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Donnerstag, 29. Mai 2025

Neues vom Schulkind, den anderen Schulkindern und deren Eltern

Wie schon erwähnt, hatten wir neulich Kinderparty bei uns zu Hause; zusätzlich zu unseren eigenen hatten wir acht Kinder zu Gast, darunter waren vier Schulfreundinnen unserer Tochter – zwei, mit denen sie schon seit ihrer Probewoche vor über zwei Jahren befreundet ist, und zwei, die erst zu Beginn des laufenden Schuljahres eingeschult wurden. Die ersteren beiden waren jeweils schon ein paarmal bei uns zu Besuch gewesen, die letzteren beiden kamen in Begleitung je eines Elternteils – in einem Fall war das die Mutter, im anderen der Vater. Andere Väter kennenzulernen finde ich ja immer spannend, und gerade dieser junge Mann (ich schätze, er ist ein ganzes Stück jünger als ich) war mir spontan sympathisch, seit wir uns im letzten Herbst anlässlich einer Party bei einer gemeinsamen Schulfreundin unserer Töchter begegnet sind. Mit der Mutter der anderen Erstklässlerin unter den Gästen wurde ich hingegen nicht so recht warm, fragte mich allerdings, ob wir ihr nicht vielleicht früher schon mal begegnet sein müssten, da sie erwähnte, ihre Tochter sei, bevor sie zur Schule kam #kindergartenfrei aufgewachsen; eigentlich, so würde ich denken, läuft man sich in dieser Community mehr oder weniger zwangsläufig mal über den Weg. Na ja, aber mehr als das wiederum auch nicht unbedingt: Wir haben ja – besonders "seit Corona" – oft genug die Erfahrung gemacht, wie schwierig es ist, regelmäßige Kontakte zu anderen #kindergartenfrei lebenden Familien zu organisieren. Weil die alle so individualistisch sind. 

Ähnliches ließe sich wohl über Eltern sagen, die ihre Kinder eine freie Alternativschule besuchen lassen, und das ist eigentlich der Hauptgrund, weshalb ich dieses Thema hier anschneide. Ich sag mal so: Während an einer "normalen" staatlichen Grundschule die Eltern der Schulkinder nicht notwendigerweise mehr miteinander gemeinsam haben, als dass sie Kinder im selben Alter haben und im selben Schulbezirk wohnen (wobei letzteres, je nach Sozialstruktur des betreffenden Wohnviertels, durchaus weitere Gemeinsamkeiten implizieren kann), liegt es bei einer Schule, deren Konzept so stark auf selbstbestimmtes Lernen ausgerichtet ist, nahe, bei den Eltern ein gewisses Maß an gemeinsamen "Werten" vorauszusetzen. Also zum Beispiel, dass sie mehr Wert auf die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder legen als darauf, sie aufs Berufsleben vorzubereiten. Das schließt indes nicht aus, dass sie trotzdem ganz unterschiedliche Charaktere sein können und/oder in vielfältiger Hinsicht sehr unterschiedliche Anschauungen haben können. Um's mal auf den Punkt zu bringen: Einen Vater, der zwei Kinder an dieser Schule hat, habe ich schon mal bei einer "Querdenker"-Demo gesehen, während es andererseits auch Eltern gibt, die in der S-Bahn immer noch FFP2-Masken tragen. Der Vater, der seine Tochter zu unserer Party begleitete, sieht von der Frisur über den auffälligen einzelnen Ohrring bis hin zu den Slogans auf seinen T-Shirts so aus wie jemand, den ich bis vor einigen Jahren auch in einer linksautonom-punkigen Kneipe hätte kennenlernen können, die Mutter der anderen Erstklässlerin auf unserer Party wirkt im direkten Vergleich – darf man das sagen? – eher spießig. Was sie von der Kollektion von Marienbildern und Kruzifixen in unserem Wohnzimmer hielten, fragte ich sie vorsichtshalber beide nicht. 

Aber wie dem auch sei: Während die Kinder das Kinderzimmer mit Hilfe ihres zu Weihnachten geschenkt bekommenen tragbaren Audiosystems und einer Farbwechsel-Dino-Lampe in eine Disco verwandelten, gab es am Küchentisch recht interessante Gespräche, nicht nur und nicht einmal hauptsächlich über die Schule, sondern allgemein darüber, wie man sich (und eben besonders seine Kinder) gesellschaftlichen Zwängen entziehen könne, die auf Normierung, Funktionalisierung und Einschränkung von Individualität abzielen. Einigermaßen folgerichtig fiel im Zuge dieser Diskussionen irgendwann auch das Stichwort Anarchismus, und gerade der Vater mit dem Ohrring hatte dazu allerlei anzumerken – so etwa, dass unter Anarchie im allgemeinen Sprachgebrauch ja oft einfach gesetzlose Zustände verstanden würden, die einigermaßen zwangsläufig auf die Unterdrückung der Schwachen durch die Starken hinauslaufen würden; daher werde vielfach nicht verstanden, dass Anarchismus als politisches Konzept auf gegenseitiger Hilfeleistung nach dem Prinzip "Jeder nach seinen Möglichkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" basiere. Wenn man nun gefragt werde, wann und wo in der Welt anarchistische Gesellschaftsentwürfe denn jemals wirklich funktioniert hätten, könne man darauf hinweisen, dass solche Versuche in der Regel nicht aus sich selbst heraus gescheitert, sondern gewaltsam unterdrückt worden seien – wie die Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg, die vom Franco-Regime "plattgemacht" worden seien. Da musste ich dann aber doch mal einhaken und richtigstellen, dass die anarchistische Herrschaft (ein Widerspruch in sich, ich weiß) in Katalonien nicht vom Franco-Regime, sondern von den Stalinisten (sprich: den moskautreuen kommunistischen Milizen) "plattgemacht" wurde. Das war ihm tatsächlich neu. Ich fragte ihn, ob er das Buch "Mein Katalonien" von George Orwell kenne, und da er verneinte, legte ich ihm sehr ans Herz, das mal zu lesen. Hätte ich es auf die Schnelle im Regal gefunden, hätte ich's ihm gleich mitgegeben. 

Die Kinderrepublik, äh, Kinderdisco hat eine strenge Türpolitik.

Eine Woche später waren wir dann beim von der Elternvertretung der Schule unseres Tochterkindes organisierten Familienpicknick in einem Park in Kreuzberg; dort fanden sich außer uns vielleicht zehn Familien ein, gar nicht mal so viele also, und Überschneidungen mit den Gästen unserer Kinderparty gab es dabei – abgesehen von uns selber – keine, aber das war wohl eher zufällig. Für unsere Tochter bedeutete das leider, dass von ihren besten Freundinnen keine dabei war; aber dafür freundete sie sich mit der kleinen Schwester eines Jungen an, der erst seit Kurzem auf ihre Schule geht. – Fürs Mitbring-Büffet hatten wir auf die Schnelle eine Schale Pfirsiche und eine Tüte Chips besorgt, andere Eltern hatten mehr Aufwand betrieben und brachten selbstgebackenen Kuchen, Quiche oder Blätterteigtaschen mit, vieles davon war vegan, auch vegane Würstchen und veganes Rührei fehlten nicht. Da hatte es durchaus einen erfrischenden Hauch von Normalität, dass ein Elternpaar etwas so Bodenständiges wie Baguettes mit Butter, Käse und Salami beisteuerte. 

Ich halte diese Beobachtung durchaus nicht für banal oder zufällig. Es ist sicher keine Überraschung, dass man an einer kleinen Alternativschule unter den Eltern der Schüler tendenziell einen höheren Anteil von engagierten Anhängern der gerade angesagten neo-gnostischen innerweltlichen Heilslehren wie Veganismus, Gender etc. – also was man gemeinhin so unter dem Schlagwort "woke" zusammenfasst – vorfindet als an einer durchschnittlichen Regelschule. (Manch ein Leser wird sich in diesem Zusammenhang vielleicht an die Präsentation zum Thema Veganismus erinnern, die von drei Schülerinnen im Rahmen eines Showprogramms der Schule vorgeführt wurde.) Betonen muss man dabei jedoch, dass zumindest an genau dieser Schule, und zwar unter den Schülern selbst wie auch unter den Eltern, eine ausgesprochen wertungsfreie Atmosphäre in solchen Fragen herrscht; case in point: Natürlich gab es bei diesem Picknick Leute, die die Baguettes mit Butter, Käse und Salami nicht aßen, aber niemand beschwerte sich, dass jemand überhaupt so etwas mitgebracht hatte. Das ist durchaus nicht selbstverständlich und erinnert mich an das zwischenmenschliche Klima im Baumhaus. Insofern finde ich es nicht gerade verwunderlich, dass meine Liebste schon kurz nach unserer Ankunft bei diesem Picknick anmerkte, diese Schulgemeinschaft – worin Schüler, Eltern und Mitarbeiter eingeschlossen sind – sei etwas, was sie vermissen würde, wenn wir in absehbarer Zeit umzögen

Ich bin mir gerade nicht sicher, zu welchem Grad es selbsterklärend ist, weshalb ich dies als ein Thema für meinen Blog betrachte; und infolge dieser Unsicherheit denke ich mir, ich sag mal lieber ein paar Worte zur Erklärung und hoffe, dass diejenigen Leser, die es schon von allein kapiert haben, deswegen nicht glauben, ich hielte sie für begriffsstutzig. Also: Worauf ich hinaus will, ist, dass aus den hier skizzierten Beobachtungen Lehren für die Neuevangelisierung und die Gemeindeerneuerung zu ziehen wären. Das hat etwas mit dem Prinzip Belonging before Believing zu tun, das ich vor Jahren schon mal angesprochen habe. Wie können christliche Gemeinden eine Atmosphäre schaffen, in der sich auch Leute, die die Kernüberzeugungen der Gemeinde nicht oder zumindest nicht in vollem Umfang teilen, so wohl fühlen, dass sie dieses Gemeinschaftsgefühl nicht missen möchten – und das eben gerade nicht dadurch, dass sie diese Kernüberzeugungen verstecken oder verleugnen? 

– Sowohl aus eigener Erfahrung als auch auf der Basis dessen, was ich von anderen gehört habe, neige ich zu der Annahme, dass es in vielen Gemeinden bereits am Willen scheitert, Leute willkommen zu heißen und einzubinden, die irgendwie anders sind als die alteingesessene Kerngemeinde. Aber auch wenn der gute Wille durchaus vorhanden ist, muss man wohl erst einmal lernen, wie das geht. Als Positivbeispiel dafür, dass so etwas in einer christlichen Gemeinde durchaus funktionieren kann, habe ich schon wiederholt die EFG The Rock Christuskirche in Berlin-Haselhorst hervorgehoben, aber gerade was den Punkt mit der wertungsfreien Atmosphäre angeht, gibt es da durchaus graduelle Unterschiede zum Baumhaus oder zu dem hier geschilderten Schulelternpicknick. Darauf wäre eventuell bei Gelegenheit mal zurückzukommen. 

Nebenbei bemerkt könnte man ja manchmal denken – und manchmal neige ich sogar selbst zu diesem Gedanken –, dass meine Familie und ich zwischen den verschiedenen Milieus, in denen wir uns bewegen, die alleinige Schnittmenge darstellen. Daher hier mal ein anekdotischer Beleg dafür, dass das durchaus nicht der Fall ist: Bei dem Schulelternpicknick war ein Junge, der vorletzten Herbst zusammen mit unserer Großen eingeschult worden ist, und dieser Junge und sein Vater hatten einen selbstgebackenen Käsekuchen dabei, den der Knabe mit Lebensmittelfarbe grün eingefärbt hatte, in der ausdrücklichen Hoffnung, die Farbe werde andere potentielle Esser abschrecken und es bliebe dadurch mehr für ihn. Ich fand den Kuchen jedoch lecker. Und am nächsten Tag traf ich beim Patronatsfest in St. Rita (mehr dazu an anderer Stelle) die Oma dieses Jungen: Sie kam auf mich zu und verriet, sie habe mich schon ein paarmal gesehen, als sie ihren Enkel zur Schule brachte oder abholte und ich meine Tochter. Okay, ganz so überraschend war das nicht: Ein anderer Enkel dieser Dame ist dickstens mit unserem Jüngsten befreundet, seit sie sich beim Kinderfasching in St. Bernhard kennengelernt haben, und wir hatten bereits im Gespräch mit den Eltern dieses Knaben herausgefunden, dass ein Cousin von ihm zusammen mit unserer Großen zur Schule geht. Aber da sieht man mal, wie klein die Welt ist! 


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