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Sonntag, 6. Januar 2019

Jetzt rappen sie auch noch

Es ist mal wieder soweit: Die Sternsinger stehen vor der Tür, teilweise metaphorisch, teilweise wortwörtlich. Ich persönlich erwarte sie heute zwischen 13 und 17 Uhr; ja, wir haben uns in die in unserer Kirche ausliegende Liste der Haushalte eingetragen, die einen Besuch der Sternsinger wünschen. Das Dorfkind in mir findet es ja eigentlich schade, dass es überhaupt solche Listen braucht. Wobei ich die Notwendigkeit durchaus einsehe, zumindest in von großen Mietshäusern geprägten städtischen Wohngegenden. Ich nehme allerdings an, auch in Einfamilienhaussiedlungen, ja möglicherweise sogar auf dem Dorfe ziehen die Sternsinger heutzutage nicht mehr "einfach so" von Haus zu Haus und singen ihre Lieder "gelegen oder ungelegen". Und das finde ich wirklich schade, nicht nur wegen des Kulturerbes, das da verloren geht, sondern auch, weil es erheblich punkiger und zugleich missionarischer wäre, auch und gerade die Häuser derer zu segnen, die nicht darum gebeten haben.

Aber à propos Kulturerbe: Schon vor drei Jahren habe ich mich in einem Blogartikel bitter darüber beklagt, dass das Kindermissionswerk "Die Sternsinger" sich den „Gesamtzusammenhang der Aktion Dreikönigssingen“ im Jahr 2003 hat urheberrechtlich schützen lassen – und damit ein Stück traditionelles, seit dem 16. Jahrhundert bezeugtes christliches Brauchtum für seine alljährliche Fundraising-Kampagne instrumentalisiert und monopolisiert. Der besagte Artikel hat mir seinerzeit viel Unverständnis und Kritik eingebracht, auch und gerade von Lesern, die mir normalerweise wohlgesonnen sind; aber ich kann meine Meinung in diesem Punkt beim besten Willen nicht ändern. Wobei ich es, wie anno 2016 ausführlich dargelegt, besonders ärgerlich finde, dass der religiöse Charakter des Dreikönigssingens hinter dem Spendenzweck der jeweiligen Jahresaktion mehr und mehr zu verschwinden droht.

Recht bezeichnend hierfür ist der am 27. Dezember veröffentlichte Motto-Song der diesjährigen Sternsingeraktion, ein Rap-Song mit dem Titel "Das singen die Sterne", performt von Rapper Florian Schäfer, Sängerin Kat Wulff und Florians Bruder Franz an der Gitarre sowie den Sternsingerkindern Johannes, Elisabeth Anna, Stella und Pauline als Background-Chor. 


Fangen wir mal mit dem Positiven an: Sowohl die Musik als auch das Video wirken ausgesprochen professionell produziert und ragen qualitativ durchaus aus dem heraus, was man von kirchlicher Medienarbeit sonst so gewohnt ist. Okay, das habe ich über das umstrittene Stewardessen-Video des Bistums Essen zu Weihnachten auch gesagt. Aber stimmt ja auch. Dass mir die Nase des Rappers nicht gefällt, weil sie mich an einen Bekannten aus meinen späten Teenagerjahren erinnert, der damals aus unerfindlichen Gründen alle Mädels rumkriegte, braucht andere Adressaten dieses Videos nicht sonderlich zu stören. Aber wie sieht's mit dem Inhalt aus? Zugegeben, man könnte durchaus der Meinung sein, eine inhaltliche Kritik erübrige sich weitgehend, denn der Text des knapp drei Minuten langen Liedes besteht zu gefühlten zwei Dritteln aus assoziativem Wortgeklingel. Was für das Rap-Genre wohlgemerkt nicht ungewöhnlich ist. Ein Erfahrungsbericht aus der Berliner S-Bahn: Wenn jemand in die Bahn einsteigt und wirres Zeug vor sich hin brabbelt, ist er wahrscheinlich psychisch krank und/oder auf Drogen; ist das wirre Zeug jedoch rhythmisiert und reimt sich in mehr oder minder regelmäßigen Abständen, dann handelt es sich um Rap. – Ehe jetzt jemand meint, ich legte es darauf an, mich als kulturpessimistischer Waldschrat in Szene zu setzen: Ich erkenne Rap sehr wohl als eine Kunstform an, und auch wenn es nicht zwingend zu den spezifischen Qualitätsmerkmalen dieser Kunstform gehört, dass die Texte einen tieferen Sinn ergeben, gibt es sehr wohl Rap-Songs mit guten Texten. Dieser gehört nicht dazu.

Man tut daher gut daran, den Liedtext auch da, wo er über bloßes Reimgeläute hinaus geht, nicht allzu genau beim Wort zu nehmen. An mehreren Stellen sagt er nämlich nicht das aus, was er eigentlich aussagen will oder sollte, sondern lediglich etwas Ähnliches. Zum Beispiel: 

"Schau ruhig über deinen Tellerrand /
Nicht jeder Mensch hat Besteck in der Hand"

Was hier – wie ich mal wohlwollend unterstellen möchte – eigentlich gemeint ist, ist, dass nicht jeder Mensch ausreichend zu essen hat. Aber was hat das Besteck damit zu tun? Ist das nicht irgendwie kulturimperialistisch, zu verlangen, alle Menschen sollten mit Besteck essen? Ehrlich gesagt finde ich, die Vorstellung eines Hilfswerks, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, dafür zu Sorgen, dass die Menschen überall auf der Welt lernen, mit Besteck zu essen, ergäbe durchaus Stoff für eine groteske Filmkomödie (Arbeitstitel "Knigge's Army“). Und weiter:

"Nicht jedes Kind sieht 'ne Schule von innen."

Gemeint ist natürlich: Nicht jedes Kind hat Zugang zu Bildung. Okay: Dass "Zugang zu Bildung" nicht zwingend dasselbe ist wie „Schulbesuch“, dürfte speziell in Deutschland wohl gar nicht groß auffallen. Da haben die Nazis mit ihrem Reichsschulpflichtgesetz von 1938 wirklich ganze Arbeit geleistet: Die meisten Deutschen scheinen tatsächlich anzunehmen, echte Bildung gebe es nur in der Schule, Homeschooling sei nur eine Marotte von Junge-Erde-Kreationisten und schießwütigen Hinterwäldlern und daher in Deutschland zu Recht verboten; und wenn sie doch mal einen jungen Erwachsenen zu Gesicht bekommen, der überdurchschnittlich gebildet und sozial kompetent ist, "obwohl" er nie zur Schule gegangen ist, dann staunen sie ihn an wie ein Weltwunder. Aber das ist eigentlich ein Thema für sich.


Die eigentlichen Adressaten des Songtexts und auch des ganzen Videos scheinen übrigens die Sternsinger selbst zu sein, insbesondere auch potentielle zukünftige Sternsinger, die es noch zu rekrutieren gilt ("Werde Sternsinger!", sagt ein Mädchen am Ende des Videos in die Kamera, und unvermeidlicherweise fügt ein Junge hinzu "Und Sternsingerin!"). "Ich frage dich: Bist du dabei, wenn es um Herz und Hilfe geht?", heißt es in den gerappten Strophen, und:

"Wir können nach den Sternen greifen /
Nur zusammen sind wir frei /
Lass uns für bess're Zeiten fighten /
Ich frag nochmal: Bist du dabei?" 

Was hier auffallend abwesend ist, ist jede Spur eines religiösen oder gar spezifisch christlichen Gehalts. Nun ja, fast jede Spur. Gelegentlich kommt am Rande ein bisschen religiös konnotiertes Vokabular vor, etwa in den Versen

"Wie bringt man den Segen bei Sonne und Regen? /
Die Antwort, mein Freund: Glaube und Stärke".

Okay, aber Glaube woran? An "diese Welt", an "bess're Zeiten", an "mehr Mitgefühl"? Das wird nicht verraten. Übrigens wundert man sich beinahe, dass auf "Stärke" nicht irgendwas mit "gute Werke" gereimt wird, denn offensichtlich geht es ja genau darum. Ein Schelm, wem da das Stichwort "Werkgerechtigkeit" einfällt; hatten wir nicht gerade erst Reformationsjubiläum?

Natürlich verweist man gerade als Katholik gegenüber der reformatorischen Kritik an der Werkgerechtigkeit gern und zu Recht auf den Jakobusbrief, demzufolge "der Glaube für sich allein tot" sei, "wenn er nicht Werke vorzuweisen hat". Und unter den Werken, die dem gläubigen Christen explizit aufgetragen sind, nehmen tätige Nächstenliebe und speziell der Einsatz für die Armen tatsächlich eine ganz zentrale Stellung ein. Dennoch entsteht ein schiefes Bild, wenn man das Christentum auf eine reine "Ethik der Nächstenliebe" reduziert bzw. diese aus ihrem Kontext herauslöst. In erster Linie ist das Christentum schließlich eine Erlösungslehre, und die Erlösung kommt von Jesus Christus, der Mensch geworden und zur Sühne unserer Sünden am Kreuz gestorben ist und der in Seiner Auferstehung den Tod besiegt hat. Wir befinden uns immer noch im Weihnachtsfestkreis, das heißt, wir feiern die heilbringende Menschwerdung Gottes – und in diesem Kontext lautet die primäre Botschaft der Heiligen Drei Könige (oder müsste sie lauten) "Wir sind gekommen, um Ihn anzubeten" (vgl. Matthäus 2,2).

Fällt diese Dimension der Sternsinger-Botschaft unter den Tisch, dann bleibt nur Selbsterlösung: Mit einer Spende für das Kindermissionswerk kauft man sich von der Schuld des "white privilege" frei, die darin besteht, dass man mit "Besteck in der Hand" und mit Schulpflicht aufgewachsen ist. Das ist ohne Zweifel total zeitgemäß und dürfte sich auch vorteilhaft auf die Spendenbereitschaft auswirken, besonders bei "nicht so religiösen" Leuten. Allerdings könnte man sich nun natürlich fragen, wie die Sternsinger überhaupt zu "nicht so religiösen" Leuten kommen, wenn man ihren Besuch doch, wie eingangs erwähnt, bei der örtlichen Pfarrei quasi bestellen muss. Das verweist auf ein tiefer liegendes Problem: Auch unter einigermaßen regelmäßigen Kirchgängern dürfte eine rein horizontale, rein diesseitige Sicht auf die Kirche als Wohltätigkeitsorganisation und/oder Anbieterin spiritueller Wellness nicht eben selten sein. Weil genau dieses Bild nicht bloß in der medialen Selbstrepräsentation kirchlicher Hilfswerke gepflegt wird, sondern auch in anderen Bereichen kirchlicher Kommunikation, vielfach bis hin zur sonntäglichen Predigt. Was vor Jahrzehnten vielleicht einmal damit begonnen hat, dass man die Basics der christlichen Glaubenslehre (schon damals irrtümlich) als allgemein bekannt und selbstverständlich akzeptiert voraussetzte und deshalb glaubte, man könne sich in der Verkündigung auf die praktische Nutzanwendung für den Alltag konzentrieren, hat schließlich dazu geführt, dass vielfach gar kein Vokabular mehr vorhanden ist, um über den Glauben zu sprechen. (Das gilt es übrigens im Auge zu behalten, wenn mehr oder minder prominente Kirchenvertreter wieder einmal äußern, die Kirche brauche eine "neue Sprache", um "die Menschen von heute" erreichen zu können. Das ist Bullshit. Die "Menschen von heute" unterscheiden sich nicht so grundsätzlich von den Menschen früherer Zeiten, dass sie die uralte Sprache des Glaubens nicht mehr verstehen könnten. Es sind die Kirchenfunktionäre, die es verlernt haben, diese Sprache zu sprechen.)

Am Ende muss man sich nicht wundern, wenn viele Leute ehrlich überzeugt sind, die Essenz des Christlichen ließe sich in der Aussage "Gott hat uns alle lieb, und deshalb sollen wir nett zueinander sein" zusammenfassen. – Wohlgemerkt: Das Christentum lehrt tatsächlich, dass Gott alle Menschen liebt und dass wir gut zueinander sein sollen; problematisch wird es erst, wenn man annimmt oder so tut, als sei dies die allein entscheidende Glaubensaussage und alles andere, was das Christentum sonst noch lehrt, sei (sofern man es überhaupt zur Kenntnis nimmt) bloß "storytelling", bloß eine narrative Einkleidung dieser vermeintlichen „Kernbotschaft“. Für eine solche um wesentliche Dimensionen verkürzte Version des Christentums haben – ich erwähne es immer wieder gern – die Soziologen Christian Smith und Melinda Lundquist Denton in einer Studie aus dem Jahr 2005 den Begriff "Moralistisch-Therapeutischer Deismus" geprägt; und dafür stellt der Text des Sternsinger-Raps ein illustratives Beispiel dar, nicht zuletzt insofern, als er exemplarisch deutlich macht, wie der moralistische und der therapeutische Aspekt des MTD eigentlich miteinander zusammenhängen: "Die Probleme der Welt machen sauer und traurig", aber "es macht mich stolz, etwas zu tun" – oder anders ausgedrückt: Gutes zu tun ist gut dafür, sich selbst gut zu fühlen, das ist das eigentliche, das ultimative Ziel.

Indessen hat die Comédienne Sophie Passmann auf Twitter mit der Bemerkung Aufsehen erregt, Sternsingen sei "ja auch nix anderes als Betteln mit Blackface". Der teilweise energische Widerspruch, den sie dafür erntete, war in seiner Tendenz bezeichnend: Man könne ja der katholischen Kirche ja vieles vorwerfen, aber gerade das Sternsingen sei eine gute Sache (Subtext: eben weil es nichts mit dem Glauben zu tun hat, sondern nur darum geht, Spenden für bedürftige Kinder zu sammeln). Diese teilweise etwas humorlose Kritik veranlasste Sophie Passmann nun, ihre Äußerung ebenso humorlos zu verteidigen und darauf herumzureiten, "Blackfacing" sei nun mal rassistisch und daher auch durch einen wohltätigen Zweck nicht zu rechtfertigen. Also, Freunde, jetzt wird’s aber allmählich echt albern. Die Darstellungskonvention, derzufolge einer der Heiligen Drei Könige schwarz ist, rührt daher, dass sie traditionell als Repräsentanten der drei Weltteile der Alten Welt (und somit der ganzen Menschheit) aufgefasst wurden, und ist daher gerade antirassistisch. Dies nicht vom "Blackfacing" der tatsächlich ausgeprägt rassistischen "Minstrel Shows" unterscheiden zu können, ist schlichtweg kultureller Analphabetismus.


Aber okay: Ich persönlich find's ja eigentlich gut, wenn katholisches Brauchtum als "edgy" und polarisierend wahrgenommen wird. Auch wenn die Realität meist viel langweiliger ist.  




3 Kommentare:

  1. Volle Zustimmung. Mich hat an dem Video neben dem furchtbaren Text besonders diese schmerzlich lächelnde Blondine gestört, ich finde sie oberpeinlich.
    Aber eine Sache finde ich wirklich großartig, und zwar genau an dem Video: Eines von den drei Kindern, die zum Sternsinger-werden aufrufen, ist ein pummeliges Mädchen. Ein selbstbewußtes, fröhliches, aktives und hoffentlich gläubiges Moppelchen. Und das finde ich klasse. Denn weibliche Moppelchen haben normalerweise ab Grundschule nicht viel zu lachen.

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  2. Listen auslegen geht inzwischen Datenschutzgründen ja mal überhaupt nicht mehr.
    In manchen Städten wurde auf die neuen Datenschutzregeln reagiert und es wurden "Wahlurnen" aufgestellt, in die die Leute ihren Namen und Adresse mitteilen können, da sie von den Sternsingern besucht und sternbesungen werden.

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    1. So war das bei uns in der Großgemeinde Maria unter dem Kreuz (Berlin-Friedenau und Wilmersdorf). Fand ich gut.

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