal in unserem Leben tatsächlich portugiesischen Boden betreten haben. Im Reiseplan der Kreuzfahrt stand eigentlich Porto auf dem Programm, aber das war ein bisschen eine Mogelpackung: Das Kreuzfahrtterminal lag rund 10 km von der Stadt entfernt, und wenn man nicht sowieso einen Ausflug gebucht hatte, konnte man 35 € für den Shuttle-Service berappen oder eine halbe Stunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Gegend gurken. Der Ort, der der Anlegestelle am nächsten lag – Matosinhos –, machte allerdings ebenfalls den Eindruck, einen Besuch wert zu sein, also entschieden wir uns dafür, uns dort ebenso auf eigene Faust umzusehen wie tags zuvor in La Coruña. Das erwies sich als eine glückliche Idee. Auch wenn die alten Häuser der Stadt teilweise etwas zu heruntergekommen aussahen, um als malerisch bezeichnet zu werden, hatte der verblasste Glanz besserer Tage doch etwas unbestreitbar Elegantes an sich. 



Gekachelte Außenfassaden scheinen eine regionale Besonderheit zu sein.


Aber nicht nur wegen der Architektur gefiel die Stadt mir – und übrigens auch meiner Liebsten – ausnehmend gut: Es gibt viele kleine Cafés, Bars und Kramläden, die Leute wirken sehr nett und die Stadt ist ausgesprochen fußgängerfreundlich, sogar eine Straßenbahn gibt es. Damit nicht genug, liegt Matosinhos nicht nur am Caminho Portugues, dem portugiesischen Jakobsweg, sondern ist auch selbst seit dem 16. Jahrhundert ein Wallfahrtsort, an dem das Gnadenbild des Bom Jesus de Matosinhos verehrt wird. Schon auf dem Weg vom Hafen in die eigentliche Stadt kamen wir an einem Denkmal vorbei, das die Stelle markieren soll, an der dieses Gnadenbild der Legende nach im Jahr 124 angeschwemmt wurde: 


Die vier Ecken des Gebäudes sind mit Statuen der Evangelisten geschmückt; hier Lukas und Johannes, zu einem Bild zusammengeschnitten.

Vor allem aber wollten wir die Wallfahrtskirche Igreja do Bom Jesus besuchen; als wir dort ankamen, war sie leider geschlossen, aber mit Hilfe von Google Maps fanden wir heraus, wann sie nach der Mittagspause wieder öffnete. 


Statuen der Apostel Petrus und Paulus an der Fassade, auch wieder zu einem Bild zusammengeschnitten. 

Bis dahin hielten wir uns im Garten der Kirche auf; dort gab es sechs kleine Kapellen, in denen durch lebensgroße Figuren Szenen aus der Passion Christi dargestellt wurden. Leider hinter Gittern, was das Fotografieren erschwerte, aber ich tat mein Möglichstes. 




Als die Kirche dann endlich geöffnet wurde, gingen wir natürlich hinein; und was wir da zu sehen bekamen, stellte die Kirchen in La Coruña, die wir tags zuvor besucht hatten, noch in den Schatten: 







In einem Nebengebäude, das den schönen Namen Casa dos Milagres ("Haus der Wunder") trug, wurde eine breite Auswahl an Rosenkränzen, Heiligenfiguren und ähnlichem feilgeboten, und die Kinder überredeten uns mit vereinten Kräften, eine kleine Figur des Erzengels Michael, der den Teufel besiegt, zu erwerben. 

Hier in trauter Eintracht mit den Spielfiguren, die unseren Jüngster in den Urlaub mitgenommen hat.

Am Donnerstag verzichteten wir auf einen Stadtbummel in Lissabon, um stattdessen an einem Tagesausflug zur Tropfsteinhöhle von Mira de Aire, einem der sieben Naturwunfer Portugals, teilzunehmen. Das war ein Erlebnis ganz eigener Art, allerdings wohl nicht so sehr blogrelevant. Immerhin liegt diese Höhle in der Nähe des Marienwallfahrtsortes Fátima, weshalb die Reiseleiterin auf der Busfahrt ein paar Sätze über die dortigen Marienerscheinungen von 1917 sagte. Meine Tochter meinte dazu, die Art, wie die Reiseleiterin darüber spreche, erwecke den Eindruck, sie sei nicht gläubig. Ich wandte ein, als Reiseleiterin drücke sie sich einfach neutral aus, da sie ja nicht wissen könne, ob ihre Zuhörer gläubig oder ungläubig seien; aber bemerkenswert fand ich diesen Kommentar meiner Achtjährigen doch. 

Auch erwähnenswert ist, dass die Reiseleiterin, als wir durch den Ort Moitas Venda fuhren – ein Gebirgsdorf mit einer hübschen kleinen Kirche und reizenden weißen Häuschen mit roten Ziegeldächern –, anmerkte, dies sei "ein typisch portugiesisches Dorf". Ich glaube, ich bin verliebt in dieses Land. – Jedenfalls gilt es festzuhalten, dass die Vorstellung, irgendwann (und sei es im Rentenalter) nach Portugal zu übersiedeln und eine Pilgerherberge oder so etwas in der Art zu eröffnen, eindeutig ihren Reiz hat. In der Zwischenzeit sollte auf jeden Fall mal wieder ein Urlaub in Portugal drin sein – es muss ja nicht gleich wieder eine Kreuzfahrt sein. Wie wär's zum Beispiel mal mit einer Woche Lissabon, den verpassten Altstadtbummel nachholen, ins Ozeanarium, Tagesausflug nach Fátima? Wär doch mal was. 


Neues aus Synodalien: I Fell Into a Burning Ring of Nothelle-Wildfeuer 

Derweil versorgt mich mein Google News-Algorithmus – soweit ich Internetzugang habe, natürlich – weiterhin zuverlässig mit Meldungen von häretisch.de. Als ich dort unlängst die Überschrift "Theologin: Lobpreis nicht für Evangelisierung instrumentalisieren" las, lautete meine spontane Reaktion: "Was hat die denn für ein Problem?" Dann las ich, dass es sich bei der betreffenden Theologin um Ursula Nothelle-Wildfeuer handelt, und dachte nur noch: Ach so, die ist das. – Zur Einordnung dieser Reaktion sei gesagt, dass mir diese Dame vorrangig dadurch ein Begriff ist, dass sie anno 2018 in einem Interview mit häretisch.de kein gutes Haar am damals frisch erschienen Mission Manifest ließ und vor einer "Versektung und Evangelikalisierung der katholischen Kirche" warnte. Auch am Gebetshaus Augsburg fand Frau Nothelle-Wildfeuer in diesem Zusammenhang "wenig Positives": "Es gibt in der katholischen Kirche scheinbar auch so etwas wie freikirchliche oder katholische Evangelikale, mit denen haben wir es hier zu tun." Und: "Das, was ich da höre und sehe, schreckt mich ab." – Offenkundig diente dieses Interview seinerzeit nicht zuletzt der Promotion für das von Frau Nothelle-Wildfeuer gemeinsam mit Magnus Striet herausgegebene Buch "Einfach nur Jesus?"; und da spricht ja schon der Titel Bände. Es muss wohl ziemlich frustrierend sein, wenn man im Studium gelernt hat, den christlichen Glauben zu dekonstruieren, und nun als wohlbestallte Professorin die nächste(n) Generation(en) von Theologen auf diesen postchristlichen Kurs einnordet, und dann kommen irgendwelche Leute daher, die so unbekümmert und ohne intellektuelle Distanz und Relativierung über oder sogar mit Jesus reden, als kennten sie Ihn persönlich. Kein Wunder, dass Frau Nothelle-Wildfeuer auf den Fotos, die von ihr im Internet kursieren, immer so sauer guckt. Auch ihre neuerliche Wortmeldung bringt gegenüber derjenigen von 2018 nichts wesentlich Neues, neu ist nur der Anlass dieser Äußerung: Die Freiburger Theologin hat eine eine Stellenausschreibung im Erzbistum Köln gelesen, in der eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter für "Gemeindegründung mit Schwerpunkt Lobpreis" gesucht wird, und das hat sie offenbar so ergrimmt, dass sie darüber einen Beitrag für die Herder Korrespondenz verfassen musste. Nun scheint es aber in der katholischen Medienlandschaft ein ungeschriebenes Gesetz zu geben, demzufolge alles, was in der Herder Korrespondenz steht, automatisch relevant sei, und so berichteten diverse andere kirchliche oder kirchennahe Publikationen über diesen Beitrag – darunter eben häretisch.de, andererseits aber auch CNA deutsch, wo der redaktionelle Kommentar dankenswerterweise darauf aufmerksam machte, dass beim Stichwort "Gemeindegründung mit Schwerpunkt Lobpreis" offenbar Frau Nothelle-Wildfeuers von Vorurteilen und blinden Flecken geprägte Assoziationen mit ihr durchgehen – insofern, als sich die von ihr formulierten Vorwürfe durchweg "nicht aus der Stellenausschreibung belegen" lassen, auf die sich ihre Kritik bezieht. 

Und was für Vorwürfe sind das so? Die üblichen, möchte man sagen: "Indoktrination und Manipulation", mangelhafte Rezeption des II. Vatikanischen Konzils, "populistisch anmutende einfache Antworten". Und schließlich: "Evangelisierung durch Lobpreis" erwecke den Eindruck, "allein auf Kirchenwachstum, nicht aber auf ein verantwortetes Ja zum Glaubensbekenntnis" ausgerichtet zu sein. – Natürlich darf dabei auch die Warnung vor einer Orientierung an "evangelikalen und neucharismatischen Bewegungen" wieder nicht fehlen – und davor, "von deren Worship-Musik lernen" zu wollen. An dieser stört Frau Nothelle-Wildfeuer der vorrangig emotionale Zugang zum Glauben: Wo bleibt denn da die Auseinandersetzung "mit den vielfältigen Anfragen der Moderne an Religionen und die Kirche"? Schön, Evangelikale und Charismatiker haben vielleicht mehr Freude am Glauben, mehr Gottvertrauen und mehr Eifer für das Reich Gottes, aber dafür kann unsere akademische Theologenzunft viel schlauer über "komplexe Glaubenswahrheiten, existenzielle Spannungen und ethische Zumutungen" schwadronieren. – Der Fairness halber sei betont, dass es diese linkshirnig-miesepetrige Auffassung des Christentums ebenso wie in einer progressiven auch in einer konservativen Variante gibt. Gleichwohl fällt mir dazu vorrangig immer Gudrun Ensslin ein, die im Zuge von Sondierungsgesprächen zwischen RAF und "Bewegung 2. Juni" zu Bommi Baumann sagte, die Revolution dürfe keinen Spaß machen. Ich persönlich halte es da ja eher mit Bommi Baumann, der darauf schlicht erwiderte "Du spinnst doch". 

(Ich stelle gerade fest, dass ich in diesem Wochenbriefing zweimal in unterschiedlichen Zusammenhängen Bommi Baumann erwähnt habe. Schade, dass er das nicht mehr miterlebt.


Geistlicher Impuls der Woche 

Ihr seid jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Schlussstein ist Christus Jesus selbst. Durch Ihn wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. Durch Ihn werdet auch ihr im Geist zu einer Wohnung Gottes erbaut. 

(Epheser 2,19-22) 


Ohrwurm der Woche 

Enya: Orinoco Flow 

Die Musik auf dem Kreuzfahrtschiff war durchweg sehr gut, sei es in den Fahrstühlen, in den Bars oder in den Showprogrammen; somit hätte es mehr als genug geeignete Kandidaten für den Titel des "Ohrwurms der Woche" gegeben, aber letzten Endes war der markanteste wiederkehrende musikalische Moment der Reise dann doch die Auslaufmusik, die sowohl beim Beginn der Reise in Hamburg als auch beim Ablegen in La Coruña, Porto und Lissabon über die Decks schallte. Zwar wurde da eine eigens für die Kreuzfahrtfirma eingespielte Coverversion verwendet, angeblich weil Enya nicht bereit war, dem Unternehmen die Verwendung der Originalaufnahme zu gestatten; aber hier gibt's trotzdem das Original von 1988. 


Vorschau/Ausblick 

Vom heutigen Tag auf Lanzarote wird wohl im nächsten Wochenbriefing noch die Rede sein müssen, und auch ein Gesamtfazit unserer Kreuzfahrt-Erfahrung wird nicht ausbleiben dürfen. Morgen früh machen wir uns dann von Las Palmas de Gran Canaria aus auf die Rückreise; es dürfen noch Wetten abgeschlossen werden, ob wir unsere Anschlüsse erreichen – noch besser wäre es aber, wenn ihr, o Leser, das Anliegen einer glücklichen Rückreise in eure Gebete einschließen wolltet. Und dann geht auch schon direkt die Schul- und Arbeitswoche los. Langweilig wird's sicherlich auch da nicht werden, denn gleich am Dienstag feiert unsere Tochter mit ihren Freundinnen ihren Geburtstag nach und am Donnerstag ist an ihrer Schule Halloween-Party. Gleichzeitig steht in St. Joseph Siemensstadt schon der nächste KiWoGo vor der Tür, für den es auch noch Manches vorzubereiten geben wird. – Im Übrigen rechne ich damit, dass es nach dieser Reise erst mal eine ziemliche Herausforderung sein wird, wieder im Alltag anzukommen...