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Mittwoch, 27. Februar 2019

St. Willehad: Einen neuen Abbruch wagen

Heute Abend ist in Nordenham Pfarreiratssitzung. Ich weiß das aus dem Protokoll der vorigen Sitzung, die am 7. Januar stattfand. Die Protokolle der Pfarreiratssitzungen werden nämlich auf der Website der Pfarrei St. Willehad veröffentlicht. Obwohl ich das eigentlich schon länger weiß, bin ich auf das Protokoll der Sitzung vom 7.1. allerdings erst mit erheblicher Verspätung, nämlich Anfang Februar, gestoßen. Andernfalls hätte ich wohl schon früher etwas darüber geschrieben. 

Bezüglich der Gemeindebefragung zur Vorbereitung des lokalen Pastoralplans, die, wie berichtet, bis zum 31. Januar lief, gibt es noch nicht besonders viel Neues, und das wird sich wohl auch mit der Sitzung von heute Abend nicht wesentlich ändern: Auf der Website heißt es nämlich, die Auswertung der "über 200 Fragebögen" - was in etwa der Größenordnung entspricht, die ich vorhergesagt hatte, aber ich will mich ja nicht selber loben - werde voraussichtlich "noch vor Ostern" abgeschlossen sein. Das ist ja noch ein bisschen hin. 

Sehr viel dringlicher erscheint ein anderes Thema, das im besagten Sitzungsprotokoll gleichwohl mit einer fast beiläufig wirkenden Nonchalance unter Tagesordnungspunkt 4 abgehandelt wird: Die Pfarrei St. Willehad will sich endgültig von zwei ihrer vier (oder fünf, wenn man die OASE in Tossens mitzählt) Kirchengebäude trennen. Ich zitiere aus dem Protokoll: 
"Der Pfarreirat beschließt einstimmig, die Kirche in Rodenkirchen in der Fastenzeit zu profanieren. Ebenso soll einen Termin für die Profanierung der Kirche in Einswarden bekannt gegeben werden." 
Hörst Du den Aufschrei, Leser? Ich auch nicht. 

Übrigens fällt mir in diesem Zusammenhang natürlich als erstes ein, dass die zu Anfang 2015 erfolgte ("vorläufige") Schließung der Einswarder Herz-Jesu-Kirche und der OASE in Tossens dem damaligen Pfarrer Torsten Jortzick als Überschreitung seiner Kompetenzen angekreidet wurde. "Kein Pfarrer darf eigenmächtig Kirchen schließen - das ist ein Rechtsakt des Bischofs", betonte Offizialatsrat Monsignore Bernd Winter bei einer Pfarrversammlung in St. Willehad im Februar 2016, über die ich ausführlich berichtet habe. Wenn eine Pfarrei der Meinung sei, ein Gotteshaus mittelfristig nicht mehr betreiben zu können, müsse dies der Bistumsleitung im Rahmen eines Pastoralplans (!) unterbreitet werden. Zudem erinnerte Monsignore Winter daran, dass einem Gemeindepfarrer bei seiner Investitur "die besondere Sorge für die Gotteshäuser der Gemeinde" aufgetragen werde. 

Vermutlich waren genau dies die Gründe dafür, dass die Kirchenschließungen unter Jortzick nur "vorläufig" erfolgten. Eine Profanierung kann tatsächlich weder vom Pfarrer noch von den Gremien  einer Pfarrei beschlossen werden, sondern nur vom Bischof. Das "Kirche+Leben Lexikon" verrät: 
"Angeordnet wird eine solche Entwidmung durch ein Dekret des Diözesanbischofs, das im Allgemeinen in einem letzten Gottesdienst verlesen und damit wirksam wird. [...] So muss im Abschiedsgottesdienst – dem (nach Möglichkeit) der Ortsbischof vorstehen sollte - das Allerheiligste aus der Kirche getragen und das Ewige Licht gelöscht werden. Die Reliquien sind aus dem Altar zu entnehmen und alle liturgischen Geräte und Einrichtungsgegenstände (von Altar über Ambo, Tabernakel, Beichtstuhl etc.) müssen aus dem Gebäude entfernt [...] werden. Sie können [...] an einem anderen Ort ihrer Bestimmung gemäß weiter verwendet werden.
Wünschenswert ist, dass mit dem Ende der kirchlichen Gebäudenutzung die Gläubigen in einer Prozession zu ihrer künftigen Pfarrkirche ziehen, um dort willkommen geheißen zu werden." 
Na, das möchte ich ja mal sehen. -- Die letzten Messen sind hier jedenfalls wohl noch nicht gesungen (pun intended); allerdings kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass der Bischof dem Ansinnen der Pfarrei, sich ihrer Standorte in Nordenham-Einswarden und Stadland-Rodenkirchen zu entledigen, einen Strich durch die Rechnung machen wird. Tatsächlich hatte ich schon bei der erwähnten Pfarrversammlung vor drei Jahren den Eindruck, die von Pfarrer Jortzick eigenmächtig geschaffenen Fakten seien den übergeordneten Dienststellen im Ergebnis gar nicht so unrecht gewesen. Dass die OASE inzwischen wiedereröffnet wurde, ist ein Thema für sich, auf das ich weiter unten noch zu sprechen kommen werde. 

Über die Herz-Jesu-Kirche im Nordenhamer "Problemstadtteil" Einswarden habe ich hier in den letzten Wochen ja schon ein paarmal etwas geschrieben, einerseits mit Blick auf die Geschichte dieser Kirchengemeinde, andererseits im Zusammenhang mit der Sozialstruktur des Stadtteils. Der Eindruck, dass der Rückzug der Kirchen aus Einswarden das Seinige zum Niedergang des Stadtteils beigetragen habe, wurde mir von Einheimischen bestätigt. Einen anonymen Kommentar, den ich in diesem Zusammenhang erhielt, gebe ich hier zur besseren Lesbarkeit mit korrigierter Rechtschreibung und Grammatik wieder (ich tippe auf einen Verfasser mit Migrationshintergrund):
"Die Kirche lässt LIEBER ALLES ZERFALLEN -- ODER VERKAUFT ES AN EINEN KONZERN, UM ES DANN VON DENEN KAPUTTMACHEN ZU LASSEN. Anstatt es einem gemeinnützigen Zweck zukommen zu lassen - nutzt man es derzeit als Lagerraum." 
Herz Jesu Einswarden, Foto: privat 
Zwar ist das Kirchengebäude, wie erwähnt, nun schon seit gut vier Jahren ungenutzt, aber bisher konnte man zumindest noch die (wenn auch schwache) Hoffnung haben, dies würde sich in Zukunft noch einmal ändern. Wird die Herz-Jesu-Kirche jedoch profaniert, bedeutet das einen definitiven Schlussstrich.

Über die Geschichte der Kirche St. Josef in Stadland-Rodenkirchen weiß ich buchstäblich nichts, allerdings hat sie vom Baustil her eine gewisse Ähnlichkeit mit Herz Jesu Einswarden, was wohl auf eine ähnliche Entstehungszeit schließen lässt. Anders als in Einswarden wurde hier bis vor kurzem noch Gottesdienst gefeiert, wenn auch lediglich Werktagsmessen -- theoretisch einmal pro Woche (mittwochs), praktisch eher seltener. Letztmals war dies, soweit ich es ermitteln konnte, am 26.12.2018, dem Fest des Hl. Märtyrers Stephanus, der Fall.

St. Josef Rodenkirchen, Foto von Gregor Helms, Quelle und Lizenz hier.
Und seitdem? Nun, das Protokoll der Pfarreiratssitzung weist hinsichtlich der Gottesdienstsituation im Stadlander Gemeindeteil einen Lapsus auf, auf den ich beinahe hereingefallen wäre: "In Rodenkirchen kann der Gottesdienst zukünftig immer am 2. und 4. Mittwoch im Friesenheim stattfinden", heißt es da. Was aber ist dieses "Friesenheim"? Google sagt, es handle sich um ein Restaurant. Immerhin das erste Haus am Platz, wie es scheint. Na toll, dachte ich: In früheren Zeiten haben sich arme katholische Familien in der Diaspora Spenden für den Bau einer Kirche vom Munde abgespart, damit sie die Heilige Messe nicht mehr in Tanzsälen oder Remisen feiern mussten; und heute macht man das eben umgekehrt. Die Pfarrnachrichten ("Willehad aktuell") vom 12. Januar 2018 belehrten mich dann aber doch eines (etwas) Besseren:
"Mit dem Jahrbeginn [sic] 2019 wird die Heilige Messe jeden 2. und 4. Mittwoch im Monat zur gewohnten Zeit um 15:00 Uhr im Seniorenheim Friesenhof gefeiert." 
Friesenhof, Friesenheim, kann man doch mal verwechseln, nicht wahr?
"Bei einem ersten Versuch im November haben wir mit 17 Christen die Messe im Friesenhof gefeiert, d.h. es kamen 10 Bewohner zusätzlich zur Messfeier. Die neue Gottesdienstordnung ist mit den Gottesdienstbesuchern von St. Josef, Rodenkirchen, abgesprochen. Auch der Kirchenausschuss und Pfarreirat haben diesen neuen Weg befürwortet." 
Ach so, na dann. Wenn ich das richtig verstehe, heißt das, bei einem signifikanten Teil der zu erwartenden Messbesucher (7 von 17 sind immerhin gut 41%) handelt es sich um Bewohner dieses Seniorenheims; möglicherweise können diese (oder einige von ihnen) das Heim nicht oder nur schwer verlassen; also verlegt man die Messe zu ihnen. Nett. Und was wird aus dem Kirchengebäude? Wie das Sitzungsprotokoll verrät, wurde im Pfarreirat "der Verkauf der Immobilie in Rodenkirchen einstimmig beschlossen; die weitere Abwicklung erfolgt über den Kirchenausschuss". 

Nun stellt sich beim Stichwort "Verkaufen" natürlich stets die Frage, wer eigentlich ein ehemaliges Kirchengebäude, das auch wie ein Kirchengebäude aussieht, kaufen wollen sollte. Na gut, vielleicht jemand, der eine abgefahrene Location für eine Gothic-Wave-Disco sucht, aber im beschaulichen Stadland wohl eher nicht. Eine andere naheliegende Variante könnte es sein, dass das Gebäude von einer Gruppe erworben wird, die es weiterhin als Gotteshaus nutzen möchte. So unrealistisch die Vorstellung sein mag: Lachen würde ich ja, wenn die Piusbrüder St. Josef kaufen würden. Oder ehrlich gesagt: Nicht unbedingt ausgerechnet die, sondern eher die Petrusbrüder oder eine andere von Rom anerkannte Gemeinschaft, die die außerordentliche Form des Römischen Ritus pflegt. Vielleicht aber auch, wie im Fall einer ehemals evangelischen Kirche in Berlin-Lichtenberg, in deren unmittelbarer Nachbarschaft ich mal gewohnt habe, die Kopten. Oder Aramäer, Assyrer, Chaldäer, was weiß ich. Jedenfalls Leute, die noch wissen, woran sie glauben, und das entsprechend ernst nehmen. Geschähe der Gemeinde von St. Willehad ganz recht. 

Ich schätze, es wird hinreichend deutlich, dass die ganze Angelegenheit mich einfach sauer macht. Nicht zuletzt ist es mir unverständlich, wie es sein kann, dass der Pfarreirat so etwas einstimmig beschließt. Gibt es keine Pfarreiratsmitglieder aus den betroffenen Gemeindeteilen, oder ist denen einfach alles egal? Haben sie schlichtweg aufgegeben, sich damit abgefunden, dass in der Pfarrei sowieso alles den Bach runter geht? -- Ich bin sicher, es gibt rationale Gründe für die Kirchenschließungen. Unverhältnismäßig hohe Betriebs- bzw. Instandhaltungskosten der Gebäude zum Beispiel. Weißt Du was, Leser? Es interessiert mich nicht. Wer meint, man bräuchte ja keine Kirche am Ort, weil man die Gottesdienste ja auch in einem nicht-sakralen Gebäude feiern könne, bei dem stimmen ganz grundsätzlich die Prioritäten nicht. Und wer sich der traurigen Symbolwirkung der Maßnahme, die Kirche als Reaktion auf die Altersstruktur der Messbesucher gleich ganz ins Seniorenheim zu verlegen, nicht bewusst ist, der glaubt offenbar nicht mehr daran, dass die Kirche noch eine Zukunft hat. 

Natürlich wirft das auch ein Licht auf die oben angesprochene Gemeindebefragung. Man könnte sich fragen: "Wozu das überhaupt, wenn man im Grunde doch sowieso nichts anderes will als möglichst geräuschlos den Niedergang zu verwalten?" Aber okay, man ist nun mal seitens des Bistums dazu verpflichtet, einen lokalen Pastoralplan vorzulegen. Erfrischend ehrlich wäre es ja mal, einen Pastoralplan auszuarbeiten, in dem im Prinzip nichts anderes drinsteht als "Wir fahren hier langsam und kontrolliert die Brennstäbe runter, in 20 bis 30 Jahren sind wir sowieso alle tot oder weggezogen". Möglicherweise könnte die Auswertung der Fragebögen diesen Ansatz sogar unterstützen: Dass sich nur ca. 5 bis 7% der Gemeindemitglieder an der Umfrage beteiligt haben, ist da ja schon mal ein Indiz. Aber ich bin sicher, dass die Auswertung und in der Folge dann auch der lokale Pastoralplan trotzdem von der üblichen Aufbruchs- und Zukunftorientierungs-Rhetorik geprägt sein wird. Weil man das nun mal so macht und die Frage "Wen wollen wir eigentlich verarschen?" zu den zahlreichen Fragen gehört, die niemand zu stellen wagt. 

Immerhin ist auf mittlere Sicht nicht damit zu rechnen, dass Münster oder Vechta beabsichtigen, die Pfarrei St. Willehad ganz abzuwickeln. In dem Fall hätte das Bischöflich Münstersche Offizialat wohl kaum erst kürzlich eine siebenstellige Summe in den Bau eines neuen Pfarrzentrums in Nordenham investiert. Damit nicht genug, hat - wie ebenfalls aus dem Protokoll der Pfarreiratssitzung vom 7.1. hervorgeht - der Kirchensteuerrat gerade erst Grünes Licht für eine umfangreiche Sanierung des "Rat-Schinke-Hauses", des Selbstversorger-Gästehauses im ehemaligen Burhaver Pfarrhaus, gegeben. Dies verrät, ebenso wie die oben bereits kurz angesprochene Wiedereröffnung der Tossenser OASE im Sommer 2016, eine bezeichnende Prioritätensetzung, denn diese beiden Standorte sind in erster Linie der Urlauberseelsorge gewidmet. Und die ist nun mal ein Prestigeprojekt, das sich auch sehr gut in moderne bzw. postmoderne Konzepte einer dienstleistungsorientierten Pastoral einfügt. Dass die klassische Gemeindeseelsorge dabei auf der Strecke bleibt, entspricht durchaus gesamtkirchlichen Trends.

Übrigens, da ich in meiner Kindheit und Jugend die Anfänge der Urlauberseelsorge in Butjadingen quasi aus nächster Nähe miterlebt habe, wäre das durchaus auch mal ein Thema für einen eigenständigen Blogartikel. Oder gegebenenfalls mehrere. Schauen wir mal...



4 Kommentare:

  1. Was den Verkauf der Herz-Jesu Kirche im Ortsteil Einswarden angeht, hat der Kommentar mit dem Hinweis an „einen Konzern“ nicht ganz unrecht. Seit Jahren ist es ein offenes Geheimnis, dass das örtliche Flugzeugwerk Premium Aerotec händeringend nach einer Erweiterungsfläche für seine Mitarbeiterparkplätze sucht. Erfahrungsgemäß wird dann aber die Stadt Nordenham als Käufer auftreten und das Gelände der Firma zu sehr günstigen Konditionen überlassen.

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  2. Übrigens: mMn darf sich, vielleicht, eine wesentlich katholische Großstadt den Luxus gönnen, am Werktag eine 15-Uhr-Messe zu haben (und München z. B. tut das *nicht*).

    Aber ein Dorf oder Kleinstadt in der Diaspora?

    *Ist doch klar*, daß da niemand kommt bzw. eben nur Senioren (was wahrscheinlich auch die anderen 10 sind, nur eben nicht im Heim). Die Kinder (einschließlich der Ministranten) haben keine Zeit, die haben, wenn sie nicht Schule, Musikschule oder Sportverein haben, gerade eben mit den Hausaufgaben oder mit dem Spielen angefangen. Die Hausfrauen-und-Mütter haben keine Zeit, zumindest nicht, wenn ihre Kinder in der Schule sind. Bei den Freiberuflern, auch wenn von ihnen welche fast ohne Kundenkontakt am Schreibtisch ihre Aufträge erledigen sollten, ist das akk'rat die Zeit, zu der sie sich am *allerwenigsten* vom Schreibtisch erheben werden, außer zum kurzen Kaffeetrinken. Und da habe ich mit Arbeitnehmern noch gar nicht angefangen.

    Gewohnte Zeit hinüber, gewohnte Zeit herüber: 15 Uhr ist unter solchen Umständen kein geeigneter Meßtermin am Werktag.

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  3. Oder anders gesagt: Wer um 15.00 Uhr am Werktag eine Messe ansetzt, soll sich nicht wundern, wenn keiner kommt.

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  4. Hallo, gibt es denn nun schon einen Termin für die Profanierung der Herz Jesu Kirche und wie ist der Ablauf einer solchen?
    Mir blutet das Herz..... Ich bin in Herz Jesu getauft worden, als Grundschüler der kleinen Kath. Schule wurde dort jeden morgen die Messe gelesen. Mit 7 Jahren wurde ich dort Messdiener und blieb es bis zu meinem 15 Lebensjahr. Nach 25 Jahren in Bayern kam ich zurück und wollte MEINE alte Kirche besuchen und konnte nicht glauben dass dieses wunderschöne Gotteshaus geschlossen wurde.

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