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Samstag, 15. November 2025

Die 3 K der Woche (51): Kinder, Kirche, Kommerz

Servus, Leser! Wie war eure Woche so? Meine war vom Gefühl her ziemlich stressig, obwohl ich mir ehrlich gesagt selbst gar nicht so richtig erklären kann, was genau mich so gestresst hat. Vielleicht sind das die Nachwirkungen des Urlaubs. Jedenfalls habe ich nicht das Gefühl, in der zurückliegenden Woche besondere Großtaten vollbracht zu haben, die mir sozusagen ein moralisches Recht gäben, erschöpft zu sein. Aber urteilt selbst, Freunde! 

Archivbild von 2020: St. Martin unter Corona-Bedingungen. Nicht wegen "never forget" oder so, sondern weil ich vom diesjährigen Martinstag kein vergleichbar interessantes Foto gemacht habe.

Wieder bei den Wölflingen 

Wie im vorigen Wochenbriefing schon angesprochen, fanden am ersten Samstag nach unserer Rückkehr aus dem Urlaub wieder Pfadfinder-Gruppentreffen statt, und vor die Wahl gestellt zwischen den Royal Rangers in Tegel und den KPE-Wölflingen in Schöneberg, fuhr ich mit dem Tochterkind wieder zu den letzteren. Dieses Meutentreffen war besser besucht als das vorige, etwas mehr als 20 Mädchen nahmen daran teil; darunter waren, wenn ich richtig gezählt habe, einschließlich meiner Tochter sechs Mädchen, die noch kein Wölflingsversprechen abgelegt haben. Zwischendurch versuchte ich mal zu visualisieren, wie meine Tochter in Klufthemd, mit Barett und Halstuch aussehen würde, und stellte fest: Ja, das kann ich mir gut vorstellen, sieht gut aus. 

Im Zentrum dieses Meutentreffens stand eine große und komplizierte Schnitzeljagd, deren Ziel es war, den von den Bandar-Logs entführten Mogli zu finden. Dazu mussten die Mädchen allerlei auf dem Gelände versteckte Hinweise suchen und entschlüsseln. 

Derweil gibt es nun auch Neuigkeiten zu den Bestrebungen, an einem weiter im Norden Berlins gelegenen Standort einen neuen KPE-Stamm zu gründen: Am letzten Sonntag des Kirchenjahres gibt es hierzu ein Infotreffen, allerdings bin ich ausgerechnet an dem Sonntag nicht da, sondern in der Nähe von München (Näheres dazu weiter unten). Ob Frau und Kinder ohne mich zu dieser Veranstaltung gehen werden, ist derzeit noch offen; aber im Auge behalten möchte ich auf jeden Fall, wie sich die Dinge dort entwickeln. 


Schwarzer Gürtel in KiWoGo 

Der vergangene Sonntag fiel auf den Weihetag der Lateranbasilika, und wie schon angekündigt, stand an diesem Termin auch der zweite Kinderwortgottesdienst der Saison in St. Joseph Siemensstadt an. Das Evangelium vom Tag war Johannes 2,13-22 – die Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel, und zu diesem Thema hatten wir uns einiges vorgenommen. Ausgesprochen entzückt war ich, dass das Tochterkind freiwillig und unaufgefordert beim Aufbau mithalf; ob sich da schon der Einfluss der Pfadfinder-Pädagogik auswirkt? 

Ein vereinfachtes Modell des Herodianischen Tempels, mit dem Vorhof der Heiden in Grau und dem Vorhof der Israeliten in Gelb. Und natürlich Playmobil-Figuren.

Siebzehn Kinder nahmen diesmal am KiWoGo teil, somit also schon mal deutlich mehr als vor vier Wochen; größtenteils gehörten sie wohl zum aktuellen Erstkommunionkurs, es waren aber auch mindestens drei Kinder dabei, die schon Erstkommunion gehabt hatten. Zur inhaltlichen Schwerpunktsetzung bei diesem KiWoGo hatte ich ja schon anlässlich des Arbeitskreistreffens im September ein paar Stichpunkte festgehalten: Zunächst einmal macht das Tagesevangelium deutlich, dass Jesus – entgegen populärer Klischeevorstellungen – durchaus nicht immer nur lieb und nett ist. Sodann bietet sich die Perikope dafür an, mit den Kindern darüber zu reden, wie man sich im Haus Gottes respektvoll und der Würde des Ortes angemessen verhält. Der theologisch spannendere Teil der Perikope ist aber natürlich der, in dem Jesus auf den Tempel Seines Leibes hinweist: Gerade mit Blick auf die Erstkommunionkinder, so hatten wir schon bei der Vorbesprechung festgestellt, bietet sich da eine eucharistische Lesart an. Im Alten Bund war der Jerusalemer Tempel der Ort der Gegenwart Gottes in dieser Welt schlechthin; im Neuen Bund dagegen ist der Leib Christi dieser Ort der Gegenwart Gottes. Durchaus anspruchsvoller Stoff also, aber ich würde sagen, es gelang uns ganz gut, das alles unter einen Hut zu bringen. Nebenbei galt es auch noch, den Kindern wenigstens so viel Wissen über die Kultpraxis des Alten Bundes zu vermitteln, dass sie einordnen konnten, wieso es überhaupt Geldwechsler und Taubenhändler, Schafe und Rinder im Tempel gab. Mittendrin dachte ich mit einem Anflug von Stolz, dieser KiWoGo habe mehr inhaltliche Substanz als eine durchschnittliche Kinderkatechese beim JAM, und das ist aus meiner Sicht schon ein ziemlich großes Lob. Da lässt es sich dann auch verschmerzen, dass dieser KiWoGo in methodischer Hinsicht nicht unbedingt besonders originell oder innovativ war. 

Als ich nach der Messe meine Liebste fragte, wie sie diesen KiWoGo "auf einer Skala von 1 bis 10" bewerten würde, gab sie ihm eine 7½; ich würde sagen, das ist ein achtbares Ergebnis. Während des Kinderwortgottesdienstes hatte sie bereits eine kritisch-provokante Anmerkung eingeworfen, nämlich mit Bezug auf die Mahnung Jesu, das Haus Gottes nicht zu einer Markthalle zu machen: In unseren Kirchen würden doch auch z.B. vor Ostern Kerzen verkauft. Der Gemeindereferent kam daraufhin tatsächlich etwas ins Schleudern und räumte schließlich ein, besser wäre es, wenn das außerhalb des Sakralraums stattfände. Näher darauf einzugehen, hätte im Kinderwortgottesdienst sicherlich den Rahmen gesprengt, aber ich schätze, im Rahmen eines katechetischen Angebots für Jugendliche und/oder junge Erwachsene könnte es durchaus interessant sein, diese Frage zu vertiefen. 

Derweil hat das KiWoGo-Team keine Zeit, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen, denn es wartet eine Menge Arbeit auf uns: Für die Adventszeit sind nicht weniger als drei Kinderwortgottesdienste geplant, nämlich am 1., 3. und 4. Adventssonntag. Dazu soll es in der kommenden Woche, voraussichtlich am Dienstag, ein Vorbereitungstreffen geben. Das Thema wird uns also in den kommenden Wochenbriefing-Ausgaben noch ausgiebig beschäftigen! 


Eine Woche voller Martinstage

Ich schätze, man könnte es als ein ermutigendes Zeichen für den Zustand des christlichen Abendlandes auffassen, dass sich das Sankt-Martins-Brauchtum hierzulande, trotz der starken saisonalen Konkurrenz durch Halloween, immer noch einer robusten Vitalität erfreut. Allein die Internetpräsenz des Erzbistums Berlin wies für den Zeitraum vom 8.–15. November nicht weniger als 46 Martinsfeiern in Berlin, Brandenburg und Vorpommern aus, und dabei war diese Liste noch lange nicht vollständig. Nicht aufgeführt war da z.B. die ökumenische Sankt-Martins-Feier im Reinickendorfer Ortsteil Borsigwalde, die von der örtlichen evangelischen Kirchengemeinde in Zusammenarbeit mit dem Förderverein der katholischen Allerheiligenkirche ausgerichtet wird und die dort traditionell ein ziemlich großes Event ist – weshalb es ziemliches Aufsehen erregte, dass das Borsigwalder Martinsfest letztes Jahr ausfiel. Dieses Jahr fand es aber wieder statt, und eigentlich hatten wir angedacht, da zusammen mit einer alleinerziehenden Freundin und ihrem fünfjährigen Sohn hinzugehen, aber diese sagten kurzfristig ab. Wir gingen trotzdem hin. Die Feier begann mit einer Andacht in der Allerheiligenkirche, geleitet vom nigerianischen Pfarrvikar der Pfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd (der in Allerheiligen seine Dienstwohnung hat) und einer evangelischen Pfarrerin, die in ihrem Talar wie verkleidet wirkte und in einem unangenehm theatralischen Tonfall sprach. Als jemand, der gute Beziehungen zu zwei freikirchlichen Gemeinden pflegt und dessen Sohn eine evangelische KiTa besucht, würde ich ja für mich in Anspruch nehmen, dass ich überkonfessioneller Zusammenarbeit durchaus aufgeschlossen gegenüberstehe, aber das, was im großkirchlichen Bereich gemeinhin unter der Bezeichnung Ökumene läuft, ist manchmal schon sehr cringe, wie die jungen Leute angeblich sagen. In diesem Zusammenhang registrierte ich nicht ohne eine gewisse Belustigung, dass der katholische Pfarrvikar die Gemeinde aufstehen ließ, wenn er das Wort ergriff, aber wenn die evangelische Pfarrerin dran war, setzten sich die Leut' wieder hin. – Die Kirche war übrigens ausgesprochen gut gefüllt, und man kann sich leicht ausrechnen, dass unter den Anwesenden wohl nicht wenige waren, die ansonsten eher nicht so oft in die Kirche gehen; indes schien es, dass noch mehr Leute draußen warteten, bis die Andacht vorbei war und der Laternenumzug losging. Dabei gehörte zu der Andacht auch das von Kindern im Grundschulalter aufgeführte Martinsspiel; ich würde sogar sagen, es bildete den Hauptteil der Andacht. Die Kinder lieferten eine ausgesprochen gelungene Performance ab; was den Text des Martinsspiels angeht, habe ich schon schlechtere Versionen zu Gesicht bekommen, allerdings auch schon bessere. Ein paar Details, die ich auf bezeichnende Weise fragwürdig fand, möchte ich hier hervorheben: So zeigte die erste Szene des Spiels den jungen Martin in einer Auseinandersetzung mit seinem Vater, die sich darum dreht, dass der Sohn Christ werden will, der Vater aber darauf besteht, dass er Soldat wird. Nun entspricht es zwar durchaus der Überlieferung, dass Martin die militärische Laufbahn nur widerwillig einschlug, aber den Eindruck zu erwecken, Christ zu werden oder Soldat zu werden seien Optionen, die sich ausschlössen, ist nicht nur historisch abwegig. – Gelinde gesagt bedauerlich fand ich auch, dass der Traum Martins, in dem ihm Christus mit dem halben Mantel erscheint, den er dem Bettler geschenkt hat, in diesem Spiel nicht vorkam. Gegen Ende des Spiels hieß es über Martins Amtsführung als Bischof von Tours: "Auch als Bischof bleibt Martin, wie er war. Er trägt weiter die Mönchskutte und kein prächtiges Bischofsgewand. Er lebt meistens im Kloster und nicht im Bischofspalast." Ach, und eine goldene Badewanne hatte er wohl auch nicht, was? "Einen solchen Bischof können viele Leute nicht verstehen." Ach nicht? – Mal ein bisschen Kontext: Als Martin Bischof von Tours wurde, lag die letzte reichsweite Christenverfolgung im Römischen Reich gerade mal 60 Jahre zurück; da würde ich ja eher bezweifeln, dass das Christentum sich in so kurzer Zeit so sehr als staatlich anerkannte und geförderte Religion etabliert haben sollte, dass man von einem Bischof geradezu erwartete, prächtige Gewänder zu tragen und in einem Palast zu wohnen. Aber ich stelle mich hier gerade absichtlich dumm: Es ist ja eigentlich klar, dass es bei solchen Aussagen nicht um historische Authentizität geht, sondern darum, mit Blick auf die Gegenwart ein bestimmtes Bild "von Kirche" zu propagieren. 

– Was mir gut gefiel, war, dass meine Tochter laut und kräftig das Vaterunser mitbetete, nachdem ich es bisher eher von ihr gewohnt war, dass sie dabei fast lautlos die Lippen bewegt. Ist das vielleicht auch etwas, was sie bei den Pfadfindern gelernt hat? 

Der anschließende Laternenumzug, angeführt von einem echten Pferd mit einer als St. Martin kostümierten Reiterin, führte von der Allerheiligenkirche zum Garten der evangelischen Gnade-Christi-Kirche, wo es ein großes Martinsfeuer und Verkaufsstände für Glühwein und Gebäck gab. Ich habe nicht genau auf die Strecke geachtet, möchte aber unterstellen, dass nicht der kürzeste Weg zwischen Start- und Zielpunkt gewählt wurde, denn das wären nur 350 Meter gewesen. Im evangelischen Pfarrgarten herrschte ein ziemliches Gedränge, und obendrein hatten wir wenig Lust, 2 Euro (zzgl. 2 € Becherpfand) für einen Becher Glühwein und/oder 2,50 Euro für ein Stück Hefeteiggebäck in Gänsegestalt auszugeben (Mir liegt bei solchen Gelegenheiten ja immer der Satz "Ich hatte nicht gedacht, dass das hier eine kommerzielle Veranstaltung ist" auf der Zunge, aber natürlich ist das nicht im eigentlichen Sinne kommerziell, sondern es ist eine Form von Fundraising für den Förderverein); daher traten wir schon recht bald den geordneten Rückzug an. 

Der eigentliche Martinstag fiel auf den Dienstag, und da hätte es gleich mehrere Optionen für uns gegeben, noch zu einer weiteren Sankt-Martins-Feier zu gehen: Die Freundin, die uns am Samstag abgesagt hatte, hatte vorgeschlagen, stattdessen den Laternenumzug an der Alten Fasanerie in Lübars mitzumachen, gleichzeitig stand die Möglichkeit im Raum, dass unsere Tochter nach Schulschluss mit einer Schulfreundin und deren Mutter zum Martinsspiel im Berliner Dom mit anschließendem Laternenumzug durch den Lustgarten gehen könnte, und wie im Vorjahr in St. Marien Maternitas in Heiligensee zur Sankt-Martins-Feier zu gehen, wäre theoretisch auch noch eine Möglichkeit gewesen. Tatsächlich kam dann aber nichts davon zustande – und vielleicht wäre das auch ein bisschen zuviel des Guten gewesen, schließlich stand am Mittwoch auch noch das Martinsfest der KiTa unseres Jüngsten an. So richtig Lust hatte ich darauf von vornherein nicht, ich wäre eigentlich lieber mit der Großen zum JAM gefahren, aber man kann sich's nicht immer aussuchen. Schließlich wurde es aber doch ganz nett – wobei ich es bezeichnend fand, dass der Knabe sich über das Fehlen eines berittenen St. Martin sowie darüber wunderte, dass wir nicht in eine Kirche gingen. Wie man sich vorstellen kann, war die Strecke des Laternenumzugs den Bedürfnissen und Fähigkeiten von Kindern unter sechs Jahren angepasst, es ging also im Prinzip nur "einmal um den Block", zwischendurch wurde auf einer kleinen Grünfläche Station gemacht, wo zu Akkordeonbegleitung ein paar Lieder gesungen wurden: "Ich geh mit meiner Laterne", "Durch die Straßen auf und nieder", "Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind" und zu guter Letzt "Laterne, Laterne, Sonne Mond und Sterne". Dann ging's zurück zur KiTa, in deren Garten eine Feuerschale und ein Fingerfood-Büffet aufgebaut worden waren. Für den Knaben war es offenkundig das Highlight der Veranstaltung, noch nach Einbruch der Dunkelheit mit seinen KiTa-Freunden im Garten klettern und schaukeln zu können und zu dürfen; sei ihm gegönnt. Gemessen daran, dass es sich um eine KiTa in kirchlicher (evangelischer) Trägerschaft handelt, fand ich, dass der religiöse Charakter der Feier ein bisschen arg kurz kam, aber umso besser ist es wohl, dass dies nicht die einzige Sankt-Martins-Feier war, bei der wir in diesem Jahr gewesen sind. Fast wären wir am gestrigen Freitag noch zu einer weiteren gegangen, nämlich zu derjenigen der Stadtmission Tegel; der Flyer sah recht vielversprechend aus: 

Seien wir ehrlich: Schon allein die Tatsache, dass die Stadtmissionsgemeinde sich die Mühe gemacht hatte, für ihr Martinsfest einen ansprechenden Flyer zu gestalten, hob diese Veranstaltung aus der Fülle der ähnlichen heraus. Der Text auf der Rückseite des Flyers versprach u.a.:

"Los geht's mit einer mitreißendem Geschichte rund um St. Martin, erzählt für Kinder und Erwachsene. Danach ziehen wir gemeinsam mit unseren selbstgebastelten Laternen und musikalischer Begleitung durch unsere Blechbläser zum Emstaler Platz – singend, lachend, leuchtend."
Okay: Abgesehen von der Ortsangabe hätte man mit demselben Wortlaut auch die Veranstaltung in Borsigwalde, bei der wir waren, bewerben können. Hat man aber eben nicht.

Was die Publikumsbefragung ergeben hat

Wir erinnern uns: Vorige Woche habe ich angekündigt, dass ich mit dem nahe bevorstehenden Ende des Kirchenjahres den Wochenbriefing-Reihentitel "Die 3 K der Woche" zur Ruhe betten möchte (und sei es nur, um mir nicht immer neue Begriffe mit K für die Überschrift aus den Fingern saugen zu müssen) und folglich einen neuen Reihentitel brauchen werde. Vier Titelideen habe ich daher auf Facebook und der App Formerly Known As Twitter zur Abstimmung gestellt, und während ich mit einer gewissen Befriedigung feststellen darf, dass jeder dieser Vorschläge zumindest vereinzelt Anklang gefunden hat, landeten doch zwei der vier Titeloptionen in der Publikumsgunst weit abgeschlagen – nämlich "Fährtensucher" und "In The Year 25/26". Ein Bloggerkollege meinte gar, "Fährtensucher" klinge "wie Schweinfarz"; eine einigermaßen vernichtende Kritik. Es zeichnete sich also recht deutlich ab, dass alles auf die Alternative "In Tempore Leonis oder Utopie und Alltag" hinauslaufen würde; auf Facebook lieferten diese beiden Titelvorschläge sich ein regelrechtes Kopf-an-Kopf-Rennen, während In Tempore Leonis auf X eindeutig vorn lag. Nun hatte ich ja von vornherein gesagt, die Publikumsbefragung solle lediglich beratende Funktion haben, aber angesichts des Ergebnisses stelle ich fest, dass es mir nach wie vor nicht leicht fällt, eine endgültige Entscheidung zu treffen. Okay, "endgültig" im vollen Wortsinne ist sie ja nicht, denn ungefähr in einem Jahr werde ich ja wohl wieder einen neuen Reihentitel brauchen, und da könnte man dann ja auf einen zurückgreifen, der diesmal nicht zum Zuge gekommen ist. Insofern könnte man natürlich sagen, In Tempore Leonis sei der aktuellere Titel, während Utopie und Alltag ein Titel sei, der "immer geht". Das zentrale Gegenargument ist jedoch, dass Utopie und Alltag sehr viel besser auf den Punkt bringt, wie ich meine Wochenbriefings auch im kommenden Kirchenjahr inhaltlich zu gestalten gedenke. Eine endgültige Entscheidung werde ich hier und jetzt allerdings nicht treffen; ein bisschen Zeit ist ja noch, und wer weiß, vielleicht macht der Leo in dieser Zeit ja noch irgendwas, was Aufschluss darüber gibt, ob es sich lohnt, die neue Wochenbriefing-Reihe seinem Pontifikat zu widmen...


Geistlicher Impuls der Woche

Wenn der Schwache in den kommenden Versuchungen nicht versagen soll, darf er sicher nicht durch falsche Hoffnungen getäuscht werden. Andererseits darf er auch nicht vor Schrecken zusammenbrechen. Sag ihm: "Wappne dein Herz für die Zeit der Versuchung!" (vgl. Sir 2,1) Vielleicht beginnt er zu straucheln und zu zittern und weigert sich, sich den Versuchungen zu stellen. Dafür hast du das andere Schriftwort: "Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet" (1 Kor 10,13). Dieses Versprechen und die Voraussage der kommenden Versuchungen bedeutet: den Schwachen stärken. Es gibt ja Menschen, die sich mehr wappnen, wenn sie hören, Versuchungen seien im Kommen, und die nach ihnen dürsten wie nach ihrem Trank. Sie verlangen nach dem Ruhm des Martyriums. Andere dagegen brechen zusammen und hinken, wenn sie von den unvermeidlich nahenden Versuchungen hören, die gerade über die Christen kommen müssen, Prüfungen, die nur der zu spüren bekommt, der wirklicher Christ sein will. Verbinde seine Wunden durch den Trost.  Sage: "Fürchte dich nicht! Der, an den du glaubst, lässt dich in der Versuchung nicht im Stich. Gott ist treu, er lässt dich nicht über deine Kraft versucht werden."
(Augustinus, Über die Hirten der Kirche)

 

Ohrwurm der Woche

David Dundas: Jeans On 


Ein Klassiker aus meinem Geburtsjahr; ursprünglich sollte dieses Stück tatsächlich nur ein Jingle für eine Jeanswerbung sein, und erst der Erfolg der Werbekampagne veranlasste die Songwriter dazu, dieses Werbejingle zu einem kompletten Drei-Minuten-Song auszubauen, um diesen als Single veröffentlichen zu können. Aus neuerer Zeit sind mir mehrere solcher Fälle bekannt (z.B. "Wir trafen uns in einem Garten" von 2Raumwohnung, ursprünglich eine Zigarettenwerbung), und nicht selten merkt man solchen Stücken die nachträgliche Erweiterung von 30 Sekunden auf über drei Minuten unvorteilhaft an; aber in diesem Fall geht's. Der Song besticht durch seine unbekümmerte Schlichtheit und passt mit seiner Glorifizierung simpler Freuden wie cooler Klamotten und Rumfahren mit der Liebsten perfekt ins Rock'n'Roll-Revival der 70er, dem wir z.B. auch die Serie "Happy Days" und das Musical "Grease" mitsamt dessen Verfilmung verdanken. 

Nun will ich allerdings nicht so tun, als hätte die Tatsache, dass dieser Song mein aktueller Ohrwurm der Woche ist, nichts mit der Debatte um die "Sydney Sweeney Has Great Jeans"-Kampagne von American Eagle zu tun. Ursprünglich hatte sich diese ganze Geschichte sozusagen nur am Rande meines Gesichtsfelds abgespielt: Sydney Sweeney war mir kaum ein Begriff (gehört hatte ich von ihr lediglich im Zusammenhang mit dem Film "Eden", den ich allerdings noch nicht gesehen habe), für Markenklamotten interessiere ich mich nicht und für Werbung für Markenklamotten folglich erst recht nicht; und darüber auf dem Laufenden zu bleiben, was es in den Medien so alles gibt, was irgendwelche Leute für rassistisch oder sonstwie diskriminierend halten, wäre wohl mindestens ein Vollzeitjob, und ich hab schließlich Familie. Aber nun wurde Sydney Sweeney für das Magazin GQ interviewt, und dieses Interview ging, wie man so sagt, viral; jedenfalls die Passage, in der die Interviewerin auf die Debatte um diese Jeanswerbung zu sprechen kommt und volle drei Minuten lang einen Anlauf nach dem anderen unternimmt, die Schauspielerin dazu zu bewegen, sich von den angeblichen eugenisch-rassistischen Untertönen dieser Werbekampagne zu distanzieren – und Sydney Sweeney sie einfach völlig ungerührt auflaufen lässt. Natürlich zog das nun auch wieder Kritik auf sich – Wieso kann bzw. will die Frau sich nicht einfach mal von Rassismus und Eugenik distanzieren, wenn man ihr die Gelegenheit dazu doch geradezu auf dem Silbertablett serviert? –, aber soweit ich gesehen habe, bestand die vorherrschende Reaktion wohl doch eher in Erheiterung über den Kontrast zwischen den peinlichen Verrenkungen, mit denen die Interviewerin der Schauspielerin das gewünschte Statement zu entlocken suchte, und der Gelassenheit, mit der Sydney Sweeney dies verweigerte. Daraus ist innerhalb kürzester Zeit ein Meme geworden, das das Potential hat, das altgediente Anakin Skywalker-/Padmé Amidala-Meme ("For the Better, Right?") zu beerben. 


Vorschau/Ausblick 

Die 52. und damit planmäßig letzte Folge der "3 K der Woche" steht bevor, und ein bereits feststehendes Thema für diese Wochenbriefing-Ausgabe wird die heutige erste Veranstaltung des Formats "Religiöse Kindertage" in St. Stephanus Haselhorst sein (Spoiler: War jut!). Am morgigen Sonntag wird in St. Joseph Siemensstadt das 90jährige Weihejubiläum der Kirche gefeiert, ich gehe mal davon aus, dass wir da hingehen werden. Am Dienstag – oder vielleicht am Donnerstag? – soll dann das Planungstreffen für die Advents-KiWoGos steigen; und am Freitag mache ich mich, gleich nachdem ich die Kinder zur Schule und zur KiTa gebracht habe, auf die Reise nach München. Was will ich in München? So direkt eigentlich nichts, aber im Umland von München – noch im Einzugsbereich der S-Bahn – wohnt eine ehemalige Mitschülerin, mit der ich seinerzeit in einer Band gespielt habe und die, gewissermaßen als Nachwirkung des 30-jährigen Abi-Nachtreffens im Frühjahr, zu einem Reunion-Wochenende eingeladen hat. Darauf freue ich mich schon seit Wochen wie ein Schnitzel, und es bleibt noch abzuwarten, ob daraus ein Thema für das übernächste Wochenbriefing oder eher für einen eigenständigen Artikel wird... 


Samstag, 8. November 2025

Die 3 K der Woche (50): Kinder, Kirche, Kofferservice

Willkommen zum Wochenbriefing, Leser! Die erste Schul- und Arbeitswoche nach unserem sensationellen Urlaub ist überstanden, und ich würde sagen, sie ist ziemlich okay gelaufen – besser als erwartet eigentlich. So ganz sind wir zwar wohl noch nicht wieder im Rhythmus des Alltags angekommen, aber immerhin auf dem Weg dorthin. Im Folgenden erwartet euch, wohllöbliche Leser, daher eine Mischung aus Rückblicken auf den Urlaub und Ausblicken auf das, was in nächster Zeit so ansteht. Seid also gespannt! 

Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen. 

Kamele und Vulkane 

Mein voriges Wochenbriefing hatte ich von Arrecife auf der Insel Lanzarote aus in den digitalen Äther abgesandt – der letzten Station unserer spektakulären Urlaubsreise vor Gran Canaria, von wo aus wir am nächsten Morgen die Rückreise antreten mussten. Aus einiger Entfernung sah die Vulkaninsel Lanzarote durchaus eindrucksvoll aus: 

Weniger freundlich war der erste Eindruck, den die Insel beim Landgang auf mich machte: Eine unwirtliche Mondlandschaft, bedeckt mit Vulkanasche; kaum Grün, abgesehen von Kakteen und vereinzelten Palmen, und niedrige Gebäude, also kaum Schatten. Zudem war die Anlegestelle des Schiffes so weit von der Innenstadt von Arrecife entfernt, dass wir kaum etwas Sinnvolles tun konnten, bis unser gebuchter Ausflug losging. Im Grunde hätten wir besser daran getan, eine bis eineinhalb Stunden länger an Bord zu bleiben. 

Insgesamt drängte sich mir der Verdacht auf, die Spanier würden sich für dieses öde Fleckchen Erde wohl kaum sonderlich interessiert haben, wenn sie nicht eine Zwischenstation auf dem Weg nach Amerika gebraucht hätten. Auf den gebuchten Ausflug, der in den Timanfaya-Nationalpark im Nordwesten der Insel führen sollte, freute ich mich nun auch nicht mehr so richtig, da ich befürchtete, stundenlang in glühender Hitze durch eine baumlose Landschaft wandern zu müssen. Diesbezüglich erwiesen sich meine Vorstellungen allerdings als übertrieben: Den größten Teil der Tour durch die Vulkanlandschaft absolvierten wir im Bus, einen kleineren Teil auf Kamelrücken. Ich hatte eigentlich angenommen, der in der Ausflugsbeschreibung als "optional" bezeichnete "kurze Kamelritt" wäre eine separate Attraktion neben der Führung durch die Vulkanlandschaft, aber tatsächlich war der Ritt gar nicht so kurz, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, und führte durch einen Teil des Geländes, der ohne die Hilfe der trittsicheren Paarhufer wohl nur schwer zugänglich gewesen wäre. 


Für die Kinder war dieser Kamelritt, wie sie rückblickend äußerten, ein Highlight des ganzen Urlaubs, und dasselbe galt für ein paar Demonstrationen unterirdischer Vulkanaktivität, die uns im Außenbereich des Nationalpark-Besucherzentrums vorgeführt wurden. Die wohl spektakulärste dieser Vorführungen bestand darin, dass ein Eimer Wasser in ein Loch im Boden entleert wurde und Sekunden später eine Dampffontäne aus dem Loch hervorgeschossen kam. Zu dem Besucherzentrum gehörte auch ein Restaurant, in dem die Hitze aus dem Vulkan u.a. dazu genutzt wurde, ganze Hähnchen auf einem Rost zu braten. 

Zum Abschluss des Ausflugs wurde noch ein kleines Weingut besucht, wozu auch eine Weinprobe gehörte. So wenig auf dieser Insel auch sonst wächst, wird der Weinanbau hier doch sehr groß geschrieben. 


Andachtsraum auf Deck 9¾ 

Am letzten Abend unserer Kreuzfahrt merkte unsere Tochter an, sie fühle sich auf dem Schiff inzwischen wie zu Hause und würde am liebsten immer dort leben; und ich müsste lügen, wollte ich behaupten, ich könnte diesen Wunsch nicht nachvollziehen. Nun, jedenfalls führte diese Bemerkung zu einer kleinen familieninternen Diskussion – oder vielleicht eher zu einem Brainstorming – darüber, was es auf dem Kreuzfahrtschiff denn noch geben müsse, damit einem da wirklich nichts zum Leben fehlt. Auf den für Viele wohl naheliegenden Einwand "Aber die Kinder müssen doch zur Schule gehen!" würde ich als Schulpflichtskeptiker ja erst mal erwidern ", müssen sie nicht", aber irgendeine Form von Lernangeboten bräuchte es natürlich schon, und dazu eine Bibliothek, in der es nicht nur Trivialromane und Promi-Autobiographien gibt. – Kurz und gut, eine Schulalternative könnte ich mir an Bord eines Kreuzfahrtschiffes noch so einigermaßen vorstellen; schwieriger würde es da schon mit einer Pfadfinder-Alternative, und was am allermeisten fehlen würde, wäre – wie vorige Woche schon angeklungen ist – ein Andachtsraum, idealerweise in Gestalt einer Anbetungskapelle, in der, wenn gerade mal ein Priester an Bord ist, auch Messe gefeiert werden kann. Zu der Frage, wo auf dem Schiff wohl Platz für einen solchen Raum sein könnte, meinte meine Liebste, das wäre wohl – frei nach Harry Potter – ein Fall für "Deck 9¾". Wozu ich sagen möchte, dass mir die Vorstellung eines Kreuzfahrtschiffes mit einem geheimen Deck, von dessen Existenz nur Eingeweihte wissen und auf dem es so allerlei gibt, was man auf einem Kreuzfahrtschiff normalerweise nicht erwarten würde, noch tagelang allerlei amüsantes Kopfkino beschert hat. 

Jenseits solcher realitätsfremder Phantasien beschäftigte mich indes durchaus der Gedanke, wie es wohl wäre, auf einem Kreuzfahrtschiff zu arbeiten – nicht unbedingt dauerhaft, sodass man nur alle soundsoviel Wochen mal nach Hause käme, aber "für mal". Angeregt hatte mich zu diesem Gedanken vor allem ein Interview mit der Personalchefin des Schiffs im Rahmen des abendlichen Showprogramms (ich hatte es vorige Woche schon kurz erwähnt). – Zu den interessanten Berufen an Bord gehört übrigens der des Lektors; so wird jemand bezeichnet, der auf der Showbühne des Schiffes jeweils ein paar Tage im Voraus Vorträge über die anstehenden Reiseziele hält. Den Lektor, der unsere Kreuzfahrt begleitete, fand ich allerdings nicht besonders gut: Schon sprachlich fielen seine Vorträge durch eine Häufung von Grammatik- und Satzbaufehlern, Malapropismen und Katachresen auf, wie ich sie bisher nur aus Gerichtsshows auf Sat1 und RTL kannte, und inhaltlich... nun ja. In seinem Vortrag über La Coruña spielte der Jakobsweg und mithin das gut 75 km entfernte Santiago de Compostela eine nicht geringe Rolle, und in diesem Zusammenhang sprach der Lektor vom "angeblichen" Grab des Apostels Jakobus – eine Wortwahl, für die er sich sogleich entschuldigte, die er aber natürlich gerade dadurch besonders hervorhob. Am  Tag vor unserer Rückreise sprach er über die Insel Teneriffa – die das Schiff am übernächsten Tag anlief; für Passagiere mit wohlgenährterem Geldbeutel (und mehr Zeit) ging (und geht) die Reise nämlich noch weiter bis in die Karibik, und Teneriffa war die letzte Station vor einer sieben Tage dauernden Atlantiküberquerung. Wie dem auch sei: Der Vortrag über Teneriffa schien mir von der Überzeugung geprägt, politischer Moralismus gehöre zu den Grundbedürfnissen des Deutschen, die auch im Urlaub bedient werden müssen. So hielt sich der Referent ausgiebig bei dem Umstand auf, dass Teneriffa traditionell eine Hochburg des Franquismus gewesen sei, was bis heute nachwirke: Es gebe auf der Insel immer noch Gruppen von Leuten, die an Francos Geburtstag Gedenkfeiern für ihn abhielten und beispielsweise Heilige Messen für ihn lesen ließen. Insbesondere über letzteres zeigte der Redner sich so demonstrativ empört, dass ich mich unwillkürlich fragte, ob er überhaupt weiß und versteht, warum man Messen für Verstorbene hält, wenn er es offenbar irgendwie ungehörig findet, dies für jemanden zu tun, der zu Lebzeiten kein guter Mensch war. "Noch schlimmer" fand er es allerdings, dass bis vor einigen Jahren noch mehrere Straßen und Plätze auf Teneriffa nach General Franco benannt gewesen seien: "Stellen Sie sich mal vor, in Deutschland gäbe es immer noch Straßen und Plätze, die nach Adolf Hitler benannt wären." Also sorry: So wenig ich die Franco-Diktatur irgendwie schönreden will, finde ich doch, Franco mit Hitler auf eine Stufe zu stellen läuft geradezu auf eine Verharmlosung der nationalsozialistischen Terrorherrschaft hinaus. – Auch sonst schienen mir die Ausführungen des Lektors zum Spanischen Bürgerkrieg, gelinde gesagt, unterkomplex und auf sehr deutsche Weise mehr vom Pochen auf korrekte Gesinnung als von Sachverstand geprägt. Unwillkürlich fiel mir ein, wie ich mal an einer Kirchenwand in einem kleinen Ort am Jakobsweg – ich glaube, in Azofra – eine Gedenktafel für die "im Heiligen Krieg gegen den Kommunismus" gefallenen Gemeindeangehörigen gesehen habe. Was der AIDA-Lektor wohl dazu gesagt hätte? 

Was auch zum Fazit dieser Reise gehört, ist die Feststellung, dass es – wenn es schon keine eigenen Kreuzfahrtunternehmen für Hardcore-Katholiken gibt – allemal wünschenswert wäre, dass es in den von Kreuzfahrtschiffen typischerweise angesteuerten Hafenstädten Stadtführungs- und Ausflugsanbieter gäbe, die in Kooperation mit den Kreuzfahrtunternehmen Angebote für ein "katholisch interessiertes" Publikum machen. Wenn von Lissabon aus Ausflüge zur Tropfsteinhöhle von Mira de Aire angeboten werden, warum dann nicht auch zum kaum weiter entfernten Marienwallfahrtsort Fátima? Ein weiteres Beispiel fiel mir auf Lanzarote auf: Auf der Rückfahrt vom Timanfaya-Nationalpark zum Schiff kamen wir fast an der Kirche Nuestra Señora de los Dolores vorbei – aber eben nur fast, geschweige denn dass wir dort Station gemacht hätten; dabei ist die sehr interessant: Es handelt sich um eine Votivkirche, die nach einem Vulkanausbruch im 18. Jahrhundert gestiftet und an der Stelle errichtet wurde, an der die Lavaströme zum Stillstand gekommen waren; Teile der Innenausstattung sind aus Vulkangestein hergestellt. Also, wenn ich in meinem Leben noch einmal nach Lanzarote komme, dann will ich diese Kirche sehen. 

Aber davon mal abgesehen: Die wohl aussagekräftigste Antwort auf die Frage, wie uns dieser Urlaub gefallen hat, dürfte darin bestehen, dass meine Liebste – nachdem sie beim Buchen dieser Reise noch argumentiert hatte, so etwas mache man einmal im Leben – schon über die nächste Kreuzfahrt nachdenkt. Aber dafür müssten wir wohl erst mal eine ganze Weile sparen – auch wenn man feststellen muss: Im Verhältnis dazu, was einem an Bord so alles geboten wird –angefangen von dem ganzen Essen und Trinken über das Schwimmbad und die Kinderbetreuung bis hin zu den Bühnenshows –, ist diese Form von Urlaub eigentlich gar nicht übermäßig teuer. Na, mal sehen – vielleicht wird es in drei bis vier Jahren nochmal was... 


Auf Gran Canaria sind die Bushaltestellen unterirdisch 

Und das ist nicht als Qualitätsurteil gemeint, sondern sie liegen tatsächlich unter der Erde. Also jedenfalls einige Bushaltestellen in Las Palmas. Das war die erste bemerkenswerte Erkenntnis unseres Rückreisetags. Glücklicherweise fuhren die Busse trotzdem weitgehend oberirdisch, sodass wir auf dem Weg vom Hafen zum Flughafen sowohl den Sonnenaufgang als auch einiges von der Stadt sahen. Merke: Auf Gran Canaria sieht's aus wie in Spanien, nur südlicher, mit mehr Palmen und so. Da kann man nun natürlich sagen "Na klar, Gran Canaria gehört ja auch zu Spanien", aber das tut Lanzarote auch, und da sieht's aus wie auf'm Mond. – Die nächste interessante Erkenntnis war, dass es im Abflugbereich des Flughafens von Gran Canaria einen Kinderspielplatz gibt. 

Auch sonst verlief die Rückreise nach Berlin ziemlich reibungslos und jedenfalls unproblematischer, als man sie sich theoretisch hätte vorstellen können; an dieser Stelle daher herzlichen Dank an diejenigen Leser, die dem Aufruf gefolgt sind, für unsere glückliche Heimreise zu beten. Nicht so gut erging es unserem Gepäck: Das blieb nämlich erst mal in Madrid zurück. Mit knapp vier Tagen Verspätung wurde es uns dann aber unversehrt nach Hause geliefert; das hätte schlimmer ausgehen können. 


Wenn der Vater mit dem Sohne 

Am Dienstag feierte unsere Große mit fünf Schulfreundinnen (eigentlich wären es sechs gewesen, aber eine konnte nicht kommen) im Anschluss an die Schule in der Colorbox in Moabit ihren Geburtstag nach; da dies eine reine Mädchenparty werden sollte und die Feier mit ihren "Jungs-Freunden" ja schon vor unserer Urlaubsreise stattgefunden hatte, war der kleine Bruder nicht eingeladen und war darüber so traurig, dass er am Morgen nicht in die KiTa wollte, sondern den Tag lieber mit mir verbringen wollte. Ich hatte für diesen Tag zwar eigentlich andere Pläne gehabt, kam aber zu dem Schluss, dass ich abgesehen vom Einkauf, den ich auch zusammen mit dem Knaben erledigen konnte, eigentlich nichts Unaufschiebbares zu tun hatte, und überhaupt ist es für mich als langjährigen #kindergartenfrei-Veteranen ja eigentlich Ehrensache, zu sagen: Wenn das Kind nicht in die KiTa will, dann muss es auch nicht. Gleichwohl unternahm ich ein paar Versuche, ihn umzustimmen – er habe doch schließlich Freunde in der KiTa, es gebe dort doch tolle Spielsachen usw. –, aber schließlich gab ich nach. Dabei traf es sich gut, dass an diesem Tag die "Rumpelberggruppe" stattfand, zu der ich mit dem Jüngsten regelmäßig gegangen war, solange er noch nicht in der KiTa war. Die Frage, ob er dorthin wolle, bejahte er ohne Umstände. Also machten wir uns dorthin auf den Weg, und es war auch wirklich schön, mal wieder dort zu sein; danach blieben aber immer noch knapp vier Stunden bis zu der Zeit, zu der ich den Knaben normalerweise aus der KiTa abgeholt haben würde, und dann noch einmal vier, bis die "andere Hälfte der Familie" vom Kindergeburtstag zurückkam. Alles in allem hatten mein Sohn und ich also so viel Zeit "alleine zu zweit" wie schon lange nicht mehr, und ich stellte fest, dass ich das richtig genoss. Am schönsten fand ich, dass wir endlich mal wieder dazu kamen, eine "Beten mit Musik"-Andacht in St. Joseph Tegel abzuhalten. Auf dem Weg dorthin hatte der Knabe den Wunsch geäußert, wir sollten drei Lieder spielen, von denen eins – nämlich das mittlere – ich mir aussuchen dürfe; aber am Schluss der Andacht fand er dann doch, wir sollten noch ein viertes Lied spielen, das dann ebenfalls ich aussuchen durfte. Die Psalmenabschnitte aus der Non vom Tag empfand ich als sehr ermutigend, und insgesamt weckte diese "Beten mit Musik"-Andacht bei mir den Wunsch, "sowas mal wieder öfter zu machen". Derweil kündigte mein Sohn an, er wolle auch mal wieder zur Werktagsmesse (mit anschließendem Frühstück) in St. Marien Maternitas gehen – was darauf hinausliefe, dass er auch mal an einem Mittwoch nicht in die KiTa geht, aber okay, soll mir recht sein. 

An diesem Mittwoch gingen wir jedenfalls nachmittags zum JAM, zum ersten Mal seit vier Wochen; das fühlte sich ein bisschen an wie nach Hause kommen, auch wenn die Veranstaltung diesmal vergleichsweise schwach besucht war. Während meine Liebste zum Elterncafé und das Tochterkind zum Programm für die "Kids" (6-12 Jahre) ging, schleppte der Jüngste mich resolut mit zum Programm für die "Minis" (unter 6 Jahre). Inhaltlich ging es aber in beiden Kinder-Altersgruppen, wenn auch in unterschiedlicher Gestaltung, um dasselbe, nämlich um einen Abschnitt aus dem 1. Buch der Könige. Schon in der Ankunftsphase, vor dem eigentlichen Programmbeginn, war mir eine Materialienmappe ins Auge gefallen: 

Auf den ersten Blick würde ich sagen, das ist mal wieder ein augenfälliges Beispiel für das schon früher beobachtete Phänomen, dass es im evangelikalen Verständnis ein Wert an sich ist, Kindern Kenntnisse über biblische Geschichte zu vermitteln, und dass die Frage "Was sagt uns das heute?" dabei gar nicht so sehr im Vordergrund steht. Wobei "nicht so im Vordergrund stehen" nun wiederum auch nicht bedeutet, dass das gar keine Rolle spielt. Diesmal ging es konkret darum, wie König Joschafat von Juda sich von seinem Nachbarn, König Ahab von Israel, überreden lässt, mit ihm in den Krieg gegen die Aramäer zu ziehen, und die Lehre daraus – jedenfalls in der Version für die Kinder im Vorschulalter – lautete, dass man sich vor falschen Freunden hüten solle, die nicht an Gott glauben. Diese Message kam für mein Empfinden zwar ein bisschen platt daher, aber man kann's mir auch wirklich schwer recht machen, muss ich zugeben. Diese Feststellung leitet übrigens ziemlich gut zum nächsten Thema über: 


Neues von der Kinderkatechese 

Auf der Liste der übernatürlichen Fähigkeiten, die ich gern hätte, steht die Gabe der Bilokation immer noch weit oben; da ich diese Gabe aber nun einmal nicht besitze, habe ich während unseres Urlaubs leider das erste Vorbereitungstreffen für das Projekt "Religiöse Kindertage" in St. Stephanus verpasst. Nun, betrachten wir das mal als eine Gelegenheit, gegen meinen Hang zur Selbstüberschätzung anzugehen, der sich gern in der mehr oder weniger uneingestandenen Überzeugung äußert, wenn irgendein Projekt ohne meine konzeptionelle Mitarbeit gestartet werde, dann könne dabei ja gar nichts Vernünftiges herauskommen. Tatsächlich scheint es mir zwar ein bisschen ein Schnellschuss zu sein, den ersten "Religiösen Kindertag" schon in einer Woche stattfinden zu lassen – okay, der Termin stand schon mindestens seit September im Raum, aber wäre ich beim Planungstreffen gewesen, hätte ich wohl dafür plädiert, sich mit der Vorbereitung lieber mehr Zeit zu lassen und vielleicht, auch angesichts der Tatsache, dass Krippenspiel und Sternsingeraktion vor der Tür stehen, erst im Neuen Jahr damit zu starten –, aber gleichzeitig muss ich anerkennen, dass der Programmentwurf für diese erste Veranstaltung recht vielversprechend aussieht. Das Motto lautet "Heilige & Tattoos", inhaltlich soll es darum gehen, dass die teilnehmenden Kinder mehr über ihre Namenspatrone (und einige andere ausgewählte Heilige) erfahren, und rund um dieses Thema herum soll es Spiel- und Bastelangebote sowie gemeinsames Kochen und Essen geben. Ich bin durchaus zuversichtlich, dass das sehr gut werden kann, und hinterher kann man dann immer noch sehen, was man beim nächsten Mal womöglich noch besser machen kann. 

Gleichwohl habe ich durchaus schon jetzt ein paar Verbesserungsvorschläge oder ‐wünsche für die Zukunft; und diese drehen sich durchweg um einen Leitgedanken, von dem ich den Verdacht habe, dass er beim Planungstreffen keine große Rolle gespielt hat, oder zumindest keine so große, wie es der Fall gewesen wäre, wenn ich dabei gewesen wäre: nämlich das Anliegen, die Veranstaltungsreihe auch für "unchurched people" interessant und attraktiv zu machen. Ich hatte das schon im September bei dem Zwei-Mann-Arbeitskreistreffen am Tegeler See angesprochen und hatte den Eindruck gehabt, dass der Gemeindereferent in der grundsätzlichen Absicht mit mir übereinstimmt; aber es gibt in der post-volkskirchlichen Praxis nun mal eingespielte Gewohnheiten, in die man, wenn man nicht permanent auf der Hut ist, quasi automatisch zurückverfällt – und rauszugehen und zu versuchen, Leute zu erreichen, die nicht von alleine kommen, gehört dezidiert nicht zu diesen eingespielten Gewohnheiten. Da gibt es also noch Baustellen, und eine solche sehe ich darin, dass wir einen ansprechend designten Flyer brauchen. Einen, den man ohne Scham nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Stadtteilbibliothek, an der Tanke und bei Edeka auslegen kann. Nicht ganz davon zu trennen ist das Anliegen, der ganzen Veranstaltungsreihe einen griffigen, nicht allzu offensichtlich "churchy" klingenden Namen zu geben. Insofern, könnte man sagen, ist der "Einladungszettel" für die erste Veranstaltung schon ein Schritt in die richtige Richtung, denn da steht das Tagesthema "Heilige & Tattoos" im Zentrum des Layouts und die, wie ich finde, recht bürokratisch und sperrig anmutende Bezeichnung "Religiöser Kindertag" in kleinerer Schrift darunter. Gleichzeitig macht das Stichwort "Heilige" im Titel wohl einigermaßen deutlich, dass die Themenwahl eher nicht darauf ausgerichtet gewesen ist, ein kirchenfernes Publikum anzusprechen; aber wie schon gesagt, warten wir ruhig erst mal ab, wie die erste Veranstaltung läuft, und ziehen daraus dann Konsequenzen für die konzeptionelle Weiterentwicklung. Ich bin jedenfalls gespannt! 


Wie soll die neue Wochenbriefing-Reihe heißen? 

Nur noch zwei Wochen bis zum Christkönig-Wochenende, das den Zeitpunkt markiert, bis zu dem die Wochenbriefing-Reihe "Die 3 K der Woche" ein volles Kirchenjahr hindurch gelaufen sein wird – und zwar, im Unterschied zum Vorgänger-Format "Creative Minority Report", ohne Unterbrechungen; das war zuvor nur dem Ur-Wochenbriefing-Format "Kaffee & Laudes" gelungen, das es allerdings wegen des etwas kürzeren Kirchenjahres "nur" auf 49 Folgen brachte. – Zugleich heißt das aber auch, dass in drei Wochen, pünktlich zum 1. Advent, wieder eine neue Wochenbriefing-Reihe starten soll, und die braucht dann auch einen neuen Titel. Ein paar Ideen dazu hätte ich schon, kann mich aber noch für keine davon mit ganzem Herzen entscheiden – zumal jeder dieser angedachten Reihentitel auch seine eigenen Implikationen für die inhaltlich-konzeptionelle Gestaltung mitbringt. Es handelt sich um die folgenden: 

  • In Tempore Leonis 

Dieser Titel bezieht sich natürlich auf das Pontifikat Leos XIV. – von dem wir allerdings doch wohl hoffen wollen, dass es länger dauert als die Wochenbriefing-Reihe des kommenden Kirchenjahres –; zugleich bedeutet diese Überschrift aber auch "In der Zeit des Löwen", das klingt nach Abenteuer, und Latein ist sowieso immer gut. Allerdings würde ein solcher Titel wohl die Erwartung wecken, dass ich im Vergleich zu den "3 K der Woche" wieder einen stärkeren Fokus auf "kirchenpolitische" Themen jenseits des persönlichen Erfahrungsbereichs richte, und ich weiß nicht recht, ob ich diese Erwartung erfüllen möchte. 

  • Fährtensucher 

Das ist, konzeptionell betrachtet, so ziemlich der direkte Gegenentwurf: Natürlich ist bzw. wäre dieser Reihentitel von meinem seit einiger Zeit neu erwachtem Interesse an der Pfadfinderei inspiriert, aber ich würde denken, auch darüber hinaus ließe sich so allerlei damit assoziieren – etwa: die Suche nach Wegen durch die Tücken des Alltags, durch die Herausforderungen des Schmutzigen Schismas, durch die ideologischen Verirrungen unserer Zeit. "Der Weg durch den Dschungel" wäre auch ein schöner Titel, aber so heißt ja schon das Erprobungsbuch der KPE für die Wölflingsstufe

  • In The Year 25/26 

Für diese Titelidee stand natürlich der dystopische Hippie-Folksong "In the Year 2525" von Zager & Evans Pate, womit schon mal mindestens zwei Aspekte benannt wären, die die thematische Schwerpunktsetzung einer so benannten Wochenbriefing-Reihe berücksichtigen müsste: Hippiesk und apokalyptisch müsste sie sein. Okay, es steht im Grunde nicht zu bezweifeln, dass das kommende Jahr allerlei Stoff liefern dürfte, der diesen Aspekten gerecht wird. Was dabei aber konzeptionell womöglich ein wenig zu kurz kommt, sind die Momentaufnahmen aus dem täglichen Leben; und das wiederum bringt mich auf eine weitere Titelidee, nämlich 

  • Utopie und Alltag 

– frei nach dem epochalen Post-Punk- bzw. Proto-NDW-Album der Gruppe Fehlfarben, versteht sich. – Auch noch eine Option wäre es, den Reihentitel "Spandau oder Portugal" wieder aufzugreifen, aber es scheint mir doch einigermaßen fraglich, ob ich diesen Titel auf die Dauer wirklich mit Leben würde füllen können, solange die Idee, nach Portugal auszuwandern, lediglich ein Wunschtraum für "irgendwann mal" ist. – Da ich mich nun aber zwischen all diesen Optionen nicht so recht entscheiden kann, habe ich mir gesagt, zieh' ich einfach mal den Publikumsjoker; will sagen, ich habe sowohl auf Facebook als auch auf der App Formerly Known As Twitter Umfragen erstellt, damit ihr, geschätzte und verehrte Leser, darüber abstimmen könnt, welcher der vorgeschlagenen Reihentitel euch am besten gefällt. Wer in keinem der beiden Netzwerke aktiv ist, kann sein Votum gern auch direkt hier im Kommentarbereich abgeben. Betonen möchte ich allerdings, dass diese Publikumsbefragung lediglich eine beratende Funktion haben soll: Am Ende mache ich doch, was ich will. Ich hoffe allerdings, dass euer Votum mir dabei helfen wird, zu entscheiden, was ich eigentlich will


Geistlicher Impuls der Woche 

Mit [dem] Verlust des christlichen Gedächtnisses geht eine Art Zukunftsangst einher. Das gemeinhin verbreitete Bild von der Zukunft stellt sich oft als blass und ungewiss heraus. Man hat eher Angst vor der Zukunft, als dass man sie herbeiwünschte. Besorgniserregende Anzeichen dafür sind unter anderem die innere Leere, die viele Menschen peinigt, und der Verlust des Lebenssinnes. Zu den Zeichen und Auswirkungen dieser Existenzangst sind insbesondere der dramatische Geburtenrückgang und die Abnahme der Priester- und Ordensberufe zu zählen sowie die Schwierigkeit, wenn nicht sogar die Weigerung, endgültige Lebensentscheidungen auch bezüglich der Ehe zu treffen. 

(Johannes Paul II., Nachsynosales Schreiben Ecclesia in Europa, Nr. 8) 


Ohrwurm der Woche 

Timmy Thomas: Why Can't We Live Together 

Ich hatte ja schon erwähnt, dass ich die Musik, die während unserer Urlaubsreise auf dem Kreuzfahrtschiff zu hören war, durchweg sehr gut fand; tatsächlich sogar so gut, dass ich mir versuchsweise auch zu Hause mal AIDAradio angehört habe, aber da war mein Eindruck eher durchwachsen. – Unter den Songs, die ich an Bord gehört habe, ist "Why Can't We Live Together" von Timmy Thomas jedenfalls besonders bei mir hängen geblieben – nicht zuletzt, weil ich diese Songauswahl eher überraschend fand: So richtige Feelgood-Mucke für den Urlaub ist das ja nun nicht unbedingt, sagte ich mir – auch wenn ich zugeben muss, dass mir beim flüchtigen Hören erst mal nicht einfiel, wie der Song hieß oder von wem er war; aber schon der eindringliche Klang der Lowrey-Orgel weckte bei mir Assoziationen von Rassenunruhen und Vietnamkriegsprotesten. Beides nicht zu Unrecht übrigens: Timmy Thomas wurde nach eigenem Bekunden durch Medienberichte über den Vietnamkrieg zu diesem Song inspiriert, und das Thema Rassendiskriminierung klingt ja recht deutlich in der Textzeile "No matter what color, you are still my brother" an. Kurz und gut, bezüglich der Stimmung, die der Song evoziert, würde ich ihn irgendwo zwischen "The Revolution Will Not Be Televised" von Gil Scott-Heron, "Am I Black Enough For You" von Billy Paul und "War" von Edwin Starr einordnen, was übrigens auch chronologisch ziemlich gut hinhaut. Der minimalistische und ungehobelt wirkende Sound der Nummer erklärt sich dadurch, dass es sich eigentlich nur um eine Demo-Aufnahme (in mono) handelte, bei der Timmy Thomas alle Instrumente selbst eingespielt hatte; zunächst war geplant, den Song mit einer richtigen Band neu einzuspielen, aber dann fand der Inhaber des Plattenlabels, die Demoversion sei so, wie sie war, schon perfekt. Recht hatte er, würde ich sagen. 


Vorschau/Ausblick 

Am heutigen Samstag standen wir erneut vor der Wahl, zu den KPE-Wölflingen im Süden Berlins oder zu den Royal Rangers in Tegel zu gehen; aber wenngleich ich durchaus gewillt bin, es gelegentlich mal wieder bei den Royal Rangers zu versuchen, gaben wir diesmal wieder der KPE den Vorzug. Ich halte es einfach für wichtig, da "dranzubleiben", und da am nächsten Samstag der oben erwähnte "Religiöse Kindertag" ansteht und ich am übernächsten Wochenende nicht da bin (warum nicht bzw. wo ich dann sein werde, verrate ich zu gegebener Zeit), wollte ich die heutige Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen; wie's war, erfahrt ihr nächste Woche. – Außerdem findet heute die ökumenische St.-Martins-Feier in Borsigwalde statt, nachdem sie im vorigen Jahr ausgefallen war; und wenn alles so läuft wie geplant, sind wir gerade dort, während dieses Wochenbriefing online geht; auch dazu also mehr im nächsten Wochenbriefing. Morgen ist der Weihetag der Lateranbasilika, da steht in St. Joseph Siemensstadt der KiWoGo zur Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel an; anschließend ist unsere Große zur Geburtstagsfeier einer Schulfreundin eingeladen. Am Dienstag wäre dann der eigentliche Martinstag, aber wie es scheint, verteilen sich die St.-Martins-Feiern in unserer Umgebung sämtlich auf die Tage davor oder danach; die KiTa unseres Jüngsten etwa feiert am Mittwoch St. Martin, was insofern unglücklich ist, als es mit dem JAM kollidiert – aber da müssen wir wohl durch, zumal der Knabe in der KiTa bereits eine Laterne für diesen Anlass gebastelt hat und seine Freunde da auch hingehen. Donnerstag und Freitag steht, soweit ich sehe, noch nichts auf dem Programm, und dann ist schon das nächste Wochenbriefing fällig... 


Mittwoch, 5. November 2025

Der seltsame Fall der eingekerkerten Nonne, Teil 26

Frohe Kunde, Leser: Ich habe den Roman "Barbara Ubryk oder die Geheimnisse des Karmeliter-Klosters in Krakau" zu Ende gelesen, damit ihr es nicht müsst! Nachdem ich vor mehr als neun Jahren (!) mit der Lektüre dieses ausufernden Fortsetzungsromans begonnen hatte, hatte ich zwischenzeitlich schon Zweifel, ob ich das Ende jemals erreichen würde. Was ich damals aber auch nicht geahnt habe, war, dass der Autor 74 Kapitel und fast 1200 Druckseiten füllen würde, bevor die Romanhandlung an einen Punkt gelangte, an dem man sie sinnvoll mit den bekannten Fakten über den realen Fall der Barbara Ubryk abgleichen kann. Immerhin, diesen Punkt haben wir jetzt erreicht. –

Erinnern wir uns, dass der Verfasser am Ende des LXXIV. Kapitels angekündigt hatte, die letzten beiden Kapitel des Romans – wenn man das Nachwort nicht mitrechnet – würden sich auf die amtlichen Untersuchungsakten zum Fall Barbara Ubryk stützen. Auf die Frage "Glauben wir dem das?" habe ich eine Antwort, die den geneigten Leser vielleicht überraschen wird: Für bare Münze nehmen sollte man diese Behauptung sicherlich nicht, aber ein Körnchen Wahrheit steckt wohl doch darin. Konkret gesagt glaube ich nicht, dass der Verfasser persönlich Einblick in irgendwelche amtlichen Untersuchungsakten hatte, sehr wohl jedoch, dass die letzten Kapitel erheblich mehr authentische Fakten zum Fall Barbara Ubryk enthalten als die gesamte bisherige Romanhandlung. Warum? Einfach deshalb, weil die Fakten über die Auffindung Barbara Ubryks, die dabei festgestellten Umstände ihrer Gefangenschaft (wie etwa Größe, Ausstattung und Zustand ihrer Zelle) sowie die Ergebnisse der anschließenden ärztlichen Untersuchung durch die internationale Presse gegangen waren und somit auch den Lesern des Romans theoretisch bereits bekannt sein konnten; der Autor musste also einerseits bestrebt sein, diesen Fakten Rechnung zu tragen, andererseits aber auch, sie nach Möglichkeit mit dem ganzen ausgedachten Quatsch in Einklang zu bringen, den er seinen Lesern bisher aufgetischt hat, und zugleich zu suggerieren, er wisse mehr als das, was schon in der Zeitung stand, denn was wäre das sonst für ein Enthüllungsroman?

Das LXXV. Kapitel, "In pace, oder: was der unterirdische Gang erzählt" (im Inhaltsverzeichnis ist die Kapitelüberschrift hingegen mit "In pace, der Klosterkerker" angegeben), kann indes eher wenig Anspruch auf Authentizität erheben: Die Handlung knüpft unmittelbar an die Schilderung der missglückten Flucht Jovitas im vorangegangenen Kapitel an, man erfährt, infolge der "Geschwätzigkeit der Schusterwirthin Frau Halman" habe "nicht nur die Stadt Krakau von der mißglückten Flucht einer Carmeliter=Nonne" erfahren, "sondern auch das bischöfliche Generalvikariat, und zwar noch denselben Vormittag" (S. 1199). Es heißt, die lokale Presse – namentlich die "zwei Blätter 'Czas' und 'Craj'" – hätten "damals nur flüchtig" über den Fall berichtet: "Niemand wußte, wer die Nonne gewesen, wie sie geheißen habe, und so verstummte das Gerede über diesen Vorfall wieder sehr bald" (ebd.). – Belege dafür vorzulegen, dass die genannten Zeitungen damals überhaupt über einen solchen Fall berichtet haben, dürfte dem Autor indes schwer fallen, zumal die Zeitung "Czas" (d.h. "Zeit"), wie man aus Meyers Großem Konversations-Lexikon von 1906 erfahren kann, erst ab November 1848 erschien, der besagte Fluchtversuch jedoch bereits "am 25. Mai 1848" stattgefunden haben soll (S. 1201); die Zeitung "Kraj" (d.h. "Land") wurde sogar erst 1869 von Adam Sapieha begründet. Einen Hinweis darauf, dass die Fluchtversuchs-Geschichte dennoch einen wahren Kern haben könnte, habe ich allerdings im Pfälzer Boten vom 4. August 1869 gefunden, in dem es unter Berufung auf die Wiener "Presse" heißt:

"Thatsache jedoch ist, daß im Jahre 1848 aus dem Kloster der Carmeliterinnen in Krakau eine Nonne flüchten wollte. Ob diese Nonne und Barbara Ubryk identisch sind? Höchst wahrscheinlich."

Was dieser Artikel an Gerüchten über die Vorgeschichte dieses Fluchtversuchs mitteilt, ist indes wiederum eine ganz andere Geschichte als die, die in Dr. Rodes Roman erzählt wird; aber dazu vielleicht an anderer Stelle mehr. Entscheidend ist zunächst einmal, dass der "bischöfliche Generalvikar" von der Sache Wind bekommt und "sofort die Einleitung einer Untersuchung und die vorläufige Einsperrung der Nonne 'wegen Bruches der Clausur'" anordnet (S. 1200). Um einer solchen Untersuchung seitens des Bistums zuvorzukommen, die, "wenn sie eingeleitet wurde allerhand Dinge zu Tage fördern" würde, "welche auf das ganze Kloster das schlimmste Licht warfen" (ebd.), beschließen die Priorin des Klosters und der Beichtvater, "über das Schicksal Jovitas endgiltig zu entscheiden" (ebd.). Dies soll "in einem großen Capitel" geschehen – wozu ausgeführt wird:

"Die Klöster haben ihre eigene Jurisdiktion, nach welcher sie richten, urtheilen und vollstrecken, und welche unter dem gewöhnlichen Schutze von Concordaten weder vom Staate noch von Bischöfen angetastet werden darf. Sie bilden so recht einen Staat im Staate, eine Republik in der Monarchie" (ebd.).

Höchst fatal! Ganz nebenbei wird noch der eigentlich gar nicht zur Sache gehörende Hinweis eingestreut, vom Beichtvater Pater Hyginus werde "in gewissen Kreisen Krakau's nicht mit Unrecht vermuthet, daß er der leibliche Sohn der ehrwürdigen Mutter Tharsilla, aus einer geistlichen Ehe entsprungen, gewesen sein soll" (ebd.); viel interessanter ist aber allemal der "Capitelbeschluß des Convents der barfüßigen Carmeliterinnen zu St. Mariä Heimsuchung", den der Autor als ein authentisches Dokument ausgibt; wäre dies tatsächlich der Fall, dann dürfte man aber wohl erwarten, dass dieses in der gerichtlichen Untersuchung zum Fall Barbara Ubryk eine Rolle gespielt haben würde. In diesem Beschluss wird "Jovita de Angelis von Ubryk" unter anderem für schuldig befunden, "unsittliche Handlungen begangen zu haben", "[d]er Taufgnade abgeschworen und sich dem Teufel ergeben zu haben" (ebd.), "[u]nwürdig communicirt, Sakrilegien und Gotteslästerungen begangen zu haben" (S. 1201) und ihre Gelübde gebrochen zu haben, insbesondere "das Gelübde der Keuschheit durch ein Liebesverhältniß mit dem Ordensnovizen Woicech Zarski" (ebd.). Für diese und andere Vergehen wird Barbara alias Jovita dazu verurteilt,

"I. [d]rei Tage Kirchenbuße zu thun;

II. hierauf von allen Schwestern gestäupt, des Ordenskleides und der geistlichen Würde beraubt;

III. für todt erklärt und aus den Listen des Ordens gestrichen,

IV. der heil. Messe und Communion verlustig, und endlich

V. ewig eingesperrt zu werden" (ebd.).

Vinzenz Katzler: Die eingemauerte Nonne (1868). Gemeinfrei.

Erfolgt die Einkerkerung hier also aufgrund eines förmlichen Beschlusses, der "die Unterschriften sämmtlicher Schwestern" trägt (ebd.), so liest man in dem Pamphlet "The Convent Horror", der vorgeblich Barbaras eigenen Bericht über ihre Gefangenschaft enthält, ganz Anderes: Hier wird Barbara unter dem Vorwand, zur Buße für ihren Ungehorsam Küchenarbeit verrichten zu sollen, von der Oberin des Klosters in den Keller gelockt und dort heimtückisch eingesperrt.

Auf "The Convent Horror" werden wir noch ein paarmal zurückkommen müssen; bleiben wir aber zunächst noch bei Dr. Rodes "Barbara Ubryk"-Roman – und halten fest, was der Verfasser hier zum "Verwurf der Unzucht" anmerkt; diesen, so meint er nämlich, "hätten [...] die frommen Ordensfrauen besser unterlassen" (S. 1201):

"Ja, es ist wahr und man weiß es, daß sich die Nonnen geheimen Sünden hingeben, daß es in den Klöstern Sünden gibt, von denen die 'verworfene' Welt Gott sei Dank nichts weiß, Sünden, welche die raffinirtesten sexuellen Genüsse bilden, Sünden, welche ohne die Klöster nicht existiren würden!!!" (ebd.).

Da sind wir argumentativ ganz auf dem Niveau von "Der Zölibat ist schuld am Missbrauch", und noch deutlicher wird die Parallele zum gegenwärtigen Diskurs über die "kirchliche Sexualmoral", wenn es gleich darauf heißt: "Allein wenn Barbara in einer schwachen Stunde fiel: wir haben darüber nicht zu rechten" (ebd.). – Klar: Der Einzelne hat keine Schuld, ist vielmehr selbst ein Opfer; Schuld hat das System. Aber lassen wir das lieber mal beiseite.

Interessant ist, dass laut Dr. Rodes Darstellung eine bischöfliche Visitation des Klosters ausgesprochen resolut verhindert wird, indem "der von dem bischöflichen Generalvikariate abgeordnete Visitator in der Person des Domcapitularen Bomell [...] trotz der bischöflichen Vollmacht nicht zur Visitation zugelassen" wird:

"Der Bischof, erklärte ihm die Priorin, habe kein Recht, sich in ihre Klosterangelegenheiten zu mischen, nur der General des Ordens könne eine außerordentliche Visitation verfügen. Die Beichtväter hätten erklärt, sie würden bei bischöflicher Intervention keine Messen in der Kirche mehr lesen, überhaupt keine geistlichen Verrichtungen im Kloster mehr besorgen, weil sich Priorin und Convent fremder Sünden theilhaftig machen würden. Daraufhin zog Bomell ab und der Bischof untersagte die Visitation, sowie die Einleitung einer Untersuchung" (S. 1202).

Nur der Vollständigkeit halber sei daran erinnert, dass sich diese Vorgänge im Mai 1848 zugetragen haben sollen; der damalige Bischof von Krakau, Karol Skórkowski, hatte allerdings schon 1835 auf Druck Russlands seine Diözese verlassen müssen, lebte im Exil im schlesischen Troppau und wurde durch den Apostolischen Administrator Ludwik Łętowski vertreten. Na ja: Details. Im weiteren Verlauf des Kapitels wird ausgiebig die zeremonielle Auspeitschung Barbaras und schließlich ihre Einkerkerung geschildert:

"Requiescat in pace! hatten die Nonnen im Weggehen gesprochen. Man muß die Ausdrucksweise der Klöster kennen, um den tiefen Hohn zu verstehen, der in diesen Worten liegt. Requiescat heißt: 'sie ruhe' und in pace 'im Frieden'. In der klösterlichen Sprache heißen aber auch die Kerker 'in pace', um anzudeuten, daß das von ihnen aufgenommene unglückliche Wesen dort in friedlicher Grabesnacht ruhe. Dieser Doppelsinn galt diesmal unter der Form eines frommen Spruches dem schrecklichen Schicksale Jovita's: 'Sie ruhe – im Kerker!'" (S. 1206).

Über den unterirdischen Kerker, in den Barbara gesperrt wird, heißt es, dieser messe "3 Schritte in die Breite und 5 in die Länge" (S. 1206); vergleicht man dies mit der "Convent Horror"-Broschüre, die die Maße von Barbaras Verlies schon im Titel als "Eight Feet Long, Six Feet Wide" angegeben werden, kommt man zu dem Schluss, dass man eine Schrittlänge zwischen 48 und 60 cm voraussetzen müsste, um diese beiden Angaben miteinander in Einklang zu bringen. Anders ausgedrückt: Da ein erwachsener Mensch normalerweise eher größere Schritte macht, bedeutet das, dass Dr. Rode seiner Barbara sogar mehr Platz in ihrem Kerker zugesteht als das Convent Horror-Pamphlet; umso mehr, als er angibt, die Zelle sei im Verhältnis zu ihrer Enge "ziemlich hoch" (S. 1206), wohingegen sie in The Convent Horror als "an inch or two over six feet high" beschrieben wird – "By leaping up with all my strength, I could sometimes touch the ceiling with my fingers". In den über Google Books zugänglichen zeitgenössischen Presseberichten, von denen hier im Folgenden noch mehrfach die Rede sein wird, habe ich keine präzisen Angaben zu den Abmessungen der Kerkerzelle gefunden; einig sind sich die verschiedenen Berichte indes darin, dass die Zelle sich in unmittelbarer Nähe einer "Cloake" befand: Dies berichteten u.a. das Innsbrucker Tagblatt vom 27. Juli 1869, das Trautenauer Wochenblatt vom 1. August 1869 und der Pfälzer Bote vom 4. August 1869. In The Convent Horror heißt es, der Abtritt in Barbaras Zelle – "a sort of privy seat" – sei direkt mit dem "general cesspool or sink of the Convent" verbunden gewesen: "I was convinced of this from the frightful smell that came up out of it". Nun wäre Dr. Rode aber wohl nicht er selber, wenn er diesen Umstand nicht breiter und lustvoller ausgemalt hätte. So hebt er den "Umstand, daß unmittelbar durch den Kerker die Kloake des Klosters geht" (S. 1207f.), als bezeichnend für "den alle Begriffe der Gemeinheit überbietenden, boshaften und verächtlichen Sinn der dortigen Carmeliternonnen" (ebd.) hervor und führt aus:

"Es gibt noch zwei Kerkerlöcher in diesem Kloster; aber man wählte absichtlich dieses, weil man einerseits die unglückliche Nonne durch das Geräusch, welches bei gewissen Verrichtungen entstand, verhöhnen , andererseits aber sie durch die furchtbaren Ausdünstungen vergiften, hinrichten wollte. Man steckte sie nicht direkt in die Düngergrube, aber das einzige Fenster, welches um die Mittagszeit, und dann nur an schönen Sommertagen dem Lichte einigen Zutritt gewährte, ging in diese Kloake hinaus, so daß Barbara während dieser schrecklich langen Jahre so viel wie inmitten einer Düngergrube saß" (S. 1208).

Zusammenfassend heißt es:

"Das ist der Kerker Barbara's, ein kahles, nacktes Gewölbe, dumpf, dunstig, feucht und kalt. Der Modergeruch ertödtet nach sünf Minuten das Organ des Geruches und des Geschmackes, die Kälte ist fast eisig und bringt die Zähne zum Klappern. Das Auge muß sich erst allmählig an die im Kerker herrschende Dunkelheit gewöhnen. Eine Art Dämmerlicht erfüllt den schrecklichen unheimlichen Raum, die Wände sind feucht und glänzen in schlüpfrigem Silber.

Kein Gegenstand der Bequemlichkeit findet sich in ihm. In einem Winkel gegenüber der Thüre, gerade an der Cloake, liegt ein Bund Stroh. Das war Barbara's Lager" (ebd.).

Dass Barbara nackt in ihrer Zelle aufgefunden wurde, wird dadurch erklärt, dass sie das "Bußhemd, welches sie in den Kerker mitgebracht, [...] in der ersten Verzweiflung zerrissen" habe und danach keine neue Kleidung mehr bekam (S. 1209); in The Convent Horror heißt es hingegen, dass Barbaras Kleidung ihr im Laufe der ersten zehn Jahre ihrer Gefangenschaft infolge von Abnutzung und Verschmutzung in Lumpen vom Leibe fällt. Weiterhin liest man bei Dr. Rode, in der Anfangszeit ihrer Gefangenschaft habe Barbara "nur von drei zu drei Tagen Wasser und Brod" erhalten, und zwar durch ein "an der Kerkerthüre unten" angebrachtes "Schubloch" (S. 1208): "Niemals konnte sie sehen, welche Schwester sie brachte; niemals sprach die Schwester ein Wort" (S. 1209). Erst nach einigen Jahren, unter einer neuen Priorin (dazu in Kürze mehr), "erhielt Barbara jeden andern Tag auch ein warmes Essen in einem Napfe. Wenn dieses auch nur aus eingerührtem Brode, Kartoffeln oder Wassersuppe bestand, so war es immerhin eine sehr große Wohlthat, und nur diesem Umstande dürfte es zuzuschreiben sein, daß Barbara ihre Existenz so lange fristen konnte" (S. 1209). – Von einer "verschiebbare[n] Oeffnung" in der Tür, "durch welche wahrscheinlich Speisen verabreicht wurden", ist auch in den bereits zitierten Berichten des Innsbrucker Tagblatts und des Trautenauer Wochenblatts die Rede, nicht jedoch im Convent Horror, wo der Beichtvater Fr. Calenski Barbara nach zweitägiger Gefangenschaft erstmals Wasser und Brot bringt und ihr ankündigt "that I would be fed every forty-eight hours for the rest of my life"; und hier ist ausdrücklich die Rede davon, dass die Tür der Zelle geöffnet wird, wenn Barbara Essen erhält.

Wie oben bereits angedeutet, gibt Dr. Rode an, die Bedingungen von Barbaras Gefangenschaft hätten sich – wenigstens was die Verpflegung betraf – leicht gebessert, nachdem "einige Jahre darauf die alte Priorin Tharsilla endlich zum Satan heimgegangen war" (S. 1209); zunächst "trat ihre Favoritin Cäcilia an ihre Stelle; allein auch diese endete bald darauf. Dank den Drohungen, Einschüchterungen und allen gebräuchlichen Wahlmanövers des Pater Hyginus wurde dann eine jüngere Nonne zur Priorin gewählt, Fräulein Martha Wenzyk, welche dem Kloster noch jetzt vorsteht" (ebd.). Hierzu sei angemerkt, dass ein Bericht des Regensburger Morgenblattes vom 31. Juli 1869 den Namen der zu diesem Zeitpunkt amtierenden Oberin des Krakauer Karmeliterinnenklosters als "Maria Freiin v. Wenzyk, Tochter des verstorbenen polnischen Castellans Franz v. Wenzyk" angegeben wird; weiterhin erfährt man dort, dass sie 37 Jahre alt sei (womit sie zum Zeitpunkt der Einkerkerung Barbara Ubryks ein 16jähriges Mädchen gewesen sein müsste) und das Amt der Oberin seit vier Jahren ausübe. Als ihre Vorgängerin wird hier eine Therese v. Kosterkiewicz genannt, "eine starke Sechzigerin, welche das Amt einer Oberin in dem erwähnten Kloster schon mehrere Male bekleidete". Im Convent Horror ist Mutter Josepha während der gesamten Zeit von Barbaras Gefangenschaft die Oberin des Klosters. Wir können als vorläufigen Gesamteindruck festhalten, dass dieses in Amerika erschienene Pamphlet noch erheblich weniger Übereinstimmungen mit zeitgenössischen Presseberichten zum Fall Barbara Ubryk aufweist als Dr. Rodes Roman.

– Und was ist mit dem Beichtvater? Dr. Rode schreibt:

"Anfänglich besuchte der Beichtvater P. Hyginus die Gefangene im Kerker. An und für sich zeigte es von großer Unverschämtheit, daß er sich zu einer nackten Frauensperson begab; und wenn er das zu thun vor den Nonnen keinen Austand nahm, so dürfte sich auch noch manches Andere im finstern Kerker zugetragen haben. Ja wir werden uns kaum irren, wenn wir manche unsittliche Aeußerungen Barbaras auf den Beichtvater zurückführen" (S. 1210)

– der letzte Satz ist im Grunde ein Vorgriff auf die Untersuchungen von Barbaras Geisteszustand nach ihrer Befreiung, denn offenbar gab sie zuweilen recht unflätige Ausdrücke von sich, und es wurde seinerzeit viel darüber spekuliert, woher eine Nonne überhaupt einen solchen Wortschatz haben könne (vgl. z.B. den Fränkischen Kurier vom 22. August 1869). Es wird aber noch interessanter:

"Eben so verdächtig als auffällig ist der Umstand, daß zwei Tage nach der Entdeckung Barbaras Pater Hyginus, ohne vorher krank gewesen zu sein, eines raschen Todes starb – am 24. Juli 1869. Wir wollen nicht geradezu behaupten, daß er nach altem klösterlichem Gebrauche gestorben wurde , damit er als der Hauptschuldige der Untersuchung entgehe und dieser somit die Spitze abgebrochen werde; aber wir wissen, daß er etwas zu rasch gestorben ist" (ebd.).

Im Convent Horror heißt es ganz direkt, der Beichtvater Fr. Calenski habe nach der Auffindung und Befreiung Barbara Ubryks Selbstmord begangen; tatsächlich findet sich auch im Fränkischen Kurier vom 4. August 1869 ein ominöser Hinweis auf einen Karmeliterpater, der "so rasch gestorben" sei, dessen Name allerdings Peter Lewkowicz war und dessen Bruder Joseph, ebenfalls Pater, in einem Leserbrief an die schon erwähnte Krakauer Zeitung "Kraj" mitgeteilt habe, "sein Bruder sei natürlichen Todes gestorben nach mehrwöchentlichem Leiden". Der Fränkische Kurier orakelt: "Sei er nun so oder so gestorben, immerhin ist einer der bedeutendsten Zeugen in der Krakauer Klosteraffaire vom Schauplatze verschwunden". Im Pfälzer Boten vom selben Tag heißt es, dass Pater Lewkowicz "als früherer Beichtvater der Carmeliterinnen die Klosterskandale kannte, den Nonnen trotzdem die Absolution ertheilte und vor Zeugen sich hierüber aussprach"; eine "Gerichtskommission" sei ausgesandt worden, um seinen plötzlichen Tod zu untersuchen. Wie das Wiener Wochenblatt "Der Freimütige" am 5. August berichtete, sei die "beabsichtigte Ausgrabung und Secirung" des Verstorbenen dann aber "unterlassen" worden, "weil sich herausgestellt haben soll, dass dieser geistliche Herr seit längerer Zeit dem Trunke ergeben war und deshalb kränkelte". Offensichtlich kursierten jedoch weiterhin Gerüchte, Pater Lewkowicz sei vergiftet worden, und zwar als Strafe dafür, dass er einem Pfarrer in Trzebinia von der eingekerkerten Nonne in Krakau erzählt und damit die Kette der Ereignisse in Gang gesetzt habe, die zur Aufdeckung des ganzen Skandals geführt habe.

Man sieht, die in der zeitgenössischen Presse dokumentierten Fakten des Falls Ubryk sowie die Gerüchte, die sich an diese Fakten anlagerten, hätten eigentlich schon Stoff genug für einen Roman abgegeben, ohne dass man sich so eine wirre, ausufernde und überhaupt nicht zu diesen Fakten passende Vorgeschichte aus den Fingern hätte saugen müssen. Aber dazu hätte man eben zuerst einmal recherchieren müssen, ehe man die ersten Folgen des Fortsetzungsromans hätte auf den Markt werfen können, und aus der Sicht des Verlags war es offenbar wichtiger, das öffentliche Interesse an dem Fall auszuschlachten, solange es auf dem Siedepunkt war. Obendrein scheint es, dass sich das Interesse des Autors daran, sich mit den authentischen Fakten des Falles auseinanderzusetzen, bis zuletzt eher in Grenzen hält; lieber füllt er gegen Ende des LXXV. Kapitels nochmals rund zwei Seiten mit allgemeiner Polemik gegen das Klosterwesen, die er in die Form rhetorischer Fragen kleidet. Auf S. 1213 schließlich starrt den Leser in riesengroßen Lettern die Zeile

! – 21 Jahre – !

an, darunter steht, in kleinerer Schrift: "Entsetzlich!". Ehe wir uns dem LXXVI. Kapitel, schlicht "Barbara Ubryk. (Schluß.)" betitelt, zuwenden, möchte ich in der nächsten Folge dieser Artikelserie aber lieber mal den VII. Band von Sir John Retcliffes "Biarritz" untersuchen; das ist erheblich abwechslungsreicher und verspricht mehr Action