Wem die Tatsache, dass gewisse Kreise die vorübergehende Absetzung einer Fernsehtalkshow beklagenswerter fanden als einen Mord, als Augenöffner noch nicht ausreicht, dem sei der bemerkenswerte Umstand zur gefälligen Beachtung anempfohlen, dass annähernd gleichzeitig mit der Entscheidung mehrerer Medienunternehmen, die Sendung "Jimmy Kimmel live" auf den von ihnen betriebenen Kanälen nicht mehr auszustrahlen, der Norddeutsche Rundfunk die Journalistin Julia Ruhs als Moderatorin des Reportageformats "Klar" entließ, und zwar offenbar deshalb, weil sie – je nach bevorzugtem Sprachgebrauch – "zu konservativ" oder "zu rechts" ist. Was die Reaktionen auf diese bemerkenswerte Synchronizität der Ereignisse angeht, möchte ich hier nur pars pro toto auf den Bluesky-Account eines Aktivisten der Initiative "Christians for Future" hinweisen, den ich in ähnlichen Zusammenhängen schon ein paarmal am Wickel hatte: Da bekundet dieser junge Mann, er sei "positiv überrascht" über die Ruhs-Entlassung, und teilt kurz darauf einen Beitrag, in dem die Absetzung der Show "Jimmy Kimmel live" als Ausdruck von "Gleichschaltung" bewertet wird.
Man könnte sicherlich ohne große Mühe zahlreiche weitere Beispiele für dieses Reaktionsschema ausfindig machen. In diesem Zusammenhang scheint es mir wichtig, zu verstehen, dass es vollkommen sinnlos wäre, diesen Leuten "Doppelstandards" vorzuwerfen. Ja, sie haben Doppelstandards, aber mit voller Absicht und aus Überzeugung. Die "woke", intersektionalistische Linke lehnt es entschieden ab, sich selbst mit demselben Maßstab zu messen oder messen zu lassen, den sie an ihre Gegner anlegt, und empfindet es als eine beleidigende Zumutung, wenn man das von ihr verlangt. Sie verkörpert schließlich das Gute, also kann man sie doch nicht mit dem Bösen auf eine Stufe stellen, das wäre "Bothsideism", "Hufeisentheorie", konterrevolutionärer Hochverrat. Die gute alte Redensart "Wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe" ist, but unironically, geradezu ein zentrales Credo des Intersektionalismus. Womit ich allerdings nicht behaupten will, diese Denkweise gäbe es nur auf der Linken; mir scheint lediglich, die Rechte hat keine so elaborierte ideologische Rechtfertigung dafür.
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Maulwurf unter Fröschen: Ein Ausschnitt aus dem Titelbild des Buches "Die Sonne weiß alles – Ein Märchen aus Japan". Name der Illustratorin im Bild. |
Wirklich etwas Neues gelernt bzw. etwas zuvor Unverstandenes verstanden habe ich darüber, was die "woken" Tugendwächter unter Meinungsfreiheit verstehen und was nicht, dank eines Ausschnitts aus einer Böhmermann-Sendung, den Horse & Hound auf Instagram geteilt hat – nicht im oben erwähnten Channel, sondern im öffentlichen Feed. Thema der Sendung ist offenbar rechte Propaganda an Schulen, und in dem Ausschnitt kommt zunächst ein Schulleiter zu Wort, der erklärt, an seiner Schule hätten etwa 91% der Schüler einen Migrationshintergrund, und nach den sogenannten "Potsdamer Enthüllungen" habe es "sorgenvolle und ängstliche Fragen der Kinder" gegeben wie etwa "Was darf ich denn mitnehmen, wenn ich abgeschoben werde?". Nun kann man sich sicherlich darauf einigen, dass es Aufgabe der Schule sei, solchen Ängsten zu begegnen und sie nicht noch weiter zu schüren; letzteres wollte auch der betreffende Schulleiter nicht – und glaubte diesem Anliegen gerecht zu werden, indem er von einer an der Schule geplanten Podiumsdiskussion mit Vertretern der politischen Parteien den Vertreter der AfD ausladen wollte. Wie man zwischen den Zeilen heraushören kann, war das wegen der Verpflichtung öffentlicher Schulen zu parteipolitischer Neutralität jedoch nicht so leicht möglich; also nutzte man den "guten Kontakt mit dem benachbarten Pfarrer", um "in eine Kirche aus[zu]weichen": "Dort hat die Podiumsdiskussion dann stattgefunden, nicht mehr als Schulveranstaltung, aber ohne die AfD."
Übrigens lädt Böhmermann in gewisser Hinsicht durchaus dazu ein, im Zusammenhang mit Jimmy Kimmel erwähnt zu werden. Beide sind oder waren eigentlich vorrangig Comedians, und zu politischen Kommentatoren wurden sie im Zuge eines einigermaßen problematischen Trends zur Aufweichung der Grenzen zwischen Comedy und politischem Kommentar. Eine Geschichte dieses Phänomens zu schreiben wäre eine interessante Aufgabe, die ich hier aber natürlich nicht leisten kann; in Deutschland, könnte man sagen, gab es politische Satiresendungen im Fernsehen gefühlt "schon immer", mindestens seit Wolfgang Neuss, aber dass Comedy-Shows bewusst die Optik und Präsentationsform von Nachrichtensendungen kopiert, dürfte wohl doch ein verhältnismäßig neues Phänomen sein. Man mag vielleicht einwenden: Und was ist mit "Rudis Tagesshow"? Die lief von 1981-87 im Ersten, produziert vom damals als Linksaußen der ARD geltenden Radio Bremen, aber ich würde behaupten, das war keine politische Sendung im eigentlichen Sinne, oder zumindest verkörperte sie ein grundsätzlich anderes Verständnis politischer Comedy, als es etwa die "heute Show" tut, die seit 2009 läuft und ihr Konzept wesentlich von der "Daily Show" auf Comedy Central (seit 1996) abgeschaut hat. Aber da ich dieses Thema hier, wie gesagt, nicht erschöpfend behandeln kann, rede ich lieber wieder über was anderes.
Nämlich worüber? Vielleicht darüber, dass auf dem Instagram-Channel von Horse & Hound anlässlich der Rückkehr von Jimmy Kimmels Show ins Fernsehprogramm ein selbst für die Verhältnisse dieses Kanals außerordentlich geschmackloses Meme geteilt wurde? Nee, lieber nicht. Hingehen hatte ich unlängst ja erwähnt, dass es in der Instagram-Story von Horse & Hound einen Kommentar zum Marsch für das Leben gegeben habe, den ich ausgesprochen weird fand und auf den ich noch zurückkommen wollte; das ist dann jetzt wohl mal "dran". – Der Beitrag beginnt damit, dass der smarte Sechstagebartträger Thomas H. berichtet, er sei tags zuvor "im Auto" mit einem Stinkefinger und dem "White Power Zeichen belästigt" worden; für Leser, die nicht so extremely online sind wie er und daher vielleicht nicht wissen, wie das angebliche "White Power Zeichen" aussieht, fügt er ein Emoji hinzu: 👌. Schockschwerenot, mag man da denken: Es gibt ein Emoji für das White Power-Zeichen? Geht's noch? – Aber ruhig Blut, tatsächlich steht dieses Emoji für "okay"; diese Bedeutung hatte die entsprechende Handgeste im angloamerikanischen Kulturkreis nämlich schon sehr viel länger, ehe irgendwer auf die Idee gekommen ist, sie als "White Power" zu lesen. In unserem Zusammenhang relevanter ist, dass diese Geste hierzulande, und gerade als "Gruß" unter Autofahrern, mit der Bedeutung "Arschloch" gebräuchlich ist. Zwar teilt uns der Horse & Hound-Vodkaster hier leider nicht den Kontext der betreffenden Begegnung mit – ob er dem anderen Autofahrer womöglich die Vorfahrt genommen oder seine Fahrspur geschnitten hat oder dergleichen; aber ich würde es doch für sehr viel wahrscheinlicher halten, dass die betreffende Geste ein Kommentar zu seinen Verhalten im Straßenverkehr sein sollte als ein rassistisches Statement – zumal Thomas H. doch selber weiß ist. Oder etwa nicht? "Ich werde oft als arabisch- oder türkeistämmig adressiert", fügt er hinzu. Ach echt? Etwa weil er schwarze Haare und einen smarten Sechstagebart hat? Na, kann ja sein. Aber vielleicht haben wir es hier auch mit dem Phänomen zu tun, dass Engagement gegen Rassismus einfach mehr Spaß macht, wenn man sich selbst wenigstens ein kleines bisschen auf der Opferseite sehen darf; dergleichen habe ich schon öfter beobachtet. Was hat das Ganze aber nun mit dem Marsch für das Leben zu tun?
Tja, Leser: Das frage ich mich auch.
Der Vodkaster von Horse & Hound jedenfalls sieht einen Zusammenhang, denn er kombiniert die obige Anekdote mit einem vom Account des Fernsehsenders k-tv "gescreenshotteten" Foto vom Marsch für das Leben und schreibt dazu:
"Viele Menschen, die mit solchem Gedankengut ausgestattet sind, sind auch hier zugegen... beim Marsch fürs Leben und beim Sender K-TV sowieso. R@ssismus ist eng verbunden mit ihrem Religionschauvinismus".
Man sieht, es ist keine assoziative Brücke zu wacklig, dass man nicht versuchen sollte, den einen oder anderen Leser drüberzulocken. Erst hat der Herr H. eine unfreundliche Begegnung im Straßenverkehr, die er prompt als rassistische Beleidigung imaginiert; und dann fällt ihm dazu unversehens der Marsch für das Leben ein. Auch da: Alles voll mit Rassisten! Nun gut, behaupten kann man natürlich alles Mögliche, besonders wenn man das mit einem knalligen "sowieso" bekräftigt. Nach einer Basis in der Realität kann man bei dieser Behauptung allerdings lange suchen. Was den diesjährigen Marsch für das Leben in Berlin angeht, verweise ich auf die Beobachtung des Bloggerkollegen Peregrinus von "Allotria catholica", dass "beim Marsch Menschen aller Hautfarben beteiligt waren (und ebenso am nächsten Morgen bei der Messe in St. Afra)", wohingegen er "unter den Gegendemonstranten [...] nur Weiße gesehen" habe; das deckt sich mit meinen Eindrücken aus früheren Jahren. Darüber hinaus weitet die Erwähnung der Messe in St. Afra – wo das Institut St. Philipp Neri die außerordentliche Form des Römischen Ritus pflegt – den Blick dafür, was in einem breiteren Sinne von der Behauptung zu halten ist, diejenigen Kreise, denen der Horse & Hound-Vodkaster "Religionschauvinismus" (wahlweise auch: Fundamentalismus, religiösen Extremismus...) ankreidet, neigten quasi naturgemäß zu Rassismus. Aus meinem persönlichen Erfahrungsbereich würde ich hier exemplarisch auf die hinsichtlich der geographischen und ethnischen Herkunft ihrer Mitglieder außerordentlich "diverse" Gemeinde von St. Clemens am Anhalter Bahnhof verweisen, aber auch über besonders auffällige Einzelfälle hinaus würde ich mal als Gesamteindruck festhalten, wenn man sich unterschiedliche Kirchengemeinden ansieht, sind es tendenziell eher die bildungsbürgerlich milieuverengten postchristlich-liberalen Gemeinden, die ein "Diversity"-Problem haben. Das erklärt dann irgendwie auch die eigentümliche Projektionsleistung, sich selbst als Opfer rassistischer Beleidigung zu imaginieren.
Wie komme ich von hier aus zum Schluss? Vielleicht so: Auf dem besagten Instagram-News-Channel gab Horse & Hound-Halagan unlängst zu Protokoll, "jemensch" habe ihm gesteckt er werde "nix mehr werden", wenn er sich nicht "zurückhielte". "Denkt mal über die ganzen Implikationen dieses Ausgedrückten nach!", forderte er seine Leser auf; nun gut, das habe ich getan, und dabei haben sich mir zwei recht unterschiedliche Gedanken aufgedrängt. Zunächst mal scheint mir hier eine ähnliche verschwörungstheoretisch grundierte Fehlwahrnehmung vorzuliegen wie bei der Unterstellung, beim Marsch für das Leben sowie überhaupt in religiös konservativen Kreisen wimmle es von Rassisten. In diesem Fall handelt es sich um das Vorurteil, die Machtstrukturen in der Kirche, auch und sogar in den deutschen Bistümern, wären fest in der Hand konservativer Cliquen. Tatsächlich würde ich ja denken, als Pastoralreferent im Bistum Essen würde man erheblich größere Schwierigkeiten bekommen, wenn man sich als entschieden rechtgläubig katholisch zu erkennen gäbe, als wegen irgendwelcher "progressiver" Positionen. Mein zweiter Gedanke war: Ja Moment mal, was will der Thomas H. denn innerhalb der kirchlichen Strukturen überhaupt noch "werden"? Der Gedanke hat durchaus etwas Beunruhigendes...
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