Willkommen zum dritten Wochenbriefing in diesem Kalenderjahr, liebe Freunde und Hate-Reader! Wieder einmal gibt es über einige wenige Themen so viel zu sagen, dass ich in Sachen Themenvielfalt einige Abstriche machen muss; konkret heißt das, dass das, was es zum JAM, zum "Beten mit Musik" und zum KiWoGo-Arbeitskreis zu sagen gäbe, bis nächste Woche warten muss. – Das dritte K in der Überschrift bezieht sich diesmal auf das Büffet beim Neujahrsempfang der Großpfarrei Heilige Familie Spandau-Havelland, der einen von drei Themenschwerpunkten dieser Wochenbriefing-Ausgabe bildet; ich darf aber schon mal ankündigen, dass meine Auseinandersetzung mit diesem Event um einige Grade weniger polemisch ausgefallen ist als im vorigen Jahr. Aber seht selbst, liebe Leser!
Symbolbild: Heilige Familie, hier als Skulpturengruppe in der Kapelle von St. Elisabeth Hakenfelde |
Endspurt beim Krippenpilgern
Ich hatte es schon angedeutet: Für das vorige Wochenende hatte ich mir einen Masterplan zurechtgelegt, um sozusagen auf den letzten Metern, bevor die Weihnachtszeit zu Ende ging, die Aktion "Krippenpilgerweg" der Großpfarrei Heilige Familie Spandau-Havelland erfolgreich abzuschließen und dabei gleichzeitig der Liebsten, die immer noch krank war, möglichst viel Ruhe und Erholung zu verschaffen. Der Schlüssel zum Erfolg bestand darin, dass die Organisatoren des "Krippenpilgerwegs" für den letzten Samstag der Weihnachtszeit die Möglichkeit zum gemeinsamen Pilgern von der Kapelle des Seniorenheims St. Elisabeth in Hakenfelde zur Spandauer Pfarrkirche Maria, Hilfe der Christen vorgesehen hatten, mit Zwischenstationen in St. Lambertus, ebenfalls in Hakenfelde, und St. Marien am Behnitz in der Spandauer Altstadt. Den Stempel aus St. Marien am Behnitz hatten wir aber ja nun schon, und in Maria, Hilfe der Christen wollten wir ohnehin zur Vorabendmesse, die den Auftakt zum Neujahrsempfang (s.u.) bildete. Daher sah mein Masterplan vor, mit den Kindern pünktlich zum Beginn des gemeinsamen Pilgerwegs mit dem Bus nach Hakenfelde zu fahren und den Weg von St. Elisabeth bis St. Lambertus (gut eineinhalb Kilometer) zu Fuß zurückzulegen; dann wollten wir uns aber ausklinken, mit dem Bus zu den Spandau Arcaden fahren und dort erst mal Pommes essen gehen.
Abgesehen davon, dass dies die letzte Gelegenheit war, die Stempel der beiden Kirchenstandorte in Hakenfelde einzuheimsen, war ich auch gespannt, wie viele Leute wohl an dem gemeinsamen Pilgerweg teilnehmen würden und was für Leute das wohl sein würden. – Eine erste Teilantwort auf diese Frage erhielten wir bereits, als wir in Hakenfelde aus dem Bus stiegen: Mit uns zusammen stieg eine ältere Frau mit tiefrot gefärbten Haaren aus und fragte uns, ob wir auch auf dem Weg zur Kirche seien. Wie sich zeigte, gehörte sie zur Gemeinde von St. Stephanus Haselhorst und wusste auch nicht so genau, wo es nun nach St. Elisabeth langging; aber noch ehe ich mit Hilfe von Google Maps ermittelt hatte, in welche Richtung wir uns von der Bushaltestelle aus wenden mussten, trafen wir auf zwei weitere wohl auch schon im Rentenalter stehende Personen, die dasselbe Ziel hatten wie wir und anders als wir den Weg kannten. Die rothaarige Frau aus Haselhorst unterhielt sich unterwegs mit meinen Kindern und fand sie offenbar ganz entzückend, was natürlich umgekehrt auch dazu beitrug, mir die Dame sympathisch zu machen.
Insgesamt fanden sich, mich selbst und meine Kinder nicht mitgerechnet, zehn oder zwölf Leute zum Krippenpilgern ein; die meisten von ihnen waren schätzungsweise zwischen 60 und 70 (für kirchliche Verhältnisse also "mittleren Alters"), ein Teenager war aber auch dabei, zusammen mit seinem Vater. Was ich mir eigentlich hätte denken können, worüber ich mir im Vorfeld aber keine großen Gedanken gemacht hatte, war, dass es an jeder Station des Krippenpilgerwegs eine kleine Andacht gab, jeweils bestehend aus ein paar Strophen eines Weihnachtslieds aus dem Gotteslob, einer kurzen biblischen Lesung und einem Impuls – oder wie man diese Textsorte sonst nennen soll, die mir so charakteristisch dafür erscheint, was liberale Boomer Catholics sich unter Spiritualität und Kontemplation vorstellen: nebelhaftes Assoziationsgeklingel, das durch willkürliche Zeilenumbrüche den Anschein von Tiefsinn zu erwecken versucht. An den zwei Stationen, die wir "mitmachten", stammten die Impulstexte von Gisela Baltes – einer Autorin, die mir bislang kein Begriff gewesen war und von der ich auch nicht glaube, dass man sie sich merken muss. Hier mal exemplarisch ein paar Zeilen aus dem Impuls für die 2. Station:
Es ist bewiesen,
dass uns Eigenschaften unserer Eltern
durch die Vererbung ihrer Gene
mit auf den Weg gegeben wurden.Ich glaube,
dass uns unser Schöpfer
ebenso einen Teil von sich
mitgegeben hat,
den Teil, den wir Seele nennen[.]
Also #sorrynotsorry, was für ein Bullshit. – Ich schätze, es ist ziemlich evident, dass diese Art von Pseudo-Lyrik ihren Ursprung in derselben Ära und demselben innerkirchlichen "Lager" hat wie das "Neue Geistliche Lied" (NGL); und für beides würde ich mit wünschen, dass es mal "ad experimentum" für zehn oder vielleicht 15 Jahre aus der kirchlichen Praxis verbannt würde. Um die Infektionskette zu durchbrechen, sozusagen. Ich bezweifle stark, dass danach noch in nennenswertem Umfang Forderungen nach ihrer Wiedereinführung laut werden würden.
Was die Stempel für den Krippenpilgerpass anging, gab es in St. Elisabeth ein Schaf und in St. Lambertus einen Hirten; als Bonus, exklusiv für die Teilnehmer des gemeinsamen Pilgerwegs, gab es in St. Elisabeth noch einen weiteren Stempel, der einen Heiligen Dreikönig darstellte. In St. Lambertus gab es im Anschluss an die kleine Andacht Kaffee und Kuchen; das war nett, aber danach gingen wir trotzdem zur nächsten Bushaltestelle und fuhren zu den Spandau Arcaden.
(Zu erwähnen wäre vielleicht noch, dass ich in St. Elisabeth zuvor erst einmal und in St. Lambertus zweimal gewesen war, und beides war schon über drei Jahre her.)
Krippe in St. Elisabeth |
Krippe in St. Lambertus |
Krippe in Maria, Hilfe der Christen |
Also warteten wir erst mal ab. Zelebriert wurde die Messe übrigens vom Spandauer Krankenhausseelsorger; als jedoch nach dem Evangelium eine Frau das Wort ergriff, dachte ich im ersten Moment: Nanu, was'n hier los? Lai*innenpredigt? – Tatsächlich handelte es sich "nur" um den obligatorischen Vortrag zur Sternsingeraktion des Kindermissionswerks, der hier allerdings sehr viel umfangreicher geriet als am Sonntag zuvor in St. Joseph Siemensstadt. Erst ging es um die Geschichte der Sternsingeraktion, dann um das diesjährige Motto; dann wurde erklärt, was Kinderrechte sind; dann wurde exemplarisch von einigen Kindern in verschiedenen Ländern der Welt erzählt, denen das Kindermissionswerk geholfen hat; und als absehbar wurde, dass das noch lange nicht alles war, beschloss ich, mit meinem Jüngsten lieber einen Spaziergang zu machen. – Um es mal in aller Deutlichkeit zu sagen: Eine Präsentation zur Arbeit des Kindermissionswerks, die gefühlt ungefähr eine halbe Stunde dauert, anstelle der Predigt in eine Sonntagsmesse einzubauen, empfinde ich nicht nur als unverschämt, sondern als liturgischen Missbrauch, Missbrauch der Liturgie zu ihr fremden Zwecken. Es ist ja gut und schön, dass das Kindermissionswerk über seine Arbeit informieren will, aber kann so eine Informationsveranstaltung nicht im Anschluss an die Messe im Pfarrsaal stattfinden? – Natürlich ahne ich, warum man das nicht macht: weil man davon ausgeht, dass die meisten Leute nach der Messe direkt nach Hause wollen. Würde man den Vortrag über die Sternsingeraktion weiter ans Ende der Liturgie verschieben – also etwa dahin, wo meist die Vermeldungen untergebracht werden, zwischen Dankgebet und Entlassungssegen –, müsste man immer noch damit rechnen, dass die Leute einfach gehen, wenn's ihnen zu lange dauert. Also setzt man ihn an die Stelle der Predigt, damit die Leute sich das anhören müssen (es sei denn, sie gingen halt zwischendurch raus, aber das macht ja so gut wie nie jemand).
Als ich mit meinem Jüngsten von unserem kleinen Spaziergang zurückkam, trafen wir vor der Kirche eine junge Frau mit zwei Kindern, die wir zuvor drinnen gesehen hatten. Sie fragte mich, ob die Gottesdienste hier immer so lange dauerten – worauf ich wahrheitsgemäß antworten musste, streng genommen wisse ich das nicht, ich ginge aber davon aus, dass die ausufernde Sternsinger-Präsentation daran schuld sei. Wir kamen daraufhin recht gut miteinander ins Gespräch; die Frau erzählte, sie sei mit ihrer Familie gerade erst nach Falkensee gezogen, bisher hätten sie im Wedding gewohnt, und da seien sie kaum in die Kirche gegangen, deshalb sei ihr fünfjähriger Sohn "das nicht gewohnt" (das zweite Kind ist erst maximal ein Jahr alt, würde ich schätzen). – Wenn eine Familie, die bisher kaum in die Kirche gegangen ist, "plötzlich" – möglicherweise veranlasst durch eine allgemeine Veränderung der Lebenssituation wie z.B. eben einen Wechsel des Wohnorts – beschließt, das ändern zu wollen, auch und gerade im Interesse der Kinder, dann finde ich das natürlich spannend und unterstützenswert; gleichzeitig kann ich den Gedanken nicht ganz unterdrücken, dass es schon irgendwie schade ist, wenn die dann in so einer gutbürgerlich-liberalen Gemeinde landen. Vielleicht ist das aber auch vorschnell geurteilt: Man kann im Grunde nicht wissen, ob diese Familie das, was sie für ihren persönlichen Glaubensweg gerade braucht, nicht gerade in dieser Gemeinde finden könnte. Trotzdem habe ich der Mutter vorsichtshalber die Kinderwortgottesdienste in St. Joseph Siemensstadt empfohlen – für den Fall, dass sie mal Lust hat, etwas weiter zu fahren.
Zu meinen Krippenfotos kam ich schließlich auch noch:
Too Big to Fail? Der Neujahrsempfang und das (d.h. mein) Unbehagen an der Institution
"Warum sind in dieser Messe eigentlich drei Priester?", fragte mich meine Tochter zu Beginn der Vorabendmesse in der Spandauer Pfarrkirche Maria, Hilfe der Christen; und ich stellte fest, dass es gar nicht so leicht war, diese Frage kurz, wahrheitsgemäß und kindgerecht verständlich zu beantworten. Schließlich war der besonders feierliche Charakter dieser Messe, realistisch betrachtet, wohl weniger dem liturgischen Rang des Fests Taufe des Herrn geschuldet als vielmehr dem Umstand, dass sie den Auftakt zum Neujahrsempfang der Großpfarrei Heilige Familie Spandau-Havelland bildete. Der leitende Pfarrer zelebrierte, zwei Pfarrvikare konzelebrierten; darunter der für Siemensstadt und Haselhorst zuständige Pfarrvikar, der auch das Evangelium vortrug, aber leider nicht predigte. Wobei dieses "leider" sich womöglich dadurch relativiert, dass auch die Predigt mehr auf den Anlass des Neujahrsempfangs zugeschnitten war als auf die Auslegung der biblischen Lesungen vom Tag, und das wäre wohl eher nicht so sein Ding gewesen.
Der Pfarrer, der die Predigt hielt, schlug einen thematischen Bogen von der Neugestaltung der Hedwigskathedrale über das Sakrament der Taufe als "einigendes Band" zwischen den christlichen Konfessionen, das Motto des Heiligen Jahres 2025 ("Pilger der Hoffnung") und das 1700jährige Jubiläum des Konzils von Nizäa hin zu politisch-gesellschaftlichen Themen, vermied dabei aber, wohl aus Rücksicht auf das gemischte Publikum, allzu deutliche Positionierungen. Bezeichnend für das Anliegen des Neujahrsempfangs, die Kirche innerhalb der Gesellschaft zu repräsentieren, war die Frage "Wie können wir unserer Gesellschaft, wie können wir unserem Land, wie können wir unserer Stadt Berlin helfen, sie unterstützen?" – eine Frage, zu der mir durchaus auch so allerlei einfiele; so schrieb ich z.B. im Creative Minority Report Nr. 29, ich sei "sehr wohl der Überzeugung, dass es einer Gesellschaft nützt, wenn es in ihr Christen gibt – auch dann, wenn es sich nur um eine Minderheit handelt –, und zwar einfach deshalb, weil es zum Weltauftrag der Christen gehört, 'der Stadt Bestes' zu suchen (vgl. Jeremia 29,7)"; jedoch:
"Je weniger christlich eine Gesellschaft als ganze ist, desto mehr wird sich allerdings die Vorstellung der Christen davon, was denn konkret 'der Stadt Bestes' sei, von der der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden. Daraus folgt, dass die kirchlichen Institutionen der säkularen Gesellschaft gerade dann am wenigsten nützen, wenn sie sich deren Vorstellungen darüber anbequemen, was ihr angeblich nütze."
Ich glaube, dass das auch der Spandauer Pfarrer nicht grundsätzlich anders sieht, auch wenn er das, erst recht bei dieser Gelegenheit, nicht so deutlich sagen konnte. Was er indes sehr wohl sagte, war, dass "unsere Zahl offensichtlich geringer wird" und "unsere Stimme in dieser Welt auch nicht mehr von Vielen gehört wird", dass die Kirche aber dennoch nicht darauf verzichten könne, ihre Antwort auf die Fragen der Zeit zu artikulieren, weil es "die Antwort der Liebe" sei.
Im Anschluss an die Messe ging's direkt 'rüber in den Pfarrsaal, wo der eigentliche Empfang begann. Dass ich mich bei dieser Veranstaltung insgesamt wohler fühlte als vor einem Jahr, hatte zum Teil sicher damit zu tun, dass ich inzwischen doch deutlich besser in dieser Pfarrei "angekommen" bin, in dem Sinne, dass ich da deutlich mehr Leute kenne und mehr Leute mich kennen; und dass die Kinder ein Jahr älter geworden sind, macht die Teilnahme an derartigen halb formellen, halb geselligen Veranstaltungen ebenfalls einfacher: Ich hatte zwischenzeitlich durchaus die Befürchtung, bei ihnen würde schon die Luft raus sein, ehe das wie schon im letzten Jahr sehr attraktive Fingerfood-Büffet eröffnet würde, aber tatsächlich hielten sie sehr gut durch. Nette Begegnungen hatte ich u.a. mit meinem kritischen Leser Egidius, mit der Leiterin der Trommelgruppe von St. Stephanus und ihrem Mann, der in der dortigen Gemeinde küstert, sowie mit einer Küsterin aus St. Joseph und ihrem Sohn, der dort ministriert. Als der Spandauer Krankenhausseelsorger an unserem Tisch vorbeikam und die in unserer Nähe sitzenden Seniorinnen explizit als "unsere Treuen" begrüßte und bekräftigend hinzufügte "Wir sind doch treu!", dachte ich im Stillen: Das macht der doch mit Absicht! Aber sehen wir's mal so: Wenn das Absicht war, spricht das immerhin dafür, dass er meinen Blog liest, und das ist ja schließlich auch was wert. Als wir gegen 20 Uhr zum Aufbruch schritten, da die Kinder nun doch deutliche Anzeichen dafür zeigten, ins Bett zu müssen, sagte der Geistliche mir, er habe sich gefreut, dass die Kinder zu dieser Veranstaltung mitgekommen seien, und das klang sehr herzlich.
Zur anwesenden Lokalprominenz sei übrigens gesagt, dass zeitweilig der Spandauer Bezirksbürgermeister und der Superintendent der Evangelischen Kirche Spandau mit uns an einem Tisch saßen. Der letztere hatte – so viel mal zum Thema "gute ökumenische Beziehungen in Spandau" – in Talar und Beffchen an der Messe teilgenommen und die 1. Lesung vorgetragen. Ein Vertreter der Neuapostolischen Gemeinde soll ebenfalls anwesend gewesen sein, außerdem – der Begrüßungsansprache des Pfarreiratsvorsitzenden zufolge – auch Vertreter der Landespolitik, der Caritas und der Orte kirchlichen Lebens der Pfarrei, unter denen er besonders die KiTas (es sind deren drei) hervorhob.
Mein grundsätzliches Unbehagen an der Art von Selbstrepräsentation der Pfarrei, die dieses Neujahrsempfang-Format nun einmal mit sich bringt (im Unterschied zu früher™️, als die Neujahrsempfänge der einzelnen Gemeinden eher im Zeichen des "Ehrenamtsdanks" standen – was auch seine Tücken hat, aber das ist ein Thema für sich), hat derweil nicht abgenommen, aber ich muss hier ja nicht alles wiederholen, was ich schon letztes Jahr zu diesem Thema geschrieben habe. Was mir an den Ansprachen zum diesjährigen Neujahrsempfang besonders aufgefallen ist, ist die an sich gar nicht so originelle Erkenntnis, was für ein riesiger Apparat an so einer Großpfarrei dranhängt. Von den drei KiTas war bereits die Rede, dazu kommt das Seniorenheim St. Elisabeth, dessen Träger ebenfalls die Pfarrei ist; und die Liste der hauptamtlichen Mitarbeiter, denen der Pfarrer in seiner Ansprache persönlich dankte – Hausmeister, Sekretärinnen, weitere Verwaltungsfachkräfte – tat ein Übriges. Da kann leicht der Eindruck entstehen, ein Großteil der Ressourcen einer Pfarrei werde dafür aufgewendet, die Institution als solche am Laufen zu halten; und genau dieser Eindruck wird durch das Veranstaltungsformat "Neujahrsempfang" gefördert, da die Pfarrei sich hier eben als eine zivilgesellschaftliche Institution unter anderen präsentiert.
In diesem Zusammenhang fühle ich mich daran erinnert, was ich vor Jahren in einem Blogartikel mit dem programmatischen Titel "Was kommt nach der Volkskirche?" über ein Problem schrieb, "das der Religionssoziologe Mark Chaves mit dem Begriff 'dual structure' beschreibt":
"Dass religiöse Körperschaften ab einer gewissen Größe einen professionell geführten Verwaltungsapparat benötigen, kann man einleuchtend finden; dieser birgt jedoch die Gefahr, zur Parallelstruktur und zum Selbstzweck zu werden, wenn er nach rein 'weltlichen' Professionalitäts- und Effizienzmaßstäben arbeitet und sich nicht um den geistlichen 'Unternehmenszweck' kümmert, weil dieser angeblich nicht in seinen Aufgabenbereich falle. Das kann nur vermieden werden, wenn die Mitarbeiter sich als Diener des geistlichen Auftrags der Kirche begreifen."
Ist das ein realistischer Anspruch an eine Pfarrei, noch dazu an eine so große, in der es eine solche Fülle an Verwaltungsaufgaben gibt? In der Ansprache des Pfarreiratsvorsitzenden war zwar wiederholt die Rede davon, Gottes Willen zu entsprechen, vom Vertrauen auf Gott und davon, Gott und den Menschen nahe zu sein; aber das wirkte oberflächlich, konventionell, wie aufgeklebte Etiketten. Was ich wohlgemerkt nicht dem Redner persönlich ankreiden will; vielmehr wäre ich überrascht gewesen, wenn es nicht so gewesen wäre. – Nun könnte man sagen, eine gewisse "Entweltlichung" der Kirche wird sich durch das absehbare Wegbrechen der Kirchensteuereinnahmen über kurz oder lang quasi von selbst einstellen; aber gerade in Zeiten schrumpfender Ressourcen kann es umso fataler sein, wenn ein quasi-betriebswirtschaftliches Effizienz- und Funktionalitätsdenken den Blick für die eigentlichen Prioritäten verstellt. Der Trend, die Ortspfarreien zu immer größeren Verwaltungseinheiten zusammenzufassen, ist in meinen Augen ein Symptom dieses irregeleiteten Funktionalitätsdenkens. Meine Idealvorstellung wäre es dagegen, dass die Kirche sich in so kleinen lokalen Einheiten organisiert, dass die Mitglieder einer Gemeinde sich untereinander alle wenigstens vom Sehen kennen – und zwar, um's mal auf den Punkt zu bringen, möglichst vom Sehen im Gottesdienst. Wer das für eine unrealistische Vorstellung hält, dem möchte ich entgegnen: Ich halte das nicht nur für realistisch, sondern auf mittlere Sicht sogar für den einzig möglichen Weg für den Fortbestand der Kirche. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Kirche sich auf Gebet und Sakramente als Quelle und Mittelpunkt ihres Handelns besinnt und den Fokus ihrer Aktivität auf Evangelisierung und Katechese legt. Als "Sozialpartner" für Politik und zivilgesellschaftliche Institutionen wäre eine solche "pusilla grex" natürlich nicht besonders interessant, aber ich bin überzeugt, dass auch und gerade das zum Vorteil der Kirche wäre.
Huhn meets Ei jetzt auch bei Bluesky – und was sich reimt, ist gut, oder?
Vor ein paar Wochen habe ich hier berichtet, dass die Social-Media-Abteilung des Erzbistums Hamburg sich mit großem moralischen Pathos von der Plattform X (ehemals Twitter) zurückzieht – weil sich da zu viele Leute mit falschen Meinungen tummeln und Elon Musk das auch noch unterstützt bzw. fördert, statt etwas dagegen zu unternehmen. Dieser Schritt fand in der amtskirchlichen Medienlandschaft viel Zustimmung und wurde als vorbildlich für andere Bistümer und kirchliche Einrichtungen betrachtet. Aus Hamburg verlautete dazu, man wolle im Gegenzug die Aktivität auf Facebook und Instagram ausbauen und erwäge zudem die "Implementierung weiterer Kanäle" – etwa bei dem noch relativ jungen Twitter-Klon Threads "oder einem News-Kanal auf WhatsApp". Tja, und nun – Ironie des Schicksals – hat auch die Firma Meta, zu der sämtliche genannten Dienste gehören, angekündigt, nicht mehr gegen falsche Meinungen vorgehen zu wollen. Ein Dilemma! Die Social-Media-Abteilung des Bistums Aachen reagiert vorerst mit Galgenhumor und verkündet, wenn es bei Facebook fortan keine Faktenchecks mehr gebe, könne man ja getrost behaupten, Jesus habe wirklich auf dem Wasser gehen können. Wozu ich anmerken möchte: Dass ein solcher "Witz" auf der offiziellen Facebook-Präsenz eines katholischen Bistums erscheint, sagt mehr darüber aus, was für Leute in der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt werden und was für ein Publikum man damit erreichen möchte, als den Verantwortlichen lieb sein dürfte. Nun gut, wenn die deutschen Bistümer und sonstigen kirchlichen Institutionen ihren einmal eingeschlagenen Selbst-Deplatforming-Kurs konsequent fortsetzen, dann wird es dort im Bereich Digitale Öffentlichkeitsarbeit wohl bald nicht mehr viel zu tun geben, was über kurz oder lang dazu führen dürfte, dass einige Leute sich nach einem anderen Arbeitsplatz umsehen müssen; fair enough, wie der Angloamerikaner sagt.
Derweil beschränkt sich der Trend zum Rückzug von den führenden Social-Media-Plattformen jedoch nicht auf professionelle virtue signaller aus Kirche, Gesellschaft und Politik, sondern es machen auch ganz normale Leute mit, darunter auch solche, die ich persönlich kenne. Das gibt zu denken, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Einerseits drängt sich mir der Gedanke auf: Das hat ja nicht mal die DDR geschafft, die Leute dazu zu bringen, aus Angst vor "Desinformation" freiwillig das Westfernsehen zu meiden. Andererseits stellt sich natürlich die Frage, wie man die Leute, die jetzt aus einer Art moralischer Panik heraus nach der App formerly known as Twitter nun auch noch Facebook und womöglich auch Instagram verlassen, zukünftig noch erreichen kann – und nicht am Ende selbst in einer Filterblase steckenbleibt. Aus diesem Grund habe ich mich darauf besonnen, dass ich – wie neulich schon mal erwähnt – bereits seit längerer Zeit einen Account bei Bluesky habe, und habe angefangen, diesen tatsächlich zu benutzen.
– Und wie sind da so meine ersten Eindrücke nach rund einer Woche? Zunächst einmal habe ich im Großen und Ganzen nicht den Eindruck, dass die Leute da zivilisierter und freundlicher miteinander umgehen – obwohl die links-"woke" Blase da sehr viel mehr unter sich ist als in anderen mir bekannten Sozialen Netzwerken. Aber vielleicht ist "obwohl" hier auch die falsche Konjunktion: Dass das Bewusstsein, von lauter Gleichgesinnten umgeben zu sein, nicht unbedingt dazu führt, dass man sich besser benimmt, hat ja eine gewisse Logik. Richtig ist, dass man auf Bluesky erheblich weniger rechte Pöbeleien und Verschwörungstheorien antrifft als auf X; dafür aber umso mehr linke Pöbeleien und Verschwörungstheorien, und ich bin nun mal nicht der Meinung, dass das eine grundsätzlich besser ist als das andere. Aber okay, was solche Dinge angeht, kann man ja – wie in anderen Sozialen Netzwerken auch – sein "Nutzererlebnis" dadurch regulieren, wem man folgt, wem man nicht folgt und wen man stummschaltet oder schlimmstenfalls blockiert. Das größere Problem ist, dass bei Bluesky außerhalb eng umrissener Filterblasen insgesamt sehr wenig los ist. Damit meine ich gar nicht so sehr den Umstand, dass ich nach einer Woche auf Bluesky erst acht Follower habe – ich glaube mich zu erinnern, dass ich, als ich vor 13 Jahren bei Twitter einstieg, sogar länger gebraucht habe, um diese Zahl zu erreichen. Umgekehrt habe ich, obwohl ich die Messlatte schon bewusst niedrig gelegt hatte, erst rund 50 Accounts gefunden, denen zu folgen mir interessant erscheint; und von diesen sind viele, gelinde gesagt, nicht sehr aktiv: Der Account des Erzbistums Freiburg hatte, als ich das letzte Mal nachgesehen habe, erst einen Beitrag gepostet, ebenso EWTN News; "News und Tratsch aus Nordenham" und die VCP-Pfadfinder kommen auf jeweils zwei Beiträge, missio Aachen auf zehn, die Pallottiner auf 22, die Katholische Nachrichtenagentur KNA auf 51, das Domradio auf 71. Persönliche Bekannte – also solche aus dem "realen Leben" – habe ich bei Bluesky überhaupt erst vier entdeckt (dreien folge ich, dem vierten, "aus Gründen", nicht); nicht einmal mein Bruder, mit dem ich ziemlich fest gerechnet hatte, ist in diesem Netzwerk.
Das alles kann sich natürlich noch ändern, und möglicherweise schon bald: Angeblich gewinnt Bluesky derzeit täglich eine Million Nutzer hinzu. So habe ich's jedenfalls in einem von Philipp Greifenstein vom Eule-Magazin (dem "Zentralorgan der im Sitzen pinkelnden Föhnfrisurträger", wie ich gern sage) verfassten "Bluesky-Guide" gelesen – einem Text, der Bluesky-Neulingen den Einstieg erleichtern bzw. dabei helfen soll, sich auf der Plattform zurechtzufinden. Das ist natürlich eine dankenswerte Serviceleistung – die zugleich aber auch deutlich macht, wie sehr der postchristlichen Linken daran gelegen ist, dass Bluesky sich als Alternative zu den größeren und etablierteren Sozialen Netzwerken bewähren möge. Mehr noch: Dass ein solcher "Bluesky-Guide" als "Eule-Newsletter" durch den digitalen Äther flattert, verrät die Absicht, dafür zu sorgen bzw. dazu zu verhelfen, dass sich möglichst viele Gleichgesinnte in diesem Netzwerk einfinden. Okay, denke ich mir: Das kann ich auch! Daher hier mein Aufruf an euch, Freunde: Kommt vorbei bei Bluesky, denn was sich reimt, ist gut, und dann ist es da bald hoffentlich nicht mehr so einsam...
Geistlicher Impuls der Woche
Was geschieht im Augenblick der Taufe Jesu durch Johannes? Angesichts dieser demütigen Geste der Liebe von seiten des Gottessohnes öffnet sich der Himmel, und der Heilige Geist offenbart sich sichtbar im Bild der Taube, während eine Stimme aus der Höhe das Wohlgefallen des Vaters zum Ausdruck bringt, der den eingeborenen, geliebten Sohn anerkennt. Es handelt sich um eine wirkliche Offenbarung der allerheiligsten Dreifaltigkeit, die die Gottheit Jesu bezeugt und daß er der verheißene Messias ist, von Gott gesandt, um sein Volk zu befreien, damit es gerettet wird (vgl. Jes 40,2). So wird die Prophetie Jesajas Wirklichkeit, die wir in der ersten Lesung gehört haben: Gott, der Herr, kommt mit Macht, um die Werke der Sünde zu vernichten, und er herrscht mit starkem Arm, um den Bösen zu entwaffnen. Aber denken wir daran, daß dieser Arm der am Kreuz ausgestreckte Arm ist und daß die Macht Christi die Macht dessen ist, der für uns leidet: das ist die Macht Gottes, die anders ist als die Macht der Welt; so kommt Gott mit Macht, um die Sünde zu vernichten.
(Benedikt XVI., Predigt zum Fest Taufe des Herrn, 13.01.2013)
Ohrwurm der Woche
Thin Lizzy: Dancing in the Moonlight
Diese Woche mal keine besondere Geschichte und keine popkulturellen Trivia, sondern einfach ein schönes Lied mit einem süßen Text – auch wenn ich bei der Zeile "I should have took that last bus home" jedesmal zusammenzucke und denke "Das muss doch 'taken' heißen!". Aber wahrscheinlich ist das irischer Slang, was weiß ich. Nicht zu verwechseln ist dieses Stück übrigens mit dem gleichnamigen Song von King Harvest, der im Jahr 2000 von der Gruppe Toploader gecovert wurde. Der ist auch schön, aber anders.
Vorschau / Ausblick
Im nächsten Wochenbriefing wird es zunächst einmal Neues zum Thema Schwarzer Gürtel in KiWoGo geben – gestern war nämlich das erste Arbeitskreistreffen in diesem Kalenderjahr, aber aus Zeit- und Platzgründen konnte ich darauf noch nicht näher eingehen. Heute Abend findet ein Konzert anlässlich des 25jährigen Bestehens einer Trommelgruppe statt, in der meine Liebste vor langer Zeit mal ca. ein halbes Jahr lang mitgespielt hat; ich hoffe, wir schaffen es, da zusammen hinzugehen. Am Sonntag werden wir wohl "ganz normal" in Siemensstadt in die Messe gehen; davon abgesehen steht noch nicht viel Besonderes im Kalender, aber ich gehe davon aus, dass wir am Mittwoch zum JAM gehen und dass ich im nächsten Wochenbriefing dann auch dazu kommen werde, zu berichten, was es bei diesem Veranstaltungsformat Neues gibt. Außerdem ist nächste Woche eine neue Ausgabe meiner Tagespost-Kolumne fällig, und alles Weitere bleibt abzuwarten...
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