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Freitag, 21. Februar 2025

Ein paar politische Schlaglichter kurz vor der Wahl

Symbolbild, aufgenommen Anfang Februar in Nordenham. 

Vielleicht, o Leser, kennst du die Theorie der "six degrees of separation", die besagt, dass über maximal sechs Zwischenstufen alle Menschen auf der Welt einander kennen. Trotzdem kann ich sagen, es ist schon ein komisches Gefühl, wenn ein Freund eines Freundes plötzlich US-Vizepräsident wird. Richtig aufgefallen ist mir das allerdings erst anlässlich der Aufregung um den Auftritt von J.D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz; oder genauer gesagt, infolge eines Artikels meines Freundes Rod Dreher auf Substack, der mit einer Erinnerung daran beginnt, dass er – also Rod – im vorigen Jahr gerade zur Zeit der Sicherheitskonferenz in München war und dass J.D. Vance, damals Senator für den Bundesstaat Ohio, auch da schon an der Konferenz teilnahm. Allerdings war seinerzeit niemand auf der Konferenz sonderlich beeindruckt von ihm, und insbesondere wurde es ihm verübelt, dass er den herrschenden Konsens über die Ukraine-Politik des Westens in Frage stellte. Irgendwann dachte sich Vance, ach, ich pfeif' auf diese Konferenz und geh lieber mit meinem alten Kumpel Rod ein Bierchen trinken. Rods Artikel auf Substack ist mit einem lustigen Foto illustriert, auf dem J.D. mit Basecap und College-Pulli zu sehen ist. Ja, die beiden kennen sich schon länger, und eigentlich wusste ich das, aber so richtig präsent war es mir trotzdem nicht gewesen, bis jetzt. 

Was nun die Rede von J.D. Vance auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz angeht, habe ich, wie wahrscheinlich viele Menschen, zuerst die Aufregung darüber wahrgenommen und dann zur Kenntnis genommen, was er tatsächlich gesagt hat. Und nachdem ich letzteres im vollen Wortlaut nachgelesen habe, muss ich sagen: Im Detail kann man da Manches übertrieben bzw. überspitzt dargestellt finden, aber im Großen und Ganzen sehe ich nicht, wie man ihm widersprechen sollte. Dass unsere Spitzenpolitiker einigermaßen pikiert auf die Rede reagiert haben, ist menschlich wohl verständlich; aber wenn sie – allen voran natürlich Robert Habeck, aber, in etwas zurückhaltenderer Diktion, auch Kanzler Scholz und sein voraussichtlicher Nachfolger Merz – Trumps Vize im Grunde das Recht absprechen wollen, sich so zu äußern, beweisen sie damit im Grunde nur, wie sehr er mit seiner Kritik am Zustand von Demokratie und Meinungsfreiheit in Europa den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Auf X, der App formerly known as Twitter, kommentierte J.D. (als "friend of a friend" nenne ich ihn jetzt einfach beim Vornamen, das ist bei den Amis so üblich) die Empörung über seine Rede pointiert: Wenn die Sorge um die Demokratie, die er ausgedrückt habe, als Angriff auf die Demokratie aufgefasst werde, müsse man sich fragen, ob seine Kritiker überhaupt wissen, was das Wort Demokratie bedeutet. 

(Quelle: Tenor.com

Mit dem Zustand von Demokratie und Meinungsfreiheit in unserem Land befasst sich auch Johannes Hartl in einem Beitrag auf Facebook und Instagram – in einem Format, das er gern verwendet: einer Bildergalerie aus Texttafeln, auf denen jeweils nur ein bis zwei oder höchstens mal drei Sätze stehen. In diesem Fall Sätze wie "Demokratie bedeutet das Recht der anderen, für etwas einzutreten, was Du total bescheuert findest" und "Meinungsfreiheit bedeutet das Recht der anderen, das zu sagen, was Du nicht hören willst." Hartl warnt davor, politische Gegner – oder überhaupt Menschen, die anderer Meinung sind als man selber – automatisch für dumm oder böse zu halten (und den eigenen Standpunkt ebenso automatisch mit dem "Guten und Gescheiten" schlechthin zu identifizieren). Ein rundum besonnener und vernünftiger Appell, sollte man meinen – aber zahlreiche Social-Media-Nutzer hatten nichts Wichtigeres zu tun, als darunter (sinngemäß) "Ja, aber die AfD...!!" zu kommentieren. Hartl selbst reagierte – auf Instagram – mit "Erstaunen" auf diese "Reihe von Kommentaren, die reflexhaft irgendetwas über die AfD antworten": 

"Ernsthaft: können wir uns nicht generell über ein dialogorientiertes Miteinander verständigen, ohne immer sofort nur über Parteien zu sprechen? [...] Dass unsere Reaktion auf [...] 'lass uns Menschen nicht verteufeln' [...] reflexhaft wieder einmal nur parteipolitisch in eine bestimmte Richtung ist, scheint mir ein Symptom des von mir beschriebenen Problems. Eine entspanntere und auch lösungsorientiertere Debatte bekommen wir nur, wenn wir den Dialog suchen, offen streiten und widersprechen, doch aufhören, das Böse, Dumme und Falsche immer nur bei den anderen zu suchen." 

Als Reaktion auf diesen Appell – man ahnt es bereits – erntete Johannes Hartl erneute Forderungen, er solle sich endlich mal glaubwürdig von der AfD distanzieren. Seufz. 

Derweil entdeckte ich auf Bluesky einen Beitrag der Christians for Future, in dem es hieß: 
"Sonntag abend wird wahrscheinlich nicht einfach werden. Wir schaffen deshalb einen Raum um online zusammenzukommen, unsere Gefühle über das Ergebnis teilen und gemeinsam neuen Mut und Kraft schöpfen." 

Da möchte man ja mal Mäuschen spielen – oder vielleicht auch lieber nicht. Man könnte ja meinen, wenn sie sich schon ausdrücklich als christliche Initiative bezeichnen, stünde es den Christians for Future gut an, zu gemeinsamem Gebet am Wahlsonntag aufzurufen; aber was sie tatsächlich im Sinn haben, sieht dann ja wohl eher nach Gruppentherapie aus. Woran erinnert mich das? – Im Baumhaus, das ich ja bekanntlich sehr schätze, gab es mal eine Veranstaltung namens "Klima-Café" (oder so ähnlich), deren Zweck es ausdrücklich sein sollte, dass die Teilnehmer sich über ihre Gefühle angesichts der Bedrohung durch den Klimawandel austauschen sollten. Das fand ich auch schon eher unfreiwillig tragikomisch, aber das war immerhin live und nicht online, so als hätten wir immer noch Corona. – So oder so, würde ich sagen, bietet der virtuelle Cry Room der Christians for Future Anlass, über das therapeutische Element im Politikverständnis und politischen Aktivismus der woken Linken zu reflektieren. Irgendwie geht es immer, mehr oder weniger deutlich, um emotionale Verletzungen, die man von anderen validiert bekommen möchte, auch wenn man sich diese emotionalen Verletzungen dafür erst mal selbst zufügen bzw. einreden muss. Was mich daran erinnert, dass schon seit längerer Zeit Christopher Laschs "Zeitalter des Narzissmus" auf meiner Liste von Büchern steht, die ich "irgendwann mal lesen will". Ich glaube, das könnte sich als sehr aufschlussreich erweisen. 

Im Übrigen ging mir heute Morgen auf dem Klo der von mir schon öfter bemühte Vergleich der Bundestagswahl mit der Fußball-WM durch den Kopf, und dabei stellte ich fest, dass diese Events noch mehr miteinander gemeinsam haben als nur den Umstand, dass sie in der Regel alle vier Jahre stattfinden und auch Leute mitreißen, die sich sonst kaum oder überhaupt nicht für Fußball bzw. Politik interessieren. Zu dieser Analogie gehört natürlich auch, dass Leute, die eigentlich überhaupt keine Ahnung von Fußball bzw. Politik haben, sich plötzlich berufen fühlen, über alles Mögliche mitzureden; man kann die Analogie aber noch weiter treiben: Für Leute, deren einzige Form politischer Betätigung darin besteht, "in jedem vierten Jahr ein Kreuz zu malen", wie Franz Josef Degenhardt sang, haben die Wahlen naturgemäß einen anderen Stellenwert, einen anderen Nimbus von Wichtigkeit als für solche, die noch anderweitig politisch aktiv sind. Auch das ist im Fußball ähnlich. Wer fleißig den Politikteil der Tageszeitung liest und im Fernsehen politische Diskussionssendungen und womöglich sogar Liveübertragungen von Parlamentsdebatten anschaut, wäre in dieser Hinsicht dem Fußballfan vergleichbar, der das ganze Jahr über die Bundesliga und womöglich auch noch ausländische Ligen verfolgt, daher natürlich eine begründete Meinung dazu hat, wer in der Nationalelf spielen sollte und wer nicht, sich zugleich aber auch bewusst ist, dass Welt- und Europameisterschaften letztlich nur ein Schaufenster sind, in dem die Spieler ihren Marktwert demonstrieren wollen, und dass die wirklich große Kohle im Vereinsfußball gemacht wird. Wer schließlich selbst auf lokaler Ebene politisch aktiv ist, sei es in einer Partei, einer Bürgerinitiative oder einem Nachbarschaftsverein, könnte mit jemandem verglichen werden, der selbst im Verein Fußball spielt oder vielleicht eine Jugendmannschaft trainiert. Für diesen wird die Fußball-WM möglicherweise auch ein großes Ereignis sein, bei dem er mitfiebert und das sein Herz höher schlagen lässt; vielleicht wird er aber auch der Meinung sein, dieses Event habe sich allzu weit von seinen Wurzeln entfernt und es gehe da weit mehr um Showbusiness, Ideologie und Werbeverträge als um Fußball. Bei manchen trifft vielleicht sogar beides gleichzeitig zu. 

Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass es auch beim JAM-Elterncafé am vergangenen Mittwoch um Politik ging; genauer gesagt um die Frage "War Jesus politisch?", was natürlich die Folgefrage implizierte, ob Christsein politisch ist oder sein sollte. Ich stieß erst spät dazu, da es mich zunächst mehr interessierte, was den Kindern währenddessen über das Buch Daniel beigebracht wurde; meinen somit eher fragmentarischen Eindruck von der Diskussion im Elterncafé würde ich als durchwachsen bezeichnen: Erfrischend, wenn auch nicht unbedingt überraschend, fand ich es, bei den Freikirchlern eine erheblich größere Distanz zum gesamten Politikbetrieb festzustellen, als man es aus den Großkirchen gewohnt ist; für die Teilnehmer der Gesprächsrunde (oder jedenfalls einige von ihnen) schien es keineswegs ausgemacht, ob es überhaupt ratsam ist, sich mit Politik zu befassen. Als ebenfalls typisch freikirchlich, aber in einem weniger erfreulichen Sinne, empfand ich die von einem naiv-oberflächlichen "sola scriptura"-Verständnis geprägte Form der Auseinandersetzung mit dem Für und Wider: Da wurden unsystematisch und kontextfrei einzelne Bibelstellen einander gegenübergestellt, wobei am Ende einigermaßen folgerichtig nicht viel mehr herauskam als "Das kann man so oder so sehen". Gut fand ich hingegen das Schlussplädoyer der neuen Elterncafé-Leiterin (die übrigens durchblicken ließ, sie habe früher durchaus einen Hang zu politischem Radikalismus gehabt, und wenn sie nicht Christ geworden wäre, würde sie "heute vielleicht im Schwarzen Block marschieren oder [s]ich auf der Straße festkleben"), denn dieses Fazit erinnerte mich an die "antipolitische Politik" der Benedikt-Option: Jenseits von der Teilnahme an Wahlen, von etwaigen Parteipräferenzen o.ä. sei Christsein insofern politisch, als Christen einfach dadurch, dass sie in ihrem alltäglichen Leben Jesus nachzufolgen suchen, in die Gesellschaft hinein wirken

Ich finde, das ist jetzt ein echt schönes Schlusswort, und vielleicht können wir uns ab Montag alle mal wieder etwas mehr auf diese Form der politisch-gesellschaftlichen Teilhabe konzentrieren. 


1 Kommentar:

  1. Tut mir leid, aber was der jetzige US-Präsident vorhat, nämlich mit dem Aggressor Putin allein zu verhandeln *über* die Ukraine aber *ohne* die Ukraine (und auch ohne die bisherigen europäischen Partnerstaaten) und Russland bereits vorab Zugeständnisse in Aussicht zu stellen, grenzt für mich an Unfairness und Verrat US-Amerikas an einem bislang von diesem unterstützten Staat und dessen Bevölkerung und natürlich auch an Westeuropa, welches z.B. seinerzeit seinen Partnerpflichten gegenüber den USA beim Afghanistan-Einsatz nachgekommen ist.

    Das Ergebnis könnte verheerend sein.

    Wer kann und wird den USA und deren Bündniszusicherungen denn dann künftig noch trauen können?

    Offenbar liegen die Linke, BSW oder auch AfD dann ja doch nicht so falsch, wenn sie sich Russland zuwenden wollen - werden zumindest manche jetzt meinen und entsprechend wählen.

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