Grüße aus Hamburg, Freunde! Ich hatte ja vorige Woche bereits angedeutet, es sei unsicher, ob wir heute zur üblichen Zeit der Wochenbriefing-Veröffentlichung an einem Ort sein werden, an dem wir Internetzugang haben; und um diesbezüglich ganz sicher zu gehen, erscheint dieses Wochenbriefing schon ein paar Stunden früher als gewohnt – solange wir noch in Hamburg sind. Es ist nämlich so, o Leser, dass wir von hier aus eine Schiffsreise antreten, und auf See ist das mobile Netz wohl eher nicht so zuverlässig. Aber dazu später! Vorrangig geht's in diesem Wochenbriefing erst mal darum, was wir erlebt haben, solange wir noch in Berlin waren; aber ein paar Blicke über den Tellerrand des Selbsterlebten hinaus dürfen auch nicht fehlen...
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| Symbolbild, gesehen am S-Bahnhof Schulzendorf |
Niemand hat gesagt, dass es einfach sein würde
Schon vor längerer Zeit hatte ich mit der Tagespost-Redakteurin für das Ressort "Ehe und Familie" vereinbart, neben meiner regelmäßigen Kolumne "Klein.Kram" auch mal etwas für die Elternkolumne zu schreiben – deren Reihentitel auffallend ähnlich lautet wie der meiner laufenden Wochenbriefing-Reihe, nämlich "Kinder, Küche, Kirche". Das Thema für meinen ersten Beitrag zu dieser Rubrik fiel mir geradezu in den Schoß, in Gestalt eines außerordentlich chaotischen Einstiegs in die Herbstferien. Erschienen ist dieser Beitrag noch nicht, trotzdem bzw. gerade deswegen will ich dem, was ich dort geschrieben habe, hier und jetzt nicht vorgreifen; erwähnt sei hingegen, dass wir es in all dem Durcheinander doch noch schafften, wie beabsichtigt zum Infotag des Familienprogramms der Gemeinde auf dem Weg zu gehen, der bei Galeria in der Tegeler Fußgängerzone stattfand.
Dort wurde – auf einer gar nicht mal so großen "Aktionsfläche" zwischen Schuhregalen und Schmuckauslagen – so allerlei geboten, von Gratis-Popcorn über Torwandschießen bis hin zu verschiedenen Spiel- und Bastelangeboten. Zudem kannte ich dort eine Menge Leute – hauptsächlich von der "Rumpelberggruppe", zu der ich mit meinem Jüngsten, solange er noch nicht in der KiTa war, ein- bis zweimal pro Woche gegangen war, aber auch von dem unlängst zu Ende gegangenen Eltern-Glaubenskurs; auch der Trainer der Fußballgruppe, bei der ich im September einmal mit dem Tochterkind und einer Schulfreundin gewesen war und zu der ich nach den Herbstferien gern mal wieder gehen würde, war da. Nicht vertreten waren hingegen die Royal Rangers – schade eigentlich, aber man kann nicht alles haben. Ausgiebig beworben, mit Flyern und Plakaten, wurde bei diesem Infotag ein Konzert des christlichen Kinderliedermachers Mike Müllerbauer, das Ende November in der Gemeinde auf dem Weg stattfinden soll:
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass wir – allerdings ohne das Tochterkind, das zu dieser Zeit auf Schulfahrt war – schon vor rund eineinhalb Jahren bei einem Konzert von Mike Müllerbauer am selben Ort waren, und es war super. Folglich wollen wir da natürlich auch diesmal wieder hin.
Als wir wieder zu Hause waren, nutzte ich einen vergleichsweise ruhigen Moment, um das Buch zur Hand zu nehmen, das ich zum Abschluss des Eltern-Glaubenskurses in der Gemeinde auf dem Weg geschenkt bekommen hatte: "Empower – Mit Glaube und Leichtigkeit durch das Abenteuer Erziehung" von Tobias Teichen. Ich las erst mal nur die erste Seite, oder genauer gesagt las ich sie meiner Liebsten und unserer alleinerziehenden Freundin, die mit ihrem Sohn zwecks gemeinsamen Kochens und Essens mit zu uns gekommen war, vor. Und ich möchte sagen, es war genau der richtige Impuls für diesen Moment im Auge des Sturms – eines Sturms, der von lauten, überdrehten, Chaos verbreitenden Kindern erzeugt wurde. Diesen Moment des Durchatmens, bevor das Doppelstockbett im Kinderzimmer zusammenkrachte. Ich habe inzwischen noch ein paar Seiten weitergelesen. Es ist ein gutes Buch. Ich komme sehr langsam damit voran, weil ich jede Seite, eigentlich sogar jeden Absatz, erst mal eine Weile "sacken lassen" muss. Irgendwann nach Weihnachten bin ich vielleicht so weit, eine Rezension für die Tagespost zu schreiben, wenn mir bis dahin nicht jemand anderes zuvorgekommen ist.
Tea-Time in Tradistan
Ich hatte es schon angekündigt: Am vergangenen Sonntag waren wir nicht in unserer Wahlpfarrei in der Messe, sondern ausnahmsweise mal in St. Afra im wenig idyllischen Stadtteil Gesundbrunnen, wo das Institut St. Philipp Neri die außerordentliche Form des Römischen Ritus pflegt (mit dieser Formulierung zitiere ich mich schon zum wiederholten Male selbst, aber ich finde daran einfach nichts zu verbessern). Zuletzt waren wir zu Pfingsten 2023 dort gewesen, und ich muss sagen, ich war überrascht, dies festzustellen; in meiner Erinnerung war mir die Zeit seit unserem letzten Besuch dieser Kirche gar nicht so lang vorgekommen. Besonders bei meiner Liebsten war allerdings die Erinnerung daran noch sehr präsent, dass sie bei diesem letzten Besuch – nach Ende der Messe – heftig mit einer Frau aneinander geraten war, die unseren damals zwei Jahre alten Jüngsten recht grob daran gehindert hatte, den Gang entlang nach vorn in Richtung Altarraum zu laufen, und diese unerquickliche Erinnerung war wohl ein wesentlicher Grund für unser langes Fernbleiben gewesen. Derartige Erlebnisse blieben uns diesmal jedoch erspart. Leute, die auf Störungen durch kleine Kinder aggressiv reagieren, kann man, wenn man Pech hat, in so ziemlich jeder Kirchengemeinde antreffen, aber sie sind nicht unbedingt prägend für die Gesamtatmosphäre. In St. Afra waren an diesem Sonntag verhältnismäßig viele Familien mit Kindern, darunter einige Jungs im Alter unseres Sohnes, und obwohl ein paar von ihnen Trachtenjanker trugen, verhielten sie sich nicht unbedingt leiser und disziplinierter als er; wir fielen also nicht besonders auf. – Nach dem im alten Ritus verwendeten liturgischen Kalender war nicht der 29. Sonntag im Jahreskreis, sondern der 19. Sonntag nach Pfingsten, und so hörten wir im Evangelium nicht das Gleichnis von der Witwe und dem ungerechten Richter (Lukas 18,1-8), sondern das vom königlichen Hochzeitsmahl (Matthäus 22,1-14). Eine Auslegung zum Evangelium, die von keinem Geringeren als Papst Gregor dem Großen stammte, war in der Gottesdienstbroschüre abgedruckt, und so konnte sich der Zelebrant, Propst Martin Piranty, in seiner Predigt auf ein anderes Thema konzentrieren, nämlich auf die Vita des armenischen Märtyrers Ignatius Maloyan, der an diesem Sonntag in Rom heiliggesprochen wurde. Da hörte auch das Tochterkind einigermaßen aufmerksam zu.
Die Liturgie war so feierlich und würdevoll, wie man es erwarten durfte; gleichwohl stellte ich wie schon bei früheren Gelegenheiten erneut fest, dass ich mich in der ordentlichen Form doch mehr zu Hause fühle – vorausgesetzt natürlich, sie wird auch ordentlich zelebriert und nicht unordentlich. Keinerlei Verständnis habe ich indessen für die Auffassung, es sei irgendwie illegitim, tadelnswert oder extremismusverdächtig, die Feier der Liturgie nach dem Messbuch von 1962 zu bevorzugen, und diese Form des Ritus solle wenn schon nicht verboten, so doch zumindest möglichst weit eingeschränkt werden. Ja, das darf durchaus (nicht-nur-aber-auch) als Kommentar zu Traditionis Custodes verstanden werden. Es ist sicher nicht gänzlich von der Hand zu weisen – ich jedenfalls bestreite es nicht –, dass eine besondere Vorliebe für die traditionelle Liturgie mit problematischen Anschauungen auf theologischem (Stichwort: Ablehnung des II. Vatikanischen Konzils) wie auch auf politischem Gebiet einhergehen kann – aber "kann" heißt nicht "muss", und "einhergehen" bedeutet ja auch nicht, dass das eine mit dem anderen schlichtweg identisch wäre. Auch dass die Anhänglichkeit an die Tradition zu einer rein rückwärtsgewandten, der Gegenwart und Zukunft gegenüber unfruchtbaren Haltung und/oder in musealem Ästhetizismus erstarren kann, ist ein Kann und kein Muss. Der eigentliche Twist an der Geschichte ist aber: Gerade weil es diese Tendenzen eingestandenermaßen gibt, täte die Kirche gut daran, auf die Anhänger der traditionellen Liturgie zuzugehen und sie einzubinden, statt sie an den Rand zu drängen; denn gerade letzteres führt geradezu zwangsläufig dazu, dass die unerwünschten Tendenzen verstärkt werden. Das war die Weisheit von Summorum Pontificum – eine Weisheit, an der es Traditionis Custodes, mit allem Respekt gesagt, auffallend mangelt. Wohl kaum etwas trägt so zuverlässig zur Radikalisierung bei, wie mit Leuten, die erheblich radikaler sind als man selbst, in eine Ecke gestellt zu werden.
Übrigens möchte ich insbesondere den Fans von Verschwörungsnarrativen nach Art des Monitor-Beitrags "Gotteskrieger: AfD und radikale Christen" nicht die Information vorenthalten, dass ich Beatrix von Storch in der Kirche gesehen habe. Hedwig von Beverfoerde übrigens auch. Beide waren hinterher auch noch bei der Gemeinde-Kaffeetafel anzutreffen. Ich habe nicht mit ihnen gesprochen, muss aber sagen, sie wirkten auf mich wie ganz normale Frauen, die halt sonntags zur Kirche gehen und anschließend noch mit anderen Leuten aus der Gemeinde einen Kaffee trinken. Das mag banal klingen, aber ich glaube tatsächlich, für viele unentwegte Kämpfer gegen Rechts wäre es völlig unvorstellbar, sie so zu sehen – und damit fängt die Dämonisierung und Dehumanisierung politischer Gegner schon an, dass man nicht mehr in der Lage ist, sie sich in ganz normalen und alltäglichen Situationen vorzustellen. Und ehe man sich's versieht, ist man bei "Das ist ein Schwein und kein Mensch, und natürlich kann geschossen werden".
Nebenbei sei angemerkt, dass ich mich im Anschluss an die Messe in St. Afra auch ein bisschen in meiner "Nischenprominenz" sonnen durfte, insofern, als wir von mehreren Leuten angesprochen wurden, die mich kannten – von Lebensschutz-Veranstaltungen, von Vorträgen oder aus der Tagespost; ein paar von ihnen fragten hoffnungsvoll, ob wir in Zukunft öfter hier zur Messe gehen würden. Der erfreulichste Aspekt unseres Messebesuchs in St. Afra an diesem Sonntag – und ehrlich gesagt auch der Hauptgrund dafür, dass wir dort hingegangen waren – war es jedoch, dass wir dort meinen Küchenteam-Kollegen vom Wölflingslager und seine Tochter trafen, mit der unser Tochterkind sich ja so innig angefreundet hatte. Die beiden Mädchen waren ganz aus dem Häuschen über das Wiedersehen, und nachdem sie eine Weile – zeitweilig zusammen mit weiteren Kindern, die in der Messe gewesen waren – durch den Innenhof von St. Afra getollt waren und dann bei der schon erwähnten Gemeinde-Kaffeetafel Kekse gefuttert hatten, gingen wir noch gemeinsam essen in einem nahegelegenen vietnamesischen Restaurant und dann noch auf einen Spielplatz im Mauerpark. Mit meinem Küchenteam-Kollegen unterhielt ich mich dabei wieder sehr angeregt, und auch unsere Frauen verstanden sich gut miteinander. Kaum nennenswerte neue Erkenntnisse gab es dabei indes dazu, wie es mit unseren Mädchen und der Pfadfinderei weitergehen soll: Die Idee, eine neue KPE-Gruppe aufzubauen, die deutlich weiter im Norden Berlins beheimatet sein soll als die bisher bestehende, ist weiterhin nicht wesentlich mehr als eine Idee; dauerhaft und regelmäßig bei den KPE-Wölflingen im Süden Berlins mitzumachen, kommt für unsere neuen Freunde angesichts des Anfahrtswegs eher nicht in Frage – vorläufig und gelegentlich dort dabei zu sein, solange sich keine andere Lösung abzeichnet, hingegen vielleicht schon. Ein Anlass dafür könnte eine Grabpflegeaktion auf dem Waldfriedhof Zehlendorf sein, den die KPE-Pfadfinder für Mitte November geplant haben; das würde mich auch interessieren, aber in meinem Terminkalender steht, dass genau am selben Tag das neue Projekt "Religiöse Kindertage" in St. Stephanus Haselhorst starten soll. Wobei ich durchaus mit der Möglichkeit rechne, dass dieser Termin doch noch einmal verschoben wird, weil dafür noch mehr Vorbereitung vonnöten ist. Na, warten wir's mal ab...
Kindermund der Woche
Am Tag vor dem 8. Geburtstag unserer Großen kam mein Schwiegervater vorbei, den wir ansonsten eher selten sehen. Da er ein Auto hat, half er uns, die Bruchstücke des zusammengebrochenen Kinder-Doppelstockbettes zum Recyclinghof zu transportieren; außerdem hatte er ein Geburtstagsgeschenk für seine Enkelin mitgebracht, und auch eine Kleinigkeit für unseren Jüngsten. Diesen – er ist, wohlgemerkt, gerade mal viereinhalb Jahre alt – sprach er mit den Worten an:
"Ich hab gehört, du kannst schon ein bisschen schreiben?!"
Der Knabe erwiderte fröhlich:
"Ja, aber nur Quatsch!"
Die Rache der Hortnerin
Der vergangene Mittwoch war in mehrfacher Hinsicht ein denkwürdiger Tag für uns: Es war der Gedenktag des Hl. Johannes Paul II., meine Liebste und ich hatten Hochzeitstag, und zugleich hatte unser Tochterkind Geburtstag. Wie neulich schon erwähnt, ist die "Mädchenparty" mit den Schulfreundinnen unserer Großen erst für nach den Ferien geplant, aber am Geburtstag selbst sollte es eine vergleichsweise kleinere Party mit ihren "Jungs-Freunden" geben. Die wurde dann, was die Gästezahl anging, infolge einiger Absagen nochmals deutlich kleiner als geplant: Am Ende kamen außer uns selber ein gemeinsamer Freund unserer Kinder und ein Junge aus der Schule, jeweils mit ihren Müttern. Die letzte Absage erreichte uns am Tag der Feier selbst: Ein weiterer langjähriger Spielplatzfreund unserer Tochter konnte nicht kommen, weil er während der Herbstferien tagsüber im Hort ist und seine alleinerziehende Mutter ihn nicht außerplanmäßig von dort abholen konnte, da sie arbeiten musste. Theoretisch hätten natürlich wir den Jungen abholen können, aber dazu hätten wir nicht nur eine schriftliche Vollmacht benötigt, sondern uns auch den Hortmitarbeitern schon im Vorfeld persönlich vorstellen müssen. Hätte sich theoretisch alles machen lassen, aber jetzt war es dafür natürlich zu spät.
Was mir in diesem Zusammenhang einfiel, war, dass ich in einem meiner früheren Jobs eine ältere Kollegin hatte, die mal erzählte, sie habe zu DDR-Zeiten eine Ausbildung zur Hortnerin gemacht. Heutzutage lautet die Berufsbezeichnung wohl "Hortpädagog*in" oder mindestens "Horterzieher*in", aber mich faszinierte der archaische Klang der Bezeichnung "Hortnerin", umso mehr, als ich schon mit dem Begriff Hort eher einen verwunschenen Schatz (vgl. "Nibelungenhort") assoziierte als eine Tagespflegeeinrichtung für Schulkinder (und das im Grunde bis heute tue). Prompt hatte ich die Idee, "Die Hortnerin" könnte ein guter Titel für einen Historical-Fantasy-Schinken sein, gerne auch, nach Art der "Wanderhure", der "Henkerstochter" und ähnlicher Trivialfabrikate, als Auftakt einer ganzen Buchreihe: Die Rückkehr der Hortnerin. Die Rache der Hortnerin. Das Vermächtnis der Hortnerin. Ich weiß nicht, ob das irgendjemand außer mir lustig findet – falls ja, stelle ich es meinen Lesern frei, etwas aus der Idee zu machen, wobei, 10% Umsatzbeteiligung hätte ich dann schon gern –; aber ich muss sagen: Angesichts der Erfahrung, was für Hindernisse zu überwinden wären, um einen sechs- oder siebenjährigen Knaben, der beim Ferienhort angemeldet ist, von dort zu befreien, damit er auf eine Geburtstagsfeier gehen kann, fühlte ich mich dann schon ein wenig von der Rache der Hortnerin getroffen. – Spaß beiseite: Natürlich können die Hortner ein Kind, für das sie die Aufsichtspflicht übernommen haben, nicht einfach irgendjemandem mitgeben, den sie nicht kennen. Das ist das erste Problem: Man muss in der großstädtischen Zivilisation unserer Tage insgesamt zu viel mit Leuten interagieren, die man nicht kennt und von denen man folglich nicht weiß, ob man ihnen trauen kann. Aber das noch akutere Problem ist wohl doch die Situation, die erst dazu führt, dass Kinder überhaupt in den Ferien in den Hort gehen müssen. Um's mal auf den Punkt zu bringen: Alleinerziehend und berufstätig zu sein, ist eine gruselige Kombination. Damit möchte ich niemandem zu nahe treten, der in dieser Situation ist; im Gegenteil, ich meine das durchaus mitfühlend. Aber gruselig ist es eben doch, vor allem fürs Kind. Wobei ich es durchaus für diskutabel halte, ob eine Konstellation, in der beide Eltern sowohl miteinander als auch mit dem Kind zusammenleben, aber beide in Vollzeit berufstätig sind, viel weniger gruselig ist. Okay, mit einiger Wahrscheinlichkeit verfügt ein solcher Haushalt über mehr Geld, und die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei Bedarf wenigstens ein Elternteil mal dem Kind zuliebe auf der Arbeit frei nehmen kann, ist sicherlich auch tendenziell höher. Trotzdem: Wenn die Eltern in Vollzeit arbeiten, heißt das in der Praxis, dass das Kind mindestens so viel Zeit in KiTa, Ganztagsschule und Hort verbringen muss wie die Eltern bei der Arbeit. Da bleiben dann vielleicht noch eineinhalb Stunden gemeinsam verbrachte Zeit für Eltern und Kinder, ehe die Kinder ins Bett müssen; und das auch noch ausgerechnet dann, wenn alle Beteiligten müde und erschöpft von ihren jeweiligen Jobs sind. Aber darüber habe ich mich ja unlängst schon in der Tagespost ausgelassen.
Ein bisschen Pfadfinderlatein – Folge 1
Während es derzeit, wie oben bereits angedeutet, weiterhin unklar ist, wie es mit unseren Kindern und der Pfadfinderei praktisch und konkret weitergeht, und die für uns in Frage kommenden Gruppen in den Herbstferien ohnehin keine Treffen haben, scheint mir die Gelegenheit günstig, eine neue Rubrik aus der Taufe zu heben, in der es darum gehen soll, mich ein bisschen auf theoretischer Ebene in das Thema Pfadfinderwesen einzuarbeiten – wenn auch, wie es der Natur des Wochenbriefings entspricht, nicht systematisch, sondern eher anekdotisch-fragmentarisch.
Beginnen möchte ich mit der Feststellung, dass mein gesteigertes Interesse am Pfadfinderwesen inzwischen auch dem Google News-Algorithmus aufgefallen ist, der mir daher unlängst einen Artikel der Rheinischen Post über den "Pfadfinder Stamm Wippera Leichlingen" empfahl; die für mein Empfinden etwas uninspiriert wirkende Überschrift lautete "Lagerfeuer. Gemeinschaft. Leben – Pfadfinder", und der Haupttext des Artikels beginnt mit den Sätzen:
"Es muss ein unvergessliches Gemeinschaftsgefühl sein, mit anderen Kindern und Jugendlichen am knisternden Lagerfeuer zu sitzen, die Sterne am Himmel zu zählen, den Geruch des frisch gebratenen Stockbrots in der Nase. Das und noch mehr können Jungen und Mädchen zwischen sieben und 20 Jahren regelmäßig beim Pfadfinder Stamm Wippera Leichlingen erleben."
Gleichwohl wird ein paar Absätze später skeptisch gefragt: "Doch wen interessieren diese Fähigkeiten im Wettbewerb mit Spielekonsole und Social Media eigentlich in der heutigen Zeit?" Eine der beiden Leiterinnen, die im Artikel vorgestellt werden, antwortet: "Es sind alle möglichen Kinder, meist sehr energetisch, die einfach Lust haben, in der Gemeinschaft in der Natur aktiv zu sein". Gleich darauf wird eingeräumt, dieses Interesse "schließe nicht aus, dass sie auch andere Hobbys hätten oder an der Playstation spielten". – Was mir an diesem Artikel besonders aufgefallen ist, ist der Umstand, dass man erst gegen Ende des vierten von sechs Absätzen eher beiläufig erfährt, dass der Stamm "Wippera" zur DPSG gehört; dass es auch noch andere Pfadfinderverbände gibt und dass zwischen diesen Verbänden zum Teil recht erhebliche Unterschiede gibt, kommt auf diese Weise gar nicht in den Blick.
Derweil habe ich angefangen, zwei Bücher von Walter Scherf, Fahrtenname Tejo, parallel zu lesen; der war in seiner Jugend zunächst DPSG-Pfadfinder, später dann bei der Deutschen Jungenschaft, die sich programmatisch wohl doch einigermaßen von den Pfadfindern unterschied, aber sein "Großes Lagerbuch" (Erstausgabe 1954; mir liegt die 3., veränderte Auflage von 1966 vor) wurde seinerzeit vom Verlag als "unentbehrliche[r] Ratgeber für alle [!] Jugendgruppen" beworben, und mir scheint das nicht übertrieben. Sein eher romanhaft daherkommender Fahrtenbericht "Schwedenfahrt" (1955, 2. Auflage 1976) ist zwar ebenfalls ein Klassiker, der laut Tante Wikipedia "prägend für die Großfahrten der bündischen Gruppen der Nachkriegsjugendbewegung wirkte", aber ich finde das Buch recht anstrengend zu lesen und teilweise unverständlich; sowohl für die schwedischen Sprachproben als auch vor allem für den jungenschaftlichen Jargon hätte man sich wenigstens ein Glossar gewünscht (dass ein "Affe" ein Rucksack ist, wusste ich glücklicherweise schon – aus dem Komm-mit-Kalender natürlich. Dazu gleich mehr.). Auf beide Bücher werde ich sicherlich noch zurückkommen; vorerst sei aber noch erwähnt, dass Walter Scherf mir erstmals als Übersetzer von Tolkiens Hobbit vors lesende Auge gekommen ist. Kein Wunder also im Grunde, dass ich bei der Hobbit-Lektüre "ein gewisses Zucken von Wanderlust" verspürt habe, wie ich seinerzeit notierte.
Zum Komm-mit-Kalender sei noch gesagt, dass ich mir vorgenommen habe, die mir vorliegenden Jahrgangsbände in chronologischer Reihenfolge auf pfadfinderrelevantes Material hin zu durchforsten, womit zunächst der Jahrgang 1953 an der Reihe wäre. Hier bin ich im alphabetischen Schlagwortregister erst einmal beim Punkt "Abzeichen der Jugendverbände" hängen geblieben, denn der Beitrag, auf den dieser Registereintrag verweist, illustriert recht eindrücklich meine unlängst festgehaltene Einschätzung, da der Komm-mit-Kalender seine Ursprünge in einer Zeit habe, "als noch alle möglichen Jugendverbände Fahrten und Lager veranstalteten", habe er sich "ursprünglich an ein durchaus breites Publikum" gerichtet: Unter den Jugendverbänden, die der Komm-mit-Kalender für das Jahr 1953 auf den Seiten 315ff. vorstellt, sind in trauter Eintracht mit dem Bund Neudeutschland, dem Quickborn, der Marianischen Kongregation der studierenden Jugend, der Christlichen Arbeiter-Jugend und der Kolpingjugend auch z.B. der Jugendverband der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft und sogar die Sozialistische Jugend Deutschlands "Die Falken" vertreten. Bei der Übersicht über die Logos ("Abzeichen") der diversen Jugendverbände fällt es auf, dass offenbar all jene Verbände, die sich als der Pfadfinderbewegung zugehörig betrachten bzw. sich deren Erbe verpflichtet fühlen, irgendeine Variante der heraldischen Lilie in ihrem Logo führen; das gilt für die (evangelische) Christliche Pfadfinderschaft, die (katholischen) St.-Georgs-Pfadfinder und den (überkonfessionellen) Bund Deutscher Pfadfinder, die im "Ring deutscher Pfadfinderverbände" zusammengeschlossen waren sowie für diesen Dachverband selbst, aber auch für die sogenannten "Ringpfadfinder", die offenbar nicht zu diesem Dachverband gehörten – hier ist die Nomenklatur wirklich verwirrend, aber immerhin bin ich dank des Wikipedia-Artikels über die "Ringpfadfinder" darauf gestoßen, dass es bei Tante Wikipedia auch einen Artikel "Pfadfindergeschichte im deutschsprachigen Raum" gibt; mit dem werde ich mich wohl in einer zukünftigen Folge dieser Rubrik näher befassen müssen. Eine stark abstrahierte Version der Pfadfinderlilie zeigt das Logo der Deutschen Freischar, und tatsächlich hat(te) auch diese Gruppierung einen pfadfinderischen Hintergrund. Näheres dazu, wie gesagt, bei Gelegenheit. Interessant sind auch die Angaben zu den Mitgliederzahlen der Verbände: So wird – mit Stand von 1952 – die Mitgliederzahl der katholischen St.-Georgs-Pfadfinder mit 35.000 angegeben, gefolgt vom Bund Deutscher Pfadfinder mit 20.000 und der Christlichen Pfadfinderschaft mit 17.000. Um mal ein Verhältnis für die Größenordnungen zu vermitteln, sei hinzugefügt, dass zur selben Zeit die "Falken" 120.000 Mitglieder hatten und die Kolpingjugend sogar 176.000. Heute hat laut Tante Wikipedia allein die DPSG 80.000 Mitglieder (und damit mehr als im Jahr 1952 alle drei Mitgliedsverbände des "Rings deutscher Pfadfinderverbände" zusammen hatten) und der aus der Christlichen Pfadfinderschaft hervorgegangene Verband Christlicher Pfadfinder*innen (VCP) 22.000, während der Bund Deutscher Pfadfinder_innen nach mehreren Spaltungen und programmatischen Umorientierungen heute nicht mehr Mitglied des Rings deutscher Pfadfinderverbände und der internationalen Pfadfinderbewegung ist; stattdessen gibt es seit 1976 den Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (seit 2025 "Bund der Pfadfinder*innen") mit aktuell knapp 15.000 Mitgliedern. Dass die konfessionellen Pfadfinderverbände – am stärksten die DPSG – in diesem Zeitraum gewachsen sind, mag man zum Teil dadurch erklären, dass die ehemals reinen Jungenverbände jetzt auch Mädchen aufnehmen (während es andererseits weiterhin reine Mädchenverbände gibt) und dass sie seit der Wende auch im Osten Deutschlands aktiv sind, nachdem die Pfadfinder in der DDR verboten waren (einzelne Elemente der Pfadfinder-Pädagogik kamen dafür bei den Thälmann-Pionieren zum Einsatz); zudem ist seit 1952 die Gesamtbevölkerung Deutschlands um rund 12 Millionen Menschen gewachsen. Bemerkenswert bleibt diese Mitgliederentwicklung dennoch, umso mehr, als im selben Zeitraum die Mitgliederzahl der Kolpingjugend auf ca. 34.000 geschrumpft ist; die "Falken" machen offiziell überhaupt keine Angaben mehr zu ihrer Mitgliederzahl.
Das Stichwort "Ausrüstung" in der alphabetischen Inhaltsübersicht verweist übrigens unverhohlen auf die im Kalender verstreuten Werbeanzeigen des Universum-Jugendhauses in Münster, das, wenn mich nicht alles täuscht, vom Herausgeber des Kalenders betrieben wurde. Was da so alles an Zubehör für Fahrt und Lager angeboten wird, ist an sich durchaus interessant, aber da diese Werbeanzeigen zweifellos auch noch in den folgenden Jahrgangsbänden zu finden sein werden, denke ich, darauf kann man getrost bei späterer Gelegenheit zurückkommen. In der nächsten Folge dieser Rubrik werde ich mich wohl, auch wenn es der alphabetischen Reihenfolge etwas vorgreift, erst einmal mit den Stichworten "Lagereinrichtung" und "Lager-Programm" befassen.
Geistlicher Impuls der Woche
Auf dem europäischen Kontinent fehlt es gewiss nicht an namhaften Symbolen für die Präsenz des Christentums, doch mit der Überhandnahme des Säkularismus laufen sie Gefahr, zu einem bloßen Relikt der Vergangenheit zu werden. Vielen gelingt es nicht mehr, die Botschaft des Evangeliums in die Alltagserfahrung einzubeziehen. In einem gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld, wo dem christlichen Lebensentwurf ständig Trotz und Bedrohung begegnen, wird es immer schwieriger, seinen Glauben an Jesus zu leben. In vielen öffentlichen Bereichen ist es einfacher, sich als Agnostiker denn als Gläubigen zu bezeichnen; man hat den Eindruck, dass sich Nichtglauben von selbst versteht, während Glauben einer gesellschaftlichen Legitimation bedarf, die weder selbstverständlich ist, noch vorausgesetzt wird.
(Hl. Johannes Paul II, Nachsynosales Schreiben "Ecclesia in Europa", 2003, Nr. 7. Wird fortgesetzt!)
Ohrwurm der Woche
Lassie Singers: Hamburg
Von den Lassie Singers, der nach eigenem Bekunden (?) lautesten und schlechtesten Mädchenband der Welt, wollte ich in dieser Rubrik schon lange mal was bringen, aber angesichts unseres aktuellen Aufenthaltsortes drängt sich dieser Song ja nun wirklich auf. Im Text schildern die Musikerinnen das Gefühl, von einer Konzerttournee heimzukommen ("Kamener Kreuz links vorbei, im Radio läuft hr3"), und "heim" heißt für sie eben: nach Hamburg; über die Textzeile "Jesus liebt dich" im Refrain bin ich natürlich ebenfalls nicht unglücklich. – Kennen und lieben lernte ich diese Band (nicht persönlich, aber immerhin ihre Musik) übrigens in der Frühzeit meines Theaterwissenschaftstudiums: Eines Tages half ich im Keller des Instituts einigen Kommilitoninnen dabei half, das Bühnenbild für eine Aufführung auf der Studiobühne zu basteln, und da lief im Hintergrund die damals frisch herausgekommene Best-Of-CD "Time to Say Tschüss". Die gefiel mir so ausnehmend gut, dass die Kommilitonin, die die Scheibe aufgelegt hatte, amüsiert anmerkte: "Du bist der einzige Junge, den ich kenne, der die Lassie Singers mag." Nicht lange darauf kaufte ich mir die CD selber. Da sind noch andere Juwelen drauf, aber heute muss es eben mal Hamburg sein.
Vorschau/Ausblick
Lesern, die sich aus eingespielter Gewohnheit erst um 18 Uhr oder noch später zugeschaltet haben, sei gesagt, dass ich mich mitsamt Frau und Kindern derzeit und für die nächsten Tage auf See befinde und nur in sehr eingeschränktem Maße von den Geschehnissen an Land Kenntnis nehmen werde. Wenn wir das nächste Mal an Land gehen, wird es, sofern alles nach Plan läuft, in La Coruña sein. – Eine interessante Frage ist natürlich, wie es an Bord mit der Erfüllung der Sonntagspflicht aussieht; aber es könnte ja immerhin sein, dass ein Priester unter den Passagieren ist. Im nächsten Wochenbriefing werden wir die Antwort erfahren; davon abgesehen werde ich dort darüber berichten, was wir während der letzten zweieinhalb Tage in Hamburg so alles erlebt haben, und ein Beitrag für die Rubrik "Neues aus Synodalien", aus der es in letzter Zeit eher wenig Neues gegeben hat, ist ebenfalls in Vorbereitung. Im Übrigen steht zu erwarten, dass die nächste Ausgabe der "3 K der Woche" inhaltlich ziemlich aus dem gewohnten Rahmen fallen dürfte; und wann genau sie erscheinen wird, ist erneut nicht so ganz sicher...




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