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Montag, 28. Juli 2025

""Wir werden ja wahrscheinlich noch Fischbrötchen essen"

Ich hatte es ja in meinem jüngsten Wochenbriefing schon erwähnt: Ohne dass wir es geplant gehabt hätten, fanden am ersten Wochenende unsers Urlaubs in Butjadingen gleich zwei traditionelle lokale Veranstaltungs-Highlights statt: die 51. Fedderwardersieler Krabbenkutterregatta und das schätzungsweise ebenso traditionsreiche Wischer Wiesenfest. Geplant hatten wir das eigentlich nicht – will sagen, für die Terminplanung unseres Urlaubs waren andere Faktoren ausschlaggebend –, aber wo es sich schon mal so ergab, wollten wir auch das Beste draus machen. 


Am Freitag brachen wir daher so ziemlich gleich nach dem Frühstück nach Fedderwardersiel auf und trafen dort noch vor der offiziellen Eröffnung des Fests ein. Bereits geöffnet hatten die diversen Fressbuden und Verkaufsstände für Tinnef und Gedöns, in etwa so wie auf'm Rummel, nur alles ein bisschen kleiner, weil rund ums Hafenbecken in Fedderwardersiel eben nicht so viel Platz ist. 



Ein erstes Programmhighlight war die Papierboot-Regatta; und dabei handelte es sich nicht, wie ich zunächst dachte, um ein Wettrennen kleiner Origami-Faltboote, sondern verschiedene lokale Institutionen, Initiativen und Vereine traten mit selbstgebauten Paddelbooten aus Pappmaché gegeneinander an. Meine alte Schule, das Gymnasium Nordenham, war mit einem Schüler- und einem Lehrerboot vertreten, aber mein Favorit war dennoch das Boot der Jugendgruppe der evangelischen Kirchengemeinde Abbehausen – und zwar nicht nur, weil es so witzig gestaltet war, sondern auch, weil sie ihre Teilnahme als Werbeaktion nutzten, um darauf aufmerksam zu machen, dass ihre Gemeinde (und mit ihr der ganze Pfarrbezirk Butjadingen-Süd) einen neuen Pfarrer sucht

Leider kenterte das Bananenboot schon vor dem Start, konnte allerdings trotzdem noch am Rennen teilnehmen – wobei es dann allerdings sein größter Erfolg war, überhaupt ins Ziel zu kommen. Immerhin belegten die Abbehauser bei der Abstimmung um das schönste Boot den zweiten Platz, und die Kreiszeitung Wesermarsch rief sie zum "Sieger der Herzen" aus; der Gesamtsieg ging derweil an das "Pearl JAM" getaufte Boot der "Jugendhilfe am Meer"



Vorne links ist das Siegerboot recht gut zu sehen. 

Ein weiteres Highlight des ersten Kutterregatta-Tages war es für uns, dass wir – direkt vom Kutter – einen frisch geräucherten Aal kauften und gemeinsam an Ort und Stelle verputzten; die Kinder aßen zwar nicht sehr viel von dem Aal, aber er schmeckte ihnen – das ist ja schon mal ein Erfolg. 

Am Samstag, dem ersten Schönwettertag unseres Urlaubs, machten wir Pause vom Kutterregatta-Programm (auch wenn wir dadurch die 38. Niedersächsische Krabbenpul-Meisterschaft verpassten) und schauten stattdessen mal auf Hof Iggewarden vorbei – wo, was wir natürlich nicht hatten voraussehen können, eine Geburtstagsfeier stattfand: Den über der Festgesellschaft schwebenden Folienballons zufolge handelte es sich um einen 30. Geburtstag, aber anhand der Musik, die auf der Party lief, hätte ich eher gedacht, es wäre ein 30. Hochzeitstag oder so: Die stilistische Bandbreite reichte von volkstümlichen Schlagern über Pop-Schlager à la Helene Fischer bis hin zu Ballermann- bzw. Après-Ski-Hits. So viel könnte ich gar nicht saufen, dass ich mir solche Musik freiwillig und gern anhören würde. Nun gut, wir ließen uns im Rosengarten nieder, wodurch ein Flügel des Hofgebäudes zwischen uns und der Party lag und den Schall recht gut abschirmte. So fiel mir erst bei unserem Aufbruch auf, dass da nicht etwa eine automatische Playlist lief, sondern dass für die Feier allen Ernstes ein DJ engagiert worden war, der zwischendurch auch launige Ansagen machte. Kult-DJ Horst vom Siel oder so, nehme ich an. "Die Sonne und du" von Udo Jürgens begleitete uns noch den halben Weg bis zur Bushaltestelle. 

Angesichts meiner Verwunderung darüber, dass solche Musik auf einem 30. Geburtstag lief, erinnerte meine Liebste mich daran, dass wir bei einem unserer früheren Urlaube in Butjadingen auch schon mal eine Trecker-Parade gesehen und vor allem gehört hatten, die ihre Umgebung mit ganz ähnlichen Klängen beschallt hatte. "Tja, guten Musikgeschmack kriegt man nicht geschenkt, den muss man sich erarbeiten", erwiderte ich etwas grimmig. "Und da hat die treckerfahrende Jugend wohl einfach andere Prioritäten." 

Aber à propos treckerfahrende Jugend: Ich wollte ja noch erläutern, wieso bzw. inwiefern mich eine Busfahrt von Burhave nach Nordenham an die Gründe dafür erinnert hat, dass man das Wischer Wiesenfest lieber meiden sollte. Auf der besagten Fahrt war die hintere Hälfte des Busses voll mit Jugendlichen, die sich darüber unterhielten, wo man am besten Weed kaufen könne, und sich ausgiebig über ihre Drogenerfahrungen austauschten. Weitere Gesprächsthemen: Snapchat, Bußgeldbescheide wegen Schuleschwänzen, Geldstrafen wegen Internetkriminalität (einschließlich der Anregung, das Geld zur Begleichung dieser Strafen durch noch mehr Internetkriminalität aufzubringen), aber in letzter Konsequenz ging es auch da immer wieder ums Kiffen. Das Ganze hatte durchaus eine gewisse komödiantische Qualität, es erschien somit denkbar, dass 80% davon, was die jungen Lüü da erzählten, ausgedachter Quatsch war, mit dem sie die anderen Fahrgäste schockieren wollten. Aber sicher kann man sich da nicht sein. So oder so: Ich stelle mir vor, dass das genau die Art von Leuten ist, die aufs Wischer Wiesenfest gehen, und deshalb halte ich mich da lieber fern. 

Interessant ist aber immerhin, dass zum Programm des Wischer Wiesenfests traditionell ein Gottesdienst am Sonntagvormittag gehört. Kein ökumenischer allerdings, was vermutlich daran liegt, dass dieses Fest vorrangig in der bäuerlichen Bevölkerung verwurzelt ist, und die ist in diesem Landstrich nun mal nicht katholisch. Da passt es auch ins Bild, dass der Gottesdienst auf Plattdeutsch gehalten wird, denn die hiesigen Katholiken sprechen normalerweise von Haus aus kein Plattdeutsch, da sie allesamt "Zugewanderte" sind, wenn auch zum Teil schon in dritter oder vierter Generation. – Übrigens gehört die Stollhammer Wisch zum Pfarrbezirk Butjadingen-Süd, dessen Pfarrstelle, wie weiter oben schon erwähnt, derzeit vakant ist; geleitet wird der Gottesdienst daher von zwei Lektoren, Hans-Jürgen Nemeyer und Jan-Wilhelm Hessenius, die, wie es scheint, auf plattdeutsche Gottesdienste spezialisiert sind. "Der Posaunenchor Butjadingen sorgt für die musikalische Begleitung", weiß die Kreiszeitung Wesermarsch zu berichten. "Danach gibt es Erbsensuppe." 

Das ist hier jetzt im historischen Präsens formuliert, obwohl es natürlich schon vorbei ist. – Übrigens habe ich mir mal den Spaß gemacht, den AI Overview von Google nach den Ursprüngen des Wischer Wiesenfests zu befragen, und erfuhr folgendes: 

"Das Wischer Wiesenfest gibt es seit 1973. Es entstand aus einem Polterabend von Waltraud und Klaus Dierks, der so gut ankam, dass er jährlich wiederholt wurde." 

Das klingt – wie so Vieles, was AI-Chatbots sagen – ein bisschen ausgedacht, scheint aber zu stimmen: Als Quelle wird ein Artikel der Nordwest-Zeitung von 2018 angegeben. 

Wir jedenfalls fuhren am Sonntag wieder nach Fedderwardersiel, wo parallel zur Kutterregatta, oder im Rahmen der Kutterregatta, der "Tag der Seenotretter" stattfand. Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) war mit einem Infostand und einem Mal- und Bastelstand für Kinder vor Ort, zudem konnte man den zum Museum ausgebauten Rettungsschuppen und den Seenotrettungskreuzer Hermann Rudolf Meyer besichtigen. 





Parallel dazu gab's am dritten Kutterregatta-Tag ein "Festival der Shantychöre": Den Anfang machte Butjenter Blinkfüer, dann folgten der Shanty-Chor Lohnde, der Heidjer-Shanty-Chor Buchholz und der Shanty-Chor Cuxhaven (dessen Auftritt wir allerdings nicht mehr mitkriegten). Man beachte übrigens, dass nur zwei dieser vier Chöre tatsächlich von der Küste kamen; trotzdem klang für mein Empfinden etwa der Shanty-Chor Lohnde (der aus einem Vorort von Hannover kommt) authentischer als die local heroes vom Butjenter Blinkfüer – und das sage ich nicht gern: Der Chor Butjenter Blinkfüer ist aus der Shanty-Sparte des Männergesangsvereins Eintracht Burhave hervorgegangen, und in diesem Gesangsverein hat so ziemlich meine gesamte ortsansässige männliche Verwandtschaft, angefangen von meinem Opa (mütterlicherseits), irgendwann mal mitgesungen. Zwei Cousins meines Vaters waren noch dabei, als die Shanty-Sparte des Gesangsvereins in den 90er Jahren unter dem Namen Butjenter Blinkfüer voll auf maritimen Schlager umstieg und es damit zu ein paar Auftritten in Schlager- und Volksmusiksendungen im Fernsehen brachte. – Jenseits musikalischer Geschmacksfragen muss man anerkennen, dass das Butjenter Blinkfüer aus dem Programm der Fedderwardersieler Kutterregatta schlicht nicht wegzudenken ist – auch deshalb, weil der Verein sich stets an der Papierboot-Regatta beteiligt. 

Übrigens möchte ich daran erinnern, dass wir im vorigen Sommer ein Festival der Shanty-Chöre im Rahmen des Nordenhamer Stadtfests erlebt haben. Unter den dabei auftretenden Gesangsensembles ragte der Shanty-Chor Nordenham e.V. dadurch heraus, "dass er traditionelle Seemannsgesänge mit großem Ernst interpretierte", wie ich damals notierte; am anderen Ende des Spektrums lagen die ebenfalls in Nordenham ansässigen "Hafenperlen", die frech und fröhlich maritime Stimmungsmusik zu Gehör brachten. Beides fand ich gut, alles andere war eine unreine Mischung dazwischen. – Letzteres könnte oder müsste man wohl auch über das Programm der Shanty-Chöre bei der Kutterregatta sagen, aber ich bleibe dabei, dass die Lohnder diese Mischung am überzeugendsten 'rüberbrachten – besonders bei Genreklassikern wie "Nimm uns mit, Kapitän, auf die Reise", "Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins", "Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren" und meinem persönlichen Favoriten "Rum aus Jamaika". Zwei Mitglieder des Chores trafen wir nach ihrem Auftritt an "Micha's Räucherfisch"-Bude (nur echt mit dem Apostroph) und unterhielten uns nett mit ihnen; insbesondere waren sie angetan von unseren Kindern, die sie aufgeweckt und gut erzogen fanden – was letzteres angeht, mussten meine Liebste und ich allerdings zugeben, dass die lieben Kleinen diesen Eindruck durchaus nicht immer machen. 

Abschließend noch eine kleine Anekdote, die ich im Bastelzelt des Animax Kids Club aufgeschnappt habe: Einige der Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, die da die Kinder beaufsichtigten, sind offenbar bei der Freiwilligen Feuerwehr, und so hörte ich, wie ein junger Mann seinen Kolleginnen erzählte, er sei beim Wischer Wiesenfest gewesen und von dort zu einem Einsatz gerufen worden – weil irgendwo schwarzer Rauch aus einem Fenster gedrungen sei. "Das war doch bestimmt wieder so eine Spiegelei-Situation", merkte eine Kollegin an – und richtig, da war jemandem das Essen auf dem Herd angebrannt und die Nachbarn hatten die Feuerwehr gerufen. Aber die Bezeichnung "Spiegelei-Situation" fand ich super, die muss ich mir merken... 


1 Kommentar:

  1. Assoziation beim Lesen einiger Passagen ... "Die machen Urlaub bei Loriot" ...

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