Über den Presseverteiler des Erzbistums Berlin wurde ich am vorletzten Samstagabend informiert, dass der Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin bei seiner jüngsten Vollversammlung eine Änderung der Wahlordnung für die Pfarrei- und Gemeinderäte im Erzbistum beschlossen hat. Da stellt sich natürlich zuallererst die Frage: Dürfen die das? Darf der Diözesanrat die Wahlordnung für die Pfarrei- und Gemeinderäte ändern? Aus kirchenrechtlicher Sicht lautet die Antwort: Eigentlich nicht. Eigentlich darf das nur der Bischof (bzw. in diesem Falle: Erzbischof), dem gegenüber der Diözesanrat lediglich eine beratende Funktion hat. Allerdings ist Erzbischof Koch grundsätzlich keiner, dem man es zutrauen würde, Beschlüssen des Diözesanrats seine Zustimmung zu verweigern, und so ist wohl auch im vorliegenden Fall nicht damit zu rechnen. Aber worum geht's dabei denn nun eigentlich? – In der Pressemitteilung des Diözesanrats steht der Beschluss unter dem Motto "Völkischer Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit haben keinen Platz in Pfarrei- und Gemeinderäten"; das klingt erst mal nach handelsüblichem virtue signalling und obendrein nach "Hat man schon mal gehört", aber es gilt zu bedenken, dass es sich diesmal nicht einfach nur um ein appellatives Statement handelt, sondern eben ganz konkret um eine Änderung der Wahlordnung: Künftig soll jeder, der im Erzbistum Berlin für einen Sitz in einem Pfarrei- oder Gemeinderat kandidieren will, schriftlich versichern müssen, dass er mit "völkischem Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Demokratiefeindlichkeit oder gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" nichts am Hut hat. Und da habe ich mich dann doch gefragt: Haben die sie noch alle?
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| Symbolbild: Augen zu und durch. |
Vermutlich muss ich diese spontane Reaktion jetzt erst mal erklären, zumindest einigen meiner Leser. Es ist ja nicht so, als hätte ich ernsthaft die Absicht, noch einmal in meinem Leben für ein solches Gremium zu kandidieren, und falls ich das doch wollte, könnte ich guten Gewissens behaupten, dass die vom Diözesanrat aufgestellten Ausschlusskriterien mich nicht betreffen. Ich würde eine solche politisch-ideologische Unbedenklichkeitserklärung aber trotzdem nicht unterschreiben wollen, und was noch schwerer wiegt, ich möchte auch niemanden wählen, der keine Bedenken hat, das zu tun.
Ehe ich dies näher begründe, sollten wir vielleicht erst einmal einen Blick auf die klassische Frage "Was soll das?" werfen; oder anders formuliert: Warum macht der Diözesanrat sowas, was verspricht er sich davon? Betrachtet man den Beschluss des Diözesanrats als einen Versuch der Institutionalisierung von virtue signalling, dann kommt man wohl schwerlich umhin, festzustellen, dass die Wirkung zwiespältig ist: Es entsteht der Eindruck, Menschen, die für Pfarrei- und Gemeinderäte kandidieren wollen, würden unter Generalverdacht gestellt, völkische Nationalisten, Rassisten, Antisemiten und überhaupt Menschenfeinde zu sein, und es bedürfe einer formellen Erklärung, um sie von diesem Verdacht zu reinigen. Oder befürchten die Damen und Herren im Diözesanrat etwa tatsächlich eine massive Unterwanderung kirchlicher Gremien durch rechtsextreme Finsterlinge, gegen die es wirksame Maßnahmen zu ergreifen gelte? Zuzutrauen wär's ihnen.
Die Diözesanratsvorsitzende Karlies [sic] Abmeier, die übrigens zur Pfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd gehört, wird in der Pressemitteilung mit der Aussage zitiert: "Alle, die in Gremien des Bistums mitwirken möchten und sich zur Wahl stellen, bekennen sich aktiv zu den Werten unserer Kirche." Nun, wer mich kennt, wird wissen, dass ich auf kaum etwas so allergisch reagiere wie auf dieses Gelaber von "Werten". Wer in der Kirche, als Funktions- und Verantwortungsträger in der Kirche, von christlichen Werten spricht, signalisiert damit, dass er mit dem christlichen Glauben nicht viel anzufangen weiß, ja dass ihm dieser womöglich nicht recht geheuer ist. Dabei hätte es im vorliegenden Fall ja gar keine große Mühe gekostet, aus dem Glauben statt aus irgendwelchen "Werten" heraus zu argumentieren und also beispielsweise zu erklären, ein im christlichen Glauben verwurzeltes Menschenbild schließe Rassismus und andere Formen "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" aus, weil allen Menschen, unabhängig von ihren sonstigen Eigenschaften, die unverlierbare Würde zukomme, "als Bild Gottes" (Genesis 1,27) erschaffen zu sein. Aber das reicht anscheinend nicht. Vielleicht, weil ein solches Argument den Glauben an Gott voraussetzt, und das will und kann der Diözesanrat nicht einmal in den eigenen Reihen tun; stattdessen von "Werten" zu reden, erscheint da unverfänglicher. Es kommt aber noch etwas anderes hinzu. Erst kürzlich hat mich eine Passage aus Evelyn Waughs großartigem Roman "Wiedersehen mit Brideshead" zu einem Beitrag für die Tagespost inspiriert, und diese Passage möchte ich nun auch hier zitieren. Da äußert nämlich der Erzähler des Romans die Einschätzung, Katholiken schienen ihm "ebensolche Menschen zu sein wie alle anderen", aber sein Freund und Kommilitone Sebastian, ein junger katholischer Aristokrat, widerspricht ihm:
"Mein lieber Charles, gerade das sind sie nicht – [...] sie haben einen ganz anderen Standpunkt gegenüber dem Leben; sie halten ganz andere Dinge für wichtig als die übrigen Menschen."
Hingegen sucht der Verbands- und Gremienkatholizismus unserer Tage seine sogenannte "gesellschaftliche Relevanz" aber gerade darin, mit Fleiß dieselben Dinge für wichtig zu halten wie die übrigen Menschen. Stünde der Berliner Diözesanrat auf einem genuin christlichen, ja idealerweise gar einem genuin katholischen "Standpunkt gegenüber dem Leben", würde ihm womöglich auffallen, dass nicht nur die Positionen eines politischen Lagers mit diesem Standpunkt schwerlich vereinbar sind, sondern dass sich solche Unvereinbarkeiten quer durch alle politischen Lager finden lassen. Man stelle sich mal vor, was los wäre, wenn der Diözesanrat all denen die Kandidatur für Pfarrei- und Gemeinderäte verbieten wollte, die Parteien angehören oder unterstützen, die beispielsweise für die Legalisierung von Abtreibung eintreten. Oder wenn – was ich persönlich ausgesprochen sinnvoll fände – statt eines Bekenntnisses zu den "Werten unserer Kirche" ganz direkt ein förmliches Bekenntnis zur Glaubenslehre ebendieser Kirche gefordert würde? Wenn alle, die für ein kirchliches Gremium kandidieren wollen, auf die Einhaltung der Kirchengebote, einschließlich des sonntäglichen Messbesuchs, verpflichtet würden? Träumen kann man ja mal.
Stattdessen sucht der Verbands- und Gremienkatholizismus den Schulterschluss mit "Politik und Zivilgesellschaft"; genauer gesagt mit dem Teil von Politik und Zivilgesellschaft, der es, nicht zuletzt aus Eigeninteresse, als oberste Bürgerpflicht propagiert, "gegen Rechts" zu sein. Sieht man sich die Presseberichterstattung über den Beschluss des Diözesanrats an, dann scheint es, dass dieser Beschluss, auch wenn darin keine Partei namentlich erwähnt wird, vorrangig als gegen die AfD gerichtet wahrgenommen wird – gegen eine Partei also, die durch sämtliche Versuche, sie politisch zu isolieren und von der Teilhabe am politischen Tagesgeschäft auszuschließen, immer nur stärker geworden ist, eine Partei, die nach aktuellen Umfragen bundesweit rund ein Viertel aller Wählerstimmen auf sich vereinigen könnte und die aller Voraussicht nach im kommenden Jahr mehrere Landtagswahlen gewinnen wird. Ob die Kirche gut daran tut, all den Menschen, die ihre politischen Interessen durch diese Partei vertreten sehen, so demonstrativ zu signalisieren "Wir wollen euch nicht, wir geben euch keine Stimme in unserem Rat", darf wohl bezweifelt werden. Und das meine ich nicht nur und nicht in erster Linie in einem taktischen Sinne, also mit Blick auf die "gesellschaftliche Relevanz", auf die die Funktionärselite der Kirche doch so großen Wert zu legen scheint; wiewohl auch da die Frage berechtigt erscheint, ob die institutionelle Kirche es sich wirklich leisten kann, sich an den Rockzipfel einer politischen Klasse zu hängen, die mehr und mehr das Vertrauen der Bevölkerung verliert. Viel bedeutender erscheint mir indes der Aspekt der seelsorgerischen Verantwortung. Ich fühle mich da stark an den Fall eines Pfarrers aus dem Emsland erinnert, der anno 2015 in den Medien dafür abgefeiert wurde, dass er "Rassisten zum Kirchenaustritt aufrief". Dazu merkte ich seinerzeit an:
"Es trifft zu, dass Rassismus und fremdenfeindliches Verhalten dem christlichen Glauben widersprechen. Mit einem heutzutage nicht mehr besonders populären Begriff könnte man hier von Sünde sprechen. Und welchen Umgang mit den Sündern empfiehlt der Lingener Pfarrer seiner Gemeinde? Ruft er dazu auf, für ihre Bekehrung zu beten, Gott zu bitten, dass er ihre verhärteten Herzen erweichen möge? Ermahnt er diejenigen Sünder, die an diesem Sonntag vielleicht in der Kirche anwesend sind, zu Umkehr und Buße? Nein, er weist ihnen einfach die Tür. Und bekommt dafür auch noch hundertfachen Applaus. [...] [W]as ist eigentlich aus dem christlichen Grundsatz geworden, die Sünde zu hassen, nicht aber den Sünder?"
Und weiter:
"Unabhängig vom konkreten Anlass ist es fatal, wenn 'Kirche' (ohne bestimmten Artikel) sich einbildet, eine Gemeinschaft der Reinen zu sein. Das ist sie nicht. Die Kirche ist eine Gemeinschaft von Sündern. Wäre dem nicht so, dann hätte Jesus Christus nicht für unsere Sünden sterben müssen."
Nun könnte man hier natürlich einwenden, anders als weiland Pfarrer Brandebusemeyer [sic] wolle der Berliner Diözesanrat die bösen Rechten ja weder aus der Körperschaft der Kirchensteuerzahler noch vom Empfang der Sakramente ausschließen, sondern ihnen "nur" die Kandidatur für kirchliche Gremien verweigern. Aber damit verweigert man eben all jenen Kirchenmitgliedern, die diese Leute – sofern sie kandidieren könnten bzw. dürften – womöglich wählen würden, die Repräsentation in diesen Gremien. Ist das nicht irgendwie... äh... demokratiefeindlich? Und ist nicht Demokratiefeindlichkeit just einer jener Satane, denen man feierlich widersagen muss, wenn man künftig für ein kirchliches Gremium im Erzbistum Berlin kandidieren will? Müssten die Damen und Herren im Diözesanrat sich demnach nicht eigentlich selbst rausschmeißen?
Derweil heißt es in derselben Pressemitteilung, mit der der Diözesanrat sich selbst für seine stramme Haltung "gegen Rechts" applaudiert, mit Blick auf den "gemeinsamen Wahltermin aller Gremien im November 2026", man wolle sich darum bemühen, "Menschen für eine Kandidatur zu gewinnen und die Wahlbeteiligung zu steigern". Genau mein Humor...

>>Ich würde eine solche politisch-ideologische Unbedenklichkeitserklärung aber trotzdem nicht unterschreiben wollen, und was noch schwerer wiegt, ich möchte auch niemanden wählen, der keine Bedenken hat, das zu tun.
AntwortenLöschenUnd jemand, Bedenken zwar hat, aber trotzdem unterzeichnet?
Der Rest stimmt zwar alles, aber letztlich könnte ja auch ein AfD-Mitglied ohne *inhaltliche* Bedenken das ganze unterschreiben und fertig. Für einen völkischen Nationalisten wird sich der nicht halten, und alles andere ist er tatsächlich nicht (der Identitarismus zum Beispiel, dem die AfD wohl tatsächlich im wesentlichen anhängt, ist zwar sehr falsch, begründet sich aber nicht mit *Haß* gegen die Angehörigen anderer Völker und würde damit nicht unter den speziellen Begriff der "Menschenfeindlichkeit" fallen).
Ansonsten hinkt die up-to-date-seiende Kirche halt mal wieder zehn bis zwanzig Jahre hintennach, das kennt man ja schon. In milieumäßig linken Lokalen werden solche Loyalitätsbekundungen, wenn sie gelegentlich von z. B. einer Band, die dort spielt, noch abgegeben werden, mittlerweile vom Publikum (wie ich mir einbilde, nicht nur von mir) mit einem genervten "die Leier schon wieder) und dann ein paar Pflichtklatschern quittiert.
Und wie seinerzeit Schilder und Homepages mit "Tragen einer Maske weiterhin empfohlen" von allen Seiten verstanden wurden und wohl auch gemeint waren, war ja allen klar. (Nur geschätzte vier Wochen nach dem Ende der Maskenpflicht fühlte sich eine Bedienung in einem Lokal, bei dem genau das auf der Homepage stand, genötigt, ihre Maske vor mir mit einer konkreten Erkältung zu rechtfertigen. Dabei hatte ich gar nichts gesagt und mich auch kritisierende Blicke erfolgreich zu vermeiden bemüht.)
Und ich habe auch schon Schulungen gegen sexuelle Übergriffigkeit über mich ergehen lassen, um für eine kirchliche Veranstaltung für Jugendliche und Junge erwachsene am Auf- und Abbau teilnehmen zu dürfen, und außerhalb der Kirche besuche ich (wie vielleicht herausgeklungen ist) auch Lokale, wo irgendwo in der Hausordnung steht, daß sagen-wir homophobe Menschen keinen Platz haben (das mußte ich zugegeben allerdings bisher nicht unterschreiben). So ist die Welt nun mal.
Da finde ich dann, auch zugegebenermaßen aus bewußter Vorliebe für Hoffnung und Es-positiv-sehen und auch Zuneigung gegenüber Leuten, die so etwas wollen, dann schon eher bezeichnend, daß solche Unbedenklichkeitserklärung regelmäßig *kein* Bekenntnis zu einem Recht auf Abtreibung enthalten...
Es bleibt, daß der Diözesanrat gegenüber dem staatlich-zivilgesellschaftlichen Establishment Lipservice payen will; aber mal ehrlich, das wußten wir schon, daß der so drauf ist, und hätten es nicht anders erwartet, wir leben nun mal in der Amtskirche, in der wir eben leben. Daß er es durch das Fordern einer formellen Absage an Dinge tut, die immerhin an sich tatsächlich verkehrt sind: nun, das ist genaugenommen ein ganz markantes "hätte schlimmer kommen können". (Ein solches "schlimmer" wäre zum Beispiel - bei aller Kritik an der Partei - wenn er das zweifellos *stimmungsmäßig intendierte* "wir wollen keine AfD-Mitglieder" *tatsächlich gesagt* hätte; was es ja meines Wissens auch schon gegeben hat.)