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Montag, 30. September 2019

Kaffee & Laudes - Das Wochen-Briefing (26. Woche im Jahreskreis)

Was bisher geschah: Von der Papierform her eine Woche ohne besonders herausragende Vorkommnisse, aber zu tun gab es natürlich trotzdem allerlei. Am Montag hatte die Liebste einen Foodsaving-Einsatz in einer Hummus-Fabrik, folglich gab es bei uns für den Rest der Woche jede Menge Hummus zu essen. Am Dienstag unternahm ich zusammen mit meiner Tochter eine dank der Transportkapazitäten unseres brandneuen Bollerwagens äußerst ertragreiche Büchertausch-Expedition: 41 aus den diversen Spenden fürs Büchereiprojekt aussortierte Bücher sowie 18 aus meinen privaten Beständen, die ich nicht länger behalten wollte, aber auch nicht geeignet für das Büchereiprojekt fand, bin ich losgeworden und habe im Austausch dafür 19 andere Bücher herangeschafft. Am Mittwoch stand für meine Liebste und ihre Elftklässler der Besuch einer von Schülern ihrer Schule gestalteten Ausstellung zum Thema "30 Jahre Mauerfall" auf dem Programm, und meine Liebste hatte sich überlegt, dorthin könnten das Kind und ich ruhig mitkommen. Ich hatte auch durchaus Lust darauf, aber tatsächlich gestaltete sich das Ganze dann eher stressig: Zum einen war der Raum von vornherein zu klein für die Ausstellung, und dann waren deutlich zu viele Schülergruppen auf einmal da. Im Nebenraum, in dem wir eine Weile warten mussten, stand ein Klavier, und ich phantasierte ein wenig darüber, wie cool es wäre, wenn ich Klavier spielen könnte, dann würde ich mich da dransetzen und... Moment mal, unterbrach ich mich in Gedanken und wandte mich an die Schüler meiner Liebsten: "Kann von euch jemand Klavier spielen?" Ein Schüler konnte tatsächlich, meldete sich allerdings nicht freiwillig, sondern wurde von seinen Mitschülern "gemeldet". Auch dann zierte er sich noch ein wenig, brachte aber schließlich doch ein Klavierstück zu Gehör. Sehr gut. Am Abend war in unserer Gemeinde "Bibelteilen", da gingen wir hin; eigentlich vom Stil her nicht so ganz mein Ding, aber ich finde trotzdem, man sollte das unterstützen. -- Am Samstag war nicht nur "Chorkarussell" in der evangelischen Dorfkirche Alt-Tegel, sondern auch Herbstfest im Gemeinschaftsgarten "Himmelbeet" am Leopoldplatz; wir steuerten zunächst das "Himmelbeet" an, hielten uns in Anbetracht des instabilen Wetters aber nicht lange dort auf. Die Dorfkirche Alt-Tegel zeichnete sich durch Kirchenbänke aus, die ohne Zweifel aus einer Zeit stammten, als das Thema Buße in der Kirche noch erheblich größer geschrieben wurde als jetzt (mit anderen Worten, sie waren unfassbar unbequem). Trotzdem war die Kirche gut besucht und das musikalische Programm hörenswert, aber unser liebes Kind hielt es nur begrenzte Zeit dort aus. -- Am Sonntag war, wie bereits angekündigt, in unserer Kirche Erntedank; die Gestaltung war weitgehend frei von liturgischen (bzw. a-liturgischen) Grausamkeiten, allerdings hatte ich gegen die Predigt Einwände -- und sagte mir: Damit der Pfarrer sich nicht nächstens wieder vor versammelter Gemeinde darüber mokieren muss, was ich in meinem Blog geschrieben habe, gehe ich doch lieber zum Predigtnachgespräch, das der Pfarrer einmal im Monat anbietet, und sage es ihm direkt. Wahrscheinlich werde ich aber trotzdem noch darüber bloggen müssen, denn ich habe nicht unbedingt das Gefühl, dass meine kritischen Anmerkungen "angekommen" sind -- auch bei den meisten anderen Diskussionsteilnehmern nicht. 


Was ansteht: Es gibt mal wieder allerlei zu tun, speziell in der Pfarrgemeinde! Am Dienstagabend tagt der Pfarrgemeinderat -- ich vermute, zum letzten Mal in der "alten" Besetzung; für die anstehende Wahl eines neuen Pfarrgemeinderates gibt es, soweit ich gehört habe, bislang nur zwei Kandidaten, und einer davon bin ich. Die Sitzung am Dienstag ist öffentlich, vielleicht sollte ich mich da zu Wahlkampfzwecken mal blicken lassen. -- Am Mittwoch ist "Dinner mit Gott", erstmals mit frisch überarbeitetem Konzept;  ich hoffe mal, dass da auch ein paar "neue Leute" dabei sein werden. Und übrigens muss ich für den Auftakt des Abends noch eine Rosenkranzandacht vorbereiten... Danach beginnen praktisch gesehen schon die Herbstferien; offiziell zwar noch nicht, aber am Donnerstag ist ein säkularer Feiertag und am Freitag Brückentag.  Am Samstag finden in unserer Pfarrkirche zwei Taufen statt, eine am Vormittag, eine am Nachmittag; vielleicht schaffen wir es, wenigstens bei der ersteren dabei zu sein, nachmittags müssen wir wohl zur Vorabendmesse nach St. Joseph, da wir am Sonntag auf Reisen sind. Wohin? Nach Herzogenrath bei Aachen, wo ich am Montagabend - aber das gehört ja eigentlich schon in die nächste Wochenvorschau - im Rahmen der Herzogenrather Montagsgespräche über die "Benedikt-Option" sprechen werde. Und diesmal gönne ich mir den Luxus, Frau und Kind dorthin mitzunehmen. Ob wir es vor unserer Abreise noch schaffen, bei "Suppe & Mucke" vorbeizuschauen, bezweifle ich eher... aber ausschließen will ich es vorerst noch nicht. 


aktuelle Lektüre: Mit der bisherigen Leseliste bin ich bereits am Dienstag fertig geworden und konnte mich daher während des größten Teils der zurückliegenden Woche neuen Büchern widmen; aber erst einmal gilt es Bilanz zu ziehen, und die sieht aus wie folgt: 

"Die Zeit des Feuers" von Heike Behrend ist zum Ende hin tatsächlich noch einmal deutlich interessanter geworden, als ich das Buch sowieso schon fand. Kurz vor Schluss des im Zeitraum von 1978-85 entstandenen Buches geht die Autorin nämlich darauf ein, dass die ausführlich geschilderten Riten des Übergangs zwischen verschiedenen Lebensabschnitten von den jüngeren Angehörigen des Volkes der Tugen kaum noch vollzogen werden: "In den Schulen erzählt man ihnen, daß Rituale der Verschwendung dienen und 'Unsinn sind'. Sie lernen, Rituale als Zeichen der 'Unterentwicklung' zu sehen und sich der eigenen Traditionen zu schämen" (S. 111). Für die Ältesten ist das ein massives Problem, denn auch ihr eigener ritueller Status ist von dem ihrer Kinder und Enkel abhängig; wenn diese die traditionellen Rituale nicht vollziehen, gerät die "rituelle Karriere" der Alten "ins Stocken". "Ohne Rituale, so sagen sie, sind sie nichts. Es ist, als wären sie bereits tot" (ebd.). -- Nicht minder interessant erscheint es mir, dass es für die Tugen das schlimmste denkbare Unglück ist, "[k]eine Kinder zu haben, die nach dem Tod den Namen tragen und weitergeben" (S. 108f.). In diesem Zusammenhang erwähnt die Autorin auch einen Schadenszauber, der darauf abzielt, das Opfer unfruchtbar zu machen; dies ist ein so mächtiger Zauber, dass er sich, wenn er im Übermaß angewandt wird, gegen den Zauberer selbst wenden kann -- ein Gedanke, der mich irgendwie an den "Erdsee"-Zyklus von Ursula K. LeGuin erinnert, aber das nur am Rande. Heike Behrend schreibt: "Die Vernichtung der Fruchtbarkeit ist ein so großes Vergehen, daß es sich von selbst rächt" (S. 108).  -- Alles in allem hat das Buch meine Erwartungen durchaus erfüllt, wenn nicht übertroffen; ich schwanke noch, ob ich ohm einen Büchereistempel geben und es somit dauerhaft in den Bestand aufnehmen soll, aber für die vorläufige Aufnahme hat es sich allemal qualifiziert. 

Mein Gesamtfazit zu John Dos Passos' "Manhattan Transfer" fällt erheblich positiver aus, als ich es anfänglich vermutet haben würde; ich schätze, hätte ich die Lektüre innerhalb der ersten 40 Seiten entnervt abgebrochen, wäre ich bis an mein Lebensende davon überzeugt gewesen, nichts Bedeutendes verpasst zu haben, aber da ich das nicht getan habe, finde ich nun doch, die Lektüre dieses Romans lohnt sich. Zum Ende hin zerfällt die Handlung zwar wieder zusehends in unzusammenhängende Einzelszenen, aber das ist vom Autor zweifellos so gewollt; man kann kaum bestreiten, dass Dos Passos auf die Komposition seines Romans große Sorgfalt verwendet hat. So wird zum Beispiel der Tod Stan Emerys gegen Ende des zweiten Teils bis in kleinste Details spiegelbildlich zum Tod Bud Korpennings am Ende des ersten Teils geschildert.

Zum Zeitpunkt von Stan Emerys Tod ist Ellen alias Elaine von ihm schwanger, und zunächst zeigt sie sich entschlossen, das Kind auszutragen und aufzuziehen; aber dann folgt eine Szene bei einem Abtreibungsarzt, die gerade durch ihre kühle Nüchternheit erschütternd und deprimierend wirkt (S. 222f.). Die Frau, die da zu einer ambulanten Abtreibung kommt und gleich anschließend mit dem Taxi zum Tee ins Ritz fährt, wird zwar nicht beim Namen genannt, und ich habe im Netz tatsächlich eine Interpretation gefunden, die davon ausgeht, dass es nicht Ellen sei, sondern dass diese Szene vielmehr lediglich einen Kontrast zu Ellens Entschluss bilden soll, Stans Kind auszutragen; aber dann müsste man sich fragen, was aus dem Kind wird: Das Baby, mit dem Ellen und Jimmy Herf, den sie inzwischen geheiratet hat, nach dem Krieg aus Europa zurückkehren, kann jedenfalls schon aus Altersgründen nicht Stans Kind sein. Das Thema Abtreibung kommt auf ausgesprochen drastische Weise noch einmal im Roman vor: Auf S. 311 erzählt eine Frau, sie habe einen "schrecklichen Geruch [...] in der Wohnung" gehabt, und schließlich habe man deshalb "die Rohrleitung inspizieren lassen"; wie sich herausstellte, waren die Rohre im Haus verstopft, weil eine Mieterin in ihrer Wohnung "unerlaubte Eingriffe vorgenommen" hat.

Von diesem Thema einmal abgesehen, lassen sich - wie ich es schon geahnt hatte - in der zweiten Hälfte von "Manhattan Transfer"  tatsächlich mehr und mehr motivische Übereinstimmungen mit der ersten Hälfte von Dorothy Days "The Long Loneliness" feststellen: Arbeitskämpfe, Repressionen gegen tatsächliche oder vermeintliche Kommunisten, die Prohibition... In einer Debatte über "Kapitalinteressen" fällt der schöne Satz "Ich halte aber den wohlhabenden Geschäftsmann keineswegs für das höchste Ideal menschlicher Bestrebungen" (S.219); dem hätte Dorothy Day zweifellos zugestimmt, und ich tue es auch. Einen anderen Satz, den einige Kapitel später Ellen alias Elaine alias Helena - neben Jimmy Herf, den man wohl als Identifikationsfigur des Autors betrachten darf, die zentrale Figur des ganzen Romans - äußert, finde ich gleichwohl nicht weniger hübsch:
"[A]ber ich habe das alles so gründlich satt... [...] diese ästhetische Tanzerei, die Literatur, den Radikalismus, die Psychoanalyse...[...] Ich glaube, aus mir wird mit der Zeit ein erwachsener Mensch" (S. 283).   
Im letzten Kapitel des Romans treffen zwei spielende Kinder einen bärtigen Mann, der ein apokalyptisches göttliches Strafgericht über New York heraufbeschwört und von dem nicht völlig klar zu sein scheint, ob er nur ein geisteskranker Penner ist oder doch ein Prophet wie Jona. "In einem einzigen Häuserblock von New York steckt mehr Gottlosigkeit als dazumal in einer Quadratmeile Ninive" (S. 313), erklärt er. Das ist eine starke Szene, aber ich würde sagen, sie reicht nicht aus, um den Roman als Ganzen für #benOp-relevant zu erklären. Einen vorläufigen Platz im Romanregal des Büchereiprojekts räume ich "Manhattan Transfer" aber trotzdem gern ein.

Von Dorothy Days "The Long Loneliness"  bin ich so begeistert, dass ich kaum weiß, wie ich es adäquat in Worte fassen soll. Indes muss ich meine ursprüngliche Einschätzung, der inhaltliche Schwerpunkt des Buches liege auf der Zeit vor der Gründung der Catholic Worker-Bewegung, etwas relativieren. Rein von der Textmenge her stimmt das einigermaßen; erst am Ende von S. 166, nach fast 60% des Gesamtumfangs des Buches, tritt erstmals der Catholic Worker-Mitbegründer Peter Maurin auf, "whose spirit and ideas will dominate the rest of this book as they will dominate the rest of my life". Diese Aussage ist, auf die verbleibenden 40% des Buches bezogen, nicht übertrieben.  Die folgende Schilderung der ersten 18 Jahre der Catholic Worker-Bewegung hat mich, kurz gesagt, umgehauen; ich werde darauf wohl noch an anderer Stelle ausführlicher zurückkommen müssen. Jedenfalls empfinde ich diese Schilderungen als überaus lehrreich, inspirierend und - wenngleich Schwierigkeiten Fehlschläge,  interne Streitigkeiten und Spaltungen weder verschwiegen noch beschönigt werden - motivierend für jedwede Unternehmung aus der Rubrik "christliche Graswurzelrevolution". Ein absolutes Must-Read also; und da habe ich nun ein Problem, denn mein persönliches Exemplar mag ich eigentlich nicht dem Büchereiprojekt spenden, sondern will es selber behalten. Sollte ich hingegen ein zweites Exemplar in die Finger bekommen, ja dann...!

Ein paar bemerkenswerte Querverbindungen zu anderen Büchern, die ich seit Beginn der "Kaffee & Laudes"-Reihe gelesen und besprochen habe, habe ich in "The Long Loneliness" übrigens auch entdeckt. So erwähnt Dorothy Day eine Diskussion, in der jemand - ein Jemand, der sich später als der exilierte russische Ex-Regierungschef Alexander Kerenskij entpuppt - den Einwand vorbrachte "that the gesture of going to the people was futile and that it had been tried in Russia and failed" (S. 216); ich habe den Eindruck, Kerenskij spielt hier auf die Strategie der Narodniki zur Indoktrinierung der Landbevölkerung an, die Debogory-Mokriewitsch in seinen Memoiren ausführlich schildert (und ebenfalls als Fehlschlag bewertet). Auf S. 257 vergleicht die Autorin die von dem Pittsburgher Diözesanpriester und Buchautor John J. Hugo abgehaltenen Exerzitien mit jenen, die in "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann" geschildert werden -- und betont, so seien diese nicht gewesen. 

Simon Becketts "Obsession" ist zum Ende hin immer stärker von einem Merkmal geprägt, das auch für spätere, erfolgreichere Werke des Autors charakteristisch ist, nämlich von extremer Brutalität.  Den in, wenn man das so sagen kann, philosophischer Hinsicht interessanten Aspekten des Romans, zu denen ich mich bereits vorige Woche geäußert habe, tut das aber nicht unbedingt Abbruch. Stellenweise ist er sogar auch stilistisch gar nicht so übel; gut gefallen hat mir etwa eine Passage, in der das Gefühl innerer Leere, das den Protagonisten nach dem Verlust seiner Frau und dem Verlust des Sorgerechts für seinen Stiefsohn befallen hat, wie folgt beschrieben wird:
"Es war, als würde er nur ein Zimmer eines riesigen Hauses bewohnen. Manchmal war er sich der restlichen Räume bewusst, die darauf warteten, dass er sie wieder bezog, er spürte aber keinerlei Bedürfnis, seine emotionale Einzimmerwohnung zu verlassen." (S. 286) 
Äußerst bemerkenswert erscheint mir eine Passage, in der der Protagonist Ben sich darüber ärgert, dass man ihn einen "kommerziellen Fotografen" nennt - "als wäre er dadurch eine Art fotografischer Prostituierter" -, dann aber zu dem Schluss kommt, dass das im Grunde stimmt:
"Keine seiner Arbeiten hatte eine dauerhafte Wirkung. Die Modefotografien waren gerade so lange von Bedeutung wie die Mode, die sie zeigten, und seine Werbeaufnahmen konnten höchstens einen gewissen Kitschwert für sich beanspruchen. Er war gut in dem, was er tat, aber was er tat, war nichts wert. Es war Wegwerfware." (S. 347) 
Ja Momentchen mal: Kann es sein, dass der Autor hier in Wirklichkeit über seine eigene Tätigkeit als Trivialschriftsteller reflektiert? Oder ist ihm das eher unabsichtlich durchgerutscht? Fakt ist jedenfalls, dass der Held des Romans ein ziemlich oberflächlicher Typ ist -- ganz im Gegensatz zu seinem Gegenspieler John Cole: Der sucht nämlich "das System". "Er glaubt dass alles ein System hat. Dass es einen Grund für alles gibt, was passiert, nur dass wir ihn nicht sehen können." Diese Suche nach dem "System" ist auch der Grund, weshalb Cole auf einem Schrottplatz arbeitet, obwohl er für diesen Job überqualifiziert ist, und in seinem privaten Garten Teile von Unfallwracks sammelt: "Er glaubt, dass man es leichter in zertrümmerten Sachen finden kann. Da ist es näher an der Oberfläche" (S. 321). In der einzigen Passage des Romans, die nicht aus Bens, sondern aus Coles Perspektive erzählt wird - kurz vor Schluss -, erklärt er seinem Sohn,
"dass du, ich, der Boden, der Schreibtisch hier, dass alles miteinander verbunden ist. Und wenn alles miteinander verbunden ist, dann ist alles, was mit einem Ding oder einem Menschen passiert, selbst wenn er auf der anderen Seite der Welt ist, ein Teil des Ganzen. Ein Teil von uns. Es hat eine Auswirkung auf uns, auch wenn wir es nicht wissen. [...] Das System steckt in jedem Teilchen [...], und wenn du es sehen könntest, könntest du verstehen, warum passiert, was passiert, und du könntest verhindern, dass alles kaputtgeht." (S. 405f.) 
Mit diesem in ein quasi-wissenschaftliches Vokabular gekleideten und sich somit nicht offen als religiös zu erkennen gebenden Pantheismus legt Cole immerhin einen bedeutend größeren spirituellen Ernst an den Tag als Ben -- der indes durchaus auch seine selbstgestrickte Pseudoreligion hat: Mal befällt ihn "eine abergläubische Unruhe [...], als könnten sich jetzt die Götter, die Vorsehung und das Pech" gegen ihn "verschwören" (S. 259), mal erklärt er sich den plötzlichen Tod seiner Frau als "eine Laune des unergründlichen Universums" (S. 341), was ihn nicht davon abhält, an anderer Stelle "an einen Gott [zu] appellier[en], an den er nicht glaubte" (S. 383). Über seine Konfrontation mit Cole reflektiert er: "Beide waren durch ihre Charaktere und die Ereignisse zwangsläufig ihrem Weg gefolgt" (S. 319); da frage ich mich nun allerdings: Glaubt der Autor das eigentlich wirklich? -- Alles in allem, würde ich mal sagen, ist das eine ganze Menge Gepäck für einen mittelprächtigen Trivialroman, und ich denke, ich würdige das, indem ich dem Buch vorläufig einen Platz im Romanregal des Büchereiprojekts einräume. Da stehen derzeit sicherlich sehr viel schlechtere, die man dafür 'rausschmeißen kann. 

Indes lässt sich mein Gesamturteil zu Mely Kiyaks "Ein Garten liegt verschwiegen" in vier Wörtern zusammenfassen: Was für ein Scheiß. Wirklich, ich bin richtig sauer. Wie kann man über ein so interessantes Thema ein so dummes, albernes, oberflächliches und geschwätziges Buch schreiben und sich dafür auch noch bezahlen lassen? Ironischerweise werde ich das Buch wahrscheinlich trotzdem - zumindest vorläufig - in den Büchereibestand aufnehmen, allein wegen der inhaltlich interessanten Informationen, die in dem ganzen dümmlichen Gequatsche verborgen sind wie Perlen im Schweinetrog. 

Nun aber zur neuen Leseliste: 
Ein Fundstück aus dem "Tree-Saving Book Pentagon" in Niederschönhausen. Verspricht interessant zu werden, denn einerseits konvertierte Greene wenige Jahre vor Beginn seiner Schriftstellerkarriere zum Katholizismus, andererseits war er ein Alkoholiker und Ehebrecher und pflegte ein durchaus zwiespältiges Verhältnis zur Kirche. Der Kritiker Rudolf Walter Leonhardt meinte sogar, Greene habe unter anderem deshalb nie den Literaturnobelpreis bekommen, weil er "den Katholiken zu ketzerisch", aber "den Atheisten zu katholisch" gewesen sei. "Die Reisen mit meiner Tante" ist eines seiner späten Werke und wurde 1972 mit Maggie Smith in der Hauptrolle verfilmt, Regie führte Altmeister George Cukor. Man darf gespannt sein.

Ein Exemplar von Saint-Exupérys zweitem Roman habe ich aus dem schon erwähnten "Tree-Saving Book Pentagon", ein weiteres hat sich in einem Karton mit Bücherspenden angefunden. Ich denke, der Autor verdient es, dass man sich mal ansieht, was er außer "Der kleine Prinz" noch so geschrieben hat. Übrigens ergibt sich da eine interessante und überraschende Querverbindung zu einem erst unlängst hier besprochenen Buch, nämlich, wer hätte es gedacht, zu Joachim Seyppels "Ein Yankee in der Mark". Da unterhält sich Seyppel nämlich in einer Bar in Potsdam mit einem, der sagt, "Exupéry möchte er gern lesen, das mit der Postfliegerei" (S. 199). Na dann schauen wir mal! 

Ein Roman über den Propheten Jesaja, laut Klappentext "[u]nter Berücksichtigung historischer und archäologischer Forschungen" verfasst. Es handelt sich um eines der Bücher aus dem Bücherkarton, den ich in den Sommerferien von meinem Bruder bekommen habe; genauer gesagt das fünfte Buch aus dieser Kollektion, das ich mir vorknöpfe. Die bisherige Bilanz ist ja sehr ausgeglichen (man könnte auch sagen "durchwachsen"): Eins der Bücher aus diesem Karton fand ich absolut großartig ("A Smile on the Face of God" von Adrian Plass); eines ist mir auf unglückselige Weise abhanden gekommen, ehe ich es zu Ende lesen konnte, aber bis dahin fand ich es trotz einiger Kritikpunkte überwiegend gut ("So stark wie das Leben" von Francine Rivers); eins war inhaltlich sehr interessant, dabei aber ärgerlich oberflächlich und zudem beleidigend schlecht geschrieben ("Ein Garten liegt verschwiegen" von Mely Kiyak); und eins würde ich in die Kategorie "häretischer Bullshit" einordnen und nervt außerdem wie Fußpilz ("Der Pater" von Eva Winde-Schwarz). In welche Richtung wird nun wohl Hermann Koch, seines Zeichens Katechet der Evangelischen Landeskirche  in Württemberg und Dozent für Religionspädagogik, die Gewichte verschieben? Ich bin intuitiv skeptisch, aber warten wir's mal ab. 

Ein Klassiker, den ich gleichwohl bisher noch nicht aus eigener Lektüre kenne. Und das, obwohl ich über die Marlitt promoviert habe, deren Werken zeitgenössische Kritiker eine recht nahe Verwandtschaft zu "Jane Eyre" nachsagten. Indes behauptete der Bruder der Marlitt, Alfred John, in seinem biographischen Nachruf, seine Schwester habe "bei all ihrer Belesenheit gerade dieses Buch gar nicht gelesen". Wie dem auch sei, literaturgeschichtlich gehört "Jane Eyre" wohl gewissermaßen in die Übergangsphase von der gothic novel zum realistischen "Frauenroman", und ich denke, die Lektüre verspricht recht interessant zu werden. Das mir vorliegende Exemplar des Buches habe ich aus einer Büchertelefonzelle, ich weiß aber nicht mehr, aus welcher. 

Auch ein Fundstück aus einer Büchertelefonzelle, nämlich jener am Letteplatz. Das Buch knüpft an an eine Episode der von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) verantworteten, auf Phoenix ausgestrahlten Fernsehtalkshow "Tacheles" aus dem Jahr 2002. Auch wenn die betreffende Sendung, und in der Folge auch das Buch, bereits die Titel-Unterzeile "An den Grenzen der Toleranz?" trägt, kann oder muss man wohl sagen, dass sich die Debatte über den Islam in Deutschland seither noch erheblich verschärft hat. Insofern denke ich mir, dass das Buch gerade aus dem zeitlichen Abstand von 17 Jahren recht aufschlussreich zu lesen sein dürfte. Jedenfalls hoffe ich das. 


Linktipps: 
Angesichts der zunehmend aufgeheizten (no pun intended -- oder doch?) Klimaschutzdebatte erfreut Bloggerkollegin Mary of Magdala mit einem klugen und besonnenen Beitrag, der gleich nach mehreren Seiten hin wichtige Abgrenzungen vornimmt. Da kriegen sowohl diejenigen "Konservativen" ihr Fett weg, die von Umwelt- oder Klimaschutz aus Prinzip bzw. Trotz nichts wissen wollen, weil das ja alles "grüne Ideologie" sei, als auch diejenigen kirchlichen Kreise, die sich einfach an den Zug der globalen Klimaschutzbewegung anzuhängen versuchen und es dabei nicht hinkriegen, fundamentale Unterschiede zwischen einem genuin christlichen Verständnis von Verantwortung für die Schöpfung und, eben, "grüner Ideologie" sinnvoll zu kommunizieren. An den im Zeichen von "Fridays for Future" etc. in der derzeitigen Klimaschutzdebatte vorherrschenden Tendenzen tadelt der Artikel insbesondere einen Aspekt, der auch mir - gerade aus #BenOp-Perspektive - gehörig gegen den Strich geht: nämlich die Tendenz, das Heil von "der Politik" zu erwarten, anstatt sich zunächst mal darauf zu konzentrieren, was man im täglichen Leben, im eigenen Konsumverhalten etc. selbst bewirken kann. 

Auch und gerade für solche Leser empfehlenswert, die sich mit diesem Thema lieber möglichst wenig auseinandersetzen möchten: Übersichtlich und präzise trägt der Chefredakteur der deutschsprachigen Sektion der Catholic News Agency Indizien dafür zusammen, dass der von der Deutschen Bischofskonferenz angestrebte "Synodale Weg" schon gescheitert ist, bevor er offiziell begonnen hat. Gleichwohl bestehen kaum Zweifel daran, dass die Mehrheit der deutschen Bischöfe, allen voran Kardinal Marx, trotzdem entschlossen ist, die Sache durchzuziehen. Der Erzbischof von Denver/Colorado, Samuel J. Aquila, warnt derweil bereits vor der Gefahr eines "deutschen Schismas".  


Heilige der Woche: 

Montag. 30. September: Hl. Hieronymus (347-420), Kirchenvater. Als radikaler Asket und nicht weniger radikaler Polemiker war er zu Lebzeiten innerkirchlich durchaus umstritten. Umfassend gebildeter, sehr produktiver Autor theologischer Werke, schuf die jahrhundertelang maßgebliche lateinische Bibelübersetzung (die Vulgata).

Dienstag, 1. Oktober: Hl. Thérèse von Lisieux (1873-1897), Ordensfrau, Mystikerin, Kirchenlehrerin. Trat infolge einer Ausnahmegenehmigung schon mit 15 Jahren in ein Kloster der Unbeschuhten Karmelitinnen ein; ihre Autobiographie, die sie auf Anordnung ihrer Priorin verfasste, ist nach der Bibel das meistgelesene religiöse Buch in französischer Sprache. Starb mit nur 24 Jahren an Tuberkulose; wurde 1923 selig-, 1925 heiliggesprochen und 1997 zur Kirchenlehrerin ernannt.

Mittwoch, 2. Oktober: Heilige Schutzengel. Im Jahr 2005 ergab eine Forsa-Umfrage, dass zwei Drittel der Deutschen an Schutzengel glauben -- mehr als an Gott. Daran, dass der Glaube an Engel in den Köpfen vieler Leute überhaupt keinen Zusammenhang mit dem christlichen Glauben mehr hat, ist allerdings die Kirche selbst wohl nicht ganz unschuldig -- konkreter gesagt solche Kirchenvertreter, die bemüht sind, eine von allem Übernatürlichen "gereinigte", im Wesentlichen sozialpolitisch ausgerichtete Zivilreligion zu verkünden. Und solche haben wir hierzulande ja reichlich. Gleichwohl haben die Schutzengel im liturgischen Kalender der katholischen Kirche einen offiziellen, gebotenen Gedenktag. Der Katechismus der katholischen Kirche betont, die Existenz von Engeln sei "eine Glaubenswahrheit" (Nr. 326); bezüglich des Glaubens an persönliche Schutzengel verweist der Katechismus auf den Kirchenvater Basilius den Großen, der schrieb: "Einem jeden der Gläubigen steht ein Engel als Beschützer und Hirte zur Seite, um ihn zum Leben zu führen" (336). Als biblische Grundlage hierfür kann man Psalm 91,11 heranziehen: "Denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen."

Freitag, 4. Oktober: Hl. Franz von Assisi (1181/82-1226), Diakon, Mystiker, Ordensgründer. Wohl einer der populärsten Heiligen der, ähem, "nachkonziliaren" Kirche. Die allzu verbreitete Vorstellung vom Heiligen Franz als softem, umwelt- und tierschutzbewegtem, blumenliebenden Proto-Hippie - an der man dem Zeffirelli-Film  "Bruder Sonne, Schwester Mond" ebenso die Schuld geben könnte wie "Laudato Si", der Wanderklampfen-Lagerfeuerlied-Version von Franz' Sonnenhymnus - sollte jedoch nicht davon abschrecken, sich die Biographie des Heiligen und seine erhaltenen Schriften mal etwas genauer anzusehen. Der Franz war nämlich ein echt krasser Typ


Aus dem Stundenbuch: 

Uneigennützig lernte ich, und neidlos gebe ich weiter; den Reichtum der Weisheit behalte ich nicht für mich. (Weisheit 7,13


1 Kommentar:

  1. Diasporakatholik3. Oktober 2019 um 14:08

    Danke für den Hinweis auf den Beitrag von Mary of Magdala zur gegenwärtigen Klimadebatte.

    Dass sich das Klima weltweit hin zu einer Erwärmung verändert hat, steht für mich außer Frage. Nur unverbesserliche Ignoranten können das noch leugnen.

    Abgesehen davon, inwieweit der Mensch zur Erderwärmung beigetragen hat und weiterhin beiträgt, ist es doch jedenfalls höchst vernünftig, selbst hier kritisch sein eigenes Umwelt- und Klima-Verhalten zu hinterfragen und möglichst umzusteuern.

    Denn dann haben wir wenigstens unser Menschenmöglich(st)es geleistet und können uns diesbezüglich vor unserem Gewissen, vor den Mitbewohnern der Erde und letztendlich auch vor Gott wenigstens einigermaßen verantworten.

    Wie schwierig und mühsam das konkret im Alltag aussieht und umzusetzen ist, weiß ich aus eigener jahrzehntelanger Erfahrung nur allzu gut, wie ich an folgendem Beispiel erläutern möchte:

    Ich bin seit 1970 fast 45 Jahre lang werktäglich rund 40km zur Ausbildungsstätte und zur Arbeit in der Großstadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln hin und wieder zurück gefahren.

    Verbessert hat sich da an der Verbindung nur äußerst langsam und zäh etwas im Laufe der Jahrzehnte.

    Von den regierenden Parteien in meinem Bundesland hat am ehesten und am meisten noch die SPD etwas für bessere Verbindungen getan: z.B. Anfang der 1990er Jahre eine Elektrifizierung der Bahnstrecke, wodurch sich die Fahrtzeit deutlich verkürzte.

    Leider schied der damalige verantwortliche Wirtschafts- und Verkehrsminister Uwe Thomas viel zu früh wg. Differenzen mit der Ministerpräsidentin aus dem Amt und ging als Staatssekretär ins Bundeswissenschaftsministerium.

    Nur wg. ihm habe ich ein einziges Mal in meinem Leben bei einer [Landtags-]Wahl die SPD gewählt.
    Danach kamen deutlich weniger fähige bzw. am ÖPNV interessierte Politiker in dieses Ressort.

    Von der CDU aber auch von den Grünen war und bin ich bzgl. Ausbau des ÖPNV in unserem Bundesland Schleswig-Holstein und speziell in meiner Region maßlos enttäuscht.

    Ich bin nur noch froh, dass ich seit nunmehr 4 Jahren nicht mehr pendeln muss, verfolge aber die Entwicklung auf dem Gebiet des ÖPNV weiterhin aufmerksam und kritisch und mische mich wie all die vergangenen Jahrzehnte auch selbst in die Debatten mit konstruktiven Vorschlägen ein.

    In unserer Region hat sich vor einigen Jahren sogar eine Bürgerinitiative gegründet, die auch ich aktiv unterstützt habe. Aber auch sie hat bislang kaum etwas Konkretes an Verbesserungen im ÖPNV bewirkt, sondern wird meiner Meinung nach immer wieder nur mit mehr oder weniger warmen Worten abgespeist bzw. regelrecht vorgeführt.

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