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Sonntag, 9. Juli 2023

Der Traum von der erneuerten Gemeinde (Teil 1)

"Das Ende des ersten nachkonziliaren Jahres ist davon gekennzeichnet, dass sich die Kirche in leidenschaftliche innere Kämpfe verstrickt hat", liest man in Manfred Plates Buch über die Würzburger Synode. Dieses erste nachkonziliare Jahr war das Jahr 1966 – jenes Jahr, in dem John Lennon mit der Aussage Aufsehen erregte, die Beatles seien "beliebter als Jesus"' und das Christentum werde in absehbarer Zeit "abnehmen und verschwinden". Es war auch das Jahr, in dem Lothar Zenetti – damals Stadtjugendpfarrer in Frankfurt am Main – ein Buch mit dem Titel "Heiße (W)Eisen – Jazz, Spirituals, Beatsongs, Schlager in der Kirche" veröffentlichte. Im selben Jahr hatte die Deutsche Bischofskonferenz einen Beschluss gefasst, demzufolge "Musik mit Jazz und jazzähnlichen Elementen [...] für die Eucharistiefeier nicht gestattet" sei, und es verwundert nicht, dass Zenetti als vielleicht größter Jazzkenner im deutschen Klerus (bereits 1953, noch als Kaplan, hatte er in der Zeitschrift "Jazz-Podium" eine Artikelserie zum Thema "Der Jazz und die Religion" publiziert) sich zu einer Stellungnahme veranlasst sah. In dem Buch geht es aber um weit mehr als um die Frage, welche Art von Musik für den Gottesdienst taugt und welche nicht: Zenetti betrachtet diese Frage explizit nur als einen Teilaspekt weit umfassenderer Erwägungen zu einem erneuerten Kirchen- und Gemeindeverständnis nach dem II. Vatikanischen Konzil. In seinem Vorwort betont er, er wolle mit diesem Buch "ein volles Ja zur Verkündigung des Evangeliums" sagen, "das wir nicht unserem Geschmack angleichen dürfen, das vielmehr uns herausfordert, umzudenken und umzukehren", zugleich jedoch ein "Nein [...] zu bloßem Wiederkauen des Gewesenen und Gehabten. Nein zu allem Sichabfinden, zu aller Selbstsicherheit, die so tut, als sei alles in bester Ordnung. Nein aber auch zu einem Modernsein um jeden (meist um den halben) Preis. Nein zu verbilligtem Christentum. Aussendung und Ausverkauf ist nicht dasselbe" (S. 6). 

"Macht Euch Luft in der etablierten Kirche". Foto aus Manfred Plate, "Das deutsche Konzil" (nachbearbeitet) 

Aus heutiger Sicht möglicherweise überraschend – besonders für Anhänger der Vorstellung, "vor dem Konzil" wäre die katholische Welt im Großen und Ganzen noch in Ordnung gewesen und erst danach wäre alles den Bach runter gegangen – ist es, dass Zenetti schon 1966 einen massiven Niedergang der religiösen Praxis in katholischen Familien diagnostiziert, der wohl kaum über Nacht eingetreten ist: 

"Gemeinsames Gebet, abendlichen Schriftlesung, religiöses Gespräch, vielfältiges Brauchtum sollten doch eigentlich die außer der Arbeit bleibenden Werktagsstunden, vor allem aber den 'Tag des Herrn' prägen. [...] In vielen Familien, die sich katholisch nennen, ist aber all das erstorben. Während das Vergnügungsprogramm, das Fernsehen im Mittelpunkt stehen (bezeichnenderweise 'Zerstreuung' statt 'Sammlung'), macht jeder bestenfalls 'Religion' privat mit sich ab. Ohne die Stützen gemeinsamer Frömmigkeit aber ist der einzelne in seinem privaten Bereich überfordert, und so ist bald die bleibende Klage unvermeidlich, man könne nicht mehr beten. Die Gebets- und Glaubensnot als Folge religiöser Verkümmerung unserer Familien belastet schon die Überzahl unserer Kinder und Jugendlichen – sie belastet natürlich auch die religiöse Verkündigung in Schule, Kirche und Jugendarbeit" (S. 36f.). 

Wenn Zenetti in diesem Zusammenhang anmerkt "Was in Familien gläubiger evangelischer Christen, aller Sekten und auch der Juden selbstverständlich ist, müsste auch bei uns lebendig sein" (ebd.), dann fällt es auf, dass er den Begriff "Sekte", ganz anders als im heutigen Sprachgebrauch üblich, ohne negative Konnotation verwendet – etwa in dem Sinn, wie in der Religionssoziologie Max Webers und Ernst Troeltschs "Sekte" eine weitgehend wertfreie Bezeichnung für eine bestimmte Sozialgestalt von Religionsgemeinschaften ist, die man heute eher "Freikirche" nennen würde. Dass Zenetti, wie sich hier schon andeutet, und die religiöse Praxis in den sogenannten "Sekten" sogar als vorbildlich gegenüber der volkskirchlichen Ödnis herausstellt, wird noch deutlicher, wenn er in einem Kapitel mit der Überschrift "Die erneuerte Gemeinde" den Besuch eines Sonntagsgottesdiensts in einer "pfingstbewegten 'Freien Christengemeinde'" (S. 306) schildert und gegen den Besuch einer Heiligen Messe am selben Tag kontrastiert. 

"In der Kirche der 'Freien Christengemeinde' ist um 9.30 Uhr und nachmittags um 17 Uhr Gottesdienst", beginnt Zenetti seinen Bericht. "Ich sehe, dass die meisten Leute sich begrüßen und leise ein paar Worte wechseln, wenn sie sich zueinander setzen. [...] Trotz der Größe – [...] unten rund zweihundert Sitze, oben eine [...] jetzt unbesetzte Empore mit vielleicht nochmals hundert Plätzen – wirkt alles sehr familiär" (S. 304). Auch noch nach dem Gottesdienst "steht man lange beisammen, und der Prediger spricht mit den Leuten" (S. 306). Von genau dieser "Familiarität und Herzlichkeit", von der Zenetti sich "beeindruckt" zeigt (ebd.), findet er in der katholischen Kirche, die er am selben Tag besucht, keine Spur: "Keiner nahm Notiz vom anderen. Jeder suchte sich einen Platz in der Bank, betete kurz und setzte sich nieder" (S. 307). – Sicherlich könnte man mit einigem Recht einwenden, das Gemeinschaftserlebnis sei ja nun nicht unbedingt das wichtigste am Gottesdienst; allerdings stellt Zenetti fest, dass die Haltung der Gottesdienstteilnehmer zueinander auch mit ihrer Haltung zum Gottesdienstgeschehen zu korrespondieren scheint. Das beginnt damit, dass in der Freikirche, als das erste Lied gespielt wird, "alle aus voller Kehle mitsingen" (S. 304), während er in der katholische Kirche die Beobachtung macht: "Die Orgel intonierte sehr laut das erste Lied, aber es sang kaum jemand mit. Die Leute blieben reserviert. Sie lasen in mitgebrachten Büchern oder schauten vor sich hin. Ich denke, es waren ebenso viele wie in dem Gottesdienst der Freien Gemeinde gewesen. Aber während dort alle merklich beteiligt waren, so spürte man in der Messe bei allem, was auch geschah, eine eigenartige Distanz und Kühle" (S. 307). Dabei betont er, die Pfarrei, in der diese Messe gefeiert wurde, gelte "als eine der besten in der Stadt, und die Form, wie die Messe gestaltet war, konnte im Sinne der Neuregelung der Liturgie durch das Konzil durchaus würdig und gerecht genannt werden" (S. 306); "am Altar vollzog sich alles mit Würde und Feierlichkeit. Und doch schien es, als gehe das Rituell [sic] weit da vorne niemanden aus dem Volk in Wirklichkeit etwas an" (S. 307).  

Zenettis auch an anderen Stellen seines Buches zum Ausdruck kommendes generelles Misstrauen gegenüber der Liturgie – dem "Rituell", wie er es nennt (komisches Wort!) – wird besonders deutlich, wenn er die Frage aufwirft, "ob ein derart strenggezügeltes und bis ins Letzte festgelegtes Rituell nicht alles ausschließt und verhindert, was wir als Voraussetzung für ein vitaleres Beten und Singen gefordert hatten: Freiheit, Familiarität und Freude, vor allem aber auch jene Gelöstheit und Offenheit, jene Erlebnis-Intensität, die das Wehen und Wirken des Heiligen Geistes wohl erst ermöglicht" (S. 310). Dagegen ließe sich allerlei einwenden, u.a. unter Verweis auf das Liturgie-Unterkapitel der "Benedikt-Option"; aber das wäre wohl eher mal ein Thema für einen separaten Artikel – in dem man auch näher auf den Umstand eingehen könnte, dass Zenetti sich tendenziell selbst widerspricht, wenn er der Liturgie die Schuld an der fehlenden "Familiarität und Freude", "Gelöstheit und Offenheit" und "Erlebnis-Intensität" in katholischen Gottesdiensten zuweist. An anderer Stelle bemerkt er nämlich: "Wir sind dabei, die Liturgie neu zu ordnen. Wir freuen uns über jeden echten guten Schritt nach vorn. Aber vertrauen wir nicht doch zu sehr auf neue Rubriken, die von oben angeordnet sind? Das wirklich Neue wächst von innen" (S. 308). Dass er an keiner Stelle darauf zu kommen scheint, dass das intensive Gemeinschaftsgefühl, das er in der Freikirche erlebt hat, nicht zuletzt auch daher rühren könnte, dass die Gemeindemitglieder sich eben nicht nur sonntags im Gottesdienst treffen, wirkt bedenklich; auch darauf wird gegebenenfalls noch zurückzukommen sein. 

Als bedeutsam betrachtet Zenetti es hingegen, dass im freikirchlichen Gottesdienst die Trennlinie zwischen aktiv Mitwirkenden und bloßem "Publikum" dadurch durchlässiger erscheint als im katholischen, dass erheblich mehr Gemeindemitglieder in die Gestaltung und den Ablauf des Gottesdienstgeschehens einbezogen sind; das beginnt schon damit, dass nach dem ersten Lied der Prediger ankündigt, "nun werde Bruder Schneider ein paar Worte der Eröffnung sagen. Der Angesprochene kommt nun vor ans Pult. Er weist auf eine Stelle im Jakobusbrief hin (4,13-17), über die er sich manchmal seine Gedanken mache, morgens auf dem Weg zur Bank, wo er arbeitet. Er spricht einfach und gebraucht Vergleiche aus dem alltäglichen Leben. Anschließend singt der Chor mit Gitarren und Orgel ein Lied von Jesu Güte und Treue" (S. 304); und wie wir noch sehen werden, kommen im weiteren Verlauf des Gottesdienstes noch zahlreiche andere Gemeindemitglieder zu Wort. Hingegen sei, so konstatiert Zenetti, "bei uns", also in der katholischen Kirche, der Gottesdienst "[n]och immer [...] Sache des Klerus, der dazu bestellten Leute – und nicht die Sache aller. Es kommt ja auch sonst niemand zu Wort, selbst da nicht, wo es leicht möglich wäre, etwa bei den Fürbitten" (S. 309). Dem Thema Fürbitten widmet er daher bei seinem Vergleich zwischen freikirchlichem Gottesdienst und katholischer Messe besondere Aufmerksamkeit. In der Messe, die Zenetti schildert, liest der Pfarrer die Fürbitten "aus einem Buch vor": 

"Aber was außer frommen Gemeinplätzen war da eigentlich ausgesprochen? Abgesehen davon, dass eigentlich nur Bitten für uns selber, also keine wirklichen Fürbitten für andere ausgesprochen waren. Manche solcher vorgedruckten Bitten sind mit ihrem 'dass Du ... wollest' auch sprachlich schlimm. Und landauf, landab nehmen die Geistlichen sonntags solche ärmlichen oder ärgerlichen Vorlagen her, um die Bitten ihrer Gemeinde an diesem Sonntag vor Gott zu tragen. Man sollte doch meinen, wenn die so oft und so gern 'mündig' genannten Christen der Gemeinde schon nicht zu Wort kommen (wollen?), dann sollte wenigstens der Priester soweit ein Mann Gottes sein, dass er die aktuellen Anliegen ohne Briefsteller formulieren könnte. Neulich allerdings sagte einer: 'Ich bin froh, dass unser Pfarrer aus einem Buch vorliest, dadurch wird das Schlimmste verhütet...' Aber ist das nicht schlimm genug?" (S. 308). 

Ganz anders läuft es im freikirchlichen Gottesdienst ab; hier "kündigt der Prediger an, man wolle nun fürbittend vor Gott treten, und er empfehle dem Gebet besonders die Schwester, die Mitte der Woche gestürzt sei und sich ein Bein gebrochen habe" (S. 305). Und prompt wird die Gemeinde lebendig: 

"Auf der linken Seite fragt eine Frau, in welchem Krankenhaus sie liege, und der Prediger nennt das Bürgerhospital. Ein Mann meint, man sollte die Schwester K. nicht vergessen; sie könne schon so lange wegen ihrer Krankheit den Gottesdienst nicht besuchen. Andere Namen werden genannt. Dann beginnt der Prediger das Gebet. Nach ihm spricht eine Frau in der zweiten Reihe vorne, ein junger Mann vom Chor, ein Mädchen, eine alte Frau [...] und so noch drei oder vier Leute mitten aus der Gemeinde. Jeder betet in seiner Weise, aber jeder echt und mit großem Ernst, ganz aus dem Augenblick. Keiner benutzt einen geschriebenen Text oder eine Notizzettel. Und dennoch gibt es eigentlich niemals eine Unsicherheit, ein Stocken, eine missglückte Wendung [...]. Während des Betens haben alle die Augen geschlossen und denken mit ungeheuren Ernst, ja einer gewissen Anstrengung, das Gebet mit. Die verschiedenen freien Gebete aus dem Munde der Gläubigen scheinen aus einer Tiefe und Glaubenskraft zu kommen, wie sie nur wirkliches und lange geübtes Gebetsleben bringen kann. Die Formulierung überzeugen nicht nur persönlich, sondern sind auch sicher und durchweg von großer Schönheit. Das Ganze geht an die zehn Minuten, und es gibt keinerlei Unordnung, aber auch kein Reglement. Da man aufeinander hört, ergibt sich alles wie von selbst, und die einzelnen Stimmen fügen sich wie zu einem einzigen Gebet zusammen" (S. 305f.). 

Ein paar Seiten später kommt Zenetti noch einmal auf diese Schilderung zurück: 

"Als ich einer jungen Ordensschwester, die im Schwesternhaus bei der Messe vorzubeten pflegt, von dem freien Beten in jener Freien Gemeinde erzählte, sozusagen mit dem Hinweis, ähnlich solle man es doch auch einmal versuchen, da äußerte sie erschrocken: Nein, so etwas könne sie nicht, da würde sie sich selbst im kleinen Kreis ihrer Mitschwestern genieren. – 'Sie waren ein Herz und eine Seele', so heißt es von den ersten Christen. – Aber wenn heute offensichtlich nicht einmal Priester und Schwestern es mehr vermögen oder wagen, von Herzen zu beten, selbst im kleinen Kreis der Werktagsmesse oder Andacht nicht, wie sollen dann die Gläubigen aktiv werden und im Gottesdienst einmütig und frei um etwas bitten?" (S. 308f.).

Die Reaktion dieser Ordensschwester kann man als exemplarischen Beleg für Zenettis Einschätzung betrachten, viele, vielleicht "die meisten" Katholiken seien "wohl sogar zufrieden damit", nicht aktiv in das Gottesdienstgeschehen einbezogen zu werden: "Sie suchen ihre Ruhe und ihre Andacht und wollen nicht weiter behelligt sein. Man mache einmal den Versuch, in einer Stadtpfarrei bei Ausfallen eines Vorbeters etwa einen der nächstbesten Gläubigen (!) zum Vorbeten zu bitten oder zu ministrieren oder den Sammelkorb zu nehmen. Wer wird schon, wenn kein Organist da sein sollte, aus sich, ohne Weisung, nur um des Gottesdienstes willen, ein Lied anstimmen?" (S. 309). Man darf wohl konstatieren, dass das in vielen Kirchengemeinden auch heute noch nicht grundsätzlich anders aussieht, und bei manch einem Leser mag sich hier der Einwand regen, wenn die Leut' nun mal so seien, dann solle man sie doch lassen, wie sie sind. Dieser Meinung ist Zenetti ganz entschieden nicht: "Immer wieder fordert die Liturgiekonstitution die Konzils die tätige Teilnahme der Christen", ruft er in Erinnerung. Wie aber bringt man die Leute dazu, dies auch zu wollen? Zenetti meint: "Erst wenn eine brüderliche, geistliche Atmosphäre entsteht (entstehen darf!), in der – ähnlich den Neger-[sic!] und vielen Sektenkirchen – Herzlichkeit, Spontaneität und leibseelische Beteiligung aller bestimmend sind, wird eine wirklich 'tätige Teilnahme' der Gemeinde möglich werden" (ebd.). An anderer Stelle äußert er: "Von Christen, die ständig vom Mindestmaß leben, kann lebendiger Glaube in den einzelnen und den Gemeinden nicht kommen. Religiöses Leben erwächst aus Eifer, Interesse, aus Opfer und Dienst (wider alle Bequemlichkeit), aber auch aus Freude, eben aus dem, was über das 'Muss' hinaus geschieht" (S. 37f). 

Wer mich und/oder meinen Blog schon etwas länger kennt, den wird es nicht unbedingt überraschen, dass diese Zeilen Zenettis bei mir auf einige Sympathie stoßen. Es bleibt aber natürlich die Frage: Wie erreicht man es denn, nicht nur einzelne Personen dazu zu motivieren, sich "über das 'Muss' hinaus" einzusetzen (um einmal nicht "engagieren" zu sagen), sondern in einer ganzen Gemeinde ein Klima zu schaffen, das nicht von Minimalismus und Mittelmäßigkeit geprägt ist, sondern von Eifer und Freude? – Zum Teil muss man die Überlegungen, die Zenetti hierzu anstellt, unter dem Gesichtspunkt "Hinterher weiß man immer mehr" betrachten. Einigermaßen tragikomisch wirken so beispielsweise Überlegungen, ob die Gemeinden nicht einfach zu groß seien, um persönliche Beziehungen zu ermöglichen. Ein echtes Luxusproblem in einer Zeit, in der man, ohne rot zu werden, 150 Teilnehmer bei einer Frühmesse oder Andacht als Normalität voraussetzen konnte (wie Zenetti es beiläufig auf S. 305 tut). Nun könnte man sagen, dieses Problem habe sich inzwischen gründlich erledigt; aber hat die Gemeinschaft in den Pfarrgemeinden dadurch an Intensität gewonnen? Wohl kaum! – Zum Teil mag das natürlich daran liegen, dass die Strukturen der Volkskirche immer noch weitgehend auf sakramentale Grundversorgung für eine breite Mitgliederbasis ausgerichtet ist, die zu ca. 92% nur noch auf dem Papier existiert, und nicht darauf, mit der Minderheit der tatsächlich aktiven Mitglieder eine konzentrierte, intensive Aufbauarbeit zu leisten. Gleichzeitig sollte man auch nicht ganz verschweigen, dass mancherorts die wenigen Leute, die noch zur Kirche gehen, zu einem nicht unwesentlichen Teil gerade die sind, die am meisten dazu beigetragen haben, die Anderen aus der Kirche zu vertreiben. Dies alles eingeräumt, muss ich dennoch sagen, dass die Idee, Gemeinde "von kleineren Gemeinschaften her neu zu beleben und neu aufzubauen" – "die kleine Gemeinschaft [...] als Zelle, Keimzelle des Reiches Gottes" (S. 311) –, durchaus etwas #benOppiges hat, und es würde mich doch sehr interessieren, was aus den Beispielen für solche Versuche, die Zenetti anführt ("Statt der Großkirchen versucht man in Holland Wohn-Kirchen zu bauen; in Wien hat man in Keller und Erdgeschoss eines Wohnhauses eine erste 'Hauskirche' errichtet", ebd.), geworden sein mag. 

Im Übrigen erhofft sich Zenetti Impulse für die Gemeindeerneuerung von "neuen Formen im Gottesdienst" jenseits der liturgisch strikt festgelegten Heiligen Messe; bei den "Vorkämpfern und Befürwortern" experimenteller Gottesdienstformen nimmt er "Eifer, Leben und Begeisterung" jedenfalls "durchweg eher" wahr "als bei vielen, die vom 'Bewahren des Guten, Alten', vom 'Bedächtigvorgehen' reden, weil sie phlegmatisch oder feige oder ideenlos sind" (S. 38.). Von den Letzteren grenzt er allerdings "[w]irkliche Hüter echter Tradition" ab: Diese, so meint er, würden ihm "wohl rechtgeben" (ebd.) – eine interessante Einschätzung. 

Als eine Art Versuchslabor für neue Gottesdienstformen betrachtet Zenetti vor allem Jugendgottesdienste; hierzu führt er aus: 

"An einigen Orten werden religiöse Jugendveranstaltungen als sehr frei geformte Gottesdienste gehalten. Hier – in einem Saal, in einem Kino, im Jugendheim, überall – lassen sich alle modernen Möglichkeiten der Darbietung anwenden: Ein Film, eine geschickt zusamengestellte Lichtbildfolge, eine Spiel- oder Hörspielszene, eine Folge von Zeitungsmeldungen, eine Reportage, Schallplatten – all das kann, ganz in der Sprache von heute, unser Leben, unseren Alltag spiegeln, kann Fragen und Nöte der Welt, in der wir leben, deutlich machen. Fast immer muss ja die Botschaft, um uns einmal neu und unmittelbar zu treffen, ungewohnt, 'verfremdet' gesagt werden" (S. 34). 

– Da wünscht man sich ja nun doch eine Zeitmaschine, um zurückzureisen und den Leuten zu sagen, sie sollen den Scheiß bleiben lassen. Dem zuletzt zitierten Satz würde ich ja "an sich" gern zustimmen; was ich jedoch nicht verstehe und nie verstehen werde, ist, wie man glauben kann, man könne dem Ruf Gottes die erwünschte Wirkung dadurch verschaffen, dass man ihn dem Klang dessen angleicht, was der Mensch aus seinem "außerkirchlichen" Alltag sowieso kennt und gewohnt ist. Das ist gerade keine "Verfremdung" im Brechtschen Sinne, sondern eher eine "Verbekanntung"

Aber lassen wir das vorerst mal beiseite; ich habe ja bereits angedeutet, dass die liturgischen Aspekte des Themas ausreichend Stoff für einen eigenständigen Folgeartikel bieten. Hervorzuheben ist einstweilen, dass der 2019 hochbetagt verstorbene Zenetti, der heute wohl hauptsächlich als Texter des Liedes "Das Weizenkorn muss sterben" und Übersetzer von Huub Oosterhuis' "Ik sta voor U" ("Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr") bekannt ist, mit seinen Ideen zur Gemeindeerneuerung seinerzeit durchaus kein einsamer Rufer in der Wüste war. Eine nicht minder interessante, wenige Jahre später entstandene Quelle zu diesem Thema ist der "Komm-mit-Kalender" für das Jahr 1970 – oder präziser gesagt, der die letzten 32 Seiten dieses insgesamt über 400 Seiten starken Taschenkalenders umfassende Abschnitt "Du und deine Kirche". Schauen wir uns den also beim nächsten Mal an – und machen für heute erst mal einen Punkt! (Oder ein Ausrufezeichen.) 


22 Kommentare:

  1. Wäre schön, wenn Sie diesen kurzen Teil aus dem Kalender als PDF zur Verfügung stellen könnten! Ob das Copyright ein Problem ist? Es klingt jedenfalls nach einem sehr interessanten Zeitdokument und antiquarisch lässt sich der Band nicht finden.

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  2. Na ja, Whiskey ist auch nicht für die Heilige Messe geeignet… und dann guck mal nach München….

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  3. Diasporakatholik12. Juli 2023 um 09:18

    Ach, Leute, hört endlich auf, uns/mich umerziehen zu wollen zu angeblich "lebendigeren", "intensiveren" Formen des Gottesdienstes.

    Ich bin jetzt 70 Jahre alt, und habe im Laufe meines Lebens als stets regelmäßig praktizierender kath. Christ in einem durchweg säkularen Umfeld in Norddeutschland schon alles Mögliche, auch gar Jazz- und Rockmessen und alles nur experimentell Denkbare erlebt und über mich ergehen lassen müssen.

    "WTF?" kann ich dazu nur sagen!

    Ich habe auch schon Gottesdienste in der Freikirche erlebt mit den wortsprühenden sich quasi religiös outenden Gemeindemitgliedern dort. Hört sich natürlich echt cool an, wenn da eine/r "frei" formuliert eine Fürbitte o.ä. in den Raum sagt.

    Aber auch sowas kann vorher durchaus eingeübt worden sein und ist irgendwann auch Routine.

    Ich selbst bin z.B. ein grottenschlechter Sänger, treffe keinen Ton richtig und brumme die Lieder äußerlich nur leise bis allenfalls halblaut mit, damit ich nicht die Umgebung belästige mit meinem Falschgesang. Jedenfalls weiß ich darum!

    Aber INNERLICH bin ich äußerst konzentriert und bete die Liedtexte aufmerksam aber auch kritisch(!) mit.
    Ich war in meiner Jugend Messdiener und später Lektor bis Anfang meiner Zwanziger Jahre. Aber das alles habe ich damals abrupt aufgegeben, weil es mir GEISTLICH nichts brachte! Ich war stets damals nur darauf aus, das alles möglichst PERFEKT zu machen, wollte also irgendwie "gut" dastehen. Aber für mein seelisch-geistliches Leben hat mir das alles NICHTS gebracht.

    Lasst mich also bitte mit dem ganzen Kram in Ruhe. Ich für meine Person habe wesentlich mehr davon, wenn ich hauptsächlich vor und nach der Hl. Messe still für mich Gebete, die ich mir in mein NGL-Gebetbuch über die dortigen blöden Strichzeichnungen eingeklebt habe, in Ruhe beten kann. Das würde ich eigentlich auch gerne zumindest zeitweilig IM Gottesdienst tun, aber sog. "stille Zeiten" in demselben gibt's ja kaum noch und "gegenanbeten" ist nicht mein Ding.

    Also deshalb hauptsächlich Vor- und Nachher, wenn da einen nicht der Organist meint, zudröhnen zu müssen.

    So, das ist jedenfalls MEINE ganz persönliche Meinung zu dem Ganzen. Sie ist natürlich keinesfalls als Maßstab oder allgemeine Richtschnur zu verstehen. Wer es gerne anders hat, möge sich entsprechende Gottesdienstangebote nach seinem Geschmack suchen. Ich bin da durchaus tolerant.

    Aber MICH lasst bitte damit in meiner mir noch verbleibenden Lebenszeit zufrieden...

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    1. >>Ich selbst bin z.B. ein grottenschlechter Sänger, treffe keinen Ton richtig und brumme die Lieder äußerlich nur leise bis allenfalls halblaut mit, damit ich nicht die Umgebung belästige mit meinem Falschgesang. Jedenfalls weiß ich darum!

      Schauen Sie, man ist zwar tatsächlich nicht zum lauten Mitsingen verpflichtet (um nicht falsch verstanden zu werden, aber: Sie dürfen. A thing worth doing is worth doing badly. Und wenn Sie wirklich so falsch singen, dann inspirieren Sie trotzdem vielleicht den nebenmann, Sie zu übertönen mit den *richtigen* Tönen... denen Sie dann wiederum folgen können.

      Und vor Gott führen wir ja letztlich *sowieso* eine gewisse Kakophonie auf...

      Ich gebe freilich zu, daß die bösen Blicke des anderen nebenmanns, der sich sowohl ästhetisch durch Mißklänge als auch vom Gewissen her dadurch, daß er Ihren Enthusiasmus (zu Unrecht, denn, wie gesagt, man ist nicht verpflichtet...) als Vorwurf empfindet, gestört fühlt, nicht einfach zu ertragen sind. Okay.

      Aber davon abgesehen und wer da drübersteht: Was man der gekachelten Wand des Badezimmers, der Windschutzscheibe des passagierlosen eigenen Autos, oder dem Raps, Weizen und Mais einer *wirklich* menschenleeren Gegend auf einer Sommerwanderung zumuten kann, das kann und darf man auch dem Herrgott und der Gottesdienstgemeinde zumuten. Und (auch wenn, etc.:) es empfiehlt sich sogar, das zu tun.

      Das richtige Singen lernt man übrigens beim Singen. Wie viele Lieder singt man das erste Mal (überhaupt oder seit langem) aus dem Gotteslob etc., und bei der dritten Strophe klappt's dann?

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    2. Diasporakatholik18. Juli 2023 um 23:25

      Nun, ich hatte einen unmusikalischen Vater und eine sehr musikalische Mutter. Von ersterem erbte ich offenbar die schlechte Stimme zugleich aber von der Mutter ein immerhin so gutes musikalisches Gehör, dass ich sehr wohl falschen von richtigem Gesang unterscheiden kann und mich meinerseits von falsch singenden Zeitgenossen in meiner Nähe belästigt fühle.
      Ihr Rat, Imrahil, trotzdem in Gesellschaft einfach laut loszusingen, ist gänzlich ungeeignet, führt wirklich zu Kakophonie und schlechter Stimmung untereinander.

      Ich halte es daher meinerseits lieber mit dem bewährten Sprichwort:
      "Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu!"
      Also Rücksichtnahme auf seine Nachbarn, Umgebung und Gemeinde statt sich zu produzieren nach dem Motto "Mir san Mir!"
      Entschuldbar wäre allenfalls, wenn die Eigenwahrnehmung und Selbsteinschätzung so eingeschränkt ist, dass man die eigenen Fehler und Schwächen nicht selbst wahrnimmt. Kriegt man dann auch statt angebrachter Kritik auch noch falsche Bestätigung, so kann das im Extremfall zu sehr peinlichen und blamablen. Situationen führen. Bei der berüchtigten Show DSDS war das regelmäßig der Fall, dass solche Menschen einem fehlenden schadenfrohen Publikum vorgeführt wurden. Also bleiben Sie mir mit solch hanebüchenen. Vorschlägen bitte vom Leib. Mir hat man es schon in meiner Jugend beigebracht, und ich habe mit meiner inzwischen jahrzehntelangen Lebenserfahrung zumindest bzgl. meiner Gesangsfähigkeiten genug Einschätzung, was für mich gut und angemessen ist und was eben nicht.

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    3. Dann versteh ich‘s. Der eigenen Mutter mißfallen tut man ungern. Und dazu braucht sie nicht einmal persönlich anwesend sein.

      That being said: mein „Sie müssen zwar nicht, dürften aber schon auch“ war schon genau so gemeint, daher verstehe ich Ihre Empörung nicht so ganz.

      Und sich beim Gotteslob lächerlich zu machen wäre an sich ja auch löblich, siehe König David. Wieder: nicht „geboten“. Löblich.

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    4. Diasporakatholik19. Juli 2023 um 22:30

      Sie irren: Meine Mutter hat mich nie wegen des Gesangs kritisiert - das waren andere, z.B. Musiklehrer oder auch ein Kaplan. "Empört" über Ohren untauglichen Vorschlag bin ich nicht, auch wenn ich ihn nicht ohne eine gewisse Schärfe zurückweise. Seien Sie halt vielleicht etwas vorsichtiger, eh Sie andere, die Sie kaum kennen, beurteilen bzw. Ihnen leichtfertig wohlfeile Ratschläge meinen erteilen zu dürfen..

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    5. Schauen Sie, wenn Sie mir jetzt noch zeigen könnten, wo genau ich Sie "beurteilt" oder ihnen einen Ratschlag erteilt hätte, dann würde ich ja Ihre Antwort verstehen. Ich habe die sachliche Feststellung gemacht: "Sie würden dürfen". Und diese ist immer noch richtig.

      Daß ich an und für sich eine Situation, in der alle vor sich hingrummeln und der, der dann doch mitsingt Vorwürfe abbekommt, entweder weil er es nicht kann und andere stört oder aber (übrigens) weil er es kann (was wohl oft genug heißt, daß er es *mittlerweile* kann, weil er es auch schon tat, als er es noch nicht konnte) und dann aber nicht gefälligst seine Gemeinde damit auf der Orgelempore beglückt, was dann eigentlich heißt, daß er, will er noch Freizeit haben und sich entspannen oder gar noch Sinnvolles mit Blick über das momentane Tagesprogramm hinaus tun, dann in seinem Beruf mindestens auf Viertageteilzeit, wenn nicht 50% zurückgehen müßte... für nicht ideal finde, gebe ich zu. Aber mein einziger *Ratschlag* wäre, solche Vorwürfe *an andere* doch gefälligst zu unterlassen. Auch wenn man Kaplan oder Musiklehrer ist (tut mir leid übrigens). Dazu rate ich tatsächlich. Den Rest haben Sie hineingelesen.

      Und beurteilen tue ich deswegen, weil jemand aus verständlichen Gründen etwas nicht tut, was auch ich nicht sage daß er müßte und lediglich immerhin trotz dieser Gründe dürfte, schon gar nicht. Wie gesagt: Ich mein' schon das, was ich sage, und nicht noch zehn andere Dinge.

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    6. Diasporakatholik25. Juli 2023 um 07:20

      Ich verzichte weitgehend auf eine nochmalige Replik, da ich meinen Standpunkt in der Frage lauten Singens eines gänzlich dafür Unbegabten, wie ich bin, inmitten einer kirchlichen Gemeinschaft, klar und deutlich schlüssig dargelegt habe.

      Seinerzeitige negative Beurteilungen meines mangelhaften Gesangsvermögens in meiner Jugend durch Musiklehrer und einen Kaplan waren zwar nicht gerade angenehm für mich, sie waren jedoch zutreffend und in meinem Fall auch angebracht. Sie haben mir die Augen und Ohren für meine diesbezügliche Eigenwahrnehmung geschärft und haben mich so vor späteren größeren öffentlichen Blamagen bewahrt.

      Es besteht daher auch kein Anlass, diesbezüglich Mitleid zu bekunden.

      Respektieren Sie halt stattdessen meine auf einem vergleichsweise deutlich längeren Leben beruhende Lebenserfahrung?

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  4. Generell: Au mei, wie viel echt edles Engagement, und dann ist es, was das allerdings nicht Gottes Maßstäben entsprechende Kohlsche Alleinkriterium ("entscheidend ist, was hinten..." betrifft, für die Katz... aber dazu vielleicht später mehr bei Teil 2.

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    1. Diasporakatholik19. Juli 2023 um 18:48

      Dass Helmut Kohl's durchaus zutreffendes Merkwort nicht mit biblischen Aussagen korrespondiert, ist ebenso wenig zutreffend, wie, dass eingeführte liturgische Neuerungen in jedem Falle "edlen Motiven" entstammten.
      Ich erinnere an den Rat des Gamaliel an den Hohen Rat zu dem Wirken der Apostel aus Apg 5,38 - 39:
      "Ist dies Vorhaben oder dies Werk von Menschen, so wird's untergehen; ist es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten ..."

      Wie sind in diesem Zusammenhang wohl viele vorgeschlagene und eingeführte liturgische Neuerungen, die sang- und klanglos nach geraumer Zeit wieder verschwunden sind samt ihrer Befürworter, wohl zu bewerten?

      "Menschenmachwerk aus Wichtigtuerei und.ä." sage ich dazu.

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    2. Schauen Sie, Sie müssen mich ja nicht mögen, aber wenn Sie auf meinen Kommentar schon eingehen wollen, dann doch bitte auf das, was ich gesagt habe und nicht das, was Sie sich denken, worauf ich vielleicht hinauswill.

      Daraus, daß ich gemäß der Schilderung in diesem Artikel das edle Engagement von Pfarrer Zenetti anerkenne, folgt nämlich *nicht*, daß die von ihm vorgeschlagenen Lösungen meiner Meinung nach richtig sind. Das eine folgt einfach nicht aus dem anderen, klar? Was ich übrigens auch bei passender Zeit (also ungefähr jetzt) zwar noch weiter ausführen wollte, aber tatsächlich auch hier schon eigentlich ausdrücklich gesagt habe, nämlich indem ich das bedauert (und damit anerkannt) habe, daß das ganze nach menschlichem Ermessen für die Katz gewesen ist.

      Und nur weil es in unserem Lager so üblich geworden ist, gute Absichten für fast schon schlimmer zu halten als schlechte Absichten, ist es noch nicht richtig: es sollte doch wirklich eine Binsenweisheit sein, daß der Herrgott auf das Herz sieht und der immer noch der beste Realpolitiker ist? Es ist zwar entgegen anderslautenden Gerüchten "gut" *nicht* das Gegenteil von "gut gemeint", aber *wenn es so wäre*, hätten wir selbstverständlich die moralische Pflicht, uns *auch bei dieser Auswahlmöglichkeit für das gut Gemeinte zu entscheiden*.

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    3. Diasporakatholik25. Juli 2023 um 08:50

      Vielleicht habe ich hier sehr bzw. etwas ZU scharf reagiert in Bezug auf liturgische Neuerungsvorschläge.

      Aber ich habe im Laufe der vergangenen fast 5 Jahrzehnte einfach so vieles erleben und hinnehmen müssen, was sich aber in den allermeisten Fällen NICHT BEWÄHRTE und sang- und klanglos wieder verschwand. Oft mitsamt der einstigen Protagonisten.

      Jetzt habe ich einfach genug davon - derb formuliert:

      "Schnauze voll".

      Oder bayrisch:

      "I mog halt nimma.
      Lasst' mia mei Ruah' z'm Beten."

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  5. Interessant ist ja zunächst einmal mit dem vorkonziliaren Niedergang. Mir scheint es ja, es ist damit wie mit dem Klimawandel: einige Leute meinen, deswegen, weil es um die Kirche vor dem Konzil schlecht gestanden habe, sei das Konzil und was es gebracht habe das Mittel dagegen. Und wieder andere mögen das nicht, und einige von ihnen (mir scheinen sie ja wenige zu sein, aber es gibt sie) bestreiten dann tatsächlich das erste. Tatsächlich hat das Konzil, wenn auch auf andere Weise und mit geringerer Verbindlichkeit als für Konzile üblich, das getan, wofür Konzile da sind: theologische Streitfragen geklärt. Einiges davon ist durchaus sehr hilfreich, so die Erörterungen in Ad gentes: zu der (im Hintergrund stehenden) Frage "gesetzt, wir gehen, was wir ja eh immer davon taten, davon aus, daß die Pforten des 'achten Sakraments Unwissenheit' recht weit offenstehen, warum missionieren wir denn *dann* eigentlich" hatte sich das Lehramt noch nicht geäußert.

    Wie freilich aus dem Klären theologischer Streitfragen, notwendig und hilfreich, wie es sein mag, der Riesenaufbruch entsteht, muß mir eigentlich noch mal jemand erklären. Das scheint mir eher an dem, immerhin, großen Glaubensevent zu liegen, das es ja auch war (das Konzil als mehrjähriger Weltjugendtag...) aber leider wohl auch daran, daß manche sich dachten: jetzt verändert sich die Kirche, also verändert sich das, was uns *wirklich* interessiert (mal ehrlich, den Rest sollen die Theologen unter sich klären): Die Moral wird vereinfacht. Und dann kommen bestimmt die anderen alle wieder rein, nicht, denn das einzige was die ferngehalten hat waren ja die Ansprüche an die Lebensführung?

    Nun, ein wenig war da vielleicht tatsächlich zu tun, wenn auch weniger zum Anlocken neuer Mitglieder als deswegen, weil auch gut ist, wenn die bestehenden Bürden, die tatsächlich nicht nötig sind, nicht haben. Vorstellungen wie, daß ein Ehepaar für die *natürliche* Familienplanung (Situationen, in denen *dauerhaft überhaupt keine* Kinder gewollt werden, wohl ausgenommen) eines über "wir wollen Spaß am Sex miteinander haben, und nach einem Kind ist uns gerade nicht" hinausgehenden Entschuldigungsgrunds bedürfe, oder daß schamlose Mode die sei, die soundsoviele Zentimeter unterschreite, oder alle diese Vorsichtsgeschichten...: vielleicht ganz exemplarisch zu nennen der Index der verbotenen Bücher. *Er hatte schon seinen Sinn*: man glaubt gar nicht, wie viele etwas beschränkte Zeitgenossen alles glauben, was sie irgendwo geschrieben sehen. Aber daß auch der in seinem Glauben dann doch einigermaßen gefestigte, gebildete Katholik um eine Genehmigung nachsuchen mußte, war mindestens problematisch, und daß er ohne ein konkretes Projekt sei es innerlich, sei es von außen, sich "wer steht, sehe zu, daß er nicht falle" anhören muß, falsch. Ein bißchen Freimut muß schon auch sein. Vor allem aber: Was wurde auf den nicht alles draufgeschrieben! Was bitte hat ein schwer katholisches Werk wie "Salammbô" oder, wobei ich das erst noch selber lesen muß, ich urteile nach der Inhaltsangabe, "Madame Bovary" bitte auf dem Index verloren? Weil die Karthager nunmal Heiden waren, möge man es unterlassen, sie mehr als nur oberflächlich zu schildern? Man möge doch das Triggern der anständiger konservativen Klassen nicht mit Glaubensgefährdung verwechseln.

    Wie sich aber herausgestellt hat: gewisse solche Dinge nerven den Katholiken, und wenn man das abstellen kann, ist es gut; sie sind aber offensichtlich nicht der Grund, warum der Draußenstehende draußensteht. Und weiter gings halt irgendwo nicht. Vielleicht wollte man nicht nur, um selber sündigen zu dürfen, sondern auch aus der ehrlichen Absicht, wenn man noch *etwas* mehr nachließe, *dann* würden die Leute aber wirklich kommen... dann halt auch weitergehen, als man durfte.

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  6. Ansonsten haben wir ja vor allem die deutschen Verhältnisse in den 1950ern vor Augen. Und da muß man sagen: es tut zwar ein wenig weh, Erik Flügge rechtgeben zu müssen, aber die damals sehr *hohe* Kirchlichkeit war ziemlich eine Folge von Nazizeit und Zweitem Weltkrieg (sowie Währungsreform) gewesen. Not lehrt beten, und ernsthafte Schuld vergeben nur katholische Priester, und so. Daß sich das teilweise wieder verlernt, jedenfalls aber nicht automatisch auf die nachfolgende Generation überträgt, die wieder normal leben kann *und will* und damit auch erstmal Recht hat, ist, leider, nachvollziehbar.

    Und dann gibt es halt schon auch Ältere, die sagen: "Wennst mir nicht gàngst mit eurer engagierten, jugendlichen Bewegung! Schau doch mal, wer heutztag engagiert ist: die Kommunisten!" und mancher von ihnen mag, wenn er ehrlich ist, anfügen: "Ich war das ja auch mal, Mitglied einer engagierten Jugendbewegung. Aber damals waren wir *Nazis*. Das war dann auch nicht recht. Aber jetzt hab ich Deutschland mit wieder aufgebaut und genieße meinen Wohlstand. Was wollt ihr denn noch alles von mir!" Daß später tatsächlich Nazis gern mit Spießern verwechselt wurden, beißt sich damit, daß sich der Nationalsozialismus streng gegen die gerichtet hat und das nicht nur Rhetorik war, sondern für den unvoreingenommenen Beobachter auch dem Augenschein entsprach... aber wenn man auf die *desillusionierten ehemaligen* Nazis schaut, erklärt es sich vielleicht zum Teil.

    Keine günstigen Voraussetzungen.

    Aber: "Gemeinsames Gebet, abendlichen Schriftlesung, religiöses Gespräch, vielfältiges Brauchtum"... ersteres, letzteres ja. Aber was für ein Bild hat Pfarrer Zenetti denn von der gläubig katholischen Familie? Abendliche Schriftlesung? Am Abend wird gegessen, und davor oder danach betet man vielleicht den Rosenkranz oder die liturgisch begeisterteren die Komplet oder sogar Vesper. Und dann liest man Bücher oder schaut Fernseh, und warum eigentlich nicht, aber dazu in einem späteren Kommentar. Gemeinsame Schriftlesung ist nunmal bisher kein wirklich verbreiteter katholischer Brauch, sondern wenndann die Lectio divina jeder für sich, oder aber das (völlig legitime!) Eingetränktsein in Schriftverse, das die einigermaßen aktuos mitvollzogene Liturgie ganz allein mit sich bringt. Man kann zusätzliche Bräuche einführen, aber man sollte sich nicht wundern, daß es sie noch nicht gibt. (Und eine Familienschriftlesung scheint mir eher auf den Sonntagnachmittag zu passen.) Und religiöses Gespräch? Das läuft doch eher unter "dann und wann, wenn das Thema aufkommt"... und zwar weil die Familie, auch unsere ideale katholische Familie, schon gläubig *ist*. Sicher muß man manchmal mit neuen Lagen im Glauben fertigwerden, und speziell dann wird man religiöses Gespräch vorfinden, und es wird ganz natürlich kommen. Aber solange es das nicht braucht... Mehr Beten ist (i.a.) gut. Mehr Schriftlesen ist (i. a.) gut (und wieder, das Gespräch darüber kommt dann schon). Aber man muß es, auch beim Anstreben eines Ideals, m.E. nicht darauf anlegen, häufiger religiöses Gespräch zu betreiben als die Jugend 2000 beim Ratschen nach der Holy Hour.

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  7. "und die Form, wie die Messe gestaltet war, konnte im Sinne der Neuregelung der Liturgie durch das Konzil durchaus würdig und gerecht genannt werden"

    Ach ja, die Neuregelung der Liturgie durch das Konzil. Mir scheint ja (das wird nicht verwundern) der ganze Zenettische Enthusiasmus, lobenswert wie er ist, doch darauf hinauszulaufen, die elementare Grundregel der Lebenspraxis zu vergessen, daß man mit Speck (oder besser mit Hanuta) Mäuse fängt. Moderne Moralprediger gehen ja davon aus, daß gute Taten ihren Wert in sich tragen (was stimmt) und deshalb gefälligst getan werden sollten (was auch stimmt), weshalb Belohnungen dafür geradezu unrein wären, daß die die Motivation verdürben. Aber der Heiland ist schlauer als sie. "Every day when I’ve been good, I get an orange after food. To the man made ignorant by experience this always appears as a vulgar bribe to the child. ... But it does not seem like that to the child. ... For the child is not a Manichee. He does not think that good things are in their nature separate from being good. ... To him the goodness and the gift and the golden apple, that is called an orange, are all parts of one substantial paradise and naturally go together."

    Was ja das Konzil übrigens implizit auch selber sagt, Quelle und Höhepunkt und so.

    Und das ganze übrigens auch dann, wenn die fraglichen Mäuse (wie immer, und zumindest zum Gutteil wohl zutreffend, behauptet wird) den Speck seit langer Zeit verschmähen und erstmal an ihn gewöhnt werden müssen. Leute mit edlen Aktionen ködern und zu hoffen, daß sie dann irgendwann auch mal begeistert im Gottesdienst sind, mag ja im *Einzelfall* mal klappen, hat aber etwas von "das ist als Richtung doch widersinnig". (Okay, außer vielleicht es geht um Müllsammelaktionen von Jugendlichen. Auf Lastwägen zu springen und wieder runter, durch Fußgängerzonen zu fahren und am Sammelplatz Würstel zu essen macht *Spaß*. Aber ich schweife ab.)

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  8. >>Im Übrigen erhofft sich Zenetti Impulse für die Gemeindeerneuerung von "neuen Formen im Gottesdienst" jenseits der liturgisch strikt festgelegten Heiligen Messe.

    Sehr richtig. Es muß offensichtlich liturgische Kreativität geben, und der Raum dafür ist allerdings nicht die Messe (bei aller Toleranz oder auch Befürwortung dafür, zusätzlich oder gelegentlich sogar anstatt der Gregorianik oder der komponierten Orchestermesse ein Kirchenlied zu singen und das Reservoir dafür sogar zu erweitern).

    Ein praktischer Vorteil ist übrigens auch: Was man auch tut, um sie vergessen zu machen, ganz vergessen ist die Sonntagspflicht nicht. Daher kommen zum Lobpreisabend und zur gestalteten Eucharistischen Anbetung und zum Glaubensvortrag und zum (ja auch innovativ gestaltbaren) Kreuzweg Leute, die zu ganz genau dieser Gottesdienstform *wirklich* wollen. Man hat ja auch so sein Lagerdenken und es *stimmt* ja, daß so gut wie nichts über den Wert der Hl. Messe geht, und Quelle und Höhepunkt, und so, aber meinem alten Diakon, der einmal die "Ver-Meß-ung des religiösen Lebens beklagte".

    Und ich will mühevoll objektiv sein, denn ich schlafe gerne lang, vor allem am Werktag, an dem man zur Arbeit geht und den Gottesdienstbesuch allenfalls zusätzlich "unterbringt", nicht wie hoffentlich dann doch am Sonntag den ganzen Tag danach ausrichtet, man ist ja dann schließlich doch Laie...: ich habe sehr sehr viel von Abendmessen profitiert (wie ich ja auch sehr sehr viel von der schulklassenweisen Erstkommunion profitiert habe. Aber objektiv gesagt hätte man sie *vielleicht* (das ist Brainstorming und ich bin mir nicht sicher!) doch nicht (oder viel restriktiver) einführen oder gar im Zuge der konziliaren Neubesinnung gar wieder beschränken sollen (wir erinnern uns: bis zum Ende des zweiten Weltkrieges hatte es Jahrhunderte hindurch keine Abendmesse gegeben). So muß häufig genug der Lobpreisabend nicht nur mit der Theatervorstellung, sondern auch mit der Messe (selbst wenn sie *davor* angesetzt ist; "dann bin ich zwei Stunden weg, und so schön beten ist, anstrengend ist es dann schon irgendwann") konkurrieren. Und natürlich: was immer das II. Vaticanum an praktischen Regeln über das Stundengebet mit sich bringt und daran zu kritisieren ist: damit, daß es die Vesper-mit-Eucharistischem-Segen an Sonn-und Feiertagen in den Pfarrkirchen sehen will (SC 100; von Eucharistischem Segen ist da nicht ausdrücklich die Rede, er war, *wenn* Vesper, damals aber üblich) hat es offensichtlich Recht: aber in der Praxis beißt sich sie regelmäßig mit der Abendmesse. Also außer natürlich, man ist *Engländer*. Dann bekommt man das auch *so* hin. - In der Frühzeit der Kirche war interessanterweise tatsächlich das Offizium die öffentlich zugängliche Werbeveranstaltung (wenigstens nach den großen Verfolgungen), die Messe für die Eingeweiten (deswegen wird das Vaterunser im Offizium *still*, in der Messe *laut* gebetet, weil es den Ungläubigen nicht bekanntgemacht ist; der hl. Benedikt führte aber wohl eine wöchentliche Ausnahme ein, um die Mönche zu erinnern, sich gegenseitig die Schuld zu vergeben). Sinnvoll wäre so eine Vesper wohl schon. Und wer sonntags in der Früh keine Messe erwischen konnte, der muß sich abends ja nur dann wegen einer abhetzen, wenn er grundsätzlich die Möglichkeit hat... der Schichtarbeiter kommt dann mal am Werktag... wer verschläft, kann das gleich nach der Vesper beichten... und unsere Moraltheologen, vielleicht auch der kirchliche Gesetzgeber, erörtern, wie oft vielleicht auch bloße Rekreation das Fernbleiben entschuldigt ...

    Man entschuldige die Abschweifung.

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    1. Dem besagten Diakon (Gott hab ihn übrigens selig)

      … muß ich mittlerweile fast bestimmen.

      (Der Halbsatz hat gefehlt.)

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  9. >>Dem zuletzt zitierten Satz würde ich ja "an sich" gern zustimmen; was ich jedoch nicht verstehe und nie verstehen werde, ist, wie man glauben kann, man könne dem Ruf Gottes die erwünschte Wirkung dadurch verschaffen, dass man ihn dem Klang dessen angleicht, was der Mensch aus seinem "außerkirchlichen" Alltag sowieso kennt und gewohnt ist. Das ist gerade keine "Verfremdung" im Brechtschen Sinne, sondern eher eine "Verbekanntung".

    Sehr wahr. Allerdings wird man wohl, außerhalb religiöser Zirkel sagen-wir über das Verkündigungsevangelium spricht, den Satz "wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne" dann doch ganz automatisch doch eher so zitieren: "wie soll'nn das gehen, ich schlaf' ja mit keinem Mann". Und statt "sündigen" (was ganz zu Unrecht in etwa als das verstanden wird, was die aszetische Literatur "Unvollkommenheiten begehen" nennt) dann doch eher "Mist bauen" u. dgl. sagen.

    >>Zenetti, der heute wohl hauptsächlich als Texter des Liedes "Das Weizenkorn muss sterben" und Übersetzer von Huub Oosterhuis' "Ik sta voor U" ("Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr") bekannt ist.

    Ach mei. Und zwar "ach mei" weniger wegen "Ik sta voor U", sondern, Überraschung, eher wegen "das Weizenkorn muß sterben".

    "Ich steh vor Dir mit leeren Händen, Herr" ist ja als Gottesdienstlied nicht geeignet (wer käme sich den *nicht* undankbar vor, dem Eucharistischen Heiland "fremd wie Dein Name sind mir Deine Wege" vorzusingen? Selbst wem, von Schicksalsschlägen gebeutelt, die Wege des Herrn tatsächlich fremd sind, Seinen Namen hat er uns *doch* bekannt gemacht, und wir wissen auch, daß Er noch anderen Segen als den Tod hat, ja mehr noch: der Getaufte hat ja den Tod, den das suchende lyrische Ich meint, eigentlich schon *hinter* sich)... aber immerhin ist das ein faszinierender (an Mitlesende: *ich meine das im Wortsinn, es ist keine Empfehlung!!!*) Text. Aber "das Weizenkorn muß sterben"? Das Lied ist zweifellos völlig orthodox. Es enthält zweifellos viele Selbstverständlichkeiten. Es sollte sogar hin und wieder gesungen werden (auch um nicht falsch verstanden zu werden), auch Selbstverständlichkeiten muß man ja gelegentlich hören und sich, soweit es (hier: Strophe 3,4) um moralische Vorsätze geht, sich ausdrücklich vornehmen. Ja. Ja. Aber die Kirche in ihrer Weisheit hat dem Lied einen ganz genauen liturgischen Platz zugeordnet: es wird, wenn überhaupt, dann während der Fastenzeit zum Offertorium gesungen: ein langsames Lied mit einer Begleitung in Moll, das die Hingabe durch den Tod zum Thema hat und eigentlich für die ganze Nichtfastenzeit viel zu wenig fröhlich ist, *das* ist der Signature Song eines der Anführer der engagierten jugendlichen Kirche seiner Zeit? Ich kann es mir leider nicht verkneifen, daß bezeichnend zu finden.

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  10. Diasporakatholik24. Juli 2023 um 14:11

    Zum Oosterhuis-Lied Nr. 422 "Ich steh vor dir mit leeren Händen":

    Zumindest die ersten beiden Strophen davon sind für meine Frau und mich völlig unzutreffend - wir boykottieren sie.

    Mag sein, dass ein glaubenszweifelnder Mensch sie für sich passend empfindet.

    Allerdings las ich vor kurzer Zeit anlässlich Oosterhuis' Dahinscheiden von dieser Welt, er habe besagtes Lied seinerzeit zum Tod und Trauerfeier eines jungen Mannes geschrieben.

    Dafür mag es durchaus passend gewesen sein wie es allerdings Eingang ins "Gotteslob"-Gebetbuch und dann auch noch in Gemeindegottesdiensten finden und gar unkritisch mitgesungen werden konnte...?


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    1. Das auch. Aber von einem Kleriker darf man erwarten, daß er sich von Gefühlen nicht mitreißen läßt, sondern seine Gedichte so hinkorrigiert, daß sie außerdem sachlich richtig sind. Das bekomme ich doch im Zweifelsfall auch hin (mit Verlaub), und ich bin Laie. Und ein getaufter und halbwegs praktizierender, vielleicht sogar gelegentlich betrachtender und persönlich betender Mensch kann nuneinmal nicht wahrheitsgemäß sagen oder singen "fremd wie Dein Name sind mir Deine Wege". Die Wege, mag sein; gerade nach so einem Schicksalsschlag. Aber Gottes Name ist uns objektiv nicht fremd. Unsere Lage ist nicht die Abrahams vor dem Auszug.

      Sicher, von irgendeinem Feldwaldundwiesenlaien, der ganz einwandfrei gläubig fühlt und dann halt löblicherweise irgendwas dichtet, wird man solche Präzision nicht erwarten. Aber von einem, der das studiert hat?

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  11. Der Kommentar hierzu fehlt noch:

    >>während das Vergnügungsprogramm, das Fernsehen im Mittelpunkt stehen (bezeichnenderweise 'Zerstreuung' statt 'Sammlung')

    Ach ja, ach ja, ach ja: Die anständigen Leute sind gegen immer gegen die neueste Art von Spaß; die zweitneueste ist dann aber ein edles Kulturgut. Und wer dann behauptet, daß von zwei Platten, Wagners "Ring des Nibelungen" (okay, der ist auf mehreren Platten) und Meat Loafs "Bat out of Hell" genau eine einen der grundlegenden Ordnung der Dinge wohlwollenden Inhalt hat (vulgo konservativ ist) und die andere nicht (vulgo rebellisch ist)... und selbstverständlich Wagner von den beiden der Rebell ist... der ist dann vermutlich ein gefährlicher Intellektueller. Jaja.

    Ist man zu mißgünstig, wenn man bei einem aktivistischen Pfarrer auch noch vermutet, er fasse die Religion als Konkurrenten auf?

    Und wenn jetzt einer sagen würde, okay, den Fernseher mögen sie nicht, aber dann wird eben meine Frau (ich habe noch keine, aber jetzt mal aus der Perspektive eines 1960er Ehemanns gesprochen, der seine Frau auf einem Beatleskonzert kennengelernt hat, aber trotzdem auch mal ein bißchen altmodisch ist) sich "Sergeant Pepper's Lonely Heart Club Band" auf Platte reinziehen und dazu zwei reichliche Glas Wein trinken, während ich ins Wirtshaus gehe... wäre ihm das denn dann lieber?

    Dafür gäbe es ja wohlgemerkt Argumente. Video killed the radio star, und selbstverständlich verdient die Wirtshauskultur das Überleben (um ja nicht falsch verstanden zu werden)... ich will nur darauf hinaus, daß *ihm* der Effekt von "kein Fernseher" vielleicht nicht unbedingt gefallen würde, selbst wenn er möglicherweise mir gefallen würde. Ob ihm bewußt ist, daß fünfzig Jahre später sich die Leute nach der guten alten Zeit zurücksehnen würden, wo es nur mehr oder weniger ein Fernsehprogramm gab und sich die ganze beschauliche Kleinfamilie am Samstagabend um dieses Gerät versammelte, um "Wetten daß?" zu schauen?

    Aber ja, wenn man natürlich es für ein Gebot hält, daß die Leute zur Pflege ihres religiösen Lebens sich zur gemeinsamen Schriftlesung und religiösem Gespräch in der Familie treffen, das dann irgendwo zwischen dem Gespräch über das schulische Vorankommen des ältesten Sohnes, die Schikanen, die der eher handwerklich orientierte zweite von seinem Lehrmeister zu ertragen hat, dem Lob an die Hausfrau für das exzellent gekochte Abendessen und ein paar Bemerkungen zur allgemeinpolitischen Lage und zu den Ereignissen in der Firma des Vaters dazwischenmogeln müssen... dann wird man darüber, für die knappen Zeit Konkurrenzangebote zu bekommen, nicht glücklich sein.

    Aber Schlachten, die man vermeiden kann (und man kann sie, denn Unterhaltung und Vergnügung fällt *eben sehr wohl* unter "nichts ist verwerflich, wenn es mit Dank genossen wird"), sollte man besser vermeiden, denn wenn man gegen die Natur des Menschen rebelliert, pflegt sie sich zu wehren.

    Auf Dauer muß man den Leuten daher mit *schmackhaften* religiösen Übungen kommen, und zwar insbesondere bei den nichtverpflichtenden.

    Und natürlich darf man außerdem nichts Falsches tun, auch nicht, damit nicht etwas richtiges daraus entstehe, aber erfreulicherweise führt das Verwässern auch praktisch allenfalls ganz selten dazu, daß das Verwässerte dann besser schmeckt. Und es kann durchaus Spaß machen, z. B zu fasten. (Der wird einem aber in der Tat verleidet, wenn noch der unmerklichste innere Schulterklopfer "das hast du jetzt geschafft" gleich wieder getadelt wird, als ob er eine Sünde wäre, und allzuviel Kritik, zumal öffentliche, am Umfang der Fastenmahlzeit gemacht wird. Man darf das Bessere nicht zum Feind des Guten werden lassen.)

    Also (aus dem Bauch heraus): keine gemeinsame Schriftlesung im Familienkreis mit anschließendem religiösem Gespräch, sondern Eucharistische Anbetung außerhalb desselben, gerne in der Tat mit Bibelwort, mit anschließendem gemeinsamem Wirtshausbesuch.

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