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Donnerstag, 6. April 2023

Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #24

Servus, Moin, Hälündölö und Grüß Gott, verehrte Leserschaft! Zum vierten Mal in Folge präsentiere ich mein Wochenbriefing am Donnerstagabend; das darf dann wohl als etabliert gelten. Das Symbol- und Vorschaubild für diesen Artikel habe ich schon vor knapp zwei Wochen im Baumhaus aufgenommen, aber ich finde, es passt auf bemerkenswert vielschichtige Weise zu den Themen des aktuellen Wochenbriefings. Mehr will ich dazu gar nicht sagen; assoziiert Euch ruhig selber was zurecht! 

Spandau oder Portugal

Na bitte, schon ist die zweimal ausgefallene Rubrik wieder da! Auch wenn es da diesmal hauptsächlich um Spandau gehen wird. Ich hatte ja bereits erwähnt, dass es in diesem Jahr eine gemeinsame Fronleichnamsfeier der Spandauer Pfarreien geben soll; was mir bis kurz vor dem ersten Planungstreffen – am Donnerstag voriger Woche – jedoch nicht bewusst war, ist der kirchenhistorisch interessante Hintergrund dieser Veranstaltung: Schon ab den späten 1830er Jahren gab es in Spandau, das damals noch eine selbständige Stadt war, Fronleichnamsprozessionen, die schon damals stets Sonntag nach Fronleichnam stattfanden, da der Fronleichnamsdonnerstag im protestantischen Preußen ein Arbeitstag war, wie heute ja ooch; und diese entwickelten sich bis zu den 1870er Jahren zur größten katholischen Massenveranstaltung in der Umgebung der preußischen Hauptstadt mit mehr als 10.000 Teilnehmern. Katholiken aus den damaligen Nachbarstädten Berlin und Charlottenburg zogen in eigenen Prozessionen nach Spandau, um an der dortigen Fronleichnamsfeier teilzunehmen, im Laufe der 1850er Jahre kam der Brauch auf, dass die katholischen Vereine bei der Prozession ihre Banner mitführten. Im Vorfeld des "Kulturkampfs" kam es ab den 1860er Jahren mehr und mehr zu behördlichen Repressionen gegen die Spandauer Prozession und auch zu Ausschreitungen aus der Bevölkerung, ab 1875 wurde die Prozession nicht mehr genehmigt. – Einen ersten Versuch zur Wiederbelebung dieser Tradition gab es im Juni 2019, damals nahmen allerdings nicht alle Spandauer Pfarreien teil. Seit Anfang des laufenden Jahres gibt es infolge des Pastoralen Prozesses jedoch in ganz Spandau nur noch zwei Pfarreien, Heilige Familie und Johannes der Täufer – von denen die erstere übrigens nicht nur über die Bezirksgrenzen Spandaus, sondern auch über die Stadt- und Landesgrenze Berlins hinausreicht und auch Teile des brandenburgischen Landkreises Havelland umfasst, aber das mal nur nebenbei. Jedenfalls soll es dieses Jahr, und dann hoffentlich auch in Zukunft, eine gemeinsame Fronleichnamsfeier für ganz Spandau geben. Das erste Planungstreffen fand im Gemeindehaus von Maria, Hilfe der Christen statt – der größten katholischen Kirche Spandaus, die zudem im Zentrum des Bezirks liegt.




Neben den Pfarrern der beiden Spandauer Pfarreien – von denen einer übrigens ein Freund meiner Familie ist – nahmen an diesem Treffen nur drei weitere Personen teil, mich selbst bereits eingerechnet; das war aber gar nicht so schlecht, denn die kleine Runde ermöglichte eine zugleich lockere wie produktive Arbeitsatmosphäre. Was die Lockerheit angeht, sei nur ein kleines Detail erwähnt: Als der Pfarrer von Heilige Familie eine Anekdote über die Vorbereitung eines ökumenischen Gottesdienstes mit der örtlichen evangelischen Pfarrerin erzählte, fügte er mit einem Seitenblick auf mich hinzu: "Das können Sie gern in Ihrem Blog verwenden." Ein ziemlicher Kontrast zu der Erfahrung, in einer eigens anberaumten Pfarrgemeinderats-Sondersitzung zu einer Selbstverpflichtung gedrängt zu werden, nichts über die Sitzungen dieses erlauchten Gremiums zu bloggen. (Das gehört eigentlich nicht hierher, aber ich kann mich immer noch nicht so richtig darüber beruhigen.)

Ein Ergebnis des Planungstreffens war, dass ich mich freiwillig für die Position des Ansprechpartners für die Pfadfinder gemeldet habe (neben den Katholischen Pfadfindern Haselhorst gibt es in Spandau noch drei weitere katholische Pfadfinderstämme, die im Unterschied zu den Haselhorstern sämtlich zur DPSG gehören). Das nächste Vorbereitungstreffen steht in drei Wochen an.

So viel also erst mal zur Option Spandau; und wie sieht's derweil mit der Option Portugal aus? – In Portugal, präzise gesagt in Lissabon, ist heuer Weltjugendtag, in der ersten Augustwoche. Wäre theoretisch ein guter Anlass, Land und Leute kennenzulernen. Ich bezweifle allerdings irgendwie, dass wir es tatsächlich geregelt kriegen, da hinzufahren. (Interessant ist übrigens, dass sowohl die Pfarrei St. Willehad in Nordenham als auch der Diakon unserer Ex-Pfarrei in Tegel recht intensiv für die Teilnahme am Weltjugendtag wirbt. Ich will das gar nicht bewerten oder überhaupt irgendwie kommentieren, es fällt mir lediglich auf.)


Tagesreste

Freitag/Samstag: Der Tagesablauf ähnelte sich weitgehend; erst mal ausschlafen, dann kam eine Freundin mit ihrem Sohn (der vom Alter her ziemlich genau in der Mitte zwischen unseren Kindern liegt und mit beiden, vor allem aber mit unserer Großen, befreundet ist) zu Besuch und blieb bis etwa zum mittleren Nachmittag; danach passierte nichts sonderlich Spektakuläres mehr. Wie ich den Samstagvormittag theoretisch anders hätte gestalten können, wozu ich mich dann aber doch nicht aufraffen konnte, bitte ich der Rubrik "Währenddessen in Tegel" zu entnehmen. Am Samstagabend half mir die Große beim Kochen.

Palmsonntag: Vormittags ging's erst mal mit der ganzen Familie nach Siemensstadt zur Palmsonntagsprozession und -messe. "Wir sind die einzigen, die eine Prozession machen, zumindest in Spandau", sagte der Pfarrvikar. Traditionell hat die Palmsonntagsfeier in Siemensstadt einen ökumenischen Auftakt: Man versammelt sich vor der evangelischen Christophoruskirche, und nach Begrüßung, Evangelium vom Einzug in Jerusalem und Palmenweihe gehen die evangelischen Teilnehmer in ihre Kirche, während die Katholiken die Prozession zur nicht allzu weit entfernten Kirche St. Joseph antreten.


Die Begrüßungsworte der evangelischen Pfarrerin warfen bei mir die Frage auf, warum darin von "Jüngerinnen und Jüngern" die Rede war, nicht aber von "Pharisäerinnen und Pharisäern" oder "Schriftgelehrtinnen und Schriftgelehrten"; aber wahrscheinlich muss man schon froh sein, dass sie keine Genderstern-Klicklaute verwendete.



Die Prozession war schön und machte auch den Kindern Freude; nur dass beim Einzug in die Kirche partout "Laudato si'" gesungen werden musste, verdross mich. Nach allem, was ich über Winfried Pilz als Missbrauchstäter gelesen habe, weckt der eindringlich körperbetonte Rhythmus bei "wun-der-bar-Herr" ausgesprochen unangenehme Assoziationen bei mir. – Kaum dass wir in der Kirche angekommen waren, wurden die Kinder auch schon wieder 'rausgeschickt: Es gab im Pfarrsaal einen parallelen Kinderwortgottesdienst mit Bastelangebot. Was ich grundsätzlich von diesem Konzept eines separaten Kinderprogramms während der Messe halte, ist ja bekannt (und wem es nicht bekannt ist, der kann es gern hier nachlesen), aber das Angebot auszuschlagen und mit den Kindern in der Kirche auszuharren, war als Option offenbar nicht vorgesehen. Meine Liebste opferte sich, ging mit den Kindern zum Bastelprogramm und ließ mich in der Kirche zurück, "damit wenigstens einer von uns eine vernünftige Messe hört". Ich muss allerdings zu Protokoll geben, dass unsere Kinder, nachdem sie zur Gabenbereitung in die Kirche zurückgekehrt waren, bis zum Ende der Messe sehr ausgeglichen, gut gelaunt und pflegeleicht waren, und das ist ja auch viel wert.

Am Abend wollten mir diesmal beide Kinder beim Kochen helfen, und ich fand tatsächlich auch für den Kleinen eine Aufgabe, mit der er weder überfordert noch akut verletzungsgefährdet war. Auf Wunsch der Liebsten kochen wir grünes Gemüsecurry, dazu sollte es Reis geben, aber mitten in der Zubereitung stellte ich fest, dass wir nicht mehr genug Reis für alle in der Vorratskammer hatten. War dann aber nicht so schlimm: Ich kochte so viel Reis, wie da war, und dann noch einmal die gleiche Menge Couscous.

Montag: "Oma-Tag" mit Ostereier-Anmalen.

Dienstag: Gegen Mittag erlebten die Kinder und ich mit, wie das Tegel Quartier evakuiert wurde; der Grund dafür blieb unklar, vielleicht war es einfach falscher Alarm. Am Nachmittag gingen wir in St. Joseph Siemensstadt zum Kinderkreuzweg. 





Zum Abendessen machten das Tochterkind und ich Torrada com Banana, nach einem Rezept aus dem Buch "5 Sterne für Lola" von Isabel Abedi. Gewissermaßen das brasilianische Pendant zu Toast Hawaii, aber echt lecker. 

Mittwoch: Am Vormittag wurde das – wie schon erwähnt – nicht so erfolgreiche Krabbelgruppenprojekt in Haselhorst offiziell zu Grabe getragen; nämlich dergestalt, dass ich zusammen mit dem Gemeindereferenten den Schrank mit dem Krabbelgruppenzubehör leer räumte, damit dieser zukünftig anderweitig genutzt werden kann. Anschließend gönnten wir uns einen Business-Lunch beim Inder in der Fußgängerzone von Alt-Tegel. Wollte ich schon lange mal ausprobieren. 

Gründonnerstag: Wie's aussieht, gibt es im gesamten Berliner Teil der Pfarrei Heilige Familie heuer nur eine einzige Messe vom Letzten Abendmahl, nämlich in der Kirche Maria, Hilfe der Christen. Dahin müssen wir dann auch schon ziemlich bald aufbrechen, nachdem dieser Artikel online gegangen ist. Ich wünsche allen Lesern ein besinnliches Triduum und ein frohes Osterfest! 


Währenddessen in Tegel

Den Vermeldungen unserer Ex-Pfarrei hatte ich entnommen, dass am Samstag ab 10 Uhr das Gemeindehaus von St. Joseph Tegel aufgeräumt werden sollte und dass dafür freiwillige Helfer gesucht wurden. Vorübergehend spielte ich durchaus mit dem Gedanken, da hinzugehen – vielleicht könnte man dabei ja irgendwelches Inventar abstauben, das ansonsten weggeschmissen würde, und möglicherweise ergäbe sich da auch die Gelegenheit, die "zukünftig ehemalige" Pastoralreferentin, die dort ihren Dienstsitz hat (oder hatte?), noch mal zu sehen – auf der Liste der Pastoralen Mitarbeiter, die im Schaukasten der Pfarrkirche Herz Jesu aushängt, ist sie schon nicht mehr aufgeführt... aber letztlich konnte ich mich dann doch nicht dazu entschließen, zumal meine Liebste wenig begeistert von der Idee war: Man kann sagen, sie ist, was das Stichwort "Staub von den Füßen schütteln" angeht, erheblich konsequenter als ich. – Am Mittwoch, während Frau und Kinder im Zoo waren, besuchte ich die Tegeler St.-Joseph-Kirche aber doch und hielt zur Non, also um 15 Uhr, wieder einmal eine Solo-Lobpreisandacht ab. Die Pastoralreferentin habe ich heute Vormittag einfach mal angerufen und ein Treffen für die Woche nach Ostern ins Auge gefasst; und im Anschluss an dieses Telefonat habe ich dann gleich noch eine Lobpreisandacht in St. Joseph gehalten, diesmal zur Sext. Ich muss sagen: Hätte ich die Möglichkeit dazu, würde ich so etwas am liebsten jeden Tag machen, womöglich sogar mehrmals am Tag. 


Neues aus Synodalien 

Ich hatte ja bereits angekündigt, hier etwas über die dennoch.-Konferenz schreiben zu wollen, auch wenn die erst im September stattfindet. Auf dem Flyer, der mir in die Hände gefallen ist – und gleichlautend auch auf der Website – heißt es einleitend: 

dennoch. ist eine Konferenz für alle, die sich mit dem aktuellen Zustand der Kirche nicht zufrieden geben. Sie ist für Menschen, die Ideen haben, die heute Impulse suchen und setzen für die Kirche von Morgen.

Klingt erst mal nicht schlecht, oder? Mit dem "aktuellen Zustand der Kirche" ist ja wohl so ziemlich niemand "zufrieden", und Ideen, wie man an diesem Zustand etwas ändern könnte und sollte, habe ich, wie mein Blog wohl recht deutlich zu erkennen gibt, auch. Heißt das, ich wäre bei dieser Konferenz genau richtig? – Wohl eher nicht. Flyer und Website setzen eine Vielzahl mehr oder weniger subtile sprachliche Signale, die zu erkennen geben, dass die Konferenz entgegen der Behauptung im Einleitungssatz eben nicht für "alle", gedacht ist  die "sich mit dem aktuellen Zustand der Kirche nicht zufrieden geben", sondern nur für die, die es auf eine spezifische Art und aus spezifischen Gründen sind. Dass es auch noch andere geben könnte, wird absichtsvoll ignoriert – darauf komme ich noch zurück; erst mal zu den sprachlichen Signalen. So heißt es über den "Workshop-Tag" am Samstag, "alle Konferenzteilnehmer*innen" könnten sich "von ausgewiesenen Fachleuten zu bestimmten Themen fit machen lassen": 

"Dabei werden Tools vorgestellt und ausprobiert, die für das Entwickeln von Neuem praktisch hilfreich sind. Außerdem lassen die Teilnehmenden [!] selbst ihr eigenes Wissen und ihre Erfahrungen einfließen. Abends wird gefeiert: mit befreienden Stories vom gepflegten Scheitern und der Verleihung des zap:innovationspreises." 

Noch Fragen? Keine Bange, es kommt noch besser: 

"Der Sonntag dient der Stärkung und Krafterhaltung. Innovieren in Kirche ist persönlich sehr bereichernd, kostet aber auch Kraft. Daher fragen wir: Was trägt auf Dauer?

'Getragen und gesandt' endet die Konferenz mit einer Eucharistiefeier mit Preacher-Slam." 

Wenn nun jemand darauf hinweisen möchte, dass man diesen angestrengt über-hippen Werbeagentur-Sprech ("abends beim unkomplizierten Get-together") so ähnlich auch in manchen jung-urbanen, charismatischen Neuevangelisierungs-Initiativen finden kann, dann kann ich nur sagen: Ja, und da stört es mich auch. Aber ich denke, gewisse Unterschiede lassen sich doch feststellen.  Mir erscheint es jedenfalls recht eindeutig, dass die Vision der "Kirche von Morgen", der sich die Macher der dennoch.-Konferenz verpflichtet wissen, im Wesentlichen mit derjenigen übereinstimmt, die der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer schon vor Jahren im Magazin futur 2 ausbreitete: eine auf Hochglanz polierte, multispirituell-postchristliche Dienstleistungskirche für die Soja-Latte-Bourgeoisie. Da habe ich allerdings eine schlechte Nachricht für euch, Kollegen: Die Leute, die ihr auf diese Weise zu erreichen hofft, interessieren sich überhaupt nicht für euch. 

Träger der Veranstaltung sind übrigens das Bistum Hildesheim (dessen Oberhirte, Heiner Wilmer SCJ, am Freitag die Begrüßungsansprache hält, am Samstag einen geistlichen Impuls beisteuert und am Sonntag den Abschlussgottesdienst zelebriert), das Bonifatiuswerk, das Zentrum für angewandte Pastoralforschung (zap) in  Bochum — und C&A. Also, nicht direkt die Firma C&A, aber indirekt irgendwie doch. Was, wie ich finde, ein ziemlich guter Witz wäre, wenn's nicht wahr wäre. – Die "Keynote" am Eröffnungstag hält Thomas Arnold, Leiter der Katholische Akademien des Bistums Dresden-Meißen, Berater Kommission für soziale und gesellschaftliche Frage der Deutschen Bischofskonferenz und Delegierter des "ZdK" beim "Synodalen Weg". Keine weiteren Fragen. 

Wobei: Auf drei Dinge, die mir an der Werbung für die dennoch.-Konferenz auffällig erscheinen, möchte ich noch eingehen. Das erste hatte ich bereits angedeutet: das konsequente Ausblenden unterschiedlicher Auffassungen von Kirchenreform. Das ist natürlich ein bekanntes und bewährtes Narrativ: Wer für die Zukunft der Kirche eine Vision hat, die sich fundamental von der Agenda des Schismatischen Weges unterscheidet, der wird als "konservativ" gelabelt, und ihm wird attestiert, er wolle "Reformen verhindern" und beharre engstirnig "auf Strukturen, auf Kirchenrecht und auf Althergebrachtem". Da er damit aus dem Diskurs der Gutgesinnten ausgeschlossen ist, bleibt ihm keine Möglichkeit, diesen Eindruck zu korrigieren. Den Verfechtern dieses Narrativs eröffnet das die Möglichkeit, sich selbst als wer weiß wie innovativ, mutig, progressiv usw. zu inszenieren, obwohl sie eigentlich total Mainstream sind

Der zweite Punkt hängt damit eng zusammen: die Haltung des Trotzes, die sich schon im Titel der Konferenz ausdrückt. "Dennoch", das scheint ja auszusagen: "Eigentlich wäre es viel naheliegender, aufzugeben; aber wir kämpfen weiter, auch wenn es aussichtslos sein mag." Mit anderen Worten: Die Verfechter der progressiven Agenda scheinen nach dem  Abschluss des SW nicht das Gefühl zu haben, sie hätten gewonnen. Auch das ist ein Narrativ  das mir in den letzten Wochen öfter begegnet ist: Man ist enttäuscht, frustriert, ja deprimiert darüber, dass beim SW nicht "mehr herausgekommen" ist, und braucht jetzt irgendwie Gruppentherapie. Schuld daran sind, neben ultra-dunkelkatholischen pressure groups wie Maria 1.0 (auf die man aber nicht zu sehr schimpfen kann, weil man ihnen ja sonst eine gewisse Relevanz zuerkennen würde) vor allem die ach so konservativen (lol) Bischöfe, die weitergehende Beschlüsse blockiert hätten. – Zum Teil mag das eine bloße Attitüde sein, die die "progressiven" Verbands- und Gremienkatholiken, wie so Vieles, von der 68er-Bewegung geerbt haben: Man geriert sich weiterhin als Opposition  obwohl man längst an der Macht ist. Diese Haltung kann dazu dienen, den Umstand, dass man an der Macht ist, zu verschleiern; sie kann aber auch daher rühren, das den Leuten die oppositionelle Pose so sehr in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass sie gar nicht merken, wie wenig realitätsadäquat sie ist. So oder so: das mit den Ergebnissen der letzten Synodalversammlung niemand so richtig glücklich und zufrieden zu sein scheint, hat ja auch was Ermutigendes. 

Ein letzter Punkt: Vielleicht gehört es ja einfach nur zum Werbeagentur-Sprech, aber ich finde, der Text der Programmübersicht weist eine bedenkliche Neigung zum Eigenlob auf. Das beginnt schon mit dem Vorprogramm vor der Eröffnungsansprache: Da gibt's nicht einfach nur Musik, sondern ausdrücklich "gute Musik von Luis Weiß", weiter geht's am Abend beim "Get-together mit viel Kennenlernen & guten Gesprächen", und kaum ist man am Samstag wieder wach, wird "[g]ut & geistlich in den Tag" gestartet. Die Strategie scheint mir hier dieselbe zu sein wie bei Produktnamen wie "Der gute Pott", "Die gute Schokolade" oder "Goodel – Die gute Nudel". Der Konsument soll denken: Muss ja gut sein, steht schließlich drauf, dass es gut ist. 

Die Teilnahme an der ganzen Veranstaltung kostet übrigens 190 €, immerhin inklusive Verpflegung. Wenn mir das jemand sponsert – zuzüglich Reise- und Übernachtungskosten, versteht sich –, fahre ich vielleicht sogar hin... 

Was ich gerade lese 

Aus der Rubrik "Lektüre zu Studienzwecken" gibt es weiterhin nichts großartig Neues zu berichten, ich bin in letzter Zeit einfach zu sehr mit dem Bloggen beschäftigt. Aber Bettlektüre muss immer sein. Nachdem wir mit "5 Sterne für Lola" fertig waren, haben wir an nur zwei Abenden das Buch "Sturmwolkes Geheimnis" aus der Reihe "Silberwind, das weiße Einhorn" von Sandra Grimm durchgelesen. Die Handlung dieses Bandes ist nicht weiter der Rede wert, aber die Reihe als ganze finde ich irgendwie interessant. Unter den verschiedenen Buchreihen über magische Einhörner, die das Tochterkind in der Kinder- und Jugendbuchabteilung unserer örtlichen Stadtteilbibliothek entdeckt hat, zeichnet sich diese durch die schlichteste und knappste Erzählweise aus, wirkt zugleich aber auch düsterer als vergleichbare andere Buchreihen, und gerade die Kargheit des Stils erweckt zuweilen den vagen Eindruck, dass im Hintergrund, in der wirklichen Welt jenseits des magischen Waldes, eine ganz andere Geschichte abläuft, von der der Leser nur andeutungsweise etwas erfährt. Vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein, weil es mir sonst schlicht zu langweilig wäre, meiner Tochter diese Bücher vorzulesen. – Nachdem "Sturmwolkes Geheimnis" uns, wie gesagt, nur zwei Abende lang beschäftigt hat, ist jetzt 

an der Reihe. Aus dieser Buchreihe haben wir bestimmt schon sechs oder sieben Bände gelesen, und die zwei Filme, die es dazu gibt, haben wir auch gesehen, den neueren sogar im Kino. Die Handlungsprämisse der Serie ist, dass eine "Magische Zoohandlung"  den Schülern einer Schulklasse nach und nach sprechende Tiere zuweist, die den Charakter des jeweiligen Kindes widerspiegeln und ihm – pathetisch ausgedrückt – helfen, zu sich selbst zu finden. In jedem Band der Reihe bekommen zwei bis drei Kinder ihr magisches Tier, und diese Kinder sind in der Handlung des jeweiligen Bandes die Hauptfiguren; aber die Hauptfiguren der früheren Bände und deren Tiere spielen weiterhin mit, und man muss der Autorin schon ein Kompliment dafür machen, wie sie es hinkriegt, dass das nicht unübersichtlich wird. Insgesamt würde ich sagen, die "Schule der magischen Tiere" spielt zwar definitiv nicht in derselben Liga wie die "Lola"-Reihe, hat aber durchaus gewisse Stärken und einen gewissen Reiz; der Band "Voller Löcher!" überzeugt mich bisher noch nicht so recht. Die ersten Kapitel weisen übrigens kaum Ähnlichkeiten mit der Verfilmung auf, aber ich gehe mal davon aus, dass das nicht so bleibt. 


Aus dem Stundenbuch 

Denkmal, das uns mahnet 
an des Herrn Tod!
Du gibst uns das Leben, 
o lebendig Brot.
Werde gnädig Nahrung 
meinem Geiste du,
dass er deine Wonnen 
koste immerzu.

Gleich dem Pelikane
starbst du, Jesu mein;
wasch in deinem Blute 
mich von Sünden rein. 
Schon ein kleiner Tropfen 
sühnet alle Schuld,
bringt der ganzen Erde 
Gottes Heil und Huld.

Jesus, den verborgen 
jetzt mein Auge sieht,
stille mein Verlangen, 
das mich heiß durchglüht:
lass die Schleier fallen 
einst in deinem Licht,
dass ich selig schaue, 
Herr, dein Angesicht. 

(Thomas von Aquin, "Adoro te devote", Str. 5-7; dt. Übertragung Petronia Steiner OSB) 


Ohrwurm der Woche 

Modern English: I Melt With You 

Mal wieder etwas aus der Rubrik "Sind wir nicht alle ein bisschen Postpunk?". Klingt erst mal wie ein süßes Liebeslied im Stil der New Romantic, aber wie mich eine Folge der YouTube-Reihe "One Hit Wonderland" belehrt hat, steckt doch mehr dahinter: Der Songtitel beschreibt die Vorstellung eines gemeinsamen Todes durch eine Atombombenexplosion. Ja, so waren sie, die frühen 80er. Aber ich denke, heute, im Zeichen der Angst vor der unausweichlich scheinenden Klimakatastrophe, gewinnt dieser Titel von Neuem an Aktualität. Und das meine ich noch nicht einmal ausschließlich ironisch; sondern eher postironisch. – Bemerkenswert finde ich übrigens auch die Textstelle "I made a pilgrimage to save this human race"


Blogvorschau 

Von den im letzten Wochenbriefing angekündigten Artikeln sind zwei, nämlich "Bloß keine Fragen stellen!" und "Weltgurkentag in Wien", bereits erschienen, ein weiterer, zum Thema "christliches Gärtnern", ist aktuell in Arbeit; dann steht noch der Artikel über die St.-Willehad-Kita aus, und dann können wir uns neuen Themen zuwenden. Wir schweben dabei folgende Themenvorschläge vor: 

  • wie schon lange geplant, etwas über die "Lola"-Buchreihe von Isabel Abedi (wobei ich nicht nach der chronologischen Reihenfolge der Bände vorgehen würde, sondern nach der Reihenfolge, in der ich die Bücher gelesen habe; da wäre also zuerst "Lola in geheimer Mission" dran); 
  • die wundersame Bekehrung des "Christlichen Medienmagazins Pro" zur Klimareligion – und warum ich andererseits auch mit denjenigen konservativ-christlichen Gruppierungen nicht einverstanden bin, die die Klimaschutzbewegung zu ihrem Lieblingsfeindbild erkoren haben. 

Die Abstimmung über die Reihenfolge, in der ich mir diese Themen vorknöpfen soll, gedenke ich an den Ostertagen bei Facebook und Twitter einzustellen. Wer mag, darf aber auch gern die Kommentarfunktion dieses Blogs Nutzen, um mir seine Wünsche mitzuteilen... 


Dienstag, 4. April 2023

Weltgurkentag in Wien

Spät kommt er, doch er kommt: der Bericht über meinen nun schon fast zehn Monate zurückliegenden Trip in die "Hauptstadt Europas", wie Matt Dreher, der erwachsene Sohn meines Freundes Rod, sie nennt: Wien! Dass die Erinnerung an diese Reise nicht für immer spurlos in meiner allzu langen "Blogpause" untergegangen ist, ist einerseits der Tatsache zu verdanken, dass 13,6%  der Teilnehmer meiner kombinierten Facebook- und Twitter-Umfrage vom letzten März-Wochenende sich für dieses Thema entschieden haben; andererseits und vor allem ist es aber meinem alten Freund und Ex-Arbeitskollegen Patrick (Name geändert) zu verdanken – nicht nur, weil er mir beharrlich in den Ohren gelegen hat, wann denn nun endlich mein Bericht käme, sondern in erster Linie, weil er überhaupt erst für den Anlass zu dieser Reise gesorgt hat. 

Leser, die diesem Blog schon länger die Treue halten, werden sich vielleicht erinnern, dass von Patrick in der Zeit, als wir beide im Berlin Story Bunker arbeiteten, in dem einen oder anderen Artikel die Rede war – zumal er sich seinerzeit kurzerhand zu meinem Manager ernannt hatte. Zu seinen herausragenden Leistungen in dieser Funktion zählte es, dass er mich auf das musikalische Schaffen von Mire Buthmann aufmerksam machte und mich dazu motivierte, zum Evangelischen Kirchentag 2015 (alias "Martin Luther Grave Rotation Event") nach Stuttgart zu reisen. Aber diesmal hat er sich wirklich selbst übertroffen. 

Als ich Patrick kennenlernte, war mein Eindruck von ihm, er sei mit Leib und Seele Berliner, und das hätte er damals wahrscheinlich auch selbst von sich gesagt. Trotzdem lebt er nun schon seit einiger Zeit in Wien, mit Frau, Kind, Hund und Katze; und damit nicht genug, hat er dort den einzig wahren, unvergleichlichen Don Alipius, bekannt als Zentralgestirn der katholischen Bloggerzunft deutscher Zunge, kennengelernt und sich mit ihm angefreundet. Und diese Konstellation versetzte ihn in die Lage, erneut in die Rolle meines Managers zu schlüpfen, als in Wien ein kulturelles Großereignis seine Schatten vorauswarf: 


Nein, nicht dieses. Sondern dieses: 


Jawohl, die Nacht der Kirchen! – Im Vorjahr, 2021, hatte Patrick den Eindruck gewonnen, bei diesem Event gebe es zwar viel kulturelles, aber wenig spirituelles Programm, und hatte mit Alipius darüber diskutiert, ob man daran im nächsten Jahr nicht mal was ändern könne. In diesem Zusammenhang erinnerte er sich daran, dass ich anno 2015 im Rahmen eines Halloween-Specials im Berlin Story Bunker eine Lesung mit "Gruselgeschichten der Weltliteratur" (von Edgar Allan Poe, Arthur Conan Doyle, Guy de Maupassant und Gustav Meyrink) abgehalten hatte, die sehr gut angekommen war. Eins und eins zusammenzählend, folgerte Patrick: Wieso nicht in der Pfarre des Herrn Alipius in Wien-Floridsdorf eine geistliche Lesung veranstalten, mit Texten von Kirchenvätern und anderen großen Heiligen? 

Man darf wohl sagen, dass er sowohl Alipius als auch mich mit seinem Enthusiasmus für diese Idee mitriss; obwohl ich andererseits nicht verhehlen will, dass es in der Vorbereitungsphase Momente gab, in der mich die Aussicht, zu dieser Veranstaltung nach Wien zu reisen, eher mit Stress als mit Vorfreude erfüllte. Dann jedoch erfuhr ich aus der internationalen #BenOp-Rosenkranz-Gebetsanliegen-Gruppe (ja, sowas gibt's!), dass just zur fraglichen Zeit auch mein Freund Rod mit seinem ältesten Sohn in Wien sein würde. Ja, Rod Dreher, der Autor der Benedikt-Option, den ich zuletzt im September 2019 getroffen hatte, lustigerweise ebenfalls in Österreich. Das ist ein Zeichen!, sagte ich mir.

Ich stellte also, in enger Absprache mit Patrick, ein Programm aus Auszügen aus den Bekenntnissen des Augustinus, aus Predigten von Bernhard von Clairvaux und – auf Patricks besonderen Wunsch – Meister Eckhard zusammen, fügte als Bonusmaterial noch ein paar persönliche Lieblingstexte hinzu – darunter einen Auszug aus der Selbstbiographie der Thérèse von Lisieux sowie als Schlussnummer "Die vollkommene Freude" aus den "Kleinen Blumen des Hl. Franziskus" – und machte mich am 10. Juni 2022 früh morgens auf den Weg nach Wien.

Eigentlich hatte Patrick mich vom Flughafen abholen wollen, war dann aber doch verhindert, weil ein wichtiger Termin, den er an diesem Vormittag hatte, länger dauerte als erwartet. Glücklicherweise bin ich aber ja schon ein großer Junge; ich meldete erst einmal Rod meine Ankunft, verabredete mit ihm vorläufig und unverbindlich ein Treffen zum Mittagessen, erwarb ein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr und fuhr mit der Bahn ins Stadtzentrum, wo mich Patrick aufgabelte, sobald er mit seinem Termin fertig war. Wir fuhren erst mal zu ihm nach Hause, wo ich seine kleine Familie kennenlernte. Um die Mittagszeit meldete ich mich abermals bei Rod, der mir mitteilte, er sei gerade mit seinem Sohn Matt in einem Kaffeehaus in der Nähe des Naschmarkts; also brachte Patrick mich dorthin. 

Natürlich freute ich mich sehr über das Wiedersehen mit Rod, und mit Matt auch: Ihn hatte ich bis dahin erst einmal getroffen, an Fronleichnam 2017 in München; da war er noch nicht ganz 18 gewesen, und wie man sich vorstellen kann, hatte er sich in den fünf Jahren seither gewaltig verändert. Nach einem netten Gesprächen bei einer Tasse Kaffee ging Matt aber erst mal seiner eigenen Wege, und Rod und ich schlenderten über den Naschmarkt, um unter den zahlreichen hübschen kleinen Restaurants, die es da gibt, eins auszuwählen, in dem wir zusammen Mittag essen wollten. Schließlich landeten wir im Gasthaus zur Eisernen Zeit

Schon allein wegen des Essens ist Wien eine Reise wert. 

Beim Essen (plus Bier) unterhielten wir uns über die kirchliche Situation in Deutschland (Stichwort: Schismatischer Weg), über das gesellschaftspolitische Klima in Amerika und Europa, aber auch über unsere Familien und Rods berufliche Pläne. Im Anschluss an unser Mittagessen hatte Rod eine Verabredung mit dem britischen Journalisten Ed West und seiner Frau im Palmenhaus des Schlossparks von Schönbrunn und nahm mich kurzerhand dorthin mit. 

Unterwegs trafen wir diesen Herrn: Abraham a Sancta Clara, bürgerlich Johann Megerle (1644-1709). 

Im Palmenhaus gab's schon wieder Kaffee, und auch das Gespräch mit dem Ehepaar West war interessant, anregend und verlief in freundlicher Atmosphäre. Aber dann musste ich langsam mal los zur Pfarre Floridsdorf, um mich auf meinen Auftritt am Abend vorzubereiten. Unterwegs stieß Patrick wieder zu mir. 

Patrick nennt Floridsdorf übrigens gern "Wien-Spandau"; dann bin ich da ja richtig, dachte ich mir, aber gleichzeitig hinkt der Vergleich, da Wien insgesamt so sauber, gepflegt und schick wirkt, dass selbst die eher übel beleumdeten Stadtteile noch einen zivilisierteren Eindruck machen als fast ganz Berlin. Die 1936-38 erbaute Floridsdorfer Pfarrkirche am Pius-Parsch-Platz gilt unter ästhetisch konservativen Katholiken als Paradebeispiel für die schlagende Hässlichkeit moderner Sakralarchitektur, aber ich muss gestehen, mir gefällt sie irgendwie ganz gut. 







Drinnen empfing uns eine bärtige Dame in orangenen Pluderhosen, die sich als der örtliche Pastoralreferent entpuppte. Theoretisch war er für die Koordination des Programmablaufs zuständig und somit auch unser Ansprechpartner für technische Fragen; das Problem dabei war, dass er am ersten Programmpunkt des Abends selbst beteiligt war und seine Prioritäten somit recht eindeutig verteilt waren. Dieser erste Programmpunkt trug den Titel "Psalmen: Musik, Gebet, Begegnung" und wurde auf den ausgelegten Handzetteln wie folgt beschrieben: 
"Ein musikalischer Abend mit liebevoll selbst vertonten Psalmen, kurzen Impulsen von Vertreter*innen der teilnehmenden Kirchen und der Möglichkeit zu Gespräch und gemütlichem Beisammensein." 

Eine schwer ökumenische Angelegenheit also; die Mitwirkenden trugen schwarze Poloshirts, die auf der Brust mit ihrer jeweiligen Kirchen- bzw. Konfessionszugehörigkeit beschriftet waren und auf der Rückseite den Schriftzug "Christ*in" trugen. An sich ja eine ganz witzige Idee, aber dieser Genderstern... grummel grummel. Noch ärgerlicher war es indes zweifellos, dass Mr. Pluderhose sich so vorrangig um diese Gruppe kümmerte, dass wir für unseren Programmpunkt "Orgelkonzert und geistliche Lesung mit Texten großer Kirchenväter" nicht einmal einen richtigen Soundcheck machen konnten. Die Einstellungen der Lichtanlage klamüserte Patrick kurzerhand selbst aus; ansonsten stand uns die Küsterin (bzw. Mesnerin, wie man in Österreich wohl sagt) als Ansprechpartnerin zur Verfügung, und irgendwann tauchte dann auch Don Alipius    in der Sakristei auf. War natürlich eine große Freude, ihn endlich mal "in echt" zu treffen, nachdem wir mehr als ein Jahrzehnt lang ausschließlich über Internet miteinander kommuniziert hatten. – Dass ich mich zu dem Orgelkonzert-Aspekt unseres Programmbeitrags noch gar nicht geäußert habe, liegt sehr wesentlich daran, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt selbst noch keine genauere Vorstellung davon hatte als die, dass es vor, nach und zwischen den Texten, die ich vortrug, irgendwie Orgelmusik geben sollte. Den Organisten, Klāvs Liepiņš, lernte ich erst jetzt kennen, und uns blieb nur wenig Zeit, unsere geplanten Programmbeiträge miteinander abzusprechen, aber das erwies sich als unproblematisch: Ich positionierte mich für meine Lesung so, dass ich Blickkontakt zur Orgelempore hatte, und Klāvs und ich lasen einander unsere jeweiligen Einsätze sozusagen von den Augen ab – das klappte tadellos. Klāvs spielte Werke der lettischen Komponisten Marģeris Zariņš (1910-1993) und Pēteris Vasks (* 1947) und dazwischen Improvisationen; ziemlich moderne Klänge also, was gut zum Ambiente der Kirche passte und einen interessanten Kontrapunkt zu den gelesenen Texten bildete.  

Die Veranstaltung war passabel besucht, wenn auch zugegebenermaßen nicht so gut wie das vorangegangenene ökumenische Psalmensingen (das mir übrigens, soweit ich es mitbekam, durchaus gut gefiel); und ich bekam durchweg sehr positives Feedback für meinen Vortrag und die Textauswahl. Im Publikum waren u.a. die Jugendbuchautorin Veronika Grohsebner und ihr Mann, die mich anschließend noch in die Cocktailbar Jonas einluden (wo ich allerdings keine Cocktails trank, sondern Bier). Ein schöner Abschluss für einen ereignisreichen und rundum gelungenen Tag. 

Am folgenden Tag blieb mir, da ich erst am späten Nachmittag nach Berlin zurückflog, noch viel Zeit für Sightseeing, zuerst mit Patrick und seiner Familie, dann allein. Wie es sich ergab, war an diesem Tag übrigens Gay-Pride-Parade in Wien; ich kann zwar nicht behaupten, dass ich übermäßig erpicht gewesen wäre, mir die anzusehen, aber so richtig entgehen konnte man ihr auch nicht, zumal sie von den öffentlichen Verkehrsbetrieben promotet wurde. Kein Witz. 




Auch sonst gab es allerlei Anschauungsmaterial zum Thema "Virtue Signalling im öffentlichen Raum": 

Müsste ein Solarkraftwerk nicht eigentlich außen sein?



Was das Burger-Plakat angeht, muss ich sagen: Es hätte fast funktioniert, wenn ich nicht auf den zweiten Blick festgestellt hätte, dass es sich um Werbung für ein veganes Restaurant handelte. Aber jedenfalls hatte ich daraufhin Hunger und lief eine ganze Weile herum auf der Suche nach einem ansprechenden Speiselokal. Schließlich landete ich in einem traditionellen Wiener Kaffeehaus, dem Café Raimund, und gönnte mir Altwiener Backfleisch mit Erdäpfelsalat


Abschließend seien noch ein paar Locations in Wien erwähnt, die ich nur im Vorbeigehen gesehen habe, die ich aber bei meinem nächsten Wien-Besuch gern näher in Augenschein nehmen würde: 

die Bierothek... 


das Biero... 

und last not least das OM Sweet OM


Aber Moment mal: Nächster Wien-Besuch? Na ja: So richtig spruchreif ist da momentan noch nichts, aber Patrick strickt schon wieder eifrig an Ideen für ein neues gemeinsames Projekt, die Mesnerin der Floridsdorfer Pfarrkirche war ebenfalls der Meinung, wir sollten sowas in der Art mal wieder machen, und ich bin mal optimistisch, dass auch Alipius sich wieder mit ins Boot holen ließe. Ganz allgemein muss ich sagen: Reisen, Lesungen bzw. Vorträge halten, interessante Leute treffen und von diesen zu Speis und Trank eingeladen werden, das ist ein Leben, an das ich mich gewöhnen könnte. Und Wien ist toll. Nächstes Mal nehme ich meine Familie mit. 


Samstag, 1. April 2023

Bloß keine Fragen stellen!

Wissen tät ich ja schon gern, wer eigentlich als erster die Idee zu dem Narrativ hatte, man könne aus der Bibel keine Ablehnung von Homosexualität ableiten, weil die Bibel Homosexualität im heutigen Verständnis des Begriffs gar nicht kenne. Eine kreative Leistung ist das ja schließlich schon irgendwie, und allemal origineller als das gute alte "Die Bibel verbietet auch den Verzehr von Schalentieren und das Tragen von Mischgewebe, und da haltet ihr euch schließlich auch nicht dran!". Ein raffinierter Dreh: Statt zu erklären, das, was ein Jahrtausende altes Buch zu einem bestimmten Thema sage, habe für den aktuellen Diskurs keine Relevanz mehr – was ja als Argument schon immer irgendwie prollig und bildungsfern wirkte –, sagt man kurzerhand: Ja Moment mal, das sagt das Buch doch überhaupt nicht. Wobei, ganz so originell ist diese Methode auch wieder nicht: "Hat Gott wirklich gesagt...?" war schon die opening line der Schlange im Paradies. 

Dass die Argumentationslinie "Die Bibel sagt über Homosexualität im heutigen Sinne überhaupt nichts aus" durchaus nicht nur von irgendwelchen Leuten in den Kommentarspalten Sozialer Medien vertreten wird, sondern auch von vermeintlich ernstzunehmenden Theologen, hätte man sich eigentlich denken können, da die ersteren – oder jedenfalls die meisten von ihnen – wohl kaum in der Lage wären, sich so etwas selbst auszudenken. Hinzu kommt, dass nicht wenige dieser Leute nur allzu gern mit mustetschülerhafter "Herr Lehrer, ich weiß was"-Attitüde signalisieren, dass sie, anders als die homophoben Ewiggestrigen in der Kirche, auf der Höhe des theologischen Diskurses seien. Berufen können sie sich dabei beispielsweise auf den Theologieprofessor Ulrich Berges, der in Bonn alttestamentliche Exegese lehrt und für die Münsteraner Bistumszeitung Kirche + Leben einen Gastkommentar unter der Überschrift "Das Alte Testament verurteilt keine Homosexualität" verfasst hat. Dieser Text erschien bereits im April 2021, ich bin aber erst jetzt auf ihn aufmerksam geworden, weil die Social-Media-Redaktion von Kirche + Leben ihn unlängst im Rahmen einer Facebook-Diskussion über den Schismatischen Weg verlinkte. Dazu später; erst einmal zum Inhaltlichen. Der erste Absatz von Prof. Berges' Artikel lautet:

"Das Alte Testament (AT) und die altorientalische Welt kennen keine homosexuellen Beziehungen im Sinne gleichberechtigter und rechtlich anerkannter Lebenspartnerschaften. Weil dies so ist, kann das AT solche Lebensentwürfe auch weder verbieten noch gutheißen." 

Sagen wir mal so: Wer nicht von alleine merkt, dass das haarsträubender Blödsinn ist, dem wird man es auch nur schwer erklären können. Ich versuche es trotzdem mal, so kurzgefasst wie möglich: Die hier zitierten Sätze wollen insinuieren, da es in biblischer Zeit keine "rechtlich anerkannte[n] Lebenspartnerschaften" zwischen Menschen gleichen Geschlechts gab, könne man nicht wissen, ob die Bibel sie, wenn es sie denn gegeben hätte, gutgeheißen hätte. Dabei muss man nun wirklich nicht studiert haben, um zu kapieren, dass es solche Lebenspartnerschaften exakt deshalb nicht gab, weil sie nicht gutgeheißen wurden.

Es liegt auf der Hand, dass wir es hier mit einer Argumentation zu tun haben, die darauf zugeschnitten ist, dass am Ende das erwünschte Ergebnis herauskommt; dafür ist jedes noch so fadenscheinige Pseudoargument recht. In einer solchen Konstellation werden auch aus an sich richtigen Feststellungen fragwürdige Schlussfolgerungen gezogen. So ist Berges zweifellos zuzustimmen, wenn er betont, in der Sodom-Erzählung in Genesis 19 und der sehr ähnlichen Erzählung von der Schandtat zu Gibea in Richter 19 gehe es wesentlich um Vergewaltigung und somit um "brutalste Erniedrigung"; daraus zu folgern, es gehe in diesen Texten "gar nicht um Homosexualität", erscheint jedoch durchaus nicht zwingend, und erst recht nicht einsichtig ist es, dass Berges diese Erzählungen kurzerhand zum Beleg dafür heranzieht, dass die alttestamentliche Verurteilung gleichgeschlechtlicher Unzucht sich grundsätzlich und ausschließlich auf Fälle sexualisierter Gewalt bezögen. Wenn, wie er argumentiert, die Penetration eines Mannes durch einen anderen Mann "für das AT als Akt freier Entscheidung undenkbar" war und daher nur als "gewalttätige Handlung" aufgefasst werden konnte, dann müsste man sich doch zumindest fragen, warum das so war und wieso es dann heute ganz und gar anders sein sollte. Im Grunde läuft die ganze Argumentation auf die Aussage hinaus "Das Alte Testament betrachtet gleichgeschlechtliche Unzucht als etwas Verwerfliches, wir halten Homosexualität heute nicht für verwerflich, also muss es sich um verschiedene Sachverhalte handeln". So einfach ist das, und so doof. 

Symbolbild: Die drei weisen Affen. (Foto von Flickr-Nutzer "Ray in Manila", Quelle und Lizenz hier)

Aber eigentlich wollte ich hier nicht so sehr Professor Berges' Argumentation zerpflücken als vielmehr die Facebook-Diskussion schildern, innerhalb derer ich auf den Link zu diesem Text stieß. Die Diskussion fand im Kommentarbereich zu einem Artikel statt, der wohl als Trost und Ermutigung an die Adresse derer gedacht war, denen die Beschlüsse des Schismatischen Weges nicht weit genug gingen (gelesen habe ich den Artikel nicht). Der Tenor des Großteils der Nutzerkommentare ließ darauf schließen, dass der Artikel seine angestrebte Zielgruppe erreicht hatte; hingegen äußerte eine kleine, aber lautstarke Minderheit Kritik daran, dass die Synodalversammlung Beschlüsse gefasst hat, die geradewegs der Lehre der Kirche widersprechen – was wiederum scharfe Angriffe durch Vertreter der Mehrheitsmeinung nach sich zog. In der Hauptsache drehte sich diese Auseinandersetzung um die Haltung der Kirche zum Thema Homosexualität. Als die Kirche + Leben-Redaktion in diesem Zusammenhang den oben besprochenen Beitrag von Prof. Berges in den Kommentaren verlinkte, schaltete ich mich in die Debatte ein – mit der zugegebenermaßen etwas ruppigen Bemerkung "Hört doch mal bitte auf, die Leute anzulügen". 

Die Redaktion reagierte darauf zunächst mit einem klassischen Autoritätsargument: "In dem von uns verlinkten Text äußert sich ein Professor für Altes Testament." Ach so, na dann muss es ja stimmen, was er sagt, nicht wahr? Als ich erwiderte, gerade dies, dass er mit der Autorität eines Professors solchen Unsinn behaupte, mache die Sache um so schlimmer, und er könne unmöglich so dumm sein, den Quatsch selber zu glauben, kassierte ich meine erste Verwarnung: "Bitte bringen Sie Menschen, die (begründet) anderer Meinung sind als Sie ein Minimum an Respekt entgegen, falls nicht, verzichten wir auf Dauer auf Ihre Beiträge." – Mit anderen Worten: Nachdem das Autoritätsargument nicht gewirkt hat, greift man als nächstes zur Waffe des "tone policing". Nebenbei bemerkt: Die Unfähigkeit, zwischen Meinungen und Tatsachenbehauptungen zu unterscheiden, ist ausgesprochen charakteristisch für den Diskussionsverlauf. 

Ungefähr gleichzeitig mit dieser noch sehr zahmen Intervention der Redaktion fiel aus heiterem Himmel eine Dame über mich her, die in dieser Kommentarschlacht insgesamt sehr aktiv war: 
"Ich bin es leid, dass Menschen einzig, weil sie eine völlig verquere und merkwürdige Vorstellung von Sexualität haben, nicht bereit sind, ihr eigene Denkweise endlich einmal zu überdenken und lieber sofort hingehen und anderen Menschen in böswilliger Weise Lügen und anderes unterstellen. Fangen Sie bitte mal erst bei sich selber an und überlegen Sie mal, warum ihr Verhalten mehr als unchristlich ist. Guten Tag." 
Bemerkenswert, was diese Frau aus meinen knappen Anmerkungen so alles herausgelesen hat. Als ich bei der Redaktion anfragte, ob diese ad-hominem-Attacke in ihren Augen kein Anlass für eine Verwarnung sei, wurde die Dame erst richtig böse: 
"Ach, Sie dürfen einen Menschen der Lüge bezichtigen und ich benenne Ihre Ungerechtigkeit und Unchristlichkeit und soll deswegen sofort bestraft werden? Sie haben ja eine interessante Vorstellung von Netiquette. Sie können gerne verärgert sein über meinen Post, aber das, was Sie jetzt gemacht haben, ist doch wirklich einfach nur billig. Und zeigt genau im Grunde das, was ich meinte: Die Bereitschaft, einer anderen Person einfach mal zuzuhören, um sie zu verstehen, gibt es sehr sehr häufig von Menschen wie Ihnen ja wohl nicht. Und darum war ich jetzt auch nicht mehr bereit es zu tun. Guten Tag." 
Muss schön sein, ein Weltbild zu haben, das sich permanent selbst bestätigt. Ich verabschiedete mich vorerst aus der Diskussion, indem ich meine bisherigen Wortmeldungen noch einmal knapp rekapitulierte – um aufzuzeigen, dass sie zwar wohl polemisch in der Wortwahl, aber dennoch sachbezogen gewesen seien – und dann hinzufügte: 
"Es ist übrigens durchaus nicht so, dass ich heute Abend in mein Kissen weine, wenn Ihr mich blockiert. Ihr sollt Euch dabei nur nicht allzu sehr im Recht fühlen 😇". 

Tatsächlich geschah dies zunächst einmal nicht, was mich ermutigte, mich am nächsten Tag noch in einige weitere Diskussionen zu anderen Kirche + Leben-Artikeln einzumischen. Mein Schicksal ereilte mich dann aber doch in derselben Kommentarschlacht, in der ich bereits verwarnt worden war. Den konkreten Auslöser fand ich dann aber doch überraschend. – Es ging damit los, dass eine Dame, mit der ich tatsächlich einige gemeinsame Freunde auf Facebook habe, in bester oben bereits angesprochener "Herr Lehrer, ich weiß was"-Manier ihre Kenntnisse in fehlerhafter Theologie ausbreitete: "Da wir heute wissen, dass Homosexualität keine Krankheit ist, können wir davon ausgehen, dass sie von Gott gewollt ist. Wer weiterhin behauptet, Homosexualität sei eine Sünde und somit eine abartige Veranlagung, widerspricht allen wissenschaftlichen Erkenntnissen." Der u.a. von Bloggerkollegin Anna – deren Kommentare, anders als meine, im Diskussionsverlauf noch zu lesen sind – unternommenene Versuch, ihr begreiflich zu machen, dass sie in dieser Aussage allerlei Kategorien durcheinanderwirft und verwechselt, dass z.B. Krankheit und Sünde grundsätzlich zwei verschiedene paar Schuhe sind und dass wissenschaftliche Erkenntnisse keine Werturteile implizieren, erwies sich als furchtlos: Die Dame wiederholte unbeirrbar immer nur dieselben talking points. "Die Tatsache, dass die Kirche Homosexuellen das Zölibat verordnet stellt eine Diskriminierung dar. Wer Menschen aufgrund ihrer sexuellen Veranlagung verbietet ihre Sexualität auszuleben, verstößt gegen die Menschenrechte." Aha. Soso. Da sie sich dabei immer wieder auf "wissenschaftliche Erkenntnisse berief, schaltete ich mich schließlich erneut in die Debatte ein, indem ich fragte, was für wissenschaftliche Erkenntnisse sie denn konkret meine. Die Antwort, die mir zuteil wurde, lautete knapp: "Die Erkenntnis, dass Homosexualität keine Krankheit ist." Nun hatte das zwar im vorangegangenen Diskussionsverlauf auch gar niemand behauptet und es ist – wie Kollegin Anna bereits dazulegen versucht hatte ("Der Katechismus stellt keine medizinischen Diagnosen") – für die Bewertung von Homosexualität durch die kirchliche Lehre auch überhaupt nicht entscheidend, aber ich stellte mich einfach mal dumm und hakte nach: "Was für wissenschaftliche Erkenntnisse gibt es dazu?" 

Und DARAUFHIN, wegen dieser FRAGE, wurde ich geblockt. 

Die Begründung lautete: "Ihre Ansichten zu Homosexualität – und seien sie auch in scheinbar harmlose Fragen verpackt – sind mindestens diskriminierend. Wir verzichten auf Ihre Beiträge." – Im ersten Moment war ich tatsächlich noch naiv genug, anzunehmen, da habe lediglich ein Admin oder Moderator, der womöglich noch von der Diskussion am Vortag her genervt von mir war, im Affekt überreagiert. Aber als mehrere andere Diskussionsteilnehmer zu meinen Gunsten zu intervenieren versuchten, bekräftigte die Redaktion ihre Entscheidung: "Die Fragen von Herrn Klein zu Homosexualität waren diskriminierend, [...] die Antwort ist ohne wissenschaftliche Begründung [!] allgemein bekannt" – eine interessante Aussage, wenn man bedenkt, dass meine Frage explizit dadurch veranlasst worden war, dass meine Vorrednerin sich wiederholt auf "wissenschaftliche Erkenntnisse" berufen hatte. In einer weiteren Stellungnahme der Redaktion heißt es: "Dass Homosexualität eine natürliche Form der Sexualität wie Heterosexualität ist, wird wissenschaftlich ebenso wenig bestritten wie die Tatsache, dass heute Freitag ist." – Dieser Vergleich ist im Grunde passender, als es seinen Urhebern recht sein kann; denn welcher Wochentag jeweils gerade ist, ist schließlich eine Frage gesellschaftlicher Konventionen und nicht der objektiven Realität. Aber lassen wir das. 

Ich muss gestehen, unabhängig davon, um welches Thema es geht, ist die hier an den Tag gelegte "Das weiß man doch!"-Haltung ein "pet peeve" von mir: Wenn eine bestimmte Aussage angeblich allgemein bekannt, anerkannt und unstrittig ist, dann sollte es doch umso leichter möglich sein, einen Beleg dafür vorzulegen, und sei es mit Hilfe von Onkel Google und Tante Wikipedia. Daher werde ich immer misstrauisch, wenn jemand sich auch auf Nachfrage weigert, einen Beleg für seine Behauptung anzuführen, und sich stattdessen darauf beruft, das wisse man doch. Wenn es nun aber schon Sanktionen nach sich zieht, nach Belegen zu fragen, dann ist erst recht etwas faul. 

Die Mechanismen der Diskursverweigerung, die hier am Werk sind, erinnern mich stark an eine Passage aus der "Benedikt-Option"; da berichtet mein Freund Rod: 

"Ein christlicher Professor an der naturwissenschaftlichen Fakultät einer säkularen Universität weigerte sich, eine Frage über biologische Aspekte von Homosexualität zu beantworten, die ich ihm gestellt hatte. Er fürchtete, egal wie harmlos und ausschließlich faktenbasiert die Antwort sein mochte, könne sie dazu führen, dass er innerhalb seiner Universität verklagt würde oder dass ein Social-Media-Mob über ihn herfiele." 

Vor ein paar Jahren, als ich das las und übersetzte, war ich mir selbst nicht sicher, ob das nicht etwas zu alarmistisch dargestellt sei; war es aber wohl doch nicht. – Ironisch an der ganzen Sache ist nicht zuletzt, dass es "wissenschaftliche Erkenntnisse", die diese Bezeichnung verdienen, unter solchen Bedingungen gar nicht geben kann; denn Wissenschaft lebt davon, dass Forschungsergebnisse hinterfragt und kritisch überprüft werden können. 

Im Übrigen sei hier nochmals betont, dass wissenschaftliche Erkenntnisse allein noch kein Werturteil darstellen oder ein solches implizieren. Wäre es mir rechtzeitig eingefallen – also bevor ich geblockt wurde – hätte ich gern argumentiert, die eigentliche Diskriminierung bestehe doch darin, Homosexualität zu ontologisieren; also davon zu sprechen, dass Menschen homosexuell SIND, anstatt zu sagen, dass sie homosexuelle Empfindungen, Neigungen o.ä. HABEN. Aber das würde wahrscheinlich niemand verstehen, und dann wäre man schon wieder der Böse. 

Ein vielsagendes Fazit der ganzen Sperr-Affäre zog ausgerechnet die Dame, die sich so beharrlich auf wissenschaftliche Erkenntnisse berief, die sie selbst nicht benennen konnte. Sie merkte an, es sei "ein Problem, wenn das Gegenüber die Sexuallehre der katholischen Kirche voll in Ordnung findet und somit gar nicht verstehen kann bzw. will, um was es geht. Das macht die Diskussion letztendlich sinnlos." Lassen wir uns das auf der Zunge zergehen: Wer die Lehre der Kirche bejaht, mit dem kann man nicht sinnvoll diskutieren, weil er "nicht verstehen kann bzw. will, um was es geht". Und das liest man nicht etwa auf der Facebook-Seite von queer.de oder der Giordano-Bruno-Stiftung, sondern auf derjenigen einer katholischen Bistumszeitung. Diese Äußerung ist auch nicht etwa ein Einzelfall, sondern charakteristisch für das toxische Diskussionsklima auf dieser und ähnlichen Seiten. Man könnte lang und breit darüber sinnieren, wie es dazu gekommen sein mag, aber der Befund ist schwer zu leugnen: Die erbittertsten Feinde der Kirche findet man hierzulande in ihren eigenen Gremien und Verbänden, in den Redaktionen kirchenamtlicher Medien – und unter deren Lesern. 

Abschließend sei daher noch ein weiteres Fallbeispiel angeführt – aus einer Diskussion zu einem anderen Artikel auf der Seite von Kirche + Leben. Da wirft ein "Top-Fan" der Seite die Frage auf, "wie jesuanisch" die "katholische Leere, ähm Lehre" (sic!) eigentlich sei. Ein anderer Diskussionsteilnehmer, übrigens langjähriger "Huhn meets Ei"-Leser, reagiert darauf mit der naheliegenden Frage, welcher Konfession oder Glaubensrichtung sein Vorredner sich denn zurechne, worauf dieser erklärt: 

"Ich bin katholisch, römisch-katholisch, getauft, gesalbt, gefirmt, an den Juden Jesus glaubend und selbständig denkend. Letzteres ist allerdings nicht immer eine römisch-katholische Eigenschaft." 

Ja ja, schon klar: Aufs selbständige Denken halten sich immer die Leute besonders viel zugute, die es nicht besonders gut beherrschen; hat ja auch eine gewisse Logik. "Also zum Mitschreiben", rekapituliert sein Kontrahent: "Sie halten katholische Lehre und Glauben für falsch und un'jesuanisch', sehen sich aber nichtsdestotrotz selbst als katholisch an (nur halt mit anderen Glaubensinhalten als, naja, die katholische Kirche) und meinen als Krönung, dass die Weltkirche ihre Lehrmeinungen Ihnen (!) anpassen müsste, um wahrhaft katholisch und 'jesuanisch' zu sein." Auf diese treffende Zusammenfassung reagiert der "Top-Fan" nicht gerade erbaut: 

"Wer bitte sind Sie, dass Sie meinen über mich richten zu müssen? Pflegen Sie von mir aus Ihre geistliche Enge, Ihre Phobien, aber belästigen Sie damit nicht andere Menschen. Wähnen Sie sich von mir aus im wahren Christentum, aber nutzen Sie die frohe Botschaft nicht als Steinbruch für krude Ausgrenzungstheorien." 

Bei einer derartigen Vernageltheit weiß man ja nun wirklich nicht mehr, ob man lachen oder weinen soll. Natürlich erntet der "Top-Fan" für seine Tirade eine Stange "Likes". – Max Goldt schrieb einmal, Satiriker versuchten der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, dies sei jedoch zwecklos, da "Gesellschaften wie Tiere" seien: "Sie erkennen sich im Spiegel nicht". Zumindest auf die Gesellschaft, die sich im Kommentarbereich von Schismatikerpostillen wie Kirche + Leben tummelt, trifft diese Einschätzung offenkundig zu.