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Sonntag, 28. Februar 2016

Was bitte ist denn der Herr Zimmermann für einer?

Wie viele meiner Leser wohl wissen werden, habe ich seit meiner Studentenzeit einige Kontakte zur so genannten "linken Szene" in Berlin. Auch wenn es in den letzten Jahren etwas schwieriger für mich geworden ist, mich in diesen Kreisen zu bewegen, kann ich doch nach wie vor sagen, dass es da viele Menschen gibt, die - auch wenn ihre Vorstellungen von einer besseren und gerechteren Gesellschaft nicht unbedingt die meinen sind - ohne Zweifel gute und ehrenwerte Absichten haben und auch sehr wohl in der Lage sind, sich sachlich, differenziert und respektvoll mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen. Ich kenne in dieser Szene nicht wenige Leute, die ich persönlich sehr schätze und mag. 


Zur letzteren Kategorie wird man wohl die Personen rechnen müssen, die in der Nacht zum Montag letzter Woche das Lokal "Stadtklause" am Anhalter Bahnhof in Kreuzberg verwüstet haben. Ein Lokal, das in der Nähe meines Arbeitsplatzes liegt und in dem ich in den letzten ca. fünf Jahren zwar nicht oft, aber doch immer mal wieder zu Gast war. Die Nachricht, dass dort jemand die Scheiben eingeschlagen und Bitumen an die Wände des Gastraums gespritzt hatte, machte mich somit auch persönlich betroffen. - Auf der einschlägig bekannten Internetplattform linksunten.indymedia.org erschien ein Bekennerschreiben, das man wohl als authentisch einschätzen kann, da es offenbar "Täterwissen" enthält. Zur Begründung des Anschlags heißt es in dem Text:
"[W]er Strukturen für faschistische Organisationen stellt, muss mit Angriffen rechnen." 
Strukturen für faschistische Organisationen? - Nun, der Vorwurf bezieht sich offenkundig darauf, dass sich vor einigen Monaten mal der Bezirksverband der AfD in dem Lokal getroffen hat. Vielleicht auch mehr als einmal - diesbezüglich sind die Angaben des Gastwirts und des AfD-Sprechers in der Presse nicht ganz eindeutig -, aber jedenfalls nur gelegentlich und nicht regelmäßig. Getroffen haben sich in der gemütlichen, etwas altmodisch-rustikalen "Stadtklause" aber auch noch ganz andere Leute. Zum Beispiel ich mich mit sehr unterschiedlichen Personen, darunter Journalisten, katholischen Priestern und einmal sogar mit einer Grünen-Politikerin. Zugegeben, ich war dort auch ein-, zweimal bei Veranstaltungen des Berliner Landesverbands der "Christdemokraten für das Leben" (CDL), und ich kann nicht ausschließen, dass die CDL aus Sicht der Antifa ebenfalls als "faschistische Organisation" gilt. Aber stellen wir diesen Gedanken mal vorerst noch zurück.

Jedenfalls, da ich wie gesagt in der Nähe des Lokals arbeite, ging ich, nachdem ich am Mittwoch aus dem Tagesspiegel von dem Anschlag erfahren hatte, in meiner Mittagspause mal kurz dort vorbei. Fünf Personen waren damit beschäftigt, den Gastraum zu reinigen; darunter war ein Mitarbeiter, den ich ein bisschen kenne und der, wie ich glaube, aus Polen stammt. Jedenfalls aus Osteuropa. "Hast du mitgekriegt, was hier passiert ist?", fragte er mich. Ich bejahte. "Schöne Scheiße das." - "Und die Ausländer müssen es jetzt ausbaden", lachte er, und ich erwiderte: "Ja, schon irgendwie ironisch. - Ihr kriegt den Laden aber wieder hin, oder?" - "Na klar. Und dann stellen wir hier eine Spendenbüchse auf." Ich versprach, dann bei Gelegenheit mal auf ein Bier vorbeizukommen, und verabschiedete mich.

Wenig später entdeckte ich auf Twitter die folgende Wortmeldung zum Thema:


Klare Aussage: Ein Gastwirt, der in seinem Lokal "Rassist*innen" duldet, ist selbst schuld, wenn ihm die Scheiben eingeschlagen und die Wände beschmiert werden, ja, es geschieht ihm sogar recht. Man könnte dies sogar als unverhohlene Drohung gegen andere Gastwirte auffassen: Seht zu, dass es euch nicht genauso ergeht! -- Freilich könnte man im Sinne der Unschuldsvermutung erwägen, der Tweet sei womöglich zu einem gewissen Grad ironisch gemeint; auf Nachfrage bestätigte der Herr Zimmermann jedoch ausdrücklich, seine Aussage sei als "wohlwollende[] Kommentierung" des Anschlags zu verstehen.

Da stellt sich nun natürlich die Frage: Was bitte ist eigentlich der Herr Zimmermann für einer? In seinem Twitter-Profil nennt er als Interessenschwerpunkte "activism, press, feminism, antifascism. drugs". Das ist ja nun schon fast ein bisschen zu klischeehaft, um wahr zu sein. Einen Blog hat er auch, aber da ist schon seit über einem Jahr kein neuer Artikel mehr erschienen. Was man allerdings mit minimalem Rechercheaufwand feststellen kann, ist, dass Jan Zimmermann in der Piratenpartei aktiv ist - oder war. Ende 2014 wurde er sogar als Beisitzer in den Berliner Landesvorstand der Partei gewählt. Dort machte er sich allerdings nicht nur Freunde: So beklagte sich schon kurz nach seiner Wahl die parteiinterne Plattform "Sozial-Liberale Partizipation" darüber, Zimmermann habe den sozialliberalen Flügel der Piraten als "traditionell faschistische Vereinigung" (!) bezeichnet. Anhand der Protokolle des Landesvorstands kann man nachvollziehen, dass Jan Zimmermann irgendwann zwischen dem 12. April und dem 10. Mai 2015 von seinem Beisitzerposten zurückgetreten ist. Zu den Gründen erfährt man da aber nichts. Ist wohl auch nicht so wichtig: Piraten treten ja ständig wegen irgendwas von irgendwelchen Ämtern zurück oder aus der Partei aus.

Man mag nach alledem der Ansicht sein, Jan Zimmermann sei bloß irgendein Krawallvogel, dem man tunlichst keine größere Aufmerksamkeit zuteil werden lassen sollte. Aber er ist ja nicht allein mit seinen Ansichten. Vielmehr scheint es mir ein beunruhigendes Anzeichen für die allgemeine Radikalisierung der Gesellschaft zu sein, dass die Auffassung, zur Bekämpfung politischer Gegner sei auch Gewalt ein legitimes Mittel, sich einer wachsenden Zustimmung erfreut. Zumindest dann, wenn es "gegen Rechts" geht. Dann ist es so zu sagen Notwehr. -- In einem Leserkommentar auf der oben erwähnten indymedia-Seite wurde der Anschlag auf die "Stadtklause" als Erfolg bezeichnet, weil der AfD-Sprecher Roland Gläser im Tagesspiegel mit der Aussage zitiert wurde, es werde für seine Partei "immer schwieriger, für Treffen in der Öffentlichkeit Lokale zu finden". Der anonyme Kommentator folgerte: "Hier wurde ein effektiver Beitrag dazu geleistet, der AfD öffentliche Räume zu nehmen." Die Gefährdung der unternehmerischen Existenz einen Gastwirts ist dabei, so scheint es,  als Kollateralschaden in Kauf zu nehmen.

-- Ist das so? Besonders in Sozialen Netzwerken begegnen einem immer mal wieder Wortmeldungen, die in den steigenden Umfragewerten für die AfD eine Parallele zum Aufstieg der NSDAP in der Spätphase der Weimarer Republik sehen. Das spricht zwar - so viel es auch an Positionen von AfD-Vertretern und -Anhängern berechtigterweise zu kritisieren gibt - für ein sehr simpel gestricktes Geschichtsverständnis, aber das allein würde ich noch niemandem zum Vorwurf machen. Problematisch wird es jedoch, wenn die Annahme, die wachsende Popularität der AfD stelle eine akute Bedrohung für Demokratie und Rechtsstaat dar, jedoch zu der Auffassung führt, zur Bekämpfung dieser Partei müsse jedes Mittel recht sein. Dass man Demokratie und Rechtsstaat nicht verteidigen kann, indem man im Umgang mit dem Gegner demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien außer Acht lässt, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Tut es aber anscheinend nicht bzw. immer weniger.

Zu bedenken ist dabei auch, dass der derzeit bevorzugt gegen Repräsentanten und Anhänger der AfD gerichtete Vorwurf, sie seien die Nazis von heute (und deshalb mit allen Mitteln zu bekämpfen), sich beinahe beliebig auf andere Gruppen ausweiten lässt. Auch dafür ist Jan Zimmermann, der ja selbst innerhalb seiner eigenen Partei faschistische Strukturen witterte, ein gutes Beispiel. Ein ziemlich extremes, zugegeben. Aber mit einer ganz ähnlichen Rhetorik, wie sie sich im Bekennerschreiben zum "Stadtklause"-Anschlag findet ("...muss mit Angriffen rechnen"), wurden, beispielsweise, auch schon Fälle von Vandalismus gegen Lebensschützer gerechtfertigt. Klar, sind ja im weitesten Sinne auch alles Nazis. Da trifft es sich ja gewissermaßen ganz gut, dass mit der "Stadtklause", wie oben erwähnt, auch ein regelmäßiges Tagungslokal der "Christdemokraten für das Leben" getroffen wurde. -- Wenig überraschend übrigens, dass auch unser Freund Jan Zimmermann eine Meinung zum Thema Abtreibung hat. Sie lautet: "Der Mann* muss vor allem seine Fresse halten wenn es um den Körper einer Frau* geht. Seriously. Wtf." Fairerweise muss man dazusagen, dass die Position, auf die er mit diesem Tweet antwortet, gerade keine Lebensschutzposition ist. Im Gegenteil. Für die Zimmermannsche Argumentation spielt das aber im Grunde keine Rolle, denn er meint ja, der Verfasser des von ihm kritisierten Beitrags habe überhaupt kein Recht, sich zu diesem Thema zu äußern. Merke: Meinungsfreiheit ist nicht für alle da, jedenfalls nicht bei jedem Thema bzw. nur danmn, wenn man die richtige Meinung hat. Folgerichtig stößt es Jan Zimmermann auch übel auf, dass der Blog, auf dem der betreffende Beitrag erschienen ist, "'Meinungsfreiheit' so plakativ im Header trägt": So jemand könne "eigentlich nur scheiße sein". Schon klar: Wer Meinungsfreiheit für sich einfordert, setzt sich schon aus Prinzip dem Verdacht aus, eine falsche Meinung zu haben - also ein "Faschofreund" zu sein. Und da gilt dann: "Der Kartoffelmob muss von der Straße geprügelt werden. Immer wieder." Beziehungsweise: "Deutschland aufs Maul!"

Zusammenfassend gesagt ergibt sich aus den gesammelten Tweets des Jan Zimmermann der Eindruck, er sei überzeugt davon, dass der Faschismus den Deutschem gewissermaßen im Blut liege. Äh, Moment - im Blut? Das kann nicht sein, das wäre ja rassistisch. Also liegt er den Deutschen wohl in irgendwas Anderem. Ich hingegen halte - ohne das Problem fremdenfeindlicher Gewalt in Deutschland kleinreden zu wollen - die Gefahr, dass Deutschland schnurstracks auf eine aktualisierte Neuauflage der NS-Diktatur zusteuern könnte, für relativ gering; für durchaus real hingegen halte ich die Gefahr, dass die Beschwörung einer faschistischen Bedrohung dazu instrumentalisiert wird, einen sich selbst als "antifaschistisch" bezeichnenden Extremismus zu legitimieren und zu verharmlosen.

Aber das habe ich ja so ähnlich schon mal geschrieben.



3 Kommentare:

  1. Auch wenn Herr Zimmermann politisch eher ein kleines Licht ist - jeder, der ein politisches Amt hat, spricht mit öffentlichen Äußerungen automatisch als Politiker, ob er das will oder nicht. Das muß einer Partei klar sein, wenn sie jemandem ein Amt gibt, und das muß einem Politiker klar sein, auch dem kleinsten Lokalpolitikerchen.
    Was Zimmermann da von sich gibt, gehört mithin zur Sprache seiner Partei (zumal diese Partei sich davon nicht distanziert, was sie ja könnte).
    Damit müßte dem Letzten klar sein, daß die Piraten tendentiell gewaltaffin sind - falls er darauf angesichts der Namenswahl noch nicht von selbst gekommen sein sollte.

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  2. Ich hatte zu dem Thema schon einige Artikel auf meinem Blog veröffentlicht. Zum Beispiel einen offenen Brief an Oliver Höfinghoff, der ziemlich ähnlich tickt. https://piratmatzka.wordpress.com/2014/01/11/patriotismus-offener-brief-an-oliver-hofinghoff/

    Liebe Grüße

    Thomas Matzka

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  3. Soweit ich weiß ist Herr Zimmermann schon länger kein Pirat mehr. Zum Glück.

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