Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Mittwoch, 25. Juni 2025

Die Eucharistie ist kein Fast Food

"Große Teile unseres Fernsehprogramms sind heutzutage Kochsendungen und Kochkurse. Erstaunlich, was man alles kochen und braten kann." Mit diesen Worten beginnt die diesjährige Fronleichnams-Predigt des Berliner Erzbischofs Koch, die über den Presseverteiler des Erzbistums vorab veröffentlicht wurde; und ich finde, dass dieser Einstieg in Verbindung mit dem Namen des Erzbischofs geradezu eine Steilvorlage für Kalauer ist. Wollte ich ihm etwas Böses, hätte ich für diesen Artikel vielleicht eine Überschrift wie "Erzbischof Koch verdirbt den Brei" gewählt. Der Punkt ist aber, das will ich gar nicht. Man kann an der Amtsführung des seit zehn Jahren amtierenden Berliner Oberhirten sicher Manches kritikwürdig finden, von seinem Abstimmungsverhalten beim Synodalen Weg bis hin zum Immobilienentwicklungskonzept des Erzbistums oder, je nach Gusto, auch zur Neugestaltung der St.-Hedwigs-Kathedrale; aber auch wenn ich nicht immer mit allem einverstanden bin, was er sagt und tut, nehme ich ihn – gerade auch auf der Basis persönlicher Begegnungen – grundsätzlich als jemanden wahr, der gute Absichten hat

Ich würde sagen, das schlägt sich auch in seiner Fronleichnamspredigt nieder. An den eingangs zitierten "induktiven Einstieg" über Kochsendungen im Fernsehen schließt sich die Bemerkung an: 

"Wie gegensätzlich dazu vollzieht sich jedoch die alltägliche Nahrungsaufnahme vieler Menschen: Fastfood wird in kürzester Zeit zubereitet und verschlungen, dabei wird noch telefoniert, gelesen oder Notizen aufgezeichnet: Ja keine Zeit verlieren für die zwar funktional notwendige, aber sonst scheinbar nur zeitvernichtende Nahrungsaufnahme." 

Sagen wir mal so: Ich finde, dass er da ein wichtiges Thema anspricht, ein Thema, mit dem ich auch persönlich einiges anfangen kann, und ich fände es gut, wenn er das in einem Format wie dem "Wort zum Sonntag" (auch wenn ich das bekanntlich nicht mag) oder in einer Kolumne in der "B.Z. am Sonntag" täte, in einem Format also, das darauf ausgerichtet ist, ein eher kirchenfernes und religiös wenig interessiertes Publikum "abzuholen", indem man ihm vermittelt: Wir als Kirche beschäftigen uns mit denselben Fragen, die auch euch in eurem Alltag betreffen, und haben euch in diesen Alltag hinein etwas zu sagen. Als Einstieg in eine Predigt zum Hochfest des Leibes und Blutes Christi finde ich das hingegen eher irritierend. Warum? – Ich bin mir nicht sicher, ob ich das gut erklären kann, aber ich will's mal versuchen: Wenn die Kirche ihre tiefsten Mysterien feiert, dann ist das naturgemäß nicht niederschwellig, und ich finde, dazu sollte man stehen und gar nicht erst versuchen, diesen Umstand zu verschleiern. Hinzu kommt, dass ich als gläubiger Katholik ernst genommen werden möchte, und das heißt für mich auch – auf die Gefahr hin, dass das sehr arrogant klingt –, dass ich auch mal aus dem geistlichen Nichtschwimmerbecken rausgelassen werden möchte. Wie soll denn sonst geistliches Wachstum möglich sein? 

Aber schauen wir uns erst mal an, was Erzbischof Koch im weiteren Verlauf seiner Predigt aus diesem Ansatz macht
"Die Feier der Eucharistie als Mitte und Kernstück unseres Lebens als Christen scheint sich manchmal dem Fastfood-Vorgang angeglichen zu haben. Eine würdevolle Feier jeden Sonntag? Dabei haben wir doch anderes vor. Endlich mal frei und ohne Verpflichtungen. Und bitte nicht zu lang. Es muss ja auch nicht unbedingt eine heilige Messe sein, es genügt doch auch ein Wortgottesdienst. 45 Minuten sonntags im Fernsehen sind da für manche schon die Obergrenze der Zumutung." 

Allein über diesen Absatz könnte ich einen ganzen Essay schreiben, oder vielleicht, wenn ich Zeit hätte, sogar ein Buch. Hier wird das Dilemma der Niederschwelligkeit, oder, drücken wir's ein bisschen griechisch-tragischer aus, die Aporie der Anspruchslosigkeit beschrieben, ohne verstanden worden zu sein, ohne dass auch nur die offensichtlichsten Lehren daraus gezogen würden. Man hat die Leut' Jahrzehnte lang daran gewöhnt, dass von ihnen nichts (oder nur sehr wenig) erwartet oder gar verlangt wird, und dann wundert man sich, beklagt sich gar, dass sie auch nichts (oder nur sehr wenig) zu geben bereit sind. Ich meine das nicht hämisch, auftrumpfend oder besserwisserisch, im Gegenteil, es ist durchaus schade um die gute Absicht. Man wollte es den Leuten doch nur ein bisschen bequemer machen, ihren Glauben zu praktizieren, und was hat man erreicht? Die Leute haben festgestellt, dass es noch bequemer ist, den Glauben gar nicht mehr zu praktizieren. 

Ich will und kann den Essay oder das Buch, den oder das ich zu diesem Thema schreiben könnte oder müsste, hier und jetzt nicht vorwegnehmen, aber um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich doch zumindest noch betonen, dass ich die Antwort auf dieses Problem nicht in mehr Strenge, in forciertem Pochen auf Regeln und deren Einhaltung sehe. Das Ziel muss vielmehr sein, die Leute dazu zu bewegen, Gebet, Gottesdienst und den Empfang der Sakramente nicht nur oder in erster Linie als Pflicht zu betrachten, sondern als etwas, das sie aus Liebe tun. Ihnen die Erfahrung zu vermitteln, dass die Zeit, die sie im Gebet oder beim Gottesdienst verbringen, keine verlorene Zeit ist, die von ihrer übrigen Lebenszeit sozusagen "abgeht", sondern vielmehr eine Bereicherung, eine Erhöhung der Lebensqualität. Wohlgemerkt, es reicht nicht, daß nur zu behaupten; es muss eine erlebbare Realität sein. Das ist das unschätzbar Wertvolle an Formaten wie Nightfever. Aber kommen wir mal zurück zum Thema, also zu Erzbischof Kochs Fronleichnams-Predigt. 

Justus van Gent, Die Kommunion der Apostel (1472-74). Pop-Art-mäßig nachbearbeitet. 

Dass der Berliner Oberhirte die Eucharistie in die "Tradition der Mähler des Volkes Israel", von Melchisedek bis zum Pessach-Fest im Gedenken an die "Befreiung aus ägyptischer Sklaverei", einordnet, dient durchaus nicht, wie man zunächst argwöhnen könnte, bloß dazu, zu signalisieren "Ich habe Theologie studiert"*; vielmehr knüpft er daran die Feststellung: "Seit Jesus seinen Auftrag gab, diese Feier zu seinem Gedächtnis zu halten, ist die Kirche und sind wir, Gottes Volk, Teil der Heilsgeschichte Gottes mit und für die Menschen". Und weiter: 

"Christus hat uns, die so Feiernden, in die Gemeinschaft mit ihm und miteinander berufen und er geht mit uns mit, Tag für Tag. Indem die Kirche und die Christen die Geschichte Gottes mit ihnen in Jesus Christus lebendig halten, werden sie selbst Teil dieser Geschichte. Miteinander sind sie eingebettet in die große Geschichte des Heils, des Kämpfens und des Ringens, des Erzählens und des Feierns durch die Jahrhunderte und Jahrtausende der Geschichte Gottes mit seiner Kirche und seiner Welt." 

Gar nicht so schlecht, oder? Und es geht noch weiter: 

"Wir sind ein Teil der langen Prozession der Kirche durch die Jahrhunderte und Jahrtausende ihrer Geschichte, bis sie einmal vollendet sein wird beim himmlischen Mahl in Gottes Ewigkeit. Die Eucharistiefeier ist ein wirkliches Mahl der realen Gegenwart Christi im Sakrament mit unserer realen Lebenswirklichkeit, mit jedem Menschen, der mit seiner Geschichte mit Christus geht. Und es ist dies unsere ganz reale, nicht etwa nur eine virtuelle Gegenwart und Gemeinschaft mit Christus und miteinander. In jeder Eucharistie empfängt uns Christus und wir empfangen Christus und wir empfangen unsere Schwestern und Brüder und in ihnen Christus wirklich und wahrhaft. Gemeinsam sind wir Kirche, sind wir Eucharistie." 

Angesichts der Formulierung "Wir sind Kirche" mag der eine oder andere Hörer oder Leser kurz zusammenzucken und sich fragen: Gab's da nicht mal eine innerkirchliche Oppositionsgruppe, die sich so nannte? Gehört hat man von denen schon länger nichts mehr, wahrscheinlich sind sie teils an Überalterung eingegangen und teils in trendigeren, knalligeren Gruppen wie Maria Zwonull, Christians for Future oder #OutInChurch aufgegangen. Aber so ganz von ungefähr kommt diese Assoziation wohl nicht, schließlich ist das "gemeinsam-auf-dem-Weg-Sein" seit Jahrzehnten eine Lieblings-Redensart liberaler Katholiken, die damit die Vision einer "demokratisierten", postdogmatisch-universalistischen Kirche verbinden, in der jeder für sich selbst entscheiden könne, woran er glaubt und woran nicht. Damit soll nicht gesagt sein, dass die Rede vom "gemeinsam-auf-dem-Weg-Sein" grundsätzlich verkehrt und von Übel wäre; Fun Fact: "Gemeinsamer Weg" heißt, wortwörtlich, "Synode". Und zwischen dem "Synodalen Weg" von DBK und "ZdK" einerseits und der Weltbischofssynode zum Thema Synodalität andererseits hat sich ja recht deutlich gezeigt, was für unterschiedliche Auffassungen es darüber gibt, was Synodalität in der katholischen Kirche bedeuten kann, bedeuten sollte und nicht bedeuten kann. Auf der einen Seite gibt es das alte Bild der Kirche als pilgerndes Gottesvolk, das das II. Vatikanische Konzil aufgegriffen, aber durchaus nicht erfunden hat; auf der anderen Seite knüpfen sich an die "Weg"-Metapher leicht Vorstellungen von etwas Ergebnisoffenem, nicht Festgelegtem: Der Weg ist das Ziel, jeder muss seinen eigenen Weg gehen, et cetera. In dieser Spannung steht auch diese Predigt, und manch einer mag finden, es sei gerade klug und geschickt, die Predigt so anzulegen, dass sie unterschiedlichen Deutungen zugänglich ist. Ich bin entschieden nicht dieser Meinung, ich glaube nicht, dass mehr "Ambiguitätstoleranz" das ist, was das Volk Gottes in diesen Tagen von seinen Hirten braucht. Ich würde mir von meinem Bischof eher mehr Klarheit, mehr Wegweisung, mehr Führungsstärke wünschen. Dass das Erzbischof Koch vom Naturell her nicht so sehr liegt, ist mir persönlich ja durchaus sympathisch, aber man muss (nicht nur, aber besonders) als Hirte eben auch mal was tun, was einem nicht liegt. Nur so wächst man über sich hinaus. 

Ein weiteres Manko dieser Fronleichnamspredigt betrifft ein Phänomen, das ich unlängst mal unter dem Stichwort "Aufbaukurs 'Repräsentativ Predigen'" angesprochen habe: die, wie es scheint, unter höheren geistlichen Würdenträgern hierzulande ziemlich verbreitete Vorstellung, bei Anlässen, bei denen man nicht nur ein überdurchschnittlich großes Live-Publikum vor sich hat, sondern auch Fernsehkameras und Ehrengäste aus Politik und Gesellschaft, müsse man so reden wie ein Politiker – allerdings weniger wie ein Bundeskanzler bei der Regierungserklärung als vielmehr wie ein Ortsbürgermeister bei einer Möbelhauseröffnung. Zu diesem repräsentativen Predigtstil scheint es auch zu gehören, Dinge in die Predigt hineinzupacken, die in einer normalen Sonntagsmesse eher in den Vermeldungen ihren Platz hätten. So zum Beispiel:

"Wir sind auf dem Weg zum Jahr 2030, in dem das Erzbistum Berlin sein 100. Bistumsjubiläum feiert. Schon in diesem Jahr gehen wir auf dieses Jubiläum hin die ersten Schritte. 1124/25 wurde das Bistum Lebus gegründet, dessen in Deutschland liegender Teil mit dem damaligen Bischofssitz Lebus ins Erzbistum Berlin übergegangen sind. Wie wir im letzten Jahr ein großes Fest im polnischen Teil des Bistums Lebus gefeiert haben, so werden wir am 28. September dieses Jahres in Fürstenwalde einen deutsch-polnischen ökumenischen Gottesdienst mit einem Begegnungsfest feiern. Ausstellungen und Fachtagungen begleiten dieses Jubiläum. Zur gleichen Zeit wird die katholische Kirche in Stralsund 250 Jahre alt und wird dies mit einer Festwoche vom 02. Bis 07. November besonders feiern. Zu diesen und vielen anderen Schritten auf dem Weg hin zum Bistumsjubiläum können Sie sich schon jetzt auf den Seiten des Erzbistums informieren". 

– Bei aller Kritik muss man aber doch betonen, dass diese Predigt einige richtige und für das Festgeheimnis von Fronleichnam relevante Aussagen enthielt; einige davon haben wir weiter oben schon zitiert, später wird dann nochmals auf den "induktiven Einstieg" zurückverwiesen mit der Klarstellung "Die Eucharistie ist damit kein Fastfood, sie ist Gottes gute Gabe auf dem Weg zum himmlischen Mahl der Ewigkeit", und: "Deshalb brauchen wir die Eucharistie nicht unter anderem, sondern als unsere Mitte und unser Zentrum". Das ist alles gut und richtig, aber ein bisschen schade ist es doch, dass diese Sätze ein bisschen untergehen, ja fast schon versteckt scheinen zwischen einer Vielzahl anderer, die zwar auch nicht gerade verkehrt, aber doch erheblich weniger auf den Punkt sind. 

In (not) entirely unrelated news werden in Berlin übrigens am kommenden Freitag vier Männer zu Diakonen geweiht; und zwar nicht zu Ständigen Diakonen – davon hat das Erzbistum dieses Jahr ebenfalls drei neue bekommen, die bereits im Mai geweiht wurden –, sondern es handelt sich um Priesteranwärter. Setzt man dies beispielsweise zu der Nachricht ins Verhältnis, dass im Bistum Osnabrück gerade die voraussichtlich letzte Priesterweihe für die nächsten sechs Jahre stattgefunden hat, da es für die kommenden Jahre keine Kandidaten gibt; dass im Erzbistum Hamburg von 2021-24 keine einzige Priesterweihe stattgefunden hat; dass in den fünf katholischen Bistümern Nordrhein-Westfalens in diesem Jahr insgesamt nur fünf Männer die Priesterweihe empfangen und in ganz Bayern nur sechs; dann kann man den Eindruck haben, dass im Erzbistum Berlin doch Manches besser läuft als in anderen deutschen Diözesen. Sieht man genauer hin, stellt man fest, dass die Hälfte der frisch geweihten Diakone vom Neokatechumenalen Weg kommt, der in Berlin-Biesdorf das Priesterseminar Redemptoris Mater betreibt; und so ähnlich sieht das Zahlenverhältnis bei den Weihekandidaten im Erzbistum Berlin schon seit vielen Jahren aus. Zugespitzt gesagt: Die absehbare Zukunft des Priestertums im Erzbistum Berlin ist jung, international und neokatechumenal. Das mag nicht jedem gefallen, und ich bin für Kritik an bestimmten Aspekten der für den Neokatechumenalen Weg spezifischen Spiritualität und Glaubenspraxis durchaus offen, aber was man an dieser Entwicklung allemal ablesen kann, ist, dass es gerade das niederschwellige, liberale, sich der säkularen Gesellschaft anbiedernde Mittelklasse-Christentum ist, das keine Zukunft hat. Und das gilt sicherlich nicht nur für Berlin. 



[* Nicht dass ich gerade Erzbischof Koch diese Intention unterstellen wollte. Aber es gibt durchaus Prediger, denen es sehr wichtig zu sein scheint, ihren Zuhörern zu demonstrieren, was sie alles wissen; und zwar unabhängig davon, ob dieses der "Message" der Predigt dienlich ist oder nicht.] 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen